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13. Kapitel.

Gewitter, wenn sie durchgreifend sind, wirken immer reinigend und befreiend.

Und ein Gewitter war in der Nacht über Unzingen niedergegangen. Nicht das seelische haben wir jetzt im Auge, das die Stimmungen und Gemüter der Hausbewohner hatte aufeinander platzen und miteinander ringen lassen. Auch in der Natur war ein Kampf, ein Ringen gewesen.

Schon seit mehreren Tagen hatten sich schwere, schwarze Wetterwolken von den Bergen her über dem breiten Tal zusammengezogen und waren schrittweise auf das Schloß zugerückt.

Dann hatte es sich entladen. Grelle Blitze durchzuckten die Finsternis und leuchteten in die entferntesten Winkel der Höfe. Knatternde Donnerschläge schreckten alles wieder in die Höhe. Weitaufgerissenen Auges sahen die Menschen in die Nacht hinaus. In den Ställen rissen die Tiere mit wildem Stampfen an ihren Ketten und drückten schnaubend vor Angst die Köpfe in das Stroh ihrer Lagerstätten.

Dann setzte ein wolkenbruchartiger Regen ein, dessen monotones Rauschen Mensch und Tier beruhigte und allmählich wieder einschläferte.

Reinigend und befreiend hatten diese beiden Ausbrüche gewirkt, der der Natur und der des Gemüts.

An einem wolkenlosen, lichtblauen Himmel hob sich die Sonne von neuem und sog unter einem Jubelkonzert von Tausenden gefiederter Sänger emsig die Tropfen von Gras und Halm, spiegelte sich lachend in glitzernden Pfützen und Bächen. Die Tannen schüttelten sich in dem kecken Morgenwind wie naßgewordene junge Tiere und schleuderten blitzende Brillanten in das grüne Moos.

In dem in weiß und hellrot gehaltenen Schlafzimmer sprang Genia von Puttlitz nach kurzem Stutzen mit beiden Beinen unter einem, dem jubilierenden Schlage der Lerche gleichenden Freudenschrei aus dem Bett und ließ aus dem großen Gummischwamm eine Flut kalten Wassers über ihr heißes Gesicht rieseln.

Frei und glücklich war es ihr ums Herz. »Man« war ja Braut! Und das sagte nicht wenig – nein: alles! Behend machte sie Toilette. In welchem Gewande sollte sie dem Geliebten unter die Augen treten? In dem weißen Waschkleide von gestern? Ausgeschlossen! Die »Pelle« konnte Luise, das Mädchen, bekommen. Die war ja immer knapp. Kritischen Auges unterzog Genia den Inhalt ihrer Schränke einer eingehenden Prüfung. Dann überflog ein schelmisches Lächeln ihre frischen Züge. »Das ist das einzig richtige! Ich höre allerdings schon Mamas »aber Eugenia!« im Ohr – nu wenn schon!«

*

Unterdessen saß der Auserwählte ihres Herzens in ernstem Gespräch mit seinem Schwiegervater, dem Herrn von Puttlitz, zusammen. Dieser hatte gegen das unter so merkwürdigen Begleiterscheinungen zustande gekommene Bündnis nichts einzuwenden.

»Aber die gnädigste Schwiegermama?« meinte Cornelius zögernd, »mein etwas »freier« Beruf ...«

Der alte Herr lachte behaglich. »Meine teure Ehehälfte war anfangs allerdings sprachlos, wie du gemerkt haben wirst, lieber Woldemar. Sie warf wohl einen unabhängigen Gentlemandetektiv mit einem »Polizisten« in einen Topf. Dazu habe sie ihre Tochter nicht großgezogen. Doch deine und dann meine beruhigenden Aufklärungen haben sie von ihrer stolzen Höhe herabsteigen lassen. Sie meinte, »wenn es sich nicht um eine so gute Familie handeln würde ...«. Ich glaube, sie hofft, kraft ihrer schwiegermütterlichen Autorität, die »Krone« in der Wäsche durchsetzen zu können. Und in diesem süßen Gefühl ergab sie sich in ihr Schicksal als neugebackene Schwiegermutter.«

Cornelius lachte, insgeheim etwas befreit.

Dann sprachen die beiden Herren über die kriminelle Seite des Falles.

