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Fünfundzwanzigstes Kapitel

Jakob macht einen Anschlag, vernimmt unerwartete Dinge und kriegt eine unerwartete Antwort

Da geschah es doch einmal, daß Jakob sich die Gelegenheit machte. Die Sonne schien schön im Tale, der neue Gemeinderat mußte eines Sonntags zu Gevatter stehen. Jakob hörte, daß ein Teil der Familie des Nachmittags an den Kindtaufschmaus gehen und jemand das Haus hüten müsse. Er kalkulierte aus verschiedenen Gründen, es werde vielleicht Eiseli sein, und wenn er fort wäre, so sei Eiseli vielleicht alleine, die übrigen gingen mit Vater und Mutter. Er putzte sich also auf und sagte, er wolle nach Interlaken gehen, werde erst spät oder vielleicht erst morgen wiederkehren, und wanderte Brienz zu. Dort verweilte er in einem Wirtshause am See. Wunderschön glänzte die Welt, als hätte unser Herrgott sie mit einem nagelneuen Gewände beschenkt. Aber wenn es düster ist in der Seele, so mag die Sonne draußen scheinen, so schön sie will, die düstere Seele sieht es nicht. Böses sann Jakob nicht, dazu liebte er das Mädchen viel zu sehr, aber Mittel und Wege suchte er, um es zu erhalten, dachte nach, was er ihm sagen wolle, daß sein Herz weich werde und nachgiebig sein Sinn.

Im Wirtshäuschen aber war eine Frau Wirtin, welche in der Meinung stand, sie sei eine bedeutende Person in der Welt noch jetzt, besonders aber bedeutend gewesen. Diese konnte nichts weniger leiden, als wenn ihre Gäste sannen und dachten; beides ihnen zu vertreiben, hielt sie für ihre höchste Pflicht. Sie setzte sich also zu Jakob und unterhielt ihn auf ihre Weise. Es gibt zwei Sorten von Weibern. Die eine möchte alles wissen von allen Leuten, was sie denken, was sie haben, was sie machen, was sie essen, kurz, alles interessiert sie, und mit Fragen werden sie gar nicht satt, sie fragen Knechte, Mägde, Kinder, ja, sie würden die Ziegel auf dem Dache fragen und die Steine vor den Häusern, wenn sie reden könnten. Die andere Sorte hat kein Interesse als sich selbst, sich betrachten sie als die Angel, um welche nicht bloß die Erde, sondern Sonne, Mond und Sterne sich drehen, meinen daher begreiflich, sie und alles, was sie angehe, müsse die ganze Welt interessieren im höchsten Grade. Solche Weiber sind imstande, einem zu erzählen, wie viel Flöhe sie im vergangenen Sommer vom Leben zum Tode gebracht, wie viele ihnen entronnen, wie weit sie gesprungen, und wie keinem anderen Floh solche Sprünge gelungen als solchen, welche an ihrem Blute erstarket. Die Wirtin war von der letzten Sorte. Sie und ihr Mann lebten beständig in ungeheuer wichtigen Welthändeln, und es ärgerte sie nichts mehr auf der Welt, als daß nicht alle Zeitungen davon angefüllt waren. Das sei nur ein Vergönnen von bösen Leuten, welche es ihnen nicht gönnen möchten, daß es bekannt werde den Leuten, wie man mit ihnen umgehe, behauptete sie.

Diesem Übelstand suchte sie bestmöglichst abzuhelfen dadurch, daß sie allen, welche sie am Rockzipfel erfassen konnte, ihr Herz öffnete, doch leider nie bis auf den Grund, sintemalen nie einer kam, der warten konnte, bis sie fertig war. Ihr Mann hatte gewöhnlich Händel mit den Gerichten und wurde auf die ungerechteste Weise gestraft unter dem Vorgeben, er habe überwirtet oder den Zoll umfahren oder brauche ungerechtes Maß und Gewicht.

