Nikolai Gogol
Tote Seelen
Nikolai Gogol

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Fünftes Kapitel

Der Zustand unseres Helden konnte einen jammern. Ob seine Chaise gleich wie toll dahinfuhr, ob auch Nasdrjows Gutshof ihm längst aus dem Blick entschwunden war, versunken hinter Feldern, Hängen, Bodenwellen, – immer wieder schaute sich Tschitschikow mit heftigen Angstgefühlen um, als säße ihm ein grimmiger Verfolger auf den Fersen. Sein Atem ging in schweren Stößen, und legte er die Hand auf seine Brust, so fühlte er sein Herz unruhig flattern, einer Wachtel gleich, die in ein enges Bauer eingesperrt ist.

»Herrgott, das war ein Schwitzbad! Was das für ein Kerl ist!« sprach er in sich herein und wünschte seinem Freunde Nasdrjow die schlimmsten, fürchterlichsten Dinge an den Hals; sogar ein paar nicht ganz gesellschaftsfähige Worte entrannen dem Gehege seiner Zähne. Und war das denn ein Wunder? Wenn einer doch ein Russe ist und überdies solch eine Wut hat . . .! Das Abenteuer, das er glücklich noch mit heilen Knochen überstanden hatte, war ja auch nichts zum Lachen.

»Da soll einer sagen, was er will,« fuhr er in seinem Selbstgespräche fort, »wär' der Ermittlungsrichter nicht gekommen, so würde ich vielleicht die Sonne Gottes nicht mehr sehn! Verschwunden wär' ich wie ein Stein, der in das Wasser fällt und keine Spur zurückläßt, dahingegangen ohne Nachkommen, und ohne meinen künftigen Kindern Hab und Gut und einen angesehenen Namen zu vererben.«

Ja, seine künftige Nachkommenschaft lag unserem Helden sehr am Herzen.

»So ein gemeiner Schubjack von 'nem Herrn!« sagte derweil Selifan zu sich. »So einem Herrn bin ich in meinem ganzen Leben nicht begegnet. Ganz einfach in die Fresse sollte man dem spucken! Gib lieber einem Menschen nichts zu essen, einen Gaul, den mußt du richtig füttern, weil der Gaul den Hafer liebt. Das ist mal sein Proviant. Und was für uns das Essen ist, das ist für ihn der Hafer: sein Proviant.«

Und auch die Pferde schienen eine schlechte Meinung von Nasdrjow zu hegen: nicht nur der Assessor und der Braune, nein, sogar der Tigerschecke war verstimmt. Denn wenn ihm auch nach einem alten Herkommen der Hafer immer schlechter zugemessen wurde als den andern, und wenn ihm auch der wackre Selifan sein Teil nie in die Krippe schüttete, ohne dazu zu sagen: »Friß, verdammtes Luder!« – Hafer war es doch immerhin, und nicht bloß schäbiges Heu. Seine gesunden Zähne zermalmten jedes Korn mit Freuden, und oftmals streckte er sein naseweises Maul auch in die Krippen seiner Kameraden, um sich zu überzeugen, wie ihr Proviant beschaffen sei. Dies tat er ganz besonders gern, wenn Selifan gerade nicht im Stalle war. Doch gestern hatte es gar nichts als trocknes Heu gegeben, – das war doch nicht das Richtige. So fühlte sich von all den Fahrtgenossen nicht ein einziger befriedigt und vergnügt.

Bald aber sollten sie alle fünf ganz plötzlich und auf unvorhergesehne Art aus ihren unerquicklichen Betrachtungen gerissen werden. Sie alle – Selifan nicht ausgenommen – schraken erst in dem Augenblick aus einer Art von dumpfem Halbschlaf auf, als eine sechsspännige Kutsche plötzlich zwischen sie hereinfuhr. Erschrockene Frauenstimmen kreischten, und der fremde Kutscher erhob ein furchtbares Geschimpf:

»So ein verfluchter Vagabund! Hab' ich nicht laut genug geschrien: ›Rechts fahren, Rabenaas!‹ Bist du denn ganz besoffen?»

Selifan war sich sehr wohl bewußt, daß er nicht richtig acht gegeben hatte. Aber da er als echter Russe für das Eingestehen seiner Schuld vor andern gar nichts übrig hatte, warf er sein Kinn empor und murrte grob:

»Was brauchst du so zu jagen? Du hast wohl deine Augen in der Kneipe versetzt, he, oder was?«

Mit diesen Worten zog er die Leinen an, um seine Gäule zurückzuziehn und so aus der Verwicklung loszukommen; aber die Mühe war umsonst, denn die Geschirre hatten sich fest verhakt. Der Tigerschecke beschnupperte voll Wißbegier die neuen Freunde, die sich plötzlich rechts und links von ihm befanden. Die Damen in der fremden Kutsche schauten derweil mit schreckerstarrtem Blick die traurige Bescherung an. Von ihnen war die eine alt, die andere ganz jung, kaum sechzehnjährig. Die Junge hatte goldnes Haar, das hübsch und kleidsam ihren zarten Kopf bekrönte. Der feine Umriß ihres lieblichen Gesichtes rundete sich sanft gleich einem Ei und zeigte auch die klare Weiße, die ein frischgelegtes Ei hat, wenn die dunkle Hand der Magd es prüfend an das Licht hält und die hellen Sonnenstrahlen es durchdringen; die feinen Muscheln ihrer Ohren färbte das warme Licht mit einem klaren Rot. Dazu der Schrecken, der die jungen Lippen geöffnet hielt, die Tränen in den Augen, – dies alles fügte sich zu einem Bild, so voller Reiz, daß unser Held für einige Minuten den Blick nicht davon wenden konnte und deshalb all dem Kuddelmuddel von aufgeregten Pferdefüßen und dem wütenden Geschimpf der Kutscher kaum Beachtung schenkte.

»Zieh doch zurück, du nowgoroder Rindvieh!« brüllte der fremde Kutscher.

Selifan riß an den Leinen, der fremde Kutscher ebenso, die Gäule trippelten ein Stückchen rückwärts, prallten aber wieder vor und stiegen sich einander in die Stränge. Der Tigerschecke fand hierbei so lebhaftes Gefallen an den neuen Freunden, daß er am liebsten ewig in der Lage geblieben wäre, in die ein unvorhergesehenes Schicksal ihn geworfen hatte. Er legte seine Schnauze auf den Hals des rechten Nachbarn und schien ihm etwas zuzuflüstern, – sicher das allerdümmste Zeug, weil dieser fremde Gaul bloß kritisch mit den Ohren wackelte.

Inzwischen rief der Lärm des Abenteuers eine Horde Bauern aus dem Dorf zu Hilfe, das zum Glück in nächster Nähe lag. So ein Spektakel ist für den richtigen Bauern wie das reinste Himmelsmanna; daran hat er eine Freude, wie der deutsche Bürger sie an seiner Zeitung oder seinem Stammtisch hat. Im Handumdrehen stand ein Haufen Leute um die Kutsche, nur die ganz alten Weiber und die kleinen Kinder ließen sie daheim. Die Pferde wurden abgesträngt, ein paar solide Nasenstüber nötigten den Tigerschecken, sich nach rückwärts zu bewegen; kurz, die Gäule wurden voneinander losgemacht und jeder, wie es sich gehört, an seinen Platz geführt. Aber sei es, daß die fremden Pferde ob der Trennung von den neuen Freunden grollten, sei es, daß sie nur aus Bosheit bockten, – wie der Kutscher sie auch schlug, sie rührten sich ganz einfach nicht vom Fleck und standen da wie angewurzelt. Die Hilfsbereitschaft all der Bauern wuchs ins Unwahrscheinliche. Sie schrieen lebhaft durcheinander und sie überboten sich in klugem Rat.

»He, du, Andruschka, nimm das rechte Beipferd mal am Zaum; Gevatter Mitai klettert auf das Mittelpferd. Sitz auf, Gevatter Mitai!«

Gevatter Mitai, ein dürrer, hochgewachsener Kerl mit rotem Bart, erklomm das Mittelpferd und ragte in die Luft gleich einem Kirchturm, oder vielleicht noch eher gleich dem Schwengel eines Brunnens. Der Kutscher drosch auf seine Gäule ein, aber es half zu nichts: Gevatter Mitais Bemühung war umsonst.

»Halt, halt!« schrieen die Bauern. »Gevatter Mitai, setz du dich auf das Beipferd, und auf das Mittelpferd setzt sich Gevatter Minai!«

Gevatter Minai, ein breitschultriger Bauer mit kohlpechrabenschwarzem Bart und einem Bauch von so gewaltigem Umfange wie eine Teemaschine, in der der Würztrank für einen ganzen Wochenmarkt bereitet wird, war gern bereit und schwang sich auf das Mittelpferd, das sich vor seiner Schwere beinahe bis zur Erde durchbog.

