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Die Freundschaft unter Lasterhaften ist von keiner Dauer, da sie sich nur auf gegenseitigen Vortheil gründet.
Die Erzählung meines Sohnes war zu lang, als daß er sie auf einmal hätte beenden können. Den ersten Theil derselben begann er noch an jenem Abend, und am folgenden Nachmittage beschloß er sie so eben, als Herrn Thornbills Wagen vor die Thür rollte und dadurch das allgemeine Vergnügen gestört zu werden schien. Der Kellermeister, der nun mein Freund geworden war, flüsterte mir zu, der Gutsherr habe dem Fräulein Wilmot bereits mehrere Anträge gemacht, und ihr Oheim und ihre Tante schienen mit dieser Verbindung sehr zufrieden zu sein. Herr Thornhill stutzte, als er bei seinem Eintreten mich und meinen Sohn erblickte; doch schrieb ich das der Verwunderung und nicht dem Mißfallen zu. Als wir uns ihm näherten, um ihn zu begrüßen, erwiederte er unsere Grüße mit anscheinender Aufrichtigkeit, und bald schien seine Gegenwart die allgemeine Heiterkeit nur zu vermehren.
Nach dem Thee rief er mich bei Seite, um sich nach meiner Tochter zu erkundigen. Als ich ihm aber sagte, daß meine Nachforschungen vergebens gewesen, schien er sehr erstaunt zu sein und setzte hinzu, er wäre seitdem häufig in meinem Hause gewesen, um die übrige Familie zu trösten, die er ganz wohl angetroffen. Dann fragte er, ob ich Fräulein Wilmot oder meinem Sohne das Mißgeschick meiner Tochter mitgetheilt habe, und als ich ihm erwiederte, daß ich es noch nicht gethan, billigte er meine Klugheit und Vorsicht sehr und bat mich, es auf alle Fälle geheim zu halten. »Denn im günstigsten Falle,« sagte er, »wird doch nur dadurch die eigene Schande aufgedeckt, und vielleicht ist Fräulein Olivia nicht einmal so schuldig, wie wir alle glauben.« Hier wurden wir durch einen Bedienten unterbrochen, der den Gutsherrn zum Contretanze rief. Er verließ mich, und ich freute mich wahrhaft über das Interesse, welches er an meinem Schicksal zu nehmen schien. Seine Bewerbung um Fräulein Wilmot war aber zu offenbar, als daß man sich darin hätte täuschen können. Doch schien sie nicht sehr darüber erfreut zu sein, und duldete jene Anträge mehr aus Achtung für den Wunsch ihrer Tante, als aus eigener Neigung. Ich hatte sogar die Freude, zu sehen, daß sie meinem unglücklichen Sohne einige freundliche Blicke zuwarf, die ihr Herr Thornhill weder durch seinen Reichthum, noch durch seine Beharrlichkeit abgewinnen konnte. Ich wunderte mich indeß nicht wenig über seine scheinbare Ruhe. Auf Herrn Arnolds dringende Bitte hatten wir nun schon eine Woche hier zugebracht. Von Tage zu Tage wurde Fräulein Wilmot zärtlicher gegen meinen Sohn; doch schien Herrn Thornhills Freundschaft für ihn in gleichem Grade zuzunehmen.
Er hatte uns schon früher die gütigsten Versicherungen gegeben, seinen ganzen Einfluß für meine Familie anzuwenden, und jetzt beschränkte sich seine Großmuth nicht auf bloße Versprechungen. An dem Morgen, den ich zu meiner Abreise bestimmt hatte, kam Herr Thornhill mit heiterer Miene zu mir, um mir zu sagen, welchen Dienst er seinem Freunde Georg geleistet habe. Dieser Dienst war nichts Geringeres, als daß er ihm bei einem von den Regimentern, die nach Westindien gingen, eine Fähnrichsstelle für hundert Pfund verschafft hatte; denn sein Einfluß sei hinreichend gewesen, die übrigen zweihundert Pfund zu ersparen. »Für diesen kleinen Freundschaftsdienst,« fuhr der junge Herr fort, »verlange ich keine weitere Belohnung, als das Vergnügen, meinem Freunde genützt zu haben: und was die hundert Pfund betrifft, wenn Sie vielleicht nicht im Stande sein sollten, sie jetzt zu zahlen, so will ich sie vorstrecken, und Sie können sie mir nach Ihrer Bequemlichkeit zurückzahlen.« – Diese Gefälligkeit war so groß, daß es uns an Worten fehlte, unsern Dank auszudrücken. Ich stellte ihm sogleich einen Schuldschein über das Geld aus und bezeigte ihm dabei so große Dankbarkeit, als wäre es nicht meine Absicht, das Geld je zurückzuzahlen.
