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Unsre Fabrik war durch ihren frühern Besitzer, der noch lebte, aus kleinen Anfängen zu einem bedeutenden Institut entwickelt, seit einiger Zeit aber in ein Aktienunternehmen, an dem jener stark beteiligt war, umgewandelt worden. Ein technischer und ein kaufmännischer Direktor standen augenblicklich an ihrer Spitze. Die Fabrik lag, wie schon erzählt, in einem der bedeutenderen Vororte von Chemnitz. Zwei mächtige parallel laufende Gebäude bildeten den Kern ihrer ganzen Anlage. An ihrer einen Schmalseite sausten die Eisenbahnzüge dicht vorüber, denen wir oft sehnsüchtig nachschauten; an der andern führte die Landstraße vorbei. Von hier nimmt sich die Fabrik fast schmuck aus. Ein gepflegter Obstgarten der Direktoren, ein breiter, sauberer Eingang und ein freundliches Portierhäuschen mit einem Rosengärtchen davor verdeckten den schwarzen Staub, der dahinter, auf Haus und Hof und allem Gerät einer jeden solchen Eisenfabrik notwendig lagert.
Unser Hof, der sich an der Eisenbahn hindehnte, war groß und geräumig. Auf ihm erhob sich unweit des Portierhäuschens ein kleiner Gasometer, daneben ein größeres Gebäude mit Wohnungen für den Kutscher und Wächter, mit dem Speisesaal und der Kantine, dem Kesselhaus für die eine der beiden Dampfmaschinen und dem Pferdestalle; dann ein Schuppen mit rostenden, einst kostbaren Maschinenteilen nunmehr veralteter Konstruktion, mit eisernen Särgen, die einst auch in unsrer Fabrik gebaut wurden, und wovon noch einige verstaubte Exemplare vorhanden waren, mit Eisenspänen, die angesammelt und wieder gut verkauft wurden, und mit allerhand anderm Gerümpel. Weiter zurück noch eine offne Zimmermannswerkstatt, und unter freiem Himmel reiche Brettervorräte, ein Kistenlager und große Kohlenhaufen. Dicht an dem primitiven, aber festen hölzernen Zaune, der den Eisenbahndamm vom Hofe schied, erhob sich ein mächtiger hölzerner Krahn zum Verladen der versandfertigen Warengüter; ein Schienenstrang verband ihn mit den Eisenbahngeleisen. Und über allem lag eine dicke Decke von Kohlenschmutz und Eisenstaub. Selten etwas dem Auge Wohlgefälliges, selten ein dürftiger Baum oder ein schmales Stück grünen Rasens, der über die herumliegenden Eisenteile wild und ungepflegt herauswuchs. Nur in einem stillen Winkel ein bescheidnes Gärtchen, das der Kutscher sich angelegt hatte, und in dem er sich einiges Gemüse zog. Hier blühten einige Blumen, duftete Krauseminze und Pfefferkraut. Manches mal haben wir uns heimlich während der Arbeit ein Blatt davon geholt.
Dasjenige Hausgebäude, das diesen Hof nach der einen Seite hin abschloß, war das ältere, die ursprüngliche Fabrik, darum primitiver, mit niedrigern Stockwerken, kleinen Fenstern, dunkeln Arbeitssälen, die zu ebner Erde mit oft sehr abgenutzten Ziegelsteinen gepflastert waren. Hier in diesem Bau hatte man auch das kaufmännische Kontor und die Expeditionszimmer für die Ingenieure und Zeichner untergebracht.
Zwischen ihm und seinem Bruderbau stand ein dritter, kleinerer: die Schmiede mit der Werkzeugschlosserei und dem Magazin.
In dem andern großen Bau war ich mit beschäftigt. Er war später aufgeführt und darum besser, bequemer, heller, luftiger und geräumiger angelegt. Er hatte ebenfalls die Höhe eines zwei- bis dreistöckigen Hauses. Der Bau erinnerte mich immer an das Innere einer Kirche. Er hatte keine Etagen. Man konnte in der Mitte des Raumes bis hinauf zum Dache sehen, das zum großen Teil aus Glasplatten bestand, um mehr Licht herein zu lassen. An den beiden Langseiten liefen je zwei übereinander gebaute breite Emporen hin, zu denen von unten steile primitive Holztreppen hinaufführten, die namentlich bei großen Transporten beschwerlich zu passieren waren. Auf der einen Empore befand sich der Probiersaal, wo eben vollendete Maschinen ausprobiert wurden, und wohin der Zutritt der großen Verunglückungsgefahr wegen nur denen gestattet war, die einen Auftrag dorthin hatten. In einem andern Teile war der Drehersaal. Die übrigen Emporen standen augenblicklich fast leer. Denn der eine Zweig unsrer Maschinenproduktion, der hier seinen Sitz hatte, lag sehr danieder. Auf dem östlichen Ende und der dortigen Schmalseite des ganzen Baues fehlten die Emporen bis auf eine einzige kleine ganz; dadurch war ein weiter geräumiger Platz geschaffen, lichter und freundlicher – gleich dem Altarplatze einer Kirche. Und wo in unsern Kirchen oft die Sakristeien zu sein pflegen, stand hier das Maschinenhaus mit dem eisernen stöhnenden Ungeheuer, das seine riesigen Kräfte durch den ganzen Raum ausströmte und Dutzende schwerer Maschinen und hundert Menschen in Atem und Bewegung hielt. Daneben ragte der große Schornstein auf, dessen rußige rauchende Spitze auch zum Himmel wies. Zwar fehlte Glockenklang und Orgelton. Aber dafür brausten andre gewaltige Töne unaufhörlich durch die Halle: das Gehämmer und Gefeile der Schlosser, das Ächzen und Dröhnen der Maschinen, das Quietschen und Schlagen der Räder. Und was die schwarzen blaukitteligen Männer da schafften – wars nicht auch ein Gotteswerk, ein Gottesdienst? Konnte es nicht wenigstens einer sein?
Platz war gleichwohl nicht viel in dem großen hohen Raume. An den Fenstern der beiden Langseiten standen die Schraubstöcke der Schlosser; an den Säulen, die die Emporen trugen, und wo sonst immer ein geeigneter Platz und halbwegs genügendes Licht sich fand, waren die großen und kleinen Arbeitsmaschinen aufgestellt; die größte, eine gewaltige Bohrmaschine, legte sich quer durch den ganzen Raum und war bei der Passage und vor allem bei Transporten oft sehr unbequem und hinderlich. Um die einzelnen Arbeitsplätze herum, am ziegelsteingepflasterten und häufig sehr holprigen und beschwerlichen Boden lagen Eisenteile, die in Arbeit kommen sollten oder eben bearbeitet waren, in der Nähe der Schlosser halb oder ganz fertige Maschinen großen und kleinen Kalibers. Hier standen ausrangierte Stücke, in gerader Linie aufgereiht, dort lehnten Bretter und lange eiserne Wellen. In einer Ecke war der Blasebalg, daneben das Terrain für die Packer; am entgegengesetzten Ende des Raumes nahm die frühere, jetzt ausrangierte und zu einem Gelegenheitsverkauf bereitliegende große Dampfmaschine unsrer Fabrik, in ihre einzelne Teile zerlegt, viel Raum ein und hinderte die Bewegungsfreiheit. Ein gewaltiger Krahn, viel benutzt und von zwei Mann an der Kurbel in mühsamer Kraftaufwendung fortbewegt, lief durch den ganzen Raum, zwei kleine bedienten in dem Teile, den ich oben mit dem Altarplatz einer Kirche verglich, die dort Arbeitenden. Unter den durch die Emporen gebildeten Decken liefen die langen Wellen hin, die durch die Dampfmaschine in rasender Drehung gehalten wurden und durch Riemenscheiben und die verbindenden Treibriemen die allerhand kleinen und großen Arbeitsmaschinen mit der Kraft nie ruhender Bewegung speisten. In den ersten Tagen nach meinem Eintritt in die Fabrik vermochte ich mich nur schwer und unsicher zwischen dem allen zurecht zu finden. Scheinbar wirr und planlos lag, stand, bewegte sich in dem Raume alles durcheinander. Erst allmählich sah das Auge die Ordnung, die doch herrschte, fand der Fuß die schmalen Gänge zwischen den Maschinen hindurch, die die übliche Passage von dem einen zum andern und durch den ganzen Raum hin bildeten, und die uns den Transport größerer umfangreicher Stücke wegen ihrer Engigkeit und Gewundenheit oft sehr erschwerten. Nur an dem schon oben geschilderten freundlichern, hellern Ende war es auch in dieser Beziehung besser.
Das war der Arbeitsplatz der Hundertzwanzig bis Hundertfünfzig, die hier ihr Tagewerk verrichteten, kahl, öde, schwarz, ohne eine Bequemlichkeit, durchtost von einem nie ab brechenden nervenzerreißenden Geräusch grell zusammenklingender Töne. Und doch lag über dem allen auch Adel und Poesie. Nicht nur, wenn von oben das Sonnenlicht hereinflutete und selbst den Schmutz und das Eisen verklärte, sondern auch wenn ein grauer Himmel das Kahle, Öde, Schwarze noch kahler, öder, schwärzer erscheinen ließ. Das war die Poesie eines grandiosen in einander greifenden Getriebes, das hier ruhelos und doch in gleichmäßiger Bewegung sich auswirkte, der Adel menschlicher Arbeit, die hier an einer einzigen Stelle von mehr als hundert Menschen im Kampfe ums Brot, um Leben und Genuß tagaus tagein gethan wird.
In unserm Bau wie in der ganzen Fabrik waren ausschließlich männliche Personen beschäftigt, keine einzige Frau, kein Mädchen, kein Kind; im ganzen Betriebe gab es meines Wissens noch nicht ein halbes Dutzend Knaben zwischen dem dreizehnten und vierzehnten Lebensjahre und kaum ein paar Dutzend Lehrlinge von vierzehn bis siebzehn Jahren. Auch das gab unsrer Fabrik und unsrer Arbeiterschaft ein ganz bestimmtes Gepräge; mich hinderte es vor allem, über Frauen- und Kinderarbeit irgend welche persönlichen Erfahrungen zu sammeln.
Gleichwohl war die Zusammensetzung unsrer Arbeiterschaft noch immer bunt genug, ein getreues Spiegelbild des Charakters unsrer gesamten großkapitalistischen Produktionsweise; die verschiedensten Berufe waren vertreten und in Thätigkeit, alte, von den Vätern, aus der Zeit der Zünfte her bewährte und berühmte, und junge, die die großen Erfindungen und die veränderten Bedürfnisse unsrer Tage neu geschaffen haben. Ich kann über ein Dutzend Handwerke aufzählen, die bei uns gebraucht wurden. Am zahlreichsten waren natürlich die Schlosser vertreten; dann folgten in abnehmender Reihenfolge etwa die Dreher, die Hobler, die Tischler, die Bohrer, die Stoßer, die Schmiede, Zimmerleute, Anstreicher, Riemer und Klempner. Dann aber jene Reihe neuer und Zwitterberufe: Anreißer, Aufreiber, Anhänger, Schmirgler, Räderschneider; dazu Maschinenwärter, Heizer, Packer, Transporteure, andre Handlanger jeder Art und Bestimmung – denn auch unter ihnen herrscht die Arbeitsteilung –, Kutscher und Portier, eine bunte Kette, in der doch jedes Glied eine Notwendigkeit ist, um auch nur die kleinste Maschine fertig zu bringen: eine Form menschlicher Arbeitsgemeinschaft, so neu, originell, großartig, wie sie vergangene Zeiten wohl nie gekannt haben, der sichtbare Ausdruck der geistigen und wirtschaftlichen Umwälzung, die sich eben jetzt auf unsrer Erde vollzieht, und von der es sich eben in unsern Tagen entscheiden soll, ob sie der Menschheit zum Segen oder zum Fluche werden wird.
Diese Arbeiterschar war selbstverständlich im einzelnen organisiert, voran die Schlosser. Ihre große Zahl war in Gruppen zu vier bis zehn Mann geteilt. Je ein Vorarbeiter, der sogenannte Monteur, leitete die gemeinsame Arbeit und dirigierte und kontrollierte den einzelnen. Hobler, Dreher, Tischler, Packer hatten ihre Meister; über allen stand der Schlossermeister, zugleich der Werkmeister des ganzen großen Raumes, in den wir gehörten. Er war gleichsam der Feldwebel dieser 120 Mann starken Arbeiterkompagnie, die übrigen Meister Vizefeldwebel und Sergeanten, die Monteure die Unteroffiziere, ihre Abteilungen, »Montagen« genannt, die einzelnen Korporalschaften. Der Werkführer und die übrigen Meister waren den Direktoren, besonders dem technischen verantwortlich. Die Leitung im einzelnen hatten sie, je für ihre einzelnen Abteilungen, selbständig; in Fühlung mit ihnen überwachte der Schlossermeister den gesamten Arbeitsprozeß im Detail.
Dieser Arbeitsprozeß war schwer, kompliziert, langsam; aber er war keiner von denen, die den Menschen durch seine Einförmigkeit geistig, moralisch und physisch tot machen. Denn die Maschinenbauindustrie ist eine der höchst entwickelten Zweige der modernen Großindustrie und steht auch, was den sittlichen Einfluß ihres Arbeitsprozesses auf die dabei beschäftigte Arbeiterschaft anlangt, mit an erster Stelle. Das Folgende hat eben dies vor allem zu zeigen und zu würdigen.
Der Arbeitsprozeß beginnt auf dem Tischlersaale. Eine große Maschine, etwa eine Hobelmaschine nach neustem System, ist bestellt worden. Die Konstruktions- und Berechnungsarbeiten der Techniker sind beendigt, die Zeichnungen dafür fertig. Da ist die nächste Arbeit die Anfertigung der Modelle für die einzelnen Teile der neuen Maschine. Dies geschah, wie gesagt, durch Tischler. Auch dabei wurde, wo es möglich war, mit Hilfe von Maschinen gearbeitet. Eine zwar bei der kleinsten Unvorsichtigkeit gefährliche aber zehnmal schneller und exakter als Menschenhand arbeitende Holzsäge-, und ebenso eine Holzhobelmaschine standen zum fortwährenden Gebrauche. Aber auf ihnen wurden doch nur die groben Stücke geschnitten; das übrige, bei weitem das meiste auf diesem Saale, war notwendig Handarbeit. Denn diese großen und kleinen Modellstücke hatten oft die wunderlichsten Formen, und ein jedes eine andre; sie mußten genau in der vorgeschriebenen Größe auf das genauste und dauerhaft ausgeführt werden. Wer hier arbeitete, mußte darum nicht nur geschickt sein, sondern auch denken können. Er mußte die Konstruktion der Maschine, deren Modellkörper er eben anfertigte, einigermaßen kennen; er mußte die Zeichnungen verstehn, die ihm die Maße und Formen für seine Arbeit angaben; er mußte Geschick und Gewandtheit besitzen, um aus möglichst wenig Brettern, Pflöckchen und Brettchen möglichst schnell, praktisch und gut die Formen zusammenzusetzen und zu gewinnen, die die Zeichnung für das betreffende Stück vorschrieb. Das Verhältnis zu seinem Meister beschränkte sich nicht nur auf eine disziplinarische Kontrolle jenes über ihn, sondern bestand notwendig auch in einem Austausch der Ansichten über die bestmögliche Herstellung der geforderten Körper. Dabei war dem einzelnen doch eine gewisse Selbständigkeit in der Ausführung gewahrt; und was er schaffte, war kein Teilstück, sondern ein in sich geschlossenes und wertvolles Ganze, das nach seinem Gebrauch in der Gießerei nicht weggeworfen, sondern dauernd der Modellsammlung der Fabrik einverleibt wurde. Eine gedanken- und charakterlos machende, rein mechanische Fabrikarbeit war also in diesem Teile der Fabrik ausgeschlossen. Auch war der Raum, in dem diese Leute nicht allzu zahlreich mit einander arbeiteten, wohl der beste in der ganzen Fabrik: groß, hoch, licht und luftig. Staub war freilich auch hier genug, wie immer in Tischlerwerkstätten mit ihren groben und feinen Sägespänen, und darum die Gesichtsfarbe auch dieser wie aller Tischler blaß.
