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Drittes Kapitel.

»Herr Doktor wünschen?«

»Vorderhand meine Ruhe! Abschwirren!«

Der interessante Gustav, im tadellosesten Frack, dreht die Serviette in einer genialen Form unter dem Arm und tritt schmunzelnd wieder zurück. Von einer dunkeln Ecke aus horcht er scharf auf das Geflüster eines eleganten Pärchens, das bei einem opulenten Souper mit Pommery sitzt. Auch Ingo Degenhardt streift mit einem Blick flüchtig die Zweie. Dummer Bengel da drüben! Was der Mensch da mit hat! Mein Gott, in Deutschland sind diese Weiber ja alle unmöglich. Freilich in Paris, – ah, Paris!! Erst eine Woche ist er wieder daheim; vorher war er drei Monate lang in jenem Paradies gewesen. Innerlich ist er fest entschlossen, alles zu tun, um dort sein Zelt ganz aufschlagen zu können. Eine Zeitung, jedoch mit allem französischen Pli, will er dort gründen. Der Alte müßte freilich ernstlich dazu herausrücken. Im Kleinen, – so mit etlichen tausend Mark, – da war er eigentlich immer umgänglich und anständig gewesen. Auch jetzt wieder für den Pariser Aufenthalt. Aber dann würde es doch einen beträchtlichen Happen mehr ausmachen. Wenn der Vater nur nicht gar so viel mit den Weibern vertun würde! Selbst jetzt noch sozusagen auf seine alten Tage, – freilich er hat die fünfzig kaum erst überschritten – ist das schlimm; und stets gleich das Portemonnaie in der Hand. Nur nichts schenken lassen! Ist ja auch wieder nett von ihm! Aber zum Beispiel gestern die Palme um achtzig Mark für die kleine exotische Gesandtin. Und außerdem, – stets muß man eigentlich auf der Hut sein, daß nicht schon der Alte zuvor im Trieb ist. Auch lästig! Wirklich fabelhaft dessen Glück bei den Frauen!

Der junge Mann wird aus seinen Gedanken durch den von ihm erwarteten Kunz Manzinger aufgeschreckt, der ihn laut begrüßt.

»'n Abend, Doktor!«

»Sieh da, Timotheus! Also doch Wort gehalten, obwohl Sie zweifelten, Zeit zu haben.«

»Lieber Himmel! – Zeit! Jeder hat sie ja eigentlich. Aber Stimmung, – Stimmung!«

Er zieht einen kleinen Taschenspiegel und ein Bürstchen heraus und bearbeitet ziemlich zwecklos sein al fiesco geschnittenes Haar. Der andere, der zuerst aufgestanden war, setzt sich wieder und winkt Gustav nun heran, der schon auf einen Befehl lauernd Speise- und Weinkarte bereithält.

»Wie meinen Sie, Manzinger, – wieder den Mosel von neulich? Wenigstens vorerst?«

»Recht!« nickt er.

Die Folge der Gerichte aber stellt der Dichter zusammen, der einen feinen Geschmack bekundet und eine verwöhnte Zunge zu haben scheint.

»Übrigens, Degenhardt, – ich habe wieder Reizendes erlebt.«

Sein Nachbar schenkt von dem eisigen Mosel in das schlanke grünliche Glas, stößt mit dem viel jüngeren Genossen an, nippt wie dieser auch nur erst wenig von dem prickelnden Wein und meint dann:

»Also los! Ihnen sind ja immer so hübsche Sachen beschert! Wenigstens verstehen Sie es, solche zu erleben. Ihr Talent des Hineinsinnierens ist ja auch ein stupendes.«

»Ne, wirklich, Doktor, dieses Mal, – sehen Sie, ich habe da –«

Und nun erzählt er, wie er die Kinder bei den Nubiern getroffen, beobachtet und insbesondere Traudl erst in den Dom und darauf auch noch bis zur Feldherrnhalle verfolgt hat, bis sie mit ihrem Bruder aufs neue die Pferdebahn bestiegen hatte.

»Da konnte ich dann nicht mehr mit, weil ich bei der Baronin Lars-Bromberg geladen war. Hätte ich erfahren können, wo die Kinder wohnen und wie sie mit ihrem Familiennamen heißen, es wäre mir lieber wie die Soiree gewesen, obwohl es Salmi von Krammetsvögeln beim Souper gab.«

Sein Zuhörer hat erst nur so der Erzählung gelauscht, wie er sich eben stets gern von den Phantastereien des Dichters berichten läßt. Nach und nach wird er immer aufmerksamer, endlich hört er mit kaum unterdrückbarem Lachen zu.

»Solche Fratzen!« entfährt es ihm.

