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Titelblatt

XIX. Heft.
Nante Nantino, der letzte Sonnenbruder,
oder:
Die Entstehung der norddeutschen Volkspoesie

Zur Darstellung im abgebrannten Opernhause bestimmt.

Mit einem colorirten Titelkupfer von Th. Hosemann.

Zweite vermehrte Auflage.

Leipzig, 1848.

Verlag von Ignaz Jackowitz.

Liebes Madamchen

Liebes Madamchen, Sie werden verzeihn',
Dass ein Paar Zeilen den Frauen zu weihn
Man leider vergass in diesem Gedicht
Denn Viele verschmähn den Branntwein auch nicht.

Personen.

Nante Nantino, der letzte Sonnenbruder.
Urd,
Varande,
Nornen der Vergangenheit
Skuld, Nornen der Gegenwart.
Nagelfari, Luftgeist, ihr Diener.
Suschen, Rosenmädchen, dessen Tochter.
Polizeicommissarius Viertel.  
Von, eine alte Hexenspinne.
Obseur,
Stabil,
ihre Diener.
Ein Kind.  
Confusionsrath Hornvieh.  
Die Siegesgöttin auf dem Brandenburger Thore.
Ein Fink.  
Eine Nachtigall.  
Chor der Hofräthe.  
Chor der Kriegsräthe.  

Musik von den Capellmeistern Spontini,
Meyerbeer, Mendelssohn-Bartholdy, Taubert und Nikolai.


Motto:
Ist es schon Tollheit,
hat es doch Methode.

Polonius.


Erster Act.

Der düstre Keller auf dem Kreuzberge.

Tiefe Nacht.

Urd. Varande. Skuld.

Urd.

Durch die Räume der geschmolzenen
Nebel- und Feuerwelt rief ich euch,
Mit einer Stimme, den Sterblichen
Schreckender Donner dünkend,
Mit Blicken, weltdurchblitzend
Im dustern Keller zusammen.
Denn an der Brücke Bifrost
Zur Reise in's ewigherrliche Asgard,
Einzugehen in Walhalla's Kampf- und Schmause-Lust
Steht der Held Nante Nantino,
Der Letzte seines berühmten Geschlechtes.

Skuld.

Heil ihm! Heil dem Nante Nantino,
Daß er die Erde verläßt, die immer schwankende,
Jetzt, vor ihrer furchtbarsten Bewegung,
Welche, wie Vögel die schwüle Gewitterluft,
Die Gemüther niederdrückt und beängstigt,
Ohn' Wissenschaft des Wann und des Wo und Wie:
Denn nur den Göttern ward Gewißheit,
Den Sterblichen Ahnung.

Varande.

Aber noch lebt Nantino! Noch umspielen
Den ewig nach Wechsel begehrenden
Göttlichen Kern in staubiger Hülle
Die Wechsel der Stunden. Noch greift er,
Dem Kinde gleich, deß liebliches Auge
Nähe und Ferne nicht unterscheidet,
Mit kleiner Hand in die Luft, wähnend,
Zeit und Ewigkeit zu erfassen.
Noch arbeitet er mit dem komischen Ernst der Aemse
Am Berge der Schöpfung,
Kaum bedenkend, daß ein Fußtritt
Des schwer schreitenden Schicksals
Pläne und Thaten Tausender vernichtet.
Noch ist seine Seele nicht aufgegangen
In dem Eins der Gottheiten,
Noch ist er der einzelne Zweifel,
Mensch genannt,
Und nicht darf die Norne des Vergangenen,
Die ernste, der thräne- und lachlosen Norne
Der Zukunft den Menschen übergeben, meinen Sohn,
Bis ich, die lächelnde Norne des Lebens,
Mit ihnen geprüft und beschlossen.

Urd.

So höre! (Sie nimmt einen Fink vom Baume und wirft ihn in die Luft.)

Lasse Deinen Herrn und meinen
Diener hier sogleich erscheinen!

Fink (fliegend).

Pst, pst, pst! Pst, pst, pst!

Nagelfari (erscheint).

Frage, was ist gefällig?

Urd.

Der Du kennst das kleine Treiben,
Wo die Menschen sind und bleiben,
Was sie wissen, was sie plaudern,
Schaffe uns, doch sonder Zaudern
Nachricht über Nant' Nantino!

Nagelfari

(steht auf dem Kopfe und spricht mit den Ohren in die Erde:)

Veritas in Branntevino!
Paß und Doppel-Meldezettel,
Scheererei um jeden Bettel!
Studium auf Kniff und Pfiff!
Nie fünf Finger ohne Griff!
Ew'ger Quäler der Geschwornen!
Letztes Forum der Verlornen!
Erstes Forum der Gebornen!
Zeitung Dessen, was verboten!
Richter über alle Todten!
Bei dem Tauf- und Rabenstein:
Polizei erschein', erschein'!

Polizeicommissarius Viertel

(erscheint aus der Mitte des dustern Kellers).

Was ist los? (Er erblickt die Nornen.)
Herrjeeses wie jroß!
Herrjeh, herrjeh!
Weh' mir, weh'!

Nagelfari

(sieht ihn durch eine Brille von zwei großen Hühneraugen an).

Ew'ger Quäler der Geschwornen,
Letztes Forum der Verlornen,
Erstes Forum der Gebornen,
Gib' hier Nachricht diesen Nornen
Rosen dieser Welt und Dornen: –
Veritas in Branntevino!
Wie es steht um Nant' Nantino.

Viertel.

Entschuld'gen Sie, meine Damen, wenn ich zittre! Ich bin jewöhnt, blos mit Jeistern zusammenzukommen, die vor mir Respekt haben, vor Ihnen aber jraule ich mir, denn Sie haben etwas» Uebermenschliches un des Uebermenschliche is nich mein Revier. Auch muß ich um Verjebung bitten, wenn ich nich, wie dieses komische Luftjebilde hier, in Versen spreche: ich bin bloße Prosa. (Für sich.) Ueberjens haben se merkwürdije Spitzbuben-Physiognomien! Wenn se mir nich aus de Erde hätten buddeln lassen un ick hätte en Paar Jensd'armen hier, ick arretirte die Frauenzimmer. Denn det Die keenen Paß haben un nich nachweisen können, wovon se leben, daruf möcht' ick wetten.

Varande.

Sprich, Sterblicher!

Viertel.

Sterblicher? Herrjees, Sie werden mir doch nich umbringen wollen? Nehmen Sie sich in Acht: daruf is Todesstrafe!

Nagelfari.

Dummer Kerle, sage dreist, Was du von Nantino weißt!

Viertel.

