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Dreizehntes Kapitel.

Es ist der unerhörte Fall eingetreten, daß Frau Präsident Eckeberg und ihre Schwestern Isolde und Emmy völlig einer Meinung sind und diese sogar austauschen. Freilich bleibt Frau Hela dabei in der eisigen Zurückhaltung, die sie den beiden, und keineswegs unberechtigt, entgegenbringt. Ironisch, spöttisch, streng forschend und sehr oft innerlich kochend, pflegt sie bei den seltenen Begegnungen die auffallenden Erscheinungen zu mustern. Allein dieses Mal fällt das alles weg. Sie begreift nicht, daß Otto wie auch Ingo, der aus Paris eingetroffen, und die anderen Brüder für den Vater noch Entschuldigungen finden können. Die Hauptsache bleibt für Frau Hela, daß das Vermögen der Familie verloren ist. Daß die Isar-Bank verkracht und Hunderte von Menschen, reich oder wenig bemittelt, dabei um das Ihrige gekommen sind, berührt sie nicht allzusehr. Sie ist auch geneigt, ohne weiteres anzunehmen, daß ihren Vater in Wahrheit noch weit mehr Schuld treffe, als offenbart ist, ja, daß er sich Unehrenhaftigkeiten habe zuschulden kommen lassen und daß dadurch der Name der Familie geschändet sein könne. Sie schlägt es nicht an, daß Degenhardt stets ehrlich und von jeher ein rastlos fleißiger Arbeiter war, daß seine Unternehmungen zwar wagemutig und optimistisch, aber bis jetzt immer von Erfolg begleitet gewesen waren. Wenn dieser Umstand von den Geschwistern in deren Gerechtigkeitssinn hervorgehoben wird, dann lächelt sie nur mit blassen, verbissenen Lippen. In ihr ruht bloß blinde Mißachtung für diesen Mann, den sie Vater nennt. Sie hängt auch am meisten am Geld und kennt nichts, was außerhalb ihrer eigenen Familie liegt. Von jeher hat sie mehr oder minder heimlich schwer unter dem Gedanken gelitten, eines der Geschwister könnte mehr von den Eltern beziehen wie sie. Ihr Mann hat zwar ein nicht unbedeutendes Vermögen, ist aber kein Krösus. Sie hatte nebst der schönen Aussteuer sogar noch ein kleines Kapital mitbekommen, wie später Emmy und endlich Gertrud auch. Otto ist gleichfalls interessiert; aber – so wie Hela? Nein! Ihn stößt das, ohne daß er's merken läßt, unendlich ab und entfernt ihn innerlich von der sonst so verehrten und verherrlichten Schwester. Nein, – es ist mehr Unglück als Schuld bei dieser Sache. Viele, viele Jahre hindurch hatte der Vater seinen Posten mit den größten Erfolgen ausgefüllt, war aber dieses Mal zu weit in seinem Vertrauen gegangen und hatte allzu sanguinisch zur Beteiligung an einem großen Unternehmen geraten. Hauptanlaß dazu war ein ihm von früher befreundeter Kollege aus einer großen, norddeutschen Stadt, den Degenhardt von je als eine hervorragende Autorität in finanziellen Fragen anerkannt hatte. Durch diesen Mann hatte er sich verleiten lassen, nicht nur die Gelder der Bank, sondern auch die anvertrauten Baranlagen in große inländische und überseeische Unternehmungen hineinzustecken. Die augenblicklich herrschende, allgemeine, wirtschaftliche Depression hatte diese Unternehmungen ins Stocken gebracht, und die große, norddeutsche Bank war in Konkurs geraten. So wurde auch das Münchener Haus mit ins Verderben gezogen. –

