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Sechsundzwanzigstes Kapitel.

Eine Sittenverbesserung im Gefängniß. Sollten die Gesetze vollkommen sein, so müßten sie eben so gut belohnen, als bestrafen.

Früh am nächsten Morgen wurde ich von meiner Familie geweckt, die ich in Thränen neben meinem Lager erblickte. Das düstere Ansehen der ganzen Umgebung schien sie erschreckt zu haben. Ich tadelte auf milde Weise ihre Bekümmerniß, versicherte ihnen, daß ich nie ruhiger geschlafen, und fragte dann nach meiner ältesten Tochter, die sie nicht bei sich hatten. Sie sagten mir, die Unruhe und Anstrengung von gestern habe ihr Fieber vermehrt, so daß sie es für nöthig gehalten, sie zurückzulassen. Meine nächste Sorge bestand darin, meinen Sohn auszuschicken, um ein oder zwei Zimmer für meine Familie zu miethen, so nahe bei dem Gefängniß und so bequem er sie nur finden könne. Er ging, konnte aber nur ein einziges Zimmer finden, welches wir um einen geringen Miethzins für seine Mutter und Schwestern erhielten, denn der Kerkermeister hatte eingewilligt, daß er und seine beiden kleinen Brüder bei mir im Gefängniß sein durften. Es wurde daher ein Bett in einem Winkel des Zimmers für sie eingerichtet., welches mir erträglich gut zu sein schien. Vorher wollte ich aber wissen, ob meine kleinen Knaben auch an einem Orte schlafen wollten, der sie beim ersten Eintritt erschreckt hatte.

»Nun, meine guten Knaben,« rief ich, »wie gefällt Euch Euer Bett? Ich hoffe. Ihr fürchtet Euch nicht, in diesem Zimmer zu schlafen, so finster es auch aussieht?«

»Nein, lieber Vater,« sagte Richard, »ich fürchte mich nicht, an irgend einem Orte zu schlafen, wo Du bist.«

»Und mir,« sagte Wilhelm, der doch erst vier Jahr alt war, »mir gefällt jeder Ort am besten, wo mein lieber Vater ist.«

Hierauf bestimmte ich, was jedes Mitglied meiner Familie zu thun habe. Meine Tochter sollte besonders um ihre kranke Schwester beschäftigt sein. Meine Frau sollte bei mir bleiben, und meine kleinen Knaben mir etwas vorlesen. »Und was Dich betrifft, mein Sohn,« fuhr ich fort, »müssen wir Alle von Deiner Hände Arbeit unsern Unterhalt erwarten. Dein Lohn als Arbeiter wird vollkommen hinreichend sein, uns bei gehöriger Eintheilung zu ernähren. Du bist jetzt sechzehn Jahr alt und besitzest Kräfte, die Dir zu sehr nützlichen Zwecken gegeben wurden; denn Du mußt dadurch Deine hülflosen Eltern und Geschwister vor dem Hungertode schützen. So sieh Dich denn heute Abend nach Arbeit um, und bringe jeden Abend das Geld nach Hause, welches Du zu unserm Unterhalte verdienst.«

Nachdem ich ihm diese Anweisung gegeben und alles Nöthige angeordnet hatte, ging ich in das allgemeine Gefängniß hinunter, wo frischere Luft und mehr Raum war. Doch war ich nicht lange da gewesen, als die Verwünschungen, die rohen und unzüchtigen Aeußerungen, die ich von allen Seiten vernahm, mich wieder in meine Zelle zurücktrieben. Hier saß ich eine Zeitlang in Betrachtungen versunken über die seltsame Verblendung dieser Elenden, welche sehen, wie die ganze Menschheit ihnen den Krieg erklärt, und dennoch Alles aufbieten, sich auch für das künftige Leben einen furchtbaren Feind zu verschaffen.

Ihre Gefühllosigkeit erregte mein äußerstes Bedauern, und eine Zeitlang vergaß ich darüber mein eigenes Mißgeschick. Es erschien mir sogar als eine unerläßliche Pflicht, einen Versuch zumachen, ob ich sie nicht bekehren könne. Ich beschloß daher, nochmals zurückzukehren und ihnen trotz ihrer Verspottung meinen Rath zu geben, indem ich hoffte, durch Beharrlichkeit den Sieg davon tragen zu können. Als ich wieder zu ihnen ging, theilte ich Herrn Jenkinson meinen Plan mit. Er lachte freilich herzlich darüber, machte aber die Uebrigen damit bekannt. Der Vorschlag wurde mit der besten Laune aufgenommen, weil er einen neuen Stoff zur Unterhaltung für Menschen verhieß, die jetzt keine andere Belustigung kannten, als Spötterei und unanständige Aeußerungen«

Ich las ihnen daher mit lauter Stimme einen Theil der Liturgie vor, fand aber, daß meine Zuhörer sich nur darüber lustig machten. Freches Geflüster, nachgeahmte Seufzer der Zerknirschung, Gesichtsverzerrungen und Husten erregten abwechselnd Gelächter. Mit angemessener Feierlichkeit fuhr ich aber fort, zu lesen, in der Ueberzeugung, daß ich dadurch vielleicht Einige bessern, doch in keinem Falle von Einem könne geschmäht werden.

