Paul Grabein
Das stille Leuchten
Paul Grabein

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XI.

Wirklich unerträglich!

Holten nahm den Hut von der heißen Stirn und blickte von der Veranda des »Hirschen« aus hinauf nach dem Himmel, der, mit weißlich grau flimmerndem Gewölk behangen, eine geradezu erdrückende Schwüle zur Erde niederschickte. Der Föhn strich seit zwei Tagen über das Tal hin, so daß – trotz des Septemberendes – eine feuchtwarme Treibhausluft, schlimmer als in heißesten Hochsommertagen, zwischen den hohen Bergwänden stand, eine Stickluft, die das Blut in quälende Wallungen brachte.

Das hatte gerade Holten noch gefehlt zu all der Glut in seinem Innern. Seit vorgestern, wo er bei Frau Jutta zu Gast gewesen war, lag er mit sich selber in schwerstem Kampf. Er konnte sich ja nun die Gefahr nicht länger mehr verheimlichen: Sein ganzes Wesen stand in Flammen durch jene Frau! Und doch zwang er sich äußerlich zur völligen Ruhe, ja, hielt er sich sogar geflissentlich fern. Der Rest von Überlegung, der ihm geblieben, hieß ihn das; denn er fühlte es, unklar, instinktiv: Eine Gefahr lauerte da hinter ihr, die ihn zu verschlingen drohte. Immer wieder, wenn vor seiner Seele ihr berückendes Bild in lockender Pracht erschien, grinste ihn mit grünschillernden Augen der Schlangenkopf über der weißen Schulter an. Zum Teufel! Daß er diese kindische Vision nicht los werden konnte. Oder war das mehr als ein albernes Spiel des Zufalles? Trug diese Frau wirklich verborgen die Schlange mit sich, die ihn im entscheidenden Augenblick des Selbstvergessens mit ihrem heimtückischen Biß unheilbar vergiften würde?

Mit ernster Miene, mit forschend durchbohrenden Blicken hatte Holten sie unausgesetzt in diesen letzten Tagen beobachtet, bei Tisch und sonst in Gesellschaft dritter, wenn sie es nicht merkte. Was hätte er darum gegeben, hätte er die Gedanken enträtseln können, die hinter dieser weißen, verschlossenen Stirn schliefen, hätte er den Schlüssel ihres geheimsten Wesens finden können: War sie Weib – ein stolzes, trotziges, aber doch von dem rechten Mann zu gewinnendes Weib – oder ein kaltherziger Dämon, dessen sinnverwirrender Reiz nur dazu da war, sein Opfer blindlings ins Verderben zu locken – dem das Spiel mit dem Verblendeten und das hohnvolle Zerschmettern der eingefangenen Beute die höchste grausame Befriedigung war?

Es war, als ob sie diese seine fragenden Gedanken spüre, so oft hatte sie plötzlich mit einem schnellen Blick unvermutet zu ihm hingesehen, in sein blasses, nervöses Gesicht mit einem spöttisch-kalten und doch gleich wieder so lockenden Blick: Fürchtest du dich etwa vor mir? Wer mich gewinnen will, darf doch die Furcht nicht kennen. Und sieh den Preis, der des Siegers harrt! – –

So hatte Holten in einem beständigen Aufruhr seines Inneren diese Tage zugebracht, auch des Nachts zumeist eine Beute dieser lockend zwingenden Empfindungen. Mit aller Gewalt rang er, sich loszureißen von den Fesseln, die ihn rettungslos zu verstricken drohten, und doch konnte er nicht. Wie ein Gebannter harrte er mit süßem Grauen dem herannahenden Geschick entgegen.

Mit nervösen Bewegungen riß sich jetzt Holten das Jackett auf und wehte sich dann mit dem Hut Luft zu. Ah, er hätte hinausstürmen mögen auf die Berge, droben in Schnee und Eis die Glut in seinen hämmernden Schläfen zu kühlen. Und doch hielt es ihn wieder wie mit Zauberkraft unwiderstehlich hier fest, hier unten in ihrer Nähe.

So stand er eine Weile, in quälendem Zwiespalt mit sich selber. Dann hörte er unten Stimmen und Schritte. Aus dem Hause traten Menschen, die drei letzten Gäste des »Hirschen«, die nach Tisch noch ein Stündchen unten beim Kaffee beisammen gesessen hatten, und mit ihnen – er erkannte mit geheimem Erbeben ihre Stimme – Frau Jutta.