Viele Wochen sind vergangen; die Wogen im Haus Degenhardt haben sich schon etwas geglättet. Eine vom Gericht eingesetzte Prüfungskommission des Status der Isar-Bank hat ergeben, daß ihr Direktor in erster Linie sein eigenes Vermögen eingebüßt hat. Der größte Teil der dieser Bank anvertrauten Gelder war aus gleichen Gründen verloren gegangen. Nach keiner Richtung hin hat man Doktor Degenhardt eine unehrenhafte Handlung Nachweisen können. Hela hat sich verbittert, in dumpfem Groll ganz auf ihre Burg des Bavarien-Ringes zurückgezogen. Ihre Jungens kommen gar nicht mehr ins großelterliche Haus. Ingo, dem der Boden unter den Füßen brannte, ist sehr bald wieder nach Paris zurückgekehrt, weil er im Begriff steht, seine dortige Druckerei zu vergrößern. Ihn trifft das Unglück im Augenblick doppelt bitter. Otto tut in seiner unliebenswürdigen Weise, aber streng rechtlich, als Sohn und Bruder seine Pflicht und ist sehr davon durchdrungen, in Aufopferung Außerordentliches zu leisten. Emmy läßt sich kaum mehr zu Hause sehen und ist trostlos, das viele, viele Geld, – erst jetzt hinterher erfuhr sie, daß es alles gewesen, – verloren zu wissen. Sie hat mehr Rendezvous wie je und kann keine Minute mehr für sich sein. Isi hat bereits, kurz entschlossen, eine Stelle bei einer etwas merkwürdigen Baronin als deren Gesellschaftsdame angenommen und ist mit dieser abgereist. Bei der telegraphischen Nachricht, die Onkel Toni an jenem Fronleichnamstag gesandt, wäre Gertrud am liebsten ohne langes Besinnen gleich herbeigeeilt. Auf den Rat ihres Gatten hin hatte sie noch abgewartet, bis sich alles etwas mehr geklärt haben würde. Dann aber fuhr sie sogar an einem Tag ab, an dem sie einen lieben Gast, einen Vetter Rolands, dem er enge befreundet war, erwarteten. War das eine wilde Fahrt über die Heide gewesen, um den Zug auf der nächsten Station noch erreichen zu können. Der kleine Bauernjunge, der hinten auf dem Sitz den Groom markierte, wäre beinahe abgeworfen worden. Links an Sardennen vorbei ging's. Heidi! Natürlich Tanzmusik! Sie mußte an jenen Herbsttag denken. Richtig, da kam ein Troß Burschen und Mädchen. Gertrud wandte den Kopf, um den die Löckchen flogen. Sie meinte ihren Tänzer und Verehrer von damals darunter erkannt zu haben. Er war's auch! Unsicher, mit offenem Mund, hatte er dem wild dahinsausenden Gefährt und der schönen, eleganten Dame darin nachgestarrt, die ihn so mahnte an seine unvergeßliche flotte Partnerin der letzten Kirmes. Wie dieser Bursche, so hatte bald darauf Gertrud Halliger selbst eine eben so schattenartig vorüberhuschende Erscheinung. Vom Zuge aus, wenige Minuten vor der Abfahrt, hatte sie einen großen, aristokratischen, sehr elegant aussehenden Herrn stehen sehen, der scharf nach allen Seiten ausspähte, als ob er auf jemanden wartete. Sein elegantes Reisegepäck lag neben ihm auf der Erde. Wie ein Offizier in Zivil, – nein, wie ein Maler, – wie beides, – mein Gott, wie der so seltsam und interessant war! Noch einmal mußte sie hinsehen. Sie war ahnungslos, daß der Fremde sie längst im Zug bemerkt und bewundert hatte. Nun trafen sich ihre Augenpaare. Es war wie ein Blitz, – dann eine kalte, starrende Öde. – Der Zug bewegte sich! Erst schwerfällig langsam, dann schneller, immer schneller. Keinen Blick hatte die junge Frau mehr dahin zurückgesandt, wo der Fremde noch immer stand. Die sonderbaren Empfindungen, die sie noch soeben rätselhaft bestürmt, waren schon wieder verflogen. Ganz nüchtern überlegte sie jetzt: Wer mag er sein? Wie kommt er nach der abgelegenen Station? Am Ende, – wenn er, – wenn das, – aber nein! Detlev von Dombrowsky sollte ja erst mit dem späten Schnellzug, dem einzigen, der da hält, kommen. So hatte Roland den Vetter auch gar nicht geschildert. Dann fühlte sie in ihrer Tasche die erste Depesche knistern, und den späteren Brief Ludls, der ihr Aufschluß über die Vorgänge in München gegeben. Sie wurde dermaßen von sorglichen Gedanken an ihre Eltern und die Heimat ergriffen, daß alles andere davor zurücktrat.

