Nikolai Gogol
Tote Seelen
Nikolai Gogol

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Viertes Kapitel

Tschitschikow entschloß sich aus zwei Gründen zu einer Rast im Wirtshaus an der Straße: einmal sollten die Pferde sich verschnaufen, und zweitens wollte er selbst ein kleines Frühstück einnehmen und sich ein bißchen stärken. Der Verfasser macht gar kein Geheimnis daraus, daß der gesunde Appetit und die gesunden Magen solcher Leute von jeher seinen blassen Neid erwecken. Wie kümmerlich bedünken ihn im Vergleich hierzu die großen Herrn in Petersburg und Moskau, die ihre Zeit mit weitschichtigen Erwägungen darüber vertun, was sie am nächsten Tag zu Mittag essen und wie sie sich ihr fürstliches Diner für übermorgen komponieren sollen. Und vor der Mahlzeit müssen sie erst Pillen schlucken und ihren Hunger durch Austern und Langusten und derlei ausgefallenes Viehzeug reizen; und jährlich einmal fahren sie in üblem Zustand zur Verdauungskur nach Karlsbad oder einem von den Bädern im Kaukasus. Nein, einen solchen Zeitgenossen zu beneiden, liegt uns fern. Was hat er für ein Leben gegen so einen besseren Herrn aus unseren soliden Bürgerkreisen, der sich gleich auf der ersten Poststation eine gewaltige Ladung Schinken bestellt, auf der zweiten eine wahre Lastträgerportion Spanferkel und auf der dritten ein Riesenstück Störfleisch oder eine in Teig gebackene Wurst mit Zwiebeln; und trotzdem darfst du diesen tüchtigen Mann zu ixbeliebiger Stunde an den Eßtisch laden, – die Sterletsuppe rauscht und strudelt in seinen Schlund hinab, und dazu beißt er in die Fischpastetchen, daß man beim Zuschaun hungrig wird. Das nenn' ich eine Himmelsgabe, um die man einen Christenmenschen wohl beneiden darf! Wie mancher von den großen Herren würde sofort die Hälfte seines verpfändeten und unverpfändeten Besitzes, seiner Leibeigenen und seiner Landgüter mit allen neuesten Meliorationen nach ausländischem oder russischem System hingeben, wenn er sich dadurch einen Magen erwerben könnte, wie ihn ein solcher solider Bürger von Natur besitzt; das Dumme dran ist nur, daß man sich einen solchen Bürgermagen auf keine Weise kaufen kann, – weder für Geld, noch auch für Güter mit oder ohne neueste Meliorationen.

Tschitschikow sprang aus dem Wagen und trat unter das bescheidne, aber gastliche Vordach, das auf gedrehten Holzpilastern ruhte, die stark an Kirchenleuchter aus alter Zeit erinnerten. Das hölzerne, wetterergraute Wirtshaus war kaum was anderes als eine etwas groß geratene Bauernkate. Geschnitzte Fensterrahmen aus frischem Holz und ein Gesims von gleicher Art, das unterm Dach rundum lief, belebten lustig bunt die dunkeln Wände; die Fensterladen wiesen gemalte Blumenvasen auf.

Tschitschikow erstieg die schmalen Holzstufen und trat in einen dunkeln Flur. Schon knarrte eine Tür, ein altes Weib in buntem Baumwollkleid kam auf ihn zu und sagte:

»Bitte, hier geht's herein.«

Und drinnen in der Stube, da grüßten ihn die alten Freunde, die jedermann aus hunderten der kleinen hölzernen Wirtshäuser kennt, die an den Straßen des weiten Rußlands stehen. Da war die wasserdampfbeschlagene Teemaschine, die Wandverkleidung aus glatten Fichtenbrettern, der Eckschrank voller Kannen und Tassen für den Tee, da hingen vor den Heiligenbildern an blauen oder roten Bändchen goldgerändert die Eier aus Porzellan, da lag die Katze, die erst jüngst geworfen hatte, da war der Spiegel, der dir statt deiner zwei ehrlichen Augen freigebig deren vier zeigt und aus dessen trübem Glas dir dein Gesicht platt wie ein Pfannkuchen entgegenlächelt, da staken an den Heiligenbildern Büschel aus wohlriechenden Kräutern und aus Nelken, die so vertrocknet waren, daß man erst gar nicht dran zu riechen brauchte und, tat man es trotzdem, entsetzlich niesen mußte.

»Haben Sie Spanferkel?« so fragte Tschitschikow die Alte.

»Jawohl.«

»Mit Meerrettich und saurer Sahne?«

»Jawohl.«

»Dann also Spanferkel mit Meerrettich und saurer Sahne!«

Die Alte schlurfte langsam hin und her, sie brachte einen irdenen Teller und eine Serviette, die so steif gestärkt war, daß sie sich in die Höhe bäumte wie trockene Birkenrinde, dazu ein Messer mit vergilbtem Beingriff und so dünn geschliffener Klinge, daß es sich zum Federschneiden gut geeignet hätte, dann eine Gabel mit zwei Zinken und ein Salzfaß, das um keinen Preis gerade stehen wollte.

Gewohntermaßen zog nun unser Held die Alte gleich in eine Unterhaltung. Er erkundigte sich, ob sie die Wirtschaft als einsame Wittfrau führe, oder ob sie noch einen Mann besäße, wieviel der Betrieb im Jahre durchschnittlich abwürfe, ob ihre Söhne auch noch bei den Eltern wohnten, ob der älteste Sohn ledig oder verheiratet wäre, was er für eine Frau genommen und ob ihm die hübsch etwas in die Ehe mitgebracht hätte, ob der Schwiegervater mit der Partie einverstanden und ob der junge Mann nicht ärgerlich gewesen wäre, weil er zur Hochzeit nicht genug geschenkt bekommen hätte; kurzum, ihn interessierte alles. Selbstverständlich wollte er auch gerne wissen, was für Gutsbesitzer es in der Gegend gäbe. Er erfuhr, daß es deren eine Unmenge gab; sie hießen Blochin, Patschitajew, Mylnoi, Oberst Tscheprakow, Sabakewitsch . . . »So, so, Sie kennen Sabakewitsch?« rief er. Und es erwies sich, daß die Alte nicht nur Sabakewitsch kannte, sondern auch Manilow. Und Manilow war nach ihrer Beschreibung ein viel »feinerer Gast« als Sabakewitsch: er bestellte gleich mehrere Dinge auf einmal: Kalbsbraten und ein Brathuhn, und wenn es Hammelleber gab, verlangte er auch davon eine Portion und kostete von jedem nur ein Häppchen; Sabakewitsch hingegen begnügte sich mit einem einzigen Gericht, verzehrte dieses aber mit Stumpf und Stiel und mutete der Wirtin kaltblütig zu, daß sie ihm für dasselbe Geld noch einmal nachservierte.

Unter solchen Gesprächen hieb Tschitschikow in sein Spanferkel ein und war gerade bei dem letzten Stückchen, als auf der Straße ein Gerassel von Wagenrädern anhob. Er schickte einen Blick durchs Fenster: da draußen vor der Tür stand eine leichte Halbchaise mit drei recht gut gehaltenen Pferden. Aus diesem Wagen stiegen alsbald zwei Herren, ein hochgewachsener Blonder und ein kleinerer Schwarzer. Der Blonde trug einen dunkelblauen verschnürten Rock, der Schwarze einfach eine gestreifte Morgenjacke. Langsam näherte sich weiter hinten noch eine zweite, leere Kutsche mit vier zottigen Pferdchen, die zerrissene Kummete trugen und deren Geschirr im übrigen aus rohen Stricken bestand. Der blonde Herr sprang eilfertig die Stufen herauf, während der Schwarze beim Wagen blieb und darin scheinbar nach irgend etwas suchte. Er rief dem Diener ein paar Worte zu und winkte dem Lenker des anderen Gefährtes lebhaft mit der Hand. Seine Stimme kam Tschitschikow ganz merkwürdig bekannt vor. Doch während er noch ungewiß in der Erinnerung suchte, hatte der Blonde glücklich die Türklinke ertastet und trat nun in die Stube. Er war ein Mann von hohem Wuchs, mit scharfen, etwas abgelebten Zügen und kleinem roten Schnurrbart. Seinem verbrannten Gesicht sah man leicht an, daß er schon oft, wenn auch nicht gerade im Pulverrauch, so doch im Tabakrauch gestanden hatte. Er verbeugte sich gegen Tschitschikow, und dieser dankte höflich. Beide Herren äußerten fast gleichzeitig ihre Befriedigung darüber, daß der gestrige Regen den Staub niedergeschlagen hätte und es jetzt erfreulich kühl zu fahren sei. Und als so der Beginn gemacht war, kamen sie schnell in eine angeregte Unterhaltung. Nach einer Weile trat der dunkle Herr ins Zimmer. Er nahm die Mütze ab, warf sie auf einen Tisch und fuhr sich mit den zehn Fingern flott durch seine üppigen schwarzen Locken. Er war von Mittelgröße und ein sehr strammer hübscher Kerl, mit vollen roten Backen, schneeweißen Zähnen und kohlrabenschwarzen Favoris. Sein Teint erinnerte an Milch und Blut; er strahlte förmlich vor Gesundheit.

»Hallo, hallo!« rief er auf einmal und breitete Tschitschikow begeistert seine Arme entgegen. »Wo karrt denn dich der Teufel her?«

Tschitschikow erkannte jenen Herrn Nasdrjow, den er auf dem Diner beim Staatsanwalt getroffen hatte, und der schon nach ein paar Minuten so eng mit ihm befreundet gewesen war, daß er ihn einfach duzte, zum Staunen unseres Helden, der nicht wußte, wie er zu dieser Ehre kam.

»Wo karrt denn dich der Teufel her?« fragte Nasdrjow und fuhr, ohne die Antwort unseres Helden abzuwarten, gleich selber fort: »Ich komm vom Jahrmarkt. Du kannst mir gratulieren: alles bis auf den letzten Knopf verjuxt! Willst du mir glauben, daß ich in meinem ganzen Leben noch nie so tief im Dalles war? Ich hab' mir sogar Pferde mieten müssen bei 'nem Proleten in der Stadt! Du mußt dir diese Bestien spaßeshalber mal besichtigen!« Und dabei drängte er Freund Tschitschikow so heftig mit dem Kopf ans Fenster, daß der sich fast am Fensterkreuz eine gewaltige Beule an die Stirn gestoßen hätte. »Noble Karosse, was? Konnten mich kaum noch schleppen, diese Schindergäule, die verfluchten! Ein Glück, daß er mit seinem Wagen da war und mich mitnahm.« Bei diesen Worten zeigte Nasdrjow auf seinen blonden Reisekameraden. »Ach Gott, ihr kennt euch ja gar nicht? Mein Schwager Mischujew! Wir haben schon den ganzen Morgen von nichts gesprochen als von dir. ›Da wirst du kucken,‹ hab' ich gesagt, ›wenn wir dem Tschitschikow begegnen . . .‹ – Ach, alter Freund, du hast ja keine blasse Ahnung von meinem Riesendalles! Willst du mir glauben, daß ich nicht nur meine vier Gäule glatt verkümmelt hab', sondern ganz einfach alles, radikal? Die Uhr, die Kette – futsch . . .« Tschitschikow überzeugte sich durch einen Blick, daß Uhr und Kette tatsächlich nicht vorhanden waren. Es wollte ihn sogar bedünken, als wäre von den Favoris des Herrn Nasdrjow der eine sehr viel kleiner und lange nicht so üppig als der andre. Nasdrjow fuhr fort: »Nur lumpige zwanzig Rubel hätt' ich noch haben sollen, zwanzig Rubel und keinen Groschen mehr, dann hätt' ich alles wieder hereingebracht. Was heißt: hereingebracht? Alles hereingebracht und außerdem, so wahr, wie ich ein Ehrenmann und Kavalier bin, ganz knapp gerechnet dreißigtausend Rubel wie nichts in dieses Portefeuille verstaut.«

»Das hast du zwar dort auch behauptet,« entgegnete der Blonde. »Und wie ich dir dann fünfzig Rubel gab, da waren sie im Handumdrehn verspielt.«

»Ich hätt' sie aber nicht verspielt! Bei Gott: ich hätt' sie nie verspielt! Es war bloß meine eigne Dummheit. Muß mich der Teufel reiten, Paroli zu biegen bei der verdammten Sieben; sonst hätte ich die Bank gesprengt.«

»Du hast sie aber nicht gesprengt,« sagte der Blonde ruhig.

