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Wer gesunde Glieder hat und ein unbeschwert Gemüte, dem wird es, wenn am Ostertag die Sonne scheint, zu eng im Hause, er muß hinaus unter den freien Himmel, er mags nicht leiden, wenn irgendetwas zwischen ihm und dem Himmel ist, ein Stein vor dem Grabe. Die Mädchen flogen aus, die Mutter saß vorm Haus, Jakob und der Meister stiegen an einer Bergwand empor zur freien Lueg übers Tal. Es drängte Jakob, nachdem er sich von seiner schweren Vergangenheit losgesagt, eine heitere Zukunft sich zu erbauen, und da drängte sich Eiseli als sein Engel in dieselbe hinein, er mochte wollen oder nicht. Er wollte wissen woran er sei, und leicht findet sich das schwerste Wort, wenn man friedlich und gemütlich mit jemand wandert. So, wie Schritt um Schritt sich gibt von selbst, so bringt die Zunge Wort um Wort hervor aus den innersten Gründen der Seele. So sprach Jakob zum Meister. Er erzählte ihm, was er mit Eiseli gehabt, was darauf in ihm vorgegangen, was gestern noch ihm Eiseli gesagt, wie er aber glaube, sie habe das nur getan, um ihn zu prüfen, und damit er nicht um Lohnes willen gläubig würde. Wider ihn habe sie nichts, einen andern im Auge hätte sie, so viel er wisse, auch nicht, und er denke, wenn die Sache dem Meister recht sei und derselbe ein ernsthaft Wort mit ihr rede, so gebe sie gerne nach. Er vermute immer, sie sage nur deshalb nein, weil sie fürchte, es könnte den Eltern nicht recht sein, weil er ein Fremder sei.
»Weiß nicht«, sagte der Meister und klopfte seine Pfeife aus, »es ist dies nicht des Mädchens Weise; was es geredet hat, ist geredet, und daß es mich nicht zu fürchten hat, weiß es. Ich für mich hätte nichts dawider, Ihr seid mir recht, sobald Ihr Euch im Tale setzen würdet, aber in die Fremde ziehn, wo ich mich Eiselis nie mehr von Angesicht zu Angesicht erfreuen könnte, ließe ich freilich das Mädchen nicht gerne. Ihr habt Euere Leichtfertigkeit abgelegt, und ich glaube, im Ernste; denn wer vom bessern Holze ist, dem kömmt die Zeit, wo er umkehrt und nach einem bessern Leben trachtet. Ich habe dies an vielen Kameraden erlebt. Freilich gibt es auch andere, welche zu nichts als zu Futter für das Pulver taugen. Aber das Mädchen zwinge ich nicht; will es Euch, wohl und gut, will es Euch nicht, so setzet ab! Was das Mädchen im Kopfe hat, das hat es nicht in den Füßen.«
Er könne es fast nicht glauben, sagte Jakob, daß es ihm jetzt abgeneigt sein könnte, er wüßte ja gar nicht warum. Aber wenn es so wäre, er hielte es nicht mehr hier aus, er glaube wahrhaftig, er könnte verwirrt werden im Gemüte. Wenn ihm das Mädchen so sehr am Herzen liege, so glaube er wirklich, so leid es ihm tue, es sei am besten er gehe weiter, sagte der Meister. Länger beieinander zu sein, sei für beide Teile plaghaft und führe zu nichts. Scheiden und meiden tue freilich weh, sei aber nach seiner Erfahrung immer noch das beste Mittel gegen die Liebe. Wenn es auch nicht sei wie es heiße im Liede: »Aus den Augen, aus dem Sinn«, so komme man doch wieder zu sich selbst und heirate aus lauter Elend, um sich trösten zu lassen, oder finde eine, welche man lieben müsse, weil sie akkurat der Geliebten gleiche oder was habe, Haare, Stimme, Augen, oder sei es auch nur das Ohrläppchen, welches ihn mahne an die Geliebte. Er habe dies in Spanien mehr als hundertmal erfahren. In Rußland nicht, das sei kein Land für die Liebe, da gedeihe nichts als Wanzen und Eiszapfen, und an der Beresina habe man einen Überfluß an Kanonenkugeln verspürt.