Jetzt, daheim, denkt sie längst nicht mehr an diese blitzartigen Empfindungen, die sie sicherlich nur durch ihre gesteigerte Nervosität gehabt. Und sie kommen auch nicht wieder, als ein Brief von ihrem Mann eintrifft, in dem dieser zum Schluß in humoristischer Weise von der verblüffenden Ankunft Detlevs erzählt. Nach allerlei Abenteuern, die fast denen des Odysseus geglichen hätten, sei er zu einer ganz unmöglichen Zeit, bald nach ihrer Abfahrt von Seedland, angekommen. Beinahe noch früher, als er die Hausfrau und noch unbekannte Cousine zu begrüßen verlangt hätte, habe er gefragt, wer das junge, hübsche Mädchen gewesen sein könne, das in Blankdorffen in den Zug gestiegen sei. ›Da die Aufklärung auf der Hand lag, – so leicht, und am wenigsten hierherum, ähnelt dir keine – haben wir dann, besonders ich, herzhaft gelacht. Detlev erfüllt meinen Wunsch, bis auf weiteres hier zu bleiben und sich Seedland auf die Eigenschaft als Wirtschaftsgut hin anzusehen. Er hat sich schon ganz eingelebt und mit den Kindern dicke Freundschaft geschlossen. Alles geht gut, die Leute sind auch ordentlich, und Grete Mannes sorgt mütterlich für Lise und To. Bleibe, solange du willst, in München und versuche, in der geliebten Heimat trotz der obwaltenden trüben Verhältnisse so viel zu genießen als möglich!‹

– Der Gute! Die junge Frau ist so froh über die befriedigenden Berichte. Auf Detlev Dombrowsky ist sie zwar neugierig, allein ohne deshalb darauf zu brennen, seine Bekanntschaft möglichst bald zu machen.

Gar zu vieles stürmt hier auf sie ein an Eindrücken und Pflichten.

Mit ihr, die wieder ihr Mädchenstübchen bezogen, ist ein harmonischer Geist, ein seltsam liebevoller, inniger Ton in der Degenhardtschen Familie eingezogen. Es ist, als streiche Gertrud mit milder Hand über alles Unebene, das sich darunter glättet, als beruhige sie alles Wilderregte und beseitige Zweifel und Nöte. Wohl jedem, der einen Blick in das Innere der Degenhardtschen Villa hätte tun können, wäre aufgefallen, wie heiter und geschäftig es darin hergeht.