Holten trat rasch an die Brüstung der auf dem Saalanbau befindlichen Veranda und lehnte sich hinüber, zu den Druntenstehenden niedersehend, die sich gerade voneinander verabschiedeten. Jetzt bemerkte man ihn, und er grüßte hinunter.

»Er stand auf seines Daches Zinnen,« zitierte scherzend, zu Holten hinwinkend, der ältere Herr drunten, und ging dann mit seinen beiden Damen hinüber in die Dépendance.

»Nun, was gedenken Sie mit diesem Nachmittag zu beginnen?« Die Hände auf ihren Sonnenschirm stützend, sah Frau Jutta zu ihm herauf. »Wollen Sie sich wieder allein scheu in des Gebirges Klüften bergen – wie die beiden letzten Tage?« Da war wieder das dämonische Spötteln und Locken.

Holten fühlte, wie seine Hand auf der Brüstung zitterte, es zog ihn wie mit einer unwiderstehlichen Gewalt zu ihr, er konnte die Blicke aus ihren unergründlichen, bannenden Augen nicht losreißen.

»Nicht allein.« Seine Vernunft schrie: Nicht doch! Aber seine Lippen sprachen es wie von einer fremden Macht getrieben. »Aber wenn Sie die Einsamkeit mit mir teilen wollen?«

»Machen Sie einen annehmbaren Vorschlag.« Sie schlenkerte spielend mit dem gelbseidenen Schirm.

Holten sah suchend über das Tal hin. Drüben hinter Huben lockte bergauf der schattige kühle Tannenwald.

»Wollen wir ein Stück hinauf ins wildromantische Pollestal?« Er gebrauchte scherzend den Klischeeausdruck des ihnen beiden wohl bekannten Fremdenführers.

»Bene! Andiamo,« entschied sich Frau Jutta. »Ich kann wohl so bleiben?«

Sie sah an sich herunter; sie trug die seidene Bluse von neulich und den fußfreien dunkelblauen Kostümrock, unter dessen Saum die hellen, schmalen Chevreaustiefel hervorlugten.

»Etwas salonmäßig freilich,« bestätigte Holten. »Aber es ist ja trocken heute.«

»So steigen Sie gefälligst aus Ihrer luftigen Höhe hernieder in den Staub. Ich gehe schon immer voraus,« und sie wandte sich zum Gehen.

In einer Minute war Holten bei ihr unten.

»Sie sind wohl vom Dach gesprungen?« neckte sie den Atemlosen an ihrer Seite, mit herausforderndem Lächeln.

»Geflogen – von Sehnsucht beflügelt!«

Die Worte sollten scherzhaft klingen, aber aus seinen Augen brach ein wildes Feuer.

So wanderten sie über den Wiesengrund hin und dann hinter Huben den kleinen Hügel hinauf, der hier das Tal sperrt. Nun schritten sie in die dunkle, enge Waldschlucht, das tiefeingeschnittene Seitental hinauf, dem Lauf des schäumenden, herniederrauschenden Pollesbaches folgend.

Aber auch im Walde fehlte heute die ersehnte Kühle, und sie beschlossen daher weiter hinaufzugehen, vielleicht daß dahinter auf der freien Berghalde vom Joch her ein frischer Luftzug wehte.

Schweigend stiegen sie bergan. Die lähmende Schwüle des Tages lastete auf ihnen und benahm ihnen beiden die Lust zur Unterhaltung; nur dann und wann wechselten sie ein Wort. So kamen sie immer höher hinauf, wo der Wald sich verlor und das Tal zu einer öden, lebenverlassenen Steinwildnis wurde. So weit das Auge reichte, bis zur fernen Jochhöhe hinauf an den kahlen Bergwänden graues Geröll und Felstrümmer, nur rechts und links von dem Bach ein schmaler Grasstreifen. Dicht mit Steinen besät war auch der wenig begangene Paßweg, den sie beschritten.