Jakob ließ noch allerlei Seufzer los, ankerte immer fester sich in die Hoffnung hinein, tat sehr ungeduldig in der Ungewißheit und hatte doch sehr starke Bangigkeiten vor dem Entscheid, kurz, er tat dumm, akkurat wie ein ernstlich Verliebter. »Nun, Jakob«, sagte der Meister, »das hilft Euch all nichts, da ists immer am besten, wie Napoleon es machte, rasch mitten drauf, nicht stillgestanden, nicht zurückgesehen, sei man lebendig oder tot, bis man am Ziele ist, dann hat man Zeit genug, nachzusehen, ob man lebendig davongekommen oder tot sich hinlegen müsse. Geht heim, voran, ich rücke als Reserve hinterher, und ehe zwei Stunden um sind, ist der Handel entschieden.«
Dagegen trug Jakob mächtige Bedenken, obs heute wohl der Tag dazu wäre. Dann sollte der Vater voran, er wollte hinterher, am liebsten gar nicht dabei sein. Weit vom Geschütz gebe alte Kriegsleute, wird er gedacht haben. Es war ihm wund und weh, als er den Entscheid so nahe sah, und doch, als der Alte bei den vorgebrachten Bedenken sagte, ihm pressiere es nicht, seinethalben wolle er wohl schweigen, da kam es dem Jakob wieder anders, und er meinte, es sei doch vielleicht heute der schicklichste Tag. Es sei ein so glücklicher Tag, er habe schon so viel empfangen, er wüßte nicht, warum der Abend unglücklicher sein sollte als der Morgen, und wenn Eiseli sein würde, so sei der Himmel auf Erden sein. Am Ende wurde also doch für heute entschieden, aber der Vater sollte vorangehen, Jakob erst in einer Stunde nachkommen, wo er fix und fertig sein Urteil empfangen könnte.
Es gibt kurze und lange Stunden auf der Welt, wie bekannt, aber längere hatte Jakob keine als die, welche er verstreichen lassen sollte, ehe er dem Vater nachrückte. Vielleicht tausendmal zog er seine Uhr aus der Tasche, und immer und immer schien ihm der Zeiger auf dem gleichen Fleck zu stehn. Es ist ein banges Warten auf den Stundenschlag, der uns eine Entscheidung bringen soll, welche unserm ganzen Leben Richtung und Bestimmung gibt. Endlich glaubte er, sie habe geschlagen, und machte sich auf. Wer ihm zugesehen, hätte glauben müssen, er habe etwas zu viel im Kopfe, entweder ein Rädchen oder ein Gläschen, denn bald schoß er davon wie ein Pfeil, bald wußte man nicht, rücke er gegen Süden oder gegen Norden vor. Er sah niemand vor dem Häuschen, das war ihm von übler Vorbedeutung, sein Kommen merkte niemand, er hörte in der Stube stark reden, draußen stand er wie ein armer Sünder, durfte nicht hinein. Er war auf dem Sprunge, davonzulaufen, da öffnete sich die Türe, eine der Schwestern kam heraus, und als sie ihn sah, rief sie: »Herr Jesus, da steht er ja!« »Es hat gefehlt«, tönte es ihm in den Ohren, und es ward ihm, als ob all sein Blut zu Blei würde, sich mühsam schwer wälze dem Herzen zu.
