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Titelblatt

XXI. Heft.
Herr Buffey auf der Berlin-Leipziger-Eisenbahn

Mit einem colorirten Titelkupfer.

Leipzig, 1844.

Verlag von Ignaz Jackowitz.

Berlin-Leipziger-Eisenbahn

Herr Buffey auf der Berlin-Leipziger-Eisenbahn.

 


Auf dem Bahnhofe.

Herr Buffey. (aus einem Fiaker steigend) So! (er sucht mit dem linken Fuße umher) Herrjees, was is'n des vor'n Tritt! Des is'n Tritt, den man den Stellmacher jeben möchte, der die Droschke erbaut hat. So müßte eijentlich en Tritt jebaut sein, um in sich zu jehen. So! – Na, Jott sei Dank, ick hätte jlücklich des Land erreicht, ick steh' wieder in Deutschland, was man runterkommen nennt. Nanu noch mein Sohn! (zu Wilhelm) Jib mir mal erst den Reisesack raus, Willem. So, un nanu komm nach, aber nimm Dir innacht, deß De nich runter purzelst, denn den Tritt jeht et jrade wie's chinesche Volk: durch des viele Mit-Füßenjetretenwerden hat er die Richtung verloren.

Fiaker. (mit größter Ruhe) Det soll nechstens jeändert werden.

Herr Buffey. So? Na schön! Man schade, deß Ick denn nischt mehr davon haben werde. (Er greift in die Tasche.) Nanu: hier sind Ihre fünf Silberjroschen «; nu jeden S« mir mal die Prämie.

Fiaker. Ick bin keene Prämie.

Herr Buffey. Was? Sie sind keene Prämie? Nu seh' mal, Willem! Ick habe doch nu zu de Fredrike jesagt, sie soll mir eine Prämiendroschke bringen, wie wir abreis'ten, un nu hat sie mir eine jewöhnliche jebracht.

Wilhelm. Ja.

Herr Buffey. (verwundert) Ja? – Des is ooch 'ne dumme Antwort uf des, was ich Dir sagte. Des is jrade des Quatschste, was sich uf meine Empfindung wejen Fredriken mit de Prämie antworten läßt. (Er dreht Wilhelms Kopf etwas unsanft zu sich) Seh' mir an, Schafskopp, wenn ick Dir erziehe! Ja is jar Nischt, verstehste! Junge, sage mal, willste denn nich klug werden! Was hab' ick nu schon Allens mit Dir ufjestellt, intendirt nennt man des? Wie? Ick habe Dir in de Schule jeschickt; ick habe Dir mit uf de Kunstausstellung un in de italjensche Oper jenommen; ick bin mit Dir uf de Redoute jewesem; ick halte Dir en Flötenlehrer un lese Dir sojar zuweilen de Hahn-Hahn vor; aber bei Dir hilft Allens nischt! Wenn alle Jungens so dumm wären wie Du, wo sollten denn künftig in Deutschland alle Bänder anjeschafft werden? Ick weeß nich, wat ick nu noch mit Dir anstellen soll? Wenn wir wieder zurückkommen, will ick doch mal versuchen, ob det nischt hilft, wenn ick Dir mal magnetisiren lasse.

Träger. Hör'n Se mal, wenn Sie Ihren Sohn hier noch länger wat vorpred'jen, denn jeht de Eisenbahn daweile ab, un des würde Ihnen vielleicht stören. Soll ick Ihnen Ihren Reisesack dragen?

Herr Buffey. Herrjees ja, ick habe über die Erziehung janz versessen, det ick mir noch keene Billets jelöst habe. (Pfeifen der Locomotive) Herrjees, da feift et schon! (zum Träger) Da, nehmen Se mal den Sack un jehen Se mit meinen Sohn immer nach de Wagens; ick wer' des mit Ihnen nachher abmachen.

Wilhelm. (ängstlich) Vater, jeh' nich weg; des feift so schrecklich!

Herr Buffey. (indem er nach dem Billet-Verkauf-Bureau eilt, für sich) Ne so'n dummer Junge is mir in meinen janzen Leben noch nich vorjekommen wie meiner! Weil et feift, soll ick bei ihm bleiben; als ob ick die Hand vor des Loch halten könnte, woraus die Locemotife feift. (Sich umdrehend, schnell, hitzig zu Wilhelm) Theekessel, Se werden Dir woll de Sophie Löwe uf de Locemotife setzen, damit Dir det Feifen nich stört, Schafskopp! (Will sich schnell durch die Masse der Billetkäufer drängen) Halten Se mal! Lassen Se mir mal durch, ick muß mir Billets koofen, zum Abfahren!

Ein dicker Mann. (ihn zurückstoßend) Schafskopp, wir ooch!

Herr Buffey. (gegen einen Pfeiler fahrend) Wie? (wüthend) Ne des is doch eine Behandlung jejen einen Berliner Bürjer, die is niederträchtig! Scheußlich! (auf den dicken Mann losfahrend) Herr, Sie können einen Katzenkopp kriejen, wenn Sie sich des noch mal unterstehen!

Dicker Mann. (verabreicht ihm einen solchen) Sie schon früher!

Herr Buffey. (außer sich) Herrjeeses, Kotz Schock Schwe..... (Pfeifen der Locomotive; Alles eilt nach den Waggons; der dicke Mann ebenfalls) .... noth! (zum Cassirer) Schnell zwee Billets zum zweiten Platz!

Cassirer. Wohin?

Herr Buffey. (sehr laut) Zweiten Platz hab' ich jesagt! Hören Se doch! Schnell!

Cassirer. Wohin?

Herr Buffey. (schreiend) Zweiten Platz!! Zwei – ten – Platz!!! (Gellender Pfiff der Lokomotive; Herr Buffey fährt zusammen) Herr Jott, ne, des Biest schreit aber ooch, deß man denkt, nanu is Allens alle!

Cassirer. (heftig) Nach Belitz, Trebbin, Luckenwalde, Jüterbogk, Zah....

