Die Fieberkurve
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»Sicuro«, sagte Dr. Malapelle vom Gerichtsmedizinischen. »Barbitursäure. Kein Zweifel! Massive Dosis. Somnifen. Ja ja, ich glaube, obwohl das nicht genau festzustellen ist. Mir schien es, als rieche der Mageninhalt stark nach Anis. Und da ich kein barbitursäurehaltiges Schlafmittel mit Anisgeruch kenne – außer Somnifen –, so ist es erlaubt, den Schluß zu ziehen. Übrigens, die Frau hätte nicht mehr lange gelebt. Schwere Endocarditis – oder, wenn Ihr Laienverstand, Inspektor, dies besser begreift, das Herz der alten Dame war schwach, schwächer, am schwächsten. Eine Aufregung – e poi... ja... Ob sie es freiwillig geschluckt hat?... Vielleicht, wahrscheinlich. Selbstmord ist wirklich nicht ausgeschlossen. Aber Sie glauben an einen Mord? Romantiker! Wenn's Ihnen Freude macht!«

Da erzählte Studer von der Schnur und von den Spuren an der Kante des Schlüsselloches.

»Fantasmagoria!« meinte Dr. Malapelle ärgerlich. »Sie haben Einbildungskraft, und die Einbildungskraft geht mit Ihnen durch! Nehmen Sie sich zusammen!«

Da zog Studer die Fieberkurve aus der Tasche, das Testament hatte er dem Kommissär gegeben, und zeigte sie dem Arzte. Der runzelte die Stirn und sagte:

»Was ist das? Entweder stimmt die Diagnose nicht, oder... Das ist doch keine Malariakurve! Weder Tertiana noch... Und dann, vedi, ispettore! – entweder hat die Schwester mangelhaft gemessen, oder... Statt die Zehntelsgrade anzugeben, gibt sie überall nur die Viertel-, Halb- und Ganz-Grade an: Sehen Sie selbst: 36,75, 39,5, 38,0. Das gibt es nicht. Auch wenn man in Betracht zieht, daß diese Fieberkurve aus einem Kolonialspital stammt, das außerdem noch von französischen Ärzten betreut wurde... Immerhin... pure... Merkwürdig... singolare... Es gibt doch nicht mehr Arbeit, die Zehntelsgrade zu notieren...«

Dem Wachtmeister Studer stak ein verstohlenes Lächeln in den Mundwinkeln.

»Danke, dottore«, sagte er, »mille grazie... Darf ich noch die Leiche der Sophie Hornuss sehen?«

... Ein faltiges Gesicht – und es drückte Schrecken aus. Es war aufgedunsen... und neben dem linken Nasenflügel saß keine Warze...

Hotel zum Wilden Mann. Studer fragte den Portier, ob er Pater Matthias sprechen könne. Hochwürden sei noch nicht heimgekehrt, hieß es. Da sah man wieder einmal, wie wohlerzogen Hotelportiers waren! Natürlich! Einen Priester nannte man Hochwürden. Aber das Hedy sagte: »Herr Mönch!«

Ob er das Zimmer, das der Pater belegt habe, einmal sehen könne, wollte Studer wissen und zeigte seine Legitimation. Sie erwies sich als unnötig. Man kannte ihn. Der Chef de Réception, der in der Halle mit Nichtstun beschäftigt war, wurde herbeigerufen und hatte nichts dagegen, daß Studer das Zimmer des Paters in Augenschein nahm.

Erster Stock, zweiter Stock, dritter Stock... So ein Lift war doch etwas Kommodes. Man brauchte keine Stiegen zu steigen, man brauchte seinen Schnauf nicht unnütz zu verschwenden.

Nummer 63. Der Liftboy kam mit, er wartete, und Studer wäre so gerne allein geblieben! Aber ein Zweifrankenstück wirkte Wunder. Plötzlich war der Gröggu verschwunden.

Auf der Glasplatte über dem weißen Porzellanbecken lehnte eine einsame Zahnbürste im Wasserglas. Daneben lag ein Stück billige Seife. Ein Handtuch war gebraucht worden. Und auf einem Stuhl stand ein mäßig großer Koffer aus brauner Vulkanfiber. Als Studer ihn öffnete, lagen darin, sorgfältig zusammengelegt:

Ein blauer Regenmantel, ein ordinärer grauer Konfektionsanzug, ein gebrauchtes, weißes Hemd mit weichem Kragen, eine billige Krawatte und ein Paar schwarze Halbschuhe...

Ausgebreitet auf dem Bette war ein blauer Pyjama, wie man ihn für fünf Franken in der Epa kaufen konnte.

Ganz leise pfiff Studer den Bernermarsch. Und dann verließ er das Zimmer. Er warf noch einen Blick zurück und da fiel ihm etwas auf. Ein braunes Etwas lugte aus der Falte heraus, die von der Lehne und vom Sitz des Fauteuils gebildet wurde. Der Wachtmeister trat näher. Das Ding war fest eingeklemmt. Studer zog es mit einiger Mühe heraus.

