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Derweil saß Tschitschikow höchst aufgeräumt in seiner Chaise, die längst wieder auf der Hauptstraße dahinratterte. Aus dem vorigen Kapitel weiß der geneigte Leser, worauf der Geschmack und die Neigungen unseres Helden gerichtet waren, und darum wird es keinen wundern, daß er sich mit Leib und Seele Gedanken hingab, die ohne Rast nach dieser Richtung liefen. Die Erwägungen, Berechnungen und Kombinationen, die er an sich vorüberziehen ließ, schienen äußerst erfreulicher Natur zu sein, denn fast ununterbrochen spielte dabei ein kreuzvergnügtes Schmunzeln um seine Mundwinkel. Vor lauter Hingenommenheit achtete er gar nicht auf seinen Kutscher, der sich von der Aufnahme durch das Manilowsche Gesinde sehr befriedigt fühlte und fortgesetzt dem rechten Beipferd, das ein Tigerschecke war, mit lauter Stimme weise Lehren gab. Der Tigerschecke hatte es faustdick hinter den Ohren und tat nur zum Scheine des Gerechten so, als ob er zöge, während das Mittelpferd, ein Brauner, und das andere Beipferd, ein Fuchs, der den Namen »Assessor« führte, weil Tschitschikow ihn von einem Assessor erstanden hatte, sich so beflissen in die Stränge legten, daß ihnen der Stolz über die eigene Bravheit förmlich aus den vier Augen leuchtete.
»Komm dir nur schlau vor! So schlau wie du bin ich noch lange!« sagte Selifan und hob sich leicht von seinem Sitz und zog dem Faulpelz eins mit seiner Peitsche über. »Drück dich nicht von der Arbeit, du . . . du deutscher Schneidermeister! Der Braune ist ein ehrenwerter Gaul, der weiß, was seine Pflicht ist. Der kriegt von mir mit Kußhand eine Extrametze Hafer in die Krippe, weil er ein ehrenwerter Gaul ist; und der Assessor ist auch ein braver Gaul. Na, du! Was wackelst du so dämlich mit den Ohren? Hör zu, du Rindvieh, wenn man mit dir spricht! Von mir lernst du nichts Schlechtes, dummer Affe. Heda, wo willst du jetzt auf einmal hin?«
Wieder zog er ihm eins mit seiner Peitsche über und brummte:
»He, du Barbar! Du gottverfluchter Bonaparte!« Und dann rief er dem ganzen Dreigespann zu: »Hüh, meine lieben Freunde!« und wischte ihnen allen eins mit seiner Peitsche über, – nicht als Strafe, sondern als Zeichen seiner ganz besonderen Gewogenheit.
Und als er ihnen diesen kleinen Spaß bereitet hatte, wendete er sich von neuem an den Tigerschecken:
»Du glaubst, ich merke nichts von deiner Benehmigung? Üb immer Treu' und Redlichkeit, wenn du verlangst, daß man dich ästimieren soll als ehrenwerten Gaul! Siehst du: beim Gutsbesitzer, wo wir waren, – das waren ehrenwerte Leute. Ich rede gern mit einem, wenn er ein ehrenwerter Kerl ist; mit einem ehrenwerten Kerl bin ich gleich dick befreundet; da lass' ich mich nicht lange nötigen zu einen Gläschen Tee und einem guten Frühstück, – nein, mit Vergnügen lang' ich zu, wenn es nur ehrenwerte Leute sind. Kuck unsern Herrn an, – den ästimiert dir jeder Hanswurst als ehrenwerten Mann, weil er im kaiserlichen Staatsdienst war und weil er ein Schkollegienrat ist . . .«
Selifan geriet mit seinen Monologen auf immer abgelegenere Gebiete. Hätte Tschitschikow darauf gehorcht, – ihm wäre allerlei zu Ohren gekommen, was sich auf seine würdige Person bezog. Aber er war so tief in seinen großen Plan versunken, daß erst ein urgewaltiger Donnerschlag ihn wecken konnte. Nun hielt er Ausschau: der Himmel war mit Wolken schwer verhangen, dicke Regentropfen durchsprenkelten den Staub der Straße. Dann krachte, lauter und näher noch, ein zweiter Donnerschlag, und plötzlich goß der Regen wie aus Kannen nieder. Er peitschte mit schrägen Strahlen zuerst die eine, dann die andre Seite des Verdecks; dann fiel er plötzlich völlig senkrecht nieder und trommelte auf dem Dache droben; schließlich begannen die Spritzer Tschitschikow ins Gesicht zu fliegen. Der verschanzte sich hinter dem Schutzleder mit den zwei runden Fensterchen, durch die man Ausschau auf die Straße halten konnte, und befahl Selifan, geschwinder zuzufahren.
Selifan, den das Gewitter mitten in seinem schönen Monologe unterbrochen hatte, fand gleichfalls, daß jetzt keine Zeit mehr zu verlieren wäre. Er holte unter seinem Sitze einen alten Fetzen aus grauem Tuch hervor, schlüpfte in dessen Ärmel, griff wieder zu den Leinen und ermunterte sein Dreigespann durch lauten Zuruf. Und das war auch nötig, denn die Gäule fühlten sich von seinen väterlichen Ermahnungen sehr angenehm geschwächt und rührten kaum die Beine. Nun konnte aber Selifan sich nicht ums Leben mehr erinnern, ob er inzwischen zwei oder drei Feldwege vorbeigelassen hätte. Er überlegte heftig und machte in Gedanken die Fahrt noch einmal und kam auf diese Weise schließlich zu der Erkenntnis, daß die Zahl der Feldwege, die er vorbeigelassen hatte, nicht mehr ganz klein sein könnte. Da aber der Russe, wenn es drauf ankommt, ein Mann der Tat ist und sich weitläufige Grübeleien spart, bog er beim nächsten Feldweg keck nach rechts, schrie munter: »Hüh, meine hochverehrten Gönner!« und jagte in vollem Galopp dahin, ohne sich groß den Kopf darüber zu zerbrechen, wo er bei diesem Unternehmen schließlich landen würde.
Der Regen schien sich offenbar auf längere Dauer einzurichten. Der Straßenstaub verwandelte sich schnell in Dreck; den Pferden wurde das Ziehen immer saurer. Tschitschikow fühlte sich sehr beunruhigt, weil Sabakewitsch's Gut noch immer nicht erscheinen wollte. Nach seiner Berechnung hätte er längst da sein müssen. Er schaute nach beiden Seiten aus, aber es herrschte eine Finsternis, daß man die Hand nicht vor den Augen sah.
»Selifan!« rief er endlich und beugte sich zur Chaise hinaus.
»Ja, gnädiger Herr?« erwiderte Selifan.
»Kuck mal, ob du das Gut schon siehst?«
»Nein, gnädiger Herr, ist nichts zu sehn!«
Und nun schwang Selifan von neuem seine Peitsche und stimmte eine Art von Lied an, das eigentlich kein Lied war, – einen eintönig langen, unendlichen Gesang. Darein verflocht er alle ermunternden und aufstachelnden Zurufe, mit denen man die Pferde vom einen Ende Rußlands bis zum andern antreibt, verflocht er Kosenamen jeder Art und ohne Wahl, wie sie ihm gerade auf die Zunge kamen. Er ging so weit, daß er die Gäule schließlich »Sekretäre« titulierte.
Mittlerweile bemerkte Tschitschikow zu seinem Mißfallen, daß seine Chaise recht bedenklich schwankte und ihm auf die Art derbe Püffe gab. Das brachte ihn zu der Vermutung, daß sie vom Wege abgekommen wären und über einen frisch gepflügten Sturzacker führen. Auch Selifan konnte sich dieser Erkenntnis kaum verschließen, aber er äußerte kein Wort.
»Auf was für einem Weg fährst du denn da, Halunke?« rief Tschitschikow.
»Was macht man bei dem Wetter, gnädiger Herr? Ich seh' die Peitsche nicht, – so dunkel ist es!«
In diesem Augenblicke nahm die Chaise eine so schiefe Lage an, daß Tschitschikow sich mit beiden Händen festhalten mußte. Jetzt erst bemerkte er, daß Selifan betrunken war.
»Halt, halt, du schmeißt ja um!« schrie er ihn an.