Die fertigen, meist rotangestrichenen Modelle wurden dann der benachbarten Gießerei zugestellt, die uns den sogenannten »Guß« zu liefern pflegte. Wenn man ihn brachte, war es unsrer, der Handarbeiterkolonne Aufgabe, ihn abzuladen und zu wiegen, dann kam die sichtende Hand des Modellmeisters, dem auch die Modellsammlung unterstand, darüber. Sein erprobtes Auge unterschied leicht Charakter und Bestimmung der einzelnen rohen Stücke, die oft nur noch entfernte Ähnlichkeit mit ihrem säubern Modell aufzuweisen hatten, und jedes erhielt die besondre Chiffre, die nach der Sitte später die einzelnen fertigen Maschinen in dem Produktionsjournal der Fabrik führten.
Dann wurden sämtliche Teile dem Monteur überwiesen, der mit dem Bau der betreffenden Maschine beauftragt worden war. Diese Überweisung geschieht nicht ohne Auswahl. Nicht jeder Monteur erhält jede beliebige Maschine zu bauen. Die Verteilung richtet sich im ganzen nach dem Dienstalter, der Erfahrung und dem Geschick des Mannes und der Größe seiner Gruppe. Jüngere und ungeübtere Monteure mit kleineren und weniger geschulten Abteilungen erhielten nur den Bau einfacherer und bekannterer Maschinen. Doch will ich nicht sagen, daß nicht Ausnahmen vorkamen. Für jede vollendete Maschine sind nämlich je nach deren Größe und Kompliziertheit sogenannte Prozente wie für die Direktoren, so für den Werkmeister und den Vorarbeiter in absteigender Höhe festgesetzt. Wer von letztern beim Meister gut stand, konnte hier natürlich leicht einmal bevorzugt werden und Maschinen zu bauen bekommen, die mehr Prozente abwarfen als andre. Doch habe ich selbst hierüber keine deutlichen Beobachtungen gemacht, es mir nur von Arbeitsgenossen erzählen lassen. Auch wird die Ausgabe mit dadurch geregelt, daß die einzelnen Vorarbeiter immer nur auf ganz bestimmte Maschinen eingearbeitet sind: der eine auf Hobelmaschinen und Kreissägen, der andre auf Bohrmaschinen und Drehbänke u. s. f.
Gewöhnlich ist es so, daß immer zwei und mehr verschiedne Maschinen in derselben Abteilung im Bau begriffen sind – was für den erziehlichen Charakter der Arbeit dieser Leute ein unendlich wichtiges, förderndes Moment ist. Denn dadurch wird auch in diesen Abteilungen die letzte Möglichkeit einer schablonenhaften Fabrikarbeit beseitigt. Aber die Veranlassung zu dieser Einrichtung liegt freilich nicht in dieser sittlichen Rücksicht, sondern in dem Charakter des ganzen Fabrikationsbetriebes. Diese Maßnahme ist nämlich notwendig, um die Schlosser überhaupt dauernd beschäftigen zu können. Denn mit dem aus der Hand des Modellmeisters überwiesenen groben Stücke, vermögen der beauftragte Monteur und seine Leute nur zum geringsten Teile schon etwas anzufangen. Ehe die Schlosser die letzte Hand anlegen und die Knaupelarbeit der Zusammensetzung der Maschinen beginnen können, gehen die meisten Stücke noch durch viele Hände.
Zunächst kamen sie auf die Platte des Anreißers, eines der wichtigsten und angesehensten Arbeiters in unsrer Fabrik, durch seinen Beruf sowohl als durch seine Persönlichkeit. Der Mann hatte eine verantwortungsvolle Aufgabe. Er hatte nach den ihm vorliegenden, oft verwickelten Zeichnungen an den großen und kleinen Gußstücken mit Reißnadel und Grobzirkel alle Bohrungen, alle Hobelflächen, alle abzustoßenden Kanten und Ecken genau zu berechnen und zu bezeichnen. Von ihm hing es vor allem ab, ob schließlich die einzelnen Teile sich zusammenfügten und auf einander paßten, ob die ganze Maschine schließlich klappte. Macht auch hier langjährige Übung und allmähliche genaue Kenntnis der einzelnen Maschinen, ein praktischer Blick und eine geschickte Hand diese Thätigkeit leichter und zu einer gewohnheitsmäßigen – das eine steht doch fest, daß sie nie ohne die strikteste Aufmerksamkeit und ohne Gedankenarbeit gethan werden kann. Ich habe, wohl weil ich als der intelligenteste unter den Handarbeitern erschien, dem Anreißer sehr oft bei seiner Arbeit behilflich sein und ihm die eisernen Lineale, Schienen u. s. w. nachtragen, halten und stützen müssen; aber immer sah ich den Mann inmitten des dröhnenden Lärms, mit der Zeichnung vor sich, probierend, rechnend, schweigend seine Arbeit thun. Man ist in vielen Kreisen so wenig imstande, sich einen rechten Begriff von dem Charakter der Fabrikarbeit zu machen, ist so leicht geneigt, jede Fabrikarbeit als die durchschnittlich tiefststehende, einfachste und darum notwendig billigste Art menschlicher Thätigkeit anzusehen, daß ich es für meine Pflicht halte, an dieser Stelle vor diesem leichtfertigen Urteil zu warnen und auf die Arbeit dieses Mannes hinzuweisen, die meines Erachtens viel größere geistige und physische Kraft fordert und doch viel niedriger gelohnt ist, als z. B. die Thätigkeit vieler Subalternbeamten, Handlungsgehilfen, Kontoristen und andrer, die doch eine ganz andre gesellschaftliche Stellung und meist auch ein ganz andres Einkommen haben als dieser und andre ihm gleich zu ordnende Fabrikarbeiter. Ich stehe nicht an, es auszusprechen, daß mir die einseitige und in dem Grade, wie es geschieht, ja ohne weiteres falsche und lächerliche Betonung und Überschätzung der körperlichen, der Hand-, der Fabrikarbeit seitens der Sozialdemokraten auch in unsrer Fabrik eine ihrer begründeten Ursachen in dieser bisher sehr häufigen Nichtachtung und Verkennung solcher und ähnlicher Fabrikarbeiter, deren es viele giebt, zu haben scheint. Es ist der Drang nach einer gerechteren sittlichen Würdigung und damit auch gesellschaftlichen Anerkennung dieser Berufe durch die Allgemeinheit, der hier wie in der ganzen modernen Arbeiterbewegung in elementarer und ungefüger Form zum Ausdruck kommt.
Vom Anreißer hinweg brachten wir die Stücke je nach der Disposition ihrer Meister zu den Bohrern und Hoblern, Stoßern und Drehern. Bei den beiden ersten Kategorien finden wir das Gegenteil geistig anregender Fabrikarbeit. In selten unterbrochener Monotonie steht der Bohrer und der Hobler an seiner kleinen oder großen Arbeitsmaschine und läßt sie Löcher, immer Löcher bohren, Flächen, immer Flächen hobeln. Immer wieder sieht er den Stahlhobel die Flächen pflügen und glätten, den Bohrer wie spielend sich in das Gußeisen graben. Immer wieder führt er der erhitzten Stelle kühlendes Seifenwasser zu, immer wieder fegt er die groben Späne beiseite, bläst er die feinen mit dem Munde davon. Die einzige Thätigkeit, die dabei kurze Zeit ein wenig geistiges Nachdenken und Aufmerksamkeit fordert, ist das richtige Aufstellen der zu bohrenden und hobelnden Stücke. Die Löcher müssen nach der Vorschrift des Anreißers genau senkrecht, die Flächen genau wagerecht werden. Darum muß mit hölzernen Böcken, mit Brettern und Pflöckchen, mit Hammer und Wasserwage, mit eines oder mehrerer Handarbeiter Unterstützung die rechte, genaue und feste Lage für das Stück gefunden werden. Ist das aber geschehen, so beginnt zum millionenstenmale der Bohrer und Hobel seine Arbeit, zu der des Menschen Auge nichts weiter thun als immer nur zusehen und sie überwachen kann. Wunderlicherweise finden sich gerade unter diesen Leuten ebenso gut schwache wie die stärksten Verdiener. Der eine, ein Hobler, der die größten Flächen, und der andre, ein Bohrer, der mit der größten Maschine die gröbsten und längsten Löcher an den stärksten und oft viele Zentner schweren Hauptteilen zu arbeiten hatte, und die beide im Akkordlohn standen, sollten nach übereinstimmendem Urteile vieler Arbeitsgenossen das höchste Einkommen von allen Arbeitern unsers Baues, jedenfalls nicht unter 160-170 Mark im Monat haben, während z. B. der Anreißer die Stunde nur 29, höchstens 30 Pfennige, also in der Woche kaum 20 Mark verdienen sollte, und ebenso die anstrengende Arbeit der Durchschnittsschlosser und der Schmiede unvergleichlich niedriger gelohnt wurde. Bei dem sogenannten »großen Bohrer« war das immer noch verständlicher als bei jenem Hobler, der mit Hilfe von uns Handarbeitern die Eisenteile auf die tadellose Platte seiner Hobelmaschine hob, sie nur einzurichten und festzumachen brauchte und dann den Dampf die manchmal halbe Tage lange Arbeit thun ließ. Im ganzen war wohl die Thätigkeit der Hobler langweiliger und bequemer als die der Bohrer. Und wieder unter diesen hatten es diejenigen leichter aber auch noch langweiliger, die an größern Maschinen standen. Wer dagegen eine kleine zu bedienen hatte, dessen Aufmerksamkeit war in ganz andrer Weise an den ewig rotierenden Stahl gefesselt. Denn auf solchen Maschinen konnten ja nur enge und kurze Löcher, dünne Flächen und kleine Stücke gebohrt werden; diese festzuschrauben war unmöglich; hier hatte die Hand des Mannes sicher und stark zuzugreifen, hier hatte das Auge schärfer und schneller zu beobachten, hier hatte die Lunge unausgesetzt feinen Eisenstaub zu atmen. Und doch hatten gerade diese Leute von allen Bohrern – wenn ich recht berichtet bin – den niedrigsten Verdienst, waren freilich auch durchschnittlich jünger als die andern.
Wieder anders lag die Arbeit der Stoßer und Dreher. Beide Arbeitsarten, so verschieden sie im einzelnen auch von einander sind, sind sich darin gleich, daß sie dem Manne, der an der Drehbank oder Stoßmaschine steht, wieder größere Selbständigkeit und Selbstthätigkeit ermöglichen. Der Stoßer, der an meist schon glatt und blank gefeilten Stücken Flächen, Ecken, Kanten bald geradlinig bald kurven- oder kreisförmig abzustoßen hat, muß genau die vorgezeichnete Linie einhalten. Das zwingt ihn, so wie er die Maschine in Bewegung setzt, mit unausgesetzter Aufmerksamkeit in halbgebückter Stellung ihren Gang zu überwachen und zu dirigieren. Ganz ebenso der Dreher, dessen Aufgabe es ist, Bolzen, Wellen, Kurbeln und Hebel so zu kürzen, zu formen, so mit Nuten, Rissen, Einschnitten und Spitzen zu versehen, daß sie für die neue Maschine sofort verwendbar sind, jedenfalls aber nur noch geringer Nachhilfe durch die Schlosserfeile bedürfen. Aber ein großer Übelstand ist auch diesen Arbeiten wie denjenigen der Bohrer und Hobler gemeinsam: alles ist nur Teilarbeit. Nie schafft der Bohrer, der Hobler, der Stoßer, der Dreher ein zum Verkauf fertiges, geschweige zusammengesetztes, vollkommenes Produkt; es ist kein organisches Ganze, weder wenn er es unter die Hände bekommt, noch wenn er es aus den Händen giebt. Es ist immer trauriges Stückwerk. Man unterschätze dieses Faktum nicht, dessen üble Folgen, wie wir sehen werden, nur zum Teil wieder aufgehoben werden. Es ist hierauf die Beobachtung zurückzuführen, die ich immer machte, daß gerade unter dieser Berufsgruppe jene Züge häufiger hervortraten, auf die man fälschlicherweise als das bestimmende Charakteristikum des modernen deutschen Durchschnittsfabrikarbeiters so gern mit Entrüstung hinweist: gedankenlose Oberflächlichkeit und sittliche Unreife.
Als eine geradezu bedauernswerte Arbeit aber erschien mir immer die der Aufreiber, zweier schon älterer Männer, die tagaus tagein von morgens 6 bis abends 6 Uhr nichts andres zu thun hatten, als die von den Maschinen roh gebohrten Löcher fein, sauber, glatt nachzubohren – alles mit der Hand, im ewigen Einerlei. Wo ist da noch Schaffensfreudigkeit, innere Befriedigung geistiges Streben, sittliche Charakterbildung möglich?
Im vollen Gegensatz hierzu stand die Thätigkeit unsrer Schlosser. Wenn alles, wie die Zeichnung es forderte, gebohrt, gehobelt, gestoßen, geschnitten und gedreht war, wenn die Schrauben, Muttern, Bolzen und Einsatzstücke geglüht und gehärtet, wenn die wenigen schmiedeeisernen und messingnen Teile beisammen waren, begann ihre Arbeit, der eigentliche Bau der Maschine. Unter der Leitung ihres Monteurs, immer die Zeichnung vor Augen, die Feile, den Hammer, den Meißel in der Hand, wurde ein Stück auf und in das andre gefügt, häufig nicht ohne größte Mühe. Denn nur in den seltensten Fällen paßten die Teile sofort zu einander; meist konnte gar nicht von jenen andern Arbeitern mit der Akkuratesse und Genauigkeit vorgearbeitet werden, die das allein ermöglicht hätte. Überall gab es darum nachzuhelfen, zehnmal zu probieren, zehnmal die Sache auseinanderzunehmen, um sie auch das elfte und zwölfte mal noch vergeblich zusammenzupassen. Die glatten Flächen, die, nur rauh gehobelt, aufeinander zu laufen bestimmt waren, mußten – eine schwere Mühe – mit Glassand, Öl und Eisenstaub so lange eingeschmirgelt werden, bis sie dicht und fest aufeinander schlossen und doch glatt und leicht funktionierten. Zu dieser gefürchteten Arbeit wurden wir Handarbeiter mit Vorliebe herangezogen. Dann mußten rauhe Stellen abgeputzt, große Scheiben auf eiserne Wellen gekeilt mit dem Handbohrer die der Maschine unzugänglichen Löcher gebohrt, Gewinde geschnitten, Bolzen und andre Stücke eingesetzt werden. Alles oft in der unmöglichsten Lage: hoch auf der Leiter, gebückt, knieend, kauernd, liegend auf dem Rücken oder auf dem Bauche. Mitunter, wenn es gar nicht klappte, wurde der oder jener Maschinenarbeiter, der Bohrer, Stoßer, Dreher herangeholt und nicht gerade in der zärtlichsten Weise von der von ihm verschuldeten fatalen Situation unterrichtet, ab und zu ihm auch das eine oder andre Stück zur Verbesserung zurückgegeben. Aber allmählich wurde es doch; man sah die Maschine wachsen, bis endlich die letzte Schraube angezogen war, und das Ganze fix und fertig da stand. Dann folgten, wenn möglich an Ort und Stelle, die ersten rohen Versuche, die neue Maschine in Gang zu setzen, und endlich, wieder durch uns Handarbeiter, ihr Transport auf den Probiersaal.