Nach dem Lesen ging ich zu einer Ermahnung über, die mehr darauf berechnet war, ihre Aufmerksamkeit zu erregen, als ihnen Vorwürfe zu machen. Ich bemerkte vorläufig, daß mich kein anderer Beweggrund dazu bestimmen könne, als die Sorge für ihr Wohl; daß ich ihr Mitgefangener sei, und keinen Lohn für meine Predigten erhalte. Es thue mir leid, sagte ich, so ruchlose Reden von ihnen zu hören, weil sie dadurch nichts gewinnen, wohl aber viel verlieren könnten. »Seid versichert,« sagte ich, »meine Freunde – denn das seid Ihr, wenn auch die Welt Eure Freundschaft verwirft – seid versichert, wenn Ihr auch tausend Flüche in einem Tage ausstoßt, so bringen sie doch keinen Pfennig in Euren Beutel. Was hilft es, jeden Augenblick den Teufel anzurufen und Euch um seine Freundschaft zu bewerben, wenn Ihr findet, wie schändlich er Euch behandelt? Er hat Euch nichts gegeben, wie Ihr seht, als einen Mund voll Flüche und einen leeren Magen, und nach Allem, was ich von ihm weiß, habt Ihr auch künftig nichts Gutes von ihm zu erwarten. Werden wir von einem Menschen schlecht behandelt, so gehen wir natürlich zu einem andern. Wäre es nun nicht der Mühe werth, zu versuchen, wie es Euch bei einem andern Herrn gefällt, der Euch wenigstens schöne Verheißungen giebt, um Euch zu ihm zu wenden? Gewiß, meine Freunde, von allen Thorheiten in der Welt muß dies die größte sein, wenn Einer ein Haus beraubt hat und dann bei denen Schutz sucht, die die Diebe einfangen. Handelt Ihr aber klüger? Ihr sucht Alle Schutz bei dem, der Euch schon verrathen hat, und wendet Euch an ein viel boshafteres Wesen, als alle Diebsjäger zusammengenommen. Denn diese locken Euch nur und hängen Euch dann; er aber lockt und hängt Euch nicht nur, sondern was das Schlimmste ist, er hält Euch noch fest mit seinen Krallen, wenn auch der Henker schon sein Werk gethan.«

Als ich geendet hatte, empfing ich die Lobsprüche meiner Zuhörer. Einige von ihnen kamen auf mich zu, schüttelten mir die Hand und schwuren, ich sei ein wackerer Kerl, und sie wünschten meine nähere Bekanntschaft. Ich versprach daher, meine Vorlesung am nächsten Tage zu wiederholen, und ich hoffte wirklich, eine Sittenverbesserung einzuführen, denn es war stets meine Meinung gewesen, daß Niemand über die Stunde der Besserung hinaus sei, und daß jedes Herz den Pfeilen des Tadels zugänglich sei, wenn der Schütze nur gehörig zu zielen verstehe. Als ich so mein Gemüth beruhigt hatte, ging ich in mein Zimmer zurück, wo meine Frau ein mäßiges Mahl bereitete, während Jenkinson bat, sein Mittagsessen mit dem unsern vereinigen zu dürfen, um, wie er sich verbindlich genug ausdrückte, das Vergnügen meiner Unterhaltung zu haben. Er hatte meine Familie noch nicht gesehen, denn sie war durch den früher erwähnten Gang in meine Zelle gekommen und hatte so den Versammlungssaal nicht betreten. Jenkinson schien daher bei der ersten Zusammenkunft von der Schönheit meiner jüngsten Tochter nicht wenig überrascht, denn ein schwermüthiger Zug hatte dieselbe noch erhöht. Doch auch meine Kleinen ließ er nicht unbeachtet.