Als er hineinkam, sagte der Meister zu Eiseli: »Nun kannst du es ihm selbsten sagen.« »Ja, Vater, wenn es sein muß, so will ich schon, obgleich es vielleicht besser gewesen wäre, Ihr hättet es getan.« »Warum, Jakob, glaubt Ihr mir nicht«, redete Eiseli ihn an, »und meint dann doch, ich solle Euch glauben? Das ist nicht recht von Euch und besonders am heutigen Tage nicht. Ich hasse Euch nicht, Ihr seid von Natur nicht bös, seid vielleicht jetzt auf guten Wegen, vielleicht auch nicht, ich weiß es nicht. Was zwischen mir und Euch ist, das wißt Ihr, Jakob, ich habe es Euch ehrlich gesagt, und weg ist es nicht. Ihr seid zur Kirche gegangen, Euere lästerlichen Reden habt Ihr eingestellt, habt sogar das Abendmahl genossen und vielleicht wirklich ernsthaft und mit dem rechten Glauben, und am Abend laßt Ihr Heiratsanträge machen und seid doch gewarnt worden und deutlich genug. Ich sollte Euch zürnen, daß Ihr mich also plaget, und wenn der Vater nicht verständiger wäre als Ihr, so täte ich es.«
Nun wollte Jakob auch reden, seine Aufrichtigkeit beteuern und mit seiner grausam großen Liebe sich entschuldigen, aber Eiseli sagte: »Seht, Jakob, Ihr wißt selbst nicht, was in Euch ist. Ihr habt das Geistliche und das Weltliche gar seltsam untereinander in Euch, das dreht sich wie ein Eichhorn in einer Trülle, bald ist das eine oben, bald das andere, bald das Geistliche, bald das Weltliche. Am Morgen seid Ihr ein Christ in aller Aufrichtigkeit, am Abend seid Ihr wieder der alte Jakob und wiederum ganz aufrichtig. Ihr werdet hin- und herbewegt wie ein abgefallenes Blatt, den rechten Fels und Eckstein habt Ihr nicht gefunden. Ich habe nichts wider Euch, Jakob, aber zum Manne mag ich Euch nicht. Ich kann Euch nicht achten, wie eine Frau den Mann achten soll. Dafür muß der Mann fest sein und Boden haben unter den Füßen, muß wissen was er will, und die Frau muß wissen, daß sie auf ihn bauen und an ihn sich halten kann, und so einer seid Ihr nicht.«
Nun wollte Jakob sagen, daß ja kein Mensch vollkommen geboren werde, daß jeder sich ändern müsse, um ein rechter Christ zu werden, und nur der verstockte Sünder fest und beharrlich bleibe, so einen werde Eiseli doch ja nicht wollen. »Das ist noch die Frage«, fuhr Eiseli zornig auf, »ob ich so einen nicht lieber wollte als einen, der mit Christus spielt, um ein Mädchen zu kriegen, der entweder ein Heuchler ist oder ein Tropf, der selbst nicht weiß, was er heute ist, noch viel weniger, was er morgen sein wird, je nachdem ihn was gelüstet oder jemand Einfluß auf ihn hat.« Da mußte Jakob unwillkürlich denken an den Spruch der Großmutter: »Jakob, du bist ein Esel und bleibst ein Esel!« »Doch zornig und böse werden wollen wir nicht«, fuhr Eiseli fort, »wir wollen im Frieden scheiden. Prüfet Euch selbst und Euern Lebenslauf, so werdet Ihr finden, ich habe recht. Ihr seid kein Ausbund im Laster, kein dummer Mensch, aber ein Spielball von Welt und Menschen, und die können je nach den Umständen zu den gröbsten Verbrechen kommen.«
Das fürchte er nicht, sagte Jakob, wenn Eiseli seine Frau würde, aber was es aus ihm gebe, wenn er wieder in die Welt hinausmüßte, das wisse er nicht. Allweg hätte es dann Eiseli auf dem Gewissen. Es sei doch schrecklich, wenn man sich bekehre, und nun, statt etwas davon zu haben, gestraft würde und das Besserwerden sich zum Vorwurf machen lassen müsse. »Jakob, Jakob, wer den Lohn der Welt will, der hat den höhern Lohn dahin, und wer um Irdisches sich bekehrt, dessen Bekehrung ist nur ein Übertünchen des alten Grabes, welches voll Moder und Totengebeine ist«, entgegnete Eiseli. »Und vielleicht habe ich doch recht gehabt, als ich Euch vor des Herrn Tisch warnte, Jakob, denkt an das Essen und Trinken des Gerichtes, und eben da müßte ich mir ein Gewissen daraus machen, daß ich Euch zu einem unwürdigen, leichtsinnigen Genuß des heiligen Abendmahles verleitet hätte, wenn ich Euerem Begehren willfahren wollte. Nein, Jakob, eben darum müßt Ihr wieder wandern, damit Ihr Eurer selbst gewiß werdet und prüfen möget, ob Euere Berufung eine rechte und wahre sei. Ihr müßt aufrichtige Buße tun, und manches habt Ihr sicherlich noch zu büßen; jetzt Hochzeit machen ist nicht Büßen, wenigstens einstweilen nicht. Wandert langsam nach Hause, erquickt Eure Großmutter, erstarket demütiglich im Guten, dann wünsche ich Euch ein brav Weib, dann verdient Ihr es. Mich aber plaget nicht mehr, der Vater hat es mir verheißen.«
Der Vater hätte die Heirat nicht ungerne gesehen, er hatte die Abneigung gegen die Fremden nicht, war er doch in Spanien und Rußland gewesen, und hätte die Hülfe eines wackern Schwiegersohnes gerne gehabt. Aber er war ein verständiger Mann und gönnte seinen Kindern eine verständige Freiheit, darin hatte er Napoleon nicht zum Muster genommen. Er sagte oft, wenn derselbe nicht einen so verfluchten Starrkopf gehabt hätte, er wäre noch der Napoleon. Die Mutter sagte nichts dazu, aber wir glauben, bloß deswegen, weil Eiseli entschieden war. Hätte Eiseli geschwankt, die Mutter hätte jedenfalls nicht zu Jakobs Gunsten geredet, die Mitmeisterschaft eines Fremden wäre ihr auf keine Weise anständig gewesen, auch wissen wir nicht, ob sie in Beziehung auf Eiseli sich nicht mit höhern Plänen trug.