Frau Jutta ging auf dem schmalen Pfad vor Holten einher. Trotz der ermattenden, alle sonstigen Eindrücke völlig abstumpfenden Schwüle beschäftigte ihn der Anblick der graziös dahinschreitenden Gestalt unausgesetzt aufs lebhafteste. Sie schritt heute nicht wie sonst auf Bergtouren mit festen, energischen Schritten, sondern der Schwüle nachgebend, ging sie lässig lose einher; aber dieses weiche, ein wenig ermattete Sichgehenlassen verlieh der schmiegsamen Frauengestalt mit ihren feinen Linien in Holtens Augen nur einen besonderen Zauber. Er ward nicht satt, mit durstigen Augen ihre Schönheit in sich hineinzutrinken. Er genoß diese Frau wie ein herrliches, sein Entzücken wachrufendes Kunstwerk.

Immer und immer wieder mußte er es sich gestehen: Noch nie in seinem Leben hatte äußerer weiblicher Reiz, die sieghafte, alles bannende Weibesschönheit solchen Eindruck auf ihn gemacht. Wohl war er auch früher nicht blind dagegen gewesen; doch war ihm da immer äußerer Reiz nur als eine schätzbare Zugabe zum inneren Gehalt der Person erschienen. Nun aber waren seine Augen aufgegangen und sahen die Zaubermacht der Schönheit, jene gewaltige Macht, die seit dem Bestehen der Welt eine ihrer stärksten Triebkräfte bedeutet. Und was ihm ehedem wohl stets ein kühl verächtliches Lächeln abgenötigt, er verstand es heut: Daß um des Weibes willen Heldentaten und Verbrechen begangen, Völkerkriege entfacht und Menschenopfer gebracht worden sind. Aber es mußten Frauen gewesen sein so wie diese – nicht seelenlose, schöne Masken, sondern starkgeistige Frauen, die die Wirkung ihrer Schönheit beim Mann durch ein dämonisch überlegenes Spiel bis zur Raserei zu entfachen verstanden.

Was mochte der Preis sein, um den die hier zu erkämpfen sein würde? Die Zeiten der Heldentaten waren vorbei – war es die Tollheit, das Verbrechen aus Liebe, das in den Augen dieser Frau erst den vollgültigen Beweis für die grenzenlose Leidenschaft des sie umwerbenden Mannes erbrachte – die Voraussetzung für ihre Erhörung? Aber wenn sie erkämpft, wenn der Mann, der um sie die Welt aus den Angeln hätte heben mögen, sie sich zum Besitz errungen, was war dann sein Los?

»Nein – ich will nicht mehr! Diese Steine sind ja wirklich scheußlich.« Frau Jutta blieb stehen und warf unwillig den Kopf zurück. Die Füße in den feinen, dünnsohligen Schuhen schmerzten sie vom langen Gehen auf dem spitzen Gestein. Mißmutig sah sie um sich.

»Es ist ja überhaupt ein Unsinn, hier in dieser Steinwüste herumzulaufen. Wie konnten Sie mich hier hinaufschleppen? Kühler ist es hier doch um keinen Deut, im Gegenteil.« Und sie tupfte sich mit dem Batisttuch die feuchte Stirn.

Holten trat zu ihr und ließ den Blick gleichfalls über die Höhe vor ihnen schweifen. Da fiel sein Blick auf eine kleine schwarze Wolke über der Paßhöhe. Einen Moment beobachtete er das Wölkchen.

»Ich glaube, wir werden sehr bald Abkühlung haben. Ein Gewitter zieht herauf.«

»Und weit und breit kein Unterkommen. Das kann ja reizend werden.« Sehr verdrossen sah sie an ihrem Anzug herunter.

Holten antwortete nicht gleich, sondern sah einige Augenblicke forschend um sich.

»Wenn ich nicht sehr irre, liegt da vor uns, zwischen den Felsblöcken, ein Unterschlupf – eine Art Sennhütte in einer Höhle, die ich das erstemal hier oben aufgestöbert habe. Da müssen wir hin.«

»So – also noch weiter auf diesem miserablen Weg!« Sie sah unmutig nach dem noch etwa zehn Minuten entfernten Fleck. »Ich kann kaum noch die Füße aufsetzen.«

»So werde ich Sie tragen.« Und Holten trat entschlossen zu ihr.

»Lassen Sie Ihre Scherze,« fertigte sie ihn ungnädig ab.