»Jetzt geht es wie geschmiert!« schrieen die Bauern. »Hau zu, hau zu! Zieh dem da eins mit deiner Peitsche über, dem Falben da, – statt vorwärts geht das Luder ja zurück!«

Da sich trotz alledem der Wagen immer noch um keinen Zoll vom Platze rührte, schwangen sich Gevatter Mitai und Gevatter Minai selbander auf das Mittelpferd, Andruschka aber auf das Beipferd. Zum Schluß verlor der Kutscher die Geduld und jagte Gevatter Mitai sowie Gevatter Minai samt ihrer ganzen Sippschaft kurzgefaßt zum Teufel; und daran tat er klug, denn seine Gäule dampften, als hätten sie die ganze Strecke von einer Poststation zur nächsten in rasendem Galopp zurückgelegt, ohne ein einziges Mal in Schritt zu fallen. Er ließ sie sich noch einen Augenblick verschnaufen, dann zogen sie bereitwillig von selber an.

Inzwischen hatte Tschitschikow kein Auge von der jungen Fremden abgewendet. Ein paarmal spürte er gewaltige Lust, sie anzureden, aber zum bündigen Entschluß gedieh das nicht. Und nun waren die beiden Damen wieder fort, verschwunden war die liebliche Gestalt, verschwunden war der hübsche Kopf mit seinen kindlich feinen Zügen, verschwunden wie ein Traumbild; und was blieb, das war die Straße und die Halbchaise, das unsern Lesern wohlbekannte Dreigespann, der Kutscher Selifan und Tschitschikow, und rund um sie die flachen, öden Felder.

Jedem von uns, mag er sein Leben führen, wo er will, unten bei dem groben, durch die Armut hart gewordenen, übel riechenden und schmutzigen Pöbel oder oben in der nüchtern grauen, langweilig ordentlichen Atmosphäre unserer besseren Stände, – jedem von uns huscht einmal eine Erscheinung über seinen Weg, die ganz, ganz anders ist als alles, was er bisher gesehen hat, und die ein einziges Mal in seinem Dasein ein Gefühl weckt, das ganz anders ist als die Gefühle, zu denen er auf Lebenszeit verurteilt ist. Jedem von uns, mag unser aller Schicksal aus Leid und Schmerz gewoben sein, – jedem fällt einmal doch ein heller Strahl von Freude in das Dunkel. Das ist, wie wenn mit einen Male, plötzlich und unvermutet, ein königlicher Wagen mit sechs edeln Pferden in goldbeschlagenem Geschirr, von hellen Spiegelscheiben blitzend, durch ein armes, weltentlegenes Dörfchen rasselt, das noch niemals etwas anderes sah als kümmerliche Ackerfuhren; noch lange stehn die Bauern mit weit offenen Mäulern da und getrauen es sich nicht, die Mützen aufzusetzen, ob auch der wunderbare Wagen längst vorbei und nirgend mehr ein Schimmer von ihm zu erblicken ist. Genau so plötzlich und so unvermutet taucht diese blonde Maid in unsrer Dichtung auf und fährt vorbei und ist verschwunden. Wäre ihr statt Tschitschikow ein junger Mann begegnet, so um die Zwanzig etwa – sei es ein Husarenoffizier, sei's ein Student, sei's sonst ein frischer Bursch am Anfang seiner Bahn –, du lieber Gott, was für ein Aufruhr hätte sich in ihm erhoben, welche Gefühle, welche Stimmen wären in ihm aufgewacht! Er hätte lange wie besinnungslos an einem Fleck gestanden, er hätte ihr wie ein Verrückter nachgestarrt, vergessen hätte er so Weg wie Ziel, vergessen all die Vorwürfe, die ihm seine Verspätung bringen würde, vergessen auch sich selbst und Amt und Pflicht, vergessen diese Erde und was sonst auf ihr sein wunderliches Wesen treibt.

Doch unser Held war ein gesetzter Mann von ruhiger gewordenem, lauwarmem Temperament. Auch er verfiel in Grübelei und hing ihr eine Weile nach, doch waren dies Gedanken, die Vernunft, die Hand und Fuß besaßen. »Welch entzückendes Geschöpf!« sprach er zu sich und öffnete die Tabaksdose und schnupfte mit Genuß. »Was aber wirkt in erster Linie so furchtbar nett an ihr? – Das Reizende ist gerade, daß sie gewiß direkt aus einem Institute oder Pensionate kommt, und daß sie darum sozusagen noch gar keine Spur von dem gewissen Frauenzimmerlichen hat, das uns die Weiber meist unleidlich macht. Sie ist noch wie ein Kind, alles an ihr ist schlicht und einfach; sie sagt frei heraus, was sie sich denkt, sie lacht, wenn ihr das Lachen kommt. Aus ihr läßt sich noch alles machen, sie kann ein Wunderwesen werden oder eine blöde Gans, – und höchstwahrscheinlich wird sie eine blöde Gans. Beginnen erst die Frau Mama, die Tanten und Kusinen hier ihr Werk, dann ist sie knapp in einem Jahr so vollgestopft mit dummem Weiberkram, daß selbst ihr eigner Vater sie kaum wiederkennt. Woher stammt denn die Aufgeblasenheit und die Geziertheit bei den Weibern? Sie wird die vorgekauten Lehren in sich hineinfressen und zappeln wie ein Hampelmann an seiner Schnur; sie wird sich immer gründlich überlegen, mit wem sie sprechen und wieviel und was sie sagen darf und wie sie einen jeden ansehn muß; sie wird in ewigen Ängsten leben, daß sie nur nicht am Ende mehr sagt, als sich paßt. Und schließlich wird ihr alles das zur eigenen Natur, sie lügt ihr Leben lang, sobald sie ihren Mund nur auftut, und wird zu einem Wesen, daran im besten Fall der Teufel sein Gefallen finden mag!« Tschitschikow sah eine Weile schweigend vor sich hin; dann fuhr er fort: »Ich wüßte doch zu gern, aus was für einem Haus sie ist. Was für ein Mensch mag wohl ihr Vater sein? Ob er wohl ein solider reicher Gutsbesitzer ist, oder ein tüchtiger, ehrenfester Mann, der sich im Staatsdienst ein Vermögen erworben hat? Setzen wir einmal den Fall, das Mädel kriegte zweimalhunderttausend Rubel mit, dann wär' sie ein sehr angenehmer Bissen. Sie könnte einen ordentlichen Menschen in der Tat sehr glücklich machen.« Und diese zweimalhunderttausend Rubel gaukelten so lockend vor dem inneren Auge unseres Helden, daß sich der ganz ernstlich böse wurde, weil er während des gezwungenen Aufenthaltes nicht den Vorreiter der Fremden oder ihren Kutscher ausgeforscht hatte, wer eigentlich die Damen wären. Da aber zeigte sich schon in der Ferne der Gutshof seines Freundes Sabakewitsch, und das brachte Tschitschikow auf andere Gedanken, lenkte seinen Geist dorthin zurück, wo seines Herzens tiefste Sehnsucht lebte.