Auch hier waren Schlosser und Monteure stationiert, und ein andres Stück Arbeit begann. Denn nicht sofort arbeitete die neue Maschine. Viele male wurde versucht, der Gang genau beobachtet, die kleinsten Störungen bemerkt, ihre Ursachen beseitigt, hie und da nachgeholfen – bis endlich eine tadellose Funktionierung des neuen Werkes erreicht war. Dann noch eine letzte Hauptprobe vor dem Direktor, dem Werkführer und dem Monteur, der sie gebaut hatte, und sie wurde den Händen der Lackierer überantwortet, die dem schwarzen Ungetüm ein freundliches, glänzendes Gewand gaben, und von denen die Packer als die letzten sie in Empfang nahmen.
So viel schwieriger und langwieriger diese Arbeit der Schlosser auch war, so viel höher muß eine ethische Würdigung sie über diejenige der Maschinenarbeiter stellen. Dort ist Schablone, hier Freiheit. Dort ewige Teilarbeit, hier organisch fortschreitende Thätigkeit, deren Produkt zuletzt ein geschlossenes Ganzes darstellte. Wohl kommt auch hier mancher öde Auftrag zwischen hinein, manche Stunde langweiligen Feilens, Meißelns, Bohrens; aber das ist nicht die Regel, und es dient der andern gehaltvollern Arbeit und bringt, vollendet, erfreulichen Fortschritt. Es erregte wirklich Freude und Befriedigung, wenn nach langem, mühsamem Probieren das bearbeitete Stück endlich saß, die Welle gleichmäßig im Lager lief, der Hebel leicht arbeitete, die Flächen fest aufeinander schlossen. Wie oft habe ich solche Freude an jungen und alten Schlossern beobachtet, wenn sie es mir, sobald ich davon sprach, auch nicht immer eingestehen wollten. Daß immer in derselben Gruppe mehrere Maschinen zu gleicher Zeit in Arbeit und in verschiednen Stadien ihrer Vollendung begriffen sind, war, wie gesagt, nur eine neue Ursache, das Interesse an der Arbeit zu vermehren. Denn wenn der Mann, je nach dem Stande der Vorarbeiten, ein paar Tage an dieser Maschine, dann einige Stunden an jener, wieder einen Nachmittag an einer dritten zu arbeiten hatte, so zwang ihn das zu doppelter und dreifacher Aufmerksamkeit, bei der Sache zu sein, die in Arbeit befindlichen Teile nicht zu verwechseln und die ganzen Maschinen miteinander zu vergleichen. Und das ist so förderlich und bedeutsam, daß dadurch auch das sonst so nachteilige Prinzip der Arbeitsteilung, das selbstverständlich innerhalb der Montagen ebenfalls im Schwange ist, für den einzelnen Mann seine schlimmen Folgen fast völlig verliert. So geht aus allem hervor, daß für den ethischen Charakter der Arbeit unsrer Schlosser, ebenso wie der Tischler, der großkapitalistische Fabrikbetrieb nicht nur nicht schädlich war, sondern geradezu einen Fortschritt bedeutete. Denn er hob beide Berufe über die handwerksmäßige, beschränktere Art des kleinmeisterlichen Betriebes zu höhern Aufgaben empor und machte sie der eigentlichen Kunstschlosserei und Kunsttischlerei nahe verwandt.
Auf andre, gleich alte und ehrwürdige Handwerker hatte dagegen derselbe Betrieb die gerade entgegengesetzte Wirkung. Berufe, wie die der Maler, Sattler, Schmiede, Klempner und Zimmerleute, waren in unsrer Fabrik zu bloßen Hilfsberufen degradiert. In andern Fabriken werden es wieder andre, vielleicht gerade die der Schlosser und Tischler sein – das wird sich je nach dem richten, was produziert wird. Jedenfalls aber gilt nach meinen Erfahrungen für sie alle dasselbe, was oben über den sittlichen Wert der Arbeit der Stoßer, Bohrer, Dreher und Hobler gesagt worden ist. Auch für sie gab es im ganzen nichts als langweilige, unbefriedigende Flick- und Teilarbeit. Die Maler hatten bei uns immer nur die Maschinen mit derselben graugrünen Fabrikfarbe zu lackieren, die Schmiede immer nur einzelne meist sehr einfache schmiedeeiserne Stücke und sonst ebenso wie der Klempner nur Reparaturarbeiten zu liefern, die Sattler immer nur Treibriemen in die gewünschte Länge umzuflicken, und die drei Zimmerleute standen ausschließlich dem Packmeister zur Verfügung, für den sie nichts als Kisten und Gestelle zur Verpackung der bestellten Maschinen zu nageln hatten.
Freilich wurde – und damit komme ich auf das Gesamturteil über die Arbeit in unsrer Fabrik – bei ihnen wie bei jenen andern niederern Arbeitskategorien der Bohrer, Hobler, Schlosser und Dreher die schlimme Folge dieser Teilarbeit durch den Gesamtcharakter gerade unsers Arbeitsprozesses wesentlich gemildert und auch ihre Thätigkeit ethisch vertieft. Denn dieser Prozeß beruhte bei uns auf dem Prinzip der Arbeitsbeteiligung aller an demselben einen Arbeitsprodukte. Vom Meister und Monteur herab bis zum Packer und Transporteur, schaffte jeder einzelne mit an dem gleichen Objekt, an einem einzig sinnvollen Ganzen, dem komplizierten Kunstwerke einer Werkzeugmaschine. Damit aber blieb einmal das Bewußtsein gegenseitiger Unentbehrlichkeit und Verantwortung unter allen rege, und zweitens das Interesse auch des einfachsten Schablonenarbeiters und Handlangers an dem Ganzen lebendig. Denn jede einzelne Arbeitskategorie war für den Arbeitsprozeß notwendig, jede einzelne mit ihrem Pensum auf die prompte, akkurate und verständige Leistung der andern angewiesen. Man wußte genau, wieviel z. B. für die Schlosser darauf ankam, daß der Bohrer genau nach Vorschrift bohrte; man sah, wieviel Mühe es allemal kostete, Sachen, die einer verpfuscht hatte, wieder gut und brauchbar zu machen; und man fürchtete die berechtigten Vorwürfe und Klagen der Arbeitsgenossen, die einen in solchen Fällen zu unangenehmer Verantwortung zogen. So orientierte man sich lieber in zweifelhaften Fällen über Bestimmung und Zweck des Stückes und verrichtete auch die langweiligste Teilarbeit nicht ganz ohne Aufmerksamkeit und Überlegung und mit verständnisvoller Rücksicht auf die Zusammensetzung der ganzen Maschine. Und indem so fast jeder der 120 Mann an dem Gelingen fast jeder Maschine, die aus unsrer Werkstatt hervorging, seinen Anteil und sein Verdienst hatte, kam es, daß auch ein jeder, selbst der schlichte Handarbeiter, der Teile und Ganzes fünfzehn, zwanzigmal transportiert hatte, ihre Bezeichnung und allgemeine Konstruktion mehr oder weniger genau sich klar zu machen suchte, und daß der und jener, wenn das Kunstwerk fertig und zum erstenmal im Gange war, mit prüfendem Auge und innerer Befriedigung hinzutrat, um die Stücke zu suchen, die sein Hobel geglättet, sein Bohrer durchbrochen, sein Meißel getroffen, seine Hand mühsam hin und her geschleppt hatte. Wohl den meisten war der heilsame Einfluß dieses ganzen gemeinsamen Arbeitsprozesses nicht bewußt, aber er trat mir immer sofort deutlich vor die Augen, wenn mich der Zufall, die Neugierde oder ein Auftrag einmal in die Säle der Stickmaschinenfabrikation führte, in der ganz anders als bei uns die Thätigkeit vieler Arbeiter in allersimpelste Schablonenarbeit auseinanderfiel, ohne daß der Betriebsorganismus, den sie hatten, denselben Vorteil und Ersatz hätte bieten können wie der unsre. Hier gab es Arbeiten zu verrichten, von denen man mit Recht sagt, daß sie aller sittlich erziehenden Momente, wie sie die evangelische Auffassung der Arbeit fordert, bar sind, bei denen der Mann, selbst wenn er es wollte, gar nicht die Möglichkeit hatte, Streben, Sorgfalt, Fleiß zu beweisen, anzuwenden, was er gelernt hatte oder für gut hielt, wo er vielmehr willenlos, gedankenlos, kraftlos nur immer dasselbe Stahlblättchen an immer derselben Stelle durch immer dieselbe Handbewegung in immer demselben Tempo durchlochen zu lassen oder nichts als Maschen, immer Maschen zu zählen hatte, Tag um Tag und elf Stunden an jedem – Arbeiten, die für einen strebsamen, vorwärtsdrängenden Mann in der That kein Gottesdienst mehr sind, sondern Höllenqual. Freilich auch in jenem andern Teile der Fabrik gab es solche Arbeiten noch nicht so massenhaft, wie wir sie in andern Industrien kennen, aber immerhin zahlreich und ausgeprägt genug, um den Kontrast gegen den Charakter unsers Arbeitsprozesses scharf hervortreten zu lassen, der bei allen vorhandenen Schwächen und Nachteilen doch wenigstens den einzelnen Mann nicht äußerlich und innerlich isolierte und ihn in eine rührige Arbeitsgemeinschaft hineinstellte, die ihn trug, erhob und ihm auch eine mühselige Teilarbeit erträglicher machte.
Aber vor einem großen sittlichen Schaden behütet die Leute auch dieser so hochstehende Arbeitsprozeß nicht wie wohl überhaupt kein großindustrieller Betrieb in der heutigen Form der Organisation: nämlich vor einer gewissen Unselbständigkeit des Charakters, die immer da eintritt, wo der Arbeiter nicht imstande ist, über sein Arbeitsprodukt auf dem Markte frei zu verfügen. Es fehlt ihm, was auch der einfache Handwerksmeister noch besitzt oder doch bis vor Jahrzehnten besessen hat, die persönliche Verantwortlichkeit für die Verwertung und den Vertrieb seiner Produkte. Der Arbeiter in der Fabrik, auch in der unsern, stellt die ihm aufgetragene Arbeit her; aber in dem Moment, wo er sie dem Monteur, dem Meister, dem Direktor abliefert, hat er kein Verfügungsrecht und nicht den geringsten Anspruch mehr darauf; sie existiert nicht mehr für ihn, wie er nicht für den wirtschaftlichen Markt, auf dem sie zum Verkauf kommt. Hierin befindet sich jeder großindustrielle Fabrikarbeiter, mag er noch so tüchtig und alt sein, immer und ewig auf dem Niveau des frühern Handwerks gesellen; darin liegt die Ursache der dauernden schülerhaften Abhängigkeit von dem Leiter der Fabrik, der an seiner Stelle seine Arbeit auf den Markt bringt und für ihn das Risiko des Verkaufs übernimmt, damit zugleich aber für ihn einen der wichtigsten Faktoren beseitigt, durch den auch die schlechteste Berufsarbeit eines Mannes noch anregend und interessant und das Haupterziehungsmittel eines geschlossenen Charakters, einer befriedigenden, ihres Lebenszieles klaren Persönlichkeit wird. Es fehlen die Sorgen um die Verwertung seiner Arbeiten, die Freude daran, wenn sie gelungen ist, der Stachel und Ehrgeiz, die rechten und besten Wege für ihren Absatz zu finden. Gerade das aber reift, klärt, stählt den Willen, den Charakter, die geistige Fähigkeit des Mannes, macht ihn erst zu einen ganzen Manne. Jetzt aber ist an diese Stelle, wie gesagt, die schülerhafte Abhängigkeit getreten, die nicht sich, sondern immer einem Höhergestellten und immer nur diesem Einzigen verantwortlich ist; gegenüber seiner Gunst sind Geschick und Glück, gegenüber seinem Willen und Machtwort, seiner Anordnung und Verfügung ist der eigne gute Wille, ist die eigne, selbst die größte Geschicklichkeit minderwertig, und das Selbstbestimmungsrecht im Beruf und der künftigen Existenz jetzt null und nichtig. So ist es nur natürlich, daß der Arbeiter sich mit andern bald gleichgiltigen nebensächlichen, kindischen Dingen, bald wieder mit zu schwierigen, seinem Fassungsvermögen fernabliegenden Problemen zu beschäftigen oder sich ins Vergnügen oder politische Radauleben zu stürzen sucht. Jedenfalls aber macht es ihn unnormal und prägt seinem Charakter den Stempel innerlicher Unfertigkeit auf, den ich auch an meinen Arbeitsgenossen zum Schaden für ihre sittliche Lebensführung bemerkt habe. Und also beseitigt, wie sich mir dies bei uns deutlich und täglich zeigte, der großkapitalistische Fabrikbetrieb selbst gerade das, was heutzutage noch eine große Majorität zu Verfechtern des individualistischen Wirtschaftssystems macht, die Selbstverantwortlichkeit des einzelnen Berufsarbeiters, seine männliche Selbständigkeit vor der Öffentlichkeit des Wirtschaftslebens, die Möglichkeit des persönlichen Risikos, die Freiheit der Produktion und der Selbstgestaltung der eignen Zukunft und damit edeln Ehrgeiz und starkes Streben.
Und diese verhängnisvolle, im technischen Großbetriebe notwendig wurzelnde Wirkung wurde durch die Arbeitsordnung noch vermehrt, die bei uns in Geltung war. Diese im Folgenden darzustellen, ist meine nächste Aufgabe. Sie war, nebenbei bemerkt, in einem Büchelchen von dreizehn Oktavseiten im Druck erschienen und wurde jedem in die Fabrik neu eintretenden Arbeiter eingehändigt unter der Bedingung der Zurückgabe beim Austritt aus der Fabrik.
Ich beginne der Vollständigkeit wegen mit der Arbeitszeit, deren schon früher erwähnt worden war. Sie dauerte also von früh 6 Uhr bis mittags 12 Uhr, und von 1 bis 6 Uhr nachmittags. Montags, oder überhaupt an jedem ersten Arbeitstage einer neuen Woche erfolgte der Beginn morgens eine Stunde später, erst um 7 Uhr, eine von allen dankbar empfundene Erleichterung, für viele, namentlich junge Leute, die des Sonntags sich austollten, die Sonntagabend bis 12 Uhr auf dem Tanzboden und den Rest der Nacht oft bei ihren Mädchen zubrachten, die Möglichkeit, nun wenigstens ein paar Stunden noch schlafen zu können und nicht ganz übernächtig und kraftlos die Arbeit der neuen Woche anzutreten. Auch am Sonnabend war eine Stunde gestrichen. Da wurde schon um 5 Uhr nachmittags Feierabend gemacht. Sonst fand eine Unterbrechung dieser Arbeitszeit nur am Vormittag zwischen 8 und 8,20 Uhr statt, wo das Frühstück, das ich bereits schilderte, genommen wurde; die Nachmittagsvesperpause war beseitigt, um die Leute schon 6 Uhr nach Hause schicken zu können. Abweichungen von dieser Arbeitszeit fanden, so lange ich der Fabrik angehörte, nicht statt. Doch war in dieser Zeit mehrmals unter den Arbeitsgenossen von in Aussicht stehenden Überstunden die Rede, wenn die Nachricht von neuen umfangreichen Maschinenbestellungen, die gemacht seien, aus dem Kontor in die Arbeitsräume drang. Solche Gerüchte wurden nie mit Befriedigung aufgenommen und kolportiert; denn in dem Falle, daß sie sich bewahrheiteten, traten zwei Absätze unsrer Fabrikordnung in Kraft, die alle Arbeiter ohne Widerrede zur Übernahme solcher Überstunden bei dem gleichen Stunden- und Akkordlöhne zwangen und folgendermaßen lauteten: »Abweichungen von der gewöhnlichen Arbeitszeit werden durch Anschlag bekannt gemacht« und »Jeder Arbeiter ist verpflichtet, zu vereinbartem Lohne auch nach Feierabend zu arbeiten.«
Dagegen hing es vom freien Willen des einzelnen ab, Beschäftigungen an Feiertagen zu übernehmen. Auch sie fanden in meiner Anwesenheit in bemerkenswertem Umfange nicht statt; übrigens erschwerte sie auch das sächsische Gesetz über das Verbot der Sonntagsarbeit erheblich. Die Überstunden- und Sonntagsarbeit, die in jenen Sommermonaten vorkamen, beschränkten sich infolgedessen auf das geringe Maß der notwendigen Reparaturarbeiten und auf Hilfsdienste der einen Hälfte der Arbeiterschaft an einem Sonn- und Montage, an dem die jährliche Inventur stattfand. Hierzu wurden die Leute befohlen, zu jenem die verwendet, die sich freiwillig anboten. Nur einmal erlebte ich einen Fall, in dem die angebliche Freiwilligkeit nackter Zwang war. Das war an einem Sonnabende, als vier Mann von uns dem Maschinenmeister zu einer plötzlichen, gründlichen Reinigung der einen großen Dampfmaschine zur Verfügung gestellt wurden. Ich gehörte zu den vieren und hatte an dem Abend gerade den Besuch einer wichtigen sozialdemokratischen Versammlung vor. Da aber die Sache, wie der Meister schlauerweise vorgab, nur eine Stunde dauern sollte, trat ich mit an. Doch zeigte sich sofort, daß die Arbeit dreimal länger währen würde. Eine Stunde machte ich mit, dann bat ich, mich zu entlassen, und nur mit der allergrößten Mühe erreichte ich mein Ziel. An meine Stelle wurde ein Bohrer kommandiert, der um diese Zeit mit sechs andern vom Kehren und Aufräumen des Fabrikraums kam, das allsonnabendlich von diesen sieben Freiwilligen besorgt wurde. Er hatte nicht die geringste Lust, mein Nachfolger zu sein, dennoch blieb er. »Was will man machen?« sagte er. »Man kann es ja doch nicht mit dem Meister verderben.« Übrigens fanden jene schon genannten sonntäglichen Reparaturarbeiten, wenn sie sich nötig machten, immer während des Vormittags und des Gottesdienstes statt. Die beiden einzigen aber, die ohne Unterbrechung an jedem Sonntagvormittage kontraktlich vorgeschriebene, vom Betrieb notwendig geforderte Arbeit zu thun hatten, waren die beiden Maschinenwärter, die ihre Maschinen nur in diesen Stunden putzen konnten, in denen sie außer Gang waren.