»Es ist mein Ernst.«

Ein rascher Blick traf den dicht vor ihr stehenden Mann. »Sie sind toll!«

»Vielleicht, gnädige Frau.« Seine Augen flammten auf. »Aber gleichviel – Sie sollen nicht leiden!« Und er hob die Hand, sie zu umfassen.

Aber sie trat schnell von ihm zurück. »Ekkehard und Frau Hadwig,« lachte sie spöttisch, aber doch sah sie ihn eigen an. Wahrhaftig, er hätte sie hinaufgeschleppt, wenn sie's gelitten hätte – sie kannte ja diese stählernen Arme vom Wildkogel her. »Wir leben nicht mehr im Zeitalter der Romantik, mein Herr Doktor.«

»So schaffen wir ein neues. Was hindert uns?«

»Unser höchsteigener Wille.« Kühl klang es ihm entgegen, während sie sich bereits vorauswandte. »Es gelüstet uns nicht im mindesten nach Romantik«

Holten biß sich auf die Lippen. Wieder diese kalte Abfertigung. War denn kein Funken von Temperament in dieser Frau! Aber nein – er konnte es nicht glauben. Es wäre ja eine zu unerhörte Lüge der Natur gewesen: Dieser zur Liebe geschaffene Leib und die eiskühle Seele? – Nein, sicherlich: Alles nur Maske! Sie spielte nur die Unnahbare – aber bei seinem Leben! – er wollte ihr hinter die Maske sehen und kostete es ihn das Höchste. Nicht länger wollte er sich am Narrenseil führen lassen.

Wortlos legten sie auch den Rest des Weges eiligen Schritts zurück. Und es war nötig, denn immer näher kam die drohende, größer werdende Wolke. Eine plötzliche empfindliche Kühle wehte ihnen von der Paßhöhe her entgegen; offenbar war da drüben schon das Gewitter niedergegangen. Der Himmel hatte sich bereits verdüstert, und ein dämmriges Grau senkte sich über das öde Tal. Kein lebendes Wesen ringsum zu sehen, kein Laut zu hören.

Aber halt! Klang es da nicht plötzlich irgendwoher wie ein Glöckchen – und nun wie ein leises Meckern? Holten spähte um sich. Richtig, da sah er ja drüben oben an der Berglehne, hier und da unter Felsvorsprüngen die Ziegen, die er vor vierzehn Tagen auch hier oben angetroffen hatte, ganz sich selbst überlassen in der Einsamkeit. Das heranziehende Gewitter spürend, hatten die Tiere jetzt ihre Zufluchtsstätten aufgesucht und vermerkten nun mit ihrem Ruf das ungewohnte Auftauchen menschlicher Gestalten in der Felsenöde.

»Also hab' ich mich doch nicht getäuscht,« wandte sich Holten an Frau Jutta. »Nun muß auch die Hütte ganz in der Nähe sein.«

Er hatte recht. Gleich darauf hatten sie die Stelle erreicht, wo unter zwei riesigen gegeneinander gestürzten Blöcken sich eine Art Höhle gebildet hatte, die durch eine primitive Holztür geschlossen war. Gerade fegte ein gewaltiger Windstoß, der Vorbote des heranbrausenden Unwetters, mit wildem Wirbeln über die Halde, ihnen heftig Sand in die Augen schleudernd und wie toll an ihren Gewändern zerrend – da traten sie eilends unter das schützende Obdach.

»Gott sei Dank!« atmete Frau Jutta auf. »Gerad' noch vor Toresschluß.« Und sie sah sich in dem halbdunklen Raum um. Ein roh aus Steinen gefügter Herd, einige hölzerne Melkgeräte und eine Lagerstätte aus Rasenerde, das war die ganze Ausstattung des Raumes. Durch die weiten Fugen der mit Steinen verstopften Rückwand pfiff eisig der Wind. Draußen fielen schon die ersten schweren Tropfen klatschend auf das Gestein nieder.

»Es zieht fürchterlich!« Fröstelnd schauerte sie in ihrer dünnen Seidenbluse zusammen.

Holten stand noch an der Tür. Nun zog er diese heran, und es ward völlig Nacht in der Hütte.