Ein Fläschlein. Somnifen. Leer. Er ließ es in seiner Rocktasche verschwinden...

»Wann ist der Pater angekommen?«

Der Portier konnte keine Auskunft geben. Wahrscheinlich in der Nacht, meinte er. Sein Kollege werde Bescheid wissen, aber der schlafe jetzt. Ob es nicht Zeit habe bis später?

Studer nickte und verließ das Hotel, begleitet vom Chef de Réception, der ihm den tuusig Gottswille anhing, doch nur ja nichts verlauten zu lassen, wenn das Hotel in irgendeine Kriminalsache verwickelt sei. Er werde sich erkenntlich zeigen, sagte der Chef, der scharf nach Brillantine roch, aber der Herr Wachtmeister müsse begreifen, wie sehr die Geschichte dem Hotel schaden könne...

Studer bremste den Redefluß, indem er noch einmal umkehrte und das Gästebuch zu sehen verlangte.

»Koller Max Wilhelm, geb. 17. März 1876. Missionar.«

Missionar... Studer stand da, die Fäuste unter dem Raglan in die Seiten gestemmt, und blickte auf den Namen, den er heute früh, schon einmal, in einem Paß gesehen hatte.

Pater Matthias alias Koller Max Wilhelm besaß einen Bruder, Cleman Alois Victor, der sich als Geologe und Denunziant betätigt hatte – Schweizer war er auch gewesen – und dann war er an einem malignen Tropenfieber zu Fez gestorben und in einem Massengrab verscharrt worden. Dieser Cleman betätigte sich nun, nach Angaben seines Bruders, als Gespenst. Er sprach durch den Mund eines Hellseherkorporals, er drohte, drei Monate im voraus, seine beiden Frauen zu ermorden – und er beging die Morde auch. Pfeifende Morde, wenn man so sagen durfte. Das Gas pfiff aus den geöffneten Brennern und der Haupthahn war halb geöffnet, er bildete einen Winkel von fünfundvierzig Grad...

Eine alte Frau in Basel, eine alte Frau in Bern... Die Sophie war reich gewesen, warum hatte der Geologe der »G'schydene«, mehr Geld gegeben als der Rechtmäßigen? Warum hatte die Rechtmäßige mit ihrer Tochter Not leiden müssen in einer Einzimmerwohnung mit einer winzigen Küche, die eigentlich gar keine Küche war, sondern nur ein Durchgangskorridor, während die »G'schydene« in guten Verhältnissen gelebt hatte – Zweizimmerwohnung, verschnörkelte Möbel, Gasofen mit Grill und Backröhre?...

In Basel war nur ein zweiflammiges Réchaud vorhanden gewesen und über ihm hatte ein windschiefes Gestell gehangen mit alten Blechbüchsen, an denen das Email abgebröckelt war: »Salz«, »Kaffee«, »Mehl«. Gutmütige Menschen haben es schwer auf der Welt. Sie werden stets übertölpelt. Während die anderen, mit den schmalen Mündern, mit den höhnischen Augen, ihr Wissen verwerten.

Die Josepha hatte ihren Mann sicher nie geplagt. Aber die Sophie? Warum die Scheidung nach einem Jahr schon? Wissen ist nicht nur Macht, wie der beliebte Gemeinplatz lautet, Wissen bringt auch Geld ein. Wissen ist die Grundlage für eine schlau angelegte Erpressung. Kann die Grundlage sein...

Jede Handlung läßt sich begründen – und wenn der Grund nicht im Bewußten gefunden werden kann, so muß man ihn im Unbewußten suchen. Dies hatte der Wachtmeister von der Berner Fahndungspolizei einmal gelernt, als er einen Fall hatte aufklären müssen, der in einem Irrenhaus spielte. Ein Psychiater hatte es auf sich genommen, ihm den Unterschied zwischen bewußt und unbewußt recht drastisch einzubleuen.

Der Portier des Hotels zum Wilden Mann wunderte sich über den schweigsamen Fahnder, der sich an dem Gästebuch festgesehen hatte...

»Koller Max Wilhelm, geb. 13. März 1876 in Freiburg, Missionar, von Paris nach Paris...«

Geboren am 13 . März 1876, somit sechsundfünfzig Jahre alt, – er sah älter aus, der Pater Matthias mit dem Schneiderbärtchen. Am 13. März. Der Dreizehnte war ein Unglückstag. Mit achtzehn Jahren war er in den Orden der »Weißen Väter« eingetreten, ein Orden, der vom Kardinal Lavigerie gegründet worden war, um die Mohammedaner zu bekehren. Eine hoffnungslose Angelegenheit, wie der Pater selbst sagte. Im Jahre 1917 war der Pater mithin einundvierzig Jahre alt gewesen. Und er stammte aus Freiburg...

Freiburg... In Freiburg hatte auch die Ulrike Neumann gelebt. Die Ulrike Neumann, die mit einem Unbekannten in Bern ein Verhältnis gehabt hatte und dann gestorben war, nach dem Genuß von KCN, von Cyankalium. Und getroffen hatte sie sich mit ihrem Liebsten im Hotel zum Wilden Mann...