Jakob war durch diese bestimmte Abweisung wie zermalmt. Wohl wollte sein Stolz das Haupt erheben, wollte Eiseli sagen, sie hätte nicht halb so große Ursache, so wählig zu tun, am Ende sei es ihm gleichgültig, die oder eine andere. Ein Mann wie er finde allenthalben solche, welche glücklich seien, wenn sie so einen, wie er sei, kriegen könnten. Aber er tat es nicht, die Liebe war größer als der Stolz, er verstummte, ging hinaus, setzte sich draußen auf das Bänklein vor dem Hause und weinte.
Es war ein wunderherrlicher Abend. Klar war der Himmel, voll stieg der Mond über die Berge, das Rauschen der Fälle tönte durch das Tal, in stiller Majestät lagerten ums Tal die Berge mit den weißen Häuptern. Diese stille Herrlichkeit mehrte seine Wehmut, er fühlte, er sei ein Nichts, ein Sandkorn, welches der Fuß, der es niedertritt, nicht beachtet, in der Tat ein Mensch ohne Willen, ein Spielball der wehenden Winde. So saß er lange im stummen Harme, sein Herz war wie zerschmolzenes Wachs, er war wie ausgeschüttet Wasser. Da kam der Meister, setzte sich zu ihm, rüstete sein Pfeifchen und sprach freundliche Worte. Lange hörte Jakob wenig davon, indessen, der Meister setzte nicht ab, griff besser zu, daß Jakob hören mußte und erwachen aus seinem dumpfen Träumen. »Hört«, sprach der Meister, »es tut mir leid, daß es so ist, Ihr könnt es mir glauben, aber ändern kann ich es nicht; und was man nicht ändern kann, muß man annehmen und denken: ›Und jetzt, was machen?‹ Hätte Napoleon, als Moskau brannte, gleich gedacht: ›Und jetzt, was machen?‹ wir wären an der Beresina nicht so in Eis und Pech gekommen. Nun, Jakob, was machen? Ich dächte, Ihr packt das Felleisen und wandert sachte der Heimat zu. Arbeit findet Ihr jetzt allenthalben. Ihr könnt schaffen und wandern in aller Bequemlichkeit, im Herbst könnt Ihr in der Heimat sein. Es tut mir leid, mein Nutzen wärs, wenn Ihr bliebet, aber so, wie es steht, ists besser, Ihr geht; hier mehrt die Qual, sie mindert, wenn Ihr geht.«
Jakob jammerte erst noch, wie das doch schrecklich sei, daß wenn man sich bekehre und ein besserer Mensch werden möchte, man einem das nicht glauben wolle, mit Händen und Füßen von sich stoße; so müsse ein Mensch die Lust verlieren, sich zu bessern, müsse zugrunde gehen, und wer daran schuldig sei?