»Ein reizendes Idyll!« klang Frau Juttas Stimme, halb lachend, halb ärgerlich in der Finsternis. »Soll das so bleiben?«

Er ging nach der Stelle, von der ihre Worte kamen. Er fand diese Situation in der Tat höchst reizvoll. Wie wunderbar das war, wenn er so gar nichts von ihr sah und nur die Stimme an sein Ohr klang. Jetzt fühlte er erst, welch eigener Zauber auch in ihrer Art zu sprechen war. Weich, schmeichelnd und doch so entschieden war der Ton, ein Abbild ihres ganzen Wesens. Schweigend lauschte er auf neue Laute aus ihrem Munde.

»Mein Gott – wo stecken Sie denn eigentlich? Geben Sie wenigstens ein Lebenszeichen von sich!« rief sie und streckte unwillkürlich tastend die Hände aus. Da traf sie seinen Arm, er stand dicht neben ihr.

Mit einem Ruck zog sie die Finger zurück, die einen Augenblick ihn weich gestreift hatten. »Nein, so geht das nicht. Machen Sie die Tür wieder auf«, befahl sie.

»Es wäre vor Zug nicht auszuhalten,« wandte Holten ein. »Ich will lieber Feuer machen.«

»Gut – aber nur schnell,« begehrte sie ungeduldig. »Ich finde diese Dunkelheit abscheulich.«

Ein Geräusch des Streichens, und eines der Wachshölzchen flammte auf, die Holten bei sich trug.

»Schade,« scherzte er, während er hinter dem Steinherd nach trockenem Holz suchte. »Ich fand es riesig gemütlich. Überdies sorgt der Himmel ja jetzt für Beleuchtung.« Ein fahles Aufleuchten erhellte für einen Augenblick den Raum – ein ferner Blitz. Sie antwortete nicht, sondern stand schweigend, die Arme verschränkt und starrte auf das winzige Lichtchen hernieder, das er auf die Herdplatte gesetzt hatte.

Nach einigen vergeblichen Versuchen war es Holten geglückt, die Holzscheite zum Brennen zu bringen, und anheimelnd knisternd, einen harzigen Brandgeruch verbreitend, begann das Feuer aufzulohen.

»So.« Holten richtete sich von den Knien auf. »Nun können wir ein gemütliches Plauderstündchen abhalten – au coin du feu scherzte er. »Sie sind bei mir zu Gast – in meinem Bergschloß. Darf ich Ihnen einen Platz auf dem Divan anbieten, meine gnädigste Frau?« Und er wies lächelnd auf die Lagerstätte.

»Danke, ich ziehe einen Fauteuil vor.« Sie ging auf seinen Ton ein und kauerte sich auf einem wohl zur Sitzgelegenheit bestimmten Stein nahe dem Herd nieder.

»Wie Sie belieben,« und Holten ließ sich seinerseits auf dem Lager an der Felswand nieder.

Wie sie da im Feuerschein ihm gegenüber saß, rot angeglüht von der Lohe, das dämonisch schöne Gesicht mit seinen jetzt sich so scharf zeichnenden Linien zur anderen Hälfte tief beschattet – wie eine Zauberin aus grauer Vorzeit kam sie ihm vor, die in einsamer Höhle still brütend einen geheimnisvollen Trank kochte, ein Menschenschicksal zu entscheiden. So saßen sie beide schweigend, während draußen in peitschendem, aufprallendem Guß Regen und Hagel niederprasselten. Aber sie wußten es, ein jeder von ihnen beschäftigte sich in seinen Gedanken mit dem anderen. Ein geheimer Zauber webte wirklich in dieser Höhle. Sie ahnten es, die Stunde der Entscheidung war da. Jeden Augenblick konnte da das Wort fallen, das Klarheit schuf in dem Dunkel verworrener Beziehungen, die unausgesprochen zwischen ihnen bestanden. Und ein jeder von ihnen bereitete sich vor auf diese Entscheidung.

Da wieder ein fahles Aufzucken draußen am nachtschwarzen Firmament, das seinen Schein zu ihnen in die Hütte warf, und nun der Donner – aber anders wie draußen in der Ebene. Krachend, als wollten die Riesenleiber der Berge ringsum zerbersten und sich im nächsten Augenblick zermalmend auf sie stürzen, warf sich der furchtbare Schall zwischen den Felswänden herum – ein Ton von so grandioser Wildheit, daß er wohl das Herz erbeben machen konnte.