Sehr fern! Nante Nantino, der letzte Eckensteher, oder Sonnenbruder, wie sie ooch jenannt wurden, wohnt in de Mauerstraße Nummer 7 hinten auf den Hof im Keller. Seit Dreiviertel Jahren hat er aber den Wirth keene Miethe bezahlt, weshalb ihm Dieser bald rausschmeißen wird, un weshalb wir schon jetzt ein wachsames Ooge uf ihn haben, weil er alsdann höchst wahrscheinlich stehlen wird, was sich bei die schlechten Zeiten für die Eckensteherei von einen Mitjliede dieses Ordens nich anders vermuthen läßt. Denn durch die Einführung von Dausend Fiakern, in welche die Leute alles Das fahren lassen, was früher zu dragen viel kostspielijer war, is der Eckenstand aufjehoben, un Nante Nantino is jejenwärtig der letzte Sonnenbruder.

Urd (zu Nagelfari).

Schon genug! Laß' ihn verschwinden!

Nagelfari.

Dazu sollt bereit Ihr finden
Euern unterthängen Knecht.

(Zu Viertel.)

Polizei, mach' Dich zurecht!
Schnell fährst Du zur Erde nieder,
Und liegst bald im Bette wieder.
Doch dem Platz, wo Du gekommen,
Sei die Fruchtbarkeit genommen!

(Er setzt sich und krümmt sich so, daß er einen ausgebreiteten Adler bildet.)

Selbst kein Grashalm soll dort grünen,
Wo die Polizei erschienen.

Viertel (für sich ).

Morjen um Elwe will ich aber doch beim Präsidenten Anzeige von die Jeschichte machen. Der dustre Keller hat schon immer so was Unheimliches jehabt. Vielleicht is es 'ne Bande Spitzbuben, zu die Nante Nantino überjehen will. (Laut, zu Nagelfari.) Na wie es des? Sie sollten mir ja verschwinden lassen!

Nagelfari

(packt ihn mit beiden Füßen und drückt ihn hinunter).

Du plumpster Knecht der Geister, die verneinen,
Fahr' nieder aus der großen Welt zur kleinen!

Viertel (verschwindend).

Atje!

Nagelfari

(sich auf einem Zweige wiegend).

Habt Ihr, verehrungswürdge Damen,
Varande, Urd und Skuld mit Namen,
Noch Euerm Diener zu befehlen?

Varande.

Luftschlösser hast Du noch zu zählen!

Nagelfari.

Ich werde, Herrin, nicht verfehlen,
Millionen will ich heut besichten,
Und Euch darüber g'nau berichten!

(Er rollt sich zusammen und kugelt sich mit der rechten Hand durch die Lüfte.)

Das ist so meine Art zu reisen!
Luft ist doch besser noch als Eisen!
Könnt' ich's den armen Menschen weisen,
Wie würden sie sich glücklich preisen!


Zweiter Act.

Nante's Kellerwohnung. Früher Morgen.

 

Nante Nantino (schaut gestützten Kopfes durch das Fenster zum Himmel auf).

Ick bin jejenwärtig im Besitz von Drittehalb Jedanken. Der eene Jedanke is: wat is der Mensch? Der zweete Jedanke is: is eine Vorsehung? Un der halbe Jedanke is der, ob ick heute so viel verdienen werde, um meinen Durscht un Hunger zu stillen. Wenn ick vor jeden dieser Jedanken lieber einen Silberjroschen hätte, so wäre des viel anjenehmer für meine Persönlichkeit; denn alsdenn besäße ich ein Zweijroschenstück und in dieses Zweijroschenstück läge eine Vierunzwanzigstündliche Existenz. (Er reißt das Fenster auf und streckt die rechte Hand empor.) Ha, wo is die Sonne meines frühern Jlückes hinjekommen? (Schließt das Fenster wieder und stützt den Kopf; wie früher.) Es is zu windig – sie is fort! Sie is unterjejangen; sie is atje! Es jeht mir miserabel und ich fühle, daß ich anfange, Stoff zu eine Trajödie zu werden. O Jötter, wenn ich man nicht in die Hände eines Jünglings jerathe, der nach seinen bisherijen Leistungen zu urtheilen: zu großen Hoffnungen berechtigt! In die Hände eines Jünglings, der von außen unjeheuer klug is und bereits mehrere Theaterrezensionen schrieb, in welchen dieser dumme Junge von den bedeutendsten Leuten wie von Seinesjleichen sprach! Jötter, nur Des nich! Aber Des is eben des Furchtbare im Schicksal der berühmten Märtyrer, deß sie, wenn sie ausjemärtyrert haben, wenn sie im Leben schon als Trajödienstoff jedient, noch im Tode jeden Dämelsack als Trajödienstoff dienen müssen. (Er reißt das Fenster auf und streckt beide Hände zum Himmel empor.) Stern des Nantino, Du wirst nur der Unstern des lebenden Helden jewesen sind! Du wirst ihn nach dem Dode in jute Hände jerathen lassen, in die Hände eines Dichters! (Schließt das Fenster wieder und stützt den Kopf; wie früher.) Sterben werde ick, des is richtig, darüber herrscht keen Zweifel, darüber is keen langer Monolog nöthig wie in de meisten dummen Trauerspiele. Da Shakspeare sterben mußte, braucht Keener leben zu bleiben. Meinen Dod hätt' ick also so jut wie in de Tasche, aber wie wird es hernach? Ob? oder nich ob? des is die jroße Frage! (Er reißt das Fenster auf, blickt zum Himmel empor und hält den Zeigefinger an die Nase.) Ob? (Schließt das Fenster wieder und stützt den Kopf; wie früher.) Es is noch immer zu viel Wind.

Was war ich? Sonnenbruder war ich! Nich der Bruder der Sonne, Jott sei Dank! denn sonst wär' ich mit den dämlichen Kerrel, den Kaiser von China verwandt, mit diesen Tyrannen, der ihr Onkel is. Ich war insofern Sonnenbruder, als ich den janzen Dag mit meine Brüder in de Sonne stand und wartete, bis mir Jemand Etwas zu dragen brachte. Wenije dramatsche Dichter haben so viel tragischen Stoff in de Hände jehabt wie ich; wenige Helden waren so tief tragisch wie ich, denn ich wohnte im Keller, war immer standhaft, drug, wat mir des Schicksal brachte, kämpfte in viele Keilereien jejen meine Brüder, un mein Unterjang is in der sich ausbreitenden Verzweijung des Fiakerthums unabwendbar. Dies stempelt mir auch, der ich bereits durch meinen klaren Volksverstand literarisch wurde, zur politischen Fijur. Denn als Sonnenbruder bin ick die Repräsentante des Stillstandes, un die Fiaker sind die Bewejung, jejen die ick verjebens zu kämpfen scheine. Ick bin also zeitjemäß.