Diesmal aber lag ein schrecklicher Handel, welcher sie besonders anging, ihr zuvörderst auf dem Herzen, und sie mußte immer und immer denken: »Wenn doch dies die Welt wüßte, was doch die Welt dazu sagen würde!« Sie hatte nämlich einen sehr wichtigen Handel mit der Frau Pfarrerin wegen Eiern, man denke! Sie, die Wirtin, hatte sonst einen sehr bedeutenden Handel mit Eiern getrieben, hauptsächlich im Winter. Sie kaufte alle Eier, so weit sie kommen mochte, auf und begreiflich so wohlfeil als möglich und spedierte dieselben nach Thun oder gar nach Bern, hatte ein schön Profitchen nicht bloß, sondern hielt sich in Thun und Bern für eine wichtige und unentbehrliche Person, für eine Wohltäterin des Vaterlandes, und erst da oben in den Bergen hielt sie sich für hochverehrt, da man es ihr alleine zu verdanken hätte, daß den Winter über ein schön Stück Geld mit den Hühnern zu verdienen sei, wer ihnen nämlich den Verstand machen konnte, auch den Winter über zu legen, oder die sogenannten Augusteier aufbewahrte, daß sie noch verkäuflich waren. Die Wirtin machte den Preis, und wenn in Bern drei Eier zwei Batzen galten, so zahlte sie oben im Tale für sieben Eier zwei Batzen, las die faulen aus, legte sie beiseite und legte sie dann, wenn die Verkäuferin fort war, wieder zu den andern, was ein sehr Erkleckliches ausmachte. Übrigens gab sie selten bar Geld, sondern etwas aus der Wirtschaft, und gar manche Frau trank zuweilen verstohlen einen Schoppen, welchen sie nie gekriegt hätte, und bezahlte ihn mit Eiern. Es kömmt den Weibern kommod, daß sie, wenn sie Eier aus dem Hause tragen, nicht gaggeln müssen wie die Hühner, wenn sie dieselben legen. Potz Himmeltürk, wie da die Welt auf einmal voll Gaggelns würde, und wie viele Weiber verblüffte Gesichter kriegten! Jetzt, man denke, minderte der Wirtin anfangs Winter der Zufluß der Eier, mit der größten Mühe trieb sie wenige auf, sie sandte Boten aus, und diesen ging es fast wie den Knechten im Evangelium, sie brachten statt Eier lauter Ausreden heim. Hier hatte der Fuchs die Eier gefressen, dort sogar die Hühner, hier hatten die Hühner sich noch nicht vom Mausern erholt, dort verlegten sie die Eier, ja waren sogar verhext, und man hätte nach Unterwaiden gesandt um Hülfe, und nächstens würden zwei Kapuziner kommen, die Hühner zu besprechen und zu lösen. Das kam der Wirtin sonderbar vor, aber ehrlich und aufrichtig, wie sie ist, wie ein neugeborenes Kindlein, glaubt sie es doch und denkt daran, auch eine Steuer an die Kapuziner zu geben, obgleich es sie nichts angeht.

»Da kam eines Abends«, so erzählte sie Jakob, »als kein Mondschein war und ich Erdäpfel schälte, an die Eier und an die Kapuziner dachte und es mich wunder nahm, wie die es machten, um die Geister, welche das Legen verhielten, aus den Hühnern zu jagen, ein Weib zu mir und frug: ›Wie geht es, Wirtin, und wie läuft dein Eierhandel?‹ Ach Gott, da kam mir das Elend über das Herz, und ich packte es der Frau aus und sagte ihr, wie wir das Geld so nötig hätten, da mein Mann im vergangenen Jahre auf eine verfluchte Art, wie es vor Gott und Menschen nicht recht ist -- nein, sie ist es nicht, und wenn das Kalb, der Gerichtspräsident, da wäre, an den Grind hinan sagte ich es ihm -- gestraft worden, und jetzt schlage das Unglück in die Hühner, und Eier gebe es keine in diesem Winter, ich hintersinnete mich fast, und deswegen mehrten sich doch die Eier nicht. Da sagte die Frau, es ist mir, es sei erst gestern gewesen: ›Du kannst mich von ganzem Herzen dauern, und deswegen komme ich zu dir, du mußt wissen, wie man es dir macht. Weist, es fehlt den Hühnern hell nichts, Eier gibt es, nie mehr, aber es ist eine und zwar nicht weit von dir, die pfuscht dir ins Handwerk, sie gibt zwei Batzen für sechs Eier und nimmt es mit den faulen nicht so genau. Die Weiber reden dir nach, du habest es mit den faulen wohl stark gemacht und sie noch behalten, die andere gibt sie zurück.‹ Da wars mir, als schlüge mich einer mit dem Holzschlägel auf den Kopf, und hatte lange keine Sprache mehr, akkurat als hätte mich der Schlag, Gott behüt uns davor, getroffen. Das erste, was ich sagte, als sie mir wiederkam, war, daß ich fragte: ›Und wer ist das Lumpenmensch, welches sich untersteht? Dem fahre ich noch diesen Abend mit meinen Zehn zAcker auf seinem Gesichte!‹ ›Zweifle‹, sagte die Frau, ›es ist eine, an die du nicht sinnest, und die es nicht nötig hätte, es hält ihr auch niemand viel darauf, die Pfarrherrin ists!‹