Nach Traudls Ankunft kamen gegen Abend, soweit sie in München waren, die Geschwister im Elternhaus zusammen. Ingo, Max, der Berliner Arzt, und Isi fehlten freilich. Von dieser war schon ein begeisterter, kurzer Brief aus der Schweiz, oberflächlich und seicht wie sie selbst, eingetroffen. Hela war mit Mann und Söhnen wenigstens auf eine Stunde dagewesen und hatte sich auffallend liebenswürdig und fast herzlich gegen die Schwester benommen. Konnte sie doch dieser mit dem besten Willen nichts vorwerfen. Sie brachte ihr einfach das chronische Mißtrauen entgegen, das sie gegen jedes anders geartete Geschöpf empfand. Über den unberechenbaren Otto war eine sonderbare Stimmung gekommen. In heißer Zärtlichkeit erdrückte er die Kleine fast und bewillkommte sie mit Tränen in den Augen. Carlo entfaltete die alte, gemütliche Art. Schwester Emmy erschien Traudl sehr verändert. Alles an ihr gemacht, voll bewußter Absicht, und absolut zweifelhaft wirkend. Gertrud hatte sich alles Bahnhof-Abholen verbeten; nicht einmal Ludl hatte gewagt zu kommen. Er wartete dann zu Haus, bis die Geschwister mit Begrüßen fertig waren, dann aber war er auf sein Traudl losgestürzt und hatte sie wiederholt so abgeküßt, daß er mehr einem stürmischen Liebhaber denn einem Bruder glich: »Weil du nur wieder da bist!« Dann erst kam Mutter herein, denn sie hatte sich in der Küche reichlich mit Sauce und Mehl verschmiert und wollte doch ungefähr sauber vor ihrer Jüngsten erscheinen. Sie konnte lange vor Erregung nichts sagen. Aber sie dachte: ›Wie schön, wie vornehm ist sie, wie reif, und doch wie blutjung!‹, und stumm küßte sie ihr Neuntes. Den Vater begrüßte Gertrud in dessen Zimmer drüben ohne Zeugen. »Guter, armer Papa!« sie streckte ihm schon unter der Tür die Hände entgegen. So alt war er geworden, so, – so, – aber trotz allem und allem, – schon schien wieder etwas Humor, wenn auch noch ein bitterer, bei ihm durchbrechen zu wollen. Und um die Mundwinkel eine Spur des früheren leichtlebigen Zuges. Aber so stille, trübe Augen! Und diese Gestalt! So elend und hilflos schwach! Ob er sich je wieder würde aufraffen können?

»Guter Papa,« wiederholt sie weich.

»Eselhafter Papa, sag' lieber!«

»Nein, – nein! Niemals je vorher hast du doch mit Geld Dummheiten gemacht.«

Das kommt so naiv heraus, daß er lachen muß, obgleich ihm die Tränen dabei in den Augen stehen.

»Net mit 'm Geld, – aber sonst, – willst sagen, – gelt, Traudl? Verzeih mir's halt du auch, was ich auf'm G'wissen hab', und daß ihr um's Euere gebracht seid!«

»Kein Wort mehr, Papa, du kannst wohl wenig dafür, im Grund. Böser Wille war nicht dabei, und Pech kann jeder haben. Vergessen muß und soll es auch sein und jetzt, – wie geht es denn sonst?«

Da sitzt sie auf seinen Knieen wie einstens als kleines Mädchen. Wie damals tätschelt und streichelt er auch an ihr herum.

»Wie schön du g'worden bist, – und halt immer lieb, und immer zart und gut. Du bist die Beste von unsere Weibsleut, außer der Mama natürlich! – No also die! Also einfach großartig! Einfach eine Heldin! Jetzt schau, – jetzt stellen wir g'rad die Katalog' auf für meine Sammlungen. Die versteigere ich, – da kommt denn schon was heraus. Wir ziehen hinter ins Gartenhaus, – dort haben wir mit dem Carlo und Ludl schon Platz. Der Otto wohnt schon lang Garni. Vorne vermieten wir. Und's Fräulein Finerl! Das muß ich dir noch g'schwind sagen: So eine Seel'! Denk' dir nur, – kommt das alte G'stellerl mit ihren Ersparnissen daher in einer Schatullen. Süddeutsche Bodenkredit-Bank und so Sachen. ›Herr Doktor,‹ hat s' g'sagt, ›das ist einmal ein Glück, daß mir mein Bruder mein Geld verwaltet hat, so daß ich's nicht auf d' Isarbank hab' trag'n können. Schaun S' da is jetzt, was i hab'. Nehmen Sie's, i bitt' Sie fußfällig, i hab' mir ja so viel dersparen können bei Ihnen all' die Jahr'!‹ Ich sag' dir, Trauderl, g'schämt hab' ich mich, so ist mir's Wasser in die Augen kommen. Die zwei Gichthanderln, – die reinsten Eichkatzelpratzerln, – hab' ich ihr verbusselt, hab' ihr d' Schatullen wieder in Arm 'neindruckt und hab s' 'nüberg'führt zur Mama. ›Die schau dir an, Schnackl,‹ hab' ich g'sagt. ›Eine Rarität, eine wirkliche! So was Unglaubhaft's, daß d's in deine Märchen gleich verwenden könntst. Schau's gut an: Ein dankbarer Mensch!‹ No was sagst' Trauderl?«