»Nein, gnädiger Herr, wie soll das zugehn, daß ich umschmeiße?« sprach Selifan. »Umschmeißen, das gehört sich nicht; soviel weiß ich doch selber. Es ist ganz ausgeschlossen, daß ich umschmeiß'.«
Und nun begann er vorsichtig zu wenden, er wendete und wendete, – auf einmal kippte die Chaise glücklich um. Tschitschikow flog mit den Händen und den Füßen in den Dreck. Selifan gelang es wenigstens noch, die Pferde gleich zum Stehn zu bringen; sie wären allerdings auch ganz von selber stehn geblieben, weil sie vollständig ausgepumpt waren. Das überraschende Ereignis verblüffte Selifan nicht wenig. Er kroch unter seinem Bock hervor, trat an den Wagen und stemmte beide Hände gegen ihn, um ihn zu heben, während sein Herr sich aus dem Schmutze aufzurappeln trachtete. Zum Schluß bemerkte der erstaunte Kutscher:
»Sieh mal, sieh, also doch umgeschmissen!«
»Du bist besoffen wie 'ne Strandkanone!« stellte sein Herr fest.
»Nein, gnädiger Herr; woher soll ich besoffen sein? Ich weiß schon, daß es sich nicht schickt, sich zu besaufen. Ich hab' mich bloß mit guten Freunden unterhalten. Man wird sich wohl mit guten Freunden unterhalten dürfen, – das ist doch keine Sünde. No, und gefrühstückt haben wir natürlich. Frühstücken ist nichts Ehrenrühriges, – mit ehrenwerten Leuten darf man wohl frühstücken.«
»Und was hab' ich dir letztes Mal gesagt, als du besoffen warst? He? Was? Vergessen?« fragte Tschitschikow.
»Nein, Euer Gnaden, nein, wie sollt' ich das vergessen! Ich kenn' schon meine Pflicht. Ich weiß schon, daß es sich nicht schickt, sich zu besaufen. Ich hab' mich bloß mit ehrenwerten Leuten unterhalten, weil ich . . .«
»Wart nur, ich hau' dich durch, daß dir die Unterhaltung mit ehrenwerten Leuten schon vergeht!«
»Wie Euer Gnaden es für richtig finden,« erklärte Selifan bereitwillig zustimmend, »wenn Sie mich durchhau'n müssen, dann hauen Sie mich durch, – dagegen ist nichts einzuwenden. Warum soll man nicht Hiebe kriegen, wenn man's verdient hat? Da ist die Herrschaft ganz im Recht. Der Bauer braucht zuweilen Hiebe, weil er sonst leicht zu üppig wird. Ordnung muß sein. Wenn ich's verdient hab', hauen Sie mich durch! Was für ein Grund soll denn dagegen sprechen?«
Der gnädige Herr wußte nicht recht, was er auf diese philosophischen Betrachtungen erwidern solle. Aber gerade in diesem Augenblick erbarmte sich das Schicksal selber über unsere Reisenden. In einiger Entfernung schlug ein Hund an. Hocherfreut befahl unser Held dem treuen Selifan, schnell loszufahren. Was so ein richtiger russischer Kutscher ist, den führt, wenn seine Augen ihm versagen, ein glücklicher Instinkt; deswegen pflegt er, selbst wenn er mit fest geschlossenen Lidern wie unsinnig dahinjagt, schließlich immer noch wohlbehalten an irgendeinem Orte einzutreffen. Trotzdem die Nacht stockfinster war, lenkte Selifan die Pferde so schnurgerade auf den Ort zu, woher das Bellen kam, daß die Chaise erst hielt, als sie sich mit den Femerstangen an einem Zaun festrannte und also die Fahrt auf keine Art mehr weiterging. Tschitschikow erblickte durch den Regenschleier undeutlich etwas, was wohl ein Dach sein mußte. Er befahl Selifan, nach dem Tor zu suchen, was sicher endlose Zeit in Anspruch genommen hätte, wenn es bei uns in Rußland nicht an Stelle von Pförtnern muntere Hunde gäbe. Ein paar von diesen treuen Wächtern meldeten unsere Reisenden so geräuschvoll an, daß unser Held die Finger in die Ohren stecken mußte. Ein kleines Fenster wurde hell und sandte einen matten Lichtschein bis zum Zaun und zeigte unsern Reisenden das Tor. Selifan begann zu klopfen. Alsbald öffnete sich ein Seitenpförtchen, eine Gestalt in einem Schlafrock aus Camelot schaute hervor, und Herr und Diener vernahmen eine heisere Frauenstimme:
»Wer klopft da? Was soll der Spektakel?«
»Reisende Leute, gute Frau, die Nachtquartier erbitten,« erklärte Tschitschikow.
»Was so 'n Hansdampf sich denkt!« erwiderte die Alte. »Kommt er bei nachtschlafender Zeit daher! Hier ist doch keine Herberge. Hier wohnt 'ne Gutsbesitzerin.«
»Ja aber, was sollen wir denn machen, liebe Frau? Wir haben uns verirrt. Bei solchem Wetter kann man nicht gut im Freien übernachten.«
»Es ist stockfinster und ein Hundewetter,« fügte Selifan erläuternd hinzu.
»Halts Maul, Schafskopf!« so wies ihn Tschitschikow zurecht.
»Wer seid Ihr überhaupt?« fragte die Alte.
»Gute Frau, ich bin ein Edelmann,« antwortete Tschitschikow.
Das Wort »Edelmann« schien die Alte nachdenklich zu machen.
»Warten Sie, ich frag' die gnädige Frau,« brummte sie. Und zwei Minuten später erschien sie wieder, mit einer Laterne in der Hand.
Das Tor öffnete sich. Ein zweites Fenster wurde hell. Die Chaise fuhr in den Hof ein und hielt vor einem Häuschen, von dem bei solcher Finsternis nicht viel zu unterscheiden war. Nur seine eine Hälfte war von dem Licht erhellt, das aus dem Innern drang; außerdem erblickte man nur noch eine große Pfütze, auf der der Widerschein der hellen Fenster schwamm. Der Regen trommelte kräftig auf dem Schindeldach und plätscherte als munteres Bächlein in die untergestellte Wassertonne. Dazu lärmten die Hunde in allen Tonarten: einer heulte mit hocherhobenem Kopf so anhaltend und eifrig, als kriegte er weiß Gott wie gut bezahlt dafür; ein zweiter plärrte hastig wie ein Vorbeter; dazwischen läutete gleich einem Schlittenglöckchen ein unermüdlicher Diskant, der einem noch nicht ausgewachsenen Welpen angehörte; und diesen ganzen Lärm beherrschte der Baß eines bejahrten Herrn, den sicher die Natur als einen Mordskerl von einem Hund erschaffen hatte, denn seine Stimme dröhnte wie das Organ eines ersten Bassisten, wenn das Konzert in vollem Gang ist: die Tenöre stellen sich auf die Zehenspitzen, um ihre hohen Noten hell herauszuschmettern, und alles, was sonst mitmacht, reckt sich empor und wirft die Köpfe in den Nacken; er aber, als der einzige von allen, versenkt sein unrasiertes Kinn in die Krawatte, er knickt so tief in seine Knie, daß er fast auf dem Boden hockt, und gröhlt dort unten seine Töne, daß alle Fenster klirrend zittern. Schon aus dem Hundebellen und aus der Zahl der nächtigen Musikanten durfte man schließen, daß dieses kleine Gut keins von den kümmerlichsten war; doch unser durchgeweichter und frosterstarrter Held dachte an nichts als an sein Bett. Die Chaise stand noch gar nicht richtig still, da sprang er auch schon auf die Anfahrt, wobei er stolperte und fast gefallen wäre. In der Haustür erschien ein zweites Frauenzimmer, das etwas jünger als das erste war, ihm aber sonst verblüffend ähnlich sah. Diese Person geleitete ihn in die Wohnstube. Tschitschikow ließ einen schnellen Blick durchs Zimmer schweifen: es hatte eine verblichene Tapete mit blassem Streifenmuster; die Bilder an den Wänden stellten Vögel von allen Arten dar; zwischen den Fenstern hingen altmodische kleine Spiegel in dunkeln Rahmen, deren Schnitzwerk ein Muster aus Akanthusblättern zeigte; hinter den Spiegeln steckte allerlei Kram, hier ein Brief, da ein schmutziges Spiel Karten, dort ein zusammengerollter Strumpf; auch eine Wanduhr mit bunten Blumen auf dem Zifferblatt hing irgendwo . . . Tschitschikow war nicht fähig, noch mehr zu unterscheiden. Er hatte ein Gefühl, als klebten seine Lider aneinander, wie wenn sie ihm ein böser Bube im Schlaf mit Honig eingerieben hätte. Gleich nach ihm trat die Hausfrau in die Stube, eine bejahrte Dame in einem Nachthäubchen, das sie in aller Eile aufgesetzt hatte, und mit einer flanellenen Binde um den Hals. Es war dies eine von den braven, alten kleineren Gutsbesitzerinnen, die immer mit melancholisch auf die Schulter gesenktem Kopf über Mißernten und schreckliche Verluste klagen, und mittlerweile doch schön langsam ein Geldstück nach dem andern in ihre bunten Leinwandsäckchen tun, die sie auf alle ihre Kommodenschubladen verteilen. Ein Säckchen ist für die Rubelstücke da, ein anderes für die halben Rubel, wieder eins für die Viertelrubel . . . Und dabei kann kein fremdes Auge auch nur entfernt vermuten, daß in der Kommode was anderes zu finden sei als Wäsche, Ärmelleibchen, Garnknäuel und höchstens noch ein aufgetrennter Morgenrock, der einst in künftigen Tagen zur Anfertigung eines neuen Hauskleides dienen soll, wenn vielleicht einmal das alte beim Backen von Weihnachtsplätzchen und Pfefferkuchen anbrennt oder sich im natürlichen Verlauf der Dinge von selbst in seine Elemente auflöst. Aber das alte Hauskleid brennt nie an und löst sich nicht von selbst in seine Elemente auf, weil eben die gute Dame es gar so achtsam schont. So blüht dem Schlafrock denn das Los, fast eine Ewigkeit in aufgetrenntem Zustand dazuliegen; und schließlich kommt er dann als Erbstück an irgendeine Nichte einer Kusine zweiten Grades, der ihn die Alte nebst anderm Trödelkram in ihrem Testament vermacht hat.