»Ja: weil ich eben Paroli gebogen hab'. Du glaubst wohl, dein Major spielt gut?«

»Gut oder schlecht, – auf jeden Fall hat er gewonnen.«

»Kunststück!« sagte Nasdrjow. »Das nehm' ich ihm schon wieder ab. Nein, lieber Freund, – Doublet soll er mal spielen, dann wird es sich ja zeigen, dann kommt es heraus, ob er ein feiner Spieler ist! Ach aber, alter Freund und Kupferstecher Tschitschikow, die ersten Tage, da haben wir dir was gesumpft . . .! Der schönste Jahrmarkt meines Lebens! Die Händler mußten selber sagen, daß nie vorher so ein Betrieb war. Ich habe meine sämtlichen Produkte zu ganz fabelhaften Preisen losgeschlagen. Herrgott, was haben wir gesumpft! Wenn ich zurückdenk', – hol's der Teufel! Der einzige Fehler, daß du nicht dabei warst! Stell dir vor, in nächster Nachbarschaft der Stadt lag grade ein Regiment Dragoner im Quartier. Wirst du mir glauben, daß die ganzen Offiziere vom ersten bis zum letzten Mann hereingekommen sind? Vierzig Stück Offiziere, lauter flotte Kavalleristen, auf einmal in der Stadt! Ist da ein Saufen losgegangen, lieber Freund . . .! Der Rittmeister beim Stabe Pazelujew, – doller Kerl! So einen Schnurrbart, lieber Freund! Denk dir, den Pontet Canet nennt er nicht anders als Kaninchen. ›Noch so 'n Kaninchen, Sklave!‹ brüllt er den Kellner an. Und dann der Oberleutnant Kuwschinnikow, – 'ne Seele von 'nem Mannsbild, lieber Freund! Ein Saufaus, wie er im Buche steht, kann ich dir nur versichern. Wir zwei, wir klebten wie die Kletten aneinander. Und was der Panomarjow uns für 'nen Wein verzapft hat! O, der Kerl ist ein Halunke erster Güte, mußt du wissen; was er im Laden hat, das kann man nicht genießen. Den größten Dreck panscht er in seinen Wein: färbt ihn mit Sandelholz, gebrannten Korken und Holunderbeeren, der hundsgemeine Schuft. Aber mein lieber Freund, wenn er 'ne Flasche aus dem besondern Lager holt, aus seinem ›geheimen Kabinett‹, wie er zu sagen pflegt, mein lieber Freund, dann bist du einfach weg. Einen Champagner haben wir getrunken, dagegen war der neulich beim Präsidenten das reinste Dünnbier. Stell dir vor: nicht der gewöhnliche Cliquot, nein, Matradura-Cliquot, – Cliquot ganz einfach ins Quadrat erhoben. Und dann gab es noch eine Sorte Französischen, der hieß Bonbon. Ich sag dir: ein Bukett wie Rosen und alle Blumen, die dein Herz begehrt. Gott, haben wir gesumpft . . .! Nach uns kam noch ein Fürst von Dingsda in unserm Gasthof an, der wollte bei Panomarjow Champagner holen lassen, – nicht eine Flasche in der ganzen Stadt mehr aufzutreiben: alles glatt ausgesoffen von den Offizieren. Willst du mir glauben, daß ich mir ganz allein bei einem Diner auf einem Sitz, sage und schreibe, siebzehn Flaschen durch die Gurgel gegossen hab'?«

»Na, siebzehn Flaschen trinkst du nicht,« entgegnete der Blonde.

»Mein Ehrenwort als Kavalier: gezählte siebzehn Flaschen!« erklärte Nasdrjow.

»Wer's glaubt! Du trinkst ja keine zehn auf einen Sitz!«

»Was wetten wir?«

»Wozu denn immer wetten?«

»Du setzt die Flinte, die du in der Stadt gekauft hast . . .

»Fällt mir nicht ein!«

»Ach, sei kein Frosch! Wir wetten! Nur zum Spaß!«

»Fällt mir nicht ein. Auch nicht zum Spaß.«

»Ja: weil du ganz genau weißt, daß die Flinte futsch wär! Tschitschikow, geliebter Freund und Gönner, was ich 'ne Wut gehabt hab', daß du nicht dabei warst! Vom Leutnant Kuwschinnikow, da hättest du dich nicht mehr trennen können. Ein Herz und eine Seele wärt ihr zwei gewesen! Das ist nicht so ein schofler Kerl wie unser Staatsanwalt und all die filzigen Aktenreiter in der Stadt, die gleich um jeden schäbigen Groschen zittern. Der ist bei allem gleich dabei: trente et quarante, Roulette und was sich ein Kavalier nur wünschen kann. Sag, Tschitschikow, was ist das für 'ne Hundsgemeinheit, daß du nicht hingekommen bist! Duckmäuserischer Schweinepriester, Viehkerl du! Komm gib mir einen Kuß; ich hab' dich rasend lieb! Und du, Mischujew, kuck uns an: ist es nicht eine Fügung Gottes, die uns zusammenführt? Was ist er mir, was bin ich ihm? Weiß Gott, wo ihn der Satan herkarrt, und ich muß grade hier wohnen und . . . – Du, Tschitschikow, den Haufen von Kaleschen hättest du sehen sollen, na, alles überhaupt – en gros. Und in der Glücksbude gewürfelt hab' ich auch und hab' zuerst ganz schön gewonnen: zwei Büchsen Haarpomade und eine Tasse von echtem Porzellan und 'ne Gitarre, und hab' dann alles wieder verspielt und noch sechs Rubel außerdem. So'n Leim! Was der Kuwschinnikow für'n Schwerenöter ist, da hast du keine Ahnung! Auf allen Tanzereien war ich mit dem verfluchten Kerl. Ich sage dir, ein Weib war da, dekolletiert bis da, und nobel angezogen, mit Rüschen, Falbeln und allem Teufelskram. Ich dachte mir im stillen: – Donnerwetter! Aber Kuwschinnikow, dies Luder, sitzt schon bei ihr und bombardiert sie auf französisch mit höchst gewagten Komplimenten . . . No, wirst du's glauben oder nicht: vor dem war ja nicht mal ein Marktweib sicher. Das nennt der Kerl ›Erdbeeren pflücken‹. Du, und gedörrten Stör hat's dort gegeben, – ich kann dir sagen: delikat! Ich hab' mir einen mitgenommen, – ein Glück, daß ich dran dachte, solang' ich noch bei Kasse war! – Wo fährst du denn jetzt hin?«

»Ach so . . . Ich muß zu jemand . . . sagte Tschitschikow.

»Was heißt denn: jemand? Laß ihn schießen! Komm zu mir!«

»Ganz ausgeschlossen! Ich . . . ich hab' Geschäfte da . . .

»Geschäfte . . .! Mir machst du doch nichts weiß, du Opodeldoc Iwanowitsch!«

»Wenn ich dir sag': Geschäfte, sehr dringende Geschäfte!«

»Was wetten wir, daß das ein aufgelegter Schwindel ist? Na also, sag mir doch, zu wem du willst?«

»Zu wem soll ich denn wollen? Zu Sabakewitsch will ich.«

Nun aber platzte Nasdrjow in ein verrücktes Lachen aus. So schallend lachen kann nur ein frischer, kerngesunder Mensch, der dabei zweiunddreißig schneeweiße Zähne vorzuzeigen hat. Er lacht, und seine Backen zittern und zucken vor Vergnügen. Und liegt zu gleicher Zeit vielleicht im übernächsten Zimmer ein fremder Herr im Bett, so schreckt ihn das Gelächter noch hinter zwei verschlossenen Türen aus dem Schlaf, er reibt sich seine Augen und brummt: »Herrgott, den hat es wohl?«

»Was gibt's denn da zu lachen?« fragte Tschitschikow nicht ohne Empfindlichkeit.

Nasdrjow aber lachte aus vollem Halse weiter und stöhnte zwischendurch:

»O, Gnade! Ich platze ja vor Lachen!«

»Daran ist gar nichts komisch. Ich hab' es ihm versprochen,« erklärte Tschitschikow.

»Du wirst ja deines Lebens niemals froh, wenn du zu diesem schäbigen Geizhals fährst! Ich kenn' doch deinen Geschmack: da bist du schief gewickelt, wenn du bei dem auf eine kleine Bank und eine süffige Flasche Bonbon oder dergleichen spekulierst. Ich will dir mal was sagen, lieber Freund: den Sabakewitsch soll der Teufel holen! Du fährst mit mir! Ich setz' dir einen Stör vor . . .! Der Panomarjow, dies Luder, hat sich beinah das Kreuz verrenkt vor Liebenswürdigkeit und hat gesagt: ›Nur darum, weil Sie es sind!‹ hat er gesagt, ›Sie finden so einen Stör kein zweites Mal.‹ Ein ganz gerissener Gauner bleibt er deshalb doch. Ich hab' es ihm auch ins Gesicht gesagt. ›Sie und der Branntweinpächter,‹ hab' ich zu ihm gesagt, ›ihr seid die größten Schwerverbrecher im ganzen Kreis.‹ Glaubst du, das Luder nimmt das übel? I wo: er lacht und streicht sich seinen Bart. Kuwschinnikow und ich, wir haben täglich im Laden von dem Kerl gefrühstückt. – Ach, lieber Freund, damit ich's nicht vergesse: ich zeig' dir was. Aber ich sag's dir im voraus: du kriegst ihn nicht, und wenn du mir zehntausend Rubel auf den Tisch zahlst.« Nasdrjow trat an das Fenster und sah hinaus. Dort stand sein Diener, in einer Hand sein Taschenmesser, in der andern einen Runksen Brot mit einem tüchtigen Stück Störfleisch drauf, das ihm bei einer Inspektion des Wagens »von selber zugelaufen« war. »He, Porfiri!« rief Nasdrjow. »Bring mal den Hund herein! – Das ist ein Hund, mein lieber Freund . . .!« fuhr er, zu Tschitschikow gewendet, fort. »Gestohlen, selbstverständlich! Nicht um sein Leben hätte ihn der Dings verkauft. Ich hab' ihm für den Hund die Fuchsstute geboten, du weißt, den Gaul, den mir der Chwastyrjow in Tausch gegeben hat . . .«

Tschitschikow hatte weder von der Fuchsstute noch von Chwastyrjow in seinem ganzen Leben etwas gesehen und gehört.