»... daß zwei verborgene Gänge vorhanden sind, ist mir allerdings nicht in den Sinn gekommen,« bekannte Cornelius, »ich glaubte nur an einen vom Georgenbau herüber direkt in das Turmzimmer. Das wäre aber architektonisch wohl zu schwierig gewesen. So führte der Erbauer den ersten Teil nur bis in den Keller unter uns. Der »Rüdesheimer Berg« verbarg neckisch sein Ende. Vom Keller bis in den ersten Stock mußte der »Geist« wie alle anderen Menschen die Treppe benutzen. Daß das Standbild im ersten Stockwerk einen besonderen Zugang nach oben verdeckt, hat von uns allen nur die Dogge Hektar geahnt.«

»Ja, so ein alter Kasten hat seine Geheimnisse. Darf ich dir übrigens einen Rat geben?«

»Ich bitte sehr.«

»Wir wollen meiner Frau lieber nicht eingestehen, daß Fräulein Gehse von der Alberthalle in Bernstadt ihr verkapptes Stubenmädchen und deine Vigilantin war. Ich befürchte, diese neue Belastungsprobe wäre etwas zu stark. Die junge Dame mit dem blonden Wuschelkopf, die übrigens ihre Rolle bewundernswert echt und mit großer Selbstverleugnung gespielt hat, kann sich ja das Bein nachhaltig verstauchen und muß eben deshalb aus dem Dienst scheiden.«

Cornelius errötete leicht. Zum ersten Mal in seinem Leben schämte er sich etwas.

»Ich bin dir für diesen Hinweis außerordentlich dankbar, lieber Schwiegervater,« – aber deshalb denke ich nicht daran, meinen Beruf aufzugeben, setzte er im Stillen hinzu, – »das Vertrauen meiner hochverehrten Schwiegermama möchte ich beileibe nicht wieder verscherzen. Außerdem habe ich diesmal ein Haar in den Vigilantinnen gefunden. Für meine letzte ist ja die Sache glücklich ausgelaufen. Ich sehe sie schon als niedliche Frau Dr. ing. vor mir. Aber wenn jede Vigilantin nach Erledigung eines »Falles« in der Weise abspringt, muß ich zu oft wechseln. Ich bin schließlich doch auch kein Heiratsbüro. Zugunsten des jungen Kühenmann will ich nur hoffen, daß sie das Pantöffelchen mit etwas weniger Forsche schwingt, als gestern abend die Waffe der Rache und Ueberführung.«

Lachend traten die beiden Herren an das hohe Fenster des Arbeitszimmers des Hausherrn und Cornelius wies mit der Hand auf die in der Runde liegenden Dörfer und Flecken.

»Dies ist das Gebiet, aus dem ich zum größten Teile die Unterlagen für die Lösung des Rätsels geholt habe. Das Motiv Karls, nebenbei eifriger Kommunist – was dir auch neu sein wird –, ist dort unten, nicht etwa hier oben geboren. Er bildete sich ein, zu den Nachkommen des Geschlechts zur linken Hand – ich erinnere dich an das Testament des Ahnherrn Franz Kuno von Pottlitz – zu gehören. Die Geschichte der Entstehung dieser Gutshöfe hat sich bei einem Teil ihrer Bewohner erhalten, und besonders bei den Jüngeren der Dörfler zu der Ueberzeugung verdichtet, sie hätten ein Anrecht auch auf das Stammschloß, auf die ganze Herrschaft.

Ich habe vor dem Kriege einmal für eine römische Familie gearbeitet. In dieser war eine Generation nach der anderen durch die geschickte Darstellung eines Familiengeistes aus ihrem Palazzo verjagt worden. Durch einen glücklichen Zufall gelang es mir endlich, den letzten der Verwaltergenerationen, die einfach das Haus für sich zu haben wünschten, als den Täter zu entlarven. Es fand sich auch eine Maske vor, die der Verwalter nach der Büste eines Ahnherrn sehr geschickt hergestellt hatte.

In unserem Falle ist das Motiv dasselbe gewesen.

Man wollte aber noch gründlicher Vorgehen. Ich gestehe: gesetzmäßiger. Es ging da unten nämlich das Gerede von dem Vorhandensein einer Urkunde deines Ahnherrn, in der der Anspruch auf die Herrschaft verbrieft sein solle. Das ist natürlich barer Unsinn. Karl Engelke aber, das Haupt der Unzufriedenen, wurde beauftragt, das Dokument zu suchen, und ich bin meiner beherzten Braut zu größtem Danke verpflichtet, daß sie durch ihre eigene Beobachtung mich auf diesen Weg gewiesen hat. Sie gab mir die Antwort auf die Frage: was mag der »Geist« da oben wollen?