Tschitschikow bat um Entschuldigung, weil er der Wirtin durch seinen unverhofften Einbruch Scherereien mache.
»Das ist ja nicht der Rede wert!« sagte die Alte. »Aber bei was für einem Wetter Sie in der Welt herumkutschieren! Der Sturm, und dabei gießt es wie mit Kannen . . . Sie haben höchstwahrscheinlich Hunger von der Reise; aber es ist ja mitten in der Nacht, ich kann mit gar nichts aufwarten.«
Hier wurde die Rede der Hausfrau durch ein so sonderbares Zischen unterbrochen, daß der Gast zuerst heftig erschrak; es klang, als wimmele das Zimmer von lauter Schlangen. Doch Tschitschikow warf einen Blick zur Seite und fühlte sich sofort beruhigt: das war ja nur die alte Wanduhr, die zum Schlagen aushob. Auf das Zischen folgte ein Knarren, und dann nahm das gebrechliche Möbel all seine Kraft zusammen und ließ zwei Schläge hören, die so klangen, als poche man mit einem Stecken an einen gesprungenen Topf. Als dies vollbracht war, schwang der Pendel wieder ernst und gemächlich hin und her.
Tschitschikow dankte der Hausfrau und erklärte, er brauche gar nichts, sie solle sich nur keine Mühe machen, er sei mit einem Nachtlager durchaus zufrieden; es interessiere ihn nur noch, zu hören, wohin er auf der Irrfahrt eigentlich geraten wäre, und ob es weit von hier bis auf das Gut von Sabakewitsch sei. Hierauf erwiderte die Alte, daß sie diesen Namen noch nie gehört hätte, und daß es einen solchen Gutsbesitzer überhaupt nicht gäbe.
»Dann kennen Sie doch wenigstens Manilow?« fragte Tschitschikow.
»Und was soll denn der Herr Manilow sein?«
»Ein Gutsbesitzer, liebe Frau.«
»Hab' diesen Namen nie gehört; 's gibt keinen Gutsbesitzer, der so heißt.«
»Wie heißen denn die Gutsbesitzer in der Gegend?«
»Bobrow, Swinjin, Kanapatjew, Charpakin, Trepakin, Pleschakow.«
»Und sind das reiche Leute, oder nicht?«
»Nein, lieber Herr, so richtig, was man reich nennt, das ist keiner. Manche von ihnen haben zwanzig Seelen, manche auch dreißig; nein, nein, Gutsbesitzer, die gleich hundert haben, gibt es hier nicht.«
Tschitschikow erkannte, zu was für Hinterwäldlern er verschlagen war.
»Dann sagen Sie mir wenigstens, wie weit es bis zur Stadt ist?«
»Das werden an die sechzig Werst sein. Schade, daß ich gar nichts für Sie zu essen hab'. Möchten Sie nicht ein bißchen Tee, mein lieber Herr?«
»Nein, danke, gute Frau. Ich wünsche gar nichts als ein Bett.«
»Natürlich, nach einer solchen Fahrt braucht man die Ruhe notwendig. Sie können sich da auf den Diwan legen, lieber Herr. Heda, Fetinja, bring ein Pfühl, und Kissen und ein Laken. Dies Wetter, mit dem der liebe Gott uns straft: der fürchterliche Donner, – die ganze Nacht hab' ich 'ne Kerze brennen lassen vor dem Heiligenbild! Ach aber, lieber Herr, Sie sehn ja wie ein Schwein aus am Rücken vor lauter Dreck; wie haben Sie sich denn so zugerichtet?«
»Ein Wunder Gottes, daß ich nichts als dreckig bin; ich darf dem Himmel danken, daß ich mir nicht das Kreuz gebrochen hab'.«
»Herr Jesus, so ein Unglück! Soll ich Ihnen nicht was geben zum Einreiben für Ihren Rücken?«
»Nein, danke, danke. Bemühen Sie sich nicht! Aber vielleicht könnte Ihr Mädchen mir meine Sachen trocknen und reinigen.«
»Du, Fetinja,« sagte die Hausfrau zu der Person, die vorhin mit dem Licht vors Haus getreten und jetzt dabei war, das Pfühl, das sie hereingeschleppt hatte, mit beiden Händen aufzuklopfen, wodurch ein wahres Schneegestöber von Federn in der Stube entstand. »Fetinja, nimm dem Herrn sein Zeug mitsamt dem Unterzeug hinaus und trockne es am Feuer, so wie du es immer für den sel'gen Herrn gemacht hast! Und nachher klopfst und bürstest du die Sachen gründlich aus!«
»Jawohl, Frau,« erwiderte Fetinja und spreitete das Laken auf das Pfühl und legte die Kissen an das Kopfende.
»Ihr Bett ist fertig,« sagte die Hausfrau. »Empfehl' mich Ihnen, lieber Herr; recht wohl zu schlafen. Und brauchen Sie auch weiter nichts? Vielleicht sind Sie's gewohnt, mein lieber Herr, daß Ihnen jemand im Bett die Fersen kraut? Mein Seliger konnte ohne das nicht einschlafen.«
Aber der Gast dankte ergebenst für das Fersenkrauen. Die Hausfrau verließ darauf das Zimmer. Er zog sich schleunigst aus und übergab Fetinja sein ganzes Ober- und Untergewand. Auch das Mädchen wünschte ihm eine gute Nacht und zog mit seiner feuchten Beute ab.
Allein geblieben, musterte Tschitschikow sein Lager nicht ohne Wohlgefallen. Es türmte sich beinah bis an die Decke. Fetinja verstand es augenscheinlich, ein Pfühl ganz prächtig aufzuklopfen. Er stieg auf einen Stuhl und schwang sich von dem aus in das Bett, das sich dann unter seinem Gewicht fast bis zum Boden senkte. Die Federn, die er so aus ihrer Haft verdrängte, stoben bis in die fernsten Zimmerecken. Er löschte schnell das Licht, machte sich unter der kattunenen Decke klein und krumm und schlief auch schon, kaum daß er richtig lag.
Er erwachte erst zu vorgerückter Morgenstunde. Die Sonne schien ihm durch das Fenster gerade in die Augen, und all die Fliegen, die heute nacht geruhsam an der Decke und den Wänden geschlummert hatten, waren nun vollzählig um ihn versammelt: eine saß auf seiner Lippe, eine auf seinem Ohr, eine andre ging damit um, sich geradezu in seinem linken Auge anzusiedeln; eine, die die Dreistigkeit so weit trieb, sich vor sein rechtes Nasenloch zu setzen, hatte er im Halbschlaf in die Nase eingezogen, was ihn zu einem heftigen Niesen zwang, – und davon war er auch erwacht.