Aber worum bin ick eijentlich aus den Stand meiner Unschuld in die Oeffentlichkeit jetreten, worum bin ick zum Bejriff jeworden? Hierin liegt mein Schicksal. Sähe nich Alles auf mir, so brauchte ich nich consequent zu sind un als historische Fijur unterzujehen. Da dieses aber so is, wie es is, muß es so sind, wie es is; denn wie jemein wär' es wenn ich als tragische Fijur jetzt, um mein Leben zu fristen, zur Jejenpartei überjehen wollte; wenn ich Kutscher würde! (Er reißt das Fenster auf und streckt die Hand empor.) Nein, Sonne! Erhabene Beschützerin! ich behaupte mir als Held; ich jehe unter! (Er schließt das Fenster und geht mit verschränkten Armen im Zimmer auf und ab.) Mir träumte diese Nacht, ich schliefe unter den lispelnden Bäumen des dustern Kellers un drei hohe jraulich-schöne Gestalten beugten sich über mir un raunten mir ins Ohr, deß die Zeit meines Dodes jekommen sei. (Er steht still.) Was is Traum? Lüje kann er nich sind, denn nur der Mensch lügt; die Jeisterwelt is wahr. Als jemeine menschliche Wahrheit können wir den Traum aber nich fassen, mithin is er überirdische Wahrheit, mithin is der Traum Wahrheit eines Lebens außer uns, eines höhern, fessellosen Lebens. Und also muß ich sterben! Worum aber, wenn die Jeister des Traumes wahr sind, worum sollten merkwürdijere Menschen nich die Kraft haben, einen dieser seiner Jeister sich im wachen Zustande herbeizurufen? (Er streckt beide Hände empor.) O wenn es Jeister jibt zwischen Himmel und Erde, die über des Menschen Schicksal jesetzt sind; wenn Ihr seid, die wir ahnen, so sendet mir den mächtigsten Jeist der Erde! (Die Thür öffnet sich; der Polizeicommissarius Viertel tritt ein.)

Viertel.

Ju'n Morjen!

Nante (zur Erde stürzend).

Weh' mir, welch scheußliches Jesicht!

Viertel.

Meine Physiognomie kann Dir janz einjal sind: Du bist mein Jefangner.

Nante Nantino

So früh? Ick habe noch nich jefrühstückt.

Viertel.

Des jeht mir nischt an: Du kannst Dir allenfalls 'ne kalte Karmnade mitnehmen, aber Du bist mein Jefangner!

Nante Nantino.

Worum, wenn ick fragen darf?

Viertel.

Uf Worum hat sich die Polizei eijentlich nich einzulassen; da Du aber so artig fragst, will ich's Dir sagen. Ich wurde diese Nacht nach den dustern Keller jeholt, wo sich drei Spitzbübinnen und ein durchdriebener Kerl nach Dir erkundigten; und so vermuth' ich unter Euch Alle zusammen: eine Bande. Es jibt aber auf der janzen Welt nischt Belohnenders für einen redlich-besorgten Polizeicommissarius, als 'ne Bande, un darum setz' ich Dir uf Verdacht, um es vielleicht durch de Untersuchung so weit zu bringen, deß meine Vermuthung wahr wird.

Nante Nantino.

Dustrer Keller? O mein Droom! – Hören Se mal, Herr Komzarius, vielleicht haben Sie ooch man blos jedrömt?

Viertel.

Des is janz einjal, der Traum eines Polizeicommissarien is hinreichender Verdacht. Ich werde von der Rejierung bezahlt, folglich jehören meine Träume dem Staate.

Nante Nantino.

Is nich möglich? Hörn Se mal, jehört des ooch der Rejierung, wat Sie essen?

Viertel.

Keine unnütze Fragen! Mach' Dich bereit!

Suschen

(erscheint auf dem Hofe, trägt einen Korb mit Rosen und singt:)

Kauft meine Rosen, meine Rosen, ihr Herrn!
Ich bin des liebe Suschen vom Dorfe nich fern.
Doch nach die Rosen uf meine Wangen
Dürft ihr Calitten nie verlangen!

Die Rosen, die blühen um die Frühlingszeit,
Un sind bald verwelket, wenn's hagelt un schnei't,
Drum der ooch, den mein Blühen soll laben,
Muß selber seine Rosen noch haben.

Die Rosen um Rosen, die Liebe um Lieb'!
Wer's anders will haben, des is nur en Dieb!
Wer die Rosen ohne Liebe will brechen,
Soll der Dorn des Herz blutig stechen.

Laßt mir die Rose im Herzen so schön,
Die Rose im Herz kann kein Sturm nich verwehn,
Sie wird immer duften un jlühen,
Bis die Rosen auf mein'n Jrabhügel blühen.

Kauft meine Rosen, meine Rosen, ihr Herrn!
Ich bin des liebe Suschen vom Dorfe nich fern.
Doch nach die Rosen uf meine Wangen
Dürft ihr Calitten nie verlangen!

Nante Nantino (begeistert).

Wie is mir? Welch ein Himmelsanjesicht!
Wie zieht es mich zu ihr hinüber!
Commzarius, ich folg' Dir nicht,
Ich folge Der, die is mir zehn Mal lieber.
Siehst Du auf ihren süßen Wangen
Die Rosen, schöner als im Korben?
Mir war's, als ob die hohen Engel sangen,
Als sei mir diese Welt jestorben!
Der plumpen bin ich wie entrückt,
In einer höheren entzückt,
Ich höre nichts als Liebeskosen,
Ich sehe Sterne nur und Rosen!

(Er eilt zum Fenster.)

Hier meine Göttin, meine Muse,
Die holde, liebe Rosen-Suse!

Suschen

(giebt ihm eine Rose).

Nimm, Nantino, sie und sei
Willig nun der Polizei;
Droht Gefahr, ruf' mich herbei,
Küß' die Rose drei mal Drei:
SuSchen macht Dich froh und frei.

(Verschwindet.)

Nante Nantino.

War's Traum? War's Wirklichkeit?
Sie, mir so nah, jetzt plötzlich weit?
Mit ihren süßen Zauberklängen,
Mit ihrer Freiheit, ihrer Macht!
Nantino, hätt'st Du's je gedacht?
Das ist des Jenseits Morgenroth!
Nun sterb' ich leicht den Erdentod!

Viertel

(besieht die Rose in Nantino's Hand).