»Ja seht, Jakob«, sagte der Meister, »das ist halt so. Wer einmal das Vertrauen verloren hat, hats verloren, und es geht lange, bis er es wieder hat. Und es ist recht so, denn so muß er sich lange und stark anstrengen, muß alle seine Kräfte zusammennehmen und Probe um Probe ablegen, daß es ihm Ernst sei. Dabei wurzelt das Gute ein, und er wird wirklich besser. Würde man so leicht Vertrauen finden und alsbald für den Rechten genommen werden, so wäre es immer wieder im alten, und gründlich würde niemand besser. Das ist akkurat wie beim Militär. Hatte einmal einer unserer Offiziere sich dumm oder feig gezeigt, so war all Vertrauen hin, und wollte er es wieder gewinnen, so mußte er zehnmal tapferer sein als die andern; kam er dabei mit dem Leben davon, so gab es was aus ihm, er wurde Oberst, General oder Marschall. Denn seht, Jakob, Ihr seid nicht bloß so ein unbekehrter Mensch gewesen, so gleichsam ein Rekrut, der kein Pulver gerochen, der sich duckt, wenn die Kugeln kommen, Ihr seid einer gewesen, der davongelaufen und sich dessen noch gerühmt, ein Deserteur gleichsam. Ja, da mangelt es was, Jakob, ehe die Scharte ausgewetzt ist, nicht bloß so ein bloßes Sagen: › Bonjour, bin auch wieder da!‹ Darum, Jakob, müßt Ihr Eiseli nicht zürnen, es hat im Grunde recht, es ist eines Soldaten Tochter und hat die tapfern Leute gerne, denen man getrost und mutig nachmarschiert, wenn sie mit der Fahne voranmarschieren. Im Grunde kann ich dem Mädchen nichts dagegen haben, hatte ich es doch auch mit meinen Offizieren so, und ein Ehemann ist mehr als so ein bloß Lieutenantchen oder Hauptmännchen, welche, wenn es recht angeht, alle Tage wechseln, ein Mann ist Feldmarschall, der das Kommando führen sollte, der einen festen Posten hat, und auf den es hauptsächlich ankommt, ob die Bataille gewonnen wird oder verloren geht. Denn was hilft alle Tapferkeit der armen Teufel, wenn alles konträr befohlen wird oder der General selbst zum Teufel geht?«
Empfindlich sagte endlich Jakob, er sehe wohl, wie man es mit ihm meine, daß man seiner gerne los sein möchte. Daran hätte er nicht gedacht, das hätte er nicht um sie verdient. Deswegen sei es wirklich am besten, er gehe und zwar schon morgen, er wolle ihnen nicht länger im Wege sein, maulte Jakob. »Jakob, Ihr seid ungerecht«, sagte der Meister, »Ihr wißt und sehet nicht, wer es gut und wer es böse mit Euch meint. Eiseli wird Euch gut kennen. Haben wir denn nichts um Euch verdient, daß Ihr mir jetzt so kommt? Doch, Jakob, ich will nicht rechnen, will billig sein; wenn mich ein Mädchen wie Eiseli ausgeschlagen hätte, es wäre auch nicht richtig gewesen, mit mir umzugehen, ich begreifs. Darum gute Nacht und ein gut Bedenken! Morgen in der Früh rechnen wir, denke ich, miteinander.«
Gute Nacht kann man einem Menschen wohl wünschen, und es ist schön, wenn man es tut, aber daß dann dieser deswegen eine gute Nacht hat, das ist ein ander Ding. Nun gibt es aber auch zweierlei gute Nächte, süße, schöne Nächte, wo der Schlaf weich dem Leibe bettet, helle, freundliche Bilder vor der Seele gaukeln, wo, wenn die Augen wieder aufgehn, die Sonne scheint, erquickt an Leib und Seele der Mensch vom Lager springt. Aber es gibt auch schwere Nächte, wo in bittern Schmerzen Leib oder Seele oder beide liegen, wo es wie Feuer brennt, wo wie in Schrauben alle Glieder sich krümmen, wo ein verzehrend Weh durch die Seele dringt, und dieses können auch gute Nächte sein, Nächte, wo, wie das Gold im Feuer, die Seele geläutert, in Schmerz und Weh der Mensch geboren wird, der sein Haus auf Felsen stellt, und dessen Trachten nach dem Himmel geht. Gar mancher, der krank lag, sei es am Leib oder an der Seele, segnet die Nacht, wo sein Bett sein feuriger Ofen war, in welchem er Gott loben und preisen lernte, aus welchem er ging als ein in Gott Geläuterter.
