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»Da, da – seh'n Sie doch nur! Ganz deutlich – ein hellerer kreisförmiger Schimmer – mitten auf der Platte!«
In höchster Erregung stiess es Professor Berndt hervor, und er, sonst stets der Mann von so fein gemessenem Wesen, packte, fortgerissen von seinen aufwogenden Empfindungen, mit hartem Griff den Arm seines Mitarbeiters, um diesen näher an den Experimentiertisch heranzuziehen, auf den beider Augen in grösster Spannung gerichtet waren.
Dr. Hellmrich blickte angestrengt auf die kleine, trüb gelb-grau gefärbte Platte, die da vor ihnen auf dem Tisch lag, und auf die ein gleissender, scharf umgrenzter Strahl eines hellgrün fluoreszierenden Lichts aus dem Tubus eines danebenstehenden Bestrahlungsapparates fiel – die einzige Lichtquelle in dem sonst völlig dunklen Laboratorium. Bald eine Stunde standen sie schon so, nur dann und wann die Intensität des Lichts ändernd, fast wortlos, oft selbst den Atem anhaltend in höchster Spannung, auf das Objekt ihrer Untersuchungen starrend, der jahrelangen, unausgesetzten Untersuchungen, die jetzt plötzlich ihrem erfolgreichen Ende zugeführt schienen.
Hellmrich schmerzten schon die Augen von dem unverwandten Hinspähen immer auf denselben Punkt. Ein paar Mal hatte es dem Professor schon so geschienen, als ob da eine Lichtwirkung an dem Belag der Platte wahrzunehmen sei, aber immer wieder schien es nur eine Täuschung gewesen zu sein. Hellmrich dagegen hatte bisher beim besten Willen überhaupt noch nichts wahrnehmen können; nun aber – er beugte den Kopf weit vor, dicht über die Platte – wahrhaftig, jetzt dünkte auch ihn, dass da ein matt erhellter Kreis, entsprechend dem Umfang des auffallenden Lichtkegels, sich ungewiss von dem dunkleren Belag der Gelatine abzuzeichnen begann.
»Wahrhaftig, Sie haben recht! Ja, ja – es lichtet sich ohne allen Zweifel!«
»Hellmrich!« Professor Berndts Stimme zitterte, und er griff nach der Hand des jüngeren Mannes, der sich jetzt aufrichtete und ihn – deutlich war es trotz des nur matten Lichtscheins in dem verdunkelten Raum zu erkennen – mit klaren, ernsten Augen ansah: »Wenn wir nun so weit wären!«
»Wenn nicht alles trügt, sind Sie dicht vorm Ziel, Herr Professor.« Hellmrich sagte es mit ruhiger Stimme, und kraftvoll drückte er die schlanke, weiche Hand seines Chefs. Doch schnell machte sich Professor Berndt frei und drehte sich wieder nach dem Experimentiertisch hin, seine Beobachtungen fortzusetzen. Mit aufgeregt pochendem Herzen stand er da und bohrte seine Blicke auf die Gelatineplatte, ob nicht der Lichtkreis dort immer heller würde. Aber, was war das? Anstatt dass die Belichtung schärfer wurde, wurde sie matter und matter. Sollte eine unerwartete Reaktion eingetreten sein, welche die ganze Entdeckung in Frage stellte?
»Halt, halt! Was ist das?« Bestürzt, fast angstvoll stiess Professor Berndt es hervor und sandte dann einen hilfesuchenden Blick zu Hellmrich. Dieser behielt seine Ruhe; nur einen Moment des Beobachtens, dann trat er zu dem Beleuchtungsapparat, dessen grün-fluoreszierende Röhre jetzt allmählich einen matten, milchig-gelben Ton annahm. Mit einem Lächeln sagte er beruhigend zu dem Professor hinüber, indem er zugleich nach dem Schalthebel des Induktors griff: »Nichts weiter! Der Strom versagt nur: Die Batterie ist erschöpft.«
Der Professor atmete tief auf und lachte nun auch laut vor sich hin, aber es klang stark nervös: »Ein schöner Schreckschuss! Nun Gott sei Dank, dass es nur das war!« Er sah nach seiner Uhr. »Allerdings schon acht. Wir haben wieder mal stark Überstunden gemacht, lieber Herr Kollege! Nun, denn also Schluss für heute, und morgen – Fortsetzung und die Gewissheit!«
Der Professor ging auf dem Fliesenboden ein paar Schritte seitwärts bis zur Wand hin und trat auf ein dort befindliches Pedal. Im gleichen Augenblicke glühten die elektrischen Beleuchtungskörper in dem kleinen Laboratorium auf, und die Männer sahen nun wieder deutlich einander: Der Professor, eine hohe, schlanke Erscheinung, mit energischem, jetzt etwas blassem, überanstrengtem Gesicht von mehr englischem als deutschem Typus; trotzdem er in der Mitte der Vierziger stehen mochte, machte er mit seinem bartlosen Gesicht einen sehr elastischen, fast noch jugendlichen Eindruck und sah selbst in dem schlichten Leinwandkittel weltmännisch und elegant aus. Hellmrich, voll zum Mann ausgereift, blieb auch neben ihm eine stattliche, kraftvolle Persönlichkeit; der dunkelblonde Vollbart stand ganz im Einklang mit dem freundlichen Ernst seiner Züge.