Herr Buffey. I Jott bewahre: nach Leipzig! (zählt Geld auf) Wovor halten Sie mir, det Sie jlooben, ick würde nach Belitz, Trebbin, Jüterwalde oder jar nach Lukenbogk fahren! Wie? Ick will uf zwee Dage mit meinen Sohn nach Leipzig, weil da Messe is, un weil da .... (Gellendes Pfeifen der Lokomotive; Herr Buffey eilt fort) Nanu fehlt weiter jar nischt, als deß die verfluchte Locemotife abrutscht, un ick jefälligst hier bleibe, un mir Leipzig in's Panorama oder als Döblersches Nebelbild ansehe.

Mehrere Stimmen. Es geht ab! Der Zug geht ab!


Vor den Waggons

Herr Buffey. (suchend) Willem! (stärker rufend) Willem!! (Gelächter) Na wat is'n da zu lachen, wenn ich meinen Sohn such, mein Kind! (Pfeifen der Locomotive) Noch eenen Oogenblick       Jeduld!! Ick habe meinen Willem noch nich jefunden!!! Herrjeeses, am Ende kommt der Junge nach Leipzig, ohne deß ich ...

Eine Stimme. Den Friedrich haben wir noch viel weniger gefunden.

Conducteur. (zu Herrn Buffey) Schnell eingestiegen! Es geht ab!

Herr Buffey. I Jott halten Se doch .... (hin und herlaufend) Des kommt doch wahrhaftig uf eene lausije Minute ....

Träger. Hier, mein Herr!

Wilhelm. (aus einem Waggon) Hier bin ick, Vater!

Herr Buffey. Na Jott sei Da.... (er sieht in den Waggon) Na wat is denn Des? Du bist ja schon voll, da kann ja Keener mehr rin!

Träger. Ja, die Andern haben sich erst Alle nachher rin jesetzt. Mein Bierjeld, bester Herr! Ihr Reisesack liegt unter Ihren Sohn sein Sitz. (Pfeifen der Locomotive; der Zug setzt sich langsam in Bewegung).

Herr Buffey. (dem Träger Geld reichend) Hier! Ach Du blauer Himmel, nanu geht's ab!

Conducteur. (ihn schnell in einen andern Wagen drängend) Hurtig, hurtig!

Herr Buffey. Herrjees, aber mein Willem?

Conducteur. Nun, der geht Ihnen nicht verloren; das arrangirt sich in Belitz. Ich bitte um Ihr Billet. (Langanhaltendes Pfeifen der Locomotive.)

Wilhelm. (seinem Vater zurufend) Vaater! Ick jraule mir; des feift so!

Herr Buffey. (steckt den Kopf weit heraus, außer sich vor Zorn) Halt's Maul, verdammter Bengel, oder, so wahr ick lebe, ick laß' Dir unterwejens in Trebbin sitzen, det et man so pufft, un fahre alleene nach Leipzig!


Im Wagen.

Zeisig. (zu Buffey) Verehrter Vater, dem ich bis jetzt keinen theuerern Namen geben kann: ein Kind in Trebbin sitzen zu lassen, das ist eine furchtbare Idee.

Herr Buffey. Ich will Ihnen sagen, mein Willem .... Sie entschuldjen, mit wen hab' ich die Ehre?

Zeisig. Es ist weniger Ehre mit mir zu sprechen, als mit mir zu denken. Zeisig!

Herr Buffey. Ja, des heeßt, so heißen Sie; des sind Sie nich.

Zeisig. Ich bin Nichts und aus mir wird auch Nichts, eben weil ich denke. Und Ihr Name?

Herr Buffey. Mein Name is Buffey, Rentier, von meine Zinsen!

Zeisig. Ah, Herr Buffey; sehr geschätzte Figur!

Herr Buffey. (geschmeichelt) Na, des jetzt woll. En Bischen zu beleibt, Embonpoint nennt man Des!

Zeisig. (lachend) Ja, das kommt wohl, wenn man vor dem Himmel kriecht, sich gegen die Menschen aufbläht, und keine andere Sorgen als die um seinen impertinenten Egoismus hat.

Herr Buffey. (erstaunt) Wie?

Zeisig. (sehr artig und heiter) Sie erlauben, daß ich für diese Reise meine weiteren Bekanntschaften mache. Sie währt Sieben volle Stunden, und diese will ich weder verlieren noch ungenützt verlaufen lassen.

Finster. (ein sehr ernster Herr, behaglich in die Ecke gelehnt) Ungenützt? Wie meinen Sie das, mein Herr?

Zeisig. Ich bin Reisender des großen Hauses Libertas u. Comp. und mache in Zeitgeist. (Herr Finster zuckt die Achsel) Außerdem kenne ich kein größeres Leiden als Langeweile. Ich amüsire mich und wirke auf meine Weise, und ich versichere Ihnen, daß es mir vollkommen gleichgiltig ist, ob dieser oder jener gelehrte Hans Narr die Achsel darüber zuckt. Bouterweck sagt schon: Es ist immer eine Freude, Menschen zu sehen, die ihren Schritt durch die Welt gehen, ohne zu fragen, was Dieser oder Jener dazu sagen wird, der etwas Andres vorstellt. (Sehr freundlich zu einem jungen vollwangigen Mädchen, welche sich so eben damit beschäftigt, Kuchen zu essen) Besten Appetit! Wahrscheinlich auch aus Deutschland, wenn ich fragen darf? Ich meine nicht den Kuchen, sondern Sie!

Maria. (verlegen lächelnd) Nein!

Zeisig. (sie mit verliebten Augen betrachtend) Wo sonst her, schöne Minerva?

Maria. (beschämt zur Erde blickend, mit blödem Lachen) Aus Hof in Bayern.

Zeisig. Ach, aus Bayern? Entschuldigen Sie, daß ich Protestant bin!