Georg sollte am folgenden Morgen nach London reisen, um seine Stelle anzutreten, da sein großmüthiger Gönner es für nöthig hielt, die höchste Eile anzuwenden, damit nicht vielleicht ein Anderer vortheilhaftere Bedingungen mache. Demnach war am nächsten Morgen unser junger Soldat zur Abreise bereit, und er schien von uns Allen der Einzige zu sein, dem der Abschied nicht schmerzlich war. Weder die Mühseligkeiten und Gefahren, denen er entgegenging, noch seine Freunde und seine Geliebte, die er zurückließ (denn Fräulein Wilmot liebte ihn wirklich), vermochten seinen Muth zu beugen. Als er von der übrigen Gesellschaft Abschied genommen, gab ich ihm Alles, was ich hatte – meinen Segen. »Und nun, mein Sohn,« rief ich, »gehst Du, um für Dein Vaterland zu kämpfen; erinnere Dich, daß Dein tapferer Großvater für seinen gesalbten König gefochten, als Unterthanentreue unter den Britten noch eine Tugend war. Geh, mein Sohn, und ahme ihm nach bei allen Wechselfällen des Schicksals, wenn man es ein unglückliches Schicksal nennen kann, mit Lord Falkland zu sterben. Geh, mein Sohn, und wenn Du in fernem Lande fällst, unbeerdigt und unbeweint von denen, die Dich lieben, so sind die kostbarsten Thränen die, welche der Himmel auf das unbegrabene Haupt eines Kriegers herabthauen läßt.«
Am nächsten Morgen nahm ich von der guten Familie Abschied, die so freundlich gewesen war, mich so lange zu bewirthen; auch dankte ich Herrn Thornhill nochmals für die mir jüngst erwiesene Güte. Ich ließ sie in dem Genusse zurück, den Reichthum und Bildung gewähren, und trat den Weg zu meiner Heimath an, indem ich die Hoffnung aufgab, meine Tochter wiederzufinden, und einen Seufzer zum Himmel emporsendete, daß er sie erhalten und ihr vergeben möge. Ich war jetzt nur noch zwanzig Meilen von meiner Heimath entfernt, denn ich hatte mir ein Pferd gemiethet, weil ich mich noch sehr schwach fühlte. Mein Trost bestand in der Hoffnung, bald Alles wiederzusehen, was mir das Theuerste auf Erden war. Als die Nacht anbrach, kehrte ich in einem kleinen Wirthshause an der Landstraße ein und bat den Wirth, mir bei einem Maße Wein Gesellschaft zu leisten. Wir saßen am Kaminfeuer in der Gaststube, da dieses das beste Zimmer im Hause war, und schwatzten über Politik und die Neuigkeiten in der Nachbarschaft. Unter andern Gegenständen kamen wir auch auf den jungen Gutsherrn Thornhill zu reden, der, wie der Wirth erzählte, eben so verhaßt, wie sein Oheim Sir William beliebt sei, der ebenfalls zuweilen in die Gegend komme. Er erzählte mir ferner, daß es sein hauptsächliches Streben sei, die Töchter in den Familien zu verführen, wo er Zutritt habe. Nach einem Besitze von zwei oder drei Wochen stoße er sie unbelohnt und hülflos in die Welt hinaus. Während wir so redeten, kam seine Frau zurück, welche auswärts Münze eingewechselt hatte, und als sie bemerkte, daß ihr Mann ein Vergnügen genoß, welches sie nicht theilte, fragte sie ihn in ärgerlichem Tone, was er da zu thun habe? Darauf antwortete er ihr auf ironische Weise, indem er ihre Gesundheit trank. »Symonds,« sagte sie, »Du behandelst mich sehr schlecht, und ich werde es nicht länger ertragen. Drei Viertel von der Arbeit muß ich thun, und das letzte Viertel bleibt ungethan, während Du den ganzen Tag nichts weiter thust, als mit Deinen Gästen zechst. Wenn ich mir auch durch einen Löffel voll Liqueur das Fieber vertreiben könnte, so koste ich doch keinen Tropfen.« Ich bemerkte jetzt, worauf sie hindeutete, und schenkte ihr sogleich ein Glas ein, welches sie mit einer Verbeugung nahm und auf meine Gesundheit leerte. »Mein Herr,« fuhr sie fort, »ich bin nicht gerade des Getränkes wegen ärgerlich; doch man kann es ja nicht ruhig mit ansehen, wenn Alles drunter und drüber geht. Wenn Kunden oder Gäste gemahnt werden müssen, so fällt mir die ganze Last zu; er schluckte lieber sein Glas mit hinunter, als daß er selber hinter ihnen her wäre. Da haben wir z. B. eine Treppe hoch ein junges Frauenzimmer, das sich bei uns eingemiethet, und ich glaube schwerlich, daß sie Geld hat, sonst würde sie nicht so höflich sein. Gewiß ist sie langsam im Bezahlen, und ich wünschte, daß man sie daran erinnerte.