»Ist nichts gefällig, gnädiger Herr?« fragte in diesem Augenblick die alte Wirtin.

»Nein,« sagte Nasdrjow. »Ach, lieber Freund, was haben wir gelumpt! – No, meinetwegen, einen Schnaps! Was gibt's für einen?«

»Anis,« erwiderte die Alte.

»Also Anis,« bestellte Nasdrjow.

»Mir auch ein Glas!« sagte der Blonde.

»Du, eine Sängerin war da in dem Theater, die hat geschmettert wie'n Kanarienvogel, das Aas! Kuwschinnikow saß neben mir. ›Du, alter Freund,‹ hat er gesagt, ›bei der mal so ein bißchen Erdbeeren pflücken, – das könnte meines Vaters Sohn wohl passen!‹ Schaubuden ganz allein sind an die fünfzig dagewesen. Der Akrobat Phenardi hat vier Stunden lang in einem Zuge Rad geschlagen.«

Die Alte präsentierte Nasdrjow mit einer tiefen Verneigung den Schnaps.

»Na, vorwärts, bring ihn her!« rief er dem Diener Porfiri zu, der mit dem jungen Hunde unterm Arm zur Tür hereintrat.

Porfiri war ähnlich gekleidet wie sein Herr. Auch er trug eine auf Watte abgesteppte Morgenjacke, nur daß die seine noch mehr Fettflecken aufwies als die Nasdrjows.

»Na, vorwärts! Stell ihn da hin!«

Porfiri gehorchte dem Befehl. Der junge Hund stand mit gespreizten Beinen da und schnupperte am Boden.

»Das ist ein Hund . . .!« sagte Nasdrjow und hob ihn am Nackenfell hoch in die Luft.

Das Tierchen ließ ein erbarmenswürdiges Winseln hören.

»Und warum tust du nicht, was man dir sagt?« herrschte Nasdrjow den Diener an und musterte den Bauch des Hundes mit sehr vertiefter Kennermiene. »Hab' ich dir nicht gesagt, du sollst ihn kämmen?«

»Ich hab' ihn doch gekämmt.«

»Wo kommen dann die Flöhe her?«

»Weiß nicht. Wo kommen Flöhe her? Es können ja im Wagen welche gewesen sein.«

»Du unverschämter Schwindler; ist dir im Traum nicht eingefallen, ihn zu kämmen. Du Lümmel hast ihm wohl von deinen Flöhen noch paar Dutzend abgegeben. – Du, Tschitschikow, sieh mal die Ohren von dem Vieh . . .! Na, vorwärts, fühl' sie an!«

»Ach nein, wozu! Ich seh' ja; ganz famose Rasse!« sagte Tschitschikow.

»Nein, nein, faß spaßeshalber nur mal hin, fühl sie doch an!«

Und Tschilschikow tat ihm des lieben Friedens halber den Gefallen und murmelte dazu:

»Das wird ein tadelloser Hund.«

»Und was er für 'ne kalte Nase hat! Fühl doch einmal!«

Um ihn nicht zu beleidigen, überzeugte sich Tschitschikow auch davon, wie kalt die Nase war, und stellte fest:

»Ja, fühlt sich gut an.«

»Echter Bullenbeißer,« fuhr Nasdrjow fort. »Auf einen Bullenbeißer hab' ich mich schon seit 'ner Ewigkeit gespitzt. – Na, marsch, Porfiri, schaff ihn 'raus!«

Porfiri nahm den Hund und trug ihn in den Wagen zurück.

»Du, Tschitschikow, paß einmal auf: du fährst jetzt ohne Widerrede mit zu mir; es sind ja nur fünf Werst, ein Katzensprung. Nachher kannst du ja meinetwegen noch immer zu dem Kerl, dem Sabakewitsch.«

– Na, schließlich . . .? überlegte Tschitschikow bei sich. – Was kann's im Grunde schaden, wenn ich mit ihm fahre? Nasdrjow ist doch so gut wie jeder andere. Mensch bleibt Mensch. Dazu steckt er in Geldverlegenheiten. Und ein verrückter Hering ist er auch; vielleicht ist bei dem Kerl sogar noch gratis was zu holen.

»Schön also!« sagte er laut. »Aber zu lange hältst du mich nicht fest; denn meine Zeit ist kostbar.«

»Lieber Freund, das ist ein Wort! Famos! Dafür kriegst du 'nen Kuß!« Nasdrjow umarmte Tschitschikow. »Fein, fein: jetzt sind wir drei Mann hoch . . .«

»Nein, nein, von mir sieh, bitte, ab,« sagte der Blonde. »Ich muß nach Hause.«

»Blech, lieber Schwager, Blech! Ich lass' dich doch nicht los.«

»Ach geh, und wirklich: meine Frau sieht es nicht gern. Du kannst ja jetzt im Wagen von dem Herrn da fahren.«

»Nein, nein, und nein! Bild dir nur keinen Quatsch ein!«

Der Blonde gehörte zu den Leuten, die jeder auf den ersten Blick für ungeheuer eigensinnig hält. Bevor du überhaupt den Mund geöffnet hast, kommt dir so einer schon mit Widerreden, und du vermagst es dir von einem solchen Menschen auf keine Weise vorzustellen, er könnte je in etwas willigen, was seinen Prinzipien irgendwie entgegen ist, er könnte je für klug erklären, was er für dumm hält, geschweig: denn, er könnte willig nach eines andern Pfeife tanzen; jedoch das Ende vom Lied ist immer, daß solche Leute viel weicher sind, als sie sich anfangs geben: du findest sie gar bald bereit, zu tun, was sie vor zwei Minuten noch entrüstet von sich wiesen, sie nennen willig klug, was ihnen im Grunde dumm erscheint, sie tanzen so gehorsam nach jeder fremden Pfeife, daß es eine wahre Freude ist, kurzum: sie tragen den Charakter auf der Zunge, nicht aber in der Brust.

»Ach, dummes Zeug!« erwiderte Nasdrjow auf ein paar weitere Einwendungen seines Schwagers. Sprach's, drückte ihm die Mütze auf den Kopf, und siehe da: der Blonde trottete so folgsam wie ein Lamm hinter den beiden andern drein.

»Gnädiger Herr, der Schnaps ist nicht bezahlt,« sagte die Alte.

»Ach, richtig, richtig, gute Frau. Du, hör mal, Schwager, bezahl für mich! Ich habe keinen Groschen in der Tasche.«

»Was macht der Schnaps . . .?« fragte der Schwager.

»Was wird er machen, gnädiger Herr? Bloß einen Silberzwanziger,« sagte die Alte.

»So'n Schwindel! Gib ihr 'nen halben Rubel Banko, – das ist mehr als genug.«

»Das reicht nicht, gnädiger Herr,« sagte die Alte, nahm aber trotzdem das Geld mit einer dankbaren Verneigung in Empfang und öffnete den Herren dienstfertig die Tür. Sie war wahrhaftig nicht zu kurz gekommen, hatte sie doch in weiser Vorsicht das Vierfache von dem verlangt, was ihr Anisschnaps wert war.

Die Herren stiegen ein. Tschitschikows Chaise fuhr dicht neben der andern her, in der Nasdrjow mit seinem Schwager saß; so konnten sich die drei auf ihrem Weg gemächlich unterhalten. In stetig wachsender Entfernung folgte ihnen, von den vier magern Mietgäulen gezogen, Nasdrjows leichter Jagdwagen, in dem Porfiri und der junge Hund die Reise machten.

Da nun die Unterhaltung der drei Herren den wohlgeneigten Leser kaum interessieren dürfte, so sagen wir inzwischen lieber ein paar Worte über Nasdrjow. Ist's doch nicht gänzlich ausgeschlossen, daß er in unserem Roman später noch einmal eine Rolle spielt, die der Bedeutung nicht ermangelt.

Nasdrjows Gesicht dünkt viele unserer Leser vielleicht nicht so ganz unbekannt. Leute von dieser Art sind jedermann schon oft begegnet. Man nennt sie mit einem gewissen Wohlgefallen Teufelskerle; schon in der Kinderstube und auch auf der Schulbank gelten sie als gute Kameraden, und dennoch sieht man sich nur gar zu oft genötigt, sie ausgiebig durchzubläuen. Sie schauen dir mit offenem, geradem, keckem Ausdruck ins Gesicht. Sie werden schnell mit dir bekannt, sie duzen dich, bevor sie richtig deinen Namen wissen. Sie schließen mit dir Freundschaft auf den ersten Blick, – Freundschaft für ewig, mußt du glauben; meistens aber will es das Geschick, daß sich die neuen Freunde schon am gleichen Abend ganz buchstäblich in die Haare kommen. Diese Nasdrjows sind alle Schwätzer, Nachtschwärmer, Hänschen in allen Gassen, Leute, die Stoff zu wilden Klatschereien geben. Nasdrjow war noch mit fünfunddreißig Jahren ganz der Gleiche, der er mit achtzehn und mit zwanzig schon gewesen war: ein Bummler, wie er im Buche steht. Daß er sich eine Frau nahm, hatte nichts daran geändert, zumal die Gattin es nach wenigen Jahren schon für weit erquicklicher gehalten hatte, sich in das bessere Jenseits zu empfehlen. Sie hinterließ ihm ein paar kleine Kinder, aus denen er sich nicht viel machte. Wenigstens aber schaffte er seinen Sprößlingen doch eine Bonne von ziemlich angenehmem Äußern an. Daheim hielt es ihn niemals länger als vierundzwanzig Stunden. Er hatte eine feine Witterung dafür, wo im Umkreis von zehn Werst ein Jahrmarkt mit den zugehörigen Diners und Bällen stattfand; und, hast du mir nicht gesehn, war er schon dort und saß am grünen Tisch, wo es gar bald Krawall und Streit gab. Denn wie's bei solchen Leuten üblich ist, galt seine ganze Leidenschaft den Karten. Als Spieler war er – das ist uns aus dem ersten Kapitel dieses Romanes schon bekannt – nicht eben übertrieben gewissenhaft und anständig. Aufs Volteschlagen und auf andre feine Kniffe verstand er sich sehr gut. Und darum wurde aus dem Kartenspiel gar oft ein andres Spiel: entweder zahlte man ihm seinen Gewinn in wohlgemünzten Fußtritten aus, oder man schlug ihm auch die Volte auf seinen üppigen, gepflegten Favoris. Wenn er nach Hause kam, besaß er von seinen Favoris oft bloß noch einen, und den in recht gerupftem Zustand. Aber seine gesunden, drallen Backen gaben einen so guten Mutterboden ab und entwickelten solch eine vegetative Kraft, daß seine Favoris bald nachgewachsen waren und in noch üppigerem Flore standen als zuvor. Das Sonderbarste aber bei alledem und etwas, was so nur in unserm geliebten Reußenlande und nirgends sonst auf Erden denkbar ist, war dies: wenn er nach ein paar Wochen die Freunde wieder traf, die ihn so fürchterlich vermöbelt hatten, sagte er unschuldig lächelnd Guten Tag, als ob nicht das Geringste zwischen ihnen läge. Er stellte sich, wie das der Volksmund ausdrückt, einfach dumm, und sie . . . sie stellten sich desgleichen dumm.