Maria. Und Minerva heiß' ich nicht; ich heiße Maria von Duck, und (auf einen höchst gesunden Jüngling von 22 Jahren deutend) Der hier Stephan von Duck, mein Bruder!

Zeisig. (sich tief gegen Diesen, der ihn starr anschaut, verneigend) Sehr angenehm, Ihre werthe Bekanntschaft zu machen! (zu Beiden) Sie haben wahrscheinlich eine Vergnügungsreise nach Berlin unternommen und zugleich den Zweck damit verbunden, sich politisch, literarisch, social, statistisch-topographisch über diese zukunftreiche Stadt in's Klare zu bringen? Denn, Fräulein von Duck und Herr von Duck, das müssen Sie selbst als Ausländer sagen: in dieser Stadt ist Alles Zukunft. Die Verstandesschärfe des Volks, der Sinn für Politik, die Wissenschaftlichkeit, das Selbstvertrauen von Oben bis Unten: lauter Zukunft! Der Kampf der philosophischen Kritik und der kritischen Philosophie mit den Männern der faulenden Ueberzeugung und des plumpen Glaubens: lauter Zukunft. Bettina, freilich auch schon etwas Vergangenheit, aber doch immer das Kind schöner Zukunft. Der Gustav-Adolphs-Verein der Schwanen-Orden, der Actien-Schwindel und der Acten-Sumpf: nichts als Zukunft!

Herr Buffey. Hören Se mal, Herr Zeisig, Sie verjessen unsre Landstände un unsre weise Rejierung!

Zeisig. Die sind Gegenwart! (zu Frl. Duck) Nicht wahr, mein verehrtes Hof-Fräulein?

Maria. (lächelnd) Ja!

Zeisig. Also Sie sind aus Bayern? Herrliches Land, sehr vorzügliches Bier; Hopfen und Malz ist dort noch nicht verloren! Energische Abwehr aller aufklärenden, liberalen, demokratischen Tendenzen. Und, wie gesagt, das Bier ist ganz vorzüglich, obschon ich persönlich nur Wein oder Wasser trinke, (zu Stephan) Sie entschuldigen, Herr von Duck: ist die Hundesteuer in Hof eingeführt?

Stephan. Das weiß ich nicht; mein Vater hat mal Einen gehabt, einen Mops, der ist aber am 17. September 1835, Nachmittags um 4 Uhr gestorben.

Zeisig. Darf ich fragen, wie der werthe Name war?

Stephan. Demos.

Zeisig. Demos ein Hund, ein Mops, so? (abspringend) Sagen Sie, verehrter Herr von Mops, Wollt' ich sagen, Duck: sind Sie nicht auch der finanziellen Meinung, daß es besser wäre, eine Eselsteuer statt der Hundesteuer einzuführen? Diese brächte sicher ungeheures Geld ein und drückte die Armen nicht so stark wie die höheren Klassen. ( Finster dreht sich unwillig herum und schließt die Augen.)

Stephan. Das weiß ich nicht. Wir zahlen gar keine Steuer; das ist ein altes Vorrecht, was unsre ganze Familie hat.

Zeisig. Aha, also Kopfsteuer! ( Maria niest sehr stark) Ihr Wohlsein, liebenswürdige Heppsieche! Dürfte ich Amor sein!

Maria. Schönen Dank!

Zeisig. Apropos, gnädiges Fräulein, haben Sie die Theater in Berlin besucht?

Maria. (immer blöde lächelnd) Ja, ich habe zwei wunderschöne Stücke gesehen: »den Jucks der Wildniß« und »Einen Sohn will er sich machen.«

Zeisig. (präsentirt Herrn Buffey aus einer goldenen Tabatière eine Prise, welche Dieser mit großer Höflichkeit entgegen nimmt; hierauf wendet er sich zu seinem Nachbar, einem sehr kleinen alten Herrn mit weißen Haaren, spitzer Nase und tiefliegenden, scharfen Augen) Ist Ihnen gefällig, Herrrr ....?

Der alte Herr. Lockrer, Herr Zeisig!

Zeisig. Lockrer ist Ihr Name?

Lockrer. Zu dienen.

Zeisig. Komisches Zusammentreffen!

Herr Buffey. (zu Lockrer) Sie entschuldjen: wenn ich nich irre, hab' ich Ihnen neulich auch in's Theater jesehen, in's Schauspielhaus?

Lockrer. Sehr möglich; ich besuche überall die Theater; ich habe die meisten der Welt gesehen. Ich sah in Madrid »Partheienwuth«, in Paris »Sorgen ohne Noth und Noth ohne Sorgen«, in London »Was Ihr wollt!«, in Rom »Er mengt sich in Alles«, in Constantinopel »Die Quälgeister«, und »Welcher ist der Bräutigam?«, in Athen »Nehmt ein Exempel daran!«, in Petersburg »Stille Wasser sind tief«, in Warschau »Die Zerstreuten«, »St!« und »Das Leben ein Traum,« in Königsberg »Die gefesselte Fantasie«, in Berlin »Ein Wort des Fürsten«, hierauf »Irrthum an allen Ecken« und »Mulier taceat in ecclesia!« in Neustrelitz »Der Ahnenstolz in der Küche«, in Weimar »Erinnerung«, in Braunschweig »Ich bleibe ledig!« und »Das Loch in der Wand«, in Hannover »Der Stiefvater«, In Carlsruhe »Fester Wille führt zum Ziele«, in Wien »Das zugemauerte Fenster,« »Die Schuld« und »Vor hundert Jahren«. Und so weiter!

Herr Buffey. (verwundert) I Jott bewahre, was haben Sie vor 'n Jedächtniß vor Comödien!

Zeisig. Und merkwürdig: fast lauter schlechte Komödien haben Sie gesehen!

Lockrer. Ja: bei solch miserablen Direktionen sehr begreiflich.

Maria. Wir haben bei uns daheim neulich ein Affentheater gehabt. Hi hi hi!

Zeisig. Liebhaberei? Dilettantismus?