»Aber bitte sehr, lieber Doktor, – derartige Bezeichnung, – bitte sehr, – reizend, sag' ich Ihnen! Alle beide, – aber besonders –«

»Die Traudl!«

»Wie? Sie wissen, daß sie so heißt, und kennen sie?«

»Na, so ungefähr, hoff' ich doch. Wissen Sie, nach allem waren das unsere zwei Kleinen, der Ludl und die Traudl; die ist unser Jüngstes. Ihnen ist vielleicht unbekannt, daß wir Neune sind. Eklig, was?«

»Donnerwetter, alle Achtung,« entfährt es Manzinger. »Hab' den Rummel gleich gemerkt. Sie haben die Kinder so prachtvoll, so überaus plastisch geschildert. Ja, ich muß selbst sagen, wie ich jüngst von Paris zurückkam, war ich wirklich überrascht, wie die Kleine schon wieder ein bissel hübscher geworden war. Und lieb ist sie auch!«

»Entzückend, – märchenhaft!«

»Bleiben Sie gesund! Nett, – ja wirklich, nett! Aber sie wissen das Kind daheim nicht zu behandeln. Ich aber bin soviel fort und, – ich kann doch keine Kinder erziehen. Allein ich komm' gut mit den Kleinen aus. Der Ludl ist intelligent und hat so 'was Gewisses, was ich mag; und na, wie die Traudl ist, das kann einer allenfalls wissen. Wie sie aber wird, chi lo sa»!«

»Herrlich!!«

Ingo Degenhardt lächelt.

»Sie Enthusiast! Übrigens, wissen Sie was!? Ich bringe Sie einmal mit zu uns; das wenigstens kann ich Ihnen ruhig prophezeien: einen fideleren Sonntag-Nachmittag werden Sie nicht leicht irgend wo anders verleben.«

Kurt Manzinger strahlt, so daß er plötzlich ganz knabenhaft und durchaus nicht mehr blasiert aussieht. Er reicht Ingo die wohlgepflegte Hand mit den mandelförmigen Nägeln, deren Behandlung ihm eine Unmenge Zeit kostet, über den Tisch hinüber.

»Gott, – Doktor, – Sie sind doch einfach famos! Das wäre ja reizend! Wann?! Doch bald, – ja? Vielleicht schon den nächsten Sonntag?«

»Wenn Sie wollen, gern. Wer gerade da sein wird, weiß man nie; aber bunt ist's immer. Jedes bei uns empfängt nämlich Sonntag nachmittags von vier Uhr an. Dauer in infinitum

»Ach nein!«

Der Dichter horcht interessiert und gespannt auf.

»Jawohl! Alter der Gäste schwankt zwischen zehn und achtzig Jahren.«

»I wo!«

»Natürlich! Die Kleine von Rheinsperg ist die jüngste von Traudls Freundinnen. Der greise Komponist und verflossene Kapellmeister Trenk war bis jetzt der Älteste. Pikant, was?«

Sie essen dann eine Zeitlang fast schweigend; später will Ingo Degenhardt allerlei Literarisches aufs Tapet dringen, allein mit dem jungen Poeten ist nichts mehr anzufangen. Er hat nur mehr Sinn für das zuerst angeschlagene Thema.

Sehr lange sind die beiden noch gar nicht befreundet. Eine größere, immer noch diskrete Intimität hat sich nur langsam herausgebildet. Am grauenden Morgen, nach einer Faschingsnacht, hatten sie sich vor stark einem Jahre in einem Kaffeehause kennen gelernt. Es war geschehen, ohne daß sie sich etwa feierlich vorgestellt worden wären. Lediglich durch den Zufall, daß einer dem andern im dichten Gedränge empfindlich auf die Füße getreten hatte. Gleiche Interessen verbanden sie, ohne daß sie dieselbe Richtung verfolgten. Beide waren elegant, alle zwei schienen vermöglich und fühlten trotz des Altersunterschiedes eine fein abgestimmte Sympathie zueinander. Sehr langsam nur und ohne alle Verbindlichkeiten traten sie sich näher. Die heutige Aufforderung Ingos ist eigentlich der erste nennenswerte Schritt vorwärts.

Langsam schlendern sie dann zusammen die öde Ludwigstraße hinunter, auf deren Seiten die Laternen in gelbtrübem Gaslicht brennen. Weit und breit kein Mensch.

»So ein Dorf, – was? Einen Gähnkrampf möchte man beinahe kriegen,« meint Degenhardt.

Bis sie zur Theresienstraße kommen, wo Manzinger in einer Pension wohnt, erzählt Ingo nur von Paris.

»Wissen Sie, – das kenne ich wie vielleicht keiner. Ich kann schon bald sagen, wirklich wie keiner!«

Der andere hört ihm kaum zu, sonst hätte er wahrscheinlich gegen die Anmaßung protestiert. – Er freut sich in der Tat wie ein Kind. Und ›Sonntag‹ klingt's in ihm ganz hell und laut.

»Also gute Nacht, lieber Manzinger!«

»Gute Nacht, Doktor, – also Sonntag?«

Ingo Degenhardt nickt und drückt ihm die Hand.

»Sonntag!« wiederholt der Dichter.


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