Ja, da war mir erst nicht zu helfen, ich glaubte, es wolle mich töten. An die hätte ich zuletzt gedacht. Ja, wenn solche Weiber, deren Mann einen solchen Lohn hat und ihn nur mit dem Maul zu verdienen braucht, anfangen wollen mit Handeln und armen Leuten das Brot vor dem Maul wegnehmen, ja, dann hats gefehlt und der Pfarrherr recht, wenn er sagt, die Welt werde alle Tage schlechter, er kann es am besten bei sich selbst abnehmen. Sie ist die dümmste Gans, welche auf zwei Beinen läuft, hat keine Zähne mehr im Maul, ein Gesicht wie eine Krähe, wenn sie studiert, und sonst ist nichts mit ihr; daß der das in Sinn käme, hätte ich nie gedacht. Die schickt sich für das Handeln wie eine alte Pfanne zu einem Sonntagshut. Und was das Schlechteste von der Sache ist, denkt doch nur! Am Neujahr war es sieben Jahre, da wollte uns eine alte Gans krepieren. Glücklicherweise sah ich es zu rechter Zeit, hieb ihr geschwind noch den Kopf ab, aber was nun mit ihr machen? Es ekelte uns, sie selbst zu essen. Aber wenn niemand was in Sinn kömmt, so fällt mir was ein; was mache ich? Ich rupfe sie, Flaum hat sie gehabt, es war eine Pracht, er ist jetzt im Deckbett in unserer Herrenstube, und schicke mein Mädchen, welches eben in die Unterweisung ging, mit der krepierten Gans ins Pfarrhaus und lasse sagen, wir möchten auch mal gerne ein Zeichen tun dem Herrn wegen unserer Zufriedenheit, wir hätten es schon längst getan, aber nicht gewußt, was ihnen anständig sein könnte. Wir hofften, die Gans könnten sie brauchen aufs Neujahr, und ließen ihnen ein gutes und glückhaftiges wünschen. Und was die danken ließen, und wie sie Manöver gemacht, wie herrlich die Alte gewesen, und wie sie lange nie was so Delikates gegessen, es ist nicht zu sagen! Wir lachten uns fast zu Tode, und jetzt macht die Donnstigs Frau so einen Streich und handelt mit Eiern. Ja, wenn des Pfarrers Weiber so schlecht werden und einem an nichts sinnen, wessen soll man sich dann von andern gewärtig sein, denket doch!«

Nachdem nun diese Einleitung vorbei war, begann die Wirtin den gegenwärtig fürchterlich entbrannten Krieg zu erzählen, begann begreiflich mit der Kriegserklärung, und Jakob mochte machen, was er wollte, sinnen und denken konnte er nicht, die Wirtin wußte sich der Aufmerksamkeit ihrer Zuhörer zu versichern, sie forderte alle Augenblicke eine Zustimmung: »Nicht wahr, das war recht -- schlecht -- verflucht? Hättet Ihr geglaubt? Was sagt Ihr zu solchem? Kennt Ihr Kirchenvogt Vaters Bruders Sohns Mädeli?« usw. So redete und frug die Wirtin auf den Jakob ein und nagelte ihn mit ihren Reden gleichsam fest, hielt ihn daran wie an einem Strick und zog ihn wieder nieder, wenn er aufstehen wollte, daß ihm himmelangst wurde, er käme nicht fort zu rechter Zeit und habe umsonst seine Klugheit aufgeboten und einmal auch einen ordentlichen Plan geschmiedet. Glücklicherweise kamen andere Gäste, diesen fing die Wirtin den Handel von vornen an und ließ einstweilen Jakob los. Den Augenblick benutzte er, zahlte, ging, aber statt an weitere Pläne zu denken, mußte er immer und immer kauen am Zorn über die Wirtin und mußte denken, wie manchmal des Tages sie von vornen anfangen müßte, und wenn man dort sitzen bliebe bis drei Tage nach dem Jüngsten, ob man wohl das Ende der Geschichte zu hören kriegte. Erst als er dem Häuschen näher kam, stellten sich seine Gedanken wieder fest auf das, was er daheim wollte, aber nun kam über das klare Denken das Bangen: »Finde ich Eiseli, oder finde ich es nicht, alleine oder nicht?«