Es is doch nich etwa eine Atrappe, wo'n Dietrich drinn is? Ne! Na, die Rose kannste behalten, aber nu spute Dir un folge mich!

Nante Nantino

(steckt die Rose an die Brust und geht).

So sei es denn! Tag ist's in Kerkernacht,
Wo mir die Rose meines Suschens lacht! (ab.)

Viertel

(für sich; ihm folgend).

Was der Mensch sich um eene sonne Blume hat! Vor'n Silberjroschen kriegt man 'ne janze Hand voll.


Dritter Act.

Schutthaufe in den Ruinen des Opernhauses. Mondnacht.

Von (in einem Kessel rührend; Obscur und Stabil bedienen die Hexenspinne).

 

Gebt mir eine Rabenfeder,
Die ein Censor lang' gebraucht;
Gebt vom großen Stuhl mir Leder,
Das in bairisch Bier getaucht.
Eines Tigers scharfen Zeh,
Einen lettre de cachet,
Brillenglas von Stockgelehrten,
Würmer, die von Leichen zehrten,
Schädelsplitter Kaiser Nero's,
Und den Weisheitszahn Höchstdero's,
Glatte Jesuitenzungen,
Rest vom Schwert, das nie geschwungen,
Hundebeine, klein gebrochen,
Eines Höflings Rückenknochen,
Hirn von einem Royalisten,
Speichel eines Pietisten.
Eines Ex-Regenten Galle,
Eine große Adlerkralle, Sklavenherzen, die noch bluten,
Und ein Haar vom Herrn der Knuten!
Alles rührt mir, Alles rührt
Mit Respect, wie sich's gebührt!
Laßt es kochen, schmoren, braten,
Und den alten Brei gerathen,
Daß ich draus die Stricke spinne,
Ueber diese Erdruine.

Obscur und Stabil.

Laßt es kochen, schmoren, braten,
Und den alten Brei gerathen!

Nagelfari

(auf den Händen gehend).

Dich zu preisen, dich zu loben,
Hexe, komm' ich so verschroben,
Kopf hinunter, Füße oben.
Ungern stört der Nagelfari
Euer süßes Charivari.

Von.

Laßt, ihr Knechte, das Geschrei!

(Zu Nagelfari.)

Was befiehlt das Nornendrei?

Nagelfari.

Weil es, Spinne, Dich bedrohte,
Komm' ich selbst, nicht als ihr Bote.

Von.

Reißt das Nornendrei schon wieder
Einen meiner Fäden nieder?

Nagelfari.

Nant' Nantino's Tod beschloß es
Mich verdroß es,
Daß ein Repräsentant
Vom Stillstand
Dir aus Deiner Hegung
Soll reißen die Bewegung.

Von (lachend).

Hi, hi, hi, das mag geschehen;
Freu' mich schon, ihn todt zu sehen!
Ekel war mir sein Besitz,
Denn der Bursche hatte Witz,
Paßte nie in mein Gewebe.
Drum ich Urden gern ihn gebe.

Nagelfari.

Strickezieh'nde Spinne Du,
Lache nicht zu früh! Im Nu
Wirst du lichterloh erzornen,
Zeig' ich Dir den Spruch der Nornen.

(Er dreht sich um und klappt sich auf.)

Mutter Krummbein, alte Hexe!
Du verstehst ja diese Kleckse!

Von (lesend).

Blumen aus dem Staub des Nante,
Urd nun werdend, zieh' Varande;
Daß durch sie das Volk der Skuld
Löse sich von eigner Schuld.

Nagelfari

(klappt sich wieder zusammen).

Nun, Frau Hex'?

Von.

       Dies Norngemunkel
Ist für meinen Kopf zu dunkel.

Nagelfari.

So will ich Dir's übersetzen;
's wird dich wahrlich nicht ergötzen!
Aus dem Staub des Nante soll
Eine Poesie des Volkes sich entwinden.
Eine Poesie der Jugend,
Frisch und kernig, lebensvoll
Soll die Herzen sie entzünden
Für Freiheit, Schönheit und Tugend.
Denn des Norden ganzes Leiden –
Ich schwör's mit tausend Eiden! –
Seine Hypochondrie
Ist seine Polymathie,
Seine Polyhistorie,
Seine Philosophie
Ohne Volkspoesie. –
Diese muß ihn reformiren
Und kuriren:
Diese macht ihn glücklich und frei!
So spricht das Nornendrei.

Von (Gift spritzend).

Fluch über diese Geisterschwänke,
Ueber diese Ränke,
Die ich zu ohnmächtigen denke!

(Zu Obscur und Stabil.)

Braut mir fertig das Getränke,
Und kündet im stinkenden Dampf
Den drei Nornen unsern Kampf!

Nagelfari (für sich).

Das ist's, worauf ich sinne!
Verdammte alte Spinne!
So wollt' ich es haben;
Nun wirst Du selbst Dich untergraben!
Dein war nur der Sieg,
So lang' Du vermiedest den Krieg. –

(Laut.)

Nun lebt wohl, Muhme Krummbein!
Und verrathet mich nie!
Vor des Hahn's Kikriki
Muß ich um die Erde herum sein!

(Er bläst einen Sturm aus seinem Munde.)

Wind, Wind, Wind!
Trag' mich geschwind!
Kopfunter, Kopfüber!
Je schneller, je lieber!

(Rollt durch die Nacht der ausgehenden Sonne zu.)

Von

(über dem Kessel spinnend).

Spinne, spinne, spinne!
Nicht dünne, dünne, dünne!
Stricke, Stricke, Stricke
Dicke, dicke, dicke!
Ruthen, Ruthen, Ruthen!
Knuten, Knuten, Knuten!

Obscur und Stabil

(schreiend).

Bei der Spinne, die schon dicht war,
Eh' das Licht war!
Als noch Alles nicht war:
Nant' Nantino werde sichtbar!

Nante Nantino (aus dem Schutt aufsteigend).

Na wat is den nanuh los? (Er erblickt die Geister.) I Jott bewahre eenen Menschen, det sind ja abscheuliche Biester! So 'ne jroße Kreuzspinne hab' ick in meinen Leben noch nich jesehen! Die hat ja orndtlich en Jesichte wie 'ne alte Meerkatze! Ach herrjeeses, un wat se vor Fädekens spinnt! Det sind ja Strippen, uf die en Seiltänzer Mühe haben würde, runter zu purzeln. (Zu Obscur und Stabil.) Un wat seid Ihr den da vor Insekten? Ihr schwebt so zwischen Bremse un Nachtwächter; mit Eure Viehsjomieen könnte man Hyänen zu Bette jagen.