« – »Wozu sie daran erinnern?« erwiederte der Wirth; »wenn sie langsam im Bezahlen ist, so ist sie desto sicherer.« – »Das weiß ich nicht,« versetzte die Frau; »so viel aber ist gewiß, daß sie an vierzehn Tage hier gewesen ist, ohne daß wir wissen, wie es mit ihrem Gelde steht.« – »Gewiß wird sie Alles auf einem Brete bezahlen, meine Liebe,« erwiederte er. – »Auf einem Brete!« rief die Andere, »ich hoffe, wir erhalten es auf irgend eine Weise, und das soll noch diesen Abend geschehen, oder sie muß hinaus mit Sack und Pack.« – »Bedenke,« sagte der Wirth, »daß sie eine Person von Stande ist und mehr Achtung verdient.« – »Was das betrifft,« entgegnete die Wirthin, »von Stande oder nicht von Stande! Genug, sie soll sich in Henkers Namen packen. Vornehme Leute mögen ganz gut sein, wo sie hingehören; ich meines Theils habe aber im Gasthause zur Egge noch nicht viel Gutes dabei herauskommen sehen.« – Mit diesen Worten eilte sie eine schmale Treppe hinauf, die von dem Gastzimmer in ein Zimmer im obern Stock führte, und bald schloß ich aus dem Kreischen ihrer Stimme und ihren bittern Vorwürfen, daß die Fremde kein Geld habe. Ich konnte ihre Demonstrationen sehr deutlich hören. »Fort,« rief sie, »packe Dich im Augenblick, infames Weibsbild, oder ich versetze Dir eins, daß Du die nächsten drei Monate dran denken sollst! Das Lumpengesindel kommt und will in einem honnetten Hause aufgenommen sein, ohne einen rothen Heller zu haben! Packe Dich fort, sage ich.« – »O liebe Madame,« rief die Fremde, »haben Sie doch Mitleid, Mitleid mit einem armen verlassenen Geschöpfe! Nur noch eine einzige Nacht. Bald wird sich der Tod meiner erbarmen!«
Ich erkannte sogleich die Stimme meines armen verlornen Kindes, meiner Olivia. Ich eilte ihr zu Hülfe, als das Weib sie bei den Haaren fortschleppte, und schloß das unglückliche Wesen in meine Arme. – »Willkommen, herzlich willkommen, mein theures verlornes Kind, mein Kleinod! Komm an die Brust Deines armen alten Vaters. Wenn Dich auch die Gottlosen verstoßen, so hast Du doch noch einen in der Welt, der Dich nie verlassen wird; und hättest Du zehntausend Verbrechen zu verantworten, er vergiebt Dir alle.« – »O mein theuerster« – hier versagte ihr für den Augenblick die Stimme – »o mein theuerster Vater! Können Engel gütiger sein? Wie verdiene ich das Alles? Der Schändliche! ich hasse ihn und mich selbst, so viel Güte so schlecht zu belohnen! Du kannst mir nicht verzeihen – ich weiß. Du kannst es nicht.« – »Ja, mein Kind, von ganzem Herzen verzeihe ich Dir. Bereue nur, und wir Beiden werden noch glücklich sein. Wir werden noch manche frohe Tage erleben, meine Olivia.« – »Ach, nimmermehr, lieber Vater, nimmermehr! Der Rest meines unglücklichen Lebens kann nur Schande sein vor der Welt und Scham zu Hause. Aber ach! lieber Vater, Du siehst viel bleicher aus, als sonst. Konnte ein Geschöpf wie ich Dir so viel Kummer verursachen? Du besitzest zu viel Weisheit, um Dir selber das Elend meiner Schuld aufzuladen.« – »Unsere Weisheit, junges Frauenzimmer,« erwiederte ich. – »Ach, warum einen so kalten Namen, mein Vater?« rief sie. »Dies ist das erste Mal, wo Du mich mit einem so kalten Namen angeredet hast.« – »Verzeih, mein Liebling,« erwiederte ich, »ich wollte nur sagen, daß Weisheit sich nur langsam gegen den Kummer zu vertheidigen vermag, obgleich endlich mit Sicherheit.«