Unsre Arbeit wurde uns teils durch Stunden- teils durch Akkordlöhne bezahlt, deren Höhe meist beim Eintritt in die Fabrik gewöhnlich vom Meister, selten durch den Direktor selbst bestimmt zu werden pflegte. Der Stundenlohn überwog in unsrer Abteilung. Jenen verderblichen Gruppenlohn aber, bei dem ein oft ganz ungeschickter und gar nicht berufsmäßig vorgebildeter, nur äußerlich gewandter und geschmeidiger sogenannter Akkordmeister für die Herstellung einer Maschine oder eines andern Produktes eine bestimmte Summe erhält, von der er nun die ihm zugewiesenen und von ihm nur beaufsichtigten, nicht einmal bei der Arbeit unterstützten Arbeiter häufig so zu lohnen pflegt, daß ihm der Löwenanteil der Summe zufällt, also mit nackten Worten das englische Schwitzsystem in deutschem Gewande, gab es meines Wissens bei uns glücklicherweise gar nicht. Und ein Widerwille gegen den Akkordlohn war auch nicht, höchstens bei einigen sozialdemokratischen Prinzipienreitern, vorhanden, wäre in unserm Falle auch die reinste Thorheit gewesen. Denn die große Gefahr, die die Akkordarbeit in sich birgt, und die sie auch, wie mir von Arbeitsgenossen erzählt wurde, tatsächlich in einer der andern großen Chemnitzer Maschinenfabriken haben sollte, daß die Arbeiter während der ganzen langen Arbeitszeit durch das Akkordlohnsystem bis aufs Blut angestrengt würden, wurde bei uns durch das glücklich gewählte nicht zu langsame und nicht zu schnelle Arbeitstempo vermieden, das in der ganzen Fabrik herrschte und seinerseits viel dazu beitrug, daß auch die nüchternste Teilarbeit erträglich wurde. Ohne daß gebummelt und gefaulenzt wurde, war doch dem Einzelnen einigermaßen so viel Freiheit und Spielraum gelassen, daß er sich in dieser Stunde einmal nach seinen zufälligen Bedürfnissen etwas Zeit nehmen konnte, um es in einer andern bessern Stunde wieder nachzuholen. Und das galt noch viel mehr gerade von den in Akkordlohn stehenden als von der andern Lohngruppe. Ich weiß, daß ein paar Stoßer, die sehr gute Verdiener waren, in der ersten Hälfte der vierzehntägigen Lohnperiode fast nur mit Auswahl und nach Belieben an ihrer Maschine fleißig waren und sich erst in der zweiten Hälfte recht ins Zeug legten. Von andern, die im Stundenlohn arbeiteten, wurden diese Akkordlöhner fast immer beneidet; ein Bohrer hatte es zu seiner großen Befriedigung und seinem pekuniären Vorteil noch kurz vor meinem Eintritt in die Fabrik durchgesetzt, daß er künftig im Akkordlohn beschäftigt wurde, was mir andre später noch mehrmals ostentativ erzählten. Und ein gewandter, mir befreundeter Schlosser klagte mir mehrmals über die Langweiligkeit seines Stundenlohnes und sehnte sich herzlich nach Arbeit im Akkordlohn, da man da mehr Abwechslung im Verdienen und auch Aussicht auf mehr Verdienst hätte.
Daß die Auszahlung der Löhne aller vierzehn Tage stattfand, sagte ich bereits. In der Fabrikordnung war die Bestimmung so formuliert:
Die Berechnung der Löhne erfolgt nach Arbeitsstunden oder nach im Voraus durch schriftliche Verträge (Akkordzettel oder Eintragung in das Akkordbuch) vereinbarten Akkordsätzen.
Eine Löhnungsperiode erstreckt sich, so lange sich nicht eine andre Anordnung notwendig macht, vom Sonnabend der einen Woche bis zum Freitag einschließlich der übernächstfolgenden Woche.
Die Lohnauszahlung erfolgt an dem der betreffenden Lohnperiode folgenden Freitage abends 6 Uhr 20 Minuten. Von den Löhnen werden die Beiträge zur Krankenkasse, event. Strafgelder und zu leistender Schadenersatz, sowie Kautionszahlungen in Abzug gebracht.
Aus dem letzten dieser drei Abschnitte geht hervor, daß von jedem Arbeiter immer der Lohn seiner ersten Arbeitswoche, die er nach Eintritt in den Fabrikverband zurücklegte, von der Direktion innebehalten wurde. So zwar, daß, wenn einer an dem einem Lohntage folgenden Sonnabend in Arbeit trat, er nach den ersten vierzehn Tagen nur den Verdienst einer Woche ausgezahlt erhielt und erst dann regelmäßig seinen vierzehntägigen Lohn empfing. Das hatte seinen Grund nicht in irgend welcher schlechten, hinterlistigen Absicht der Fabrikleitung, etwa um dadurch die Möglichkeiten von Streiks zu verhindern; ich sagte schon, daß es bei uns keine Kündigungsfrist gab und damit auch niemals die Gefahr eines Kontraktbruches eintrat. Vielmehr wollte die Direktion wohl den Leuten, wenn sie die Fabrik aus irgend einem Grunde verließen, etwas Geld in die Hand geben, sodaß sie mit geringerer Sorge und ohne Not für jene nächste Woche sich unterdes neue Arbeit zu suchen in der Lage waren. Das wurde von allen nüchtern denkenden Arbeitsgenossen, mit denen ich mich darüber unterhielt, auch dankbar anerkannt, wenngleich sie in der ersten Zeit den durch jenes gezwungene Sparsystem hervorgerufenen Ausfall an Verdienst schmerzlich und oft mit Opfern entbehrten. Aber in diesem Falle wurde immer auch vom Meister durch Auszahlung eines Vorschusses ausgeholfen, dessen Betrag langsam und allmählich an den spätem Lohnterminen wieder abgezogen wurde. Ich habe das öfter zu beobachten Gelegenheit gehabt und bin selbst in den ersten Tagen meiner Anwesenheit in der Fabrik von den vielen Arbeitsgenossen, die es gut mit mir Neuling meinten und mich in der üblichen bedrängten Lage wähnen mußten, aufgefordert worden, mir ohne Gêne auch solch einen Vorschuß beim Meister zu holen. Für andre Fälle freilich existierte in der Arbeitsordnung über Vorschußzahlungen folgender mit Recht ziemlich strenger Passus:
Die Zahlung von Vorschüssen findet nur ganz ausnahmsweise und nach freiem Ermessen der Direktion statt.
Und für länger andauernde Akkordarbeiten galt dieser Abschnitt:
Die Auszahlung von Akkordlöhnen erfolgt nur, wenn die Vollendung und ordnungsgemäße Ausführung der betreffenden Arbeit vom vorgesetzten Meister im Akkordbuche bez. auf dem Akkordzettel, welcher dazu abzugeben ist, bestätigt worden ist.
Auf rechtzeitiges, d. h. vor Schluß der Lohnperiode gestelltes Verlangen werden entsprechende Akkordvorschüsse gewährt.
Akkordarbeiten, die nicht innerhalb zwei Monaten, vom Tage des Akkordabschlusses an gerechnet, zur Vollendung und Verrechnung kommen, werden nicht bezahlt, wenn nicht vor Ablauf dieser Zeit die Verlängerung des Akkordvertrages von der Direktion ausdrücklich gebilligt worden ist.
Allgemeine Sitte war es, daß alljährlich zum Chemnitzer Jahrmarkt, einem Montage, an dem übrigens auch nicht gearbeitet wurde, laut Anschlages jedem auf Verlangen nach Schluß der Arbeit ein Vorschuß in der Höhe bis zu zehn Mark gewährt wurde; früher wohl eine sehr vernünftige Maßregel, die aber jetzt überflüssig geworden ist, seit die Jahrmärkte sich überlebt haben, und man die Waren in den Läden der Stadt, die man noch dazu besser kennt, ebenso billig und gut oder gar noch billiger und besser zu kaufen imstande ist. Sehr viele der Arbeitsgenossen wußten das auch sehr wohl und sprachen es geradezu aus; dennoch holte sich die große Mehrzahl von ihnen seine zehn Mark, um den dadurch entstandenen Ausfall am nächsten Lohntag, desto schmerzlicher zu vermissen. Ich muß sagen, daß dieser kleine Zug mir kein sehr günstiges Licht auf die wirtschaftliche Fähigkeit der Leute warf.
Die allvierzehntäglich wiederkehrende Stunde der Lohnauszahlung war für alle ein sehnlichst erwarteter, festlicher Termin. An dem Nachmittag, der ihr voraufging, wurde nicht allzu eifrig gearbeitet, und wenn es sechs Uhr schlug, war im Nu unser ganzer Bau leer, und die Schar drüben im andern Gebäude, wo in zwei den Fabriksäle die wichtige Handlung vor sich ging, schnell und einfach genug. Ein Meister rief in alphabetischer Reihenfolge die Namen der Leute. Auf deren »Hier« übergab ein andrer ihm eine Blechkapsel, in der die Lohnrechnung und das Geld in runder Summe lag. Ein Blick, und man hatte die Richtigkeit der Rechnung geprüft, ein Griff, und die leere Büchse wanderte in einen am Wege stehenden Korb. Wir bekamen nie die Bruchteile einer Mark ausgezahlt. Hatte einer z. B. 29 Mark 97 Pfennige verdient, so erhielt er immer nur die 29 Mark ausgehändigt. Die 97 Pfennige wurden ihm gut geschrieben und in das nächste Lohnkonto mit verrechnet. Damit waren die Leute auch wohl zufrieden.
Für mich war die ganze Szene immer besonders reizvoll. Sie bot dem Auge ein packendes Bild. Im Halbkreis stehen die rußigen Gestalten um die zwei Meister, im Arbeitskleide, den Hut auf dem Kopfe, den Blechkrug in der Hand, dicht gedrängt. Alte und junge durcheinander, die einen sich neckend, andre gleichgiltig wartend, andre mit finsterm, gespanntem Auge den ausrufenden Meister fixierend, bis ihr Name erklingt, und sie ihr »Hier« antworten können, ihr Arm sich vorstrecken und das Sauerverdiente empfangen darf. Dazu im Hintergrunde der Szene die großen Maschinen, die wie im Schlafe stumm, unbeweglich daliegen nach dem rastlosen Getriebe des Tages, an sie gelehnt da und dort ein Mann, der prüfend, und bald lächelnd bald enttäuscht den Inhalt seiner Büchse mustert. Und über allem das Abendrot der untergehenden Sonne, deren letzte flimmernde Strahlen durch die blinden Scheiben der hohen Fabrikfenster brechen.
Strafen, und zwar fast ausschließlich Geldstrafen, waren in unsrer Fabrikordnung reichlich und doch – ich kann das wohl sagen – meist in gerechter und praktischer Beurteilung der Verhältnisse ausgesetzt. Die höchste betrug 2 Mark, die niedrigste 20 Pfennige. Jene trat ein, wenn einer beim Rauchen oder Schnapstrinken innerhalb der Fabrik oder bei mißbräuchlicher Benutzung der elektrischen Signalglocken ertappt wurde, letztere lag auf unpünktlichem Beginn der Arbeit. Die hohe Strafe auf das Schnapstrinken und den Mißbrauch der elektrischen Glocken, die in beiden Fällen eventuell auch auf sofortige Entlassung erhöht werden konnte, war durchaus gerechtfertigt, und ihre Höhe war die Ursache, daß sie nur selten in Anwendung zu kommen brauchte. Es wurde in der That fast kein Schnaps innerhalb der Fabrik und während der Arbeit getrunken. Ausnahmen machten nur einige wenige notorische Säufer und ein paar ältere treue Leute, die sich des Morgens ihr sogenanntes »Püllchen,« eine kleine Flasche, die kaum 3 bis 4 Schnapsgläschen faßte, gefüllt mitbrachten und dies im Laufe des sechsstündigen Vormittags schluckweise als Erquickung und Delikatesse zu sich nahmen, also eine durchaus harmlose und ungefährliche Überschreitung des Verbotes. Die Strafe, die am häufigsten in Anwendung kam, war die wegen Zuspätkommens. Mit Schlag 6 Uhr früh, und Schlag 1 Uhr mittags schloß der Portier, der den Ein- und Ausgang der Leute zu kontrollieren hatte, das Thor, oft so, daß er den Heranjagenden das Gitter vor der Nase zuschlug. So kam es, daß mitunter zehn und zwanzig auf einmal ausgesperrt wurden. Denn bei den Entfernungen, die die Leute zur Fabrik zurückzulegen hatten, war die Verspätung um 1 bis 2 Minuten leicht möglich. Verspätungen von mehr als 10 Minuten wurden, eine allzuhohe Strafe, mit 50 Pfennigen geahndet. Das war mehr als das Verdienst einer Stunde, für manche, wie für mich, sogar das von 2 und 2½ Stunden. In solchem Falle, der übrigens nicht sehr häufig vorkam, zog man es vor, lieber zwei ganze Stunden später zu erscheinen und sich dann persönlich beim Werkmeister zu entschuldigen, worauf jene Strafe wegfiel und nur der Satz für die fehlenden Stunden am Lohne abgezogen wurde. Eine gleich hohe Strafe von 50 Pfennigen lag auf Bummelei bei der Arbeit oder auf unnötigem Verlassen des Arbeitsplatzes, eine an sich ebenfalls notwendige Bestimmung, die auch nur in den seltensten Fällen in Anwendung kam, obwohl sie wohl häufig übertreten wurde. Die Meister waren klug genug, nicht hinzusehen. Ich habe nur einen Fall mit erlebt, an dem ich selbst mit beteiligt war, wo sie in Kraft trat. Hier ertappte uns der Direktor selbst bei einem höchst anregenden Gespräch, das sich zwischen uns Arbeitern entspannen hatte. Wir mußten alle mit 50 Pfennigen bluten. Ich muß sagen, daß ich dies Verfahren des Direktors nicht für ganz korrekt hielt. Denn es wurden Leute davon betroffen, die länger als ein Dutzend Jahre in der Fabrik und noch nie bestraft worden waren. Hier hätte die gute Führung in der Vergangenheit einige Rücksicht und Nachsicht gefordert, anstatt der unterschiedslosen militärisch gesetzlichen Strenge, die seitens des Direktors in Anwendung kam. Dann gab es Strafbestimmungen für Fahrlässigkeit bei der Arbeit, für unpünktliche Führung des Akkordtagebuches, für zweckwidrige Benutzung der Maschinen und Werkzeuge, böswillige Beschädigung derselben, Beschmutzung wertvoller Zeichnungen. Aber ich habe nirgends bemerkt, daß alle diese Bestimmungen jemals in Anwendung gekommen wären.