(Er sieht sich verwundert um.) Bin ick schon jestorben oder wat is det hier? Wenn Det die andre Welt is, denn muß ick jehorsamst danken!

Von.

Nicht sterben sollst Du, sondern größer leben!
Zum Helden, Nante, will Ich Dich erheben.

Nante Nantino.

Sie .... mir? Ne hören Se mal, verehrte Kreuzspinne, det wird stuckern! Jejen de Fliejen zu Felde zu ziehen, daruf bin ick mit meine menschliche Ausstattung nich zugeschnitten, un en Held mit 'ne Fliejenklatsche würde sich ooch nich besonders ausnehmen. Wenn ick so 'ne große Portion Oogen un so viel Beene hätte wie Sie, denn wär' det wat anders. Denn hätt' ick ooch vielleicht schon früher ne Anstellung als Gensd'arme jekriegt un mir nich vom Sonnenstand zu ernähren brauchen. Ueberhaupt, Fräulein Kr..... oder sind Sie schon verheiratht?

Von.

Wittwe bin ich, Sohn des Zweifels!
Ich war das erste Weib des Teufels.

Nante Nantino.

So? Na, det kann ick ihm nich verdenken, det er sich hat scheiden lassen un 'ne andre jenommen. Also Madam Kreuzspinne, verehlicht jewesene Deibel, wat ick Ihnen sagen wollte, ick halte überhaupt nich viel von det Heldenthum uf Befehl. Wenn ick den Kaiser von China könnte von'n Thron stürzen, det würde mir äußerst amisiren, aber unschuldige Menschen zu morden, blos weil sich vielleicht zwee dämliche Herrscher schief anjesehen haben, det is menschliche Dummheit, welche menschliche Dummheit belorbeert.

Von

(Gift spritzend, für sich).

O würde nicht die Poesie
Aus ihm erweckt,
Er überlebte diese Stunde nie!
Er ist bereits vom Feinde angestecktk. (Zu Nantino.)
Den eignen Feind sollst Du bekriegen!
Die Fiaker wirst Du besiegen.

Nante Nantino.

Die Fiaker? Ja, det is janz wat andersch! Ja, diese Kartoffel kann jepellt werden! Ja, hören Se mal, Madam Kreuzspinne, verehlicht gewesene Deibel, wenn Sie mir dajejen, jejen die Rackers, wollen zum Helden machen, da bin ick dabei. Diesen Napoljon können Sie bei mir genießen.

Von

(reißt einen Strick aus ihrem Gewebe).

Nimm hier diesen Knotenstrick:
Er verschafft Dir Siegesglück.

Nante Nantino

(den Strick schwingend).

Also hier mit diesen Strick
Meinen Feind besiege ick?
Na, die sollen Keile haben,
Det se etwas rascher draben!
Meine Wuth is nich erloschen
Eher, bis der Letzte fährt,
Ohne Marke und Vier Groschen,
Dorthin, wo Allens aufhört.

Ne, det Versmaaß war nich janz voll geschenkt! Mit meine Poesie jeht et noch nich recht: det kommt erst nach meinem Dode, wie mir jestern Nacht Suschen im Droome versicherte. Kennen Sie Suschen, Madam Kreuzspinne? Des is en Mädchen, schön wie 'ne Rosenknospe, die immer ufblühen möchte, wenn sie nich fürchtete, noch schöner zu werden un de Schmetterlinge anzulocken. Die verhält sich jrade zu Ihnen, wie der feinste Schlampamper zu Braunbier. (Schwingt den Strick wieder.) Na nu lassen Se mir wieder aus de Jeisterwelt in de Körperwelt zurück. Mir heldert fürchterlich; ick kann mir den Lorbeer nich länger ufhalten.

Von

(auf den Kessel deutend).

Reicht ihm erst, Obscur, Stabil!
Einen Becher dieser Brühe,
Daß sein Muth recht hoch erglühe.
Schnell! Ceremonirt nicht viel!

Nante Nantino.

Wie meenen Se? Von dieses Jesöffe da wollen Se mir einen Becher verehren? Ne, entschuldjen Se! Et is recht schäntil von Ihnen, det Sie 'ne Bowle zum Besten jeben wollen, indessen, wenn Sie's nich übel nehmen, wäre mir ein Jlas Rothspon lieber. Schnaps drink' ich nämlich nich mehr, weil dieser nich zu meine öffentliche Bedeutung paßt.

Von.

Trinke nur vom Spinnenwein!
Er hat Geist und duftet fein!

Nante Nantino

(nimmt den Becher).

Ne hören Se mal, Madam Kreuzspinne, Jeist mag der Wein haben, det will ick nich untersuchen, aber wat die feine Duftung betrifft, da muß ick bitten. Mit die Blume von den Wein verpest' ick 'ne janze Residenz, wenn't druf ankommt. Ne, wenn Se jütigst erlauben, werde ick dieses Jewächs stehen lassen. Ick bin schon von den bloßen Jeruch so düslich jeworden, det ick mir kaum mehr uf de Beene halten kann.

Von.

Trinkst Du nicht, im Augenblick
Fällst Du über deinen Strick
Kurz und klein Dir das Genick!

Nante Nantino (empört).

Was? Ne, der Unterjang wäre mir doch zu trajisch! Ich daran sterben, deß ich nich drinken wollte? Ne, des is zu unnatürlich! (Er holt heimlich die Rose aus dem Busen und küßt sie neun Mal; für sich.)

Ros, ich küß' Dir drei mal drei;
Holde Suse, steh' mir bei,
Deß der Soff nich schädlich sei!

Hab' ich's mir nich jedacht? Der Spinnenwein riecht nach lauter Rosen! Suse verläßt mir nich! (Laut, indem er den Becher an den Mund setzt.) Fürchterliches Jedränke, runter mit dir!

(Er trinkt und sinkt in Flammen unter.)


Vierter Act.

Gefängniß.

Nante Nantino (allein).

Ich bin janz allein, un es is merkwürdig: immer wenn ich janz alleine bin oder mit juten Jeistern zusammen, so fühle ich meine künftije poetische Nachfolje sich in mir rejen, wie eine Frau in jesejenten Umstanden ihr jeliebtes, ihr noch unbekanntes Kind. Durch den Spinnenwein bin ich nun janz zum Helden jeworden, und ich bin auch bereits im Jefängnisse, ohne welches kein dramatischer Held existiren kann. Die Jefängnisse sind dazu da, daß Monologe jehalten werden, un deshalb halt' ich einen, Monolog, entwickle Dir!

(Mit verschränkten Armen.)