Berndt entledigte sich seines Laboratoriumsrocks und trat dann zu sorgfältiger Waschung seiner Hände an die Wasserleitung, die gleichfalls durch einen Trethebel zum Laufen gebracht wurde, nicht durch einen Hahn, der leicht zu einer Brutstätte für Bakterien hätte werden können. Denn Millionen von diesen winzig kleinen, dämonischen Würgern der Menschheit beherbergte dieser Raum, der in einem isolierten Pavillon der Hygienischen Versuchs-Anstalt lag.
Professor Berndt, der Direktor dieses bedeutungsvollen Instituts, hatte sich diesen abseits gelegenen Raum zu seinen privaten Untersuchungen eingerichtet, die er schon seit einer Reihe von Jahren im stillen betrieb, und bei denen ihm Hellmrich ja schon früher schätzbare Dienste geleistet hatte. Gleich nachdem er an die Spitze der Hygienischen Versuchs-Anstalt berufen worden war, hatte er daher seinem bewährten früheren Assistenten, als Physiker und Chemiker von Fach, die Position eines technischen Mitarbeiters des Instituts angeboten, und Hellmrich hatte hocherfreut sofort zugegriffen. So angenehm auch seine Stellung an dem Technikum in der anmutigen Thüringer Stadt gewesen war, hatte er sich doch keinen Augenblick bedacht; denn ausser der Anstellung als Staatsbeamter bot sich ihm zugleich nun ja die immer heimlich ersehnte Möglichkeit, sich nebenbei auch noch als Dozent an der Universität der Hauptstadt zu habilitieren und so doch noch in die akademische Lehrlaufbahn hineinzukommen.
Die privaten Versuche, die Professor Berndt hier mit Assistenz Hellmrichs nach den Dienststunden anstellten, zielten auf eine Entdeckung von gewaltigster Bedeutung ab. Seitdem vor ein paar Jahren der Carcinococcus, der Erreger der verheerenden Krebskrankheit, gefunden worden war, hatte es sich der Gelehrte zu seiner Aufgabe gemacht, nun seinerseits eine Methode zu suchen, um den Krebsbazillus zu töten und den durch ihn im menschlichen Körper hervorgerufenen Krankheitsprozess aufzuhalten und zu beseitigen. Professor Berndt ging bei diesen Bestrebungen ganz systematisch vor. Er fusste dabei auf den bereits von anderen festgestellten Tatsachen, dass die Ausstrahlungen bestimmter Körper eine spezifische Heilwirkung auszuüben vermögen. Da gab es unter den zahlreichen chemischen Grundstoffen sehr wahrscheinlich doch auch einen, der sich als ein tödlicher Gegner der Krebsbazillen erwies. Seine Aufgabe sollte es nun sein, das Element ausfindig zu machen, das, in einer gewissen Form zur Strahlung gebracht, bakterientötend auf die Erreger der Krebskrankheit wirkte.
Zu diesem Zwecke hatte Professor Berndt mit all jenen, zum grössten Teil neu entdeckten Elementen, die ihrer Eigenart nach für seine Absichten in Frage kommen konnten, der Reihe nach seine Versuche angestellt – Jahr für Jahr. Lange, bis in die allerjüngste Zeit hinein, war indessen das Experimentieren vergeblich gewesen, bis vor kurzem seine mit dem neuentdeckten Zeon angestellten Versuche plötzlich ihn die Hoffnung gewinnen liessen, dem Richtigen nunmehr auf der Spur zu sein. Und endlich, heute nun, war er dicht an die Schwelle seiner Entdeckung geführt worden. Die Gelatineplatte mit Krebsbazillus-Kulturen, die er heut dem zur Strahlung gebrachten Zeongas ausgesetzt hatte, hatte eine Lichtung gezeigt – offenbar also waren die von der Strahlung betroffenen Keime durch diese getötet worden. Die morgige genaue Untersuchung musste den vollgültigen Beweis dafür erbringen. – Morgen! Leider allerdings noch eine endlos lange Frist, eine qualvoll hinausgezogene Spannung für die fieberhaft erregte Ungeduld Professor Berndts!