Der Portier mit dem tadellosen Scheitel, der so streng nach Brillantine roch, fuhr zusammen, als der stumme Mann plötzlich den Mund auftat und ein wenig heiser befahl:

»Rufen Sie mir den Direktor!«

»Ich weiß nicht, ob der Herr Direktor augenblicklich zu...«

»Rufen Sie mir den Direktor!« Ein Widerspruch ließ sich nicht gut anbringen.

»Ich werde sehen, ob es möglich...«

»Ich erwarte den Direktor in drei Minuten. Führen Sie mich in sein Bureau!« Wachtmeister Studer sprach Schriftdeutsch. Der Portier verschwand. Und Studer marschierte ruhigen Schrittes auf eine Türe zu; eine Milchglasscheibe im oberen Teil; darauf in schwarzen Buchstaben: »Direktionsbureau«.

Zwei Minuten und dreißig Sekunden. Dann stand vor ihm ein O-beiniges Männchen mit einem Spitzbauch, das sich unaufhörlich die Hände rieb.

»Ich möchte«, sagte Studer und erwiderte die freundliche Begrüßung mit einem zerstreuten Kopfnicken, »die Gästebücher der Jahre 1902 und 1903 sehen.«

»Ich weiß nicht«, sagte das spitzbäuchige Männchen, »Ob mir dies möglich sein wird. Ich habe das Hotel erst 1920 übernommen und da wird es...« Weiter kam er nicht.

»Wenn die verlangten Bücher nicht innerhalb einer Viertelstunde hier auf dem Tisch liegen«, sagte Studer und klopfte mit der Hand auf eine rote Plüschdecke, die den Tisch inmitten des Direktionsbureaus überdeckte, »so telephoniere ich an die Stadtpolizei. Sechs Fahnder übernehmen dann die Suche – und ich garantiere Ihnen, daß meine Leute die Bücher finden werden. Nur wird das einen kleinen Skandal geben, es wird unmöglich sein, Ihre Gäste in Unwissenheit darüber zu lassen, daß bei Ihnen eine polizeiliche Untersuchung vorgenommen wird. Inwieweit«, »Inwieweit«, sagte Studer, »dies Ihrem Kredit nützen oder schaden wird, dies festzustellen überlasse ich Ihnen. Vielleicht wird es eine ausgezeichnete Reklame für Ihr Hotel sein...« Und schwieg.

Das O-beinige Männlein jammerte, jammerte herzerweichend. Studer hatte seine dicke Silberuhr auf den Tisch gelegt. Nach einer Weile sagte er: »Sie haben noch zehn Minuten.« Das Männchen begann Flüche zu murmeln und Verwünschungen, Drohungen auch mit Großräten und Nationalräten und Ständeräten und Bundes...

»Sieben Minuten«, sagte Studer. Da fiel die Glastüre schmetternd ins Schloß hinter dem O-Beinigen.

Nach fünf Minuten lagen drei verstaubte Bücher vor Studer. Der Wachtmeister zog einen Stuhl heran und begann zu blättern. Jänner 1902 – nichts. Horner – nichts. März – erster, zweiter, dritter... Am zehnten: Neumann Ulrike, 21.Juni 1883, Freiburg... Eine Nacht. Kein Männername in der Nähe.

Und im April tauchte die Ulrike Neumann wieder auf, im Mai, im Juni, im Juli... Immer allein.

Endlich: am 23. September stand gerade unter dem Namen der Ulrike Neumann ein Männername: Koller Victor Alois, 27.Juli 1880, stud. phil., Freiburg...

Oktober das gleiche, November auch. Im Dezember zwischen dem Namen der Ulrike Neumann und dem Namen des Koller Victor Alois die Namen dreier Gäste. Im Dezember auch. Im Januar 1903 die gleiche Schrift.

Dann, in den folgenden Monaten, fehlte der Name des Mannes. Er tauchte nicht mehr auf. Auch seine Schrift... eine eigenwillige Schrift, mit einem deutlich eingerollten Schnörkel – fehlte. Das ganze Jahr 1903 war die Schrift sowohl als auch der Name nicht mehr zu finden. Aber regelmäßig, alle vierzehn Tage, tauchte der Name der Ulrike Neumann auf. Zum letztenmal am 27.Juni. Dann nicht mehr.

Koller Victor Alois... Man brauchte kein Graphologe zu sein, um festzustellen, daß der Mann, der seinen Namen ins Gästebuch eingetragen hatte, auch der Verfasser des Testamentes war... Jenes Testamentes, das ein Vermögen von einigen Millionen zwischen dem Kanton Bern und der Marie Cleman teilte...

Aber – und dies war das Merkwürdigste – weder die Schrift des Testamentes noch die Schrift im Gästebuch hatte auch nur die geringste Ähnlichkeit mit der Schrift auf der Enveloppe, die an »Madame Josepha Cleman-Hornuss, Spalenberg 12, Bâle« adressiert war.

