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Dem Beobachter eines Flugzeugs wäre die ›Arrow‹ wohl wie eine Nußschale vorgekommen, wie sie jetzt auf hoher See, dreihundert Meilen von der nächsten Küste entfernt, ihren Weg verfolgte. Längst hatte man die eigentlichen Dampferlinien verlassen, und weit und breit ließ sich kein anderes Fahrzeug blicken.
Anthony hatte tags zuvor die Besatzung zur Musterung befohlen und ihr nochmals derart ins Gewissen geredet, daß die rauhborstigen Kerle einen heiligen Respekt vor ihm bekommen hatten. Jetzt ging er gleichmäßigen Schrittes von einem Brückenende zum andern und ließ den wachsamen Blick abwechselnd über die weite Wasserfläche und das ihm anvertraute Schiff gleiten. Gerade tauchte der Funker, ein etwas zugeknöpfter junger Mensch, auf der hinteren Treppe auf. Der Schiffer rief ihn an und befahl ihn zu sich.
»Wo waren Sie, Mr. Cassy?« fragte er kurz.
»Ich habe soeben ein Radiogramm für Mr. Hickman aufgenommen, Sir. Er hat es schon bekommen.«
»Merken Sie sich ein für allemal, Mr. Cassy: Jede Mitteilung, mag sie gerichtet sein, an wen sie will, geht zuerst an mich. Verstanden?«
Der Bordfunker zuckte etwas mit den Augenlidern, beeilte sich aber mit seinem »Jawohl, Sir!« und trat ab.
Mr. Hickman schloß beinahe feierlich die Tür des Kartenhauses und nahm Anthony gegenüber am Tische Platz.
»Da wären wir also, Kapitän«, sagte er gemütlich. »Zeit und Ort entsprechen der Vorschrift. Ich muß gestehen, daß ich doch ein wenig neugierig bin. Vor einer halben Stunde erst empfing ich ein Radiogramm meines Freundes Richards, worin er mich benachrichtigt, daß alles so weit in Ordnung ist. Wir können uns demnach jetzt die ursprünglich vom seligen Halahan angegebenen Instruktionen etwas näher ansehen. Wie ich Halahan kenne, werden sie sehr genau sein.«
Er zog aus seiner Brusttasche ein in Wachstuch genähtes Päckchen, dem er ein längliches, mehrfach versiegeltes Kuvert entnahm. Vorsichtig schnitt er es auf. Es enthielt nur einen einzigen Zettel, den Hickman mit wichtiger Mine auseinanderfaltete.
Mr. Hickman pfiff leise durch die Zähne. »So, so – – Also das ist es?« flüsterte er.
Dann reichte er das Blatt dem Seemann hinüber. Der Inhalt bestand nur aus wenigen Zeilen in sauberer Maschinenschrift.
»Schiff steuert einen Punkt an, zehn Seemeilen Süd zu Ost von Lacosta-Mündung (Florida). Eintreffen durch Funkspruch Code X melden. Erwartet Schnellboot. Vierzig Fässer Tran bestimmt für Lacosta-River. Weitere Befehle per Radio.«
Anthony faltete das Papier zusammen und steckte es in die Tasche. Sein gleichmütiges Gesicht verriet nichts von den Gedanken, die sich hinter seiner Stirn regten.
»Na, Kapitän, heraus mit der Sprache! – Machen Sie das Geschäft? Wenn nicht, dann muß ich mir einen anderen dafür aussuchen.«
Immer noch schweigend trat Anthony zum Schrank, entnahm ihm eine Seekarte, die er auf der Tischplatte ausbreitete, und setzte den Kurs zur Lacosta-Mündung ab. Einen Augenblick schien er zu überlegen. »Sehr wohl, Sir«, sagte er kühl. »Ich habe Ihnen versprochen, daß ich die Sache annehme, und ich führe sie auch zu Ende.«
»Ich wußte, daß ich mich auf Sie verlassen kann«, antwortete Hickman mit Betonung. Als sich Kirkpatrick zum Gehen anschickte, setzte er noch hinzu: »Und Schiffer, nicht wahr, Sie behandeln diese Unterredung streng vertraulich?«
»Versteht sich. Außer Ihnen und mir erfährt nur Miß Drew davon.«
Hickman zog die Augenbrauen hoch. »Miß Drew? – – Was zum Henker hat sie damit zu tun?«
Anthony zuckte die Achseln. »Liegen denn irgendwelche Gründe vor, weswegen man Miß Drew das Reiseziel verschweigen sollte?« fragte er.