Er schaute sich im Zimmer um und stellte fest, daß doch nicht alle Bilder an den Wänden Vögel zum Gegenstande hatten: es befanden sich dazwischen auch ein Konterfei des Generals Kutusow und das Ölporträt eines alten Herrn in einer Uniform mit roten Aufschlägen von einem Schnitt, wie er vielleicht zu Zeiten des seligen Kaisers Paul Vorschrift gewesen war. Die Wanduhr stieß wiederum ihr Zischen aus und schlug dann zehn. Ein Frauengesicht schaute zur Tür herein und verschwand gleich wieder mir großer Hast; denn Tschitschikow hatte vor dem Zubettgehn, um besser einzuschlafen, selbst das intimste Kleidungsstück von sich getan. Das Gesicht, das in der Tür erschienen war, kam ihm halbwegs bekannt vor. Er dachte eine Weile nach, und schließlich fiel ihm ein, daß dies die Hausfrau war. Er schlüpfte in sein Hemd; die Kleider lagen, wohl getrocknet und sauber ausgebürstet, auf einem Stuhle neben seinem Bett. Er zog sich an, trat vor den Spiegel und nieste wiederum so laut, daß ein Truthahn, der gerade durch das niedre Fenster in die Stube schaute, in seiner sonderbar hastigen Sprechweise etwas hervorkollerte, was höchstwahrscheinlich »Zur Gesundheit« bedeuten sollte, woraufhin Tschitschikow den guten Vogel grob ein »Rindvieh« hieß. Er trat ans Fenster und hielt Ausschau; vor seinen Blicken lag so etwas wie ein Hühnerhof, wenigstens wimmelte der enge Raum von Federvieh und sonstigem Getier. Da gab es Hühner und auch Puten ohne Zahl; gemessenen Schrittes wandelte durch das Gewühl ein Hahn, der seinen Kamm sich würdig wiegen ließ und seinen Kopf so schief trug, als horche er auf irgend etwas; auch eine Muttersau mit vielen Ferkeln war vorhanden und wühlte still in einem Haufen Abfall; so zwischendurch verschlang sie, ganz im Versehen gleichsam, ein Küken und fraß sofort mit unschuldsvoller Miene fein säuberlich an den ihr zugedachten Kürbisschalen weiter. Den kleinen Geflügelhof umgab ein Bretterzaun; dahinter dehnten sich weite Küchengärten mit Kohl und Zwiebeln, mit Kartoffeln, roten Rüben und anderem Gemüse. Auch Obstbäume von allen Arten fehlten nicht, welche zum Schutze gegen Sperlinge und Elstern mit Netzen überzogen waren. Die Spatzen flogen hier auch wirklich in ganzen schrägen Wolken hin und her. Gegen sie waren ferner auf langen Stangen eine Anzahl Vogelscheuchen mit wagrecht weggespreizten Armen ausgerichtet, deren schönste sogar die Ehre hatte, ein abgelegtes Häubchen der Gutsbesitzerin auf dem Kopf zu tragen. Hinter den Gemüsegärten erblickte man die Hütten der leibeigenen Bauern; die waren zwar unregelmäßig hingestellt und ordneten sich nicht zu schnurgeraden Gassen, Tschitschikow aber erkannte wohl, daß sie beredt von dem behäbigen Wohlstand ihrer Bewohner sprachen; sie waren ordentlich in Stand gehalten: die Schindeldächer zeigten sich überall geflickt, wo's nötig war, und nirgends hing ein Tor schief in den Angeln; in vielen von den offenen, überdeckten Gerätescheuern erblickte Tschitschikow fast nagelneue Reservewagen, bei manchen Bauern deren sogar zwei.
– Ein nettes Gut, – klein, aber nahrhaft! sprach er zu sich und war sogleich entschlossen, ein Wörtchen mit der Gutsbesitzerin zu reden und eine nähere Bekanntschaft anzubahnen. Er lugte durch den Spalt der Tür, in der vorhin ihr Kopf erschienen war. Sie saß im Nebenzimmer am gedeckten Teetisch; so trat er denn mit aufgeräumter, liebenswürdiger Miene bei ihr ein.
»Schön' guten Morgen, lieber Herr. Wie haben Sie geruht?« fragte die Hausfrau und erhob sich von ihrem Stuhl. Sie war viel besser angezogen als heute nacht; sie trug ein dunkles Kleid und keine Haube mehr. Aber um ihren Hals schlang sich auch jetzt noch die flanellene Binde.
»Glänzend, glänzend,« erwiderte Tschitschikow und nahm auf einem Sessel Platz. »Und Sie desgleichen, gute Frau?«
»Schlecht, lieber Herr.«
»Ach nein? Wie kommt das?«
»Gar nicht geschlafen vor lauter Kreuzschmerzen, und meine Beine von den Knöcheln bis da hinauf wie abgeschlagen.«
»Das geht schon wieder über, gute Frau. Das beste ist, man achtet nicht darauf.«
»Gott geb' es, daß es übergeht. Ich hab' mich eingerieben mit Schweineschmalz und auch mit Terpentinöl. Und was nehmen Sie zum Tee? In der Karaffe da ist Fruchtsaft.«
»Nicht übel, gute Frau; genehmigen wir uns Fruchtsaft zu unserm Tee!«
Der liebe Leser hat sicherlich bemerkt, daß Tschitschikow sich hier bei aller Freundlichkeit viel freier und salopper gab als im Verkehr mit den Manilows. Eins kann man unserm teuern Reußenland nicht abstreiten: Wenn uns das Ausland auch in mancher Hinsicht noch so manches lehren kann, – in unsern Umgangsformen sind wir ihm weit voraus. Wer zählt die feinen Unterschiede, die wir dabei zu machen wissen? Ein Deutscher oder ein Franzos kommt nie dahinter und kann all die Nuancen und Finessen auf gar keine Art begreifen. Ein Deutscher oder ein Franzos, der redet Millionäre und kleine Tabakskrämer ganz mit der gleichen Stimme und demselben Tonfall an, wenn er natürlich auch in seinem Inneren vor einem Millionär viel mehr Respekt hat. In unserer teuren Heimat ist das anders: es gibt bei uns ganz raffinierte Künstler, die sprechen mit einem Gutsbesitzer, der bloß zweihundert Seelen sein eigen nennt, in völlig anderm Tone als mit einem, der deren dreihundert hat; und mit einem, der bloß dreihundert hat, in anderm Tone als mit einem, der fünfhundert hat; und mit einem, der bloß fünfhundert hat, wieder ganz anders als mit einem, der etwa gar achthundert hat; kurz, ginge es bis zur Million hinauf, – sie fänden immer neue Schattierungen. – Verfügen wir uns nun einmal im Geist in eine Kanzlei, nicht hier bei uns, nein, irgendwo im Nirgendland über den sieben Bergen, und fassen wir den Herrn Kanzleivorstand ins Auge! Schau ihn dir an, wie er im Kreise seiner Untergebenen thront, – der Schreck verschlägt dir unbedingt sofort die Sprache. Stolz und Erhabenheit und weiß der liebe Gott was sonst noch alles leuchtet von seiner Stirn. Nimm schnell den Pinsel in die Hand und mal ihn ab, – dann prangt auf deinem Bilde ein Prometheus, und ein Prometheus, lieber Freund, der sich gewaschen hat! Er schleudert Blicke wie ein Aar, federnd und fürstlich ist sein Gang. Doch dieser selbe Aar braucht nur das Zimmer zu verlassen und auf die Türe seines Vorgesetzten zuzugehn, dann huscht er als ein armes Rebhuhn mit seinen Akten unterm Arm so eilfertig dahin, daß ihm die Puste ausgeht. Und wenn bei einem Abendessen lauter Leute zugegen sind, die niedriger im Range stehen als er selbst, dann bleibt unser Prometheus auch da vom Scheitel bis zur Sohle ein Prometheus; aber sowie einer dabei ist, der etwas höher steht, dann geht mit dem Prometheus eine Verwandlung vor sich, von der sich selbst Ovid, der Dichter der »Verwandlungen«, nichts träumen ließe: er wird zur Fliege, nein, denn Fliege ist zu viel gesagt, – er schrumpft zum Sandkörnchen zusammen! – Aber das ist doch nicht Iwan Petrowitsch, denkst du, wenn du ihn betrachtest, – Iwan Petrowitsch ist viel größer, dies ist ja ein ganz kleiner, spindeldürrer Kerl; Iwan Petrowitsch spricht viel lauter, hat einen Baß und lacht niemals, und der da – weiß der Kuckuck, was er hat –, der zwitschert wie ein Vöglein und kichert in einem fort! – Doch wenn du näher hinschaust, siehst du, es ist trotzdem Iwan Petrowitsch, und denkst in deinem Sinn: – Aha, haha! . . .