Jetzt kam die Wirthin zurück und fragte, ob wir nicht ein besseres Zimmer zu haben wünschten. Ich bejahte es, und wir wurden in ein Zimmer geführt, wo wir ungestörter reden konnten. Als nach dem Austausch unserer Empfindungen endlich eine gewisse Ruhe eintrat, konnte ich den Wunsch nicht unterdrücken, zu erfahren, wie sie nach und nach in ihre jetzige unglückliche Lage gekommen sei. »Jener Schurke,« sagte sie, »machte mir seit dem ersten Tage unserer Bekanntschaft Vorschläge zu einer heimlichen Verheiratung.«
»Ja wohl ist es ein Schurke,« rief ich; »und doch wundert es mich, wie ein Mann von Burchells gesundem Verstande und scheinbarem Ehrgefühle sich einer so überlegten Bosheit schuldig machen und sich in eine Familie einschleichen konnte, um sie zu Grunde zu richten.«
»Lieber Vater,« erwiederte meine Tochter, »Du bist in einem großen Irrthume. Herr Burchell hat nie den Versuch gemacht, mich zu täuschen; im Gegentheil ergriff er jede Gelegenheit, mich vor Thornhills Ränken zu warnen, der, wie ich jetzt finde, noch schlechter ist, als er ihn mir darstellte.« – »Thornhill?« fiel ich ein, »ist es möglich?« – »Ja, lieber Vater,« entgegnete sie, »Thornhill war es, der mich verführte. Die beiden Damen, wie er sie nannte, und die nichts anderes waren, als ein Paar liederliche Dirnen aus London, ohne Bildung und Gefühl, hatte er angestiftet, um uns nach der Hauptstadt zu locken. Du wirst Dich erinnern, daß ihnen ihre List gelungen sein würde, hätte nicht Herr Burchell jenen Brief geschrieben, dessen Vorwürfe ihnen galten, obgleich wir sie auf uns bezogen. Wie er so viel Einfluß haben konnte, um ihre Absicht zu vereiteln, ist mir noch immer unerklärlich; doch bin ich fest überzeugt, daß er stets unser wärmster und aufrichtigster Freund gewesen ist.«
»Du setzest mich in Erstaunen, liebes Kind,« rief ich; »doch jetzt sehe ich, daß mein früherer Verdacht in Bezug auf Thornhills Niederträchtigkeit nur zu wohl begründet war. Doch er kann ruhig triumphiren: er ist reich und wir sind arm. Aber sage mir, mein Kind, gewiß waren es nicht geringe Versuchungen, durch die es ihm gelang, alle Eindrücke einer solchen Erziehung und so tugendhafter Grundsätze wie die Deinigen so gänzlich zu verlöschen?« – »In der That, lieber Vater,« erwiederte sie, »verdankt er seinen Triumph blos dem Wunsche, ihn und mich glücklich zu machen. Ich wußte, daß die von einem katholischen Priester heimlich vollzogene Trauung keinesweges gültig sei, und daß ich mich auf weiter nichts als auf seine Rechtlichkeit verlassen könne.« – »Wie?« unterbrach ich sie, »und Du bist wirklich getraut, getraut durch einen ordinirten Priester?« – »Gewiß, lieber Vater,« versetzte sie, doch schwuren wir Beide, seinen Namen zu verschweigen.« – »So komm noch einmal in meine Arme, mein Kind! Du bist mir jetzt noch tausendmal willkommener, als vorhin, denn Du bist in jeder Rücksicht und Beziehung sein Weib. Alle menschlichen Gesetze, und wären sie auf diamantenen Tafeln geschrieben, können diese heilige Verbindung nicht lösen.«
»Ach, lieber Vater,« versetzte sie, »Du bist nur wenig bekannt mit seiner Schändlichkeit. Derselbe Priester hat ihm schon sechs bis acht Frauen angetraut, die er eben so wie mich getäuscht und verlassen hat.« – »Wirklich?« rief ich; »dann muß der Priester gehängt werden, und gleich morgen sollst Du Klage gegen ihn erheben.« – »Aber, lieber Vater,« erwiederte sie, »würde das recht sein, da ich ihm durch einen Eid Verschwiegenheit gelobt habe?« – »Liebes Kind,« versetzte ich, »wenn Du ihm wirklich ein solches Versprechen gegeben hast, so kann und will ich Dich nicht bereden, es zu brechen. Auch wenn es dem Staate Nutzen brächte, darfst Du nicht als Klägerin gegen ihn auftreten. Die menschlichen Einrichtungen gestatten zwar ein kleineres Uebel, wenn ein größeres Heil daraus entspringt; wie man in der Politik eine Provinz aufopfert, um ein Königreich zu schützen, und in der Heilkunst ein Glied ablöst, um den ganzen Körper zu erhalten.