Vielleicht war es auch eine solche Nacht, welche Jakob verbracht hatte, als er am Morgen früh hinunterkam reisefertig; blaß war er, und tief im Kopfe lagen ihm die Augen. Unten war auch alles auf, doch still ging es zu. Der Meister tat seine Rechnung mit Jakob ab, gab ihm ein schönes Trinkgeld, was dieser lange nicht annehmen wollte. Er hätte fast gesagt, könne er nicht haben, was er wolle, möge er auch das nicht. Indessen nahm er es endlich. »Ihr wißt nicht, was es Euch geben kann auf der Reise, und wie Ihr dann froh wäret über das Stück Geld; zu was man mit rechten Dingen kommen kann, muß man nie verschmähen«, hatte der Meister gesagt. Die Mutter hatte das Frühstück angerichtet, doch ward wenig dabei geredet, mehr als ein Auge ward feucht über dem Essen; der Meister mußte alle seine Gedanken zusammennehmen, um hie und da was zu sagen. Der Jakob war daneben doch ein guter Bursche gewesen, und wenn einer so abgefertigt und verschmäht abzieht, des Mitleids wird selten ein Weib sich erwehren, wenn nämlich der Abgewiesene nicht gar ein verächtlicher und törichter Mensch ist, seine Werbung eine anmaßliche Überhebung war. Erst jetzt merkten alle, daß er ihnen lieb gewesen, in ihr Leben eingewachsen war, daß durch sein Heraustreten eine Lücke entstand, und wer weiß, wenn Jakob sein Herz hätte wenden können wie einen Strumpf, einer der andern Töchter zu, ob er unerhört geblieben wäre? Selbst Eiseli war weich, und als sie ihm sagte: »Lebt wohl, Jakob, und zürnt mir nicht, von ganzem Herzen wünsche ich, daß es Euch wohlergehen möge hier und dort«, tat ihr das Herz weh.
Jakob hatte das seine zum Zerspringen voll, und als er endlich alleine seines Weges ging, weinte er bitterlich. Schwarz schien ihm die Welt, und öde und leer war es in ihm, als ob seine Seele ihm aus dem Leibe genommen sei und gespensterartig sein Leib dahinwanke. Er fühlte, was es heißt, das Herz zerreißen. Und doch wünschte er nicht, wenn er nur nie da gewesen wäre, es fiel ihm nicht ein, sich vorzuwerfen, daß er seinen Vorsatz nicht gehalten, nicht fremd und kalt geblieben sei, daß er in Liebe in ein Haus hineingewachsen sei. Es ist dies der echten Liebe Eigentümlichkeit, daß sie unerwidert, verschmäht doch süß bleibt und ein köstlich Kleinod. Welche Pein sie auch verursacht, ihr Besitzer würde sie doch nicht hingeben, er härmt sich nie darüber, daß er sie hat, er freuet sich noch des Harmes, welchen sie ihm verursacht. Es gibt Menschen, sie gehen mit wundem Herzen aus jedem Hause, und diese warme Liebe bleibt doch die schönste Begleiterin auf ihrem Wege. Es ist diese Liebe die wahre Lebenskraft, welche allenthalben, wohin sie kömmt, Wurzel schlägt, im Reiche der Geister Blüten treibt und Früchte bringt, sie ist das Höchste im Menschen, und ihr gehört das Himmelreich. Bequem ist wohl die kühle Kälte, welche allenthalben sich Bahn macht, allenthalben das Beste sich aussucht, aus den Blumen den Honig zu saugen sucht, allenthalben unbeschwert und leichtfertig weitergeht, aber göttlich ist sie nicht, hohe Freuden bringt sie nicht, das Himmelreich öffnet sie nicht, sie bringt Genüsse, wie sie der Käfer hat, der im Mist sitzt, sie bereitet Freuden, wie sie der Habicht hat, der Tauben fängt, ein Wohlleben, wie es die Katze hat, wenn sie mit Mäusen spielt. Es ist diese warme Liebe ähnlich dem Blute, welches der Gemsjäger sich quellen läßt an der Fußsohle, wenn er an nackten Wänden, an kahlen Scheiteln der Berge herumsteigt, das warme Blut klebt selbst am kahlen Felsen, sichert den kühnen Jäger vor tödlichem Fall in die geheimnisvollen, nie erforschten Gründe, so hält die warme Liebe das Menschenkind auf dem engen Pfade, der durch die schmutzigen Sümpfe der Welt führt, schützt dasselbe vor dem Versinken und sein Herz vor dem Erfrieren, leitet den Menschen zu der engen Pforte, welche zu dem Throne führt, auf welchem die Liebe thronet.