Sie hätte, die eigenwillige, egoistische Schrift, eher noch der Schrift geglichen, die ins Gästebuch geschrieben hatte:

»Koller Max Wilhelm, 13. März 1876 in Freiburg, von Paris nach Paris.« Der Schrift Pater Matthias'!

Außer dieser Ähnlichkeit der Schriften war da noch ein Handkoffer aus Vulkanfiber, enthaltend: einen blauen Regenmantel, einen billigen grauen Konfektionsanzug, ein gebrauchtes weißes Hemd mit weichem Kragen, eine geschmacklose Krawatte, ein Paar Socken, ein Paar schwarze Halbschuhe...

Pater Matthias alias Koller Max Wilhelm aber war verschwunden. Er hatte sich nach Überwindung eines Fieberanfalls verflüchtigt.

Auf der roten Plüschdecke lag noch immer Wachtmeister Studers dicke Silberuhr. Sie zeigte halb fünf. Auf dem Schreibtisch beim Fenster aber stand ein Telephon. Und in einer Ecke des Zimmers, eingeschüchtert, schweigsam, der Direktor des Hotels ›zum Wilden Mann‹.

»Sie erlauben?« fragte Studer, trat zum Schreibtisch und stellte auf der Scheibe eine Nummer ein.

»Du, los einisch«, Studer sprach breites Bärndeutsch. Nach einer Pause fuhr er fort: Ob ein Mönch in einer weißen Kutte sich auf dem Bahnhof gezeigt habe?... Ja?... Wann?... Den Fünf zehn-zweiundzwanzig nach Genf?... Aha... Ganz recht!... Kein Gepäck?... Nur einen Brotsack?... »Märci denn, Fridu!« Der Postenchef vom Bahnhof Bern schien einen Witz gemacht zu haben, denn Studer lachte. Es war ein gezwungenes Lachen und kam nicht von Herzen. Und dann legte der Wachtmeister den Hörer auf die Gabel. Er wandte sich um und teilte dem Direktor trocken mit, ein Gast seines Hotels sei durchgebrannt. Ja, der Missionar. Er habe seine Rechnung nicht bezahlt?... Keine Sorge darum!... Der Betrag werde wohl in den nächsten Tagen eintreffen – per Mandat wahrscheinlich – und mit Trinkgeld. Pater Matthias habe nicht den Eindruck eines Zechprellers gemacht?... Nein, nein, durchaus nicht. Wahrscheinlich habe er ein Telegramm erhalten... Es sei für ihn kein Telegramm im Hotel abgegeben worden?... Das habe gar nichts zu sagen. Sicher habe der Missionar es an einer Privatadresse abgeholt...

Studer schmunzelte über das Gebaren des O-beinigen Männchens. Händereibend trabte es im Zimmer auf und ab, umkreiste den Schreibtisch, zog die Kreise enger und enger um den davorstehenden Armstuhl, den des Wachtmeisters mächtige Gestalt verdeckte, endlich... endlich schlüpfte das Männchen unter Studers Arm durch und ließ sich aufatmend auf den Sitz plumpsen.

»Ich glaube«, sagte der Direktor und zog einen Füllfederhalter aus dem Behälter, der den Schreibtisch zierte, »daß ich der Behörde mein Entgegenkommen genügend bewiesen habe. Darf ich Sie bitten, Wachtmeister, nun mein Bureau zu verlassen?«

Studer schnaufte durch die Nase. Der richtige Bureauhengst, dieser Direktor! Der Schreibtischstuhl mit dem beweglichen Sitz war sein Thron, auf ihm war der Spitzbauch plötzlich unantastbar, Diktator, Herrscher, Kaiser – kleiner Kaiser. Der Stuhl allein gab ihm Würde und Sicherheit... »Gewiß, Herr Direktor«, und Studer verbeugte sich übertrieben tief. Und dann war er plötzlich verschwunden. Der Direktor hatte nicht einmal das Schließen der scheppernden Glastür gehört...

Der Polizeihauptmann war heimgegangen, und das war günstig. So konnte man nicht nur das Telephon benutzen, sondern auch das weiße Löschblatt der Schreibunterlage. Denn Telephonieren ohne Kritzeln ist kein richtiges Telephonieren...

Studer brachte das Fräulein vom Fernamt zur Verzweiflung, und so vertieft war er in diese Beschäftigung, daß er für nichts anderes Ohren hatte, weder für das Pfeifen der Bise draußen vor den Fenstern noch für das Pochen an der verschlossenen Tür. Mochten seine Kollegen sich die Knöchel wundklopfen am versperrten Heiligtum des Polizeihauptmanns – mochte der Wind die Ziegel aller Hausdächer in der Bundeshauptstadt auf die Straße blasen – Wachtmeister Studers Linke hatte den Hörer ans Ohr gepreßt, während die Rechte wunderbare Traumlandschaften auf dem Fließblatt entwarf. Palmen... Palmen... Fabeltiere, die vielleicht Kamele darstellten, aber eher buckligen Säuen glichen, und daneben Menschen in wallenden Gewändern mit vertätschten Blumentöpfen auf den Köpfen...