Das Gut schien ziemlich groß zu sein; ein Birkenwäldchen und ein Föhrenwäldchen rahmten den Hof zur Rechten und zur Linken ein, ganz wie ein heller und ein dunkler Flügel. Dazwischen lag das hölzerne Herrenhaus mit dem beliebten Mezzaningeschoß, mit rotem Dach und dunkelgrauen oder, um es präziser auszudrücken, ungestrichenen Wänden. Es glich den Häusern, wie man sie bei uns in Militäransiedlungen und in den Dörfern deutscher Kolonisten findet. Ganz offensichtlich hatte bei dem Bau der Architekt beständig mit den Wünschen des Besitzers kämpfen müssen. Der Architekt war ein Pedant und schwärmte für Symmetrie, der Hausherr nur für seine Bequemlichkeit. Und sicher nur aus diesem Grunde hatte er auf der einen Hälfte der Front alle normal geformten Fenster zumachen und dafür ein einzelnes ganz kleines Fensterloch durchbrechen lassen, das höchstwahrscheinlich irgendeiner sonst dunkeln Rumpelkammer Licht spendete. Das Schutzdach vor dem Eingang lag ebenfalls nicht richtig in der Mitte der Front, weil der Besitzer, trotz allen lebhaften Protesten des Architekten, die eine der im Plane vorgesehenen Säulen nicht hatte dulden wollen, so daß das Vordach statt, wie es sich gehörte, von vier Säulen, nur, jeder Regel spottend, von deren drei getragen wurde. Den Hof umgab ein fester und übertrieben plumper Palissadenzaun. Der Gutsherr hielt, das sah man, viel auf Solidität. Ställe, Scheunen, Küche waren aus schweren, dicken Balken wie für die Ewigkeit erbaut. Und auch die Bauernkaten wirkten erstaunlich dauerhaft; da gab es weder Schnitzereien noch ausgesägte Zierbretter und derlei Spielkram, aber es war alles überraschend fest und sauber gezimmert und gefugt. Sogar die Brunnenfassung war aus so kräftigen Eichenbohlen, wie man sie sonst höchstens beim Bau von Schiffen oder Mühlen zu verwenden pflegt. Kurz alles, was das Auge sah, war für die Dauer angelegt, stark, ordentlich und haltbar, wenn auch ein bißchen plump. Als Tschitschikow am Hause vorfuhr, erblickte er fast gleichzeitig zwei Köpfe, die zu verschiedenen Fenstern heraussahen: der eine war ein Frauenkopf mit einer Haube, ein Gesicht, so lang und schmal wie eine Gurke, der andre Kopf gehörte einem Mann und war so rund wie einer jener Moldauer Kürbisse, die in unserem geliebten Reußenlande zur Herstellung jener nur mit zwei Saiten bezogenen Bauerngitarren dienen, an denen unsere flinken jungen Burschen so viel Vergnügen finden. Wie keck und schmuck steht solch ein Zwanzigjähriger da, und was für Augen macht er all den Mädeln mit weißem Hals und weißer Brust, die ihn umringen, um seinem leisen Saitenspiel zu lauschen. – Die zwei Gesichter warfen jedes nur einen kurzen Blick durchs Fenster und waren dann verschwunden. Ein Diener in grauer Jacke mit blauem Stehkragen trat auf die Anfahrt und führte Tschitschikow ins Haus. Da drinnen auf dem Flur begrüßte ihn der Gutsherr in Person. Er sagte sehr lakonisch: »Bitte!« und nötigte den Gast in seine inneren Gemächer.

Wie Tschitschikow im Gehen Sabakewitsch mit einem Seitenblicke musterte, fand er ihn einem Bären von Mittelgröße zum Verwechseln ähnlich. Und zur Vollendung dieser Ähnlichkeit trug er noch einen Frack von richtigem Bärenbraun und hatte zu lange Ärmel und zu lange Hosen. Sein Gang war tappig, auch trat er seinen Nebenmenschen häufig auf die Füße. Sein blühendes Gesicht war von der Röte eines Kupferdreiers. Wohl jeder kennt die Art Gesichter, bei deren Herstellung Mutter Natur nicht lange überlegt, für die sie nichts von feinerem Handwerkszeug, wie Feilen, kleine Bohrer und dergleichen, verwendet hat. Sie sind mit wenigen kräftigen Schlägen modelliert: ein Axthieb nur, – schon steht die Nase da, ein zweiter Hieb, – schon ist der Mund vorhanden, dann mit dem Zentrumsbohrer noch zwei Löcher für die Augen; und nun nicht lange mehr gefeilt und nachgebastelt, – die große Mutter schickt ihr Werk ganz einfach in die Welt und spricht zu ihm: »Steh auf und wandle!« So einen derb und flüchtig zugehauenen Kopf besaß Herr Sabakewitsch; er trug ihn meistens leicht gesenkt und drehte ihn nicht gerne auf dem Halse hin und her; deshalb sah er den Leuten, mit denen er sich unterhielt, kaum jemals ins Gesicht, sondern schaute nur immer geradeaus, wohin es traf, ob's nun der Ofen war, die Tür, das Fenster oder sonst ein Gegenstand. Als sie im Speisezimmer waren, warf Tschitschikow von neuem einen Seitenblick auf seinen Wirt und dachte bei sich: – Der echte Bär! Ein ausgesprochener Bär! Da er mit der Gewohnheit dieses Herrn, anderen Leuten auf den Fuß zu treten, von früher her vertraut war, nahm er seine Pedale sorgfältig in acht, und hielt sich lieber hinter ihm. Übrigens schien Sabakewitsch selber sich seiner schlechten Angewohnheit wohl bewußt zu sein und sagte darum, auf Vorrat gleichsam und für alle Fälle:

»Ach, hab' ich Ihnen weh getan?«

»O keineswegs,« erwiderte Tschitschikow, »es ist bis jetzt noch nichts geschehn, weswegen man von Wehtun reden könnte.«

Im Wohnzimmer wies Sabakewitsch auf einen Lehnsessel und sagte einsilbig, wie es seine Art war: »Bitte!« Tschitschikow setzte sich und musterte die Wände und die Bilder, die dort hingen. Die Bilder stellten lauter starke Männer dar, griechische Freiheitskämpfer, die in ganzer Figur in Stahl gestochen waren: da sah man Maurokordato, in Uniform, mit roten Hosen, die Brille auf der Nase, da fehlten auch Miauli und Kanari nicht. Alle die Helden hatten so gewaltige Schenkel und so unglaublich riesenhafte Schnauzbärte, daß einem einfach das Schlottern ins Gebein fuhr. Und neben all den starken Griechen hing in dem kümmerlichsten schmalen Rähmchen, ohne daß man begreifen konnte, wie er da hingekommen wäre und was er wohl in der Umgebung wolle, Feldmarschall Bagration, dürr, dürftig, und zu seinen Füßen eine prunkvolle Trophäe aus Fähnchen und Kanönchen. An seiner anderen Seite prangte die Griechenheldin Bobelina, deren eines Bein für sich allein viel größer wirkte, als die ganze Gestalt von einem der modernen Stutzer, die sonst die Wände bürgerlicher Stuben zu verzieren pflegen. Der Hausherr, der ja selbst ein starker und gesunder Mann war, hielt wohl darauf, als Wandschmuck auch nur starke und gesunde Leute zu verwenden. Rechts von der Bobelina, dicht am Fenster, hing ein Bauer, drin eine dunkelbraune Drossel mit weißen Pünktchen schwerfällig auf und niederhüpfte, die gleichfalls stark an Sabakewitsch erinnerte. Der Hausherr und sein Gast hatten kaum zwei, drei Minuten einträchtig geschwiegen, als eine Tür sich auftat und die Dame des Hauses eintrat, eine sehr lange, schlanke Frau in einer Haube mit im Haus gefärbten Bändern. Sie nahte ernst gemessenen Schrittes und trug den Kopf so aufrecht wie ein Palmenbaum.

»Und dies ist meine Feodulia,« erklärte Sabakewitsch.

Tschitschikow küßte Frau Feodulias Hand, welche ihm übrigens fast an den Mund geschleudert wurde. Er machte dabei die Wahrnehmung, daß die Gutsfrau ihre Hände mit Gurkenwasser wusch.

»Herzchen, darf ich dir Herrn Tschitschikow vorstellen? Ich hatte das Vergnügen beim Präsidenten und beim Postmeister.«

Frau Feodulia nötigte Tschitschikow zum Sitzen, das heißt, sie sagte genau im Tonfall ihres Mannes »Bitte!« und machte eine Kopfbewegung wie eine Heldenmutter, die eine Königin zu spielen hat. Dann nahm sie auf dem Sofa Platz, zog den Merinoschal fester um ihre Schultern und rührte keine Wimper mehr.

Tschitschikow ließ wiederum die Augen wandern und bewunderte zum zweiten Mal Kanari mit den dicken Schenkeln und dem erstaunlich buschigen Schnauzbart, die Griechenheldin Bobelina und die gefangene Drossel.

Durch fünf Minuten herrschte tiefes Schweigen in dem Gemach; man hörte nur die Drossel mit dem Schnabel laut auf das Holz des Käfigbodens trommeln, wenn sie dort ihre Körner pickte. Zum dritten Male wanderten Tschitschikows Blicke durch die Stube und über alles, was sich darin befand. Jegliches Stück war sehr solid und ungeheuer plump und hatte eine gewisse ganz sonderbare Ähnlichkeit mit dem Herrn Gutsbesitzer in Person. In einer Ecke stand ein bauchiger Nußholzsekretär auf vier höchst ungefügen Füßen, – alles sah klobig und sehr unbequem aus; kurz, jeder Gegenstand, bis hin zum letzten Stuhl, schien laut zu sprechen: – Ich bin ein Stück von Sabakewitsch! Auch ich seh' Sabakewitsch zum Verwechseln ähnlich!

»Wir haben vorigen Donnerstag bei dem Gerichtsdirektor viel an Sie gedacht,« sagte zum Schlusse Tschitschikow, da scheinbar doch kein anderer die Unterhaltung zu eröffnen beabsichtigte. »Es war ein furchtbar netter Abend.«

»Ja, beim Direktor damals war ich nicht,« antwortete Sabakewitsch.

