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Es war einmal ein Esel, der immerzu die größten und schwersten Säcke tragen mußte, so daß er bald in die trübseligsten Klagen über sein widriges Schicksal ausbrach. Da vernahm er eines Tages von einem Lande, wo, sagte man, noch nie ein Esel gesehen worden sei und man gar nicht wußte, welch eine Art Tier das wäre. »Wie gut könnte ich es dort haben«, dachte er sogleich, »käme ich in dieses Land, so lebte ich ohne Arbeit und gewönne zu dem noch eine bedeutende öffentliche Hochschätzung. Hier ist es mir wahrlich armselig genug ergangen, ich will nicht zögern und mich unverzüglich dahin aufmachen. Werde ich dann dort der Leute gewahr, so lasse ich meine Stimme erschallen, die wird ihnen dann so grimmig vorkommen, sie werden sich kaum zu atmen getrauen und froh sein, wenn ich sie in Frieden lasse. So kann ich Zeit meines Lebens noch der ungestörtesten Freiheit genießen.«
Er machte sich also auf, kam in das erwähnte Land und am Ende auch in eine große Stadt, die es dort gab. Sogleich machte er sich über die erste beste Wiese her, die ihm am Wege lag. Als nun der Besitzer des Grases herbeigelaufen kam, um den Eindringling aus seinem Eigentume zu vertreiben, kehrte sich der Esel zu ihm hin und begann aus Leibeskräften zu schreien, daß die Luft davon erbebte. Da erschrak der Mann heftig und lobte Gott, daß es ihm gelang, dem schrecklichen Tiere zu entrinnen. Rasch stürzte er dahin, wo er das Glockenseil fand, und begann sogleich mit wildem Schalle zum Sturme zu läuten. Die Bürger liefen herbei und fragten alle, was es gäbe? Da sagte er ihnen die Mär, daß ein schreckliches Tier gekommen sei, das würde ihn sicher noch ums Leben gebracht haben und hätte eine gewaltige Stimme und wäre so zornmütig, daß es keineswegs habe von ihm entfliehen wollen, wie man doch von einem Tiere billig erwarten müßte. Nun stehe es auf seiner Wiese und fresse ihm das Gras auf. Da entstand eine gewaltige Bewegung unter den Bürgern: wer gut zu Pferde war oder glaubte, rascher zu Fuß vorwärtszukommen, setzte seinen Eifer darein, mit den andern in großem Zuge vor das Tor hinauszuziehen. Als sie nun des Esels ansichtig wurden, machten die zaghafteren sogleich halt. Die aber ihren Mannesmut beweisen wollten, gingen ein klein wenig näher hin, auch die Berittenen glaubten, es immerhin wagen zu können. Der Esel befand sich gerade in übermütiger Stimmung, sowohl von dem himmlischen Grase, das er gefressen, als weil er von der langen Ruhe gekräftigt war. Da lief er ihnen, nach übermütiger Eselsart, von Genuß und Erholung üppig geworden, laut schreiend entgegen. Als sie ihn von fern so daherkommen sahen und sein fröhliches Geschrei vernahmen, wandten sie sich stürmisch zur Flucht, der Esel immer hinter ihnen her. Wessen Pferd nicht rasch laufen mochte, der bearbeitete es wütend mit beiden Sporen, denn sie hätten schwören mögen, der Esel würde Beide fressen, Roß sowohl wie Mann. Wem es gelang auf einen Baum zu entrinnen oder zeitig die Stadt zu erreichen, der pries sich glücklich. Wo der Weg sich verengte, gab es ein solches Gedränge, daß die Schwächeren und die Kinder schier zu Tode getreten, gekeilt und gestoßen wurden, so daß, wer dessen Gefahr lief, eiligst auf irgend einen erhöhten Stein entfloh. Die Übrigen drängten in wilder Hast nach Hause: mancher, der auf eine Mauer oder ein Dach entwischt war, begann von hoch droben Gott zu preisen. Die Reichen und Angesehenen kamen natürlich zuerst in die Stadt. Kaum drinnen, schlossen sie rasch hinter sich das Burgtor zu und sperrten die Ärmeren aus. Dann warteten sie ab, was nun geschehen würde. Als das arme Volk sah, daß der Weg ihm abgeschnitten war, da entstand außerhalb ein solches Geschrei von den armen Leuten, daß es zum Gotterbarmen war. Alles, jung und alt, war überzeugt, ihr letzter Tag sei erschienen. Es war ein gar verzagtes Heer: sie liefen bis an die Brustwehr und aller Augen schauten nun starr nach dem Tiere hin. Sie glaubten, jetzt müsse das Fürchterliche geschehen. Aber siehe! das Tier tat keinem den Tod an. Im Gegenteil, so schrecklich es sich auch gebärdet hatte, nun wurde es, als es vor das Burgtor kam und die Rosse nicht mehr sah, wieder recht still und gutmütig und am Ende auch des ewigen Schreiens überdrüssig. Als die in der Stadt wahrnahmen, daß der Esel zu den Leuten ging und sie dennoch ungebissen ließ, da begannen dieselben, die kurz vorher das Tor zugeschlossen hatten, grimmig zu schwören und konnten auf keine Weise davon abgebracht werden, sie wollten vor das Tor ziehen und zu ihren Freunden stehen, um mit ihnen zu erdulden, was jenen zu leiden bestimmt sei. Zwar begann der Esel nun wieder zu schreien, aber kein Mensch floh mehr davor. Sie gingen auf ihn zu, fingen den Narren an seinen langen Ohren und zogen ihn weiter. Dazu sprangen ihrer vier rasch auf seinen Rücken und ritten ihn in die Stadt hinein. Dann berieten sich die Bürger untereinander, dies Tier habe ihnen Gott gesandt, es solle ihnen allen früh und spät die Säcke nach der Mühle tragen, dazu sei es auf das Beste geschaffen. Und so geschah es. Der Esel trug die Säcke der ganzen Stadt, seit er die Menschen mit seiner Stimme hatte erschrecken wollen. War er vordem das Packtier von Einem gewesen, so war er jetzt ein Esel für Jedermann. Wie es dergleichen auch heute noch gibt.
