Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Der Meister hat den Bau vollbracht, Die Kirche ragt, wie er's erdacht, Er hat getüncht die glatte Wand, Gewölb' und Kuppel schön gespannt, Die Pfeiler schlank emporgestreckt, Das Dach mit Ziegeln bunt gedeckt; Vollendet ist's nach seinem Sinn, – Doch ist der Gott noch nicht darin! Der Bildner hat den Bau geschmückt, Mit farbigen Scheiben ihn erhellt, Das Bild auf den Altar gestellt, Standsäulen an den Ort gerückt, Schön ausgeprägt im Christusbilde Das Menschenleid, die Gottesmilde, Am Tabernakel Schnitzwerk zart Und Uebergoldung nicht gespart; Vollendet ist's nach seinem Sinn, – Doch ist der Gott noch nicht darin! Der Priester hat den Bau geweiht, Hat betend dreimal ihn umschritten, Entflammt die ewige Lamp' inmitten, Auf daß sie leuchte aller Zeit; Hat Wasser, Asche, Salz und Wein Gesegnet, hat gesalbt den Stein, Die heiligen Leiber eingesenkt, Meßkleider, Glocken, Opferschrein Mit Weihbronn segnend übersprengt; Vollendet ist's nach seinem Sinn, – Doch wohnt der Gott noch nicht darin! Jetzt öffnen sich die Pforten weit, Es strömt herein des Volks Gedränge, Da flüstern Lippen, rauschen Gesänge, Da kommt die Andacht, kommt das Leid, Der laute Jubel, das stille Bangen, Der Fluch, der Dank, das Allverlangen, Der rasche Zorn, das raschere Zagen, Der rauhe Spott, das weiche Klagen, Der Ketzertrotz, der Duldersinn, – Der Gott ist da, sein Geist weht drin! |
|
|
|
Zum Prior sprach in Neuburgs Zelle Pfaff Wigand: »Euer Abt singt morgen Die erste Mess' in der Kapelle, Die wir gebaut. Nun bannt die Sorgen, Den Ordenszwang einmal im Jahr! Uebt heit'ren Brauch der Provenzalen Und der Burgunder Conventualen, Die jährlich um des Herrn Altar Die Kränze lustiger Thorheit schlingen; Herrn Otto soll es Freude bringen, Den Ernst verwirren eures Alten Und glätten seine Abbasfalten. Wer allzuweis' begann, verfährt Sich oft zum Schluß in Narrengleise; Laßt uns beginnen umgekehrt, Zu schließen einst erträglich weise. Seht, Klosterweisheit gleicht dem Bronnen Der Reben in verschloss'nen Tonnen; Ihr dürft sie nicht zu fest verkeilen, Müßt lüpfen klug den Spund bisweilen; So wird der Most zur Ruhe kehren Und sich zu goldner Reinheit klären. Versäumt es ja nicht, daß die Enge Des Reifs der wilde Geist nicht sprenge!« Da wird dem Prior ernstlich bange, Er spürt verschlossene Weisheit gähren, Er fühlt das Lüpfen schon, das Klären Und nickt mit sanft entflammter Wange. Ein Priestergreis im Silberhaar, Als nun aufs Knie der Priester fällt Und als er nun, zum Volk sich wendend, |
|
|
|
So ragt auch durch die Zeit, die schwanke, Aufrecht ein ewiger Gedanke; Ob ihr ihn Freiheit, Liebe heißt, Ob Ehre, Recht, ob Glauben, Geist, Kein Zerrbild taumelnder Gesellen Wird sein ureigen Licht entstellen. Die Brust, die durch die Welt ihn trägt, Geht, unverwundbar blödem Spotte, In stolzem Schweigen durch die Rotte, Bewußt des Gottes, den sie hegt. Vorahnend stellte dieß zur Schau Der Meister in des Münsters Bau, Als er in den Granit gegossen Den ragendsten all' seiner Gedanken Und doch ihn willig ließ umranken Von Witz und Scherz in steinernen Possen; Nur wer das Ganze kann erfassen, Dem tönt die Harmonie der Massen, Und unabwendbar muß er lauschen Des Menschengeistes seligem Rauschen. |