Maria. (die ihn nicht vollkommen verstanden zu haben scheint) Was?

Zeisig. Spielen Sie auch zuweilen Schau? Ich maaße es beinah Muth.

Maria. (hell lachend) Ich? Ne! Mein Bruder Stephan hat 'mal auf ein Polterabend einen Bären gespielt! (Sie lacht in's Taschentuch.)

Zeisig. Einen Bären? (Stephan schelmisch drohend) Aha, Schäkerchen, wahrscheinlich eine Anspielung auf das Berliner Stadtwappen! Dieser Bär fängt erst jetzt an zu brummen, weil er nicht länger auf der Haut liegen, sondern Honig lecken will.

Finster. (mit zürnenden Blicken zu Zeisig) Mein Herr, Sie thäten des ...... (Pfeifen der Locomotive.)

Maria. (fährt erschreckt zusammen) Jessus Maria!

Zeisig. Erschrecken Sie nicht, mein gnädiges Fräulein! Hegel nennt sehr geistreich und poetisch den Klang: »die Klage des Ideellen in der Gewalt des Andern, ebenso aber auch sein Triumph über dieselbe, indem er sich in ihr erhält.« Und so ist auch jede trotzig schnaubende und schreiende Locomotive ein Gespenst der Tyrannei, deren furchtbare Kraft wir zum Fortschritt der Menschheit bezwungen haben; der gellende Ton der Pfeife das Wuthgeschrei jener gezähmten Kraft, und zugleich der höhnende Siegesruf des Geistes, der endlich über die rohe Gewalt siegte. Vivat die Locomotive und alle Motion!

Herr Buffey. Hören Se mal, Herr Zeisig, rufen Se nich Fifat! Det könnte Ihnen schlecht bekommen!

Zeisig. Auf solche Ochsendummheiten hör' ich nicht. Vivat! Vivat!

Herr Buffey. Ne wirklich ....

Finster. (zornig zu Zeisig) Lassen Sie das sein!

Zeisig. Nun, so wollen wir Pereat schreien nicht wahr, Herr Lockrer? Wir wissen, was wir uns darunter denken. Pereat! Pereat!

Lockrer. Ja wohl! Pereat! Pereat!

Herr Buffey. Pereat, des laß' ich mir jefallen. Wenn jetzt en Freiheitsheld nach Berlin kommt, denn schrei' ick uf de Straße Pereat! Det jeht janz jut, det hat noch seinen Sinn, was man Esprit nennt. (Er schaut durch's Fenster). Herrjees, wir sind schon uf de erste Station, in Belitz! (rufend) Herr Con... Colpor... (er kann das Wort nicht finden) Herr Aufmacher! Machen Se mal hier auf; ich will mich meinen Sohn suchen! (Er steigt aus).

Ein Vorübergehender. Sie suchen einen Sohn? Zehen Se man da vorne nach den dritten Wagen. Da hab' ich einen Sohn jesehen.

Herr Buffey. Schaafskopp! (zu seinen Mitpassagieren) Nu sehen Se mal, der Mensch sagt mir, vorne im dritten Wagen säße ein Sohn. So'n Theekessel, des jloob' ich! En Sohn is Jeder, der keene Dochter is, aber ob es Willem, mein Sohn is, des is was Anders. Des Andern, wie Hejel jesagt hat, wie Herr Zeisig sagt. (er geht fort und ruft) Willem, Willem!!

Wilhelm. (den Kopf aus einem Wagen steckend) Hier, Vater!

Herr Buffey. (näher tretend) Nu sage mal, Esel, warum haste denn vorher nich uf Deinen Vater jewart't? Schickt sich des vor ein Kind, deß es sich alleine hinsetzt, placirt? Den Oojenblick kommste raus un setzt Dir bei mir in'n Wagen; da sind außer mit kluge Leute drinn; da kannste wat lernen!

Eine Stimme aus dem Wagen. I Sie Kameel, wir sind hier ooch nich aus Dummsdorf!

Eine andere Stimme. Neee, Jutster, so dumme wie Sie sind, sind wir Sie schon lange gewesen!

Herr Buffey. (äußerst erzürnt) I hören Se mal, Sie Berliner un Sie, höchst wahrscheinlicher Sachse, Sie sind ja wie Bohnenstroh so jrob! Wer hat denn schon daran jedacht, Ihnen beleidijen zu wollen, injorjieren nennt man des? Jlooben Sie etwa nich, deß ich ooch jrob sind kann, Sie Unejalen! Sie dicker Berliner Viehmäster Lude Ferkelfreund, nehmen Se sich doch zusammen, sonst jehen Se jefälligst auseinander, un Sie, sächscher Leineweber Susemeichel mit de blasse Visage un en Paar Backen, wo man en Vaterunser durchjagen kann, Sie seien nu jar ....

(Pfeifen der Lokomotive; der Zug setzt sich in Bewegung)

Herjees, komm, Willem, sonst lassen Se uns fahren! (während er mit seinem Sohne einsteigt) Des heßt, ich wollte damit sagen, deß Se uns nich fahren lassen, sondern hier sitzen lassen, des heeßt: nich hier, uf de Banke, sondern hier in Belitz, uf de Stattzjon nennt man des!

Zeisig. (hat unterdessen zwölf Apfelsinen gekauft und Sechs davon dem Frl. von Duck präsentirt, welche von derselben lächelnd entgegengenommen wurden) Es würde mir sehr angenehm gewesen sein, gnädiges Fräulein, Ihrem bemerkenswerthen Reize nach Stillung eines natürlichen Triebes noch einige Opfer an Kuchen darzubringen. Belitz indessen erzeugte solchen nicht.

Maria. Vielleicht gibt's welchen in Jüterbogk.

Zeisig. (sich verneigend) Wir wollen abwarten, war die Vorsehung in dieser Angelegenheit des Mikrokosmus bestimmt hat. (Er wendet sich zu Herrn Buffey; auf Wilhelm deutend) Wahrscheinlich Ihr Herr Sohn, wenn Sie die Güte haben wollen?

