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3. Kapitel.
Das Briefchen

Nachdem sich Sinclair von der ersten freudigen Überraschung erholt hatte, befiel ihn eine jähe Angst: Wenn Felicia seine so plötzlich unterbrochene Werbung nun ernst genommen – ihn beim Wort nahm? Konnte dann nicht alles zusammenbrechen? Er mußte ihr schleunigst klarmachen, daß er sich noch nicht als ihren Verlobten betrachtete! Und er ging sofort auf die Suche nach seiner schönen Kusine.

Endlich entdeckte er sie, trat etwas verlegen zu ihr und begann: »Felicia, hör einmal … Wovon sprachen wir gleich vorhin? – Ach ja, ich weiß. Aber eigentlich sind wir doch beide noch sehr jung.«

»Und werden leider täglich älter«, meinte Felicia.

»Ja, das schon. Aber … vielleicht willst du es dir lieber noch einmal überlegen?«

Das junge Mädchen sah ihn erstaunt an. Sie begriff nicht, was hier vorging. Aber das eine wurde ihr klar: ihr Vetter wollte aus irgendeinem Grunde kneifen. Und sofort faßte sie den Entschluß, ihn in Verlegenheit zu setzen: »Weshalb sollte ich mir's noch überlegen?« sagte sie mit einem gespielten glücklichen Lächeln.

»Ich meine nur … wir könnten … Wenn wir noch ein paar Monate … warteten …«

»Aber weshalb denn, Sinclair? Ich denke nicht daran, zu warten. Du hast ja genug Einkommen, um zu heiraten.«

Sinclair Brewster wand sich in Verlegenheit, – stand wie gebrochen vor ihr und suchte vergeblich nach weiteren Ausflüchten. Und plötzlich fühlte sich Felicia von diesem jämmerlichen Anblick so angewidert, daß sie nicht fähig war, dieses alberne Spiel fortzusetzen.

»Du Trottel!« fuhr sie ihn an. »Bildest du dir denn wirklich ein, daß ich einen solchen Jammerlappen wie dich heiraten würde? Einen solchen lasterhaften und albernen Bengel! Wenn ich überhaupt jemals heirate, dann heirate ich einen Mann, einen richtigen Mann! – und nicht so ein glotzäugiges, einfältiges Scheusal wie dich! – Nun troll' dich, und wage nicht, mich nochmals zu belästigen!«

Sie sah bezaubernd aus in ihrer leidenschaftlichen Empörung.

Sinclair trat einen Schritt auf sie zu und lachte ihr frech und böse ins Gesicht. »So? Ich bin kein Mann?« schrie er seine Kusine an. »Das will ich dir zeigen!« Er umklammerte wütend und gierig zugleich ihre Hüften und versuchte Felicia an sich zu ziehen.

Aber ehe ihm dies gelang, fühlte er sich beim Kragen gepackt und unwiderstehlich in die Höhe gehoben. Er zeterte, schrie, schlug um sich. Doch die Fäuste von Anthony Kirkpatrick, der so überraschend aufgetaucht war, gaben nicht nach. Der junge Seemann wirbelte Sinclair Brewster noch ein paarmal durch die Luft und schleuderte ihn dann wie ein Bündel gegen die Reling, – gerade als die »Armentic« in dem hohen Seegang weit nach Steuerbord überholte.

Da waren aber auch schon Dan Ricardo und Wright zur Stelle, um der für sie so kostbaren Person Sinclairs beizustehen. Ohne weiteres stürzten sie sich auf Kirkpatrick, um ihn an weiteren Angriffen auf sein Opfer zu hindern.

Doch da kamen sie schlecht an: Während Sinclair noch aus den Deckplanken herumkollerte, erhielt Wright einen Kinnhaken, der ihn erst um die eigene Achse drehte und ihn dann ebenfalls auf Deck niederwarf. Und im nächsten Augenblick bekam Dan die gleiche Aufmerksamkeit zu kosten – wenn auch in etwas schwächerer Auflage.

Jetzt warf sich der vorüberkommende Schiffszahlmeister dem Dritten Offizier entgegen. Unglücklicherweise traf ihn ein zweiter für Ricardo bestimmter Schlag und er rollte zwischen die anderen Opfer.

»Halt! Was geht hier vor?« brüllte jetzt eine wütende Stimme, und der Beherrscher der »Armentic«, Kapitän Holt, eilte herbei.