Zwar hat es schon manche gegeben, deren Herz durch die wunderlichste Hoffart wie besessen war, keiner aber erreichte darin einen Kater, einer einfachen Katze Kind, der noch hoffärtiger war als alle, die seit Beginn der Welt durch ihre Überhebung bekannt geworden. Da ging er eines Tages hin, wo er eine Füchsin fand, und sprach zu ihr wie einer, der es wissen muß: »Nun rate mir, Frau, was ich tun soll! Mir ist wohl bekannt, daß du weise bist und dich auf mancherlei feine Listen verstehst. Deshalb suche ich auch deinen Rat und will dir ansagen, wie es um mich beschaffen ist. Ich habe allein mehr Tugend im Leibe, wie alle übrigen Geschöpfe zusammengenommen, du wirst wohl schon davon gehört haben. Ich würde nie aufhören können, wollte ich dich wissen lassen, wie viele hohe Vorzüge ich besitze, ich bin weitaus das Edelste, was es auf Erden geben mag. So gern ich nun ein Weib nähme, die mir ebenbürtig wäre, wo auf der Welt möchte ich eine solche finden, so viel ich auch schon gesucht habe? Aber ich bin entschlossen, nicht davon abzulassen. Du hast einen scharfen Verstand: was nun das Edelste sei, das du irgend zu erkennen vermagst, das nenne mir, und ich will seine Tochter zur Frau nehmen, eh' ich ganz und gar unbeweibt bleibe.« Da entgegnete listig die Füchsin: »Was Edles ich immer gesehen habe, allem geht die Sonne vor. Sie schwebt so herrlich empor und ist so licht und glühend, daß ich nichts ihresgleichen sonst zu nennen vermag.« »Dann muß ich die Tochter der Sonne haben«, sprach der Kater, »die Sonne ist hoch und von lieblicher Gestalt und hat so majestätischen Schein, sie mag wohl wirklich recht edel sein. Aber nun sage mir mehr von ihr: Gibt es nicht ein Ding, das noch stärker ist als sie? Das möchte ich gerne wissen.« »Wahrhaftig, ja!« erwiderte die Füchsin, »der Nebel ist noch stärker als sie. Der ist so großer Kräfte voll, daß die Sonne gar nicht scheinen kann, wenn es dem Nebel nicht gefällt.« »Wenn dies sich so verhält«, sagte der Kater, »so will ich keine nehmen, als die Tochter des Nebels. Wenn dieser so große Kraft hat, daß er der Sonne widersteht, so gefällt seine Tochter mir besser. Nun aber sage, gibt es nicht etwas, das auch den Nebel besiegt und wovor er gedemütigt entweichen muß?« »O ja«, sprach die Füchsin sogleich, »du kennst doch den Wind? Der ist auch des Nebels Meister. Wäre des Nebels ein Land voll, wenn der Wind sich rührt, so verjagt und zerteilt er den Nebel so schnell, daß niemand weiß, wo er hingekommen ist.« »Das ist gut so«, antwortete der Kater, »so will ich meinen Sinn der Tochter des Windes zuwenden. Wie oder wo führe ich besser? Da ihm die Ehre vergönnt ist, so gewaltig einherzufahren, so steht mir seine Tochter immer noch besser an, als daß ich irgend etwas noch Törichteres begehe. Ist aber in der Natur nicht noch irgend ein Ding, das des Windes Gewalt durch die seinige bricht? Das sage mir bei der Liebe, die du für mich als deinen Freund empfindest!« »Ja«, sagte die Füchsin, »ich weiß hier nahe bei uns ein großes, altes, ödes Steinhaus, da hat der Wind schon manchen Saus und Stoß daran getan, und muß es doch stehen lassen, was er auch schon dran getobt und gestürmt hat. Denn es hat die Kraft, stehen zu bleiben.« Da erwiderte der Kater: »Bei meinem Leben, so will ich kein andres Weib haben, als des Steinhauses Tochter! Wo der kräftige Wind Tag und Nacht stürmt und dennoch nicht zu siegen vermag, des Hauses Kind will ich nehmen, keine andre ziemt mir so wohl. Es wäre denn, daß es etwas gäbe, wovon auch das Haus mit der Zeit schadhaft würde. Ist etwas dergleichen auf der Erde? darüber sprich mir noch!« »Ich kenne das Ding allerdings«, entgegnete die Füchsin, »das selbst das Haus besiegt, so daß es am Ende zu Falle kommen wird. Über der Erde und darunter gibt es Wunders viele Mäuse, die haben so viele Löcher durch und durchgebohrt, daß niemand das Erdreich davor bewahren kann, in sich zusammenzustürzen. Nicht lange wird es dauern, so wird man das Haus von den Mäusen sinken sehen.« »Da bin ich froh«, rief der Kater, »Niemand soll mein Weib werden als die Tochter der Mäuse. Ist aber auch diesen etwa ein Meister gegeben? Sprich!« »Ja«, sagte die Füchsin, »kennst Du denn die Katze nicht? die braucht nur zu erscheinen, so fliehen die Mäuse in großer Bedrängnis, und welche die Katze fängt, ist sogleich mausetot.«
Der Kater stand einige Zeit in Erstaunen da und erwiderte nichts. Dann aber besann er sich, erklärte rundweg, eine Katze zu heiraten, und schlich befriedigt nach Hause.