»Weiß Gott, sie ist treu und anhänglich! Aber sonst, Papa, wie benahmen sich all deine vielen Freunde?«

Er lachte bitter auf. »Freunde! ist gut! Ja, wo sind's, wo waren's? – Jedenfalls net bei mir. Daß ich's bei dene verschütt' hab, die ihr Geld auf der Bank g'habt hab'n, ist ja selbstverständlich. Aber auch die anderen! Die meisten sind zerstoben, verflogen. Mein Gott, – was täten s' auch mit'm armen Degenhardt?! Natürlich, unser Anton Buchlehner ausgenommen, selbstverständlich! Keinen Groschen hätt der, der net mir g'hören tät. Aber denk' nur! Mit samt mei'm Unglück und mei'm Leichtsinn hab' ich scho' wieder eine neue Chance. Gott sei Dank, i brauch niemand Fremd's. I weiß, daß i auch so durchkomm'. Du kennst ja unsere großen Bierpantschereien. Neulich ist der Direktor draußen von der Münchener-Märzen Brauerei g'storben. Die Leut' sind zu mir 'kommen und haben mir seine glänzende Stellung angeboten. Zwei von die Herren hab'n sogar zu mir g'sagt, sie täten mich seit Jahren kennen und täten mir schon 'was Rechtes zutrauen, und so kann ich mir was ganz Nettes verdienen. So wie wir jetzt leben, wenn der liebe Herrgott noch a weng wart' mit'm Abberufen, kann ich schon wieder ein bißl was z'sammenscharren für euch und auch da und dort bei denen, die's am nötigsten haben, bei die ganz armen Hascher, a bisserl ausflicken, wo's Loch zu groß g'worden ist durch meine Schuld!«

»Ja, – das wär schön, Papa, wenn du das erreichtest! Was uns selbst betrifft, so sollen wenigstens die Brüder ein Äquivalent bekommen können für das, was wir verheirateten Schwestern schon erhalten haben,« meinte Gertrud eifrig und naiv.

Doktor Degenhardt stand auf, steckte die Hände in die Hosentaschen und blickte mit gesenktem Kopf von unten herauf, komisch blinzelnd, seine Jüngste an. Dabei faßte er sie unter das Kinn.

»Aber Traudl, Herzerl, bist du ein Patscherl! So was Unschuldig's! Ja, meinst denn du, es hat nicht ein jeder von den Buben schon lang soviel auf'braucht, als wie ihr Mädln 'kriegt habt? Was s' damit 'tan haben, weiß ich net, – aber 'braucht ha'm sie's, und es hat sich g'wiß keiner was g'spart, ausg'nommen der Otto, der für g'wiß! Ich hab mir und euch das alles schwarz auf weiß aufg'schrieb'n. Für alle Zeit kannst du dir's merken: Die Buben kommen in einer Familie net so leicht zu kurz; das ist ein alter Brauch. Aber kein guter! Also, ich sag halt noch amal: Richtig gut machen kann ich nimmer, was ich vertan'; i kann halt gar nix, wie's versuchen mit Arbeiten und Schuften, so lang ich noch leb'!«

Er schien Gertrud immer größer, kräftiger und jünger zu werden, während er sprach. Seine Augen blitzten fast wie früher, der Körper strammte sich sehnig. »Arbeit.«

Dann war die Versteigerung.

Gertrud hatte sich redlich abgeplagt bei den Vorbereitungen, die dazu nötig waren. Nun ist sie beruhigt und zufrieden und mit den anderen glücklich über den günstigen Verlauf. Nur Otto ist bissiger wie je und äußert kein Wort über den großartigen Erfolg. Er läßt sich gar nicht sehen im Elternhaus. –

Arm in Arm mit ihrem jüngsten Bruder schlenzt nun Traudl wieder durch die Straßen Münchens, die sich immerzu vermehren und so rasch andere Gesichter, oft ganz neue Namen bekommen.