»Nichtswürdig! Dass dieser jämmerliche Akkumulator auch heute gerade versagen muss! Hätte ich doch nur schon – wie ich längst wollte – den Anschluss an die Zentrale auch hier durchgesetzt!« Noch einmal beklagte es Berndt aufgeregt, während er schon, mit Hilfe Hellmrichs, seinen Überrock anzog. »O danke sehr – danke tausend Mal, lieber Kollege! – Wenn nur wenigstens die Nacht erst herum wäre. Wirklich, diese Spannung jetzt zu guterletzt noch – es geht mir etwas auf die Nerven!«
»Nun, der morgige Tag wird Sie ja hoffentlich dafür voll entschädigen, Herr Professor!« tröstete Hellmrich, während er die Platte mit den Kulturen im Glasschrank in der Ecke verschloss und dann selber zu einer sorgfältigen desinfizierenden Waschung seiner Hände schritt.
Berndt war schon dabei, sich die Handschuhe anzuziehen. »Es dauert mit Ihnen wohl noch eine Weile?« fragte er mit einem Blick auf Hellmrich, der immer noch in seinem Laboratoriumsanzug stand.
»Allerdings, Herr Professor, es gibt noch allerlei aufzuräumen –«
»Nun, dann guten Abend, lieber Kollege. Auf Wiedersehen morgen – zur Entscheidungsschlacht!« scherzte der Professor und winkte Hellmrich wohlwollend zu, der sich von der Waschtoilette aus, noch die Hände im Handtuch, nach dem Chef hin höflich verneigte.
Bald waren die Schritte des Davoneilenden draussen verhallt, und Hellmrich war allein in dem stillen Laboratorium. Es schien, dass er nur auf diesen Augenblick gewartet hatte. Denn schnell trat er nun wieder zu dem Apparat hin, nachdem er vorher das Licht in dem Raum wieder hatte verlöschen lassen und dafür den Induktor des Apparates wieder in Tätigkeit gesetzt hatte. Mit höchster Spannung blickte er auf die Glaskugel, die das Zeongas enthielt und durch die jetzt wieder von Pol zu Pol der bläuliche elektrische Funke knisternd überzuspringen und das Gas bis zur Strahlung zu erregen begann. Zugleich fing auch die ganze Kugel in hellem Grün zu fluoreszieren an, wenn auch, infolge Abnahme der Stromstärke, weit schwächer als sonst. Eine Weile dauerte es noch, dann – da war wieder am negativen Pol der sich zwar heute nur noch matt abzeichnende, aber doch deutlich zu unterscheidende blaugrüne Lichtkranz!
Mit weitgeöffneten, tief glänzenden Augen starrte Hellmrich die überraschende Erscheinung an. Zum zweitenmal sah er heute dieses Lichtspiel – ein Phänomen, das vor ihm noch kein menschliches Auge geschaut, klein, unscheinbar, das aber –. Wie ein Schwindel stieg es in ihm auf. So unendlich weit war die Perspektive, die sich plötzlich wieder vor seinem geistigen Auge auftat! Eine gigantische, das ganze Schöpfungswerk mit grellem Blitz erleuchtende Erkenntnis zuckte durch sein Hirn! Seine Hände, die sich um das Stativ des Apparats geklammert hatten, drohten mit ihrem wild pressenden Druck das Holz zu zersplittern.
Aber Ruhe, Ruhe! Nicht den klaren Gedankengang verlieren und einen taumelnden Ikarusflug mit der berauschten Phantasie antreten! Und noch einmal begann Hellmrich mit aller nüchternen Überlegung, deren er fähig war, diese Erscheinung und ihre Vorgeschichte durchzudenken.