Mit klopfendem Herzen, ganz klein wie ein Knabe in der Mutter Obst- oder Milchkammer, trat er in die Stube, da saß Eiseli hinter dem Tische und las in der Bibel. Als sie aufschaute und Jakob sah, flog es über ihr Gesicht, wie wenn eine schwarze Wolke über die Sonne zieht, Jakobs Gesicht dagegen erglänzte wie in der aufgehenden Sonne. So ists bekanntlich alle Tage in der Welt, hier geht die Sonne unter, und schwarz wird es vor den Augen, und dort geht sie auf, vergoldet alles mit ihrem Scheine. Jakob grüßte lang und schön, Eiseli kurz und trocken, wollte aufstehn und gehen. Jakob protestierte, er wolle Eiseli nicht vertreiben, sagte er, er dächte, es sei für beide Platz da. Eiseli antwortete, das sei ihr bekannt, aber er werde was essen wollen, da er schon da sei, und dies wolle sie bereiten, damit er wieder gehen könne, denn ein solch lang Stück vom Sonntag werde er doch nicht zu Hause bleiben wollen. Er begehre nicht zu essen, sagte Jakob, aber ein vertraut Wort mit Eiseli zu reden. »So«, meinte Eiseli, »also ein abgekartet Spiel! Meinethalb, aber, Jakob, seht Euch vor, Ihr seid an der Unrechten!« und somit setzte Eiseli sich wieder hinter den Tisch und war Jakobs Rede gewärtig oder dessen, was er weiter wollte. Nun war Jakob gar nicht kuraschiert wie ein Soldat, der sich ganz resolviert hat, wenn er zum Sturm einer Batterie kommandiert wird, sondern er war vom Reden der Wirtin ganz weich geworden wie ein gesottenes Ei.

Aber eben in seiner Weichheit sprach Jakob ganz schön, wie er sein Lebtag nie gesprochen hatte, daß er selbst ganz gerührt wurde durch und durch. Er sprach von seiner Liebe, wie das Herz ihm so voll sei davon und zwar nicht von vergänglicher, schlechter Liebe, wie man sie heutzutage habe, sondern von echter, ewiger Liebe, die halte bis wenigstens ans Grab. Er sprach von seinem Vermögen, und welch Leben man mit demselben hier im Tale führen könne, und wie es der ganzen Familie zugut kommen solle. Er frug Eiseli, ob sie denn was Schlechtes von ihm wisse, ob er für einen Kreuzer veruntreut, ob er das Handwerk nicht verstehe, nicht fleißig sei. Sie solle ihm doch einmal allen Ernstes sagen, was sie an ihm auszusetzen hätte. Er sei doch ein Bursche, der sich mit jedem messen dürfe, und er denke doch nicht, daß sie ihn verstoßen wolle, bloß weil er ein Fremder sei. Er habe ja nichts Unehrliches von ihr begehrt und wolle ja in rechtmäßiger Ehe sich hier niederlassen. Ja, das wolle er, hier bleiben, sei es nun lebendig oder tot. »Nein, Jakob«, sagte Eiseli, »keins von beiden werdet Ihr! Ihr werdet, wenn die Matten grünen und die Arbeit geht, Euch so sachte nach der Heimat wenden und sehen, ob die Großmutter noch lebt. Die hat Euch erzogen, und was Gutes an Euch ist, daß Ihr nicht stehlt und sonst schlechte Sachen macht, das habt Ihr derselben zu verdanken; und seid Ihr dieser nicht treu, sondern abtrünnig, so seid Ihr keinem Weibe treu, sondern allen abtrünnig. So wird es auch sein, und darum mag und will ich Euch nicht, und wenn Ihr noch einmal so fleißig, geschickt und reich wäret -- denn Euch, Jakob, fehlt die Hauptsache.« »Und diese wäre?« frug Jakob.