Herr Buffey. Bitte janz unterthänigst: ja wohl! Willem!

Zeisig. (zu Wilhelm, indem er ihm zwei Apfelsinen präsentirt) Darf ich fragen, ob der Herr Geheimerath vielleicht diese beiden Gegenstände des Königsreichs beider Sicilien Ihren Geschmacksnerven nicht unwerth erachten?

Herr Buffey. (höchlich erstaunt) Sie nennen meinen Sohn Herr Jeheimrath? Des Kind?

Zeisig. Ich weiß nicht, was Ihr Sohn ist, und in solchen mißlichen Fällen geht man in Deutschland immer sicherer, Herr Geheimerath zu sagen.

Herr Buffey. Na aber des Wurm kann doch nich schon Jeheimerath sind?

Zeisig. Warum nicht? Es ist mancher Wurm Geheimerath. Und da einige Kinder, während sie noch in den Windeln liegen, höher geachtet werden, oder besser: mehr sind als die erhabensten Geister, als die bewunderungswürdigsten, seltensten Menschen, so sehe ich nicht ein, weshalb Ihr zehn- bis zwölfjähriger Sohn nicht Geheimerath sein könnte.

Finster. (im höchsten Zorne) Mein Herr, ich bin der Geheime Kriegsrath Finster!

Zeisig. (indem er sich sehr artig verbeugt) Mir äußerst angenehm, und ich füge aus Selbstbetrachtung Ihres hochwohlgeborenen Knopfloches hinzu: auch Ritter des rothen Adlerordens vierter Klasse. Nehmen Sie meinen herzlichsten Glückwunsch zu dieser eben so seltenen wie geschätzten Auszeichnung.

Lockrer. Hr. Cerf, der Direktor des Königsstädtischen Theaters, hat neulich auch den rothen A. (hustet) A... (hustet) .........

Herr Buffey. (theilnehmend) I mein Jott, Sie scheinen einen sehr starken Husten zu haben, was man ver......

Maria. (zu Lockrer) Wollen Sie einen Bonbon? Hier ist eine ganze Düte. Es sind »Schmeckst Du prächtig's«!

Lockrer. (höflich) Danke, Danke! (sehr ernst) Ich lutsche nie!

Zeisig. (lächelnd) Warum sagten Sie das so ernst?

Lockrer. Weil es zu meinen Vier gereimten Lebensregeln gehört, die einen tieferen Sinn haben, als sie im ersten Augenblicke auszusprechen scheinen: ich kutsche nie, ich lutsche nie, ich putsche nie und ich rutsche nie.

Herr Buffey. Da kannste Dir jleich bilden, Willem. Merke Dir des: kutsche, lutsche, putsche un rutsche nie!

Zeisig. Das heißt auf Deutsch: sei niemals hochmüthig, nie lüstern, nicht falsch und nie kriechend: – wenn Du in diesem auf Polizei und Verstellung basirten Leben verachtet bleiben willst. (zu Wilhelm) Welche Stellung beabsichtigen Sie eigentlich später auf diesem Sterne einzunehmen? (Wilhelm steckt verschämt den Kopf hinter seines Vaters Rücken) Ach: geheimer Polizist? Na, dazu will ich doch nicht rathen! Auf ein Paar Jährchen könnte dies würdevolle Amt wohl noch einträglich sein; später aber .....

Herr Buffey. (zu seinem Sohne) Haste nich jehört? Was De werden willst, dummer Junge? (Er regt ihn etwas unsanft zur Antwort an).

Wilhelm. (weinerlich) Jelehrter.

Herr Buffey. Richtig: deutscher Jelehrter soll er werden, was man Dovter viellogie nennt! Na zieh' keene Limpe, dummer Junge! Wat is denn dabei zu weenen, deß De Jelehrter werden willst? Mir scheint man, et wird en Bisken lange werden, bis De so weit bist.

Lockrer. O nein! Sobald er nur erst ordentlich zu ochsen anfängt, wird er bald Dasselbe sein, was die meisten deutschen Gelehrten sind, die das Bischen Vaterland, Gegenwart, Zukunft, Menschheit übersehen, wenn es sich darum handelt, eine Phrase der erhaben langweiligen Tragödien der griechischen Dichter vielleicht richtiger zu deuten, oder ein mit bloßem Auge unsichtbares Infusionsthierchen anders als bisher zu classifiziren.

Zeisig. (zu Maria) Apropos, hochwohlgeborenes Mitglied des schönen Geschlechts: haben Sie in Berlin die »Frösche« vorlesen hören?

Maria. (so eben mit dem Genuß der vierten Apfelsine beschäftigt, lacht laut auf) Ob ich habe Frösche vorlesen hören? Ne! (kichernd) Quaken hab' ich sie schon oft gehört, aber vorlesen noch nicht.

Zeisig. (applaudirend) Bravo, bravo, eine treffliche Persiflage auf diese lächerlichen Bestrebungen, durch das Stickgas des Alterthums Kraft und Feuer des Jugendthums zu erlöschen. Wahrhaftig, gnädiges Fräulein, Sie verdienten als Satirieke in der Walhalla aufgestellt zu werden!

Stephan. Da müßte sie doch aber erst ausgehauen werden.

Zeisig. Sehr richtig.

Lockrer. (zu Stephan) Haben Sie nicht in Ihrem herrlichen Vaterlande gehört, ob Tilly in der Walhalla aufgestellt wird?

Stephan. Ne, mir haben Sie Nichts davon gesagt.

Lockrer. Er war auch Jesuit.

Stephan. Das ist möglich; ich kenne ihn nicht persönlich.

Zeisig. Auch würde es nicht viel Umstände machen, da Tilly schon von Gustav Adolph bei Breitenfeld ausgehauen ist. (zu Wilhelm) Nun, lieber Passagier, wie hat Ihnen die Frucht Hesperiens gemundet?