Nasdrjow war in gewissem Sinne eine geschichtliche Persönlichkeit. Bei keinem Fest, das er besuchte, ging's ohne irgendeine »Geschichte« ab. Irgend etwas ganz Ausgefallenes kam unbedingt vor: entweder nötigten ihn Leute von der Polizei gewaltsam aus dem Saale, oder auch seine Freunde sahen sich gezwungen, ihn eigenhändig an die Luft zu setzen. Und ging es einmal ohne Hinauswurf ab, so passierte ihm doch immer etwas, was andern Leuten nie passiert: entweder betrank er sich in einer Weise, daß er einen unstillbaren Lachkrampf bekam, oder er fing so grausam zu lügen an, daß er sich zu guter Letzt beinahe selbst genierte. Und dabei log er völlig sinnlos: er konnte etwa mit steinernem Gesicht behaupten, er hätte neulich irgendwo ein himmelblaues oder ein rosa Pferd gekauft, und derlei Blödsinn, so daß sich schließlich jeder aus seiner Nähe drückte und bei sich dachte: – Lieber Freund, du bindest uns doch zu gewaltige Bären auf! – Es gibt Leute, die mit einer wahren Leidenschaft darauf aus sind, dem lieben Nächsten einen Schabernack zu spielen, auch wenn man ihnen gar nichts angetan hat, was sie dazu berechtigen könnte. Und das blüht dir nicht etwa nur von seiten dummer Jungen, – o bewahre: da steht vor dir ein Mann in Amt und Würden, höchst vornehm anzusehn, auf seinem Fracke prangt sogar ein Ordensstern; er drückt dir leutselig die Hand, er unterhält sich mit dir aufs anregendste über die tiefsten Probleme menschlicher Entwicklung, und plötzlich mußt du staunend merken, daß er dir völlig unbefangen, ganz frech vor deinen Augen, einen so dummen und hundsgemeinen Possen spielt, wie man ihn vielleicht von einem schäbigen kleinen Subalternbeamten erwarten könnte, nicht aber von einem dekorierten Herrn, der sich mit dir aufs anregendste über die tiefsten Probleme menschlicher Entwicklung zu unterhalten weiß, – du stehst wie vor den Kopf geschlagen und kannst nur sehr verblüfft die Achseln zucken. Dieser sonderbaren Leidenschaft fröhnte auch Nasdrjow. Und gerade die, die seine besten Freunde waren, seifte er auf die Art am allerliebsten ein: er verbreitete die tollsten Räubergeschichten über sie, wie man sie abgeschmackter schwerlich hätte erfinden können, er brachte sie mit ihren Bräuten auseinander, verpurrte ihnen ihre wichtigsten Geschäfte und hielt sich dabei keineswegs für ihren Feind; o, ganz im Gegenteil: wenn ihn der Zufall wieder mit solch einem geplagten Opfer seiner Streiche zusammenführte, tat er sehr herzlich und sagte mit rührender Naivität: »Du bist, weiß Gott, ein Ekel, daß du mich nie besuchst!«

In mancher Hinsicht war Nasdrjow ein vielseitiger oder, präziser ausdrückt, ein vielgeschäftiger Mensch. In einem Atemzuge konnte er dir eine gemeinsame Reise, und sei es bis ans Ende dieser Erde, ein Kompagniegeschäft und irgendeinen Tauschhandel in Vorschlag bringen. Er war immer bereit, jeden nur möglichen Gegenstand gegen jeden andern nur möglichen Gegenstand zu vertauschen. Flinten, Hunde, Pferde, – das waren ihm die liebsten Tauschobjekte. Und dabei trieb ihn nicht in erster Linie die Gewinnsucht, – nein, in dem allen tobte sich nur die Lust an ewiger Abwechslung, der Hang zum Hasardieren aus. Traf er auf einem Jahrmarkt einmal glücklich einen Dummen, der sich von ihm im Spiele rupfen ließ, dann kaufte er in buntem Durcheinander alles zusammen, was ihm gerade unterkam: Pferdegeschirr, Räucherkerzchen, ein Dutzend Taschentücher für die Bonne, ein Pferd, Rosinen, ein silbernes Waschbecken, holländische Leinwand, das feinste Kaiserauszugmehl, Tabak, Pistolen, Heringe, Bilder, einen Schleifstein, Töpfe, Stiefel, Steinzeug, kurz alles, was der Mensch sich denken kann, – soweit das Bargeld reichte. Doch brachte er von diesen Herrlichkeiten höchst selten wirklich etwas heim. Meist fielen alle die Sachen noch am gleichen Tag einem andern glücklichen Gewinner als Beute zu. Und mit ihnen ging leicht noch gar so manches von seiner mitgebrachten Habe flöten: Pfeife und Tabaksbeutel und Zigarrenspitze, dazu nicht selten die vier Pferde nebst Wagen und leibeigenem Kutscher. Dann blieb dem völlig abgebrannten Nasdrjow nichts übrig, als in der kurzen Joppe oder gar in der Morgenjacke von Pontius zu Pilatus herumzulaufen, bis sich ein guter Freund bereit fand, ihn in seinem Wagen aus Gnade und Barmherzigkeit nach Hause zu befördern.

Ein Mensch von dieser Sorte war Nasdrjow. Manch einer wird ihn vielleicht für den Vertreter einer längst ausgestorbenen Gattung halten, wird behaupten, es gäbe heutzutage solche Nasdrjows nicht mehr. Mein Gott, auf welchem Holzweg wandeln solche Optimisten! Der Herr Nasdrjow ist immer dabei, wo mehrere von uns versammelt sind, – höchstens, daß er den Rock gewechselt hat. Aber nur leichtfertige Oberflächlichkeit wird an das Sprichwort glauben, daß Kleider Leute machten.

Inzwischen waren die drei Wagen glücklich auf dem Gutshofe angelangt. Das Haus schien zum Empfang von Gästen nur mangelhaft bereit zu sein. Im Speisezimmer standen auf einem Gerüst aus Böcken und daraufgelegten Brettern zwei Arbeiter, die unter monotonem Gesang die Decke und die Wände weißten. Der Boden war mit weißen Spritzern übersät. Nasdrjow befahl den Arbeitern, sich samt den Böcken, den Brettern und ihrem Handwerkszeug hinauszuscheren. Er selbst verschwand ins Nebenzimmer, um weitere Vorbereitungen zu treffen. Die Gäste hörten, wie er den Koch beauftragte, ein Mittagmahl zu richten; Tschitschikow, in dessen gutem Magen sich aufs neue ein Gefühl von Leere geltend machte, konnte sich der Erkenntnis nicht verschließen, daß er wohl kaum vor fünf Uhr würde zu Tisch gebeten werden. Nasdrjow kam wieder herein und machte seinen Gästen den Vorschlag, sie auf dem Gut herumzuführen. Diese Besichtigung dauerte gut zwei Stunden und wurde mit einer solchen Gründlichkeit vollzogen, daß wirklich nicht das Geringste unbesichtigt blieb. Zunächst ging's in den Pferdestall. Hier durften sie eine Apfelschimmel- und eine Fuchsstute bewundern, und ferner einen braunen Hengst, der nicht besonders imponierend wirkte, der aber Nasdrjow nach dessen eidlicher Versicherung trotzdem zehntausend Rubel bar gekostet hatte.

»Zehntausend Rubel hast du nie für ihn bezahlt,« sagte der Schwager. »Er ist ja keine tausend wert.«

»Gott soll mich strafen, wenn ich nicht zehntausend bar auf den Tisch gelegt hab'!« sagte Nasdrjow.

»Schwör du, soviel du willst!« antwortete der Schwager.

»Na also, wetten wir?« rief jetzt Nasdrjow.

Nein, wetten wollte der Schwager nicht.

Hierauf zeigte Nasdrjow ihnen noch einige leere Stände, in denen früher einmal auch sehr schöne Pferde gestanden hatten. Ferner bekamen sie den Ziegenbock zu sehen, der nach einem bekannten Aberglauben in keinem Pferdestalle fehlen darf. Er lebte mit den Gäulen auf dem Fuß intimster Freundschaft und trieb sich zwischen ihren Beinen herum, als ob er dort zu Hause wäre. Dann begab man sich zu einem jungen Wolf, der auf dem Hofe angekettet lag.

»Dies ist ein junger Wolf!« erklärte Nasdrjow. »Ich füttere ihn ausschließlich mit rohem Fleisch, damit er richtig wild bleibt.«

Nunmehr mußte ein Teich in Augenschein genommen werden, in dem es nach Nasdrjows Behauptung Fische von solcher Größe gab, daß zwei Mann Mühe hätten, einen davon im Netz herauszuziehen. Auch diesen Worten gegenüber konnte der Schwager einen gelinden Zweifel nicht verbergen.

»Du, Tschitschikow,« sagte Nasdrjow, »jetzt sollst du ein paar Hunde sehen, – ganz einfach fabelhaft, da wirst du staunen: Muskeln, hart wie die Stricke, und Köpfe von der Länge . . .!« Er führte seine Gäste flugs zu einem netten Häuschen, das mitten in einem großen, festumplankten Zwinger lag. Und hier erblickten sie ein munteres Gewimmel von Hunden aller Rassen, Farben, Größen: langhaarige und kurzhaarige, dunkelbraune, schwarze mit braunen Zeichen, hellgestromte, braungestromte, rotgestromte, schwarzohrige, grauohrige . . . Sie führten die mannigfachsten Namen, wie Treff, Schimpf, Spay, Blitz, Lump, Strich, Brand, Krauskopf, Packan, Depp, Wacker, Jungfer. Nasdrjow bewegte sich zwischen ihnen wie ein Familienvater im Kreis der Seinen: mit wedelnden Schwänzen, oder Ruten, wie sich der Hundezüchter ausdrückt, stürzte die wilde Schar zu stürmischer Begrüßung auf die drei Herren los. Zehn Hunde legten gleichzeitig die Vorderfüße auf die Schultern Nasdrjows. Treff erwies Tschitschikow die gleiche Zärtlichkeit und leckte ihm mit seiner rauhen Zunge verliebt den Mund, was unsern Freund veranlaßte, vor Ekel auszuspucken. Die Hunde wurden nach Gebühr bewundert, man stellte gerne fest, daß sie tatsächlich Muskeln, hart wie Stricke, hätten und ganz famose Hunde wären. Dann mußte eine Krimer Hündin besichtigt werden, die vor Alter bereits erblindet war und es nach Nasdrjows Meinung wohl kaum mehr lange machen würde. Aber vor zwei Jahren sei sie noch eine Hündin von sehr hohem Rang gewesen. Also besichtigte man auch diese Hündin und konstatierte, daß ihre Blindheit nicht bloß vorgeschützt war. Als Nächstes kam dann eine Wassermühle an die Reihe, bei der die Achse für den oberen Mühlstein fehlte. »Und jetzt sind's nur noch ein paar Schritte bis zur Schmiede,« sagte Nasdrjow. Als sie ein Stück gegangen waren, erblickten sie denn auch die Schmiede; und diese Schmiede wurde gleichfalls einer Besichtigung unterzogen.

