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Wir befinden uns in Doktor Kamerons Hans, im Schlafgemach seiner Frau. Aber es ist völlig verändert. Nur Wände, Türen, Zimmerdecke und Kamin sind sich gleich geblieben. Der Teppich, die halbgeschlossenen Vorhänge, selbst das Bett samt Kissen, Decken und Betttüchern scheinen nicht hierher zu gehören; sie sind aus grobem Stoff und von schlechter Beschaffenheit, und stehen in schroffem Gegensatz zu der seinen, geschmackvollen Ausstattung der übrigen Zimmer. Dem Bett gegenüber, wo sonst die wunderschöne Madonna hing, befindet sich jetzt ein Bild, das wir früher schon einmal gesehen haben – in Frau Olneys Haus. Nun erkennen wir auch die andern Möbelstücke und die ganze Einrichtung wieder. Wir meinen uns in der Stube zu befinden, die Frau Farley ehemals mit ihrer Tochter bewohnt hat. Die Täuschung ist vollkommen, denn ein Bettschirm verdeckt den eleganten Kamin, und da steht ja auch Mildreds kleines Wandgestell mit ihren Lieblingsbüchern und Nippsachen. Neben dem Bett aber sitzt Frau Olney selbst, den freundlichen Blick besorgt auf die regungslose Gestalt gerichtet, welche auf den Kissen des dürftigen Lagers ruht. Nach der Meinung der schlichten Frau paßt die Kranke vollkommen zu der armen Umgebung, in welcher sie den andern Beschauern so fremdartig erscheint.
Der Abend bricht herein, und bei dem Dämmerlicht, das bereits in dem verdunkelten Gemach herrscht, lassen sich die Gestalten zweier Männer unterscheiden, die mit atemloser Spannung darauf harren, daß wieder Leben in die starren Glieder zurückkehrt, die geschlossenen Äugen sich öffnen, und der Geist zum Bewußtsein erwacht. Des Detektivs Gesichtsausdruck ist kaum weniger erregt als derjenige Kamerons, des angsterfüllten Gatten. Es ist sechs Uhr und alles totenstill; nur des Doktors Herz klopft hörbar – sonst vernimmt man keinen Laut.
Sie sagten, in vierzig Minuten würde das Pulver, das Sie ihr eingaben, seine Kraft verlieren; die sind jetzt vorbei, flüsterte Gryce, der nach der Uhr gesehen hatte, dem Gefährten zu.
Ein langgezogener, tiefer Seufzer vom Bette her antwortete ihm, Frau Olney beugte sich vor und berührte die Stirn der Erwachenden.
Mildred, sagte sie leise.
Kameron hielt den Atem an; er horchte aus allen Kräften auf einen Ausruf, eine Antwort, von der die Entscheidung abhing.
Mildred, wiederholte Frau Olney.
Oh! klang es schwach und gedehnt aus der Kranken Mund; sie öffnete die dunkeln Augen, heftete den Blick auf das wohlbekannte Gesicht und lächelte, als wolle sie sagen: »Hier bin ich.« Aber fast im nämlichen Augenblick schauerte die abgezehrte Gestalt zusammen, die Blicke irrten wild umher, von einem Gegenstand zum andern, bis sie wieder mit ängstlich fragendem Ausdruck auf Frau Olney verweilten. Diese, getreu der übernommenen Rolle, sah sie liebevoll an und sagte in ruhigem Ton: Du bist krank gewesen, sehr krank, armes Kind.
Da blickte Frau Kameron auf das Bett, auf das wollene, verblichene Tuch, das ihr die Schultern bedeckte, auf ihre Hände, von denen man alle Ringe entfernt hatte, und rief in namenloser Angst: War es denn alles ein Traum? Gibt es denn keine Genofeva, keinen Walter – und bin ich Mildred Farley geblieben? –
Ein Tritt ließ sich hören, ein scharfer Geruch verbreitete sich am Kopfende des Bettes, und Frau Olney sah sich der Antwort überhoben. Die Kranke, die kaum erst zu sich gekommen war, versank wieder in Bewußtlosigkeit.