»Ein ganz famoser Mensch!«

»Wer?« fragte Sabakewitsch und musterte den Ofen.

»Nun, der Direktor doch . . .

»Na ja, mag sein, daß Sie das finden. Er ist zwar Freimaurer, aber dabei das größte Rindvieh, das die Erde je getragen hat.«

Tschitschikow erschrak ein wenig vor diesem immerhin recht scharfen Urteil, aber er faßte sich gleich wieder und sagte einschränkend:

»Natürlich, seine Fehler hat wohl jeder Mensch. Dafür ist aber der Regierungspräsident ein Mann von hohen Graden.«

»Der Präsident, – ein Mann von hohen Graden?«

»Ja, finden Sie das nicht?«

»Der schlimmste Straßenräuber von ganz Rußland!«

»Der Präsident?! Ein Straßenräuber?!« sagte Tschitschikow und konnte einfach nicht begreifen, wie denn ein richtiger Regierungspräsident unter die Straßenräuber kommen sollte. »Ich muß gestehn, das hätte ich doch nicht gedacht,« fuhr er dann fort. »Und . . . und gestatten Sie mir die Bemerkung: sein ganzes Wesen ist doch gar nicht von der Art; er hat im Gegenteil was Weiches.« Und um das zu belegen, führte unser Held die Geldbörsen ins Treffen, die ja der Präsident mit eigenen Händen häkle, und erwähnte weiter, daß er so freundlich aussähe.

»Ja, wie vom Galgen abgeschnitten!« sagte Sabakewitsch. »Geben Sie diesem Kerl ein Messer in die Hand und stellen Sie ihn in den Straßengraben, – er macht Sie kalt, er macht Sie kalt um eines einzigen Groschens willen! Der und der Vizepräsident, – die sind wie Gog und Magog.«

– Er ist wahrscheinlich übers Kreuz mit ihnen, überlegte Tschitschikow bei sich. – Sprechen wir darum lieber vom Polizeimeister, – mit dem ist er befreundet.

»Was mich betrifft,« sagte er laut, »so muß ich schon gestehen: mir gefällt von der ganzen Beamtenschaft am besten der Polizeimeister. Er ist ein grader, ehrlicher Charakter. Schon sein Gesicht hat etwas ungeheuer Biederes.«

»Ein Gauner!« sagte Sabakewitsch vollkommen kaltblütig. »Der Kerl verkauft Sie und beschwindelt Sie von vorn und hinten und setzt sich dann kühlpfeifend mit Ihnen zum Diner. Ich kenn' die Bande; die ganze Stadt ist von der gleichen Sorte: Ein Gauner sitzt dem andern auf dem Hals und schimpft den andern Gauner. Die würden ihren Herrn und Heiland für dreißig Silberlinge gern verkaufen! Der einzige anständige Kerl ist noch der Staatsanwalt; und auch der ist, wenn mans bei Licht besieht, ein Schweinehund.«

Diese gewiß sehr liebevollen, wenn auch ziemlich summarischen Charakteristiken bewiesen unserem Helden zur Genüge, daß es sich kaum der Mühe lohnen würde, noch einen von den anderen Beamten zu erwähnen. Und er erinnerte sich, mehrfach gehört zu haben, daß Sabakewitsch nicht gern gut von jemand sprach.

»Nun, Herzchen, gehn wir jetzt zum Essen?« fragte Frau Feodulia ihren Mann.

»Bitte!« sagte Sabakewitsch. Der Hausherr und sein Gast gingen zum Imbißtisch, sie tranken dort, wie sich's gehört, ein Schnäpschen und delektierten sich dann an den Dingen, an denen man sich durch das ganze weite Rußland in Dorf und Stadt nach einem Schnapse zu delektieren pflegt: an allerhand Gesalzenem, Geräuchertem und andern Appetitbissen. Als dies geschehen war, begab man sich ins Speisezimmer; an der Spitze des kleinen Zuges wallte, gleich einer würdevollen Gans, die Frau vom Hause. Die Tafel zeigte vier Gedecke. Den vierten Platz besetzte alsbald ein Wesen weiblichen Geschlechts, das ein geblümtes Kleid und keine Haube trug. Ob dieses eine Frau war oder ein Fräulein, eine Verwandte, eine Stütze, oder ganz einfach eine Hausgenossin, ließ sich auf keine Art ergründen. Es gibt so Leute, die gleichsam nicht als Gegenstand für sich auf dieser Welt vorhanden sind, sondern gewissermaßen nur als eine Art von Auswuchs oder Klecks auf einem andern Gegenstand. Sie sitzen ausdauernd am gleichen Fleck, drehen den Kopf weder zur Rechten noch zur Linken, man könnte sie beinah für ein Stück Möbel halten und sich dem Glauben hingeben, es sei noch nie ein Wort aus ihrem Mund gekommen. Hört man sie aber einmal zufällig da draußen im Gesindezimmer oder in der Vorratskammer Reden halten, – o, du heilige Mutter Gottes . . .!

»Die Suppe, liebes Herz, ist heute ausgezeichnet!« sagte Sabakewitsch und schlürfte einen Löffel Weißkohlsuppe und lud sich dazu ein Riesenstück von der Maultasche auf, dem Götteressen, das aus einem Hammelmagen, gefüllt mit Buchweizengrütze, Hirn und Schweinsfüßen besteht und eine sehr beliebte Zukost zu der Weißkohlsuppe bildet.

»So eine Maultasche,« fuhr er, zu Tschitschikow gewendet, fort, »kriegen Sie in der Stadt niemals; was einem die Gesellschaft vorsetzt, kann der Teufel nicht verdaun!«

»Aber beim Präsidenten, find' ich, ißt man doch nicht schlecht,« erwiderte Tschitschikow.

»Na, wenn Sie wüßten, lieber Freund, woraus sie das zusammenmanschen! Es würde Ihnen übel, wenn Sie's wüßten!«

»Nun ja, die Zubereitung kenn' ich natürlich nicht; aber die Schweinekoteletts und auch der Fisch, – das war ganz ausgezeichnet.«

»Das glauben Sie vielleicht. Ich weiß es doch: die kaufen auf dem Markt ein; und der Halunke von einem Koch – bei 'nem Franzosen hat der Schuft gelernt –, der kauft kaltblütig eine Katze und zieht sie ab und bringt sie frech als Hasen auf den Tisch.«

»Pfui nein, du immer mit deinen unappetitlichen Geschichten!« sagte Frau Sabakewitsch.

»Wieso denn, Herzchen? So machen sie es doch. Ich kann ja nichts dafür, – so machen sie es alle. Jeden Abfall, das Zeugs, das unsere Akulina, mit Respekt zu sagen, in den Mülleimer schmeißt, – das kommt bei ihnen in die Suppe, 'rein in die Suppe! 'rein damit!«

»Daß du so was immer bei Tisch erzählen mußt!« entgegnete Frau Feodulia.

»Ja, liebes Herzchen,« sagte Sabakewitsch, »wenn ich das selber machen würde . . .! Aber ich sage dir doch gerade laut und deutlich: ich esse keine Ferkeleien! Froschschenkel kannst du mir mit Zuckerguß servieren, ich nehm' sie überhaupt nicht in den Mund, auch Austern nicht, – ich weiß, woran ich bei Austern denken muß. – Versuchen Sie mal diesen Hammelbraten!« fuhr er, zu Tschitschikow gewendet, fort. »Hammelbraten mit Grütze. Das ist was andres als das Hammelfrikassee, das man in Herrschaftshäusern kocht, und wo das Fleisch dazu vorher vier Tage auf dem Markt herumliegt. Das haben sich bloß diese neunmalweisen Deutschen und Franzosen ausgedacht, – aufhängen möchte ich die Bande doch dafür! Das Neueste ist jetzt Diät, – Hunger soll wohl gesund sein? Weil ihre deutsche Konstitution so traurig ist, glauben sie gleich, sie können auch den Magen eines Russen auf die Art behandeln! Nein, das ist nicht das Wahre, ist bloß ausgedachtes Zeug, bloß . . .« Hier schwang sich Sabakewitsch wahrhaftig dazu auf, ergrimmt den Kopf zu schütteln. »Aufklärung, sagen sie, Aufklärung . . .! Nein! Gepfiffen ist auf die Aufklärung! Ich wüßte noch ein ganz andres Wort dafür; aber bei Tisch paßt sich das nicht. Bei mir geht's richtig zu. Gibt's Schweinebraten, so muß das ganze Schwein auf meinen Tisch, gibt's Hammelbraten, dann der ganze Hammel, gibt's Gänsebraten, – her nur mit der ganzen Gans. Lieber bloß zwei Gerichte, aber davon auch genug, soviel das Herz begehrt.« Und Sabakewitsch bekräftigte den Standpunkt, den er einnahm, durch die Tat: er lud sich gleich den halben Hammelbraten auf den Teller und ließ davon nichts übrig; auch der letzte Knochen wurde abgenagt und abgelutscht.