»Dort auf dem Felde,« sagte Nasdrjow und wies mit seiner Hand hin, »gibt es so einen Haufen Hasen, daß man den Boden vor lauter Hasen überhaupt nicht sieht. Ich hab' da selber einmal einen mit meinen eigenen Händen an den Hinterläufen gepackt und eingefangen.«

»Na, weißt du, einen Hasen fängst du nicht mit der Hand,« bemerkte sanft der Schwager.

»Ich hab' ihn aber doch gefangen, grad extra hab' ich ihn gefangen!« sagte Nasdrjow und wendete sich dann zu Tschitschikow: »Jetzt zeig' ich dir die Grenze, wo mein Gebiet zu Ende ist.«

Nasdrjow führte seine Gäste auf eine Wiese, die viele kleine bemooste Buckel aufwies. Dann mußten sie noch über frisch gepflügte Felder und frisch geeggte Äcker stolpern. Tschitschikow verspürte langsam eine gewisse Müdigkeit. An vielen Stellen quoll das helle Wasser in ihren Spuren empor, – so sumpfig war der Boden. Anfangs setzen sie ihre Füße sehr behutsam, doch als sie sahen, daß dies zwecklos war, entschlossen sie sich, schnurgerade fort durch Dick und Dünn zu waten und nichts mehr nach ein bißchen Schmutz zu fragen. Als sie so ein recht hübsches Stück gegangen waren, erblickten sie denn in der Tat die Grenze. Sie wurde durch einen Pfahl und einen schmalen Graben sichtbar gemacht.

»Das ist die Grenze!« sagte Nasdrjow. »Alles, was du auf dieser Seite siehst, – das alles ist mein Eigentum. Und auch da drüben noch, der ganze blaue Wald und alles, was da hinterm Walde liegt, – gleichfalls mein Eigentum.«

»Seit wann ist dieser Wald dein Eigentum?« fragte der Schwager. »Dann hast du ihn wohl kürzlich erst gekauft? Denn früher war er doch noch nie dein Eigentum.«

»Jawohl, ich hab' ihn kürzlich erst gekauft,« erwiderte Nasdrjow.

»Wie kommst du nur dazu, ihn so auf Knall und Fall zu kaufen?«

»Warum soll ich denn nicht . . .? Vorgestern ist der Kauf perfekt geworden, – ich hab' ein Heidengeld bezahlt.«

»Vorgestern warst du aber auf dem Jahrmarkt?«

»Du großer Philosoph! Kann man denn nicht zu gleicher Zeit auf einem Jahrmarkt sein und einen Kauf abschließen? Also ja, ich war zwar auf dem Jahrmarkt, aber mein Verwalter hat gleichzeitig den Wald gekauft.«

»So, der Verwalter?« sagte der Schwager, schien aber nicht recht überzeugt zu sein und schüttelte den Kopf.

Die Herren begaben sich nun auf demselben schmutzigen Weg, den sie gekommen waren, in das Haus zurück. Nasdrjow führte die Gäste in sein Arbeitszimmer, wo übrigens nichts von den Dingen zu entdecken war, die man in Arbeitszimmern sonst zu finden pflegt, – nirgends ein Buch und nirgendwo ein Stück Papier. Nur Säbel hingen an den Wänden und außerdem zwei Jagdgewehre, das eine zu dreihundert, das andre zu achthundert Rubel. Der Schwager musterte sie und schüttelte bloß stumm den Kopf. Dann durften die Gäste ein paar echt türkische Dolche bewundern. Auf die Klinge des einen war, wahrscheinlich aus Versehen, die russisch klingende Firma »Saweli Sibirjäkow« geprägt. Sodann wurde den Gästen noch eine Drehorgel präsentiert. Nasdrjow spielte ihnen auch gleich etwas vor. Das Instrument hatte einen ganz hübschen Klang, aber in seinem Innern mußte wohl etwas nicht in Ordnung sein, denn die Masurka, mit der Nasdrjow begann, ging unvermittelt in das Lied » Marlb'rough s'en va-t-en guerre« über, und » Marlb'rough s'en va-t-en guerre« lief plötzlich in einen vielgespielten Walzer aus. Nasdrjow hörte zu drehen auf; aber eine besonders arbeitslustige Pfeife in der Orgel wollte sich nicht so schnell beruhigen und tutete für sich allein noch eine Weile weiter. Hierauf wurden den Gästen Tabakspfeifen vorgeführt. Da gab es welche aus Holz, welche aus Ton, welche aus Meerschaum, angerauchte und neue, mit sämischem Leder bezogene und unbezogene, da gab es eine Wasserpfeife mit Bernsteinmundstück, die Nasdrjow erst kürzlich im Spiel gewonnen hatte, da gab es einen Tabaksbeutel, der war von einer Gräfin gestickt, die sich auf irgend einer Poststation bis über beide Ohren in Nasdrjow verliebt hatte, und von der dieser erzählte, ihre Händchen wären von dem subtilsten »superflu« gewesen, was vermutlich den höchsten Gipfel der Verfeinerung bezeichnen sollte.

Als Imbiß zum Schnaps nahm man ein Stück gedörrtes Störfleisch und setze sich dann so etwa gegen fünf zu Tisch. Die Mahlzeiten bedeuteten im Leben des Herrn Nasdrjow wohl kaum das Wichtigste; die Speisen waren, wie sich's gerade traf, entweder angebrannt oder nicht richtig gar. Der Koch verließ sich offenbar in schönem Gottvertrauen völlig auf seine momentane Eingebung und tat das erste beste in den Topf, was ihm gerade in die Hand fiel. Erwischte er die Pfefferbüchse, dann pfefferte er kräftig darauf los, kam ihm ein Kohlkopf in die Quere, so ließ er ihn nicht unbenutzt, das gleiche galt von Schinken, Erbsen, Milch, – kurzum, er folgte dem Prinzip: je mehr, je besser. Wenn das Gemisch nur heiß war, – nach irgend etwas schmecken würde es wohl zum Schluß. Dafür legte Nasdrjow den größten Wert auf die Getränke: noch war die Suppe nicht serviert, da hatte er jedem der beiden Gäste schon ein Glas Portwein eingeschenkt und dazu ein zweites Glas goldhellen Haut Sauternes. In Provinzial- und Kreishauptstädten hat es noch nie gewöhnlichen Sauternes gegeben, – bloß Haut Sauternes. Nachher entkorkte Nasdrjow eine Flasche Madeira, wie sie besser »auch noch kein Feldmarschall« getrunken hätte. Es ließ sich in der Tat nicht leugnen, daß einem der Madeira schön kräftig auf der Zunge brannte, weil ihn der Händler, dem der Geschmack von unseren Gutsbesitzern und Madeiraliebhabern geläufig war, freigebig mit Jamaicarum veredelt hatte, vielleicht sogar mit Königswasser; ein richtiger russischer Magen verträgt ja einen Puff. Dann tischte Nasdrjow noch eine ganz besondre Extraflasche auf, ein »Weinchen,« das nach seinem Kommentar Burgunder und Champagner gleich in einem war. Er schenkte fleißig ein nach rechts und links, dem Schwager wie dem neuen Freunde. Tschitschikow jedoch hielt seine Augen offen und merkte bald, daß der gewitzte Wirt sich selber immer nur ganz wenig in das Glas goß. Das mahnte ihn zur Vorsicht; und wenn Nasdrjow gerade eifrig im Gespräch war, oder dem Schwager einschenkte, benutzte unser Held die günstige Gelegenheit und leerte den Inhalt seines Glases auf den Teller aus. Nach einer Weile wurde ein Ebereschenschnaps serviert, der, wie Nasdrjow verkündete, ein wunderbares Pflaumenarom besitzen sollte, aber statt dessen merkwürdigerweise ganz infam nach Fusel schmeckte. Zum Schluß gab es noch einen Bitterlikör mit einem Namen, so interessant, daß ihn kein Mensch behalten konnte. Der Hausherr selber sprach ihn bei jedem Male anders aus. Mit Essen war man lange fertig, und die Getränke waren alle durchprobiert, aber man rührte sich nicht vom Fleck. Tschitschikow hatte Bedenken, Nasdrjow sein großes Anliegen in Gegenwart des Schwagers vorzutragen: es war doch immerhin ein Fremder, und diese Sache durfte höchstens unter vier Augen streng diskret besprochen werden. Gefahr schien allerdings vom Schwager kaum zu drohen: er hatte einen gesunden Rausch und nickte in einem fort auf seinem Stuhle ein. Schließlich merkte er wohl selber, daß er in keinem gerade imposanten Zustand war, er fing vom Heimfahren zu sprechen an, doch mit so matter und verschlafener Stimme, als müsse er sich jede Silbe einzeln mit einem Pfropfenzieher aus dem Halse holen.

»Nein, nein, und nein! Ich lass' dich unter gar keiner Bedingung fort!« erklärte Nasdrjow.

»Ach, lieber Freund, sei nicht so ekelhaft! Nein, nein, – ich fahre!« antwortete der Schwager. »Sei nicht so furchtbar ekelhaft!«

»Blech, Blech! Wir legen jetzt 'ne kleine Bank auf!«

»Nein, nein, leg du sie nur alleine auf! Für mich ist's höchste Zeit. Nein, wirklich, meine Frau ist in der größten Sorge. Ich muß ihr noch von meinen Jahrmarktserlebnissen berichten. Nein also, lieber Freund, nein, nein, das kann sie schon verlangen. Warum soll sie denn gar nichts davon haben? Nein, halt mich nicht auf; ich fahre!«

»Hol' doch der Satan deine Frau! Das werden schon hochwichtige Geschäfte sein, die ihr heut' noch zusammen vorhabt!«

»Nein, lieber Freund! Sie ist so eine herzensgute Frau. So eine Frau gibt's nicht zum zweitenmal, so eine brave, treue, uranständige Frau! Was sie für mich nicht schon getan hat! Das darfst du glauben! Mir kullern ja die Tränen aus den Augen, wenn ich nur daran denke. Nein, nein, halt mich nicht fest! Ich fahre, so wahr ich ein Kavalier bin. Das sag' ich dir auf Ehre und Gewissen!«

»Laß ihn in Gottes Namen reisen! Was brauchen wir den Kerl?« flüsterte Tschitschikow Nasdrjow ins Ohr.

»Das ist auch wahr!« erwiderte Nasdrjow. »Der Heulmaier ist mir ja in den Tod zuwider!« Laut fügte er hinzu: »Also, scher dich zum Teufel, Schlappschwanz, und mach hübsch Männchen vor der Frau Gemahlin!«

»Nein, lieber Freund, was soll das heißen, daß du mich Schlappschwanz schimpfst?« erwiderte der Schwager. »Mein ganzes Leben dank' ich ihr. Sie ist so gut und so verliebt in mich . . . So rührend, daß ich weinen muß . . . Sie möchte wissen, wie es auf dem Jahrmarkt war, – alles, alles erzähl' ich ihr . . . Sie ist so lieb . . .«

»Na also, fahr zum Kuckuck und lüg ihr ordentlich die Hucke voll! Da hast du deine Mütze.«

»Nein, lieber Freund, du hast kein Recht, dich so zu äußern über sie; damit beleidigst du mich, sozusagen, selber. Sie ist so lieb . . .«

»Na also, pack dich, damit du schneller bei ihr bist!«

»Ja, lieber Freund, ich fahre. Nimm's mir nicht übel, daß ich nicht mehr bleiben kann! Ich tät' es ja von Herzen gern, aber ich kann doch nicht . . .