Vor bald vier Wochen war es gewesen – er hatte gerade mit Berndt angefangen, die ersten Versuche mit dem Zeon zu machen, da war ihm zum erstenmal dieser Lichtkranz in der Glaskugel aufgefallen. Der Professor hatte dieser Nebenerscheinung, die ja ohne Belang für den eigentlichen Zweck seiner Experimente war, weiter keine Beachtung geschenkt, trotzdem Hellmrich, sofort interessiert, darauf aufmerksam gemacht hatte. So hatte denn dieser auf eigene Faust sich näher mit der Sache beschäftigt. Von vornherein hatte sich Hellmrich gesagt, dass diese so merkwürdig von der Fluoreszenz an der ganzen übrigen Röhrenwand abweichende Lichterscheinung zurückzuführen sein müsste auf gewisse Veränderungen chemischer oder physikalischer Art, die offenbar das Zeon durch die Ausstrahlung erlitten hatte.
Es reizte Hellmrich, die Natur dieser Modifikationen, wenn möglich, festzustellen, und so fing er denn durch ein feines Ausflussrohr den betreffenden Teil des Gases aus der Kugel auf und unterzog ihn seiner näheren Betrachtung. Und da zeigte sich ihm bald Überraschendes – im höchsten Grade Wunderbares: Das abgefangene Zeongas wies in einigen charakteristischen Punkten ein völlig abweichendes Verhalten von den allgemein bekannten Eigenschaften und Reaktionen des Zeon auf. Hellmrich war aufs tiefste davon betroffen! Was war das? Diese Unterschiede waren so tief, so gross, dass sie unmöglich bloss auf eine gewisse Modifikation der Struktur des Elements zurückgeführt werden konnten! Hier lag offenbar vielmehr ein anderes vor – etwas ganz Fremdartiges, Neues, Gewaltiges, das er zwar erst vorläufig nur ahnte, das aber wohl durch geeignete Versuche wissenschaftlich aufgeklärt und festgestellt werden konnte.
Um diese Hypothese von gigantischer Tragweite mit nüchternen Worten auszusprechen: Hellmrich glaubte der Tatsache auf der Spur zu sein, dass das Zeon in gasförmigem Zustand bei bestimmten Druck- und Temperatur-Verhältnissen unter Einwirkung seiner eigenen Strahlung in die Form eines ganz neuen Elements hinübergeführt wurde. Wahrlich, eine Vermutung, die – wenn sie bewiesen wurde – berufen war, die Grundlagen unserer ganzen Chemie zu erschüttern! Denn, wenn an einem solchen Einzelfalle die Möglichkeit nachgewiesen war, dass ein Element aus einem anderen sich entwickelte, so lag der Schluss nahe, dass dies auch mit allen anderen so steht, und dann fiel das altüberlieferte Fundamentalgesetz von der Unzerlegbarkeit der Elemente als der Grundstoffe der Natur; dann trat an seine Stelle das neue Axiom, dass alle diese Elemente vielmehr auseinander entstanden sind und sich zurückführen lassen auf ein einziges Element, den Urstoff, die Materie unseres Planeten!
Eine Hypothese, so gigantisch, so phantastisch zunächst, dass ein streng wissenschaftlich geschulter Geist, wie der Hellmrichs, aus der ekstatischen Erregung, in die ihn das erste Aufblitzen dieses Gedankens versetzt hatte, fast unmittelbar in eine Skepsis verfiel, die all solchen Spuk als ein Irrlicht der ins Nebelhafte sich verlierenden Phantasie schroff von sich abwies. Aber wieder und immer wieder kam der Gedanke. Er überfiel Hellmrich unvermutet des Tags, machte ihn wortkarg und grüblerisch, er suchte seine Nächte heim, dass er sich schlaflos mit fiebernden Schläfen auf seinem Bett herumwarf. Immer und immer wieder kam er und liess sich schliesslich nicht mehr fortweisen. Und dann, als Hellmrich, dem Zwange jenes Gedankens folgend, begann, ganz nüchtern Schritt für Schritt auf dem neuen Weg Halt zu suchen, da zeigte es sich ihm, dass die neue Hypothese sogar schon manchen Stützpunkt fand in bereits allgemein anerkannten Tatsachen, ganz besonders durch das Faktum, dass gewisse Elemente Gruppen von stark verwandten Stoffen bilden. Also schliesslich hatte er doch gangbaren Boden unter den Füssen. Und er beschritt nun entschlossen den Pfad in das im geheimnisvollen Halbdunkel daliegende Neuland der Wissenschaft – aber er ging seinen Weg vorläufig noch im tiefsten Schweigen, bis ihm selber Klarheit geworden.