»Ihr wißt, was ich meine«, antwortete Eiseli, »Ihr habt keine Religion, seid kein Christ.« »Ja, was geht das das Heiraten an?« frug Jakob. »Ja, das geht das Heiraten an«, sagte Eiseli, »ob einer ein Christ ist oder nicht, den dreieinigen Gott anbete und verehre oder nicht. Etwas muß der Mensch haben, was er anbete, und worauf er sein Vertrauen setze, hat der Pfarrer gesagt, und welchem er opfert alles, was er hat. Verehre nun einer nicht den allein seligmachenden Gott, so habe er einen Götzen, und manchmal sei er selbst der Götze, auf den er alles setze, von ihm alles Gute erwarte. Wer Gott als ein Christ anbete, der opfere Gott seine Sünden, suche alle Tage besser zu werden, den Nächsten zu lieben als sich selbst, Treue zu halten, und von seinem Weibe scheide er nicht, und seiner Haushaltung tue er Vorsorge und sei sanftmütig und von Herzen demütig. Mit einem solchen Manne sei ein Weib glücklich, da wisse sie, er trage ihre Fehler, bessere sie und hänge ihr nicht noch größere an, reize sie nicht zum Zorne, zur Weltlust oder andern Lastern, sie wisse, er falle nicht schlecht aus, ein Christ werde alle Tage besser, wer aber der Welt Knecht sei, werde hin- und hergewoben, werde alle Tage anders, bis ihn endlich ein Laster so recht herzhaft bei den Haaren fasse und ins Verderben reiße. Sie sei sicher, daß der Mann sie keinem Götzen opfere mit Leib und Seele, wie tausend und abermal tausend Weiber von gottlosen Männern geopfert würden, erst schlecht gemacht an der Seele, dann einem frühen, erbärmlichen Tode verfielen. Ein Christ habe ein Gewissen und wisse, daß es eine Verantwortung gebe, und daß Gott ihm messe nach dem Maße, mit welchem er andern gemessen, daß Weib und Kinder ihm nachkämen ins andere Leben, daß er sie nicht los werde, so wenig als ein Mensch seinen Schatten, daß sie vor Gott über ihn Zeugnis reden müßten, ob er treu an ihnen gehandelt als wie ein Christ oder untreu als wie ein Heide. Wenn ich heirate, was aber kaum geschehen wird, so will ich gut heiraten, will mein Glück machen. Aber dumm und blind wie viele Mädchen bin ich nicht, die ihr Glück machen wollen und auf Reichtum oder ein gut Gewerbe sehen. Was hilfts der Frau, wenn der Mann Geld wie Steine hat oder ein Ausbund von Geschicklichkeit ist, wenn er auch ein Herz von Stein hat, gegen die Frau ein Uflat ist, wenn er geizig, verschwenderisch, zänkisch, liederlich ist und anderm Weibervolk nachläuft? Geld und Kunst können dahingehen, was hat dann die Frau, wenn der Mann ein Unchrist ist? Wer aber einen Christen zum Mann hat, der erheiratet Liebe und Friede, diese gehen über allen Verstand, vergehen nicht, wachsen täglich und machen jede Lage süß.«

»Ja«, sagte Jakob, »Liebe und Friede kann man haben, ohne daß man alles glaubt, was einem vorgesagt wird, und ja freilich, Tugend und Sittlichkeit sind recht, und wir billigen sie auch, und um ein guter Mann zu sein, braucht man kein Christ zu sein, das wäre ja schlimm, und gar zu übel ging es vielen Weibern.« Glücklich machen wolle er Eiseli und ihr treu sein, da solle sie nur gar keinen Kummer haben; so wahr er der Jakob sei, halte er Wort. Schlechtes wisse sie ja nichts von ihm, und das sei ja die wahre Religion, wenn man recht lebe, vernunftgemäß und zwar aus Freiheit und eigenem Antrieb und nicht wegen des Lohns im Himmel und wegen der Furcht vor dem Teufel.

»Schlechtes weiß ich nichts von Euch, Jakob, vielleicht, wenn ich Euer früheres Leben kennen würde, wärs anders. Hier hattet Ihr eben nicht Gelegenheit; wenn Ihr sie gehabt hättet und die Menschen um Euch anders gewesen wären, wäre es vielleicht auch anders. Euere Religion ist keine Religion für Christen, sie besteht darin, daß Ihr tun dürft, was Euch jedesmal gut dünkt, dem sagt Ihr vernunftgemäß, ich habe das schon manchmal so erklären hören, wenn auch nicht mit diesen Worten. Was Euch gut dünkt, ist recht, und Liebe und Friede sind schön, solange sie vernunftgemäß sind, das heißt, solange es Euch wohlgefällt, und einem Weibe seid Ihr treu und sorget für dasselbe, solange Ihr dieser Ansicht seid, Euch nichts anderes einfällt oder andere Euch nicht eine andere Ansicht einbläuen. Wer sein ganzes Lebensglück auf die Ansicht und das Gutdünken eines wetterwendischen Menschenkindes baut, der hat auf Sand sein Haus gebaut, wo es nicht einmal großen Wind und Wasser braucht, um es auf den Kopf zu stellen. Ihr habt ja auch einmal Gott Treue gelobt, habt aber dann Eure Ansicht geändert, verleugnet ihn jetzt; wie lange würde es gehen, bis Ihr Euer Weib verleugnen würdet? So ein Weiblein ist noch lange nicht Gott.«