– Ja, dachte Tschitschikow, der weiß, was gut ist.

Sabakewitsch wischte sich die Finger an der Serviette ab und sagte:

»Bei mir ist's anders. Ich bin nicht wie dieser Pluschkin. Der Kerl hat gut achthundert Seelen im Vermögen; und essen tut er schlechter als mein Kuhhirt.«

»Wer ist denn Pluschkin?« fragte Tschitschikow.

»Ein Gauner,« antwortete Sabakewitsch. »Der größte Filz, den man sich denken kann. Die Sträflinge im Zuchthaus leben besser als der Narr. All seine Leute sterben ihm vor Hunger.«

»Ist's wahr?« so fiel ihm Tschitschikow sehr interessiert ins Wort. »Ihm sterben also viele Leute, sagen Sie?«

»Sie sterben wie die Fliegen.«

»Ach was? Nein? Wie die Fliegen? – Gestatten Sie die Frage: wohnt er weit von hier?«

»Fünf Werst.«

»Fünf Werst!« rief Tschitschikow und fühlte sein Herz geschwinder klopfen. »Und wenn man hier bei Ihnen aus dem Tor kommt, – fährt man dann rechts hinüber oder links?«

»Ich rate Ihnen ganz entschieden ab, mich auch nur nach dem Weg zu diesem Schweinehund zu fragen!« sagte Sabakewitsch. »Da ist es eher zu verzeihen, wenn einer in ein schlechtes Haus geht, als zu dem . . .

»Nein, nein, ich frage nicht, weil ich am Ende . . .« rief Tschitschikow. »Ich frage nur aus . . . aus reinem topographischen Interesse.«

Dem Hammelrücken folgten Quarkkuchen, jeder größer als ein Teller, und diesen dann ein Puter von der Größe eines mittleren Kalbes, der mit einer Menge von Herrlichkeiten in höchst leckerem Gemisch gefüllt war: gehackten Eiern, Reis, Geflügellebern, und weiß der liebe Gott, was man ihm sonst noch in den sehr geräumigen Bauch gestopft hatte. Mit diesem Vogel schloß das Mittagessen; doch als man aufstand, fühlte sich Tschitschikow um reichlich ein Pud schwerer als vorher. Sie gingen in die Wohnstube hinüber; und dort erwartete sie schon ein Schälchen Kompott, das weder aus Birnen, noch aus Pflaumen, noch aus irgendwelchen Beeren bestand, dem zuzusprechen übrigens der Hausherr und sein Gast verschmähten. Frau Feodulia ging hinaus, um weiteres Kompott zu holen. Tschitschikow benutzte ihre Abwesenheit, um auf sein Anliegen zu kommen. Sabakewitsch lag schwer in einen Lehnstuhl hingegossen, er konnte nur noch stöhnen nach der gründlichen Sättigung; zuweilen drangen sonderbare, sonst in Gesellschaft lieber unterdrückte Geräusche aus seinem Mund, dann schlug er schnell ein Kreuz darüber und hielt sofort manierlich seine Hand vor. Und Tschitschikow begann:

»Ich hätte gern mit Ihnen von etwas Geschäftlichem gesprochen.«

»Da ist auch noch Kompott,« sagte die Hausfrau, die gerade wieder mit einem Schälchen in das Zimmer trat. »Rettich, in Honig eingekocht!«

»Später!« erwiderte Sabakewitsch. »Geh du jetzt in dein Zimmer! Herr Tschitschikow und ich, wir ziehn die Fräcke aus und halten eine kleine Siesta!«

Die Hausfrau erbot sich, Pfühle und Kissen herzuschaffen, ihr Gatte aber sagte:

»Laß! Wir halten unsere Siesta so, im Lehnstuhl ab!«

Die Hausfrau ging.

Sabakewitsch neigte den Kopf ein bißchen schief vor und war bereit, zu hören, um was für ein Geschäftchen es sich handle.

Tschitschikow holte weit aus und sprach zuerst vom russischen Reich im allgemeinen. Rühmend hob er die gewaltige Größe Rußlands hervor und stellte fest, daß selbst das alte Rom zur Kaiserzeit bei weitem nicht so groß gewesen sei, und daß ein jeder Reisende von auswärts drüber staune, und dies mit vollem Recht . . . (Sabakewitsch horchte sehr aufmerksam, mit schief geneigtem Kopf.) Nun gäbe es in diesem großen Reiche, dem sich an Ruhm kein anderes Land vergleichen ließe, nach dem bestehenden Gesetz die Vorschrift, daß leibeigene Bauern, also Seelen, die schon den Erdenschauplatz ihres Wirkens verlassen hätten, dennoch bis zur Anlegung einer neuen Revisionsliste genau wie Lebende zu zählen wären. Der Grund dafür sei klar: man wolle den staatlichen Behörden auf die Weise eine Fülle von kleinlichen und überflüssigen Buchungen ersparen, um die schon ohnehin vorhandene Kompliziertheit des amtlichen Apparates nicht bis ins Uferlose zu erweitern . . . (Sabakewitsch horchte noch immer sehr aufmerksam, mit schief geneigtem Kopf.) Aber so berechtigt diese Vorschrift nun auch sein möge, sie schlösse doch für viele Gutsbesitzer gewisse Härten in sich, da sie sie ja verpflichte, hier die Steuern ganz genau so weiter zu entrichten wie für ihren wirklich lebenden Besitz, und darum sei er, Tschitschikow, aus Hochachtung für seinen liebenswürdigen Wirt und in Erwägung dessen, daß die Verpflichtung zu solcher Steuerzahlung wirklich eine schwere Last bedeute, gern bereit, sie wenigstens zu einem Teil auf sich zu nehmen. Über den Hauptpunkt äußerte sich unser Held mit großer Vorsicht und Zurückhaltung: er sprach kein einziges Mal von »toten« Seelen, sondern stets nur von »nicht existenten«.

Sabakewitsch hörte ihm die ganze Zeit mit schief gesenktem Kopfe zu, ohne ein Glied zu rühren. Nicht eine Spur von Ausdruck zeigte sein Gesicht. Entweder fehlte diesem Menschen überhaupt die Seele, oder wenn er am Ende doch eine besaß, so hielt sie sich wohl kaum an dem ihr angewiesenen Platze auf, sondern, wie es von jenem Mann im Märchen heißt, irgendwo über den sieben Bergen. Und außerdem war diese Seele dann von einer so dicken Panzerhaut umschlossen, daß nichts, was tief in ihrem Innern vor sich ging, das Äußere auch nur kräuseln konnte.

»Also, und da . . .?« schloß Tschitschikow und sah mit einiger Unruhe der Antwort seines Gastgebers entgegen.

»Sie brauchen tote Seelen?« fragte Sabakewitsch schlicht und ruhig und nicht im mindesten erstaunt, – als ginge es um einen ganz normalen Kornverkauf.

»Ja . . .« sagte Tschitschikow und fügte, um den Ausdruck wieder ein klein wenig abzuschwächen, hastig hinzu: »Nicht existente . . .«

»Werden schon welche da sein; warum nicht?« erwiderte Sabakewitsch.

»Nun ja, und wenn nun welche da sind, so wird es Ihnen ohne Zweifel . . . willkommen sein, sie loszuwerden?«

»O, bitte sehr! Ich wäre nicht abgeneigt, sie zu verkaufen,« sagte Sabakewitsch. Dabei hob er den Kopf um eine Kleinigkeit. Er hatte keinen Zweifel daran, daß der Käufer bei dem Geschäftchen schon auf irgendeine Weise seine Rechnung finden müßte.

– Teufel noch einmal! dachte Tschitschikow bei sich. – Er spricht schon von Verkaufen, bevor ich einen Ton davon gesagt hab'! – Laut aber fügte er hinzu:

»Was haben Sie sich denn für einen Preis gedacht? Obgleich ja diese Ware schließlich nach ihrer ganzen Beschaffenheit . . . Es ist beinahe sonderbar, da überhaupt von einem Preis . . .«

»Weil Sie es sind, geb' ich sie billig,« sagte Sabakewitsch. »Bloß hundert Rubel für das Stück.«

»Was? Hundert Rubel?« rief Tschitschikow; er blieb mit offnem Munde sitzen und starrte seinen Wirt entgeistert an. Er war im Zweifel: hatte er falsch gehört, oder hatte des tappigen Sabakewitsch Zunge aus lauter Ungewandtheit statt dessen, was er sagen wollte, versehentlich ganz etwas anderes hervorgebracht.