Um bei diesem Herumstöbern nicht unliebsam gestört und ertappt zu werden, wählte er für ängstliche Gemüter diese Maskerade. Gegen beherztere schob er ganz einfach eine große, außerordentlich dicke, grünliche Glasscheibe, die er irgendwo im Gerümpel gefunden haben muß, als Schutz in die Füllung der Tür des Turmzimmers. Dort war früher eine Schiebetür gewesen, deren Falz geschickt die Holzverzierungen verdeckte. So erschien er in einem gespenstigen, grünlichen Licht und hatte außerdem die Gewißheit, daß etwaige Verfolger gegen die Glasplatte prallen würden ...«

»Also doch nicht Pfirsichbowle!« sagte sehr befriedigt Hauptmann Hintze, der während der letzten Worte in das Zimmer getreten war.

»Nein,« lachte Cornelius und bot dem Freund die Hand, »die Bowle war unschuldig an deinem Mißgeschick. Ich vermutete dies bereits am ersten Tage angesichts der Beschaffenheit deiner Verwundung.«

Nachdem der Detektiv einen Blick in sein Notizbuch geworfen hatte, fuhr er fort: »Nach dem, was mir Karl Engelke heute früh reumütig beichtete, hat er von Anfang an gewußt, daß ich nicht als harmloser Jagdgast hier weilte. Du warst nämlich so unvorsichtig, mein lieber Hintze, das Löschblatt auf deiner Schreibunterlage zu belassen, auf der du ein gewisses Telegramm an mich abgelöscht hattest. Der Junior, der mit Argusaugen alles im Hause beobachtete, brauchte in deinem Zimmer nur einen Spiegel zur Hand zu nehmen, um deinen Hilferuf an mich abzulesen. Nebenbei bemerkt hat er dann am ersten Abend, als er in deinem Arbeitszimmer so geflissentlich »lüftete«, lieber Papa, manches aufgefangen, was wirklich nicht für seine Ohren bestimmt war.«

»So ein Filou!« stöhnte der Hausherr, »und ich Ahnungsloser hab ihn damals für seinen Eifer auch noch gelobt!«

Cornelius zuckte die Achseln: »Damals ahnten wir alle nicht, was für eine Schlange du am Busen genährt hattest.« Wieder lächelte er.

Dann streifte er noch kurz den Grund, weshalb das echte Stubenmädchen Anna so heimlich und Hals über Kopf das Haus verlassen hatte. Karl war natürlich darauf bedacht, sich für die Zeit seiner Anwesenheit im Spukzimmer ein Alibi zu verschaffen, nachdem er gemerkt hatte, daß man mit Energie dem Täter nachspüre. Anna sollte auf Befragen bestätigen, daß er zu einem »Schäferstündchen« in ihrem Zimmer verweilt habe. Anstatt dies einfach abzuschlagen oder der Herrschaft zu erzählen, war sie davongelaufen. Inwieweit Drohungen des skrupellosen Dieners eine Rolle dabei spielten, hatte Cornelius nicht in Erfahrung bringen können.

»Was soll denn nun mit diesem Kerl geschehen?« meinte zuletzt Puttlitz etwas zögernd.

Cornelius blätterte in seinem Notizbuch. »Ueberlegen wir einmal, was ihm eigentlich zur Last fällt. Daß er mir nach dem Leben getrachtet hat, kann ich ihm nicht nachweisen. Er sagt, er hätte mich nur durch eine Sehnenzerrung oder etwas ähnliches nach dem Sturze vom Pferde für einige Tage an's Zimmer fesseln wollen, um mich zu hindern, seinem nächtlichen Tun nachzuspüren. Mag sein! Daß du dein verehrliches Haupt derart empfindlich gegen die Glasscheibe rennen würdest, habe er auch nicht vorausgesehen, meint er. Das ist ja Ansichtssache, läßt sich aber vom kriminalistischen Standpunkt aus hören.

Ob in dem Suchen nach der gar nicht existierenden Urkunde ein versuchter Diebstahl zu erblicken ist, darüber mag sich ein Jurist den Kopf zerbrechen. Unser verschrobener Junior wollte mich davon überzeugen, daß er wie die Tutzinger Gesellschaft ein »heiliges, unverjährbares Recht« darauf hätte, und war sehr geknickt, als ich ihm versicherte, er könne Gift darauf nehmen, daß er nach Schlössern getrachtet hätte, die im Monde liegen.