»Ja,« sagte der Jakob, »das ist nicht ganz das gleiche, von einem Weibe merkts der Mann, daß es da ist, aber wo merkt man Gott? Und Beispiele hat man auch, daß ein Christ seine Ansicht geändert oder ein höllisch böser Ehemann geworden ist, da ist ein Mensch wie der andere, Christ oder Nichtchrist.«

»Jakob«, sagte Eiseli, »wer Augen hat, die sehen, und Ohren, die hören, und einen Verstand zum Begreifen, der merkt den großen Gott hundertmal besser als so ein klein Weiblein, und wer ihn einmal merkt so recht von Herzensgrund, fällt nicht wieder von ihm ab, wird nicht von jedem Wind der Lehre hin- und herbeweget. Er geht immer den Fußstapfen nach in Regen und Sonnenschein, welche der eingedrückt hat auf der Erde, welcher das Kreuz vorangetragen hat, in dessen Anblick wir heil werden sollen von unsern Sünden. Gott ist der Ewige und Unveränderliche, in ihm ist kein Schatten der Umkehr, er hat das feste Wort gegeben, an welchem kein Düpflein vergehen soll, und wenn Berge und Erde vergingen. Hier ist Beständigkeit und Treue, hier ist ein Fels, der nie wanket, und wer diesem Gott angehöret und treu ist in Glauben und Wandel, dem dürfen die Menschen trauen, der ist treu und fest, wird nicht umgekehrt, wie man einen Handschuh kehrt, an einen solchen kann, darf ein Mädchen kommen, darf ihm vertrauen, daß er ein Mann, sein Stab und seine Stütze, sein Glück und seine Freude sein und bleiben werde für und für und nicht bloß diesseits, wie Ihr sagt, sondern auch jenseits. So meine ich es, Jakob«, schloß Eiseli.

»Ja«, sagte Jakob, »es ist dann gar nicht gesagt, daß ich nichts glaube. Ich glaube an Recht und Tugend und ein göttlich Wesen in uns, und es ist eine Möglichkeit, daß Christus ein guter Mann gewesen, und daß es schön wäre, wenn alle so wären je nach ihren Umständen und der Möglichkeit, und daß man die Erde so einrichten sollte, daß es allen wohl wäre, das glaube ich auch.«

»Faxen und Flausen glaubt Ihr«, sagte Eiseli, »machet die Kreatur zu Gott und die Erde, wo Essen und Trinken ist, zu Eurem Himmelreich, und das ist nicht Christentum, sondern Heidentum, und bei all Euerer Weisheit wißt Ihr nicht, was Christentum ist, habt Euch was aufschwatzen lassen und schwatzt es wieder in den Wind hinaus, ohne zu wissen, was Ihr sagt. Ihr seid, trotzdem daß Ihr Euer Handwerk könnt, ein dummer Bursche und am Verstand noch ganz jung und ohne Bart, macht Euch groß mit Worten wie ein Bube, welcher in die Unterweisung geht, mit Fluchen oder der ersten Tabakspfeife und habt von Gelehrten mit Schnäuzen, auf die Ihr Euch immer beruft, was läuten hören und wißt nicht was, und plappert es nach, weil es Euch kommod ist und Ihr meint, es sei die allerhöchste und allerneueste Weisheit, und habt all Euer Geschwätz nie eine Viertelstunde lang geprüft. Ihr habt es angenommen, wie ein fünfjähriger Bube die ersten Hosen anzieht, und stolziert darin herum wie der Bube in den neuen Hosen und seht niemand als Euch selbst. Daß Ihr Liebe zu mir habt, glaube ich nicht, ich soll nichts als ein Opfer sein, welches Ihr Euerm Götzen schlachtet. Und das alles wißt Ihr vielleicht nicht, denn Euer Verstand begreift eben nichts, und prüfen tut Ihr nichts. Tätet Ihr es, so hättet Ihr längst an den Geschöpfen bemerkt und angeschauet Gottes Herrlichkeit und hättet verglichen das Leben, welches die Christen führen, und das, welches die Neumodischen und neumodisch Gläubigen führen, und hättet gemerkt, warum es Euch in den einen Häusern wohl ist, in den andern übel, und daß, wer ins Zuchthaus kömmt, zumeist nie in der Kirche gesehen ward, und daß all die Unglücksmacher und Saufbrüder Gottlose sind, die an kein ewig Leben glauben, sondern nur dafür sorgen, daß es dem Schweine wohlergehe. Ich bin nur ein Mädchen, aber schämen müßte ich mich, nicht zusammenreimen zu können den Glauben und das Leben der Leute, und es hat es Euch doch der liebe Gott so dicht vor die Nase gesetzt, damit, wenn Euch die Augen fehlen, Ihr es doch riechen könntet. Aber an Euch wird Hopfen und Malz verloren sein, und Ihr werdet bestimmt sein zu einem Exempel, wie dumm heutzutage Euer Gattig sei. Darum setzt nur ab, ich will und mag Euch nicht, nehmt den Weg unter die Füße, macht, daß Ihr heimkommt, vielleicht, daß die Großmutter Euch den Star sticht und dem rechten Licht wieder Öffnung macht.«