»Ach, Doctor!« rief er, »diese Kinder sind zu schön und zu gut für einen solchen Ort, wie dieser.«

»Nun ja, Herr Jenkinson,« versetzte ich, »meine Kinder sind Gott sei Dank von Herzen gut genug, und wenn das der Fall ist, so hat das Uebrige nicht viel zu bedeuten.«

»Ich denke, mein Herr,« erwiederte mein Mitgefangener, »es muß ein großer Trost für Sie sein, diese kleine Familie um sich zu haben.«

»Allerdings, Herr Jenkinson,« erwiederte ich, »ist es ein Trost, den ich um Alles in der Welt willen nicht verlieren möchte; denn sie Nachen mir meinen Kerker Zum Palast. Es giebt nur Eins auf der Welt, was mein Glück zerstören könnte, nämlich wenn ihnen ein Leid zugefügt würde.«

»Dann muß ich fürchten, mein Herr,« erwiederte er, »daß ich mich in gewisser Hinsicht gegen Sie vergangen habe; denn ich glaube« – Bei diesen Worten sah er meinen Sohn Moses an – »hier setze ich Jemanden, den ich gekränkt habe, und von dem ich Verzeihung zu erhalten wünsche.«

Mein Sohn erkannte sogleich die Stimme und das Gesicht des Mannes wieder, obgleich er ihn damals in einer Verkleidung gesehen» Er ergriff seine Hand und erklärte lächelnd, daß ihm verziehen sei. »Bei alle dem muß ich mich aber wundern,« setzte er hinzu, »was Sie in meinem Gesichte sehen mochten, um zu glauben, daß ich so leicht anzuführen sei.«

»Mein lieber Herr,« erwiederte der Andere, »es war nicht Ihr Gesicht, sondern die weißen Strümpfe und das schwarze Band in Ihrem Haar, was mich anlockte. Doch ohne Geringschätzung Ihres Verstandes sei es gesagt, ich habe in meinem Leben schon klügere Leute angeführt; und doch bei all meinen schlauen Ränken haben die Dummköpfe endlich die Oberhand über mich gewonnen.«

»Ohne Zweifel,« rief mein Sohn, »muß eine Lebensgeschichte wie die Ihrige außerordentlich belehrend und unterhaltend sein.«

»Keins von Beiden,« erwiederte Jenkinson« »Erzählungen, welche nur die Ränke und Laster der Menschen schildern, rauben uns unsere Ruhe, indem sie uns mit beständigem Mißtrauen erfüllen. Der Wanderer, der jeder Person mißtraut, die ihm begegnet, und sich bei der Erscheinung jedes Mannes umwendet, der das Ansehen eines Räubers hat, erreicht selten zur rechten Zeit das Ziel seiner Reise. Ich weiß aus eigener Erfahrung, daß der Klügste oft der Einfältigste unter der Sonne ist. Schon in meiner Kindheit hielt man mich für schlau. Als ich kaum sieben Jahr alt war, pflegten die Damen zu sagen, ich sei schon ein ganz artiger kleiner Mann. Mit dem vierzehnten Jahre kannte ich die Welt, setzte den Hut auf ein Ohr und hatte Liebschaften mit den Damen. Obgleich ich im zwanzigsten Jahre noch vollkommen ehrlich war, so hielt man mich doch für so schlau, daß mir Niemand trauen wollte. So war ich endlich zu meiner Rechtfertigung genöthigt, ein Gauner zu werden, und seitdem zerbrach ich mir fortwährend den Kopf mit Plänen zu Betrügereien, und mein Herz klopfte vor Furcht, entdeckt zu werden. Oft habe ich über die Einfalt Ihres ehrlichen Nachbars Flamborough gelacht, und meistens betrog ich ihn einmal im Jahre. Doch der ehrliche Mann ging arglos seinen Weg und ward reich, während ich meine Ränke und Kniffe fortsetzte und dabei arm blieb, ohne den Trost zu haben, rechtschaffen zu sein. Sagen Sie mir aber doch,« fuhr er fort, »was Sie hierher geführt hat Wenn ich auch mich selbst nicht aus dem Kerker befreien kann, so kann ich doch vielleicht meinen Freunden dazu verhelfen.«

Um seine Neugierde zu befriedigen, erzählte ich ihm die ganze Reihe von Unfällen und Thorheiten, die mich in mein jetziges Unglück gestürzt hatten, und schilderte ihm zugleich meine gänzliche Unfähigkeit, mich wieder in Freiheit zu setzen. Als er meine Geschichte gehört hatte, schwieg er einige Augenblicke, schlug sich dann vor die Stirn, als sei ihm etwas Wichtiges eingefallen, und nahm mit der Versicherung Abschied, daß er sehen wolle, was dabei zu thun sei.


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