Wilhelm. (verlegen zu seinem Vater) Was is'n des, Passagier?

Herr Buffey. Passagiere nennt man des, wenn ein Mensch reis't un noch Mehrere mit ihn reisen.

Zeisig. Passagiere in Deutschland sind Leute, die mit dem Paß agiren. Wir lassen es uns gefallen, denn der Deutsche .....

Herr Buffey. (zu seinem Sohne) Ne so'n dummer Junge existirt ooch nich mehr! Eijentlich sollte er sich bei Ihnen doch vor de Appelsinen bedanken, die er uf hat, jenossen nennt man des, nu frägt er Ihnen, wat en Passagier is! Nanu, Herr Zeisig, wird doch in Deutschland so viel über Erziehung jeschrieben; nanu erziehen Se doch mal aus so'n deutschen dummen Jungen was! So'n deutschen dummen Jungen kann man fufzig Jahre hinternander wat in'n Kopp reden, der hört nischt, der lernt nie wat, der wird nich anders!

Lockrer. Sehr wahr!

Zeisig. Sehr wahr, sehr wahr!

Herr Buffey. (heftiger) Du bist zu nischt Anders zu jebrauchen als zum Hausknecht! Lakei!

Lockrer. Sehr wahr!

Zeisig. Sehr wahr, sehr wahr!

Herr Buffey. (immer heftiger) Verdienteste nich hier vor die fremden Leute Prüjel davor, deß De so behandelt werden mußt?

Lockrer. Sehr wahr!

Herr Buffey. (giebt seinem Sohn eine Maulschelle) Da! Davor deß De Allens verjessen hast un Dir so behandeln läßt!

Zeisig. Sehr wahr! Sehr wahr!

Herr Buffey. (geschmeichelt, zu Lockrer und Zeisig) Kann ich erziehen, meine Herren, oder kann ich nich erziehen?

Lockrer. Sie erziehen ausgezeichnet! Möchten Sie von Ihrem Jahrhundert begriffen werden!

Herr Buffey. (hält dem weinenden Wilhelm den Mund zu) Von meinen Jahr hundert? (sich verneigend) Sie sind zu jütig, Herr Lockrer! (zu Wilhelm) Halt's Maul!

Zeisig. Die Methode, Jemand darum schlechter zu behandeln, weil er sich schlecht behandeln läßt, wird zwar wie alles Bedeutungsvolle im Anfange verhöhnt und befeindet werden, muß sich aber dennoch Bahn brechen und für Deutschland von unberechenbar wohlthuenden Folgen sein. (zu Wilhelm) Titelloser Jüngling – wenn dies kein Pleonasmus ist – diese etwas stark nüançirte Wangenkosung, welche Sie so eben von Ihrem Herrn Vater empfingen, diese in ihr Anderes umgeschlagene Thätigkeit, welche man auf Berlinisch Eien nennt, weil die Kinder mit dem Ausrufe Ei! schmeicheln; mit einem Worte: diese Maulschelle haben Sie gleichsam für Ihr Vaterland erhalten.

Herr Buffey. Na siehste woll, Willem! (ihm erklärend) Du hast diese Maulschelle für Dein Vaterland erhalten! Verstehste? was man Verdienst nennt, nennt man des! Darum weene nich! (heftiger) Plinse nich), Märtyrer, sonst kriegste noch een Verdienst! Sei froh, deß De so wegjekommen bist! Ick kenne eine unjeheire Masse von Menschen, die et schlechter bekommen is, deß sie sich vor wortbr....

Finster. (heftig zu Herrn Buffey) Mein Herr, ich ....!

Herr Buffey. Wünschten Sie was? Is Ihnen was jefällig, Herr Jeheime Kriegsrath vor de Paraden? Man soll woll nich mehr mucksen sondern blos muckern? Sie sind woll blos Kriegsrath, um eenen jraulich zu machen? Ne, Ritter Piepvogel, des Jeschäft jeden Se uf; des zieht nich mehr! Sie sehen ja jrade aus, als ob Se Bomben un Jranaten uf eenen losdonnern wollten! Aber ..... (sehr langsam und selbstgefällig) ich will Ihnen sagen: vor vernagelte Kanonen fürcht' ick mir nich! (sich abwendend) Verzeih'n Se, deß ich in Hemdsärmeln an Ihnen jeschrieben habe. (Starkes Gelächter der Herren Lockrer und Zeisig).

Finster. (mit dem Fuße stampfend) Impertinent!

Herr Buffey. (durch den Beifall aufgemuntert) Sehen Se mal, Ritter Piepvogel: des is 'ne Eisenbahn, uf die wir fahren, nennt man Des, un nanu sind wir bald in Leipzig, un in Leipzig da is (sehr laut) Konstitution heeßt des!! da wird des Volk vertreten! Bei uns wird des Volk ooch vertreten, aber anders! Bei uns kann es blos bitten; in Leipzig kann es aber fordern, verstehn Se! Un darum fürcht' ick mir nich vor Ihnen, un wenn Sie der allerjeheimste Kriegsrath in de ganze Welt wären! In Leipzig is Konstitution!

Maria. Wo ist die Konstutition da zu sehen? Kostet's Entrée?

Zeisig. (scherzend) Wo sie jetzt zu sehen ist,weiß ich nicht.

Lockrer. (ebenso) Auch werden die Zuschauer wohl nicht frei sein.

Maria. Wie sieht sie aus?

Zeisig. Sie trägt die Farbe der Unschuld, Weiß, und die der Hoffnung, Grün. Nur der Kopf ist schwarz gefleckt.

Maria. (immer noch in der Meinung, als sei von einem Thiere die Rede) Was frißt sie?

Lockrer. Kein Fleisch, nur Blätter.

Herr Buffey. (Lockrer und Zeisig zuwinkend, daß er die Fopperei versteht, zu Maria) Sie haben ja aber in Bayern auch eine; haben Sie denn Die nie jesehen?

Maria. Nie!