Berlin hat Sieben Elemente. Das Thee-Element, welches sich in den Romanen der Frau von Paalzow und noch anderswo ausspricht; das Weißbier-Element, das Büreauwesen und die Philisterei; das Essig-Element, die Philosophie; das Blut-Element, seine besseren Dichter; das Tinten-Element, die alljemeine Schreibewuth, die Bildung ohne Geist und Talent; das Milch-Element, die sanfte berlinische Weiblichkeit, und endlich das Spiritus-Element: Ich! Dies Letztere, mein Bereich, so ist es beschlossen, soll sich zum Wein-Element veredeln, und deshalb muß ich unterjehen. Da aber Spiritus, der Geist, nie unterjehen kann, so jeht nur meine menschliche Person unter. Als Person aber bin ich Sonnenbruder und meine mich vernichtenden Feinde sind die Fiaker, und darum muß ich im Kampfe jejen diese jejen die Bewejung, unterliegen.

Aber warum muß? Haben Das Jeister beschlossen, so haben andere Jeister anders beschlossen. Die Kreuzspinne will mich zum siegenden Helden machen, warum sollte ich diese Anstellung verschmähen? (Er ergreift den Strick.) Ich werde Held!

Bevor ich aber Held werde, muß ich aus des Jefängniß wieder raus, in welches ich nu schon mehrere Dage uf Verdacht sitze. Wie komm' ich raus? Die Dhüre is zujeschlossen, wie dies öfters bei Jefängnissen der Fall is, und die Fenster haben Jalousien von Eisen.

Ha!

Sie soll mir helfen!

(Er nimmt die Rose und küßt sie neun Mal.)

Ros', ich küß' Dir drei mal Drei;
Holde Suse, steh' mir bei!
Mache den Nantino frei!

(Das Gewölbe öffnet sich, Suschen fährt in einer großen Rose, von Sechs Lerchen gezogen, zu ihm herab.)

Suschen.

Riefst Du mir?
Ich bin hier.

Nante Nantino.

Himmlische Suse, zuvörderst dhu' mir den Jefallen un sage: riefst Du mich! Das: »Riefst Du mir« is nu nachjrade schon so verbraucht, deß es einen zum Halse raushängt.

Suschen. (lächelnd).

Riefst Du mich? Ich bin hier.

Nante Nantino.

So is es recht! Es reimt sich zwar nich, aber des schadt nichts, Allen» braucht sich nich zu reimen.

Suschen.

Freilich muß sich Alles reimen
In der schönern, höhern Welt;
Da das Dasein und das Reimen
Liebend aneinanderhält. –
Wär' nicht Reim im Reich der Sterne,
In der ganzen Schöpfung Lauf,
Löste sich in Näh' und Ferne
Harmonie und Ordnung auf.
Darum bildeten die Geister
Ihre Sprache nach dem Meister. –

Nante Nantino.

Dieses is mir zu hoch, das versteh' ich nich. Meine himmlische Suse muß irdischer reden, wenn ihr zärtlicher Nantino sie bejreifen soll. Suschen, ach, warum bist Du mir erschienen? Meine Seele hat sich, um mich einer schönen Sprache zu bedienen, ganz in der Deinigen aufgelöst. Ich liebe Dich und bin unglücklich, denn Du darfst als höheres Wesen meine Liebe nich erwiedern, so viel ich aus Komödien von der höhern Welt losjekriegt habe. Und daß Du schönern Sphären anjehörst, hast Du mir bei der Kreuzspinne bewiesen, als Du den abscheulichen Soff duften ließest. Auch würde mich diese Deine Equipage schon von Deiner vornehmen Jeburt überzeugen. Eine Rosen-Droschke mit Sechs Lerchen hab' ich in meinen janzen Leben noch nich jesehen! Hör' mal, Suseken, weeßte wat? Laß' mir mal in die Rose aus de Decke fahren! Laß' mir mal von die Lerchen in einen reinem Aether reinschmettern, ja?

Suschen.

Das geht nimmermehr;
Du bist viel zu schwer.

Nante Nantino

So? Des thut mir leid; ich wäre jern mal mit diese Lerchen-Postillone eine Station uf de Himmelsstraße jefahren. Aber, Suseken, jetzt sei mal so jut, erzähle mir Deine Lebensjeschichte un, wenn ich bitten darf, in Prosa, des is mir verständlicher. Es is Dir doch erlaubt, mit Sterblichen prosaisch zu reden?

Suschen.

Freilich!

Nante Nantino (setzt sich).

Also man zu!

Suschen.

Das ist in kurzen Worten abgethan. Ich bin die Volkspoesie, eine Tochter des Luftgeistes Nagelfari, Herrn der Vögel und Wolken, Oberaufseher sämmtlicher Luftschlösser und Minister der Nornen. Ich wurde am ersten Schöpfungstage geboren, bin das Rosenmädchen in Asgard, im Himmel, bleibe ewig jung, und kann auf der Erde jede beliebige Gestalt annehmen. Werde ich aber als menschliches Wesen durch Liebe verführt und bleibt diese Liebe ohne Segen, so bin ich für immer aus Asgard und von meinem Vater verstoßen; gebe ich dagegen der Erde ein holdes Kind, so hat dasselbe außer den Eigenschaften seines Vaters, meine höheren Gaben, sein Lächeln und Weinen bringt Poesie in Eure trockne Alltagswelt, und ich kehre als unentweihtes Rosenmädchen wieder nach Asgards himmlischen Fluren zurück.

Nante Nantino.

Na denn rath' ich Dir nich, Dich in die jetzige kritische Lit'ratur zu verlieben. Aber Suschen, Fräulein Ministern, was sagst Du da? Du bist verändrungsfähig? O diese Eigenschaft ist mir noch niemals bei einer Dame vorjekommen! Suseken! Bei meiner reichen, jroßartijen, erdeverjessenden Liebe zu Dir: dhu mir den Jefallen un stehe plötzlich als Landsmännin, als niedliche apptitliche Berlinerin vor mir!

Suschen (sich verwandelnd).

Hier siehst du mir als Berliner Järtnerin, Nanteken!

(Die Lerchen fliegen singend mit dem Rosenwagen durch das Gewölbe; dies schließt sich.)

Nante Nantino (freudig).

Js et möglich! (Sie umspannend.) Suseken, mein eenzigstes Suseken, ich komme um vor Liebe! Mir is, als hätt' ich zehn Dausend Lerchen in de Brust, die alle zum Himmel rufschmettern wollten.

Suschen.

Mein süßer, jeliebter Nantino!

Nante Nantino (küßt sie).

O diese Rose laß' mir drei mal Drei un wieder drei mal Drei küssen, bis Du mir auf ewig jehörst, bis wir zu ew'jer Seligkeit in Eens zusammenjeschmolzen sind, deß kein Jott uns nich lösen kann!