»Ja, finden Sie das teuer?« fragte Sabakewitsch und fuhr nach einer kleinen Pause fort: »Was hatten Sie sich denn gedacht?«

»Ich? – Ja, mir scheint, es waltet da ein Irrtum, und wir verstehn einander nicht und haben ganz vergessen, um was für Ware es sich dreht. Ich biete Ihnen, Hand aufs Herz, achtzig Kopeken für die Seele, – das ist das höchste, was ich geben kann!«

»Na, das ist heiter, – achtzig Kopeken, ausgerechnet!«

»Ja, ich seh' einfach gar nicht ein, wie's möglich sein soll, mehr zu zahlen.«

»Sie wollen doch nicht Bastpantoffeln von mir kaufen.«

»Aber, das geben Sie wohl selber zu, es sind doch auch nicht Leute, die ich kaufen will?«

»So, und Sie glauben wohl, Sie werden einen Dummen finden, der Ihnen eine ordnungsmäßig eingetragene Seele um einer Zwanziger verkauft?«

»Aber gestatten Sie, was heißt in diesem Fall denn ordnungsmäßig eingetragen? Die Seelen selber sind doch längst gestorben; was noch von ihnen übrig ist, ist leere Luft, die keiner fassen kann. – Aber, um längere Erörterungen zu vermeiden, – gut: einen Rubel fünfzig zahl' ich für das Stück. Mehr kann ich nicht.«

»Sie sollten sich wahrhaftig schämen, solch eine Ziffer auch nur auszusprechen! Was soll das Schachern? Sagen Sie mir Ihren genauen Preis!«

»Ich kann doch nicht, Herr Sabakewitsch; auf Ehre und Gewissen: nein, ich kann nicht! Was nicht zu machen ist, ist nicht zu machen,« sagte Tschitschikow, legte dann aber doch noch einen halben Rubel drauf.

»Daß Sie so schachern mögen!« sagte Sabakewitsch. »Es ist gewiß nicht teuer! Ein anderer Halunke betrügt Sie vorn und hinten und hängt Ihnen statt richtiger Seelen bloß den allergrößten Dreck auf. Bei mir bekommen Sie 'ne ausgesuchte Ware, wie Nüsse, – keine taub und hohl. Und ist der eine oder andre vielleicht auch kein gelernter Handwerker; ein kräftiger, gesunder Bauer ist jeder mindestens. Bedenken Sie doch nur: da ist zum Beispiel der Stellmacher Michejew. Der hat ja überhaupt nichts andres wie gefederte Kaleschen gebaut. Und nicht etwa diese gewisse moskauer Arbeit, die nur von zwölf bis Mittag hält, – nein, gute und solide Wagen. Und hat sie dazu noch selber gepolstert und lackiert!«

Tschitschikow tat seinen Mund auf, um bescheiden einzuwenden, daß der tüchtige Stellmacher aber längst nicht mehr auf Erden wandele; doch Sabakewitsch war nun einmal, wie man zu sagen pflegt, im Schuß und zeigte sich plötzlich wortgewandt und höchst beredt.

»Und Stepan Probka, der Zimmermann? Ich wette meinen Kopf, daß Sie nie wieder so einen Arbeiter auf Erden finden. Und eine Kraft hat er gehabt! Der hätte in der Garde dienen müssen, – dort wär' er erst etwas geworden: der Kerl maß sechseinhalb Fuß in den Schuhen!«

Und wieder wollte Tschitschikow erwidern und bemerken, daß ja auch Probka nicht mehr auf der Erde wandle; doch Sabakewitsch's Redestrom war nicht zu hemmen; er stürzte so ungestüm hervor, daß man nur horchen konnte.

»Und dann Miluschkin! Der war nun ein Töpfer und konnte in dem feinsten Haus die Öfen setzen! Und erst der Schuster Maxim Teljätnikow: ein Stich mit seiner Ahle, dann stand schon ein Paar Stiefel fertig da, und was für Stiefel! Und trank dazu noch keinen Tropfen Schnaps. Dann noch Jeremé Sorokoplochin! Der ist allein schon soviel wert, wie alle anderen zusammen: er war in Moskau Krämer und hat allein im Jahr fünfhundert Rubel Erbzins an mich gezahlt. Das nenn' ich Leute! Das ist etwas andres, als was so ein Filz von Pluschkin zu verkaufen hat.«

»Aber gestatten Sie,« sagte nun endlich Tschitschikow, mächtig erschüttert von dem Redeschwall, der gar kein Ende finden wollte, »warum erläutern Sie mir ihre Vorzüge so lebhaft? Das kann mir alles gar nichts nützen, weil doch die Leute tot sind. Ein lebendiger Pudel ist stärker als ein toter Löwe, sagt ein Sprichwort, das Sie kennen werden.«

»Ja, allerdings . . . tot sind sie,« sagte Sabakewitsch, als fiele es ihm gerade wieder ein, daß sie ja in der Tat gestorben waren; aber er fügte gleich hinzu: »Doch muß man eins bedenken: was hat man schließlich von den Leuten, die da heutzutag' noch leben? Was sind das für Kerle? Fliegen bloß und keine Menschen!«

»Ja, aber, sie sind doch existent; die andern sind ein Traum.«

»Nein, nein, durchaus kein Traum! Ich sage Ihnen: Michejew war ein Kerl, wie Sie ihn nirgends wieder finden. Eine Maschine von 'nem Menschen: er ging nicht hier in dieses Zimmer, – so groß war er. Nein, nein, der war kein Traum! Und in den Schultern hat er eine Kraft gehabt wie nicht der stärkste Gaul. Da wär' ich neugierig, wo Sie so einen Traum zum zweiten Male finden!«

Mit diesen Worten wendete sich Sabakewitsch schon gar nicht mehr an Tschitschikow, sondern an die Porträts von Bagration und Kolokotroni droben an der Wand. Das findet man ja oft bei solchen Unterhaltungen: ganz plötzlich und ohne irgendeinen vernünftigen Grund wendet sich der, der gerade spricht, nicht mehr an den, mit dem er verhandeln muß, sondern an irgendeinen dritten, der zufällig hereinkommt, an einen gänzlich Unbekannten, von dem er keine Antwort, keine Meinung über die Angelegenheit und keine Zustimmung erwarten kann. Und dennoch heftet er den Blick auf ihn, als riefe er ihn zum Vermittler auf, während der höchst verblüffte Fremde im ersten Augenblick nicht weiß, ob er etwas zu einer Sache sagen soll, von der er keine Ahnung hat, oder ob er anstandshalber einen Augenblick Halt machen und sich dann schnell drücken soll.

»Mehr als zwei Rubel für das Stück kann ich nicht zahlen,« erklärte Tschitschikow.

»Nun also, bitte: damit Sie mir ja nicht den Vorwurf machen können, ich verlangte zuviel und wollte Ihnen nicht gefällig sein, so sagen wir denn: fünfundsiebzig Rubel für die Seele, – ich tu's wahrhaftig nur aus Freundschaft.«

– Ja, Himmel, dachte Tschitschikow bei sich, hält er mich denn für blödsinnig? – Laut fügte er hinzu:

»Ich find' es wirklich komisch. Führen wir denn zusammen ein Theater auf? Sonst kann ich es wahrhaftig nicht verstehn. Sie scheinen mir doch ein gescheiter Mann zu sein, mit Kenntnissen und hoher Bildung. Die Ware ist doch sozusagen – huit! Was ist sie schließlich wert? Wer kann sie brauchen?«

»Sie wollen sie ja kaufen. Also brauchen Sie sie wohl.«

Tschitschikow biß sich auf die Lippe und wußte nicht, was er erwidern solle. Er murmelte irgend etwas von Familienverhältnissen und ganz besonderen privaten Umständen, Sabakewitsch aber erwiderte ihm schlicht und sachlich:

»Ich kümmre mich nicht um Ihre privaten Umstände, und in Familienverhältnisse misch' ich mich prinzipiell nicht ein, – das ist ganz Ihre Sache. Sie brauchen Seelen, und ich verkauf' sie Ihnen; es wird Ihnen noch einmal leid tun, wenn Sie nicht zugreifen.«

»Zwei Rubel,« sagte Tschitschikow.

»Nein, aber wirklich! Der Kuckuck ruft nur immer ›Kuckuck‹, heißt's im Sprichwort. Jetzt reiten Sie auf den zwei Rubeln 'rum und wollen absolut nicht weg davon. Sagen Sie den genausten Preis!«

– Den Kerl soll doch der Teufel holen! dachte Tschitschikow bei sich. – Na dann, in Gottes Namen, legen wir ihm noch einen halben Rubel drauf, dem Schweinehund, als Trinkgeld!