Herr Buffey. Ich ooch nich.

Zeisig. Ich auch nicht.

Lockrer. Ich auch nicht.

Herr Buffey. (nach einer Pause zu Zeisig) Apropos, was ich Ihnen fragen wollte: is Leipzig jroß?

Zeisig. Größer als andere deutsche Städte, die mehr Einwohner haben, weil Leipzig mehr Seelen hat. Viele andere deutsche Städte haben auch mehr Häuser, aber in Leipzig wird am meisten gebaut. Leipzig hat die meisten Pressen und duldet am wenigsten Druck; Leipzig hat die meisten Krebse und schreitet doch immer vorwärts; Leipzig hat keine Aristokratie und ist eine der vornehmsten Städte, Leipzig ist seiner Messen wegen berühmt und handelt doch am bedeutendsten außerhalb der Meßzeit; Leipzig hat ein altes Gesicht und einen jugendlichen Geist; Leipzig hat keinen großen Fluß, aber die größte Strömung und Verbindung; Leipzig liegt nicht schön und legt sich doch immer auf's Schönste, und endlich: bei Leipzig wurde die deutsche Freiheit errungen und doch kämpft es noch täglich um diese.

Herr Buffey. Na hören Se mal; Sie scheinen mir doch en Berliner zu sind, Preuß'sche Residenz nennt man des, un sind doch so exaltirt von Leipzig?

Lockrer. Sagen Sie uns nun, was Sie von Berlin denken?

Zeisig. Berlin ist zu schnell groß geworden und vermag seine Größe nicht auszufüllen. Es kommt mir vor wie ein aufgeschossener Mensch, der sich nicht zu halten versteht. Es paris't und london't alle Tage und doch guckt ihm der deutsche Philister aus allen Knopflöchern heraus. Es hat alle Keime des Vortrefflichsten in sich, die höchsten Fähigkeiten, aber es kann sich nicht selbst beherrschen, nicht zu einem Ganzen runden; es ist Alles einzeln in ihm. Nichtsdestoweniger hat Berlin die schönste Zukunft, denn es hat einen Kern im Volke, aus dem es emporblühen wird; denn nur was aus dem Volke aufwächst, ist edel und bleibend. Beide Städte, Berlin und Leipzig, in geistiger Verbindung zusammenwirkend, würden Alles lösen, was den deutschen Norden gepreßt hält, und ihn zur höchsten Glorie bringen. Deshalb hatt' ich schöne Träume, als diese Eisenbahn beide Städte aneinanderrückte. Daß diese Träume sich nicht verwirklichen, daran ist nicht Berlin sondern Leipzig schuld. Der Leipziger kann seinen geschichtlichen Haß nicht besiegen und verwechselt noch immer das, was in Berlin gewaltsam geschieht, mit dem Willen und dem Geiste der Berliner. Der Berliner mag durch seinen Ehrgeiz und seinen Sarkasmus oft unangenehm berühren, aber er ist im Grunde offen und ehrlich und hat immer den Willen und die Fähigkeit, sich zu verbinden, deutsch und, im weitern Sinne, Cosmopolit zu sein. Der Leipziger aber ist, mindestens dem Berliner gegenüber, immer Sachse.

Herr Buffey. (zu Wilhelm) Haste Acht jejeben, Junge? Merke Dir des, damit De nich unnütz Dampf jefahren bist: die Eisenbahn von Berlin nach Leipzig hat ihren Beruf nich erfüllt! Verstehste! Des muß noch kommen: vielleicht, wenn die beeden Städte statt Sieben Stunden blos Viere auseinander sind. Un wir Berliner sind nich dran schuld! Du ooch nich!

Zeisig. (zu Wilhelm) Merke Dir, daß, wenn zwei Personen sich nähern, sie miteinander leben und wirken, von einander lernen, sich gegenseitig befruchten, sich materiell und geistig austauschen wollen; daß dies aber Städte und Länder bis jetzt vergessen haben.

Herr Buffey. Ja, des kannste Dir ooch merken! (zu Zeisig) Sagen Se mal, Herr Zeisig, was sieht man denn nu zuerst in Leipzig?

Zeisig. In Leipzig ist nichts Merkwürdiges zu sehen, aber alles merkwürdig, was man nicht sieht.

Herr Buffey. So? Na denn hätt' ick ja man können in Berlin bleiben un de Oogen zuzumachen brauchen!

Lockrer. Sie wollen wohl zur guten Presse gehören?

Herr Buffey. Ne, fällt mir nich in!

Zeisig. Sie sind auch gewiß ein viel zu gescheidter Mann, um das merkwürdig zu finden, was die dumme Welt bisher merkwürdig nannte: die Ueberbleibsel aus den Zeiten der Willkühr und Finsterniß. Gegenwärtig kennt man nur eine Merkwürdigkeit: Menschen. Man hat zum Beispiel in und um Berlin keine Ruinen, aber man kann Tieck, Cornelius, Grimm's, Rückert und Schelling dort sehen. Und ist es Ihnen nicht lieber, statt verrosteter und zerbrochener Schwerdter aus der Feudalzeit rüstig für das Wohl der Menschheit kämpfende Männer zu sehen? Liberale Schriftsteller und Deputirte von Geist, sind sie nicht mehr werth als alle die Tausendfältigkeiten und Tausend Einfältigkeiten der wuchernden Gewalt und knechtischen Geduld! Ist ein Mensch, dessen Talent Millionen erheitert und begeistert, nicht merkwürdiger als eine verstümmelte Statue; und das Herz eines Kämpfers für Freiheit und Wohl des Volkes, ein Herz, das durch die sanften Augen leuchtet und glänzt, nicht das schönste grüne Gewölbe?

Herr Buffey. (lebhaft) Des is wahr!

