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Wie der Trunkenbold ein Einsiedel wurde

Es lebte einmal ein rechter Lottergesell, der war wegen seiner Unmäßigkeit im Trinken, Essen und Lieben weit und breit bekannt und sah sich zuletzt in der übelsten Lage: denn er hatte mit der Zeit alle Mittel vergeudet, die Gott ihm je beschert. Als es so weit gekommen war, daß all seine Freude ein Ende nehmen sollte, begann ihn Gut und Ehre, die er beide verloren, heftig zu reuen und er dachte in seinem Mute: »Nun habe ich nichts mehr und Freunde und Verwandte fangen schon an, mich träge zu grüßen. Ehe ich so lästerlich weiterlebe, ist es mir besser, daß ich die Welt aufgebe, die mich verleitet hat.« Und wirklich: eines Abends, als es schon spät und er schwer betrunken war, schwur er vor allen seinen Freunden einen großen Eid, er wollte Hoffart und Übermut fahren lassen und künftig tun, wie ein Mann tut, der dem Teufel entfliehen will: schon morgen werde er sich in einen Wald zurückziehen, der sich nahe bei der Stadt befand. »Wer in mein Gebet eingeschlossen sein will«, sprach er weinend zu ihnen, »der komme morgen früh hierher, denn ich will Abschied nehmen.« »Nu, wartet noch ein wenig, Gevatter«, sagten sie, »Eure Sache ist die Nacht lang gut aufgehoben. Ihr seid Weines voll, darum eilt Euch nicht, legt und schlaft Euch aus, dann können wir morgen noch einmal darüber reden.« Das gefiel ihm aber keineswegs, zornig begann er zu schwören, länger solle der Teufel ihm nicht zusetzen und er wolle sich zu Gott bekehren. Die Nacht schien ihm ungemein lang, vor Gedanken vermochte er nicht einzuschlafen und rief bis zum Morgen weinend zu Gott. Denn seine Reue war noch neu und hielt ihn wach, bis ihn die Sonne beschien.

Als nun seine Freunde kamen, um zu sehen, ob er sich indessen nicht anders bedacht hätte, waren sie überzeugt, daß Gott hier ein Wunder wirken wolle: denn er erklärte ohne Zögern: »Ich will für immer ein Büßer werden.« Da baten sie den Pfaffen, er möge ihm, damit der heilige Geist vollkommen sei und es ihm um so besser gelinge, eine Messe singen. Der Pfaffe sang und sprach einen großen Segen über den bekehrten Mann. Dann gingen die Freunde alle mit ihm, um zu sehen, wo er bliebe, damit sie ihn finden könnten, wenn es sie einmal zu ihm treibe. So gingen sie in den Wald, etwa eine Meile weit mit.

Da sprach er: »Hier will ich bleiben und nichts soll mich von da verjagen als der gewaltige Tod. Einmal in der Woche bitt' ich Euch, mir Brot zu senden. Solche Gnade sollt Ihr durch mich erfahren, daß Ihr mir's sicherlich gerne geben werdet.« Damit schieden die Freunde von dannen. Er legte sich nieder und seine fromme Reue war so groß, daß er nicht einmal mehr weinen mochte. Auch wachen wollte er nicht länger, er hatte Augenschmerzen. Als er sich ausgeschlafen hatte, macht er es, wie die Weisen tun, er lobte Gott mit vielen Worten, daß es ihm noch beizeiten gelungen wäre, den Banden des Teufels zu entrinnen. So lebte er zwanzig Wochen lang, ohne eine Änderung zu ersehnen, denn das Fleisch, das er mitgenommen, hielt noch vor und ließ ihn bei Kräften. Als aber das Fleisch zu Ende war, wurde ihm so schwach, daß er zu zweifeln begann. Er fing an, auf Wein zu denken und fühlte, daß er wankend wurde. »Ich Esel«, dachte er, »wie fang' ich's an? Zurückkehren kann ich nicht: denn ich bin nur so lange etwas wert, als ich hier bin, in der Stadt würde kein Mensch mehr nach mir fragen. Gäb's hier Wein, ich könnte prächtig hier leben.« So dachte er hin und her. Man brachte ihm Bohnen, Erbsen und Brot für den Hunger. Aber das erfreute ihn nicht, er hätte um alles in der Welt gern Wein getrunken.