Nur ein Umstand erregte die meines Erachtens auch gerechte Erbitterung der Leute: das war die Art, wie die aufgesammelten Strafgelder verwendet wurden. In der Fabrikordnung war darüber bestimmt, »daß sich die Direktion, soweit die Gelder von der Fabrik nicht als Schadenersatz beansprucht werden, das alleinige Dispositionsrecht darüber vorbehält.« Kein Arbeiter wußte, wo das Geld hinkam. Man behauptete, daß die Gratifikationen, die an dem vorhergegangenen Weihnachten an ein paar Dutzend Leute für während der Festzeit geleistete Nebenarbeit gezahlt worden waren und große Freude unter diesen hervorgerufen hatten, aus jenen Geldern gewährt worden wäre: die Fabrikleitung hätte sich also ohne die geringsten eignen Opfer, auf Kosten der während des Jahres in Strafe genommenen Arbeiter bei einer Anzahl von Leuten populär und beliebt gemacht. Das war die allgemeine Ansicht, die unter der Hand kolportiert wurde und die sehr viel böses Blut machte. Man sollte in der That solche Dinge ernstlich vermeiden. Sie sind eine Saat ewigen Mißtrauens, Kleinigkeiten, die doch keine bleiben. Das beste ist immer, solche Strafgelder, abzüglich der von der Fabrik als Schadenersatz mit Recht beanspruchten, zu Gunsten aller Arbeiter und vor deren Augen, womöglich unter ihrer Mitwirkung zu verwenden.
Die Betrachtungen, die ich über den Arbeitswechsel während meines Aufenthalts in der Fabrik gemacht habe, sind nur relativ zu verstehen und richtig nur unter dem Gesichtspunkte der damaligen allgemeinen wirtschaftlichen Lage zu würdigen. Sie stand, wie schon einmal gesagt, unter dem Eindruck hauptsächlich zweier allgemeiner Faktoren: der hinter uns liegenden Feier des 1. Mai und der in Aussicht stehenden MacKinley-Bill. Diese erhob sich wie ein drohendes Gespenst vor der Chemnitzer Industrie und drückte schon damals die Produktionsstimmung; jene war zwar in Chemnitz vollständig gescheitert, sodaß nach Zeitungsberichten im ganzen großen Orte überhaupt nur vier Mann gestreikt haben sollten, aber sie war doch die Ursache zur Bildung einer mächtigen Vereinigung der dortigen Eisenindustrie geworden, die nach jenem Rückschlag selbstverständlich jede Kampfregung niederhielt. Bei dieser Lage der Dinge war eine nennenswerte Neueinstellung von Arbeitskräften nicht möglich, wohl aber die Beseitigung unliebsamer Personen. Gleichwohl stand die Sache für die Maschinenfabrikarbeiter noch bedeutend besser als z. B. für die Weber. Bei uns fanden wenigstens keine umfangreichen Entlassungen statt, während dort immer mehr Menschen brotlos wurden. Als ich zuletzt im Vogtlande wanderte, traf ich einen Spinner aus Chemnitz, einen guten stillen Menschen, Familienvater, den ebenfalls das furchtbare Los der Arbeitslosigkeit getroffen hatte, und der in einem Tage die ungeheure Strecke von Chemnitz über Zwickau bis Crimmitschau nach Arbeit abgesucht hatte und nun am andern Tage müde und verzweifelnd den Weg zurück machte. Er zeigte mir seinen Entlassungsschein, auf dem die Bemerkung stand: Hat am 1. Mai ordnungsmäßig gearbeitet. Er erzählte leidenschaftslos, daß in Chemnitz bereits 1100 Familienvater brotlos seien – damals jedenfalls eine viel zu hoch gegriffene Zahl, aber bezeichnend für die Stimmung und die Gerüchte, die zu der Zeit schon unter der dortigen Arbeiterbevölkerung umgingen.
Unter all diesen Umständen war der Wechsel des Personals in unsrer Fabrik während meines Dortseins nur gering. Ich zähle aus der Erinnerung und den gemachten Notizen etwa sechzehn Wechsel verschiedenster Art zusammen, die in dem Bau, dem ich zugeteilt war, vorkamen, doch mag die Zahl nicht genau sein. Im einzelnen war es so, daß etwa neun Stellen sogleich nach ihrem Freiwerden wieder besetzt wurden, in zwei andern Fällen Plätze besetzt wurden, die aus irgend einem mir nicht bekannt gewordenen Grunde (wohl aus Mangel an Arbeit) eine Zeitlang frei gewesen waren, drei Plätze erhielten während meiner Zeit mehrere Inhaber, die sich binnen wenigen Tagen ablösten, zwei Stellen endlich waren, als ich ging, eben vakant geworden. Die leeren Plätze, die während meiner ganzen Zeit leer standen, ziehe ich nicht mit in diese Betrachtung. Krank oder verunglückt oder wegen häuslicher Verhältnisse für längere Zeit von der Arbeit abgehalten waren in dieser Zeit vier Mann. Ihre Plätze blieben unbesetzt; ihre nötige Arbeit besorgten andre Arbeitsgenossen. Sowie sie sich zurück meldeten, traten sie in die frühere Stelle ein. Unter den Wechselnden war ein Handarbeiter, zwei Dreher und der Rest Schlosser; die größere Hälfte von ihnen war verheiratet.
Interessanter als diese trocknen Angaben ist es, den Ursachen nachzuforschen, die zum Austritt der Leute führten. Einige junge unverheiratete Schlosser gingen weg, nur um sich einmal zu verändern – derselbe Grund, der auch einige meiner Bekannten aus der Herberge zu langer und hinterher schmerzlich empfundener Arbeitslosigkeit verurteilt hatte. Wieder zwei andre gingen weg, weil sie beßre Stellen anderswo in Aussicht hatten, in die sie sofort einrücken konnten. Bei dem einen dieser beiden war ein wenig erfreulicher Vorgang in unsrer Fabrik der unmittelbare Anlaß, daß er sich eine andre Stelle suchte. Ich habe ihm freilich nicht persönlich beigewohnt und schildere ihn darum nur nach der Erzählung meiner Arbeitsgenossen. Ich weiß nicht, ob diese den Thatsachen entsprach; jedenfalls beweist sie, wie lebhaft alle in diesem Fall für ihren Arbeitsgenossen Partei nahmen, der ein zielbewußter Sozialdemokrat war, und wie tiefe Verstimmung die Geschichte unter ihnen allen hervorrief. Der Mann, um den es sich handelt, war ein Dreher, der 22 Jahre lang in unsrer Fabrik an derselben Maschine gestanden hatte. An einem Lohntage – er arbeitete in Akkord – war ihm ein in der That auffallend niedriger Lohn ausgezahlt worden. Er beschwerte sich, wohl in schroffer Weise, bei seinem Meister, einem äußerlich feinen Mann, über den ich sonst nicht habe klagen hören. Es kommt zu einem heftigen Wortwechsel, der sich auf dem Kontor auch mit dem Direktor fortsetzt, worauf der Mann kündigt. Als er – immer nach der Erzählung seines jugendlichen etwa 20jährigen Neffen, der, ein bescheidenes Kerlchen, in meiner Handarbeiterkolonne stand – um seinen Entlassungsschein bittet, wird ihm ein mit roter Tinte geschriebener übergeben. Darauf neuer Skandal, der erst dann mit dem Abgang des Mannes endet, als man den Gendarmen zu holen im Begriff ist. Den Schein hat der Mann auf dem Kontortische liegen lassen und hat, wohl als tüchtiger Arbeiter bekannt, ohne ihn gleich andern Tages in einer andern Fabrik lohnende Arbeit gefunden. Von Bedeutung ist vor allem der Eindruck, den dieser Vorgang auf die Zurückbleibenden machte. Viel und laut geredet wurde zwar nicht darüber, desto mehr im stillen von Mann zu Mann; die überzeugten Sozialdemokraten blickten in diesen Tagen besonders finster vor sich hin, andre zuckten nur die Achsel, für einige war es ein willkommener Anlaß, ihre Klatschsucht zu befriedigen, allen aber eine neue Warnung, vorsichtig zu sein.
Ein andrer Schlosser trat aus und eine Woche darauf wieder in die Fabrik ein. Er hatte sich mit seinem Monteur gezankt, jähzornig sein Werkzeug hingeworfen und war davon gegangen. Da er, obgleich Süddeutscher und unverheiratet, ich weiß nicht aus was für Gründen in Chemnitz bleiben wollte, kam er, als er nirgendwo anders Arbeit fand, nach einigen Tagen zurück und bat den Meister wehmütig um abermalige Aufnahme. Der ließ ihn erst ein paar Tage zappeln, stellte ihn dann aber wirklich bei einem andern Monteur wieder ein. Aber der Mann hatte von diesem Moment an bei vielen unsrer Arbeitsgenossen alle Achtung und Beliebtheit verloren. Man rechnete es ihm geradezu zur Schande, daß er so zu Kreuze gekrochen war, und manche ignorierten ihn von diesem Augenblick an völlig. Der Monteur, unter dem er nun, und zwar mit Aufwendung allen Fleißes, arbeitete, war verständig genug, ihn diese »Charakterlosigkeit« nicht auch seinerseits entgelten zu lassen und ihn, was unendlich leicht gewesen wäre, zu chikanieren. Aber ich weiß auch, wie sehr er sich dieser Unparteilichkeit als eines Besondern bewußt war.
Für drei andre wieder war ihre gewohnheitsmäßige Lüderlichkeit die von den meisten verurteilte Ursache, daß sie schon nach den ersten acht Tagen einfach wieder wegblieben. Unter ihnen war einer, ein Regimentskamerad von mir, dessen Frau damals eben zum fünftenmale niedergekommen war, und der darum gleich am ersten Tage vom Meister Vorschuß erbat und wohl auch erhielt, uns andre, freilich ohne Erfolg, anzupumpen versuchte und dann auf einmal fort war, um, wie man sich nachher erzählte, kurze Zeit darauf mit drei andern fidel bei einer sonntäglichen Droschkenfahrt gesehen zu werden. Er und die zwei andern erregten den Abscheu und die Entrüstung aller meiner nähern Freunde, die alle ihr Verfahren laut oder schweigend verurteilten, ein Umstand, den ich zu beachten bitte. Jene drei gehörten zu der auch da unten nicht geachteten Sorte von Arbeitern, die nirgends lange aushält und das beste und jedenfalls sichere Material für die unterste Hefe unsers arbeitenden Volkes, das Proletariat im schlimmen Sinne abgiebt.
Es ist hier der Ort, im Anschluß an das Gesagte einige allgemeinere Angaben über die Länge der Zeit zu machen, die die Hundertzwanzig, unter denen ich stand und ging, unsrer Fabrik angehörten, das Dienstalter, das sie bei uns hatten. Doch gebe ich auch hier ausdrücklich zu bedenken, daß sie auf Beobachtungen aus einer Zeit beruhen, deren Arbeitsbedingungen ich oben bereits angeführt habe. Trotzdem kann man wohl sagen, daß unsre Arbeiterschaft im großen und im ganzen äußerst stabil war. Wir hatten unter uns einen zahlreichen Stamm natürlich meist ältrer Leute, die oft schon jahrzehntelang dem Fabrikverbande angehörten, allerdings leider wohl nicht wegen der Aussicht auf wachsenden Verdienst, sondern wegen des alten guten Zuges der Seßhaftigkeit und Anhänglichkeit an die heimatliche Gegend, der noch auffallend tief, scheinbar gegen die übliche Meinung, wenigstens der ältern Generation meiner Genossen im Herzen sitzt. Das ihnen entgegengesetzte, das fluktuierende Element unter uns bildeten selbstverständlich die jungen unverheirateten Gesellen die, je nach Lust, Laune, Lerngelegenheit oder Lerneifer, manchmal aus recht zufälligen Ursachen längere oder kürzere Zeit in derselben Fabrik und an demselben Orte aushielten, und die, wie ich schon in dem einleitenden Kapitel bemerkte, vielfach ein gut Stück Welt gesehen hatten. Zwischen diesen beiden Gruppen stand deutlich eine dritte, wie mir schien an Zahl ebenfalls nicht geringe: diejenigen, die, fast durchgängig verheiratet, immer etwa sechs bis zehn Jahre in einer Fabrik, stets aber am selben Orte bleiben. Sie sind also ebenso seßhaft wie jener alte Stamm, dessen Rekruten sie meistenteils bilden, und wechseln die Fabrik in der angegebenen Zeit entweder, weil sie sich anderswo materiell dauernd zu verbessern hoffen, häufig aber auch nur, um eine heißersehnte Abwechslung in das langweilige Einerlei des bisherigen nur zu sehr gewohnten und ausgekannten Fabrikbetriebes zu bringen. Weiter bilden selbstverständlich die Fabriklehrlinge eine Gruppe für sich, und schließlich die kleine Zahl jener Lüderlichen, die ich zuletzt schilderte.
Der Arbeitswechsel vollzog sich ebenso schnell als verständig. Wir kannten, wie schon mehrmals bemerkt, keine Kündigungsfrist. Der Abschnitt 2 der Arbeitsordnung besagte hierüber folgendes:
Die Auflösung des Arbeitsverhältnisses kann von beiden Seiten jederzeit und ohne Kündigung erfolgen, sofern nicht hierüber besondre schriftliche Vereinbarungen getroffen sind. Doch ist auf Verlangen jeder Arbeiter verpflichtet, event. angefangene Akkordarbeiten vor seinem Abgange zu vollenden.
Der beabsichtigte Abgang ist dem vorgesetzten Werkführer anzuzeigen. Vor dem Abgange hat jeder seinen Platz aufzuräumen, beziehentl. seine Maschine zu putzen und die ihm übergebenen Werkzeuge an den Werkführer abzugeben, beziehentl. deren Richtigkeit von letzterem sich bescheinigen zu lassen.