In der Religion aber herrscht das unabänderliche Gesetz, niemals etwas Böses zu thun. Und dieses Gesetz, mein Kind, ist gerecht; denn wenn wir ein kleines Uebel begingen, damit ein größeres Gut dadurch erlangt werde, so würden wir in Erwartung des damit verbundenen Vortheils doch immer eine gewisse Schuld auf uns laden. Und wäre auch der Vortheil gewiß, so könnten wir doch in der Zwischenzeit zwischen der Begehung und dem Vortheile abgerufen werden, um über unsere Handlungen Rechenschaft abzulegen, und dann wäre das Buch menschlicher Thaten auf immer geschlossen. Doch ich unterbreche Dich, liebes Kind; erzähle weiter.«
»Schon am nächsten Morgen,« fuhr sie fort, »sah ich ein, wie wenig ich von seiner Aufrichtigkeit zu erwarten habe. An jenem Morgen machte er mich mit zwei andern unglücklichen Frauenzimmern bekannt, die er wie mich getäuscht hatte, die aber zufrieden in Sünde und Schande fortlebten. Ich liebte ihn zu zärtlich, als daß ich solche Nebenbuhlerinnen um seine Gunst hätte dulden können, und bemühte mich, meine Schande in einem Taumel von Vergnügungen zu vergessen. In dieser Absicht tanzte ich, putzte mich und schwatzte; doch ich war und blieb unglücklich. Die Herren, die uns besuchten, sprachen beständig von der Macht meiner Reize, und dies trug nur dazu bei, meine Schwermuth zu erhöhen, da ich die Macht jener Reize gänzlich von mir geworfen hatte. So wurde ich mit jedem Tage tiefsinniger und er dagegen immer frecher, bis das Ungeheuer endlich so weit ging, mich einem jungen Baronet von seiner Bekanntschaft anzubieten. Wie könnte ich Dir, lieber Vater, meinen Schmerz schildern, den ich bei seiner Undankbarkeit empfand? Meine Antwort auf diesen Vorschlag grenzte an Wahnsinn. Ich wollte mich entfernen. Als ich fortging, bot er mir eine Börse an, doch ich warf sie ihm verächtlich zurück und entfernte mich von ihm in einem Ausbruche der Wuth, die mich eine Zeitlang das Elend meiner Lage nicht fühlen ließ. Doch bald kam ich zur Besinnung und wurde gewahr, daß ich ein elendes, verworfenes und schuldbeflecktes Wesen sei, ohne einen Freund in der ganzen Welt, an den ich mich wenden konnte. In diesem Augenblicke fuhr gerade eine Postkutsche vorbei, ich nahm einen Platz darin, nur um mich so weit als möglich von dem Elenden zu entfernen, den ich verachtete und verabscheute. Hier stieg ich aus, wo seit meiner Ankunft mein Kummer und dieses Weibes Härte meine einzigen Gesellschafter gewesen sind. Die frohen Stunden, die ich mit meiner Mutter und Schwester verlebt, sind mir jetzt in der Erinnerung peinigend. Wenn ihr Kummer groß ist, so ist der meinige doch noch größer durch das Gefühl der Schuld und Schande.«
»Habe Geduld, mein Kind,« erwiederte ich, »und ich hoffe, Alles wird noch gut werden. Ruhe diese Nacht ein wenig aus, und morgen führe ich Dich zu Deiner Mutter und zu Deinen Geschwistern zurück, die Dich gewiß freundlich empfangen werden. Die arme Mutter! es ist ihr zu Herzen gegangen; doch liebt sie Dich noch immer, Olivia, und wird Dir verzeihen.«