Zunächst zielte Hellmrichs ganzes Streben danach, noch einmal genau wieder dieselben Druck- und Temperaturverhältnisse herzustellen, unter denen damals das Zeongas jene wunderbare Erscheinung gezeigt hatte. Gelang ihm das, so sollten ihn neue Versuche, die er sich erdacht, in die Lage versetzen, den Charakter des mutmasslich neugebildeten Elements festzustellen. Dann wollte er dieses so aus dem Zeon entstandene Element – er glaubte nach allem bereits jetzt schon, das mit diesem in einer Elementartriade, einer solchen verwandtschaftlichen Gruppe, auftretende Phobium vor sich zu haben – seinerseits von neuem der bestimmten Einwirkung der Strahlung aussetzen, und wenn dann womöglich gar das dritte Element der bekannten Gruppe, das Trianid, entstand, so war jeder Zweifel behoben – dann lag das grosse, bisher noch dunkle Wunder der Zeugung der bisher angenommenen Urstoffe offen vor aller Welt, dann war er der Verkünder dieser gewaltigen Erkenntnis, die bahnbrechend werden musste für die Wissenschaft!
Eine grosse, gewaltige Kampfesfreude wollte in Hellmrich bei diesem Gedanken aufstehen. Bei Gott, das wäre eine Entdeckung, für die es sich lohnte, den Schlaf der Nächte herzugeben, die ganze übrige Welt um sich herum versinken zu lassen und die Gedanken, hochgespannt, haarscharf gerichtet, voll eiserner Energie unabgewandt immer nur auf das eine Ziel zu konzentrieren! In kühner Kombination die entscheidenden Hauptpunkte des Forschungsweges ahnend vorweg zu bestimmen und dann, langsam nachfolgend mit dem schwerfälligen Rüstzeug des Experiments, sich selbst den Beweis zu erbringen, dass er richtig gedacht! Welch stolze, erhabene Freude, winkte ihm da auf jeder Etappe, die, glücklich erreicht, ihn dem fernen lockenden Ziel ein Stück näher bringen würde, und schliesslich – da weit hinten – am Ziel selbst, wo dann das hehre, flammende Leuchten einer neuen riesengewaltigen Erkenntnis wie eine majestätische Sonne lodernd aufglühen musste! Fast allzu blendend für das blöde Auge, das sich jetzt noch scheu blinzelnd vor dem überirdischen Glanz solcher Geistesflamme zaghaft schliessen wollte.
Das war ein Ziel, anders als das, dem bisher seine Mitarbeit gegolten – eine Arbeit, lockender, seiner Kräfte würdiger, als die er hier eben noch geleistet. Es war nicht Hochmut, dass sich nun plötzlich der Schüler über den Meister erheben wollte, nein – wahrhaftig nicht! Denn schon lange vor jenem Zeitpunkt, wo ihm das erste Ahnen von diesen grossen Dingen gekommen war, hatte Hellmrich es immer mehr als eine recht reizlose, wissenschaftlich wenig befriedigende Arbeit empfunden, dieses schematische Herumprobieren, das nach dem Gesetz der Wahrscheinlichkeitsrechnung vermutlich ja einmal irgendwie zu einem Resultat führen musste. Aber da gab es nichts für den scharfsinnig spürenden Geist zu tun, es war eben nur ein mechanisches Herumexperimentieren – immer nach demselben Schema. Gewiss, wenn die Sache gelang, etwas sehr Nützliches, vom praktischen Standpunkt aus sogar ausserordentlich Wertvolles konnte ja dabei herauskommen – aber trotz allem: Ihn reizte es nicht; zu wenig geistige Arbeit war damit verbunden. Er leistete Professor Berndt eben seine Hilfe und tat es gern, als einen Tribut seiner Dankbarkeit für das ihm bewiesene Wohlwollen; aber innerlich nahm er keinen besonderen Anteil an diesen Versuchen. So war er denn auch heute, wo diese Experimente anscheinend dicht an einen erfolgreichen Abschluss herangeführt hatten, recht ruhig geblieben.