Damit war mit einem Schlage die ganze Frage des Kontraktbruches bei uns aus der Welt geschafft. Und beide Teile befanden sich wohl dabei. Die Fabrikleitung, die dadurch in der Disposition ihrer Arbeitskräfte völlig freie Hand behielt, wovon sie aber im allgemeinen nur besonnenen und humanen Gebrauch machte, und die Arbeiter, die dadurch immer die Möglichkeit hatten, sofort in eine ihnen gebotene bessere Stelle überzugehn, und denen jener zu Anfang einbehaltene und bei ihrem Abgang auszuhändigende Lohn der ersten Woche die nun allerdings größere Gefahr augenblicklicher Erwerbslosigkeit wenigstens einigermaßen wieder ausglich. Es ist in dieser Zeit unendlich viel über die Frage des Kontraktbruchs und seiner Bestrafung gestritten worden. Hier ist ein Weg, der sie höchst einfach und auch ohne materielle Verluste für die Etablissements löst, wie die Erfahrung in unsrer und, wie ich höre, auch in andern Fabriken beweist, wo dieselbe Sitte herrscht. Aber selbst wenn solche Verluste eintreten sollten, dürfte dies nicht das ausschlaggebende Bedenken sein, wo viel höhere Güter auf den: Spiele stehn. Auch im Wirtschaftsleben der Völker müssen sittliche Rücksichten wieder materiellen Interessen vorausgehn, und gerade wir, die unparteiischen Gebildeten, die mit dem Maßstabe ernster ethischer Grundsätze und ohne materielle Voreingenommenheit an der Lösung der sozialen Frage mitarbeiten wollen, müssen darauf dringen, daß dieser Grundsatz wieder immer mehr Wahrheit wird. Es muß uns gleichgiltig sein, ob einige Tausende von Mark mehr oder weniger von den Großindustriellen verdient werden, wenn damit ein Zustand beseitigt wird, der zwar formell Recht, thatsächlich aber durch die wirtschaftliche Zwangslage eine Ungerechtigkeit ist, und der dem Rechtsbewußtsein in unserm Volke einen schweren Stoß zu versetzen im Begriffe ist. Und sollten die deutschen Industriellen wirklich weniger imstande sein, diesen ernsten sittlichen Bedenken Rechnung zu tragen, als die deutsche Arbeiterschaft, die durch den von der sozialdemokratischen Partei vorgeschlagenen Zusatzparagraphen zum Arbeiterschutzgesetz ihrerseits sich bereit erklärt hat, um den Preis der Beseitigung aller Kündigungsfrist die dadurch geschaffene größere Erwerbsunsicherheit auf sich zu nehmen? Ich meinerseits spreche meine volle Sympathie mit diesem Schritte der Sozialdemokraten offen aus.
Wenn ich endlich noch einige Worte über die Erfahrungen sagen darf, die ich bei der Arbeitssuche gemacht habe, so sind das kurz folgende. Tüchtigen Facharbeitern, wie Schlossern und Drehern, war es zu jener Zeit immer noch leichter möglich, Arbeit in Fabriken und kleinern Werkstätten zu erhalten, als Handarbeitern, Webern und Maschinenarbeitern.. Auf der Arbeitssuche wurden wir meist schon von den Portiers der Fabriken kurz zurückgewiesen. In den wenigen Fällen, wo wir bei dem Leiter direkt anfragen konnten, wurden wir freundlich und höflich behandelt, einmal auch mit guten Ratschlägen versehen, die freilich in diesem Falle nichts nützten. Auch die Arbeitsnachweise, zu denen wir unsre Zuflucht nahmen, befriedigten unser Bedürfnis nicht. Es waren die in den Herbergen und in den Zeitungen. Jene bestanden darin, daß der Herbergsvater der Zentralherberge auf einem großen schwarzen Brett, das an der Wand hing, die gesuchten Berufsarten, die Anzahl der verlangten Arbeiter, die Art der in Aussicht stehenden Beschäftigung, manchmal auch die Höhe des Lohnes anschrieb, wonach sich jedermann orientierte. Daß dabei, wie es namentlich in Innungsherbergen vorkommen soll, von ihm einzelne Leute bevorzugt worden seien, denen er vorher im geheimen Mitteilung von der bessern Arbeitsgelegenheit gemacht hätte, habe ich nicht bemerkt, kann aber das Gegenteil auch nicht fest verbürgen. Unter den Beschwerden dieser erfolglosen Arbeitssuche litten selbstverständlich vor allem wir zugereisten, in Chemnitz fremden. Wer hier bekannt war oder auch einige Routine besaß, dem glückte es selbstverständlich eher. Es kommt nicht zu selten vor, daß sich einer, anstatt sich abweisen zu lassen, hinter den Portier steckt, ihm etwas zuschiebt und dafür von ihm Nachricht erhält, wann in seiner Fabrik ein Platz frei wird. Auch von guten Bekannten und ehemaligen Arbeitsgenossen, die zur Zeit da arbeiteten, erhält man solche Mitteilungen und Winke, wo und wie anzuklopfen ist, etwa bei einem Meister der Fabrik, bei dem jene dann selbst auch ein gutes Wort einlegen. Doch ist natürlich bei dem allem viel glücklicher Zufall im Spiel; und wer fremd am Orte ist, kann sich nicht sonderlich darauf verlassen. Jedenfalls kann ich nach meinen eignen Erfahrungen es aussagen, wie unsäglich deprimierend es ist, erfolglos von Fabrik zu Fabrik, von Werkstatt zu Werkstatt wandern zu müssen, immer von neuem seine Kraft anbietend, mit bittenden Worten, und immer wieder erfolglos. Unfreiwillige Arbeitslosigkeit ist, auch wenn der Hunger noch nicht mit seiner eisernen Faust an die Thür pocht, das furchtbarste Los, das einen gesunden, strebsamen, für seine Familie sorgenden Manne treffen kann, um so bitterer, je ernster, tiefer, charaktervoller er ist, und eine größere Gefahr zur physischen und moralischen Verwahrlosung, als nur je die sozialdemokratische Agitation es sein kann.
Zwei Seiten unsrer Arbeitsordnung enthielten schließlich gute, klare Vorschriften zur Verhütung von Unglücksfällen. Sie wurden meist von den Leuten verständig befolgt. Während meiner Zugehörigkeit zur Fabrik ereignete sich nur ein größeres Unglück, das den Betroffenen auf etwa vierzehn Tage arbeitsunfähig machte: eine eiserne Schiene von etwa zwanzig Pfund war ihm auf den Fuß gestürzt, hatte mit der einen spitzen Kante seinen Stiefel durchbohrt, ein tiefes Loch in das Fleisch und dieses vom Knochen los geschlagen. Dagegen waren kleinere Unfälle um so häufiger: Quetschungen der Finger und Zehen, schmerzhafte Verletzungen der Fingernägel, Verwundungen der Hände durch scharfe Ecken und Kanten, und der Augen durch abspringende Eisensplitter. Gerade das letztere kam besonders oft vor, lief aber in den meisten Fällen gut ab. Man half sich da gern gegenseitig und schnell und geschickt.
Die Hauptgefahr bei aller Arbeit war immer die des Fallenlassens der großen, oft zentnerschweren eisernen Stücke. Ein Fehlgriff, ein unzeitgemäßes Nachlassen konnte Beine und Füße kosten., Darum wurde hier zumeist instinktiv vorsichtig, bedächtig und behutsam gearbeitet. Als Grundsatz galt: Was man einmal in der Hand hat, muß man so lange darin behalten, bis ein sicheres Niederlegen möglich ist, koste es an Kraft, was es wolle. Übrigens war ein für allemal der Befehl gegeben, daß zu jeder Arbeit immer soviel Leute antreten mußten, daß die betreffende Arbeit ohne Schaden für die Leute und den Arbeitsgegenstand verrichtet werden konnte. Damit war jede Überanstrengung verhindert, was von den Arbeitern dankend anerkannt wurde. Ebenso wurde durch die drei Krahne in unserm Bau namentlich die Transportarbeit ungemein erleichtert. Ferner gab es, wie erwähnt, überall elektrische Leitungen, durch die bei Unglücksfällen den Maschinenwärtern im Nu das Signal zum Anhalten der Dampfmaschine gegeben werden konnte. Dann existierten strenge Verbote gegen das unbefugte Betreten des Probiersaales, das Auflegen von Treibriemen während des Ganges der Maschinen, u. s. w. Weiter war geboten, enganliegende Kleider zu tragen, die nicht von den in Gang befindlichen Rädern ergriffen werden konnten. Eigentliche Schutzvorrichtungen an Maschinen aber waren über Erwarten wenig vorhanden, jedoch immer wo nötig zur Stelle. Für vorkommende Verunglückungen gab es eine Ecke in unserm Bau mit Matratze, Verbandtisch und Stuhl, Verbandzeug, Waschtoilette u. s. w. Ein Arbeiter, früher Lazarettgehilfe, war stets zur ersten Hilfeleistung bereit, legte in schweren Fällen einen Notverband an und übernahm den Transport des Verletzten. In der Art Verunglückte zu transportieren war wohl erst kurz vor meinem Eintritt in die Fabrik eine große, von den Leuten aufs dankbarste, aber doch nur als die Erfüllung einer notwendigen Pflicht begrüßte Änderung eingetreten: anstatt wie früher auf harten in der Fabrik benutzten Handwagen wurde der Verunglückte jetzt in der Equipage der Direktoren nach Hause oder ins Krankenhaus geschafft. Durchaus mangelhaft jedoch waren die Wascheinrichtungen, die nur eine oberflächliche, mühsame Reinigung des Gesichts und der Hände ermöglichten. In solchen rußigen Maschinenfabriken ist aber die Errichtung von Bädern, die für alle zur Benutzung freistehen, einfach Pflicht, namentlich wenn man die traurigen Wohnungsverhältnisse, das enge Zusammenleben so vieler Menschen und beider Geschlechter nebeneinander und dazu die Notwendigkeit einer täglichen gründlichen Reinigung des ganzen schmutzigen Körpers in Betracht zieht. Aber diese fehlten gänzlich bei uns, wie es überhaupt außer dem bereits geschilderten Speisesaal nichts weiter von derartigen Wohlfahrtseinrichtungen gab; man müßte denn jenen von der Direktion gebilligten Handel eines einhändigen Expedienten mit guten, billigen Arbeitskleidern auf Abzahlung noch darunter rechnen.
Und dabei war die Arbeit in unsrer Fabrik für alle körperlich schwer und strapaziös. Ich sage das nicht nach den Erfahrungen, die ich an mir machte; ich weiß, daß ich eine Ausnahme war und daß mir wenigstens in der ersten Zeit alles doppelt schwer fiel. Ich berichte allein nach den Aussagen der Leute und nach dem Eindruck, den sie auf mich machten. Sie waren aber, mit Ausnahme der Jugend, alle des Abends am Schlusse der Arbeit mehr oder weniger müde und abgespannt: ihr Gang war nicht mehr so leicht, schnell und elastisch wie des Morgens und Mittags, ihre Stimmung nicht mehr so heiter und lebhaft, ihre Arbeitsleistung in der letzten Stunde deutlich geringer als in den ersten. Es ist gar nicht zu leugnen, daß eine Fabrikarbeit von dem Charakter der unsern, selbst bei einem so glücklichen Tempo, bei einem so hochstehenden und verhältnismäßig geistig anregenden Produktionsprozeß und bei der Freiheit und Selbständigkeit, wie sie gerade bei uns noch herrschten, die tägliche Kraft eines Mannes durchaus erschöpft. Es ist in der That keine Kleinigkeit, elf Stunden des Tages mit 120 Mann in einem von öligem, schmierigem Dunste, von Kohlen- und Eisenstaube geschwängerten heißen Raume auszuhalten. Nicht eigentlich die meist schweren Handgriffe und Arbeitsleistungen, sondern dieses Zusammenleben, Zusammenatmen, Zusammenschwitzen vieler Menschen, diese dadurch entstehende ermüdende Druckluft, das nie verstummende nerven abstumpfende gewaltige quietschende, dröhnende, ratschende Geräusch, und das unausgesetzte elfstündige Stehen in ewigem Einerlei, oft an ein und derselben Stelle – dies alles zusammen macht unsre Fabrikarbeit zu einer alle Kräfte anspannenden, aufreibenden Thätigkeit, die wenn auch nicht über, so doch gleichwertig neben jede anstrengende geistige Arbeit gestellt werden darf. Denn sie muß geleistet werden mit Anspannung der besten Kraft eines Mannes – und dies, nicht aber der Erfolg, der größere oder kleinere Nutzen aus ihr, ist der richtige sittliche Maßstab für ihre Beurteilung. Dabei muß ich aber doch konstatieren, daß unter unsrer Arbeiterschaft eine verhältnismäßig ganz beträchtliche Anzahl von Grauköpfen vorhanden waren. So gab es unter den Schlossern einige, die schon als Reservisten mit in Frankreich gewesen waren; unter den vier Packern waren, wenn ich mich nicht irre, drei um die sechzig herum alt; zu meiner Kolonne gehörte ein mittlerer Vierziger und ein hoher Fünfziger; unter den Tischlern war ein freundlicher Alter mit schneeweißem Haar; an der Langlochbohrmaschine stand ein mir besonders lieb gewordener Mann, der längst Großvater war und sehr frisch, treu und rüstig seine Pflicht that; ein gleichaltriger Bruder von ihm, ein Schlosser, hatte nicht allzu weit von ihm seinen Platz. Je mehr ich aufzähle, desto mehr tauchen solche Grauköpfe in meiner Erinnerung wieder auf: sogar zwei Siebziger, wenn ich recht berichtet worden bin, waren noch in leichtem Dienste, der freilich leider entsprechend niedrig gelohnt wurde. Die Mehrzahl der Arbeitsgenossen stellte aber natürlich das mittlere Alter, starke, stramme Gestalten in den zwanziger und dreißiger Jahren. Lange nicht so zahlreich waren Siebzehn- bis Zwanzigjährige, und an Lehrlingen hatten wir eine noch geringere Zahl.
Ein abschließendes Urteil über den Charakter dieser eben mitgeteilten Arbeitsordnung unsrer Fabrik findet man aus den Sätzen, die am Anfänge des Büchelchens über die Aufnahme und an seinen Schlusse über eventuelle Änderungen der Fabrikordnung Bestimmungen enthalten. An der ersten Stelle heißt es wörtlich: »Das Recht, Arbeiter anzunehmen, steht nur der Direktion oder deren Beauftragten zu. Durch Annahme der Arbeit unterwirft sich jeder Arbeiter den Bestimmungen der Fabrikordnung, von welcher er bei seinem Antritt ein Exemplar ausgehändigt erhält und worüber durch eigenhändige Eintragung des Namens in ein im Kontor ausliegendes Buch zu quittieren ist.« Und an der letztem Stelle heißt es, ebenfalls wörtlich: » Änderungen sowie Zusätze zu derselben werden von der Direktion durch Anschlag bekannt gemacht und treten jedesmal sofort in Kraft.«
Hier prägt sich auch dem Harmlosen klipp und klar der ganze Charakter dieser wie wohl fast aller bestehenden Fabrikordnungen aus. Sie ist deutlich das Produkt der Fabrikleitung, zugeschnitten nach den allein maßgebenden Gesichtspunkten ihrer einseitigen Interessen. Sie ist eine Hausordnung, die der Eigentümer allein nach seinem Willen erläßt, und der sich jeder zu fügen hat, so lange er als Glied dem Hause angehört. Es giebt für die Arbeiter gegen solche Arbeitsordnung keinen andern wirksamen Protest, als den des Austritts aus dem Verbande, dem sie Gesetz ist. Ihr Dasein und ihre Giltigkeit bezeichnet in allen Füllen von Bedeutung die vollkommene, schweigende Abhängigkeit aller Arbeiter; sie ist der Ausdruck eines absolutistischen Systems, das gerade Gegenteil von wirtschaftlicher Freiheit, die doch das heute herrschende Gesetz im Wirtschaftsleben der Völker sein soll; sie ist eine neue und folgenschwere Ursache der Unselbständigkeit und Unreife des Charakters der heutigen Fabrikarbeiter.
Freilich, und das ist das zweite, was ich abschließend zu sagen habe, wurde die Schärfe dieser ganz einseitigen Arbeitsordnung in unsrer Fabrik stark gemindert, ja häufig geradezu unwirksam gemacht durch die kluge taktvolle Art, wie sie bei uns zur Anwendung kam. Bei dem Direktor traten diese geschriebnen Satzungen überhaupt durchaus hinter seiner energischen Persönlichkeit zurück, in dessen thatkräftiger, militärischer, aber verständiger, besonnener und vor allem gerechter und unparteiischer Art sie eine neue lebendige Gestalt annahm, und dem man, wie ich das weiter unten noch ausführen werde, ohne Widerstand gehorchte. Die übrigen Vorgesetzten aber, vor allem die Meister, handhabten die Ordnung durchschnittlich so klug, mild und nachsichtig, daß die Arbeiter die in ihr enthaltenen rücksichtslosen Sätze leicht hinnahmen, und daß ihre Schärfe ihnen nur in den seltensten Fällen schmerzlich zum Bewußtsein kam.