»Elektrisch soll'n wir auch bald werden!«

»Ist's wahr? – Du, das wär' aber schön! Alles fein beleuchtet, und ein anderer Verkehr wie die trottelige Pferdebahn. Fegerl, da unten fangen s' ja schon zu graben an!«

Unwillkürlich verfällt Traudl wieder in ihren heimatlichen Dialekt, den sie sich im Norden, allerdings völlig unabsichtlich, fast ganz abgewöhnt hatte. Sie stellt sich vor jede Bilderhandlung, und vor dem Kunstgewerbehaus jubelt sie laut. Von der Luft behauptet sie, daß sie total anders und viel besser sei, und saugt sie mit Wonne ein.

»Und morgen fahr'n wir zwei allein zum Abschied in die Berg' zu unser'm alten Häuserl; gelt Trauderl? Am ersten September wird's – eine recht alte Baracken ist's ja schon, – an den Papier-Steiger, – weißt, der vom Marienplatz, – verkauft. Er zahlt's recht gut.«

»O Ludl, wie gut das ist!«

Aber es gibt ihr doch einen heimlichen Stich, daß das alte Berghaus, worin sie einen großen Teil ihrer Jugend verbracht, in fremde Hände übergehen soll. Ludwig schielt von der Seite auf die Schwester herunter.

»Weißt, Trauderl, ich kann mir's eigentlich gar nicht denken, daß du kein Mädl mehr sein sollst. Und gar noch Kinder dazu! Jetzt, wo du wieder bei uns bist, ist's gerad', als wär' das, was dazwischen liegt, nur ein Traum gewesen.«

»Aber ein schöner Traum für mich, Ludl, denn Roland ist –«

»So eine Art Heiliger mindestens, – ich weiß schon. Aber ohne Spaß, denn mir ist's heillos ernst mit meiner Verehrung für deinen Mann. Famos ist der Schwager!«

Sie stehen an der Ecke der eben erst entstandenen Domfreiheit. Gertrud wundert und freut sich. Dann lacht Ludl sie an.

»No also, – jetzt wieder dort herein, – ganz wie früher, – gelt, das hast du doch gewollt?«

Sie nickt froh. Eng geschmiegt, wirklich einem Liebespaar gleichend, sitzen sie dann in einer der leeren Bänke des weiten, kühlen Domes, in dem jeder einzelne Schritt laut verhallt. Vor ihnen schimmern, wie langgedehnte schmale Wasserstrecken, die messingbeschlagenen Oberteile der Kirchenstühle. Die Geschwister können ungestört leise schwatzen; – keine Seele ist in der Nähe.

»Weißt, Traudl, ich hab' auch das von der Wurmholzer-Kathl gehört.«

Die alte Wurmholzerin war lange Spülfrau bei Degenhardts gewesen. Die Kathl ist die wilde Frucht einer späten Liebe der Angejahrten.

»Geh, woher willst's denn wissen. Laß mich doch!«

»Leugne's doch nicht, Traudl. Nein wirklich, das war lieb von dir. Schau, das Geldhergeben allein macht's oft gar nicht. Aber du! Ich hab' halt gehört. Du wärst so gegen die Kathl g'wesen, daß sie jetzt plötzlich gar keine Angst mehr vor dem Leben hätt'.«

»Sie ist ein kreuzbraves Mädchen,« meint Gertrud einfach.

»Ja! Es war schon ein rechtes Unglück, daß ihr der Liebhaber so grad vor der Hochzeit weggestorben ist. Aber er hätt' sie am End doch sitzen lassen!«

»Geh', Ludl, sag' doch so was nicht!«

»No ja, – 's is aber so. Was kommt net alles vor!«

»Nichts mehr davon! Schau doch nur, wie wunderschön die Sonne hereinspielt durch die herrlichen, alten Fenster von Meister Balzinger!«

Ludwig Degenhardt schaut mit aufsteigender Rührung auf die Schwester. Er liebt sie so herzlich. Und immer mehr noch, wenn er so sieht, wie sie sich zu Haus gibt und so viele warme goldene Strahlen um sich wirft, daß für jeden etwas davon abfällt. Plötzlich fragt er besorgt: »Aber glücklich bist du doch wirklich, Trauderl, – doch ganz glücklich?!«