Suschen (sich matt sträubend).

Nantino!

Nante Nantino (immer stürmischer).

Uns hat der Himmel zusammenjefügt! Hier hört mein Wille, meine Kraft uf! Hier hörst Du uf, hier höre ich uf! Du bist mein, ich bin Dein! Du bist Ich, Ich bin Du!

Suschen

(wie Schwanensang).

Ach, die Rose wird entblättert!
Meine Seele ist entgöttert,
Da sie liebend sich verirrt!
Meine Unschuld ist verloren!
Asgard schließt sich, und es wird
In der Lust der Schmerz geboren.

(Man hört Schlüsselgeräusch.)

Nante Nantino.

Weh' uns, die Henker nahen! Flieh', Suschen, flieh!

Suschen.

Ich kann nich mehr! Mir is wie en Vogel, der verjebens flattert, dem die Flügel jeschnitten sind. Meine höhern Jaben sind dahin; ich bin irdisch wie Du!

Nante Nantino.

Armes Weib!

Viertel (höchlich erstaunt).

Was is'n Das? Ne nanu steht mir doch mein Verstand stille! un wenn der Polizei-Verstand stille steht, denn muß es arg kommen. (Er geht zum Fenster.) Die Eisenstäbe sind unverletzt! (Er sieht sich um.) Keene Mauer entzwee! Der Fußboden janz! Ne da is det Ende ren weg; da tritt Phantasie ein! (Auf Nantino losgehend.) Wie is des Mächen hiereinjekommen? Ich frage: wie is des Mächen hiereinjekommen?

Nante Nantino (sehr gefaßt).

In 'ne Droschke.

Viertel.

Wat? In'ne Droschke? Er is woll besoffen?

Nante Nantino.

Ne, so viel Spiritus enthalten Ihre Redensarten nich, deß sie diesen Erfolg bewirkt hätten.

Viertel (äußerst streng).

Ich frage: wie is dieses Mächen hiereinjekommen?

Nante Nantino (ebenso).

Ich antworte: in eine Droschke!

Viertel.

Jut! Du willst es nich sagen? (Mit Pathos.) So is sie ebenfalls eine Verbrecherin! So is sie ebenfalls Jefangne! So wird sie wahrscheinlich ebenfalls hinjerichtet!

Nante Nantino (wild).

Waat? Ebenfalls Verbrecherin? Ebenfalls Jefangene? Ebenfalls hinjericht't? Weshalb sollen wir hinjericht't werden; weshalb sind wir Verbrecher; he?

Viertel.

Ihr sitzt uf Verdacht; det is jenug!

Nante Nantino (außer sich).

Ne nu reißt mir die Jeduld! Nu reißt mir selbst meine deutsche Jeduld; nu werd ick Ausländer! (Er bemerkt den Strick und ergreift ihn.) Aber dieser Strick reißt nich! Dieser Strick, fürchterlicher Comzarius, wird nich reißen! Kreuzspinne, steh' mir bei. Dein Zaubertrank, von Suschen entschädlicht, mache mir zum Helden! Alexander, Hannibal, Cäsar, alter Fritze, Napoleon: ich jeselle mir zu Euch! Nachwelt, nenne Nantinon mit ihnen zusammen! (Er schwingt den Strick über Viertel.) Pollezei, fahre hin, von wannen Du jekommen!

Viertel (stürzt hin).

Weh' mich!

Nante Nantino.

Ha, Kreuzspinne, Dein Soff war jut!

Viertel (im Wahnsinn).

Neue Jrünstraße Nummer 57 schläft Jemand schon seit zwei Nächten beim Schneidermeister Pudeke, der nich anjemeldt is. (Wild lachend.) Ha, Verräther! (Stier auf den Boden blickend.) Sophie Doretheee Charlotte Jutschmidt is vom Conditer Meier zum Tabackshändler Lehmann jezogen, ohne deß Meiers sie abjemeldt haben. (Wild.) Ha, Demajogen, Demajogen! (Er geht mit zärtlichen Blicken auf die Eisenstäbe des Fensters los.) Ei, sieh' da, sieh' da die schöne Staatsuniform, das feine Jewebe! (Höchst traurig.) Der Schusterjeselle Andreas Susemeichel aus Pirna hat anjeblich seinen Paß verloren. (Weinend.) Unglücklicher! (Befehlend.) Jensd'arm Wiesenerr, kommen Sie mal mit nach den Victualienkeller um de Ecke, da halt sich wat uf! (Lächelnd). Sie brachten mir schon einen Spitzbuben, als ich heut Morjen aufstand un ...... (mild.) Aufstand? Wo is en' Aufstand? Wer is en Aufstand? Ha, an de Jertraudtenbrücke is en Auflauf! (Beruhigt.) Ne. Vor anderthalb Stunden is blos eine junge Katze in de Spree gefallen. (Vor sich hin.) Der Klempnermeister Jrunewald is jestorben, ohne der Polizei Anzeige davon zu machen. (Hüpfend). Ei, ei, ei! Zehn neue Bücher sind verboten! Ei, ei, ei! (Er erblickt Suschen und starrt sie an.) Was? Bist du nich die Jedankenfreiheit! (Aengstlich.) Ja, Du bist die Jedankenfreiheit! Weh! Weh! (Er flieht und drückt sich in eine Ecke des Gefängnisses.) Fort! fort! (Stürzt hin.) Blaue Tinte! Blaue Tinte? (Röchelnd.) Ne imprimatur! (Stirbt.)

Nante Nantino.

Er is dodt! (Den Strick schwingend.) Auf, zum Heldenthum! Kreuzspinne, jib mir ein Herr! Leb' wohl, Suseken, leb' wohl! Beld befreie ich Dir aus des Jefängniß, und feßle Dir auf ewig an mir!

(Stürzt fort).

Suschen

(hinsinkend, ihm nach).

Nantino!

Eine Nachtigall

(am Fenster, singt:)

Nagelfari sendet mich,
Holdes Suschen, zu trösten Dich!
Bald, o bald wirst Du Mutter sein!
Auf Lerchengefieder
Schwingst Du Dich wieder
In Asgard ein.
Suschen, so süß,
Die uns verließ,
Irdischer Liebe zu fröhnen:
Wiege die Schmerzen
In Deinem rosigen Herzen,
Bis wir die Götter versöhnen!


Fünfter Act.

Schlachtfeld auf dem Pariser Platz.

 

Chor der Fiaker

(mit den Peitschen knallend).

Brüder, haltet fest zusammen!

Chor der Kriegsräthe

(ihm gegenüber).