Frau Jutta war von ihrem Sitz aufgesprungen.

»Fürchten Sie sich?« fragte Holten, zu ihr aufschauend. Aber sie wandte ihm ein verächtlich lächelndes Gesicht zu.

»Was dachten Sie denn in diesem Augenblick?«

»Vielleicht sehr Selbstüberhebendes.« Stolz aufgerichtet stand sie vor ihm, mit hell leuchtenden Augen und heißen Wangen. »Aber ich kann mir nicht helfen. In solchen Momenten wie jetzt, wo Himmel und Erde einzustürzen drohen, da möchte ich aufjubeln vor Wonne, vor Kraftgefühl. Da sehe ich den Feuergeist der Schöpfung, der mit erzitternden Welten lachend spielt, und ich fühle mich mit ihm eins: Geist von seinem Geist! Und mit ihm verlache ich die jammervollen Schwächlinge, die sich dieses Göttergenusses nicht erfreuen können, die sich bange verkriechen möchten.«

Holten war aufgesprungen. Ihre Ekstase hatte auch ihn hingerissen. Beim großen Gott, diese Frau war das Wunderbarste, das er je gesehen. Da, jetzt in dieser Minute hatte sich ihm zum erstenmal ihr Wesen hüllenlos gezeigt, der Mantel der abwehrenden Kälte und Ironie war von ihr gefallen und großzügig, gewaltig, hart, wie eine eherne Statue, aber glänzend, in rassiger Schönheit stand ihr Bild vor ihm, wohl wert, daß ein Mann die Hand danach erhebt.

Dicht trat er an sie heran, seine Blicke verzehrten sie in schrankenlos sich ergießendem Bewundern. Sie sah es, und als ob ein zwingender Bann aus der elementaren Gewalt der in ihm ausbrechenden Empfindungen auf sie übergehe, überfiel sie in diesem Augenblick ein sonderbar betäubendes Gefühl: Ihr war, als müsse das Meer abgrundtiefer Mannesleidenschaft, das sie spielend gereizt, das sich jetzt noch bettelnd und schmeichelnd zu ihren Füßen duckte, im nächsten Moment im tosenden, betäubenden Aufschnellen auf sie stürzen und sie im sinnverwirrenden Sturz begraben unter seinen brausenden Wogenbergen.

Eine atemberaubende Furcht begann in ihr aufzusteigen, aber ein seltsam süßes Angstgefühl. Sie hätte entfliehen mögen und mußte doch bleiben, wie gebannt von einer dämonisch lockenden Macht. Vergebens kämpfte sie mit aller Kraft ihres trotzigen Willens dagegen an. Lächerlich! Was sollte dieses Possenspiel! Was war ihr dieser Mann? Gab es doch, seit sie in Schmerzen sehend geworden, keinen mehr, den sie nicht triumphierend, mit höhnischem Lächeln vom stolz erkorenen Piedestal seiner Selbstüberhebung in all seiner nichtigen Kleinheit zu Boden gestoßen hätte. Und nun der?

Aber doch! Wenn nur nicht jener Augenblick damals am Wildkogel gewesen wäre. Da war zum erstenmal in ihrem Leben dieses Gefühl süß lähmender Schwäche vor dem alles niederwerfenden Manneswillen, vor der rücksichtslosen, keinen Widerstand duldenden Kraft über sie gekommen, die unbekümmert um Tod und Leben nur ihr Ziel verfolgt, sich selber mit elementarer Wucht dem Widerstand der Naturkräfte entgegensetzend – stärker als jene! Sie kämpfte, sie rang dagegen, und doch – ein Zittern überlief ihren Leib – sie fühlte es. Wenn er sie jetzt an sich riß in dieser Minute, sie wortlos wie seine Beute in seine zwingenden Arme nahm, so war sie verloren, so hätte sie es, den erstickten Trotzschrei in der Kehle, geschehen lassen müssen ohne Widerstand. Und fast taumelnd, die Augen schließend, trat sie einen Schritt zurück, an der Felswand einen Halt zu suchen.