Zeisig. Und lassen Sie sich niemals im Anerkennen stören! Ob ein Name mehr oder weniger berühmt ist; ob Einer in diesem oder jenem Kreise kämpft; ob er diese oder jene Form wählt, gleichviel, ist nur der Inhalt tüchtig und der Zweck edel. Ich habe gerade den wenigsten Respekt vor denjenigen Leuten, vor welchen unsere politischen und Literatur-Zeitungen den meisten Respekt haben. Gehen Sie heut Abend in's Rosenthal; dort werden Sie Schriftsteller sehen, die ohne Zweifel mehr sind als die chinesischen Prinzen und Prinzessinnen, und mehr als mancher deutsche Stockgelehrte, der sich nur selbst mit seiner Gelehrsamkeit mästet, und weder Geist noch Talent hat, den Saamen des Guten in die Welt zu streuen.

(Pfeifen der Locomotive).

Ach wie herrlich klingt dies Wuthgeschrei
Der sterbenden, röchelnden Tyrannei!

Wir sind in Leipzig!

Herr Buffey. (steckt den Kopf aus dem Wagen) Sind wir wirklich schon da?

Zeisig. Dort liegt's!

Herr Buffey. (enthusiastisch) Willem, da liegt Leipzig!

Wilhelm. Schön, Vater.

Herr Buffey. Schön?? (schlägt die Hände zusammen) Ne über den Jungen seine Pomade jeht doch ooch jar nischt? Da liegt nu Leipzig! un der Bengel läßt et ruhig liejen un sagt Schön! Ne mit den deutschen dummen Jungen is doch ooch jar nischt anzufangen; der bleibt wie er is. (heftig) Jeh' doch mal aus Dir raus, dummer Junge!

Wilhelm. (weinerlich) Die Dhüre is ja zu.

Herr Buffey. (entkräftet) Nu is de Dhüre zu, um aus sich raus zu jehen, seine Dhüre! Nu hört Allens uf; nu versteht er mir ooch schon nich mehr. Ne, der Junge is zu dumm! der is dummer als wie't verlangt wird.

Lockrer. Halten Sie ihm doch die Allgemeine Preußische Zeitung. Oder mögen Sie die Homöopathie nicht?

(Pfeifen der Lokomotive)

Maria. Jessus Maria!

Zeisig. (seine Sachen zusammenpackend) Fürchten Sie sich nicht, höfliches Fräulein. Die Lokomotive schreit etwas stärker, weil Leipzig zum constitutionellen Sachsen gehört. Der gelegte Fortschritt, die Eisenbahn, hat hier Station, und bringt lebendige Pressen, Menschen, zu wechselseitiger schöngeistiger und wissenschaftlicher Production, zum Dichten und Trachten nach Frieden und Freiheit durcheinander. (zur Lokomotive hinausschauend) Brrr! bezwungenes Ungeheuer der Tyrannei. Wir folgen Dir, aber wohin wir wollen.

Finster. Mein Herr, ich begreife nicht ...

Zeisig, (ihn unterbrechend, artig) Sehr begreiflich! (hinausrufend) Hôtel de Pologne, Sie da!

Stimme von außen. Ei, Herr Doctor!

Herr Buffey. Nanu, Willem, mach' Dir fertig; nu kommste in en anderes Vaterland von Dein deutsches Vaterland. Zieh' mal den Reisesack da untern Sitz raus. (zu Zeisig) Sie entschuldjen, deß ich Ihnen blos Herr Zeisig jenannt habe, Herr Docter.

Zeisig. (hinaustretend) Bitte, bitte! Ich bin keine Waare und brauche also auch keine Bezeichnung, keine Etiquette. Ich will keine Buchstaben-Livrée, die mich immer bei meinem Bediententhum anrufen läßt. Ich bin Ich, Herr meiner selbst! Frei bin ich! Frei ist der Mensch und wär' er in Cöthen, zwischen Berlin und Leipzig, geboren!

Lockrer. Ich geh' mit Ihnen, Freier.

Zeisig. Freier?

Lockrer. Freie Leute in Deutschland sind Freier, denn Sie lieben nur die Freiheit und möchten sich mit ihr vereinen.

Zeisig. Richtig. (in den Wagen rufend) Leben Sie wohl, Herr Buffey! Adieu, Walhallaller! Gute Nacht, Finsterniß!

Herr Buffey. (hinaustretend) Warten Se, ich jeh' mit Ihnen nach Polonje.

Zeisig. Abends sehen wir uns im Rosenthal.

Herr Buffey. Is jut; ich will da die deutsche Litratur Cijarren rauchen sehn. Aber was fang' ich unjlicklicher Vater woll sonst mit diesen Jungen in Leipzig an? Vor so dumm hab' ick meinen Sohn noch jar nich in Berlin jehalten, wie er sich unterwejens entfaltet hat, denn sonst wär' ick jar nich mit ihm jereist.

Lockrer. Zeigen Sie ihm die Elster und die Stelle, wo Poniatowsky ertrunken ist.

Herr Buffey. Ne, det nützt nischt; det is vor den Jungen en Fleck Wasser, wenn ick ihm die Stelle zeige, wie jedes andere. Der hat blos insofern 'ne Ahnung von Polen, insofern er meine Knute kennt.

Zeisig. Oder gehen Sie mit ihm in Auerbach's Keller.

Herr Buffey. Ooch nich. Der Junge versteht'en Deibel von den Satan, un von Faust hat er ooch blos 'ne Idee, weil ick ihm manchmal die ersten fünf Akte zeije, un den sechsten aufführe, was man Maulschelle nennt. Heißt des!

Kutscher. Bitte einzusteigen!

Herr Buffey. So! (holt tief Athem) Na die Eisenbahn von Berlin nach Leipzig – die ihre Aufjabe nich erfüllt hat – hätt' ich nu hinter mir. Nu bin ick blos neujierig, ob mein Junge um eene Idee klüjer is, wenn ick die Eisenbahn von Leipzig nach Berlin hinter mir habe. Die ooch nich ihre Aufjabe erfüllt hat, heißt des!


Druck von Bernh. Tauchnitz jun.

 


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