Nur Kirkpatrick stand noch aufrecht.

»Was in drei Teufels Namen soll das vorstellen?« herrschte ihn der Kapitän wutschnaubend an.

Anthony Kirkpatrick schwieg. Wer Sinclair war es nun gelungen, sich aufzurichten. »Der Schurke hat mich halbtot geschlagen!« keuchte er.

»Um ein Haar hätte er ihn über Bord geworfen!« schrie Dan Ricardo und hielt sich mit beiden Händen den dröhnenden Kopf.

»Was haben Sie mir zu sagen, Mister Kirkpatrick?« fauchte der Kapitän.

»Ich? – Nichts, Sir.«

»Dann betrachten Sie sich als Arrestant! Gehen Sie sofort in Ihre Kammer!« befahl der Kapitän. Und sich an Felicia und die übrigen wendend, fuhr er fort: »Und Sie suchen mich, bitte, jetzt gleich nacheinander in meiner Kajüte auf, damit ich den Tatbestand feststellen kann.«

Anthony Kirkpatrick aber ging trotzig in seine Kabine und schmetterte die Tür hinter sich zu. »Recht ist euch geschehen, ihr Gauner!« dachte er grimmig. – Er hat allen Grund, Dan Ricardo und seinen Freund für ausgemachte Schurken zu halten, – hatte er doch am Abend vorher einiges von ihren Gesprächen aufgeschnappt.

*

»Befanden Sie sich in Gefahr, Miß Drew?« begann der Kapitän das Verhör mit Felicia.

»In Gefahr wohl kaum. Ich wäre natürlich auch allein mit Mister Brewster fertig geworden. Aber jeder ritterliche Mann hätte wohl so gehandelt wie Mister Kirkpatrick.«

»Man kann doch nicht die Passagiere einfach alle niederboxen«, brummte der Kapitän. »Darf ich fragen, in welchen Beziehungen Sie zu Mister Brewster stehen?«

»Er ist mein Vetter, – aber ein widerwärtiger Kerl, dem ganz recht geschehen ist.«

»Und die anderen Herren?«

»Mit denen habe ich nichts zu tun. Sie haben sich unnötigerweise eingemischt. – Ich hoffe, Herr Kapitän, daß Sie mit Mister Kirkpatrick nicht zu streng ins Gericht gehen werden.« –

Draußen fragte Felicia den Zahlmeister, ob die Sache für den jungen Seeoffizier wohl schlimme Folgen haben werde. Der Zahlmeister, Mister Simmons, zog die Brauen bedenklich hoch.

»Kirkpatrick ist ein Gentleman, aber er ist von einem unerhörten Jähzorn. Die Stellung kostet ihn dieses Intermezzo zum mindesten.«

Das junge Mädchen war ernstlich erschrocken. Sie zog sich bestürzt in ihre Kabine zurück und dachte über den Fall nach. Ein Blick in den Spiegel zeigte ihr, daß ihr die Sache doch nahe ging, denn sie sah eine Träne über ihre Wange rollen. Hastig wischte sie sie fort.

Was ging sie aber schließlich dieser Mister Kirkpatrick an? Er war ihr gegenüber auch reichlich barsch gewesen. Sie hatte sich weidlich über ihn geärgert! Weshalb mischte er sich auch in Dinge, die ihn nichts angingen? – Aber schön hatte es doch ausgesehen, wie er alle niederschmetterte und dann als einziger aufrecht zwischen seinen Opfern stand, – den Opfern dieses Kampfes, der doch schließlich zu ihren Ehren stattgefunden hatte! – Nein, Sie mußte wirklich versuchen, ihm jetzt zu helfen!

Hastig riß sie ein Blatt aus ihrer Mappe und schrieb:

Sehr geehrter Herr Kirkpatrick! Diese dumme Geschichte tut mir aufrichtig leid. Ich werde gerne als Entlastungszeugin auftreten, wenn Sie mir mitteilen können, was ich tun soll. – Hochachtungsvoll – Felicia Drew.

Sie verschloß das Blatt in einem Umschlag, erkundigte sich dann bei Mister Shaw, dem Vierten Offizier, nach der Lage von Kirkpatricks Kabine und schlich sich dann, wie ein Indianer auf dem Kriegspfad, zu den unteren Decks hinunter. Ohne einem Menschen zu begegnen, erreichte sie die Kammer und schob das Billett unter die Tür.


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