Der Schwager erging sich noch eine ganze Weile in lebhaften Entschuldigungen und bemerkte gar nicht, daß er schon längst in seiner Chaise saß, daß die zum Tor hinausgefahren war, und daß nur noch die weiten, öden Felder auf seine Worte lauschten. Es ist kaum anzunehmen, daß seine Frau an diesem Abend noch sehr viel von seinen Jahrmarktabenteuern in Erfahrung bringen konnte.

»So'n Trauerkloß von einem Mannsbild!« sagte Nasdrjow, der durch das Fenster seinem Wagen nachsah. »Da fährt er nun dahin! Das eine Beipferd ist nicht übel; ich hätt' es ihm verflucht gern längst schon abgeknöpft. Aber werd' du mit dem mal handelseins! Der Schlappschwanz der, der Schlappschwanz erster Klasse!«

Die Herren gingen in das Wohnzimmer hinüber. Porfiri brachte Lichter, und Tschitschikow erblickte in den Händen seines Wirts zwei nagelneue Spiele Karten, von denen er nicht ahnen konnte, wo sie so urplötzlich hergekommen wären.

»Na, alter Freund?« sage Nasdrjow und faßte die Kartenspiele an den Enden und bog sie hin und her, bis das herumgeklebte Streifband riß und abfiel. »Wie ist's nun? Nur zum Zeitvertreib . . . Ich halt' 'ne kleine Bank von, sagen wir, dreihundert Rubeln!«

Tschitschikow aber tat, als ob er ihn nicht recht verstanden hätte, und sagte unvermittelt:

»Ach . . .! Daß ich's nicht vergesse: ich hätte eine Bitte an dich.«

»Ja? Nämlich?«

»Gib mir zuerst dein Wort, daß du es tust!«

»Was denn?«

»Gib mir zuerst dein Wort!«

»Gern! Warum nicht?«

»Dein Ehrenwort?«

»Mein Ehrenwort!«

»Ich hätte also eine Bitte . . . Du hast doch sicher eine Menge Bauern, die gestorben, aber in der Revisionsliste noch nicht gestrichen sind?«

»Jawohl. Und dann?«

»Laß sie auf meinen Namen überschreiben!«

»Was willst du denn mit ihnen?«

»Ach . . . Na ja, ich brauch' sie eben.«

»Wozu?«

»Ich brauch' sie nun einmal. Das ist wohl meine Sache. Und kurz und gut: ich brauche sie.«

»Dahinter steckt bestimmt ein nicht ganz sauberer Geschäftskniff. Also, jetzt beichte mir einmal!«

»Was für'n Geschäftskniff denn? Die toten Seelen sind ja doch überhaupt nichts wert. Mit nichts kann man nicht gut Geschäfte machen.«

»Ja, wozu brauchst du dann die Seelen?«

»Gott, ist er neugierig! In jeden Dreck muß er die Finger stecken und noch womöglich daran riechen!«

»Ja, warum willst du's mir nicht sagen?«

»Was kann dich das denn interessieren? Um Himmelswillen, wenn es doch weiter gar nichts ist als 'ne verrückte Laune, die ich nun mal habe.«

»Schön also: wenn du es nicht sagst, dann kriegst du sie auch nicht.«

»Nein, weißt du, das find' ich einfach unanständig: erst gibst du mir dein Wort, und dann willst du dich drücken.«

»Ganz wie du willst! Gar keine Rede, daß du die Seelen kriegst, bevor du es mir sagst!«

– Was soll ich ihm bloß sagen? überlegte Tschitschikow. Er dachte ein paar Augenblicke nach, und dann erklärte er, er brauche diese toten Seelen, um sich eine angesehenere Stellung zu verschaffen. Denn sein Grundbesitz sei leider klein, und darum läge ihm daran, den Leuten wenigstens mit einer größeren Seelenzahl zu imponieren.

»Erstunken und erlogen!« fiel ihm Nasdrjow ins Wort. »Erstunken und erlogen, lieber Freund!«

Tschitschikow konnte sich selber nicht verhehlen, daß er sich nicht besonders geschickt aus der Affäre gezogen hatte; denn die Begründung seines Wunsches stand in der Tat auf ziemlich schwachen Füßen.

»Na, dann will ich es dir ehrlich eingestehn,« verbesserte er sich, »aber halt, bitte, reinen Mund darüber. Ich möchte heiraten. Nun mußt du wissen: die Eltern meiner Braut, die wollen furchtbar hoch hinaus. Das ist wahrhaftig 'ne Gesellschaft . . .! Es tut mir beinah leid, daß ich mich überhaupt auf die Geschichte eingelassen hab'. Sie wollen nun mal keinen Schwiegersohn, der weniger im Vermögen hat als mindestens dreihundert Seelen. Und da mir dazu so an hundertfünfzig fehlen . . .

»Erstunken und erlogen!« schrie Nasdrjow.

»Nein, diesmal hab' ich nicht soviel gelogen, wie das,« rief Tschitschikow und zeigte mit dem Daumen ein kleinwinziges Stück an seinem kleinen Finger.

»Und ich verwette meinen Kopf, daß das eine infame Lüge ist!«

»Nein, weißt du, das ist bald beleidigend! Wofür hältst du mich eigentlich? Warum soll ich denn durchaus lügen?«

»Lieber Gott, ich kenn' dich doch: du bist ein ausgemachter Gauner, – nimm es mir nicht übel, wenn ich dir das in aller Freundschaft sag'! Ich sollte nur dein Vorgesetzter sein, dann ließ' ich dich am nächsten Baum aufknüpfen.«

Diesen Anwurf empfand unser Held als eine schwere Beleidigung. Hatte er doch eine lebhafte Antipathie schon gegen jedes grobe oder auch nur halbwegs unzarte Wort. Er liebte es nicht einmal, wenn sich irgend jemand ihm gegenüber auch nur die geringste Vertraulichkeit herausnahm, es sei denn, daß dieser Jemand, der in Frage kam, ein Mann von ganz besonders hohem Range war. Und darum ist's kein Wunder, daß er sich beleidigt fühlte.

»Aufknüpfen ließ' ich dich, so wahr ein Gott im Himmel lebt!« sagte Nasdrjow noch einmal. »Das muß ich dir offen sagen, nicht, weil ich dir irgendwie zu nahe treten möchte, sondern einfach so: in aller Freundschaft.«

»Alles hat seine Grenzen!« sagte Tschitschikow mit Würde. »Wenn du jemand durch solche Redensarten imponieren willst, dann mußt du schon in die Kaserne gehn.« Und darauf fügte er hinzu: »Du willst sie mir nicht schenken, – also gut: verkauf sie mir!«

»Verkaufen! Ach! Ich kenn' dich zu genau du Schuft; du gibst mir bestenfalls ein Butterbrot dafür.«

»Ach lieber Gott! Ja, du bist gut! Ach, sieh mal, sieh! Was? Deine toten Bauern sind wahrscheinlich mit Brillanten besetzt?«

»Na also! Habe ich nicht recht? Ich kenn' dich schon, mein Lieber!«

»Ja aber, lieber Freund, du bist ja schlimmer wie ein Schacherjude! Das Richtige wär', du gäbest sie mir einfach so.«

»Na, hör mal zu: um es dir zu beweisen, daß ich durchaus nicht happig bin, geb' ich sie dir umsonst. Kauf mir den braunen Hengst ab, und dann gehen sie mit drein.«

»Ja, Gott im Himmel, was soll mir der Hengst?« rief Tschitschikow, ganz starr vor Staunen über die Zumutung.

»Wie? Was du mit ihm sollst? Ich hab' ja doch zehntausend Rubel für den Hengst bezahlt. Und du kriegst ihn für lumpige viertausend!«

»Was soll ich aber mit dem Hengst? Ich hab' ja kein Gestüt.«

»Ja, hör doch zu: du mißverstehst mich. Ich will heute bar von dir doch überhaupt nur lumpige dreitausend; den Rest von tausend kannst du mir ja ruhig später geben.«

»Ich brauche aber keiner Hengst; hol' ihn der Kuckuck!«

»Na, dann kauf die Fuchsstute!«

»Ich brauch' auch keine Stute.«

»Für die Fuchsstute und für die Schimmelstute, die du im Stall gesehen hast, verlange ich, weil du es bist, zusammen nur zweitausend.«

»Ich brauche aber keine Pferde.«

»Du kannst sie ja verkaufen: du kriegst auf jedem Markt das Dreifache dafür.«

»Verkauf sie dann doch lieber selber, wenn du so sicher bist, das Dreifache zu kriegen.«

»Ich krieg' das Dreifache. Ich möchte nur, daß du den Vorteil hast.«

Tschitschikow dankte ihm recht herzlich für die gute Absicht, lehnte es aber kurzweg ab, die Stuten zu erstehen.

»Dann also kauf mir Hunde ab! Du kriegst da ein Paar Vorstehhunde von mir, daß es dir vor Freude einfach kalt den Buckel 'runterläuft! Paar stichelhaarige, mit solchen Schnurrbärten, die Haare hart wie Schweinsborsten, mit Brustkästen von einer Breite, daß es ganz einfach jede Vorstellung übertrifft, so dicke, zottelige Pfoten, die doch im Lauf die Erde kaum berühren!«

»Was soll ich denn mit Hunden tun? Ich bin kein Jäger.«

»Ich möchte aber, daß du Hunde hast. – Hör einmal zu: wenn du schon keine Hunde willst, dann kauf dir doch die Drehorgel! 'Ne wundervolle Orgel! Ich selbst, so wahr, wie ich ein Ehrenmann und Kavalier bin, hab' fünfzehnhundert Rubel bar dafür bezahlt; dir lass' ich sie für lumpige neunhundert.«

»Was soll mir denn die Drehorgel? Ich bin ja doch kein deutscher Leiermann, der damit an den Straßenecken bettelt.«

»Das ist doch keine Drehorgel, wie sie die deutschen Leiermänner haben. Das ist 'ne Art Orchestrion. Sieh sie dir nur erst richtig an, – sie ist aus echtem Mahagoni! Wart mal, ich will sie dir gleich zeigen.«

Nasdrjow packte Tschitschikow am Arm und zog ihn mit ins Nebenzimmer. So sehr auch unser Held sich mit den Füßen stemmte, so lebhaft er versicherte, er kenne die Orgel zur Genüge, – es half ihm nichts: er mußte es sich nochmals musikalisch illustrieren lassen, wie Marlb'rough in den Krieg zog.