Aber die Sache will es, daß wir uns wieder zu unseren handelnden Personen zurückverfügen. Tschitschikow war, wie schon bekannt ist, in diesem Fall zu langen Förmlichkeiten nicht geneigt. Er zog die Tasse näher, goß Fruchtsaft in den Tee und begann kurz resolviert:
»Liebe Frau, Ihr Gut gefällt mir. Wieviel Seelen hat es denn wohl?«
»Ja, bester Herr, es sind so an die achtzig Seelen,« erwiderte die Wirtin. »Aber es ist ein wahres Kreuz, wie schlecht die Zeiten sind. Letztes Jahr war ja die Ernte so miserabel, daß Gott erbarm'.«
»No, aber Ihre Bauern sind gut in Stand und haben recht solide Hütten. Darf ich übrigens Ihren Namen wissen? Entschuldigen Sie, ich hatte ganz vergessen . . . bei der nachtschlafenden Zeit . . .«
»Kollegiensekretärin Nastasia Petrowna Karobotschka.«
»Nastasia Petrowna? Wirklich ein hübscher Name das, – Nastasia Petrowna. Eine leibliche Tante von mir, eine Schwester meiner Mutter, hieß auch Nastasia Petrowna.«
»Und wie ist denn Ihr Name?« fragte die Gutsbesitzerin. »Sie sind gewiß der neue Steuereinnehmer?«
»Nein, gute Frau,« antwortete Tschitschikow mit einem Lächeln. »Ich bin kein Steuereinnehmer, sondern reise in meinen eigenen bescheidenen Geschäften.«
»Dann sind Sie wohl ein Aufkäufer! Ach, lieber Gott, wie schade, daß ich den Honig so billig an die Händler losgeschlagen hab'! Sie würden ihn mir sicher abkaufen, was, lieber Herr?«
»Nein, Honig brauch' ich keinen.«
»Ja, was denn sonst? Am Ende Hanf? Hanf hab' ich aber auch zurzeit nur wenig; alles in allem nur ein halbes Pud.«
»Nein, gute Frau, ich handle mir andrer Ware. Sagen Sie mal: sind Ihnen viele Bauern weggestorben?«
»Ach, lieber Herr, zuviel nur leider: achtzehn Stück!« sagte die Alte mit einem tiefen Seufzer. »Und lauter tüchtige Leute, lauter gelernte Arbeiter. Es sind ja wohl auch welche neu geboren worden, aber was ist an denen dran? Das kleine Kroppzeug! Und der Steuereinnehmer verlangt ganz einfach, ich soll Steuern zahlen für die Seelen. Die Leute sind doch tot, und zahlen muß ich wie für lebendige. Erst vorige Woche ist mir mein Schmied verbrannt, so ein geschickter Schmied; er hatte auch die Schlosserei gelernt.«
»Sie haben Feuerschaden gehabt?«
»Nein, Gott hat uns geschützt vor solchem Unglück. Ein Feuerschaden wär' noch schlimmer. Nein, er ist ganz von selbst verbrannt, mein lieber Herr. Er hat von innen heraus zu brennen angefangen, weil er so furchtbar trank. Mit einer kleinen blauen Flamme hat er gebrannt und ist allmählich eingeschrumpft und schließlich ganz verkohlt und schwarz geworden. Nein, was das für ein tüchtiger Schmied gewesen ist! Und jetzt kann ich doch überhaupt nicht ausfahren. Denn wer beschlägt mir denn die Pferde?«
»Ja, das ist alles Gottes Wille, gute Frau,« erwiderte Tschitschikow mit einem Seufzer, »und gegen Seinen weisen Ratschluß soll der Mensch nicht murren. – Wissen Sie was, verehrte Frau Karobotschka: treten Sie sie mir einfach ab!«
»Was, lieber Herr?«
»Na, all die Bauern, die Ihnen gestorben sind.«
»Was heißt denn: abtreten?«
»No ja, ich meine . . . Oder, gut, sagen wir: verkaufen Sie sie mir! Ich gebe Ihnen Geld dafür.«
»Ja, aber wie . . .? Wie soll ich das verstehn? Wollen Sie denn die Leichen aus der Erde graben?«
Tschitschikow erkannte, daß die Alte sich recht phantastische Gedanken machte, und daß er ihr die Sache ganz genau erklären mußte. In kurzen Worten legte er ihr dar, daß diese Übertragung, respektive Veräußerung, ausschließlich auf dem Papier vollzogen würde, und zwar in einer Form, als ob die abgetretenen Seelen noch lebendig wären.
»Und wozu brauchen Sie sie denn?« fragte die Alte, und ihre Augen kriegten förmlich Stiele vor Verwunderung.
»Das . . . das ist meine Sache.«
»Aber sie sind doch tot?«
»Behauptet ja auch keiner, daß sie lebendig sind! Deswegen machen sie für Sie ja nichts als Kosten, weil sie gestorben sind: Sie zahlen doch die Steuer, als ob sie noch lebendig wären; und nun will ich Sie von der ganzen Schererei und von der Steuer glatt befreien. Begreifen Sie das nicht? Ich will Sie nicht nur glatt davon befreien, – ich zahle Ihnen außerdem noch fünfzehn Rubel bar. Na, ist das endlich klar?«
»Ich weiß nicht recht,« erwiderte die Hausfrau zögernd, »ich habe eben Tote nie verkauft.«
»Wär' auch noch schöner! Es hätte ja auch ein Gotteswunder sein müssen, wenn einer sie Ihnen abgenommen hätte. Oder glauben Sie vielleicht, daß sie irgend jemand zu irgend etwas dienen können?«
»Nein, nein, das glaub ich selbstverständlich nicht! Zu welchem Zwecke sollten sie auch dienen? Nein, dienen können sie zu gar nichts in der Welt. Was mich da irre macht, ist nur das eine, daß sie tot sind.«
– Himmel, hat diese alte Schachtel da ein dickes Brett vor ihrem Schädel . . .! murmelte Tschitschikow in sich herein.
»Na, hören Sie mal, gute Frau! Und überlegen Sie die Sache richtig: Sie werfen doch Ihr Geld weg, wenn Sie die Steuern weiter zahlen wie für Lebendige . . .«
»Ach, lieber Herr, erinnern Sie mich lieber gar nicht dran!« fiel ihm die Gutsbesitzerin ins Wort. »Erst vor drei Wochen habe ich weit über hundertfünfzig Rubel zahlen müssen, und da hatte ich den Steuereinnehmer noch außerdem geschmiert.«
»No also, sehn Sie, gute Frau! Jetzt stellen Sie sich einmal vor, daß Sie in Zukunft Ihren Einnehmer nicht mehr zu schmieren brauchen, weil ich ja für die toten Seelen zahle, – ich, und nicht Sie. Ich nehme alle Steuern glatt auf mich, ich zahle auch noch die Verbriefungskosten aus meiner Tasche, – na, begreifen Sie das nicht?«
Die Alte wurde nachdenklich. Sie sah schon ein, daß dies Geschäft ja wirklich gewisse Vorteile in sich schloß, aber es hatte auf der andern Seite etwas so Neues und so Unerhörtes, daß sie von einer heftigen Furcht befallen wurde, dieser Aufkäufer möchte sie auf irgendeine Art beschwindeln, – dieser verdächtige Mensch, von dem sie überhaupt nicht wußte, woher er kam, und der ihr noch dazu so mitten in der Nacht ins Haus geschneit war.
»Na also, gute Frau, dann sind wir also einig, was?« so drängte Tschitschikow.
»So wahr ich hier auf diesem Stuhle sitze, lieber Herr, – Tote hab' ich noch nie verkauft. Lebendige hab' ich schon verkauft, so erst vor knapp drei Jahren zwei an einen Herrn Protopopow, – zwei Mädchen, hundert Rubel für das Stück, und er hat mir nachher noch so gedankt: sie haben sich so gut zur Arbeit angelassen, – sie können jetzt schon Servietten weben.«
»Aber hier handelt es sich ja doch nicht um Lebendige; hol' sie der Fuchs! Ich will ja Tote haben.«
»Ja aber, weil es doch das erstemal ist . . . Ich fürchte eben, daß ich dabei hereinfall'. Lieber Herr, und wenn Sie mich vielleicht betrügen . . .? Und wenn der . . . wenn der Marktpreis am Ende höher ist . . .?«
»Na, hören Sie, verehrte Frau . . . Das ist doch ganz unglaublich! Wie kann denn da von einem Marktpreis überhaupt die Rede sein? Ja, überlegen Sie doch mal: sie sind ja Staub und Asche. Verstehen Sie das nicht? Sie sind ganz einfach Staub und Asche. Betrachten Sie dagegen den lächerlichsten Abfall, zum Beispiel einen Fetzen Stoff von einer alten Jacke, – der hat trotz allem einen Wert: Lumpen kauft schließlich die Papierfabrik; aber was fangen Sie mit toten Seelen an? Na, sagen Sie doch selber, was man mit denen anfängt!«
»Das ist gewiß ganz richtig, man kann nichts damit anfangen; es ist ja nur das eine, was mich irre macht: daß sie doch eben tot sind.«
– Herrgott, die hat ja einen ganzen Eichenbalken vor ihrem Hirnkasten! sprach Tschitschikow, der mählich die Geduld verlor, zu seinem Bruder Innerlich. – Der Teufel soll sie holen! Sie hat mich ganz in Schweiß gebracht! Verdammte alte Schachtel das! – Er zog sein Tüchlein aus der Tasche und wischte sich den Schweiß ab, der ihm tatsächlich in dicken Tropfen auf der Stirne stand.