Apropos: »Gift«. Es war kein Gift, das mir mein Gegner in die Bowle getan hatte, sondern nur ein Schlafmittel. Allerdings ein ganz abscheuliches, das nicht in die Hände eines solchen Burschen gehört. Und deshalb möchte ich doch, daß sich die Gerichte näher mit seiner Persönlichkeit beschäftigen ...«

Cornelius und Hintze waren dafür, ihn dem Gericht zu überliefern. Zumal, nachdem letzterer erfahren hatte, in welcher Lebensgefahr der Freund geschwebt. Auch der Detektiv meinte, er habe bisher stets Wert darauf gelegt, solche Leute unschädlich zu machen, um die Zahl seiner persönlichen Feinde nicht noch zu vermehren.

Doch dem Hausherrn war dieser Vorschlag peinlich. Er wollte kein Aufsehen, keine Verhöre und Gerichtsverhandlungen.

»Wenn ich mir so ausmale, daß sie dann alle meine Nase mit den versammelten Tutzingern verglichen ... und dann hinterher die Preßkommentare mit den höhnischen Spitzen! Nee, nee. Ich habe mein Haus bisher reingehalten vor den Augen der Welt und will, was meine Generation betrifft, dies auch für die Zukunft so haben.«

Diese Bedenken schlugen durch und so beschloß man, auch mit Rücksicht auf den ehrenwerten und gänzlich unbeteiligten Engelke senior, für dessen ungeratenen Sprossen Gnade für Recht ergehen zu lassen. Es sollte mit der Tracht Prügel und seiner Entlassung aus dem Dienst sein Bewenden haben. Daß er auf Rache sann, war bei seiner Angst vor einer empfindlichen Strafe nicht zu erwarten.

»Also beigelegt!« sagte Cornelius und ging, seine Braut zu suchen ...

*

Im Park, gar nicht weit von der Stelle, wo einst ein aus bedrängtem Herzen kommendes Poem niedergeflattert war, fand er sie.

»Wenn ich das dumme Ding nur wieder finden würde!« murmelte sie vor sich hin und griff suchend in die Sträucher.

»Aha!« dachte er, »die Reue treibt sie umher.« Und behutsam, doch mit zärtlichen Blicken auf die Geliebte, schritt er näher. Er wollte sich waidgerecht anschleichen, wenn er auch als der »Jagdgast« entlarvt war.

Doch mit einem Male stockte sein Fuß und ein Ausruf der Ueberraschung, der Freude entfuhr ihm: Genia stand in dem Dirndelkostüm von damals, als sie sich zum ersten Male gesehen, vor ihm. Knapp umspannte das enge Mieder die hochatmende, weiche Brust. Und auf dem blonden Kopfe saß das grünseidene Mützchen. Das Mützchen, das in seinem ersten Traume auf Unzingen eine so bedeutende Rolle gespielt hatte.

Weit breitete er beide Arme aus: »Die Wannseenixe!«

Die Angerufene fuhr herum, sah ihn, bemerkte die beiden ausgestreckten Arme und tat das, was alle Bräute in solchen Augenblicken tun ...

Nach einer entsprechenden Pause sagte er mit rollenden Augen: »Heut haß ich Euch, Cornelius! – Ich habe soeben festgestellt, daß man darauf aber noch einen anderen Reim finden kann ...«

»Ich beuge meine Kniee vor deinem Spürersinn,« bekannte sie mit lieblichem Erröten.

»Und ich vor dir, meiner mutigen Gehilfin.«

Sie lachte: »Beide können wir nicht gut in die Brennesseln niederknieen. Was würde zu diesem Bilde deine Gräfin in Berlin sagen?«

»Aha!« dachte er, »sie ist ein echtes Weib. Läßt keinen Punkt aus!« »Das Perlenhalsband dieser Dame hat sich wiedergefunden. Es war falsch. Soeben erhielt ich ein Telegramm der Polizei. Ich kann daher mit Rücksicht auf meine Verzögerung umso eher mit eurem Wahlspruche sagen: »sans regret!« Habe ich doch auf Unzingen unterdessen einen echten Schmuck gefunden. Nebenbei bemerkt, die Gräfin Hanau ist gute sechzig ...« setzte er mit einem schelmischen Lächeln hinzu.

»Und ich war ein Schaf,« bekannte Genia mit edler Schlichtheit.

 

Ende.

 


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