Durch diese schwere Rede ward Jakob hart getroffen, sagte ihm doch das Mädchen Dinge, welche dem Jakob seit seiner Großmutter Zeiten nie gesagt worden waren; aber wie ihm auch der Zorn krabbelte auf der Stirne, unten im Herzen fühlte er sich doch getroffen und zwar scharf wie ein Ritter, dem im wildesten Rennen eine Lanze durch das Herz fährt. Die Hand sinkt vom Zügel, die Augen verglasen, die Muskeln lösen sich, das Rennen ist aus. Jakob hatte die Frechheit nicht, die Wahrheit, welche sie ihm handgreiflich aufdrängte, zu verleugnen, die Frechheit der Jungen Schule, welche alles für erlaubt hält, was ihnen dient, er konnte noch nicht stämpfeln (Bernerausdruck für wissend lügen). Der Sinn für Wahrheit erhob sich in ihm, Nebel flogen weg, Erfahrungen stellten sich dar, daß er sich verwundern mußte, sie früher nicht ordentlich gewürdigt zu haben, er mußte sich sagen, das Mädchen hätte etwas recht.

Das Mädchen faßte ihn praktisch, nicht theoretisch, und die Liebe bahnte dem Glauben den Weg. Das ist weder neu noch unglaublich, denn wo ist ein Glaube auf Erden, welchem Liebe, Liebe zum Leben oder Liebe zu einem Mädchen, nicht den Weg gebahnt hätte? Wie viele wurden aus Liebe nicht Türken, Juden, Heiden von allen Sorten, warum sollte endlich einmal einer aus Liebe nicht auch Christ werden können? Indessen geschah dies denn doch nicht so, wie Buben in eine Pfütze springen und wieder hinaus, sondern Jakob sagte, er wolle aufrichtig sein und sagen, vielleicht möge Eiseli recht haben darin, daß er die Sache zu wenig geprüft, daß er sich durch Vorurteile habe hinreißen lassen. Er wolle gestehen, er sei gar zu altvaterisch erzogen worden, und als er in die Welt unter andere Menschen gekommen, habe er gleich gesehen, daß sein Glaube nicht mehr passe, vielleicht sei da aber der Sprung zu groß geworden, denn das sei eben das Schwerste, am rechten Orte stehen zu bleiben. Wenn es ein junger Bursche nicht könne, so müsse man es ihm nicht so übelnehmen, dies sei schon alten, grauen Häuptern und sogar Staatsmännern begegnet, ganz ausgelernten, welche alles konnten, sogar rechnen an den zehn Fingern, welchen nichts fehlte als ein wenig Französisch. Aber selbst sei der Mann, und zum Prüfen sei man ja auf der Welt, und hier sei er gerade am rechten Orte dazu, und er sei überzeugt, daß wenn Eiseli seine Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit sehe, so werde sie ihm hold werden und nicht mehr nein sagen, einen, der sie mehr liebe, kriege sie nicht mehr.