Da, zwölf Tage darnach, kam ein Weib zu ihm, um sich von ihm wahrsagen zu lassen, und wollte ihm Pfennige geben. »Nein«, sagte er, »so hätte ich kein rechtes Leben. Es steht geschrieben, Gott lasse sich auch nicht dafür bezahlen, wenn er einem Menschen beistände. Wenn du aber darüber schweigen willst, was ich jetzt zu dir sprechen werde, so will ich dir gerne wahrsagen.« »Ja, Herr, gerne«, erwiderte das Weib, »dein reiner Leib und deine Seele sind für das ewige Heil geschaffen.« »So gehe nach Hause«, sprach er, »und bringe mir einen Kopf voll von deinem Wein, den will ich so lange segnen, bis er wohl gesegnet ist, daß ich darin erblicken mag, was dir in Zukunft an Seel' und Leib widerfahren soll.« So machte er, daß das Weib nach Hause ging, einen großen Kopf nahm und ihn voll guten Weines kaufte, indem sie weder Geld noch Mühe schonte. Des andern Morgens ging sie wieder hinaus, wo sie den Einsiedel fand, und wurde gar freundlich von ihm empfangen, noch freundlicher aber der arme Knecht, der den Kopf trug. »Schwester«, sprach er, »es ist billig, daß ich dir diesen Gang lohne, der beides, sowohl lang als auch kurz ist: lang durch die Mühe, die du mit Gehen hattest, kurz durch die Seligkeit, die du damit erwirbst. Deine Sünden sind ausgelöscht, Gott hat sie dir nun meinetwillen vergeben.« Dann ließ er sie beichten und gewährte ihr feierlich den Ablaß. Den Wein setzte er vor sich und machte mit der Hand und dem Munde eine lange Weile, als ob er einen Segen spräche und inbrünstig zu Gott bete. Dann guckte er in den Wein und rief: »Schwester, dir wird viel Glück und auch Ehre widerfahren, Gott will ein groß Teil seiner Gnade an dich wenden, so daß dir in kurzem mehr Heil geschehen wird, als je einem Weibe in deiner Verwandtschaft. Bald wirst du es erfahren, nun aber gesegne dich Gott. Geh von hinnen in Frieden! Ich muß an mein Gebet gehen, ich darf es nicht länger versäumen.«

Kaum war das Weib mit vielem Danke davongegangen, nahm er den Kopf, setzte ihn gierig an den Mund und trank ihn in einem Zuge leer bis auf den Grund. »Herr Gott«, sprach er, »weshalb sollten denn die verloren sein, die gerne guten Wein trinken? Man dient dir doch damit und du weißt wohl, daß ich ohne ihn nicht länger hier bliebe. Wenn du aber willst, daß ich dir weiter diene, so sende mir so viel davon, daß ich mich dran erlaben mag und nicht gezwungen werde, wie ein Ehrloser diese Stätte zu verlassen.«