Durch die Gänge des Amtshauses aber schlich ein Raunen: »Dr Köbu spinnt...«

»Stadtpolizei Basel... Dringend... Autonummer BS 3437... Besitzer des Autos feststellen, eventuell an wen vermietet... Halt, Fräulein, wir sprechen noch... Nachforschen, in welchem Hotel Pater Matthias – reist mit Paß Koller Max Wilhelm – abgestiegen ist... An welchem Tag weitergereist... Garagen, Taxichauffeure anfragen, ob ein Mann mit folgendem Signalement: Klein, weiße Mönchskutte, rote Kappe, Sandalen, graumelierter Bart, ein Auto nach Bern gemietet hat... Bitte um telephonische Antwort Kantonspolizei Bern... Ja, Fräulein, mit Basel bin ich fertig. Loset einisch: Priorität Sûreté Paris... Ihr lütet a? Guet eso... Märci...«

Ärzteverzeichnis... Und während man im Ärzteverzeichnis blättert, denkt man über die Nummer des Autos BS 3437 nach. Das Auto hat man gesehen, der Pater hat behauptet, Marie und der Hellseherkorporal seien darin gewesen... Hat der Pater geschwindelt?...

Ärzteverzeichnis: das Quartier um die Gerechtigkeitsgasse... Junkerngasse, Metzgergasse... Dr. Schneider... Dr. Wüst... Dr. Imboden...

»Dr. Schneider? Nicht daheim? Märci.« – »Dr. Imboden? – Kantonspolizei. Haben Sie eine Frau Hornuss, Gerechtigkeitsgasse 44, behandelt?... Ja?... Nervöse Schlaflosigkeit... Depressionen... Was haben Sie verschrieben?... Somnifen?... Märci, Herr Doktr... Datum des letzten Rezepts?... 30. Dezember... A bah! Jaja, die Frau, die Selbstmord begangen hat... Sie haben das vorausgesehen?... Märci, Herr Doktor, gueten Abig.«

»Katholisches Pfarramt Bern? Eine Frage: Ein ordinierter Priester, auch wenn er einem Orden angehört, ist doch verpflichtet, jeden Morgen die Messe zu lesen... Ja?... Hat ein gewisser Pater Matthias vom Orden der Weißen Väter vorgesprochen? Heut morgen?... Soso... Um wieviel Uhr?... Sechs Uhr? Märci, Herr Pfarrer, nüt für unguet...«

»Angemeldetes Gespräch mit Paris... Märci, Fräulein... Nicht unterbrechen, kann bis eine halbe Stunde dauern.«

Verstellen eines unsichtbaren Hebels – Studer schaltete die französische Sprache ein. Eine mürrische Stimme am andern Ende des Drahtes erkundigte sich, was los sei. – Kommissär Madelin solle ans Telephon kommen. – Wieherndes Lachen in Paris. Madelin? Wer denn in Bern spreche? – Das Gelächter machte Studer wild. Er brüllte in die Muschel. Das wirkte. Man werde umstellen nach dem Bureau des Herrn Kommissärs. Studer dankte nicht einmal.

Pause... Der Wachtmeister vermißte etwas! Die Brissago! Aber das Anbrennen des Stengels erwies sich als schwierig. Man mußte mit dem linken Ellbogen die Muschel ans Ohr drücken, um die Hand frei zu bekommen – aber dann gelang es. Anstrengend war es gewesen; zwei Schweißtropfen fielen auf das Fließblatt und bildeten zwei Kreise. Und während des folgenden Gespräches wurden diese beiden Kreise die Augen eines Gesichtes. Es brauchte nur wenig Bleistiftstriche. Aber merkwürdigerweise ähnelte das Gesicht, das entstand, dem lebenden Konversationslexikon Godofrey. Und als Studer dies bemerkte, seufzte er. Er empfand Sehnsucht nach dem kleinen Mann.

Er nahm sich vor, die Fieberkurve so bald als möglich von diesem Freunde begutachten zu lassen...

Madelin!