Aber er kam nicht nach, er umschlang sie nicht, wie sie mit bebendem Pulsschlag in zitternder Erregung befürchtet – erwartet hatte. Statt dessen tönte plötzlich seine Stimme an ihr Ohr, eine vor innerster Erregung zitternde Stimme, aber sie wirkte mit einem Male ernüchternd auf ihre Sinne. Eine Tat hatte sie erwartet, eine sie überraschende, gefangennehmende Tat, und nun kamen Worte – leere Worte. Fast hätte sie laut aufgelacht, ein erlösendes Lachen: Gottlob, der Bann war gebrochen!

»Ich verstehe, ich teile Ihr Empfinden im Toben der entfesselten Elemente, Frau Jutta.« Heiß leuchteten seine Augen ihr entgegen. »Aber ich fühle dabei auch noch ein anderes.«

»Und das wäre?«

Im Überschwang seines Empfindens hörte er den feinen Hohn nicht heraus, der schon wieder aus ihrer Stimme klang.

»Wie da draußen in der Atmosphäre in Blitz und Donner zwei gewaltige elektrische Spannungen sich auslösen, so gibt es auch Augenblicke, wo zwei Menschenseelen von qualvoller, höchster Spannung sich befreien, in ausgleichender, erlösender Vereinigung. Haben Sie auch das schon einmal empfunden, Frau Jutta?«

Sie stand noch immer an die Wand gelehnt, vom Feuerschein Übergossen.

»Nein!« kam es kurz von ihrem Munde.

Da trat er dicht vor sie, daß er sie fast berührte.

»Nein? Das heißt noch nicht.«

»Niemals!« Feindselig schleuderte sie es ihm entgegen.

»Sie werden es empfinden, Sie müssen – so wie Sie sind.«

»Müssen? Wer will mich zwingen?!«

Verächtlich zuckte es um ihren Mund, und mit herausfordernd-lässiger Gebärde hob sie langsam die Arme hoch, die Hände hinter ihrem Nacken zu verschränken. So blickte sie spöttisch lächelnd auf ihn.

Die Zähne in die Lippen gegraben, verschlang er sie mit brennenden Augen, kaum noch seiner Herr. Der Trotz, der Hochmut! Und dabei diese betörende, lockende Grazie, er hätte rasen können. Wie sie so an die Felswand gelehnt dicht vor ihm stand, den schlanken Leib durch die Armhaltung ein wenig nach vorn gereckt – so schön war sie, so herrisch stolz, so süß, er hatte noch nie ein Weib gesehen gleich ihr, noch nie gefühlt wie in dieser Stunde. Es zuckte ihm in jedem Nerv, sich hinzuwerfen vor ihr in den Staub, in glühender Huldigung wie vor seiner Königin, seiner Herrin – aber dann aufzuspringen und sie wild an sich zu reißen, mit der ausbrechenden Glut seines Inneren. Aus dem kalten Stein ihres Herzens die Funken zu locken, diesen stolzen Spöttermund mit taumelnden Küssen zu verschließen und ihm das brennende Mal der Mannesherrschaft aufzudrücken.

Mit flackernden Augen sah er sie an, deren Antlitz nur ungewiß aus dem tiefen Schatten vor ihm auftauchte, unbeweglich, wortlos – aber nun streifte ihn der süße Atem des nahen Mundes und wie ein Trunkener wollte er zu ihr stürzen, irre, stammelnde Worte auf den zitternden Lippen, aber da plötzlich ein taghelles Aufleuchten, im blaufahlen Schein zeigte sich eines Blitzes Dauer lang klar ihr Antlitz – das blasse, kalte Antlitz der Sphinx, mit dämonisch glühenden Augen, um dessen grausam verzogenen Mund ein triumphierendes Lächeln stand: Sie hatte es gefühlt, wie es ihn durchzuckt hatte, im nächsten Augenblick würde sie ihn zu ihren Füßen sehen, den Bezwungenen und Flehenden – ihr war der Sieg!