»Oh nein. – – Keineswegs. – – Ich meine nur, weil – – Nun, sie hat doch als Frau gar kein Interesse für sowas!«
»Da also keine Gründe dagegen sprechen, werde ich sie sofort unterrichten. Das Schiff ist ihr Eigentum.«
Mit diesen Worten verließ Kirkpatrick das Kartenhaus und rief einen Befehl zur Brücke hinauf. »Kurs Süd, zwoundvierzig West. Große Fahrt voraus!«
»Aye, aye, Sir!« bestätigte der mürrische kleine Steuermann. Während die ›Arrow‹ einen eleganten Bogen beschrieb, um den befohlenen Kurs aufzunehmen, ging Anthony nach achtern, wo er Felicia im Schutze eines Ventilators fand. Sie zappelte vor Ungeduld, das Resultat der Unterredung zu erfahren.
»Nun?« rief sie ihm ungeduldig entgegen.
Mit wenigen Worten vermittelte er ihr den Inhalt der Order, deren offensichtliche Harmlosigkeit sie sehr zu enttäuschen schien.
»Also das nennt sich Perlenfischerei!« rief sie ärgerlich. »Pfui Teufel, ist mein Schiff denn ein ausrangierter Walfischfänger?«
Der Seemann lachte. »Dies Schiff ist ein ›Rum-Runner‹«, sagte er trocken. »Für mich besteht nicht der leiseste Zweifel darüber, daß die vierzig Fässer allerbesten Whisky enthalten. Sie sind für die tüchtigen Bootlegger bestimmt, die hinter Onkel Sams Patrouillenbooten aus der Lauer liegen. Für jeden, dem es gelingt, die schönen Prohibitionsgesetze zu umgehen, fallen rund vierhundert Prozent Gewinn ab.«
Felicia sah ihn zunächst ganz verwirrt an. Zweifel und Erregung waren in ihren Augen zu lesen, aber schließlich brach auch sie in lautes Lachen aus. »Also darauf läuft's hinaus«, rief sie.
»Ja, darauf läuft's hinaus«, wiederholte Anthony, »wenigstens soll es so aussehen. In Wirklichkeit muß noch etwas anderes dabei sein, denn erstens ist es nicht üblich, Whisky in Fässern zu schmuggeln, zweitens aber – und das ist das bei weitem Auffallendere, – lohnt eine so lächerlich geringe Fracht niemals die Mühe. Um einigermaßen auf die Kosten zu kommen, müßte man die Jacht bis unter die Lukendeckel mit Whiskyfässern vollgestopft haben. Demnach ist es klar, daß noch ein ganz anderer Zweck hinter dem Unternehmen steckt.«
»Und da glauben Sie – –«
»Ich glaube, Miß Drew, daß man es darauf anlegt, von den amerikanischen Behörden erwischt zu werden, damit Sie sich eines Vergehens gegen die Prohibitionsakte schuldig machen und dadurch zwei Millionen Pfund verlieren. Natürlich werden diejenigen, die das alles so bildschön eingefädelt haben, beizeiten die Köpfe aus der Schlinge ziehen, und Sie dürfen dann die Suppe auslöffeln.«
*
Unten in der Stille seiner Kabine mischte sich Hickman einen Whiskysoda und schlürfte ihn zufrieden. Dann trat er zu seinem Schreibpult, sperrte es auf und zog ein bereits dechiffriertes Telegramm hervor.
»Nachricht erhalten. Weiter so. Wenn Kirkpatrick Schererei macht, möglichst gewähren lassen. Benutze Red-Moon-Dampfer und bin zur Stelle, wenn ihr eintrefft. Dan.«
Sorgfältig faltete Mr. Hickman das Blatt wieder zusammen und lachte lautlos vor sich hin.
»Dieser grüne Junge glaubt wohl, es mit mir aufnehmen zu können? Eine solche Einbildung! Wird sich aber wundern und desgleichen unsere kleine Felicia!«