Übrigens war Tschitschikows Empörung höchst ungerecht: wie mancher hochangesehene Mann, wie mancher Staatsbeamte gleicht in der Hinsicht auf ein Haar der braven Karobotschka. Wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hat, dann bringst du ihn durch nichts mehr davon weg; du darfst ihn mit zehntausend Gründen bombardieren, die klar sind wie der Tag, – sie prallen alle von ihm ab, wie Gummibälle von der Mauer.
Als er sich seine Stirn getrocknet hatte, entschloß sich Tschitschikow zu dem Versuch, der Alten hintenrum doch noch die Sache beizubringen.
»Ja, gute Frau,« begann er, »entweder: Sie wollen meine Worte nicht verstehn, oder: Sie reden einfach so daher, um irgend was zu sagen.– Ich gebe Ihnen fünfzehn Rubel Papier, – verstehen Sie das nicht? Das ist doch Geld. Das finden Sie nicht auf der Straße. – Also, ganz ehrlich: was haben Sie bekommen für den Honig?«
»Zwölf Rubel für das Pud.«
»Lügen ist eine Sünde, gute Frau! Zwölf Rubel, – ach, das gibt's ja nicht.«
»Gott soll mich strafen, wenn's nicht wahr ist!«
»Na also, sehn Sie: dafür ist das Honig. Sie haben ihn, na, sagen wir mal, durch ein Jahr mir Sorge, Mühe, Arbeit angesammelt. Sie mußten Ihre Bienen pflegen, sich mit ihnen plagen, sie den Winter über im Keller durchfüttern; aber die toten Seelen, – die sind doch nicht von dieser Welt. Hier haben Sie von Ihrer Seite auch nicht die kleinste Mühe aufgewandt: es war ja Gottes Wille, daß sie die Erdenwelt verlassen mußten, zum klaren Schaden Ihrer eigenen Wirtschaft. Beim Honig haben Sie für Ihre Arbeit und Mühewaltung zwölf Rubel ausgezahlt bekommen, hier aber kriegen Sie das Geld für nichts, umsonst, und nicht bloß zwölf, nein, fünfzehn Rubel, bar auf die Hand, in blauen Scheinen.« Tschitschikow fand seine Argumente selber so stark, daß er ganz überzeugt war, jetzt könnte die Alte nicht mehr widerstehen.
»Ja aber, ich hab' als Wittfrau doch so wenig Kenntnis von Geschäften! Es ist mir lieber, Sie lassen mir noch etwas Zeit. Es kommen sicher bald wieder andre Händler bei mir vorbei. Dann kann ich mich ja nach dem Preis erkundigen.«
»Daß Sie sich gar nicht schämen, gute Frau! Daß Sie sich wirklich gar nicht schämen! Was reden Sie denn da für Zeug? Das müssen Sie doch selber einsehn? Wer soll denn tote Seelen kaufen? Wozu soll er sie denn verwenden?«
»No, vielleicht kann man sie zu irgend etwas in der Wirtschaft brauchen und . . .« entgegnete die Alte, doch brach sie mitten in ihrem Satze ab und starrte ihren Gast mit offenem Munde an, schreckhaft gespannt, was er darauf erwidern würde.
»Was? In der Wirtschaft? Tote? – Was Sie für entzückende Ideen haben! Sie wollen wohl bei Nacht die Spatzen in Ihrem Küchengarten damit scheuchen?«
»Mein Herr und Heiland, stehe mir in Gnaden bei! Was reden Sie für lästerliche Dinge!« stammelte die Alte und schlug hastig ein Kreuz.
»Ja, wozu wollten Sie sie denn verwenden? Und außerdem, – ich sage Ihnen ja: die Knochen und die Gräber dürfen Sie behalten. Die Übertragung steht ja nur auf dem Papier. Na also, was ist denn nun? Na? Eine Antwort kann ich doch wohl wenigstens verlangen?«
Die Alte starrte nachdenklich vor sich hin.
»Was gibt's da noch zu überlegen, gute Frau?«
»Ja, ich weiß wirklich nicht, wie ich mich dazu verhalten soll. Es wär' mir angenehmer . . . Kaufen Sie mir lieber meinen Hanf ab!«
»O Himmel, Herrgott, – Hanf . . .! Ich rede von ganz andern Dingen, und Sie kommen mir Ihrem Hanf daher! Lassen Sie Ihren Hanf nur Hanf sein, – ich komm' ein andermal vorbei, dann nehm' ich auch den Hanf. – Also, wie ist's nun, Frau Karobotschka?«
»Mein Heiland, es ist doch so 'ne ausgefallne Ware; ich habe Tote nie verkauft!«
Jetzt aber riß bei Tschitschikow der Faden der Geduld, er stieß in heller Wut mit seinem Stuhle auf den Boden und forderte den Teufel auf, dies alte Weib zu holen.
Vor diesem Fluch erschrak die Gutsfrau fürchterlich.
»Nennen Sie seinen unreinen Namen nicht! Gott schütze uns in Gnaden!« rief sie und wurde schneeweiß im Gesicht. »Vorvorgestern erst habe ich die ganze Nacht von dem verfluchten Satanas geträumt. Ich hab' mir nach dem Nachtgebet noch einmal Karten gelegt. Zur Strafe für die Sünde hat mir der liebe Gott den Traum geschickt. Puh, und so häßlich sah er aus; mit Hörnern, länger wie ein Ochs . . .«
»Mich wundert's bloß, daß Ihnen die Teufel nicht gleich dutzendweis im Traum erscheinen. Aus reiner christlicher Nächstenliebe bietet man ihr es an: man sagt sich, es ist eine arme Witwe, die sich nach Kräften plagt und es sehr nötig hat . . . – Draufgehen sollst du, alte Vettel, und verrecken mit deinem ganzen Gut!«
»So fürchterlich zu fluchen . . .!« sagte die Alte und starrte ihm erschrocken ins Gesicht.
»Kann man denn ein vernünftiges Wort mit Ihnen reden? Sie sind ja, mit Respekt zu sagen, ganz wie ein böser Hofhund, der sich auf das Heu legt. Selber frißt er kein Heu, aber er gönnt's auch keinem andern. Und dabei hätt' ich Ihnen noch so viel andere Produkte abgekauft. Ich habe nämlich auch Lieferungen für den Staat . . .« Dies war zwar eine kleine Lüge, die ihm ziemlich gedankenlos herausfuhr, ohne daß er im Grund ein klares Ziel damit verfolgte, aber die Wirkung davon war märchenhaft. Staatliche Lieferungen, – das machte großen Eindruck auf Frau Karobotschka; und sie verlegte sich sofort aufs Bitten.
»Ja, warum regen Sie sich denn gleich auf? Hätt' ich vorher gewußt, daß Sie so hitzig sind, dann hätt' ich Ihnen ganz gewiß nicht widersprochen.«
»Aufregen? Über was denn? Ein ausgeblasenes Ei ist mehr wert wie der Kram! Und über so was soll ich mich aufregen?«
»Nun also, bitt' schön, Sie kriegen Ihre Seelen für fünfzehn Rubel Papier! Dann aber, bester Herr, bei Ihren Lieferungen, – da denken Sie an mich? Wenn Sie mal Roggen- oder Buchweizenmehl brauchen, oder am Ende Grieß, oder am Ende Fleisch, – dann lassen Sie mich nicht beiseite stehn.«
»Nein, gute Frau, Sie sollen schon nicht beiseite stehn,« erwiderte Tschitschikow und wischte sich mit der Hand den Schweiß ab, der ihm in drei geschwinden Bächlein über die Backen rann. Dann fragte er sie, ob sie nicht in der Stadt irgendeine Vertrauensperson hätte, einen Freund oder Bekannten, den sie für die Verbriefung und alle sonstigen Formalitäten bevollmächtigen könnte.
»Natürlich! Der Sohn von Hochwürden, unserm Pfarrer Kirill, dient bei Gericht,« erklärte die Karobotschka. Tschitschikow bat sie, dem Sohn des Pfarrers einen Brief in diesem Sinn zu schreiben, und bot sich ihr entgegenkommend an, dies Schreiben selber aufzusetzen, damit sie keine Last und Mühe damit hätte.