»Aber ja, Ludl, – sehr!«

Er fühlt etwas Unbestimmtes. Wie er so in dieses kindliche Gesicht schaut, entsteht ein anderes Bild vor ihm. Er sieht die Schwester, wieder klein, zart und lieblich, wie sie im weißen Hemdchen vor einem großen Tor steht. ›Zum Leben!‹ steht darauf. Sachte nur dreht es sich in den Angeln. Bloß eine Spalte öffnet sich, – sonst bleibt es verschlossen. Ludwig muß ordentlich abschütteln, was sich ihm wider Willen aufdrängt. Jetzt, da er so lange und oft mit der Schwester allein sein kann, wie es noch niemals gewesen, seit sie Frau und Mutter ist, tritt er ihr innerlich noch näher. Er sieht auf das Marienbild, das sich von einem Seitenaltar her lächelnd gegen ihn zu neigen scheint. Er meint, die heilige Jungfrau ähnele Gertrud.

Ludwig Degenhardt hat so viel vom Leben gesehen. Er unterscheidet scharf dessen echtes und falsches Gold, hat einen klaren Blick und weiß, daß sich der Mann im Lebensstrom schwimmend spielend erwirbt, was sich das ehrliche Weib, das sehend sein will, erst teuer erkämpfen muß, um durch Opfer zu Erfahrungen zu kommen. So frisch und rein, so naiv und warm und doch so klug faßt seine Schwester dieses Leben an. Mit einem heißen Herzen lebt sie es, greift mit fester Hand hinein und holt sich Schätze aus seiner Tiefe. Sie baut sich selbst ein Haus und mühelos wird es ein Kunstwerk. Ludwig muß immer wieder an die Wurmholzer-Kathl denken, wie Traudl dem armen Mädchen seinen Weg so klar gezeichnet und ihm die Hand geboten, es auch darauf zu geleiten. Hoch und ideal denkt sie und läßt doch das Praktische nie aus den Augen. Die Lebensmüde, Unglückliche hatte sich in der Isar ertränken wollen. An der Bogenhauser Brücke hatte man sie halbtot herausgefischt. Und trotzdem lebt sie jetzt durch Gertruds Hilfe wieder gern, weiß, daß sie noch jung ist, und sieht ein, daß sie noch viel Schönes vor sich haben kann. Auch die Art, die Traudl zu Haus gegen Eltern und Geschwister entwickelt, bewundert Ludwig. Selbst gegen Hela und Otto, die keinen Schatten des Verständnisses für die Jüngste besitzen, weiß sie einen warmen Ton zu treffen. Und Ludwig gönnt jetzt die kleine Schwester gar keinem mehr. Nicht einmal dem Heiligen von Seedland! Er sieht sie immerzu an, die versonnen dasitzt und, müde und heiß geworden, gern hier in der Kühle und Stille ausruht. Sie hat nach Kindheitsgewohnheit den Hut abgenommen; jetzt, wo das Haar etwas glattgedrückt ist und sie ohne Lächeln, mit sanft-ernstem Ausdruck vor sich niederblickt, sieht sie wirklich der Gottesmutter da drüben ähnlich. Immer mehr der feinen, rötlich-braunen Härchen stehen kraus auf von ihrem schimmernden Scheitel. Eine Krone! Ludwig aber meint: Eine Dornenkrone! Deutlich sieht er sie über dem Haupt der Schwester schweben. Plötzlich wird ihm der Atem kurz.

»Komm', Traudl, – ich find' die Luft hierin so dick, – komm'!«

»Schon?«

Aber sie befestigt doch sofort den Strohhut wieder auf ihrem Kopf und folgt bereitwilligst dem Bruder.

»Du, – Traudl, – du bist –«

Sie stehen unter dem Portal.

»Aha, – jetzt kommt Blech,« lacht sie übermütig.

»Oh nein, – gar net. Weißt, Traudl, du bist halt einfach ›Unsere liebe Frau‹!«


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