Er sah das Antlitz, und das Knie, das sich schon beugte, wurde im selben Augenblick wieder straff: Dieser Blick hatte ihn vor der Vernichtung bewahrt. Sein Stolz hätte es nicht verwunden, wenn er von ihr mit Füßen getreten worden wäre. Gottlob – sie hatte zu früh gejubelt. Dieser Blick hatte ihm ihr wahres Antlitz gezeigt – Blendwerk war alles gewesen, was ihn bisher an ihr gelockt hatte, auch das vorhin: Diese Frau war nicht für den Mann geschaffen, trotz all des berückenden Zaubers an ihr. – Aber dieser Blick hatte ihm auch in das eigene Innere geleuchtet. Wie weit hatte er sich verloren, verlockt durch seine Sinne. Denn unerbittlich stand es ihm jetzt vor der Seele: Was ihn zuerst zu dieser Frau getrieben, was ihn dann ganz in ihre Fesseln geschlagen, es war nur ihr Weibesreiz gewesen. Sein besseres Ich hatte keinen Anteil an dem gehabt. Er, der sich einst so hoch über andere gestellt, war nun selber ein blinder Sklave seiner Leidenschaft gewesen.

Zorn und Ekel vor sich selbst brandete in ihm auf, während von draußen jetzt das Getöse des Donners erscholl. Ihm war, als müsse er ersticken vor dem, was über ihn hereinbrach – in dieser schwülen Atmosphäre, in ihrer verderbenschwangeren Nähe.

Er fuhr sich mit der Hand zum Hals, wie um sich Luft zu schaffen, und ein dumpfer Laut kam von seinen Lippen – ein unverständliches Wort der Erregung.

Verwundert starrte Frau Jutta ihn an; sie verstand nicht, was mit ihm geschehen war – sie glaubte an ein plötzliches körperliches Unwohlsein, die Folge einer Nervenüberspannung.

Sie sah nur noch, wie er im nächsten Augenblick zum Ausgang eilte und hinausstürmte. Krachend flog die Tür wieder ins Schloß. Sie war allein. –

Im eisigkalten Hagelsturm lief Holten draußen umher. Schon nach wenigen Minuten war er naß bis auf den Körper. Die wütenden Windstöße benahmen ihm den Atem, hemmten seinen Schritt, nur keuchend arbeitete er dagegen an, aber es war ihm eine Wohltat. Im Toben der entfesselten Elemente lieber den wilden Sturm des Zorns und der Scham in seinem Inneren sich ausrasen. Wie eine reinigende Kraft ging es von dem Sturmblasen aus, das die Schlacken von seinem Herzen fegte, die sich dort im zerrenden Leid der Jahre angesetzt hatten.

Das Unwetter hatte ausgewütet. In dem tiefblauen klaren Äther des Abendhimmels schwammen rosige Friedenswolken, da trat Holten wieder in die Hütte, in der sich Frau Jutta gerade zum Heimweg anschickte.

»Ich dachte schon, Sie wären in Blitz und Donner zum Himmel gefahren, wie weiland der Prophet Elias,« spöttelte sie. »Und ich müßte trauernd allein nach Hause pilgern. – Was hatten Sie denn eigentlich in aller Welt?« Und sie schaute gespannt zu ihm hin.

»Einen kleinen Nervenschok. Die Hitze des heutigen Tages war wohl schuld daran,« sagte er leicht hin, doch sein ernstes Antlitz stand nicht im Einklang damit. »Selbstverständlich aber ist es meine Pflicht, Sie heimzugeleiten.«

»Nur eine Pflicht?« fragte sie scherzend, eine Schmeichelei herausfordernd.

Das alte Spiel sollte mit ihm fortgesetzt werden. Da schoß es ihm heiß in die Schläfe.

»Sie verstanden ganz recht, gnädige Frau!« Der schneidend kalte Ton machte sie aufsehen.

Frau Jutta begriff: Sie hatte die Partie verloren.

»Selbstverständlich dispensiere ich Sie von dieser Pflicht auf der Stelle. Ich wünsche, allein nach Haus zu gehen.«

»Wie Sie befehlen.« Mit leichter Verbeugung trat er von ihrer Seite und schritt ein Stück seitwärts, nach dem Berghang hin.

Holten hörte ihre eilenden Schritte immer mehr in der Ferne verklingen. Nun waren sie ganz verhallt, und ihre Gestalt war seinen Blicken entschwunden. Da trat auch er den Heimweg an. Den Hut in der Hand, gab er die Stirn dem kühl erfrischenden Abendwind frei, und tief atmete seine Brust den herben, aber kraftvollen Hauch der Freiheit.

* * *


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