Das Weib war indessen überaus glücklich, einen so guten Gang zu dem frommen Manne getan zu haben. Sie ging zu einer Nachbarin, mit der sie seit langem vertraut war, und sagte: »Wüßtest du, was ich an diesem Tage erfahren habe, du gäbest zehn Pfund darum. So gutes hast du noch nie vernommen.« »Was«, erwiderte die andere, »seit wann ist es Sitte bei uns, daß die eine etwas weiß und die andere erfährt es nicht?« »So gelobe mir«, entgegnete sie, »daß du schweigen und es niemand weitererzählen willst.« Das tat jene mit einem Handschlag. »Ich kann dir das Glück nimmer sagen«, fuhr diese fort, »was Gnade du bei dem allerheiligsten Manne finden magst, von dem ich je vernahm. Der Einsiedel in dem Walde, zu dem sollst du bald hingehen mit einem Kopf voll Wein, denn andres nimmt er nicht an, den segnet er und sieht darin, was dir im Leben und im Tode widerfahren wird.« Da war es der andern eilig, sie lief wie eine Besessene, um noch vor Nacht zu dem Einsiedel zu kommen, und traf auch richtig noch beizeiten dort ein. Da hörte sie mehr von Gnade, die sie dort finden sollte, als je ein Weib empfangen; und wenn sie nach Rom pilgerte, sagte er, möchte es ihr nicht besser ergehen. Darnach segnete er den Wein und prophezeite ihr manches künftige Heil. Des wurde sie froh und so übermütig, daß sie glaubte, Gott würde fürderhin nur noch tun, was sie ihn heiße. Glücklich eilte sie nach Hause und sagte ihrer Gevatterin Dank. Was aber den beiden so gut gelungen war, das wußten bald alle Weiber in der Gegend. Da begann eine große Pilgerschaft und alle wollten den Propheten sehen, der immer mehr des Weins bekam und trank. Schließlich gingen auch die Männer mit den Weibern hin und trieben dies so lange, bis ihnen die Mühe zu viel ward. Denn da sich kein Haarbreit von dem versprochenen Heile sehen ließ, wurden sie des Pilgerns überdrüssig und die Betfahrt verlief sich in alle Winde. Da saß er nun wieder ohne Wein. »Oh weh«, dachte er, »wo nehm' ich Wein her? Daß man mich jetzt so selten aufsucht, ich weiß wohl, woher das kommt: Ich hause zu ferne hier draußen. Aber eh mich das um mein Behagen bringt, rücke ich lieber ein weniges näher zu ihnen.«

Er machte sich auf und ging eine halbe Meile in dem Walde vorwärts. Dort ließ er sich nieder und dachte: »Geht's auch hier nicht, so rücke ich noch ein Stücklein näher.« Als seine Freunde ihm Brot brachten, fragten sie ihn, durch welche Not er von dort vertrieben worden sei? »Da kamen sie nicht, die ich zu Gott bekehren und rechtes Leben lehren soll«, erwiderte er, »darum will ich ihnen den Gang kürzen. Denn es ist ein großer Gewinn für Gott, wenn ich den Leuten näher bin. Gäb' es dreiunddreißig meiner Art, wir wären dort nicht so nütze, als ich allein hier, wo man meine Lehre vernimmt.«

Aber es kam immer noch kein Wein. »Es ist umsonst«, dachte er, »ich muß hinaus aufs Feld, was immer die Leute dazu sagen, denn ich muß Wein haben. Bin ich denn ein Mörder oder Räuber, daß ich hier draußen hausen sollte? Die unter den Leuten wohnen und behaglich ihres Weins genießen, wollen die vielleicht nicht die ewige Seligkeit erwerben? Aber sie machen es eben klüger als ich. Nun, ich denke, der Gott, der sie annimmt, wird auch mich annehmen! Dies hier ist ja ein Platz für Wölfe, Menschen sollen wohnen, wo es Leute gibt und guten Wein.«

Damit machte er sich auf und begab sich aus dem Walde. Dort begann er aufs Neue sein Wesen zu treiben, aber die Leute wollten nichts von ihm wissen, da er aus dem Walde gegangen war, und gaben ihm nichts. Da kehrte er kurz entschlossen in die Stadt zurück und sah, wo ein Bissen für ihm abfiel. Wenn er in der Taberne inmitten von trunkenen Männern saß, erhub er sich plötzlich, ging hin und begann gewaltig zu predigen, daß die Saufbolde allsamt über ihre Sünden weinten, sich an die Brust schlugen und ihm alle wie ein Mann ihre Becher hinhielten: »Trink aus, lieber Meister«, riefen sie, »und wär' es bessres denn Wein, Ihr solltet es auch haben. Diese edle Taberne ist voll Eurer süßen Lehre und des edlen Weins.« So priesen sie ihn und gaben ihm zu saufen, bis er schlafend unter eine Bank fiel. Er verkam immermehr und diente zuletzt den Kindern in den Gassen zum Spott. Aber der Trunkene predigte und zechte weiter. »Sie sollen mich halten«, dachte er, »wofür sie wollen«, und hub das gefüllte Glas an den Mund.


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