Eingehend möchte ich am Schlusse dieses Kapitels noch von dem Verhalten der Leute bei der Arbeit, ihrem Verkehr unter einander und mit ihren Vorgesetzten erzählen. Die gesamte Arbeiterschaft unsrer Fabrik schied sich auch in dieser Beziehung in zwei große Gruppen, in die des Werkzeug- und des Stickmaschinenbaues; die vollständige Trennung des Arbeitsprozesses beider Abteilungen hatte für die darin beschäftigten im allgemeinen auch eine solche des Verkehrs zur Folge, und zwar so sehr, daß häufig sogar eine vollständige gegenseitige Unbekanntschaft unter den Leuten bestand. Dann ging man meist achtlos, grußlos, ohne ein Wort zu wechseln, beim Eintritt wie beim Austritt aus der Fabrik an einander vorüber und kannte nicht Namen noch Gesinnung des andern. Zwischen denen, die schon jahrelang in der Fabrik waren, bahnte sich natürlich trotz dieser Betriebsscheidung allmählich eine Annäherung an; doch beschränkte auch sie sich meist nur auf einen ganz oberflächlichen, flüchtigen und seltenen Verkehr während der Arbeitspausen. Die Handarbeiter, die selbstverständlich am meisten in der Fabrik hin und her geschickt wurden, waren eigentlich das einzige und hauptsächliche verbindende Element zwischen den beiden großen Arbeitergruppen, denen man als dritte isolierte die kleinere Tischlerkolonne an die Seite stellen kann.
Innerhalb jeder dieser drei Gruppen aber war der Verkehr bei der Arbeit selbstverständlich sehr rege. Dazu zwang schon der obengeschilderte Charakter des gemeinsamen Arbeitsprozesses. Es waren darum nur seltene Ausnahmen, daß ältere Leute, die oft schon 20 Jahre in der Abteilung arbeiteten, einmal einen jungen Schlosser nicht kannten und auch nie ein Wort mit ihm wechselten. Solche Fälle erklärten sich dann aus der abnehmenden geselligen Elastizität der ältern Leute, und aus dem fortwährenden Wechsel gerade dieser jugendlichen Elemente. Sonst aber führte, wie gesagt, die Gemeinsamkeit des Arbeitsprozesses die Leute schnell, häufig und nahe aneinander und zwang sie zu dauerndem gegenseitigen Verkehr.
Dieser war nun selbstverständlich besonders rege zwischen Gleichaltrigen, Arbeitsnachbarn und den Leuten derselben Kolonne, derselben Montage, desselben Meisters. Hier wurde er von selbst häufig ein intimer; und jede Gelegenheit zu einem längern oder kürzern Zwiegespräch wurde dann fleißig benutzt. Und je nachdem unterhielt man sich bald über gleichgiltige, bald lustige, bald ernste Dinge, oder neckte und balgte man sich herum. Vor allem wurde der Neueingetretene ausführlich kritisiert; dann erzählte man sich andre kleinere Neuigkeiten aus der Fabrik, z. B. daß dem Kantinenwirt und dem Portier gekündigt worden wäre, und dann auch, daß der Kutscher seine Stellung aufgäbe, und warum das alles geschähe; oft wurde auch ein Ereignis aus dem gemeinsamen Wohnorte des langen und breiten erörtert oder über das letzte Sonntagsvergnügen geredet, und was man für den nächsten Feiertag plante; vor allem plauderte man gern auch von seinen Kindern und erzählte und hörte ausführlichere Schilderungen an von Selbsterlebtem aus vergangner Zeit. Aber ebenso oft unterhielt man sich auch, und mitunter während man die Feile hin und her schob oder während die Maschine rasselte, während man maß und verglich, mit hinzugetretenen zweiten und dritten über ernste Dinge, religiöse, wirtschaftliche, politische und über Bildungsfragen, natürlich in der Art und mit den Fähigkeiten und Kenntnissen, die den Leuten eben zu Gebote standen. Gerade hierüber sollen die nächsten Kapitel berichten; an dieser Stelle genügt die eben gemachte Angabe.
Vor allem aber scherzte, neckte und balgte man sich herzlich gern, wo immer es anging. Überall suchte man unter guten Bekannten, die solche Neckereien verstanden, einander etwas auszuwischen: so warf man den achtlos vorübergehenden aus einem Versteck mit Thon, zog ihm heimlich die Schleife seiner Schürze auf oder in der Pause das Brett unter dem Sitze weg, stellte sich plötzlich einander in den Weg oder »meinte es miteinander gut.« Dies Gutmeinen pflegte gern am Ende der Woche von ältern Leuten zu geschehen, die einen starken Bartwuchs hatten und sich, wie es im Volke heute noch viel verbreitete Sitte ist, nur einmal in der Woche, des Sonnabends Abend oder des Sonntags Morgen, rasierten. So einer mit genügend langen harten Stacheln im Gesicht nahm dann plötzlich ein um Kinn, Backen und Lippen noch zarteres Kerlchen beim Kopfe und rieb blitzschnell seine Wange an der jenes mehrmals hin und her, wodurch gerade kein angenehmes Gefühl hervorgerufen werden sollte. Wenn der so Liebkoste zur Besinnung kam, war der Übelthäter längst davon. Noch ungemütlicher war ein andrer Spaß, den man an mir glücklicherweise nur einmal probierte, das sogenannte »Bartwichsen.« Da lehnt einer vielleicht achtlos an einem Pfosten, eben zufällig ohne bestimmten Arbeitsauftrag. Zwei andre sehen den Arglosen stehen; ein gegenseitiger Blick des Einverständnisses, und der eine tritt von hinten an ihn heran, umschlingt ihn mit den Armen, sodaß jener sich nicht mehr rühren kann; unterdes umfaßt der andre mit seinen zwei schwarzen, schmutzigen Händen von vorn das Gesicht des Überfallenen und streicht nun in aller Gemütsruhe mit den festangepreßten Daumen den Schnurrbart des Wehrlosen auseinander, was, wie ich versichern kann, sehr schmerzhaft ist. Bei mir wiederholte man aber die Sache niemals wieder, weil mir beim erstenmale durch eine abwehrende Bewegung meines Kopfes die Brille von der Nase fiel, glücklicherweise ohne zu zerbrechen; das wollten die Leute doch nicht nochmals riskieren und unterließen es darum. Unter intimern Bekannten blieb keiner davon verschont, und jeder wurde ohne Unterschied des Alters heimgesucht. So etwas geschah natürlich immer nur, wenn man sich unbeaufsichtigt glaubte. Scherze andrer Art und viele Witze waren selbstverständlich ebenso häufig und oft von urwüchsigster Komik, sodaß man von Herzen darüber lachen mußte, nicht selten aber auch derb und roh. Ich habe auch darüber an andrer Stelle noch eingehender zu reden.
Spitznamen wurden viele ausgeteilt; selbst der Direktor hatte einen, freilich einen völlig harmlosen, seinen Vornamen. Sonst pflegte man mit Vornamen mit Vorliebe nur die in der Fabrik besonders beliebten Kameraden zu rufen, ferner die Komiker und Spaßmacher, die, wohin sie traten, immer Ursache oder Gegenstand heiterster Laune wurden.
Heiterkeit, Frohsinn, ausgelassene Lustigkeit waren überhaupt der Grundzug des Geistes, der wenigstens in unserm Baue während der Arbeit herrschte und auch in den letzten Abendstunden des langen Werktages, wo die Abspannung und Müdigkeit sich geltend zu machen begann, nicht ganz verloren ging. Davon war wohl der günstige Charakter des Arbeitsprozesses nicht weniger als die joviale, heitere Anlage des Volkes selbst die erfreuliche Ursache. Diese lustige, frische, scherzende Art war der gute Geist, der auch die schweren Arbeitsmühen immer wieder leicht und erträglich machen half. Verwunderlich war, daß man trotzdem wenig bei der Arbeit sang. Nur einzelne pflegten gern ein Liedchen vor sich hinzuträllern, und nur eine Schlossergruppe, die fast ausschließlich aus jungen verliebten Burschen bestand, stimmte ab und zu ein gemeinsames Volks- oder Soldatenlied an. Jedenfalls war der unaufhörliche große Lärm das Hindernis.
Das gegenseitige Duzen war nicht durchgängig Sitte, doch immer in den engern Arbeitsgruppen, unter Gleichaltrigen und auch meist unter Nachbarn. Dagegen hielt mancher Schlosser, namentlich der von ferne und aus besserer Familie herkam, streng darauf, das Du außerhalb seiner Gruppe nur sehr mit Auswahl anzuwenden, und schüttelte den Kopf über seine Handwerksgenossen, die es an jeden beliebigen Handarbeiter verschwendeten. Manchmal duzten sich auch alte, langerprobte Arbeiter, Schlosser oder Maschinenarbeiter mit einem Meister, auch Meister mit Vorarbeitern, häufiger Vorarbeiter mit Arbeitern jeder Art und selbst Handarbeitern, selten aber mit Leuten ihrer Kolonne; wenn dies aber doch geschah, dann immer nur mit ältern, langansässigen. Die Vorarbeiter stehen unter sich fast immer auf Du und Du, nicht aber häufig auch die Meister unter einander. Bei denen kommt doch schon ihre höhere soziale Stellung in Betracht, während bei den andern der angeborene Gemeinschaftssinn, die militärische Sitte der Kameradschaft und die leicht erregbare gegenseitige Teilnahme an einander jene Neigung in lebendige Übung bringt.
Bemerkenswert war das besondre Verhältnis zwischen uns fünf Handarbeitern. Unter uns war es am leichtesten möglich, auf Kosten der andern zu faulenzen. Es gab eine Reihe von Winkeln und Plätzen in der Fabrik, die einem auf eine halbe Stunde ein friedliches, auch vom Meister nicht bemerktes Ausruhen möglich machten. Oder ein guter Freund unter den Schlossern und Maschinenarbeitern betraute einen nur scheinbar mit einem Auftrag. Um dies zu verhüten, wurde ganz von selbst eine gegenseitige geheime Kontrolle geübt. Es gab unter uns besonders zwei, die sich gern einmal von der Arbeit drückten; auf sie hatten die andern ein besonders wachsames und scharfes Auge. Zwar sah man ihnen vieles nach; wenn sie es aber dann und wann einmal gar zu arg trieben, stellte man sie offen, ernstlich und nicht zart darüber zur Rede; das gab dann immer einen tüchtigen Streit und hatte zwischen den beiden Wortführern ein mehrtägiges oder mehrwöchentliches Schmollen zur Folge. Aber die Ermahnung fruchtete doch meist, und allmählich kam auch zwischen den beiden wieder ein leidliches Verhältnis zu stande. Die andern drei verband ein intimeres kameradschaftliches Verhältnis, sodaß jeder von ihnen nach Kräften zugriff und nicht gern den andern im Stiche ließ. Gegen mich, den Neuling, waren alle fünf unsrer Kolonne besonders freundlich und entgegenkommend. Als ich in die Fabrik eintrat, zeigte es sich gleich am ersten Tage, daß ich unfähig war, ebenso stramm und stark zuzugreifen, wie die in solcher Arbeit erprobten Kolonnengenossen. Sofort nahm man Rücksicht auf mich; und anstatt den neuen, noch schüchternen Kameraden auszubeuten und ihn an ihrer Statt arbeiten zu lassen, stellte man ihn immer an den leichtesten Platz, ja schob ihn gar ganz beiseite, um selbst schneller und besser die Arbeit zu thun. Und denselben kameradschaftlichen Sinn, dieselbe freundliche Nachsicht übten die meisten Schlosser und Maschinenarbeiter gegen mich. Später, als ich kräftiger, geschickter, ausdauernder geworden war, hörte das freilich und mit Recht auf, und ich wurde ebenso viel, doch nicht mehr als die andern strapaziert.
Das Verhältnis der Schlosser, Schmiede, Maschinenarbeiter zu uns Handarbeitern war ebenfalls mehrfach interessant. Außerdienstlich gab es zwar für die Mehrzahl von ihnen keine Rangunterschiede zwischen uns, wohl aber während der Arbeit. Man wußte, daß wir eben zur Dienstleistung für die andern da waren, und machte von dieser Thatsache, jedoch mit Unterschied, ohne Scheu Gebrauch. Ältere Leute nahmen nur ungern, wenn es gar nicht anders ging, zu unsrer Unterstützung Zuflucht, jüngere dagegen benutzten uns häufig; selbst Lehrlinge machten Versuche dazu. Die Handarbeiter wieder gehorchten, sowie man sie nur anständig behandelte. Unteroffiziersmäßig anschnauzen ließ sich keiner. Wer es versuchte, wurde stillschweigend, ohne jede Verabredung, geboykottet; d. h. die Handarbeiter ignorierten ihn, kamen nicht in die Nähe seines Platzes, thaten als hörten sie ihn nicht, wenn er einen von ihnen anrief, und wenn dieser direkt an sie herantrat und eine Dienstleistung verlangte, hatte man immer angeblich etwas zu thun. In solchen Fällen mußte sich der Verlassene dann an den Meister wenden und diesen um Zuteilung einer Hilfskraft bitten. Beschwerte er sich aber dabei über einen von ihnen oder verdächtigte er ihn gar, und es kam heraus, so ging es ihm noch schlechter, und er wurde als »Fuchsschwanz« erst recht beiseite liegen gelassen, hatte oft auch bei unserm Meister gar kein Glück. Darum war es immer auch für die Auftraggeber erwünscht, sich mit den Handarbeitern gut zu stellen, und wenn nötig, sie freundlich zu bitten. Die am meisten übliche Form der Aufforderung zur Hilfeleistung war die: He! Pst! Hast du Zeit?
Ja.
Da wollen wir mal das und das zusammen machen; es dauert gar nicht lange. Oder man sagte: Wir möchten einmal diese Welle hier fortschaffen; aber sie ist schwer; du mußt dir noch ein paar andre suchen und mitbringen.
Und fast immer halfen die Auftraggeber selbst mit.
Die Monteure nahmen ihren Leuten gegenüber etwa die Stellung von Untermeistern ein. Ihr Verhältnis zu ihnen war halb das von Vorgesetzten, halb das von Genossen. In Dingen, die die Arbeit betrafen, wurden sie von jenen durchaus respektiert, im übrigen war der Verkehr zwischen ihnen ein mehr kordialer. Besonders wenn gleichaltrige oder an Jahren ältere Leute unter ihnen arbeiteten, was nicht selten vorkam; denn wir hatten ein paar noch ziemlich junge Monteure als Gruppenführer unter uns. Wie diese zu der Stellung gekommen waren, erfuhr ich nicht; sie alle waren früher Durchschnittsarbeiter gewesen. Ältere Leute ließen diese dann meist sehr selbständig und »ihren eignen Stiefel« arbeiten; ihnen gegenüber begnügte man sich mit den allernötigsten Anordnungen. Übrigens sei an dieser Stelle bemerkt, daß einige der ältesten Schlosser überhaupt den Gruppenverbänden dauernd entnommen waren und direkt dem Werkmeister unterstanden.