»... Danke, ja, sehr gut!... Du, Alter, ich brauch' ein Datum. Wann ist die Verlustanzeige des Koller Jakob eingegangen? Koller, ja... K wie Krischnamurti, R wie Rom, L wie Lutetia, E wie Ernest... Börsenmakler, ja... Mitte September... Eine gewisse Cleman Marie... War bei dem Koller Sekretärin... Weißt du übrigens, daß dein Pater Matthias auch Koller heißt? Genau wie der verschwundene Makler, ja. Du hast die Daten? Gut, ich schreibe mit...« Und Studer zog das Weihnachtsgeschenk seiner Frau aus der Busentasche und begann nachzuschreiben. Er murmelte leise dazu: »Spekulationen in nordafrikanischen Minenaktien, verliert beim Krach der Banque Algérienne im Juli... Ja ja, ich verstehe gut, weiter... Meldet am 2. August den Konkurs an... Papiere beschlagnahmt... Aussage der Marie Cleman vom 15 . September: Mein Chef war deprimiert, erklärte mir oftmals, er habe keinen Mut mehr und kündigte mir auf 1. Oktober... Verließ am 13. September abends unsere gemeinsame Wohnung... Gemeinsame Wohnung? Ah... Aaah... Nein, nein, verzeih, Alter, ich hab, mich an meiner Zigarre gebrannt... Nur weiter. Also: aus der gemeinsamen Wohnung fortgegangen... Gut. Ohne Gepäck?... Ohne Gepäck!... Hat mir Geld hinterlassen... Wieviel... 4000 Franken... So so, du hast die Papiere beschlagnahmen lassen? Und Godofrey untersucht sie?... Nein, nein, nicht nötig. Ich werde wahrscheinlich selbst nach Paris kommen. Hast du eine Beschreibung des Jakob Koller? Ja? Ich schreibe nach: 1,89 m, gelbe Hautfarbe, glattrasiert, stumpfblondes Haar... Keine Photo? Schade... Keine Leiche, auf welche die Beschreibung passen könnte?... Dann wäre das erledigt. Halt, wart noch: Nachforschen, wo Korporal Collani, 1.Fremdenregiment, 2.Bataillon, sich augenblicklich aufhält. Collani, ja. Ähnlich wie Koller, nur mit einem C am Anfang, zwei L, A wie Alfons, N wie Nini, I wie Isidor... Über Bel-Abbès? Das weißt du besser als ich. Natürlich, wenn du es machen kannst. Sicher geht es drahtlos schneller. Ausführliche Antwort, ob Collani noch immer als Deserteur gilt, dann: was man von ihm weiß, Datum seines Engagements, Lebenslauf etcaetera... Nein, nicht telephonisch, ein Telegramm an meine Privatadresse, wenn du meinst, daß du noch diese Nacht Antwort bekommen kannst. Halt, wart noch... Woher kennst du den Pater Matthias?... Was? Vom Kriegsministerium empfohlen? Und vom Minister der Kolonien? Hm. Er hat damals keine Märchen erzählt, weißt du noch, in der Beize... Die beiden Frauen sind wirklich tot. Ein merkwürdiger Fall... Leuchtgas, ja... Und das Ganze sieht verzweifelt nach einem Doppelmord aus... Der Pater hat sich merkwürdig benommen, er ist übrigens nach Genf verreist... Nein, nein, keine Angst, ich erwisch ihn schon noch...Vorläufig laß ich ihn laufen, glaubst du, ich will mich in einen Konflikt mit dem Papst einlassen? Wann ich komme? Ich weiß noch nicht. Mein Patron muß mir zuerst seinen Segen geben... Haha... Der Vouvray war gut und meine Frau hat sich über die Gansleberpastete gefreut, das kannst du Godofrey erzählen... Ja, Fräulein, wir sind fertig. Geben Sie mir noch einmal die Basler Stadtpolizei...

Ja?... Ich schreibe nach... Nr. BS 3437... Buick... Garage Agence Américaine.. . Kleiner Mann, mager, gelbe Gesichtshaut, blauer Regenmantel, Wollschal... Am 1. Januar achtzehn Uhr... Brachte es zurück heute um fünfzehn Uhr... In Begleitung einer Dame... Danke... ja? Ah... Taxichauffeur Adrian gibt an, er sei gestern nacht von einem Priester in weißer Mönchskutte am Bahnhof SBB für eine Fahrt nach Bern gemietet worden... Um einundzwanzig Uhr... Gepäck?... Ein Brotsack... Der Chauffeur erklärt, er habe sich gewundert, daß ein Mann, der nicht einmal Socken trug, so viel Geld bei sich hatte... Das Geld im Brotsack, gut... Einige Hunderternoten... Nein, nichts Besonderes. Aber ich würde vorschlagen, die Leiche der durch Gasvergiftung ums Leben gekommenen Cleman-Hornuss Josepha, Witwe, Spalenberg 12, zu autopsieren. Der Gerichtschemiker soll den Magen – und Darminhalt analysieren – nach Barbitursäure fahnden... Barbitur, ja... Schlafmittel, wenn Sie wollen... Wie haben Sie das alles so schnell finden können?... So so, ja ja, aber der Witz ist alt, er hat einen Bart. Vielleicht zeigen wir Berner einmal den Baslern, daß wir g'merkiger sind, wenn wir auch langsamer sind, hehehe... Die Wohnung auf dem Spalenberg?... Wozu bewachen?... Machen Sie das, wie Sie wollen... Die Miete ist bis zum ersten April bezahlt? So... Danke...«

Studer stützte die Wange auf die Hand und starrte auf das Löschblatt. Da hatte er, ohne es zu wissen, Berge gezeichnet, und die Berge glichen einer Fieberkurve. Wüst sah das Löschblatt aus, aber die untere Ecke war noch weiß. Und in diesen freien Platz begann der Wachtmeister Mannli zu zeichnen: ein Kreis der Kopf, ein senkrechter Strich der Rumpf, zwei waagrechte die Arme, zwei schiefe die Beine.