Mit Professor Berndt war das ja immerhin – er gab es gern zu – etwas anderes. Für ihn handelte es sich um etwas, das sein eigenstes Ziel war, dem er viele Jahre zeitraubender Arbeit gewidmet hatte; zudem eine Entdeckung, die ganz in dem Rahmen der Aufgaben seines Instituts lag und die also, wenn sie sich erst abgeklärt von allen Schlacken zeigen sollte, ihm mit Recht grosse öffentliche Anerkennung eintragen musste. Aber – und das war es, was Hellmrich, entgegen dem Professor in seiner momentanen Entdeckerfreude, seinerseits keineswegs übersah – es war im Grunde mit der Entdeckung des Krebsbazillen-Zerstörers nur ja erst der eine Schritt zu dem Ziel zurückgelegt. Es blieb, ehe die Sache spruchreif wurde, noch der zweite, vielleicht sogar noch schwierigere zu tun: Eine Methode zu finden, um das Heilmittel in geeigneter Weise beim menschlichen Körper in Anwendung zu bringen. Aber das war ja nicht seine Sache. Das mochte Berndt mit Hilfe seiner medizinischen Mitarbeiter ausfindig machen. Seine Mitwirkung an der Berndtschen Sache war hiermit erledigt.
Seine Brust hob sich in tiefem Atemzug, froh, der lang getragenen Bürde ledig zu sein, und doch voll verzehrender Begier nach einer neuen, alle Nerven anspannenden Traglast – er bekam ja nun die Hände frei, sich in eigener Sache zu regen. Denn das durfte er ja bei Berndts Wohlwollen für sich wohl sicher erwarten, dass er ihm die Möglichkeit geben würde, seine neuen Versuche nun hier fortzusetzen. Schon morgen gleich – wenn, wie zu erwarten stand, die Berndtschen Experimente ihr Ende finden würden – wollte er ihn um seine Erlaubnis hierzu bitten. Und dann – dann!
Solche Gedanken fluteten ungestüm durch Hellmrichs Seele, während er regungslos vor dem Apparat stand und auf das geheimnisvolle Licht in der Kugel starrte, das ihn bannte mit einer schier dämonischen Gewalt. So versunken war er in sich, dass er ein mehrmaliges leises, dann stärkeres Anklopfen vorn an der Tür ganz überhörte und auch gar nicht wahrnahm, dass ein älterer, graubärtiger Mann, im vertragenen schwarzen Gehrock, ein paar Kriegsmünzenbänder im Knopfloch, sich aus dem Vorraum näherte.
»Entschuldigen der Herr Doktor –« Erst diese dicht hinter ihm gesprochenen Worte liessen Hellmrich fast erschrocken herumfahren. Da erkannte er im Dämmerlicht den Alten.
»Ach so, Sie sind's, Strehlke.«
»Ja wohl, Herr Doktor! Ich hatte gar nicht gedacht, dass der Herr Doktor noch hier anwesend wären, weil doch der Herr Direktor auch schon vor einer ganzen Weile weggegangen sind und alles so dunkel aussah.«
Hellmrich strich sich mit der Hand über die Schläfe. Es war allerdings wohl an der Zeit, aus dem Reich der hochfliegenden Gedanken endlich auch einmal wieder zur Erde zurückzukehren. Und überdies, das Versagen der Batterie erlaubte ja so wie so heute kein Weiterarbeiten mehr.
»Na, dann machen Sie nur mal Licht, Strehlke,« beauftragte Hellmrich freundlich den Alten, während er selbst mit Sorgfalt die Apparate ausser Tätigkeit setzte. »Wie spät ist's denn geworden?« fragte er weiter, als nun das elektrische Licht in den Beleuchtungskörpern hell aufschoss.
»Schon halber neun, Herr Doktor,« erwiderte der alte Diener, nach seiner Uhr in der Messingkapsel sehend, mit einem stillen Vorwurf in Blick und Ton.
»Was? Nicht möglich?« Ganz überrascht zog nun auch Hellmrich seine Uhr. »Wahrhaftig! Na, nun heisst's aber nach Haus kommen. Sonst gibt's eine gar zu böse Gardinenpredigt, was, Strehlke?«
Der Alte lächelte vergnügt in seinen Bart hinein und vertraulich erlaubte er sich zu bemerken: »Na, was meine Alte is, die hat sich das allmählich schon abgewöhnt, aber –«
»Meine Frau wird mir das schon anstreichen? So meinen Sie doch. Strehlke, was?« Belustigt lachte Hellmrich ihn an, während er sich beeilte, sich fertig zu machen. »Na, wollen mal sehen vielleicht wird's doch nicht gar so schlimm, wie wir fürchten. Na, denn gute Nacht, mein Alter!«
Mit höflichem Diener begleitete der Alte den Herrn Doktor, den er wegen seines leutseligen Wesens sehr schätzte, bis an die Tür des Vorbaus. Mit schnellen Schritten eilte dann Hellmrich in den schon fast ganz dunklen Abend hinaus, um endlich heimzukommen.