Unser Muth soll neu entflammen!

Chor der Hofräthe.

Die Tendenz ruft, die verwandte,
Auf zum Siege! Auf, mit Nante!
Nieder mit der kleinsten Regung!
Nieder, nieder die Bewegung!

Die Siegesgöttin auf dem Brandenburger Thore (applaudirend).

Bravo! Bravo!

Nante Nantino (schweißbedeckt).

Auf, Kriegsräthe und Hofräthe, auf! Das ist die Bewejung, wir sind der Stillstand! Stillstand beweje Dich, bis die Bewejung stlllsteht! (Schwingt den Strick.) Keilerei! Keilerei! (Er stürzt sich mit seinem Heere in den Feind.)

Chor der Fiaker.

Peitschen! Fest die Wagenburg!
Laßt die Stricke nimmer durch!

Die Siegesgöttin (applaudirend).

Bravo! Bravo!

Nante Nantino.

Der Feind wird matt! Sucht in die Droschken zu kommen! Aber wer Vier Jroschen zahlt, is des Dodes!

Chor der Kriegsräthe.

Und wenn wir auch weichen müssen, wir behaupten das Schlachtfeld – behauptet zu haben!

Die Siegesgöttin (applaudirend).

Bravo! Bravo!

Nagelfari (in der Luft).

Nant' Nantino könnte siegen,
Also sei es nun genug,
Denn nach meiner Nornen Spruch
Muß der Volksheld unterliegen.

(Er nimmt ein Brennglas und hält es über Nantino.)

Muhme Sonne mit dem glüh'nden Blick!
Nun verzehre mir Nantino's Strick.

Nante Nantino.

Rettung! Rettung! Der Strick brennt in mei Hand! Ick bin verloren! (Er sinkt nieder.)

Chor der Hofräthe.

Weh', der Führer ist gesunken!

Chor der Kriegsräthe.

Unser Held, er ist betrunken!

Chor der Hofräthe.

Nein, der Strick ist ihm verbrannt!

Chor der Fiaker (triumphirend).

So hat sich das Glück gewandt!

Suschen

(eilt mit einem geflügelten Kinde herbei).

Nant' Nantino! O die Schmerzen!
O das namenlose Glück! Wende
Deinen letzten Blick
Auf Dein Kind an meinem Herzen!

Nante Nantino.

Fluch der Hexe, die jesponnen!
Deß ich nich die Schlacht jewonnen.

(Er küßt das Kind.)

Sejen Dir, Du holde Jeere!
Der ich jern noch Führer wäre.

(Suschen die Hand reichend.)

Lebe wohl, Du wundersüßes Wesen,
Meines Tages schönes Abendroth!

(Immer matter.)

Das Leben ist Krankheit! Willkommen, Tod!
Lebt wohl, lebt wohl! Ich bin genesen.

(Stirbt.)

Suschen

(verklärt, bestreut ihn mit Rosen).

All dieses Lebens Sturm und Tosen,
Versöhnen Odin's Zauberrosen.

(Sie küßt ihn.)

So weih' ich Dich zu höherm Glücke!
Hinauf, hinauf! Schon harrt Heimdalla
Dort an des Regenbogens Himmelsbrücke!
Auf Wiedersehen in Walhalla!

(Sie steigt in den Rosenwagen mit sechs Lerchen bespannt, küßt ihr Kind noch ein Mal und läßt's dann flattern. Zu der staunenden Menge:)

Berliner, martert diesen Engel nie:
Er ist die norddeutsche Volkspoesie!

(Fährt hinauf.)

Chor der Kriegs- und Hofräthe.

Weh' uns! Weh' uns!

Chor der Fiaker.

Juchhei! Juchhei!
Wir sind frei! Wir sind frei!
Juchheissassa Juchheissassa!

Siegesgöttin

(tanzt vor Freude und klatscht in die Hände).

Victoria! Victoria!

Das Kind

(zur Stadt flatternd).

Jespänt von meiner Mutterbrust,
Fühl' ich nach Nahrung jroße Lust.
Vielleicht is hier schon untern Linden
En Bischen Poesie zu finden.

(Bengalisches Feuer.)

Confusionsrath Hornvieh.

Soll mer meine Conßession jenommen werden, wenn des nich en hübschet Stück is! (Dem Kinde nachrufend.) Hörn Se mal, wenn Se en Paar Stücke fertig haben, ich jebe se! Bei Jott, ich jebe se! Mein Saal hat die historische Aufjabe zu de norddeutsche Volkspoesie, den Küstnern seine Häuser passen nich dazu! Hör'n Se, Engel! Ich will jleich heute an de Rejierung schreiben (er hustet) lassen, deß se mir Censurfreiheit jibt.


Der Geist Nantino's

(beim Erscheinen dieser zweiten Auflage über Berlin schwebend:)

Fünf Jahre sind dahin geflossen
Seitdem ich in Walhalla bin:
Und immer noch derselbe kleine Sinn!
Noch keine großen, geistesstarken Possen!
Im Kampfe gegen die Bewegung fiel
Ich als ein Held; ich starb, ich wollte sterben;
Die Poesie des Volkes war mein Ziel.
Und noch such' ich vergebens meinen Erben!
Wo bist Du, Rosenkind mit Deinem Dorn
Des scharfen Witzes, lachender Satyre,
Mit zorn'ger Lieb und liebevollem Zorn:
Wo bettelst Du, an welcher kleinen Thüre?

Mein Volk, du hast geduldet und gerungen;
Du, Riese, bist aus Deiner Schmerzensnacht
Endlich zur That, endlich zum Tag erwacht;
Die Despotie, die schwache, liegt bezwungen
Und scheinbar todt geworfen in den Sand
Durch einen Nasenstüber deiner Hand.

Sie ist nicht todt! Die alte Abgottsschlange
Rührt sich in sicherem Versteck
Von all dem alten Quark und frommen Dreck
Und speit ihr Gift auf jede rothe Wange.
Die wahre Freiheit, du erreichst sie nie
Ohn' eine neue frische Poesie:
Tausend Kanonen heben keine Schranke
So leicht und lieblich auf wie der Gedanke
Und keine eurer blut'gen Waffen ist so spitz
Und treffend wie der holde Witz!

Mein Rosenkind, ergreife schnell die Zügel
Des Pegasus und löse seine Flügel!
Du Volk da unten mit dem krummen Rücken,
Hör' auf dich vor dem alten Ruhm zu bücken.
In Deiner Unbildung und Unart liegt
Der neue Geist, liegt die geniale Kraft,
Die über unsre vornehme Gemeinheit siegt
Und uns die Freiheit in der Schönheit schafft!

 


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