Ältere Monteure prägten ihren Gruppen einigermaßen ihren technischen Charakter auf; Gruppen mit gewandten und tüchtigen Monteuren waren deutlich intelligenter und leistungsfähiger als andre, deren Vorarbeiter sich häufig bei ihren erfahreneren Kollegen Rats erholten. Auch in sittlicher Beziehung war der Vorarbeiter auf seine Gruppe hie und da von Einfluß. Doch war dieser Einfluß ein ebenso zufälliger als verschiedener; bei einigen ein besserer, bei der Mehrzahl aber ein wenig guter. Das war nur zu erklärlich, wenn man bedenkt, daß die Leute früher ja selbst Arbeiter gewesen und nie auf die Pflicht, ein gutes Vorbild zu geben, aufmerksam gemacht worden sind. Ich hörte darum selten, daß einer von ihnen einem seiner Leute ein unzüchtiges Wort, einen Fluch, eine unedle Gesinnung verwies. Es war schon viel, wenn ein Monteur sich persönlich davon frei und dazu still verhielt; viel häufiger teilte man die Ansichten der Leute, fluchte und zotete selbst mit. Von besondrer Bedeutung ist der einzelne Monteur für die Lehrlinge, die den Montagen zugeteilt zu werden pflegen. Je nach der Tüchtigkeit des Monteurs und der Gruppe, der er angehört, wird der Junge etwas lernen. Doch habe ich nicht bemerkt, daß sich der vorgesetzte Monteur, ebensowenig der Schlosser- und Werkmeister, in irgend welcher Beziehung viel um seinen Lehrburschen gekümmert hätte. In einem einzigen Falle behandelte der wohl tüchtigste Monteur, ein polternder aber sehr gutmütiger Mann, der namentlich des Sonntags gern einmal einen über den Durst trank, ohne gerade ein Gewohnheitstrinker zu sein, den ihm unterstellten Lehrling mit väterlichem Wohlwollen und Wohlgefallen. Das war aber ein besonders hübscher und kluger Junge, dessen Vater ein Lehrer am Orte und mehrfacher Hausbesitzer war und darum wohl auch persönliche Beziehungen zu dem betreffenden Monteur unterhielt, die diesem gerade nicht zum materiellen Schaden gereichten. Eine Entscheidung darüber, ob der Lehrling in der Fabrik oder bei einem Kleinmeister besser aufgehoben ist, wage ich nach meinen geringen Erfahrungen hierin nicht zu geben; doch glaube ich sagen zu können, daß eine solche Fabrik von vornherein eher geeignet erscheint, bessere Lehrlinge zu erziehen, als der in beschränkten Verhältnissen meist um seine Existenz ringende und häufig mit Flickarbeit beschäftigte Kleinmeister. Die sittlichen Gefahren können bei diesem aber eben so groß sein als dort.
Außerhalb der Fabrikräume galt der Monteur dem Schlosser, dem Maschinenarbeiter, dem Handarbeiter als durchaus gleichgeordnet; da fielen die Unterschiede, die der Betrieb zwischen sie notwendig aufstellte; da waren sie und fühlten sie sich alle im gemeinsamen Umgange als Arbeiter, und kein andrer Umstand entschied für ihren persönlichen Verkehr, als die gegenseitige Neigung, die Gesinnungsgleichheit und die nachbarliche Wohnung.
Wieder anders als die Monteure standen in der Fabrik die Meister. Bei ihnen trat, obgleich auch sie häufig aus ganz einfachen Arbeiterkreisen, aber wohl nur selten aus derselben Fabrik herausgewachsen waren, die gesellschaftliche Überordnung während und noch mehr außerhalb der Arbeit klar und offen zu Tage. Schon durch ihre Kleidung unterschieden sie sich in der Fabrik von allen übrigen; sie trugen keinen eigentlichen Arbeitsanzug, sondern auch während der Arbeit den üblichen modischen Rock, Schlips und weiße Wäsche. Sie bildeten das Bindeglied zwischen der Arbeiterschaft und den höhern Beamten des Etablissements bis zu den Direktoren hinauf; sie sind, ich weiß in der That keinen bessern Vergleich, die Feldwebel in der Fabrik. Sie sind die technischen Leiter des Betriebes im Detail, dem Direktor hierin wie bezüglich der Persönlichkeiten der einzelnen Arbeiter maßgebend und verantwortlich; sie kontrollierten die Arbeiter alle und hatten – was von besonderer Bedeutung ist – Einfluß auf die Höhe des Stunden- wie namentlich des Akkordlohnes des einzelnen Mannes. Sie gaben das Tempo für den Gang der Arbeit mit an und hatten es in der Hand, daß auch bei flauerm Geschäftsgange Leute nicht entlassen, sondern mit durchgeschleppt wurden. Traten wirklich Betriebseinschränkungen ein, so bestimmten ebenfalls sie mit, wer von den Leuten zu gehen habe; endlich waren sie imstande, manches mißratene Stück unbemerkt zu beseitigen, manches Verpfuschte zu vertuschen. Das alles machte sie für die Arbeiter ebenso wie für die Direktoren zu den wichtigsten Persönlichkeiten in der Fabrik, und es bestimmte auch sichtlich ihr Verhältnis und ihren Verkehr zu den Leuten und umgekehrt.
Dies Verhältnis ist eben durchaus das des Vorgesetzten zum Untergebenen. Je nach der Persönlichkeit des Mannes ist es angenehm oder unangenehm. Wir hatten in unsrer nächsten Nähe vier Meister. Der eine wurde von allen meinen Arbeitsgenossen einstimmig als grob, gemein und als Zwischenträger, dabei als unfähig, freundlich ins Gesicht, hinterlistig im Rücken geschildert, vor dem man den Neuling warnte. Auch ihm parierte man ohne Widerrede. Aber alle zeigten ihm gegenüber eine gewisse stolze Reserve, wiesen jede scheinbare Annäherung von seiner Seite zurück und hatten auf seine Anordnungen oft nur ein heimliches überlegenes Lächeln. Zwei andre Meister thaten schlicht und recht ihre Pflicht, ließen sich nicht allzusehr mit den Leuten ein, wurden hie und da grob gegen sie, wofür man meist mit gleicher Münze bezahlte. Sonst war in ihrem Verkehr nichts Sonderliches zu beobachten; eigentliche Zuneigung besaßen sie wenig. Wohl aber der vierte. Er erfreute sich, alles in allem genommen, bei den meisten großer Beliebtheit. Er war ein in seinem Fache erfahrener kluger Mann, wohlhabend, gewandt, und hatte eine große Gabe, die Leute recht zu behandeln. Er schnauzte sie mitunter tüchtig an, aber machte auch einmal mit jedem einen guten Witz und nahm überall seine Leute gegen andre Meister, wohl auch gegen die Direktoren in Schutz; wenn er früh morgens kam, wünschte er jedem einen guten Morgen, sah auch hie und da nicht hin, wo einmal gebummelt wurde, wenn er wußte, daß es nicht gerade eilig ging, und war gegen Petitionen um Lohnaufbesserung nicht taub und unzugänglich. Er war so klug, ältere, lange anwesende Leute anders, feiner, kordialer, freundschaftlicher zu behandeln als die jungen. Er hatte, wie das psychologisch erklärlich und bei Leuten dieser Bildungsstufe selbstverständlich ist, freilich auch seine Schützlinge und Sündenböcke, die aber zum Glück häufig wechselten. Alle gehorchten seinen immer im rechten Ton und in rechter Weise gegebenen Weisungen willig und sofort, wenn auch der einzelne Mann, je nach seiner Gesinnung, seinem Alter, seinem Charakter im stillen manches an ihm auszusetzen haben mochte und sich anders als der Nachbar gegen ihn benahm: bald freundlicher, bald zurückhaltender, bald selbstbewußter, bald serviler und mit dem sichtlichen Streben, bei ihm gut angeschrieben zu sein. So z. B. ein älterer Genosse meiner Kolonne, der, über die Fünfzig hoch hinaus, in rührender Weise alle seine schon abnehmenden Kräfte anspannte, so oft der Meister in die Nähe unsrer Arbeit kam, um ihm zu zeigen, daß er noch ganz seinen Mann zu stellen vermöchte. Wieder andre zeigten ihm gegenüber eine gewisse Vertraulichkeit, Sicherheit, und einige wenige Verbissene heimliche Feindseligkeit. Die jüngern und fluktuierenden Elemente gehorchten ihm ohne Widerrede und gaben sich Mühe, ihn nicht zu erzürnen. Einen irgendwie nennenswerten günstigern moralischen Einfluß aber übten auch diese Meister nicht aus. Im Gegenteil, in ihrer ganzen Bildung, ihrem Denken, Streben, Handeln ihnen innerlich durchaus verwandt, bestärkten sie häufig nur, sowie sie zu solchen Äußerungen einmal die Gelegenheit und das Wort fanden, durch ihre sozial autoritative Stellung die sittlich sehr geringwertige Haltung und Gesinnung ihrer Untergebenen.
Ein intimeres Verhältnis bestand zwischen den Meistern und den meisten Vorarbeitern, mit denen sie gern einmal plauderten, selbstverständlich auch geschäftlich am meisten zu verkehren hatten, da sie mit ihnen die im Bau begriffenen Maschinen eingehend besprechen mußten. Wie die Meister unter sich standen, bekam ich nicht genau heraus. Eine äußerliche Kollegialität war jedenfalls vorhanden, aber ebenso auch eine gewisse Rivalität, in einem Falle wohl auch Neid, und in einem andern spöttische Geringschätzung. Das ganze Verhältnis kann man etwa mit dem bekannten der Subalternbeamten vergleichen. Einmal kam es in der Fabrik zwischen zwei Meistern zu einem lauten Skandal, bei dem sich die beiden Beteiligten zum Gaudium der Arbeiter wacker herumzankten.
Es erübrigt nun noch, einen Blick auf das Verhältnis der Arbeiterschaft zu dem kaufmännischen Kontorpersonal und zu den Zeichnern und Ingenieuren zu werfen. Man sah unter den Arbeitsgenossen jene sämtlich als zu einer andern Gesellschaftsklasse gehörig und ihnen innerlich und äußerlich fernstehend an. Das wurde befördert durch die Thatsache, daß jenes Personal nur wenig mit den Leuten in Berührung und nur selten in die eigentlichen Fabrikräume kam. Wenn es aber geschah, so war mindestens in der Hälfte der Fälle die Klage der Leute über das gleichgiltige oder hochfahrende Gebaren dieser Herren aus Kontor und Zeichenstube nach allen meinen Beobachtungen berechtigt. Es gab besonders einen Zeichner oder Ingenieur; ich weiß das nicht mehr genau, der ab und zu mit dem Anreißer wegen der Zeichnungen zu verhandeln hatte: auch nicht den kürzesten Gruß zu uns brachte dieser Herr über die Lippen, selbst dem Anreißer gegenüber nicht, den sonst jeder zu grüßen Pflegte. Das wurde von den in solchen Dingen feinfühligen schlichten Leuten gar bitter empfunden. Um so dankbarer und freudiger wurde dagegen von den Arbeitsgenossen die Freundlichkeit einiger andrer Herren und namentlich eines jungen schlanken Kaufmanns bemerkt, dessen höflicher Gruß und schlichte Art ihm uns alle zu Freunden machte. Einige Kontorschreiber standen selbstverständlich den Arbeitern näher.
Ein doppeltes Charakteristikum springt nun bei der übersichtlichen Beurteilung dieses eben geschilderten Verkehrs der Leute unter sich und vor allem mit ihren subalternen Vorgesetzten leicht in die Augen: einmal das wunderliche halb gleich halb untergeordnete Verhältnis der verschiedenen Arbeiterkategorien zu ihren Chargen, wenn ich so sagen darf, und zu einander; und zweitens die bedauerliche Abwesenheit aller nur einigermaßen erzieherisch wirkenden sittlichen Kräfte.
Jenes halb kordiale halb subordinierte Verhältnis ist darum so wunderlich und auffallend, weil es in schroffem Gegensatz steht zu dem sonstigen Charakter der Organisation und Disziplin unsrer großen industriellen Betriebe, die, wie wir das auch an unsrer Arbeitsordnung sehen, sonst vielmehr auf dem aristokratischen Prinzip der absoluten Unterordnung der Arbeiterschaft unter ihre Vorgesetzten und ihrer Abhängigkeit von diesen in Arbeits- und Lohnbedingungen beruht. Aber dieser scheinbare Widerspruch erklärt sich sehr wohl aus demselben Prinzip des Laissez aller, das unser Wirtschaftsleben überhaupt bestimmt. Während man aber diesen Satz von der freien Bewegung aller Menschen und Kräfte in diesem Falle in die absolute Freiheit der Verfügung der Leiter der Fabriken über die Arbeiter und Arbeitsbedingungen umgedeutet und demgemäß ausgenutzt hat, hat man im andern die Ordnung des Verhältnisses der Leute unter sich diesen einfach selbst überlassen. Und die auf eignes Zurechtkommen angewiesenen Arbeiter übertrugen da wohl anfangs das frühere, bewährte Verhältnis zwischen Meister und dem einzelnen Gesellen im ehemaligen Kleingewerbe auf die großen neuen Arbeitsverbände der großindustriellen Betriebe. Hier aber, wo der ehemalige Meister selbst nicht mehr selbständiger Herr ist, nahm die Sache sofort einen demokratischen Charakter an, der es bewirkte, daß der Arbeiter sich ohne geschriebene Satzungen und Paragraphen soweit den Anordnungen der nunmehr selbst subalternen Vorgesetzten beugt, als sie der Betrieb verlangt und seine persönliche Würde achtungsvoll anerkannt wird. Es leuchtet ein, von wie großer Bedeutung diese demokratisch-sozialistischen Verkehrsgewohnheiten bei der Arbeit für das wirtschaftliche Denken der Leute sein müssen.
Über den zweiten Punkt, den Mangel sittlicher Faktoren und einer bewußten Verwertung und Verwendung derselben durch die niedern und höhern Vorgesetzten, braucht nicht allzuviel mehr gesagt zu werden. Die stumme Thatsache redet schmerzlich laut genug für sich selbst. Sie beweist an ihrem Teile das, was dies ganze Kapitel über die Arbeit in der Fabrik bloßlegt, und was als Schlußwort an seinem Ende folgen mag, daß sich alle unsre großartigen Fabrikbetriebe ganz einseitig nur als Institute zur Schaffung ausschließlich materieller Werte repräsentieren. Was von sittlichen Kräften in ihnen wirkt, ist die Folge rein zufälliger günstiger Verhältnisse und nicht eine bewußte Absicht dazu. Ihnen allen fehlt noch der sittliche Adel, der ihnen zukommen würde, sobald man sie zugleich auch als Stätten einrichtete und ausnutzte, die als die modernsten und großartigsten Bildungen menschlicher Lebens- und Arbeitsgemeinschaft zugleich auch bestimmt wären, allen in ihnen beschäftigten, hoch und niedrig, durch ihre Arbeitsbeteiligung und Arbeitsleistung gleich günstige Gelegenheit zu einer freudigen Bethätigung ihrer geistigen Fähigkeiten und einer harmonischen Ausgestaltung auch ihrer sittlichen Persönlichkeit zu bieten. Nur erst, wenn diese Auffassung von dem Beruf eines Fabrikorganismus zur allgemeinen Anerkennung und Herrschaft willig oder widerwillig gebracht worden sein wird, hat das moderne Institut der Fabrik seine sittliche Daseinsberechtigung erlangt und wird das gepriesene Mittel werden, die Menschheit einen gewaltigen Schritt vorwärts zu bringen, ihrer unabsehbaren Bestimmung entgegen. Und ich wage zu meinen, daß die Verwirklichung dieses Zieles sich sehr wohl vereinigen läßt mit der in der That durchaus gleichbedeutsamen Rücksicht auf die wirtschaftliche Leistungs- und materielle Ertragsfähigkeit solcher großen Etablissements, sofern die betreffenden Fabrikleiter nur erst einigermaßen von dem Bewußtsein der gewaltigen erzieherischen Aufgaben durchdrungen sind, zu deren Bewältigung sie von Berufs wegen, um des Vaterlandes und des Volkes, um der Sittlichkeit und der Religion willen verpflichtet sind. Dazu aber sind sie – mit oder wider ihren Willen – durch den Druck einer neuen, bessern, idealern, sittlichen, christlichen öffentlichen Meinung einfach zu erziehen.