– Das wäre gar nicht übel, sinnierte mittlerweile die Karobotschka, wenn er mir Mehl und Schlachtvieh abkaufte für seine staatlichen Lieferungen. Man muß ihn wohl bei guter Laune halten: Teig ist ja noch von gestern abend da; Fetinja soll Pfannkuchen backen. Und eine Mürbteigpastete mit gehacktem Ei, die könnte man leicht machen; die ist bei uns so gut und kostet nicht viel Zeit. – Die Hausfrau ging hinaus, um ihren Plan mit der Pastete zu verwirklichen und ihn wohl noch auf weitere Erzeugnisse ihrer häuslichen Kochkunst auszudehnen.
Tschitschikow begab sich in das Wohnzimmer, wo er heute nacht geschlafen hatte, um die nötigen Papiere aus seiner Kassette hervorzuholen. Das Wohnzimmer war aufgeräumt, die üppigen Pfühle waren hinausgeschafft, und vor dem Diwan stand ein Tisch mit einer bunten Decke. Auf die stellte unser Held seine Kassette und verschnaufte sich zunächst mal eine Weile; er troff nur so von Schweiß; alles, was er am Leibe trug, vom Hemd bis zu den Strümpfen, war klatschnaß. – Hat die mir zugesetzt, die gottverfluchte alte Schraube! sagte er, nachdem er halbwegs wieder zu Atem gekommen war, und öffnete die Kassette.
Der Verfasser ist überzeugt, daß viele seiner lieben Leser darauf brennen, zu erfahren, wie denn nun eigentlich der Grundriß und die innere Einteilung dieser Kassette beschaffen waren. Na also, warum soll man solchen bescheidenen Wünschen nicht entsprechen? Die innere Einteilung war so: den Mittelpunkt des Ganzen bildete die Seifendose, neben der Seifendose gab es sechs oder sieben schmale Fächer für die Rasiermesser, des weiteren zwei quadratische Fächer für Tintenfaß und Streusandbüchse und zwischen ihnen eine vertiefte Rinne für Federn, Siegellack und andre längliche Gegenstände; ferner gab es noch eine Menge Fächer mit Deckeln oder ohne Deckel für weniger lange Dinge, und diese Fächer waren mit Visitenkarten, Beerdigungsanzeigen, Theaterzetteln und andern Dokumenten ausgefüllt, die da zum ewigen Gedächtnis ruhten. Der ganze obere Einsatz konnte mit allen seinen Fächern abgehoben werden; darunter trat ein ungeteilter Raum zutage voll weißer Bogen in Kanzleiformat. Und schließlich gab es noch ein kleines Geheimfach für das Geld, das nur der Kundige seitlich herauszuziehen vermochte. Und dies Geheimfach öffnete und schloß der Besitzer immer so schnell, daß man unmöglich etwas Zuverlässiges darüber verraten kann, wieviel an Geld es eigentlich enthielt.
Tschitschikow machte sich ungesäumt ans Werk, schnitt eine Feder zu und fing zu schreiben an.
Da trat die Hausfrau in die Stube.
»Niedlich, – das Kästchen, welches Sie da haben,« begann sie und setzte sich zu ihrem Gast. »Das haben Sie gewiß aus Moskau?«
»Sehr richtig,« erwiderte Tschitschikow und ließ sich nicht im Schreiben stören.
»Das dachte ich mir gleich: in Moskau kauft man gut. Drei Jahre sind es jetzt, daß meine Schwester mir aus Moskau warme Kinderschuhe mitgebracht hat: so etwas von solider Ware, – sie sind noch heute in Gebrauch. – Herrje, was Sie für eine Masse Stempelbogen haben!« fuhr sie fort und schaute neugierig in die Kassette, wo wirklich ein ganzer Stoß von Stempelbogen lag. »Ach, schenken Sie mir einen Bogen! Daran fehlt es bei mir so sehr; und wenn ich mal ein Bittgesuch einreichen muß, dann weiß ich nicht, worauf ich schreiben soll.«
Tschitschikow setzte ihr auseinander, daß diese Bogen ihr nichts nützen könnten, es wären Stempelbogen für Kaufverträge, nicht für Bittgesuche; doch um sie zu beruhigen, verehrte er ihr trotzdem einen Bogen für einen Rubel. Als er mit seinem Briefe fertig war, ließ er sie unterschreiben und erbat sich von ihr ein Verzeichnis der abgetretenen Bauern. Es erwies sich, daß Frau Karobotschka nicht Listen noch Register führte; dafür aber kannte sie ihre Leute alle auswendig. Er ließ sich das Verzeichnis gleich von ihr diktieren. Bei mehreren von den Bauern mußte er sich über die Namen, und ganz besonders über die vertrackten Beinamen wundern, die sie führten; er stutzte manchmal ernstlich, bevor er sie niederschrieb. Besonders überraschend däuchte ihn ein gewisser »Pjotr Saweljew Hand-vom-Trog«. »Der nimmt ja überhaupt kein Ende,« bemerkte Tschitschikow dazu. Ein andrer trug das Wort »Kuhfladen« an seinen ehrlichen Vatersnamen angehängt, ein dritter hieß schlechtweg der »Wagenrad-Iwan«. Als das Verzeichnis abgeschlossen war, da stieg der Duft von irgend was in Butterschmalz Gebackenem dem Helden dieses Buches lockend in die Nase.
»Tun Sie mir, bitte, die Ehre an, ein kleines Frühstück einzunehmen,« sagte die Hausfrau. Tschitschikow schaute sich um und erblickte einen gedeckten Frühstückstisch. Da gab es eingemachte Pilze, Pastetchen, Spiegeleier, Räucherfische, Pfannkuchen und Butterbackwerk jeder Art: mit Mohn, mit Quark, mit Zwiebeln, auch mit Fisch und, weiß der liebe Gott, was sonst noch allem.
»Mürbteigpastete mit gehacktem Ei, ich bitte schön!« sagte die Hausfrau.
Tschitschikow machte sich über die Mürbteigpastete mir gehacktem Ei her, führte sich die größere Hälfte davon behaglich schmatzend zu Gemüte und sprach dann seine Anerkennung aus. Tatsächlich war die Pastete an und für sich gut, und mundete ihm nur umso besser nach dieser endlos langen Plackerei und allen den Indianerlisten, mit denen er die alte Frau hatte belagern müssen.
»Pfannkuchen, bitte schön!« sagte die Hausfrau.
Als Antwort rollte Tschitschikow gleich drei Pfannkuchen auf einmal zusammen, tauchte sie in die ausgelassene Butter, beförderte sie in seinen Mund und wischte sich die Lippen und die Finger an der Serviette ab. Nachdem er diese Manipulation so etwa dreimal ausgeführt hatte, bat er die Hausfrau, daß sie seinen Wagen anspannen lassen möge. Frau Karobotschka schickte Fetinja zu diesem Zweck hinaus und sagte ihr, sie solle auf dem Rückweg gleich eine frische Ladung heißer Pfannkuchen mit aus der Küche bringen.
»Die Pfannkuchen sind glänzend, gute Frau,« sprach Tschitschikow und ließ sich auch bei der zweiten Auflage nicht lange nötigen.
»Ja, sie sind meistens gut bei uns,« sagte die Hausfrau. »Das Unglück ist nur: die Ernte war so schlecht, das Mehl gibt gar nicht richtig aus. – No aber, lieber Herr, warum so eilig?« rief sie, als Tschitschikow zur Mütze griff. »Ihr Wagen ist doch noch gar nicht angespannt.«
»Der ist gleich fertig, gute Frau. Mein Kutscher macht das schnell.«
»Aber darüber sind wir uns doch einig, bester Herr: bei Ihren Lieferungen denken Sie an mich?«
»Ich denke schon an Sie,« antwortete Tschitschikow und trat auf den Vorplatz hinaus.
»Und brauchen Sie kein Schweineschmalz?« fragte die Alte, die mit ihm ging.
»Warum denn nicht? Ich nehm' es schon, aber ein andermal.«
»Um Weihnachten herum, da hab' ich wieder Schweineschmalz.«
»Ich nehm' es schon, ich nehme es, ich nehme alles, ich nehm' auch Schweineschmalz.«
»Und haben Sie vielleicht Verwendung für Gänsefedern? Zu den Adventsfasten gibt's wieder Gänsefedern.«
»Schön, sehr schön,« gab Tschitschikow zur Antwort.
»Na sehn Sie, lieber Herr, Ihr Wagen ist noch nicht da,« sagte die Gutsfrau, als sie nun auf der Anfahrt standen.