»Also meinetwegen: zweieinhalb.«

»Gut, dann sag' ich Ihnen auch mein letztes Wort: fünfzig Rubel! Ich zahl' wahrhaftig drauf dabei. Billiger kaufen Sie Leute von dieser Qualität wohl in der ganzen Welt nicht mehr.«

– So 'n Raffsack! sagte Tschitschikow zu sich und fuhr dann laut und ziemlich gereizten Tones fort:

»Ja aber, ich möchte wirklich wissen . . .! Sie tun, als ob es sich hier wirklich um eine ernste Sache drehte! Anderswo krieg' ich sie doch überhaupt umsonst. Jeder vernünftige Mensch gibt sie mir mit Vergnügen, nur um sie loszuwerden. Man muß doch ein Narr sein, wenn man sie durchaus behalten will, nur um die Steuern weiterzubezahlen!«

»Ja, ja, bedenken Sie denn aber auch, daß solche Schiebungen – ganz unter uns gesagt, ich bin Ihr Freund, nicht wahr –, daß solche Schiebungen nicht eigentlich gestattet sind? Und wenn ich nun . . . oder wenn, sagen wir, ein andrer davon reden wollte, so würde man wohl einem Mann, der solche Geschäfte macht, nicht grade viel Vertrauen schenken, nicht gern Kontrakte mit ihm schließen. Vertrauen ist ein wichtiges Ding, wenn einer gute Geschäfte machen will.«

– Ach, so willst du mir kommen, Schuft du! dachte Tschitschikow und antwortete, schnell gefaßt und äußerlich eiskalt:

»Ganz wie Sie wollen, lieber Herr! Ich kauf' die Seelen nicht, weil ich sie dringend brauchte, wie Sie zu glauben scheinen, sondern nur so . . . aus einer Art von – fixer Idee, weil es mir Spaß macht. Sie geben sie mir nicht für zweieinhalb, – also: adieu!«

– Den kriegt man nicht herum, der Kerl ist zäh wie Leder! dachte Sabakewitsch.

»Na, denn in Gottes Namen! Geben Sie mir dreißig für das Stück und werden Sie glücklich damit!«

»Nein, nein, ich seh', Sie wollen sie mir nicht verkaufen. Adieu!«

»Nein, bitte, bitte!« sagte Sabakewitsch; er hielt des andern Hand fest und – trat ihm auf den Fuß. Unser Held hatte vergessen, sich in acht zu nehmen, und mußte diesen Leichtsinn büßen. Er wimmerte vor Schmerz und hüpfte auf einem Bein herum.

»Bitte sehr um Entschuldigung! Ich habe Ihnen doch nicht weh getan? Bitte, setzen Sie sich dort auf den Stuhl! Ach, bitte schön!« Sabakewitsch drückte seinen Gast in einen Sessel nieder und entwickelte dabei sogar eine gewisse Geschicklichkeit, so etwa wie ein Bär, der schon ein bißchen Dressur genossen hat, ein bißchen tanzen kann und weiß, wie er sich zu benehmen hat, wenn man ihn fragt: »Du, Petz, wie machen es die alten Weiber, wenn sie im Dampfbad sind?« oder: »Du, Petz, wie machen es die Kinder, wenn sie Nüsse stehlen?«

»Nein, ich versäume meine Zeit umsonst; ich habe wirklich keine Zeit.«

»Ein Augenblickchen bleiben Sie noch sitzen! Ich sage Ihnen was, was Ihnen sicher Freude macht.« Sabakewitsch setzte sich dicht neben Tschitschikow und flüsterte ihm tief geheimnisvoll ins Ohr: »'nen weißen Lappen!«

»Wie? Sie meinen: fünfundzwanzig? Nein, ganz ausgeschlossen! Auch nicht vier Stück für einen weißen Lappen! Keinen Groschen mehr, als ich gesagt hab'!«

Sabakewitsch saß eine Weile stumm. Auch Tschitschikow saß eine Weile stumm. Der Feldmarschall Bagration schielte über seine Adlernase weg sehr aufmerksam auf die Beratung nieder.

»Und was ist denn Ihr äußerstes Gebot?« fragte zum Schlusse Sabakewitsch.

»Zweiundeinhalb.«

»Wahrhaftig, 'ne gebrühte Rübe und 'ne Menschenseele, – das ist für Sie wohl Topf wie Deckel? Geben Sie wenigstens drei Rubel!«

»Kann nicht.«

»Mit Ihnen ist nichts anzufangen. In Gottes Namen denn! Ich zahl' ja drauf bei der Geschichte, aber ich bin nun mal so hundemäßig dumm: aus lauter Nächstenliebe bring' ich es einfach gar nicht fertig, nein zu sagen. – Ja aber, wie, man wird die Sache wohl verbriefen müssen, damit sie ihre Ordnung hat?«

»Ja. Selbstverständlich.«

»Ja ja, so so; da muß man also in die Stadt.«

So waren sie denn glücklich einig. Sie machten ab, sich gleich am nächsten Tage in der Stadt zu treffen und die Verbriefung zu vollziehen. Tschitschikow bat noch um eine Liste der Seelen; Sabakewitsch ging bereitwillig an seinen Sekretär und machte sich eigenhändig an die Abfassung des gewünschten Verzeichnisses. Er führte darin nicht nur die Namen der Bauern auf, sondern fügte bei jedem auch noch seine besondern Vorzüge hinzu.

Tschitschikow aber unterhielt sich, da er nichts anderes zu beginnen wußte, mittlerweile damit, des Gutsherrn Kolossalgestalt von hinten zu betrachten. Der Anblick dieses Rückens, der so breit war wie der Rücken eines schweren wjätkaer Arbeitspferdes, und der Beine, die an die eisernen Prellpfosten denken ließen, die man an Straßenecken auf den Trottoirrand stellt, – dies ganze Bild entriß ihm innerlich die Worte:

– Mit dir hat es der liebe Herrgott gut gemeint! Hier paßt einmal das Wort: schlecht zugeschnitten, aber fest genäht! – Bist du schon so als Bär geboren, oder hat dich erst dies Leben bei den Hinterwäldlern dazu gemacht, der Ackerbau, der Umgang mit den Bauern? Bist du erst durch den Lebenskampf zu dem geworden, was man einen richtigen Raffsack nennt? – Ach nein: ich glaube, du wärst genau der gleiche, wenn man dich modisch erzogen und dann hätte laufen lassen, wenn du in Petersburg zu Hause wärst, und nicht hier bei den Hinterwäldlern. Der ganze Unterschied ist, daß du dir jetzt auf einen Quarkkuchen von Tellergröße noch einen halben Hammelrücken mit Grütze in den Magen schlägst, und daß du dort statt dessen Koteletts mit Trüffeln essen würdest. Die Leute, über die du hier befiehlst, sind Bauern: du gehst mir ihnen leidlich um und drückst sie nicht zu sehr, weil sie ja dir gehören und es darum dein eigner Schaden wäre; dort in der Stadt, da würdest du statt dessen über ein Schock Beamte herrschen, die du ganz anders kneifen könntest; sie wären eben nicht dein Eigentum. Und wie du da den Staat beschummeln würdest! Nein, wem die raffige Faust mal angeboren ist, der zeigt nie eine offene Hand! Und biegst du ihm gewaltsam einen oder zwei von seinen Fingern grade, – das macht die Sache nur noch schlimmer. Wenn so einer nur oberflächlich an irgendeiner Wissenschaft geschnuppert hat, dann läßt er, falls er an einem hohen Posten steht, es die schon fühlen, die wirklich etwas von der Wissenschaft begriffen haben. Er sagt wohl schließlich gar: »Hier muß ich mich mal zeigen!« und brütet dann der ganzen Welt zum Trotz eine so geistreiche Verordnung aus, daß es gar manchem sauer aufstößt . . . Lieber Gott, wenn doch nur alle diese Raffsäcke . . .!

»So, das Verzeichnis hätten wir!« erklärte Sabakewitsch und wendete sich um.

»Schon fertig? Darf ich's einmal sehn?« Tschitschikow überflog es mit den Augen und war erstaunt über die schöne Schrift und die vorbildliche Genauigkeit: da waren nicht nur ganz ausführlich Handwerk, Beruf und Alter und Familienstand verbucht, sondern es standen in einer eigenen Rubrik auch noch Notizen über Führung und Nüchternheit, – kurz, es war eine Freude, diese Liste zu studieren.

»Jetzt dürfte ich wohl um ein kleines Handgeld bitten?« sagte Sabakewitsch.

»Wozu brauchen Sie denn Handgeld? Sie kriegen in der Stadt die ganze Summe auf einmal.«

»Es ist doch üblich,« sagte Sabakewitsch.