Da sagte Eiseli, wolle er ein Christ werden, so freue es sie von ganzem Herzen, und wenn er recht prüfe, so sei sie überzeugt, er sehe die Wahrheit, auf wie lange, wisse sie freilich nicht, denn er scheine ihr einer von denen, in welche in jedem Hause und in jeder Pinte ein anderer Geist fahre. Doch ihretwegen solle er das nicht tun, sondern um seiner Seele willen, sie müsse sagen, sie sei ein schwach Mädchen und nicht der liebe, starke Gott, der Herzen und Nieren prüfe. Sie möge ihn nicht, sie könnte ihm nie trauen, sie habe seine leichtfertigen Worte gehört, und die könne sie ihm leider Gott nicht vergessen, sie kämen ihr immer in Sinn, wenn sie mit ihm beten würde, und je frömmer er sich stellte und vielleicht es auch wäre, so müßte sie doch immer denken, es sei geheuchelt, im Herzen sei es ganz anders, und es komme mal die Stunde, wo die allmächtige Hand Gottes in ihn fahre, auswendig mache das Inwendige, an die Sonne kehre, was hätte verborgen bleiben sollen, den alten Unglauben und die alte Leichtfertigkeit. Diesen Unglauben an ihn solle er ihr nicht für ungut nehmen, müsse sich doch der liebe Gott Jakobs Unglauben gefallen lassen, und sei doch der ganz ein anderer und seine Herrlichkeit geoffenbaret seit Jahrtausenden, während Jakobs bessere Worte noch keine Stunde alt seien.

Das sei doch ein Unterschied zwischen Gott und ihm, sagte Jakob, ihn sehe Eiseli, aber Gott nicht. »Allweg«, sagte Eiseli, »ist ein Unterschied zwischen Gott und Euch. Gottes Aufrichtigkeit und Wahrhaftigkeit ist bestätigt, und sein Wort ist fest, von Euch weiß man nichts, als daß Ihr gestern so gesprochen, heute anders und vielleicht morgen wieder anders. Darum habt Ihr kein Recht, Glauben an Euch zu fordern. Aber eben das ist ein Elend und ein Zeichen, daß Ihr noch immer Euer eigener Götze seid, daß Ihr den Glauben an Euere Person und Euer Geschwätz fordert, welchen man bloß und alleine Gott schuldig ist, eine schauderhafte Verkehrung der Dinge, wenn man weiß, wie armselige Menschenkinder und Tröpfe ihr seid.«

Das solle sie erfahren, sagte Jakob, ob er wirklich so ein armseliger Tropf sei, dem man nicht glauben könne. Irren sei menschlich und schon andern Majestäten begegnet, aber aufrichtig sei er und ein Heuchler niemals gewesen. Das glaube sie wohl, meinte Eiseli, aber ein unbeständiger Mensch sei so unzuverlässig als ein Heuchler, und das Beste wäre, er ginge weiter. Das tue er nicht, sagte Jakob, außer wenn ihn der Meister schicke. Wenn aber Eiseli meine, er solle jetzt gehen, weil sie nicht gerne hätte, wenn man sie beieinander antreffen würde, so wolle er das gerne tun, er möchte Eiseli für sein Leben keine Ungelegenheit machen.

Da stand Eiseli flammend rot auf und sagte: »Was bildet Ihr Euch ein, Jakob! Und wäre ich sieben Wochen mit Euch allein, so hätten mich doch die Eltern in keinem Verdacht mit Euch. Das mag Euch wohl begegnet sein, daß Ihr davonlaufen mußtet, wenn Ihr jemand kommen hörtet, und daß man Euch gehen hieß, weil schlechte Menscher ein schlecht Gewissen hatten. Aber hier könnt Ihr ruhig bleiben, Eiseli wird nicht verdächtigt!«

Und in der Tat, als die Familie heimkam, war sie wohl verwundert, Jakob anzutreffen, aber nicht wegen seinem Alleinsein mit Eiseli, sondern daß er gegen seinen Vorsatz so früh heim sei. Er habe geglaubt, sagte der Meister, er wolle auch einmal blau machen. In Interlaken gebe sich das wohl am besten, dort seien sogenannte Sommerherren, welche im Winter sieben Tage in einer Woche blau machten, da hätte man Gesellschaft. Jakob hatte irgendeine Ausrede, warum er gar nicht in Interlaken gewesen und darum so früh heimgekommen. Man nahm dieses auf Treu und Glauben an, und kein Mensch dachte an was Weiteres.


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