»Kommt schon, kommt schon! Erklären Sie mir aber, bitte, wie ich von hier wohl auf die schnellste Art die Hauptstraße erreiche.«
»Wie soll man denn da sagen?« entgegnete die Wirtin. »Das läßt sich schlecht beschreiben; der Weg ist so verzwickt. Am besten ist's, ich gebe Ihnen ein kleines Mädchen mit, das zeigt Ihnen dann schon den Weg. Es ist doch Platz auf Ihrem Bock, daß sie mitfahren kann?«
»Ach, Platz genug!«
»Gut also! Ich geb' Ihnen das Mädchen mit. Es kennt die Wege in der Gegend. Aber das müssen Sie mir fest versprechen, daß Sie sie nicht entführen, – eine haben mir schon mal die Händler heimlich fortgebracht.«
Tschitschikow versicherte auf seine Ehre, daß er sich das Mädchen nicht widerrechtlich aneignen würde. Frau Karobotschka war bald beruhigt, und ihr Interesse wendete sich langsam wieder den Vorgängen in ihrer Wirtschaft zu. Ihren Augen entging nichts, was auf dem Hof geschah, sie folgten der Mamsell, die einen Holzkrug voller Honig aus der Vorratskammer holte, sie sahen forschend einem Bäuerlein entgegen, das langsam durch das Tor hereingeschlendert kam . . .
Aber warum denn in Dreikuckucksnamen beschäftigen wir uns gar so lange mit Frau Karobotschka? Was schert uns Frau Karobotschka, was Frau Manilow, was gute oder schlechte Wirtschaft! Fort damit! Wie wunderlich ist das auf Erden eingerichtet: das Lustige wird unversehens traurig, wenn du den Blick nur länger darauf richtest; und plötzlich kommen dir aus blauer Luft weiß Gott was für Gedanken. So denkst du dir vielleicht: – Ja, lieber Himmel, steht die Karobotschka denn wirklich gar so tief unten auf der Staffel menschlicher Vollendung? Trennt sie in Wirklichkeit ein gar so breiter Abgrund von ihrer stolzen Schwester, der hochgeborenen Gräfin, die fern vom Volk hinter der fest verschlossenen Pforte ihres Palastes haust, zu deren duftigen Gemächern Treppen mit schön geschmiedeten Geländern führen, leuchtend von blankem Kupfer, Mahagoni, echten Läufern, – der hochgeborenen Gräfin, die über einem nie zu Ende gelesenen Buche gähnt und ihren Freund, den Mann von Welt und Geist, erwartet, vor dem sie glänzen kann mit ihrem Witz und aufgeschnappten Phrasen, – Phrasen, die auf Befehl der Mode eine Woche lang die ganze Stadt in Atem halten. Sie hat nicht Zeit, daran zu denken, was mit ihrem Haushalt und ihren Gütern wird, wo Unordnung und Wirrwarr herrschen, weil sie von richtiger Wirtschaftsführung nichts versteht, – sie muß ja daran denken, welch ein politischer Umsturz Frankreich bedroht, und was für sonderbare Wege der modische Katholizismus einschlägt. Genug davon und fort damit! Was frommt's, davon zu reden! – Wie aber geht es zu, daß mitten in die gedankenlosesten, vergnügtesten und sorgenfreisten Augenblicke ganz ohne Grund und unvermutet ein wundersamer Strahl aus andern Welten niedersinkt? Noch ist die letzte Spur des Lachens um deinen Mund nicht ausgelöscht, und schon stehst du, ein Fremdling, unter den Genossen, ein fremdes Leuchten strahlt von deiner Stirn . . .
»Da ist der Wagen, endlich kommt der Wagen!« rief Tschitschikow, als seine Chaise vorfuhr. »Was trödelst du so lang' herum, du Lümmel? Scheint's, hast den Rausch von gestern noch nicht ausgeschlafen?«
Selifan erwiderte mit keiner Silbe auf den Vorwurf.
»Adieu denn, gute Frau! Na, und wie ist es? Wo haben Sie Ihr kleines Mädchen?«
»He, Pelageja!« rief die Gutsfrau einem Mädchen von zehn, elf Jahren zu, das seitwärts an der Treppe stand. Die Kleine trug ein Kleid aus hausgemachtem blauen Linnen und hatte bloße Füße, die von fern beinahe Stiefeln glichen, weil sie bis an die Knöchel hin von frischem Schmutze starrten. »He, Pelageja, du zeigst dem Herrn den Weg.«
Selifan reichte der Kleinen seine Hand, um ihr zu helfen. Sie stellte schnell den einen Fuß auf den herrschaftlichen Wagentritt, wo sie ein bißchen Dreck zurückließ, dann kletterte sie flink zu ihrem hohen Sitz empor und ließ sich neben dem Kutscher nieder. Gleich nach ihr stellte auch Tschitschikow den linken Fuß auf den beschmutzten Tritt, die Chaise senkte sich ächzend tief nach rechts, denn er war ein gewichtiger Mann; endlich saß er an seinem Platz und sagte:
»Alles in Ordnung! Adieu denn, gute Frau!« Die Pferde setzten sich in Trab.
Selifan machte die ganze Fahrt über ein mürrisches Gesicht und gab mit pflichtgetreuster Sorgfalt auf sein Gespann und auf den Weg acht. Das war gewöhnlich so der Brauch bei ihm, wenn er den Tag zuvor was ausgefressen oder ein Glas zuviel getrunken hatte. Die Gäule waren wundervoll gestriegelt. Das Kummet des Mittelpferdes, an dem seit einer halben Ewigkeit das Werg in Büscheln zu einem Riß des Leders herausgehangen hatte, war sorgfältig geflickt.
Selifan verhielt sich dauernd schweigsam und klatschte nur bedrohlich mit der Peitsche; von weisen Lehren vernahmen die Gäule heute nichts. Und dabei sehnte sich der Tigerschecke aus guten Gründen doch so lebhaft nach einer der ihm wohlbekannten Strafpredigten. Denn während solcher Reden lagen die Leinen immer ein wenig schlotterig in den Händen des wortefrohen Lenkers, und auch die Peitsche flitzte bloß zum Scheine des Gerechten über die Rücken des Gespanns. Heute aber entrangen sich den streng geschlossenen Lippen Selifans bloß völlig unerfreuliche, eintönig kurze Mahnungen, wie etwa: »He, heda, Rabenaas! Ich bring' dich auf den Trab!« Auch der Assessor und der Braune empfanden es als kränkend, daß sie kein einziges Mal als »liebe Freunde« und »hochgeschätzte Gönner« angeredet wurden. Der Tigerschecke aber bekam so manchen derben Hieb auf seine am plastischsten geformten Körperteile. – Was fällt denn dem auf einmal ein! so dachte er bei sich und spielte unruhig mit den Ohren. – Herrgott, der Bursche weiß, wohin er haut! Er drischt einen nicht einfach auf den Rücken, – er sucht sich voller Hinterlist die Plätze aus, wo's am infamsten weh tut: schnippst einem an die Ohren oder da unten an den Bauch, der Kerl!
»Jetzt rechts, nicht wahr?« Mit dieser trocknen Frage wandte sich Selifan an Pelageja und wies auf einen Weg, der weiter vorne regendunkel durch leuchtend grüne und erfrischte Felder lief.
»Nein, nein, ich zeig's dann schon,« antwortete die Kleine.
»No also, wo?« fragte Selifan, als sie kurz vor dem Kreuzweg waren.
»Da.« Das Mädchen zeigte mit der Hand.
»Dämlack!« murmelte Selifan. »Das ist doch rechts. Weiß nicht, was rechts und links ist.«
Der Himmel stand in wolkenloser Bläue, aber der Regen hatte alle Wege so ausgiebig durchweicht, daß sich der Dreck fest an die Räder hängte und sie mit einer Art von dickem Filz bezog. Das machte den Wagen schwer; dazu war noch der Boden lehmig und klebte sich den Pferden an die Hufe. So kam die Mittagzeit heran, bevor sich unsre Reisenden der großen Straße näherten. Und ohne die jugendliche Führerin hätten sie wahrscheinlich doppelt so lang' gebraucht, – die Wege liefen wirr nach allen Seiten auseinander, wie ein Schock Krebse, das man aus dem Sacke schüttelt. Hier hätte Selifan sich ohne seine eigne Schuld sehr leicht verirren können. Endlich zeigte das Mädchen auf ein dunkles Gebäude in der Ferne und sagte:
»Da ist die Hauptstraße.«
»Was ist das für ein Haus?« erkundigte sich Selifan.
»Das Wirtshaus,« antwortete die Kleine.
»Jetzt kommen wir alleine hin,« rief Selifan. »Marsch, troll dich fort!«
Er ließ die Pferde halten und half ihr absteigen. Dazu brummte er durch die Zähne:
»Dreckfüßlerin!«
Tschitschikow schenkte ihr einen Kupfergroschen, und sie machte sich vergnügt davon, dem Schicksal dankbar schon allein dafür, daß sie so lange auf dem Kutschbock hatte sitzen dürfen.