»Wenn du kein Bargeld dafür geben willst, dann machen wir's ganz einfach so! Hör einmal zu: ich gebe dir die Orgel und alle toten Seelen, die ich habe; und du, du gibst mir deinen Wagen und legst noch schäbige dreihundert Rubel bar darauf.«

»Das wär' noch schöner! Und womit soll ich dann fahren?«

»Ich geb' dir einen andern Wagen. Komm mit in die Scheune, da kannst du ihn gleich ansehn! Du mußt ihn dir bloß frisch lackieren lassen, – dann ist's ein tadelloser Wagen.«

– Den reitet ja der reinste Zappelteufel! dachte Tschitschikow bei sich und faßte den Entschluß, sich nicht auf das geringste einzulassen, mochte man ihm noch so viele Wagen, Drehorgeln oder Hunde mit Brustkästen von einer Breite, daß es einfach jede Vorstellung übertraf, und mit erstaunlich dicken, zotteligen Pfoten offerieren.

»Also, den Wagen und die Orgel und dazu die toten Seelen, – alles miteinander.«

»Ich mag nicht!« sagte Tschilschikow.

»Und warum magst du nicht?«

»Ganz einfach: weil ich nicht mag, – und damit Holla!«

»Gott, was du für ein Mensch bist! Nein, mit dir, das seh' ich jetzt, kann man nicht freundschaftlich verkehren. Du bis ein Kerl . . .! Das sieht man auf den ersten Blick, daß du ein hinterlistiger Filou bist!«

»Ja, hältst du mich für einen Esel, was? Sag du doch selber: wozu soll ich Sachen kaufen, die ich nicht brauchen kann?«

»Erzähl du lieber gar nichts, bitte! Ja? Jetzt kenn ich dich genau. Du bist, bei Gott, ein trauriger Hanswurst! Na also, hör mal zu: ich halte eine kleine Bank und setz die ganzen toten Seelen mitsamt der Drehorgel auf eine Karte.«

»Spielen heißt einen Sprung ins Dunkle machen,« sagte Tschitschikow und musterte mit einem verstohlenen Seitenblick die Karten, die Nasdrjow in seinen Händen hielt. Die beiden Spiele waren ohne Zweifel präpariert, und schon das Muster auf der Rückseite der Karten sah höchst verdächtig aus.

»Wieso denn Sprung ins Dunkle?« sagte Nasdrjow. »Da gibt es keinen Sprung ins Dunkle! Wenn du nur Schwein hast, kannst du höllisch viel gewinnen. Sieh her! Das nenn ich Schwein!« rief er und legte ein paar Karten auf, um Tschitschikow ein bißchen anzufeuern. »Das nenn ich Schwein! Das nenn ich Schwein! Da liegt sie, die verfluchte Neun, auf die ich meinen letzten Knopf verloren hab'! Mir ahnte schon so was, daß ich verlieren würde, aber ich drückte meine Augen zu und dachte mir: ›Hol es der Satan, hin ist hin; ich setze trotzdem auf die gottverfluchte Neun!‹«

In diesem Augenblick brachte Porfiri eine Flasche herein. Doch Tschitschikow erklärte mit Entschiedenheit, er wolle weder spielen, noch auch trinken.

»Warum willst du denn nicht spielen?« fragte Nasdrjow.

»Ach . . . so . . . Ich habe keine Lust. Und wenn du denn die Wahrheit wissen willst: ich spiele überhaupt nicht gern.«

»Warum spielst du nicht gern?«

Tschitschikow zuckte mir den Achseln und erwiderte:

»Weil ich nun einmal ungern spiel'.«

»Du bist ein dreckiger Filz!«

»Läßt sich nicht ändern. Mußt mich schon verbrauchen, wie mich der liebe Gott erschaffen hat.«

»Ein Schlappschwanz bist du, weiter nichts. Ich hab' mir früher eingebildet, du wärst ein halbwegs wohlerzogener Mensch, aber du hast ja kein Benehmen, lieber Freund. Mir dir kann man ja gar nicht reden, wie man mit seinesgleichen spricht . . . Du hast auch nicht die Spur von Anstand und Noblesse! Du bist der reinste Sabakewitsch, genau der gleiche Beutelschneider!«

»Sag: warum beschimpfst du mich? Kann ich denn was dafür, wenn ich nicht spiele? Verkauf mir doch die toten Seelen für sich allein, wenn du schon so ein Mensch bist, daß du an jedem Schund etwas verdienen mußt.«

»Einen glatzköpfigen Teufel verkauf' ich dir! Ich hätt' sie dir umsonst gegeben, jetzt aber kriegst du einen Dreck! Und wenn du mir drei Königreiche bietest, – ich pfeif' dir was. Du Hochstapler, du lehmbekleckster Ofenkratzer! Mit dir hab' ich in Zukunft überhaupt nichts mehr zu schaffen. He, Porfiri, geh und sag dem Stallknecht, daß die Gäule von dem Herrn da kein Korn Hafer kriegen. Schon das Heu allein ist viel zu gut für die.«

Dies war nun freilich mehr, als Tschitschikow für vorstellbar gehalten hätte.

»Wärst du mir lieber niemals in den Weg gekommen!« sagte Nasdrjow.

Aber trotz diesen Streitigkeiten nahmen der Hausherr und sein Gast das Abendessen miteinander ein. Freilich gab's diesmal keine Weine mit phantastisch imposanten Namen. Nur eine Flasche Zyperwein, der täuschend nach verdünntem Essig schmeckte, stand einsam auf dem Tisch. Nach dem Essen führte Nasdrjow den Gast ins Nebenzimmer, wo man unterdes ein Lager für ihn vorbereitet hatte, und erklärte kurz:

»Da ist dein Bett! Ich sag' dir nicht mal Gute Nacht.«

Tschitschikow blieb allein. Er fühlte sich sehr mißgestimmt und war sich selber böse und machte sich die schwersten Vorwürfe, daß er mit Nasdrjow gefahren war und seine schöne Zeit nutzlos geopfert hatte. Noch heftiger aber warf er es sich vor, daß er mit diesem Kerl von seinem großen Unternehmen überhaupt gesprochen hatte. Er war so jeder Vorsicht bar gewesen wie ein Kind, wie ein naiver Narr. Nasdrjow war wohl der letzte, dem man was von einem so diskreten Geschäft verraten durfte. Dieser verrückte, skrupellose Narr würde weiß Gott was für phantastische Lügen hinzu erfinden, die Sache furchtbar übertreiben und das Gerücht davon im ganzen Kreis verbreiten; die schauerlichsten Klatschgeschichten konnten die Folge sein. – Zu dumm, zu dumm . . .!

»Ich bin der größte Narr auf dieser Welt!« sprach Tschitschikow ingrimmig zu sich selber.

Er schlief in dieser Nacht sehr schlecht. Gewisse kleine Tierchen von großer Munterkeit setzten ihm höchst empfindlich zu; er kratzte die gebissenen Stellen voller Leidenschaft mit beiden Händen und murmelte wohl hundertmal:

»Wenn euch doch nur der Teufel holte mitsamt dem feinen Herrn Nasdrjow!«

Er wachte in aller Morgenfrühe auf. Nachdem er seine Stiefel angezogen und seinen Schlafrock umgeworfen hatte, führte ihn sein erster Gang über den Hof zum Pferdestall. Der Kutscher Selifan erhielt gemessenen Befehl, schleunigst die Chaise anzuspannen. Auf dem Rückweg zum Haus traf unser Held den Herrn Nasdrjow, der gleichfalls noch im Schlafrock war und dichte Wolken Rauch aus seiner Pfeife blies.

Nasdrjow begrüßte seinen Gast aufs freundlichste und fragte ihn, wie er geschlafen hätte.

»So la la,« warf Tschitschikow mit unverholener Kälte hin.

»Ich aber, lieber Freund,« sagte Nasdrjow, »mir ist's die ganze Nacht so sauer aufgestoßen, daß es mir ganz schlecht wird, wenn ich bloß dran denke; und ein Geschmack im Maul von all den gestrigen Getränken, als wenn eine Schwadron drin übernachtet hätte. Stell dir vor, im Traum bin ich ganz fürchterlich verhauen worden; herrje, herrje! Und was glaubst du, von wem? Nein, das errätst du nie: vom Rittmeister beim Stabe Pazelujew und vom Oberleutnant Kuwschinnikow.«

– Jawohl, mein Lieber, dachte Tschitschikow bei sich, – wenn sie dich nur wirklich fest verhauen hätten!

»Es hat ganz scheußlich weh getan! Bei Gott! Und wie ich dann erwachte, da brannte mir der Buckel immer noch, natürlich von den gottverdammten Flöhen, dem Luderzeug! – Also, jetzt geh und zieh dich an, ich komm' sofort. Ich muß zuerst noch dem Halunken von Verwalter mal den Standpunkt klarmachen.«

Tschitschikow ging in sein Zimmer; dort wusch er sich und zog sich an. Als er hierauf ins Speisezimmer trat, stand auf dem Tische schon des Teegeschirr nebst einer Flasche Rum. Wohin man sah, erblickte man die Spuren der Mahlzeiten vom Tag vorher; der Besen war noch nicht in Tätigkeit getreten. Der Boden lag noch voller Krümel, nicht einmal vom Tischtuch war die Pfeifenasche weggekehrt. – Der Hausherr kam alsbald herein. Er hatte unter seinem Schlafrock weiter nichts an als die eigene Haut, die auf der Brust üppige Haarplantagen aufwies. Wie er so da saß, die Pfeife in der Hand, und aus der Tasse schlürfte, hätte er ein prachtvolles Modell für einen Maler abgegeben. Verachtet doch ein rechter Künstler nichts so sehr wie die geleckten, wohlfrisierten, über einen Kamm geschorenen Herrchen, die auf den Ladenschildern von Barbieren abgebildet sind.

»Also, wie denkst du jetzt?« begann Nasdrjow nach einem kurzen Schweigen. »Spielen wir nun um die Seelen?«

»Lieber Freund, ich hab' dir schon gesagt, daß ich nicht spielen will. Wenn du sie mir verkaufst, – dazu bin ich sehr gern bereit.«

»Verkaufen mag ich sie dir nicht, – das wär' nicht freundschaftlich. Ich kann dir nicht für sowas Geld abnehmen. Spielen, ja, – ein Spielchen ist 'ne andre Sache. Bloß 'ne einzige Runde!«

»Ich hab' dir schon gesagt: ich tu es nicht.«

»Und tauschen willst du auch nicht?«

»Nein.«

»Na also, hör mal zu: wir spielen Dame; gewinnst du die Partie, dann kriegst du sie. Ich habe eine Menge Seelen, die bei der nächsten Revision zu streichen sind. Porfiri, he, das Dambrett!«

»Bemüh dich nicht umsonst: ich spiele nicht!«

»Das ist doch kein Hasard, kein Glücksspiel, lieber Freund, und mogeln kann man auch nicht, – es kommt nur darauf an, wer besser spielt. Und eins sag' ich dir gleich: ich kann das Spiel so gut wie gar nicht, – ein paar Züge mußt du mir schon vorgeben.«

– Und wenn ich ein Partiechen Dame mit ihm spielte? dachte Tschitschikow bei sich. – Ich hab' in früheren Zeiten Dame gar nicht so schlecht gespielt, und Volte schlagen kann er dabei nicht.