»Ich weiß nicht, wie ich's machen soll: ich hab' kein Geld bei mir. No ja, zehn Rubel, wenn Sie wollen . . .«

»Ach, zehn . . .! Ich finde, fünfzig wär' doch das wenigste!«

Tschitschikow versuchte Ausflüchte zu machen: er hätte nicht so viel bei sich. Doch Sabakewitsch erklärte mit Bestimmtheit, er hätte Geld genug. Da blieb ihm denn nichts übrig, als noch einen Schein hervorzuholen und zu sagen:

»Nun gut, hier sind noch fünfzehn, – in Summa also fünfundzwanzig. Schreiben Sie mir eine Quittung!«

»Was brauchen Sie denn eine Quittung?«

»Ja, wissen Sie, es ist mir sicherer. Für alle Fälle, – man weiß nie, was passiert.«

»Schön, geben Sie mir erst das Geld!«

»Wieso? Ich hab' es hier in der Hand! Sobald Sie mir die Quittung geben, bekommen Sie es gleich.«

»Gestatten Sie, wie soll ich denn quittieren? Ich muß doch erst das Geld gesehen haben.«

Tschitschikow gab also die fünfundzwanzig Rubel her. Sabakewitsch ging an den Tisch, bedeckte die Scheine mit der linken Hand und bestätigte mit seiner Rechten auf einem Stück Papier, daß er a conto der verkauften Seelen fünfundzwanzig Rubel in Reichskassenscheinen bar und richtig empfangen hätte. Als er mit seiner Quittung fertig war, musterte er die Banknoten noch einmal sehr eingehend.

»Der eine Schein ist ziemlich abgenutzt,« bemerkte er und hielt ihn prüfend an das Licht. »Auch da am Rand ein bißchen eingerissen. Na aber, unter Freunden nimmt man's nicht so genau.«

– Raffsack, verfluchter! dachte Tschitschikow bei sich. – Ein Raffsack bist du, und dazu ein Luder!

»Weibliche Seelen wollen Sie nicht kaufen?«

»Nein, danke.«

»Sie würden sie sehr billig kriegen. Weil Sie es sind, bloß einen Rubel für das Stück.«

»Nein, Weiber brauch' ich nicht.«

»Nun, wenn Sie keine brauchen, hat das Reden nicht viel Zweck. Denn über den Geschmack läßt sich nicht streiten: der eine schwärmt für den Pfarrer, und der andre für die Pfarrerin, wie es im Sprichwort heißt.«

»Ich wollte Sie noch bitten, daß diese Sache unter uns bleibt,« sagte Tschitschikow bei der Verabschiedung.

»O, das versteht sich doch von selbst. Das geht ja keinen Dritten etwas an. Was zwei intime Freunde als Ehrenmänner miteinander vereinbaren, läßt man am besten in der Freundschaft. Adieu! Und vielen Dank für den Besuch! Kommen Sie bald wieder, wenn Sie gelegentlich nichts Besseres vorhaben, zum Mittagessen und auf einen vergnügten Nachmittag. Vielleicht kann man sich bei Gelegenheit auch wieder einmal einen Dienst erweisen.«

– Da darfst du lange warten! dachte Tschitschikow und stieg in seinen Wagen. – Zweieinhalb Rubel quetscht der Kerl mir ab für eine tote Seele, der verdammte Raffsack!

Er konnte das Verhalten des Herrn Sabakewitsch nur auf das ernsteste mißbilligen. Mochte man die Sache nun drehn und wenden, wie man wollte: sie waren doch Bekannte und hatten sich beim Präsidenten und beim Polizeimeister getroffen; und nun behandelte der Kerl ihn ganz wie einen Fremden und luchste ihm für solchen Dreck so einen Haufen gutes Geld heraus! – Als dann der Wagen durch das Tor fuhr, wendete unser Held den Kopf: ah, Sabakewitsch stand wahrhaftig immer noch auf seiner Anfahrt und versuchte scheinbar zu ergründen, wohin sein Gast von ihm aus führe.

»Steht er noch immer da, der Schuft!« murmelte Tschitschikow und befahl Selifan, einzubiegen, damit die Bauernkaten seinen Wagen gegen die Sicht vom Herrenhause deckten. Er wollte den Herrn Pluschkin aufsuchen, bei dem nach Sabakewitschs Angaben die Leute wie die Fliegen starben. Aber das brauchte Sabakewitsch nicht zu wissen.

Als sie schon zwischen den letzten Hütten des weitgedehnten Dorfes waren, kam keuchend ein Bäuerlein des Weges daher, das irgendwo da draußen einen gewaltigen Balken aufgelesen hatte. Das eine Ende lastete auf seiner Schulter, das andre schleifte hinter ihm am Boden. So zog er gleich einer emsigen Ameise mit seiner Bürde heimwärts.

»He, Graubart,« rief Tschitschikow, »wo geht der Weg zu Pluschkin? Ich möchte aber nicht am Herrenhaus vorbei.«

Verständnislos sah ihn der Bauer an.

»Weißt du es nicht?«

»Nein, gnädiger Herr.«

»Ach du! Das Haar wird grau, der Kopf – nicht schlau! Du kennst den Pluschkin nicht, den Filz, der seine Leute hungern läßt?«

»Ah, der geflickte, der geflickte . . .!« rief der Bauer. Er fügte zu dem Partizipium noch ein Hauptwort; da aber dieses Wort, so treffend es gewählt war, in feineren Gesellschaftskreisen nicht in den Mund genommen werden darf, markieren wir es lieber durch drei Pünktchen. Wie sicher es den Nagel auf den Kopf traf, sieht man daraus, daß Tschitschikow, nachdem der Bauer längst verschwunden und weit zurückgeblieben war, sich immer noch vor Lachen bog.

Welch eine Kraft des Ausdrucks wohnt doch in unserm Russenvolk! Wem es einmal ein Wörtlein angehängt hat, dem bleibt der Spitzname bis an den Tod und erbt sich fort auf Kind und Kindeskind; er folgt ihm treulich in den Staatsdienst und in den Ruhestand, nach Petersburg und bis ans Ende dieser Erde. Such deinen Spitznamen durch tausend Listen zum Ehrennamen umzudeuteln, bestich mit deinem guten Geld so viel gefällige Historiker du willst, laß sie nachweisen, dieser Name bezeugte dir die Abkunft aus uraltem Fürstenstamm, – alles umsonst: der Spitzname spricht weiter für sich selbst und krächzt der ganzen Welt mit heiserer Rabengurgel zu, in welchem Nest der Vogel flügge ward. So ein ins Schwarze gezieltes Wort steht, einmal ausgesprochen, gleichsam in Fels und Erz gemeißelt da. Und wieviel solche gutgezielte Worte entspringen dort aus Rußlands Tiefen, wo unser Blut nicht untermischt ist mit deutschem, finnischem, mit weiß der liebe Gott was sonst für Blut, wo rein und bodenständig noch der frische und helle Russengeist am Werke ist, der seine Worte nicht aus allen Winkeln mühsam zusammenklaubt, nicht lange mit Geduld auf ihnen brütet, wie eine Henne auf den Eiern, sondern sie keck mit einem Faustschlag prägt. In einem solchen Worte hast du gleich einen Paß für Lebensdauer. Da braucht es kein genaueres Signalement, – Nase: so oder so, Mund: so oder so. Mit einem Strich bist du umrissen vom Kopf bis zu den Zehen.

Ohne Maß ist die Zahl der Kirchen und Klöster mit Kuppeln, Türmen und Kreuzen, die über das heilige Gottesland Rußland verstreut sind; ohne Maß ist die Zahl der Stämme, Geschlechter und Völker, die auf dem Antlitz der alten Erde in buntem Gewimmel leben und weben. Jedes Volk herbergt in seinem Innern Kräfte die Fülle, Schöpferkräfte des Herzens, jedem gab Gott sein scharf geschnittnes Gesicht und andre köstliche Gaben, jedes Volk hat sich selber sein Wort geschaffen, mit dem es die Dinge der Erde zeichnet, wie es sie sieht, mit dem es am klarsten aber sein eigenes Wesen zeichnet. Herzenskundig und lebensklug klingt das Wort aus dem Munde des Briten; leicht hintändelnd schimmert ein Weilchen und löst sich in Luft auf des Franzmanns vergängliches Wort; ringend mit dem Gedanken, bastelt sein dunkles und dennoch trocken gescheites Wort sich der Deutsche; aber kein Wort in der Welt ist so treffend und frisch, so stark aus dem Herzen entsprungen, keins ist so blutwarm, so zitternd von Leben wie das ins Schwarze gezielte russische Wort.

 


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