Zeichnung

Er starrte lange auf seine Zeichnung und grübelte. Dann murmelte er:

»Zusammenfassung...«

Und die Männer begannen zu tanzen. Sie tanzten als Schatten über das Blatt, Schatten in der Zeit, Schatten im Raum...

Koller oder Cleman? Cleman oder Koller? Das Männlein auf dem Blatte tanzt, verbeugt sich. Nun steht es aufrecht da. Bart, Brille mit Stahleinfassung, in der Hand einen Hammer, ein Schüfeli: Beides läßt es fallen. Und nun fällt er selber um, der Koller, stud. phil., der Cleman, Dr. phil.... Fällt um und liegt in einem Spitalbett. Greift nach der Fiebertabelle, die über seinem Kopf hängt und beginnt zu zeichnen. Dann schreibt er, schreibt lange »... in einer Eisenkassette vergraben worden an einem Orte, der mit Hilfe des beigehefteten Dokumentes leicht zu entdecken sein wird...« Er verdreht die Augen... Ein Massengrab! – Aber nein! Da sitzt er in einer Küche, mischt die Karten, legt sie aus... In der obersten Reihe an erster Stelle: der Schaufelbauer! Das Männlein verbeugt sich, legt sich hin, wird flach und kriecht ins Löschblatt hinein.

Jakob Koller, steh auf!... Geschäfte – elegante Geschäfte... ein Pelzmantel wird ausgesucht, Wildlederschuhe gekauft, seidene Strümpfe... Halt! Noch ist nicht die Reihe an dir! Es nützt nichts. Marie ist aufgestanden. Sie geht neben dem Jakob Koller einher, sie wohnt mit ihm in der gleichen Wohnung... Er? Stumpfblonde Haare, glattrasiert... Gott sei Dank, nun ist er allein. In einer großen Halle steht er, Geschrei ist um ihn, und Koller Jakob schreit am lautesten. »796 – ich kaufe... 800 – ich kaufe!« Geschrei, Geschrei! Es wird leiser. Koller Jakob streckt sich aus, auch ihn schluckt das Löschblatt.

Nebel, Nebel, Nebel. Gestalten im Nebel. Ein kleiner Mann, ein großer Mann. Das Auto BS 3437 rollt über den Tisch, es ist nicht der Tisch, die Kornhausbrücke ist es. Muß Marie auch aufstehen? Nein. Sie sitzt im Auto. Nebel, Nebel. Nebel.

Noch einer will aufstehen? Eine weiße Kutte flattert, ein Schneiderbärtchen weht... Da hebt Studer die flache Hand, läßt sie auf das Löschblatt fallen.

Und der Spuk ist verschwunden.

Noch nicht. Noch nicht ganz. Marie ist aufgestanden. Ein Mann steht vor ihr, breitschultrig, massig, mit einem mageren Gesicht, aus dem eine spitze Nase hervorragt. Und den Mund bedeckt ein dichter Schnurrbart, der schon viele, allzu viele graue Haare hat. Der Breitschultrige verneigt sich vor Marie, zieht die Brieftasche, entnimmt ihr ein Papier. Eine Zahl steht auf dem Papier, die soviel Nullen enthält, daß es dem Manne schwindelt – 15 000 000. Fünfzehn Millionen! »Das gehört dir, Meitschi!« sagt der Mann. »Merci, Vetter Jakob.« – »Isch gärn g'scheh, Meitschi...«

Ein zweiter Schlag mit der flachen Hand. Und Studer reibt sich die Augen...

»Nein«, sagte Studer laut, »in Bern läßt sich die Lösung nicht finden! Millionen!« und das Wort füllte ihm den Mund aus.

Die Lampe auf dem Schreibtisch hatte einen flachen grünen Schirm, der Dampf knackte in den Röhren und draußen pfiff die Bise. Der Wachtmeister war weit weg. Er sah Ebenen, sie dehnten sich bis zum Horizont, und dann kam das Meer. Grau waren sie, ohne Haus, ohne Hütte, ohne Zelt. Und plötzlich wuchsen Bohrtürme aus der Fläche, Springbrunnen schossen in die Höhe, hoch, immer höher, und oben flatterten sie wie schwarze Fahnen, die der Wind peitscht...

Millionen... Öl... Gehaltsaufbesserung an der Kantonspolizei. Und wer hat dies bewirkt? Wachtmeister Studer, der Vetter Jakob, dr Köbu, der spinnt...

Das Telephon schrillte. Studer hob den Hörer ab.