»Nun also, meinetwegen! Dame, – das lass' ich mir noch gefallen.«

»Ich setz' die Seelen gegen hundert Rubel!«

»Hundert? Nein, ich finde: fünfzig sind genug.«

»Fünfzig, – das ist doch gar kein Satz! Dann setz' ich zu den toten Seelen lieber noch einen schönen Hund oder ein goldenes Petschaft für die Uhrkette.«

»Na, meinetwegen,« sagte Tschitschikow.

»Und was gibst du mir vor?« fragte Nasdrjow.

»Warum denn? Selbstverständlich: nichts.«

»Dann wenigstens zwei Züge.«

»Nein, – ich spiele selber schlecht.«

»Das kennen wir schon, liebe Herrn, wie schlecht ihr spielt!« sagte Nasdrjow und zog.

»Ich habe ewig keinen Stein mehr angefaßt!« rief Tschitschikow und zog ebenfalls.

»Das kennen wir schon, liebe Herrn, wie schlecht ihr spielt!« sagte Nasdrjow und zog.

»Ich habe ewig keinen Stein mehr angefaßt!« rief Tschitschikow und zog.

»Das kennen wir schon, liebe Herrn, wie schlecht ihr spielt!« sagte Nasdrjow und zog, schob aber mit dem Ärmel gleichzeitig noch einen zweiten Stein nach vorn.

»Ich habe ewig keinen Stein mehr . . .! Halt! Was soll das, lieber Freund? Den Stein da nimm zurück!« rief Tschitschikow.

»Was für 'nen Stein?«

»Den Stein da!« sagte Tschitschikow und sah im gleichen Augenblick direkt vor seiner Nase einen weiteren Stein, der im Begriffe stand, ganz harmlos in die Damenreihe einzurücken. Woher er kam, das wußte der Allmächtige allein. »Nein,« sagte Tschitschikow und sprang empor, »mit dir kann man nicht spielen. Nein, das geht zu weit, – drei Steine auf einmal . . .

»Wieso denn drei? Das war nur ein Versehen. Der da ist ganz von selber vorgerutscht. Ich nehm' ihn ja zurück, – bitt' schön, warum denn nicht?«

»Na, und wo kommt der andre her?«

»Was für ein andrer?«

»Der da, der auf einmal dicht vor der Damenreihe steht.«

»Jetzt wird es amüsant! Als ob du das nicht wüßtest!«

»Lieber Freund, ich hab' mir jeden Zug gemerkt; ich weiß noch jeden Zug. Den da hast du erst eben heimlich vorgerückt. Auf diesem Feld hat er gestanden.«

»Was? Auf welchem Feld?« sagte Nasdrjow und wurde puterrot. »Mein lieber Freund, mir scheint, du bist ein Dichter!«

»Nein, ich glaub', der Dichter bist schon du, – nur kein besonders talentierter.«

»Ja, wofür hältst du mich denn?« sagte Nasdrjow. »Soll das bedeuten, daß ich mogle?«

»Ach, ich halte dich für gar nichts, aber eins steht fest: ich werd' in meinem ganzen Leben niemals wieder mit dir spielen.«

»Du kannst nicht mehr zurück,« fauchte Nasdrjow in heller Wut, »das Spiel ist einmal angefangen.«

»Ich hab' das Recht, zurückzutreten, weil du nicht ehrlich spielst.«

»So eine unverschämte Lüge! Das mußt du mir wohl erst beweisen!«

»Nein, mein lieber Freund, die Lüge ist auf deiner Seite!«

»Ich habe nicht gemogelt, und du kannst nicht zurück; du mußt ganz einfach weiterspielen!«

»Dazu zwingst du mich nicht,« sprach Tschitschikow sehr ruhig und trat ans Damenbrett und schob die Steine durcheinander.

Nasdrjow fuhr auf und trat so dicht an Tschitschikow heran, daß der zwei Schritte rückwärts wich.

»Ich zwing' dich schon, zu spielen! Und das Durcheinanderschmeißen nützt dir nichts! Ich habe jeden Zug im Kopf. Wir stellen alles wieder ganz so auf, wie es gestanden hat.«

»Nein, lieber Freund, Schluß, fertig, aus: ich spiel' nicht mehr mit dir.«

»Also, du willst nicht weiterspielen?«

»Du mußt wohl selber einsehn, daß man mir dir nicht spielen kann.«

»Nein, sag's mir grade ins Gesicht: du willst nicht weiterspielen?« fragte Nasdrjow und trat noch näher an den Gast heran.

»Nein!« sagte Tschitschikow und schirmte dabei mit beiden Händen seiner Kopf; denn langsam wurde seine Lage äußerst brenzlich.

Er tat sehr klug daran: Nasdrjow holte gewaltig mit der Hand aus, und wenig fehlte dran, daß einer von den rundlich jovialen Backen unseres Helden das Mal unabwaschbarer Schande aufgestempelt worden wäre. Doch konnte er zum Glück den Schlag noch rechtzeitig parieren und schnell die tatenfrohen Hände seines Wirtes packen. Er hielt sie mit der Kraft, die die Verzweiflung weckt, umklammert.

»Porfiri, he, Pawluschka!« schrie Nasdrjow in voller Raserei und kämpfte wütend, um sich loszureißen.

Als Tschitschikow den Ruf vernahm, ließ er die Hände seines Gegners fahren. Er wollte den Leibeigenen kein würdeloses Schauspiel bieten und sah wohl ein, daß es ihm wenig nützen konnte, wenn er den andern hielt. Da trat auch schon Porfiri in das Zimmer, und neben ihm Pawluschka, ein untersetzter Bursch, mit dem ganz ohne Zweifel nicht gut Kirschen essen war.

»Also, du willst nicht weiterspielen?« fragte Nasdrjow. »Sag's mir jetzt grade ins Gesicht!«

»Ich kann mir dir nicht weiterspielen,« gab Tschitschikow zurück und ließ den Blick zum Fenster schweifen.

Da draußen stand sein Wagen völlig reisefertig, und sein Kutscher Selifan war seines Winks gewärtig und bereit, beim ersten Zeichen vorzufahren; doch leider konnte er auf keine Weise aus dem Zimmer, denn dort an der Türe standen zwei handfeste Esel von Leibeigenen.

»Also, du willst nicht weiterspielen?« schrie Nasdrjow zum zweitenmal, mit beinah violettem Kopf.

»Ja, wenn du ehrlich spielen würdest, dann . . . So aber tut's mir leid.«

»Haha, es tut dir leid, du Lump, du Schuft! Wie du gesehn hast, daß du nicht gewinnst, da tut es dir auf einmal leid! Haut ihn!« kreischte der Hausherr wie verrückt seinen Leibeigenen zu; er selber packte das Weichselrohr der Pfeife fester an.

Tschitschikow wurde bleich. Er wollte etwas sagen, sein Mund bewegte sich und brachte keinen Laut hervor.

»Haut ihn!« schrie Nasdrjow und schwang das Weichselrohr, erhitzt und schwitzend, als gälte es den Sturm auf eine Festung, die noch kein Feldherr eingenommen hat. »Haut ihn!« schrie er. Mit solcher Stimme feuert im Schlachtgewühl ein wildgewordener Leutnant die Soldaten an. »Drauf, Kinder!« brüllt er laut und stürmt vor seinem Zuge her. Sein hirnverbrannter Mut ist so berüchtigt, daß die Vorgesetzten streng befohlen haben, ihn an beiden Armen festzuhalten, wenn es heiß auf heiß geht. Der Leutnant aber glüht vor toller Kampfbegier, alles dreht sich in seinem Kopf; ihm strahlt das Heldenbild Suworows licht voran, er träumt von einem Marschallstab. »Drauf, Kinder!« brüllt er laut und läuft wie toll und überlegt gar nicht, daß er damit den klug bedachten Angriffsplan durchkreuzt, daß Millionen Flintenläufe aus den Scharten der unersteigbar himmelhohen Festungsmauern lugen, daß sein tollkühner Zug wie Staub in alle Winde fliegen wird, daß schon die schicksalsschwangere Kugel durch die Luft pfeift, die seine Kehle mitten im jubelnden Hurra zerschmettern soll. – Wenn aber so Nasdrjow das Abbild eines wildgewordenen, von Kampflust hingerissenen Leutnants war, so hatte andrerseits die Festung, die er kühn berannte, durchaus nichts Uneinnehmbares. Im Gegenteil, die Festung verspürte eine solche Heidenangst, daß ihr das Herz vollkommen in die Hosen fiel. Schon hatten die Leibeigenen Tschitschikow den Stuhl entrissen, der ihm als Schild und Sturmbock dienen sollte, schon drückte er die Augen zu und harrte, nicht lebend und nicht tot, der Hiebe, die ihm der Hausherr mit dem Pfeifenrohre anzumessen im Begriff stand; Gott weiß, wie das für ihn geendet hätte, – da legte sich das Schicksal selbst ins Mittel und rettete den Rücken, die Schultern und die sonstigen wohlgeformten Körperteile unseres Helden. Ganz unerwartet, wie aus Himmelshöhen, erscholl mit einem Male eines Glöckchens hell kicherndes Geläut, laut rasselnd fuhr ein Wagen in schlankem Trabe vor die Anfahrt, deutlich drang durch die festgeschlossenen Fenster das atemlose Schnauben des schaumbedeckten Dreigespannes. Aller Augen blickten erstaunt hinaus: ein Herr in Interimsmontur, mit schneidigem Schnurrbart, sprang flott aus dem Wagen. Man hörte ihn dann draußen auf dem Vorplatz ein paar Worte sprechen. Als er darauf ins Zimmer trat, hatte sich Tschitschikow von seinem Schrecken nicht etwa bereits erholt, o nein, er stand noch immer in der traurigsten Verfassung da, in der sich je ein Sterblicher befunden hat.

»Gestatten Sie die Frage, wer von den Herren hier ist Herr Nasdrjow?« fragte der Fremde und sah zweifelnd von Nasdrjow, der mit gezücktem Pfeifenrohre dastand, zu Tschitschikow hinüber, der erst ganz langsam wieder zur Besinnung kam.

»Darf ich vor allem fragen, mit wem ich eigentlich die Ehre habe?« erwiderte Nasdrjow und trat keck auf den Fremden zu.

»Ermittlungsrichter Wolkow.«

»Nun, und Sie wünschen?«

»Ich komme, Ihnen zu eröffnen, daß ein Gerichtsverfahren wegen Körperverletzung gegen Sie eingeleitet ist.«

»Unsinn! Wie komm' ich denn dazu?«

»Sie haben den Herrn Gutsbesitzer Maksimow in der Betrunkenheit durch Schläge mit einem harten Gegenstand tätlich beleidigt und mißhandelt.«

»Ne ausgestunkne Lüge! Ich hab' in meinem ganzen Leben keinen Gutsbesitzer, der Maksimow hieß, gesehn.«

»Mein Herr! Ich mach' Sie darauf aufmerksam: Sie haben es mit einem Offizier zu tun. Derartige Worte können Sie sich gegen Ihre Leibeigenen erlauben, nicht aber gegen mich.«

Tschitschikow wartete nicht ab, was Herr Nasdrjow hierauf erwidern würde, – er griff nach seiner Mütze, schlüpfte hinter dem Rücken des Ermittlungsrichters auf die Anfahrt hinaus, stieg in den Wagen und befahl dem treuen Selifan, Galopp zu fahren.

 


 << zurück weiter >>