»Vetter Jakob!« sagte eine Stimme. Und bevor Studer etwas antworten konnte: »Hilf mir, Vetter Jakob. Bitte, hilf mir! Du mußt mir helfen!« Knacken. Der Wachtmeister klopfte aufgeregt auf die Gabel. Keine Antwort. Studer stellte die Nummer der Auskunft ein. »Wer hat zuletzt die Kantonspolizei angerufen?« – »Einen Augenblick... Sind Sie noch da?... Basel hat angerufen... Kabine Bahnhof...« Studer vergaß zu danken.

Er stand auf, streckte sich; dann ließ er aus einem Blechbehälter, der in einer Ecke des Zimmers an der Wand hing, Wasser über seine Hände fließen, trocknete sie ab, langsam und gewissenhaft, starrte lange auf das verkritzelte Löschblatt. Schließlich löste er es ab und steckte es gefaltet in die Tasche. Die Gänge waren leer. Aus trüben Kohlenfadenlampen tröpfelte spärliches Licht.

Er ging in eine Wirtschaft z'Nacht essen, er hatte keine Lust, das Hedy zu sehen. Vier große Helle trank er – aber eine Erinnerung ließ ihn nicht los:

Das Schlafzimmer seiner Eltern sieht er. An der Wand hängt ein Quecksilberthermometer. Studer ist sechsjährig, er klettert auf einen Stuhl, um das Thermometer aus der Nähe zu betrachten, er hält es endlich in der Hand – und läßt es fallen. In winzigen Kugeln rollt das Quecksilber über den Boden. Der Bub springt vom Stuhl, er macht Jagd auf die glänzenden Kügeli; sie lassen sich nicht fassen. Schiebt man ein Papier unter sie, um sie aufzufangen, so wollen sie nicht auf dem Papier bleiben, sie vereinigen sich, teilen sich wieder...

Genau so verhielten sich die Leute, die im Falle »Fieberkurve – Hellseherkorporal« – so hatte der Wachtmeister den Fall bei sich getauft – mitspielten: sie waren spiegelnd, elastisch, schlüpfrig, wie Quecksilberkugeln. Angefangen mit jenem Pater Matthias, der in Ohnmacht fiel, wenn man vor ihm den Namen eines längst verstorbenen Mädchens aussprach, der um elf Uhr abends in Basel ein Taxi mietete, im »Wilden Mann« abstieg und dort ein Köfferchen zurückließ, Inhalt: blauer Regenmantel, grauer Konfektionsanzug, weißes Hemd. Und außer der schiefen Zahnbürste im Wasserglas fand man in dem vom Pater bewohnten Zimmer noch ein Fläschchen Somnifen... Litt der Pater auch an Schlaflosigkeit?... Und war der andere Mann, der Mann im blauen Regenmantel, der in der Agence Américaine z'Basel einen Buick gemietet hatte, nicht auch ein Quecksilberkügelchen? Nicht zu fassen, nicht zu halten?... Um sechs Uhr mietet der Mann den Buick, um neun Uhr mietet der Pater ein Taxi... Wie kommt der blaue Regenmantel in das Zimmer des Paters?

»Kaffee Kirsch!« sagte Studer laut, da die Saaltochter um ihn herumstrich.

»Gärn, Herr Wachtmeischter...«

Marie!... Warum hatte das Meitschi mit diesem Koller zusammengewohnt?... Hm?

Erst an der Türe gelang es der Saaltochter, den Wachtmeister einzuholen: »Macht drüzwänzig, Herr Wachtmeischter, wenn dr weit so guet sy... Es Nachtessen, vier...«

»Ja, ja, sä!« Und Studer schmetterte die Glastüre zu; es war ein Wunder, daß die Scheiben dies aushielten.

Elf Uhr. Der Wachtmeister ging über die einsame Kirchenfeldbrücke. Er schritt langsam daher, sein Raglan stand offen und seine geballten Fäuste lagen auf seinem Rücken.

Er war noch einmal im »Wilden Mann« gewesen. Er hatte erfahren, daß am heutigen Morgen um acht Uhr eine Dame, auf welche das Signalement der Marie Cleman paßte, das Zimmer Nr. 64 genommen hatte, das Zimmer, das neben dem des Paters lag. Sie hatte das Hotel am Nachmittag um drei Uhr in Begleitung eines Herrn verlassen, der einen blauen Regenmantel trug und das Gesicht in einem Wollschal versteckt hatte...

Wann war Pater Matthias in der Wohnung der Frau Hornuss aufgetaucht? Um neun Uhr. Wann hatte er am Nachmittag Studers Wohnung verlassen? Um zwei Uhr. Um drei Uhr aber holt ein Herr...

Die Thunstraße. Studer schloß seinen Mantel, denn nun packte ihn der Wind von vorne.

Um fünf Uhr nachmittags war der Buick in der Agence Américaine in Basel wieder abgegeben worden. Von einem Mann, der einen blauen Regenmantel trug. Zwei blaue Regenmäntel?

Denn in Pater Matthias' Hotelzimmer lag ebenfalls ein blauer Regenmantel. Aber Pater Matthias hatte den Genfer Zug um Viertel ab drei genommen...

Um Viertel ab drei...


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