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Wiederum sank eine Nacht zur Erde, am klaren Himmel zogen die ewigen Sterne herauf, und der liebe Gott ging still durch die Welt, als zu mir die Liebe kam. Wie eine längst vertraute Freundin setzte sie sich mir gegenüber an das Fenster und begann: Ich will dich heute zu einer Mutter führen. Einer schmerzensreichen, die eine Dulderin und Blutzeugin der Liebe ist! –
Ihre Leidenzeit begann schon damals, als sie meine Freundin wurde und zum Ärger ihrer wilden Brüder das weiche Herzlein am liebsten jedem ersten besten Bettler geschenkt hätte, der am Wege lag. Damals war sie noch ein kleines, liebes Mädchen, mit zwei schönen, kastanienbraunen Zöpfen und mit wunderbaren Gazellenaugen. Als sie später zur Jungfrau erblüht war, machte sie der Zufall mit einem braven Menschen bekannt, der in den Augen der Welt nur die eine, doch wesentliche Untugend hatte, daß er ein armer, niedriger Bursch war. Aber darnach fragt nicht die Liebe. Hannchen hatte ihm viel zu tief in die gutmütigen, treuen Augen gesehen, und da auch ihr heimlich Geliebter sein Herz an sie verloren hatte, ermutigte sie ihn und sagte Herz und Hand ihm zu. Das geschah freilich gegen den Willen der dünkelhaften Eltern, die ihre Tochter um jeden Preis mit einem reichen Manne verheiraten wollten. Aber das willensstarke Mädchen blieb fest, und als es dem Mann seiner Wahl zum Altar folgte, sagten sich die Harten von ihrem Kinde los und enterbten es.
Nach sechs Monaten einer glücklicher Ehe verunglückte der Mann bei der Bahn. Sie brachten ihn sterbend seiner Frau ins Haus, und am andern Sonntag lag er schon draußen vor der Stadt unter dem stillen Hügel.
Als der Frühling in das Land zog, kam ihre Stunde. Mit Schmerzen hat sie das Kind geboren und mit Sorgen groß gezogen. Ihr bescheidnes Witwengehalt reichte kaum zur Notdurft des Lebens. Also war sie gezwungen zu verdienen. Mit dem Nähen ging es nicht, denn ihre Augen hatten gelitten. Und sonst besaß sie keine Fertigkeiten: an ihrer Wiege hatte nicht die Not gestanden, und sie war zum Brotverdienen nicht erzogen worden. Da blieb ihren zarten Händen nichts weiter übrig, als zu waschen. Und das führte sie aus. Das tapfere Weib plagte sich vom frühen Morgen bis in die sinkende Nacht hinein. Aber niemals hörte man aus ihrem Munde eine Klage. Sie schaffte ja für ihren Liebling, für ihren kleinen, goldlockigen Burschen! Die Unterstützung ihrer Eltern, die ihr von den Bereuenden angeboten wurde, wies sie nunmehr zurück. Denn sie dachte an ihren gestorbenen Mann, den sie in der Erinnerung noch inniger liebte.
Das ging so drei oder vier Jahre. Im vorigen Sommer wars, da kam an einem Morgen ein fremdländischer, vornehmer Herr zu ihr, dem drüben im fremden Lande sein Söhnchen gestorben war. Er hatte zufällig den kleinen lieben Walther auf der Gasse spielen sehen, und betroffen von der Ähnlichkeit mit seinem toten Billy, suchte er die Mutter auf – und bat sie um das Kind. Er stünde ganz allein in der Welt, sagte er, und er möchte gern den Kleinen an Sohnesstatt annehmen. Als Entschädigung wollt er der Mutter bis zu ihrem Lebensende eine Jahresrente sicherstellen, von der sie gut auskömmlich leben konnte. Außerdem bot er ihr sofort eine hohe Barsumme an, die allein für die arme Frau ein ganzes Vermögen galt. Die Bedingung war nur die, daß der Knabe von Stund an ganz und gar seinem neuen Pflegevater zugehören müsse, der ihn mit hinüber über das Große Wasser zu nehmen gedachte, und daß Walther bis zum fünfzehnten Lebensjahre von seiner Mutter in Deutschland nichts erfahren dürfe.
Eine Minute überlegte sich die Frau dieses Anerbieten, das sie mit einem Schlage von allen Sorgen um ihres Kindes Zukunft befreit hätte. Dann aber sagte sie ruhig: »Nein, Herr, behaltet euer Geld, ich behalte meinen Jungen. Soviel, daß er mal was Tüchtiges lernen kann fürs Leben, will ich mir schon verdienen mit meinen zwei gesunden Händen, und dann mag Gott weiter helfen! Ich denke, wenn es mein Kind zu etwas Rechtem im Leben bringt aus eigener Kraft, so ist das mehr wert, als wenn ihm die gebratnen Tauben in den Mund fliegen. Gott befohlen, Herr!« –
Das war im vorigen Sommer. Die Frau hat weiter gewaschen und sie wäscht noch heute, und jeden sauer verdienten Groschen, den sie fröhlichen Mutes für ihren kleinen Krauskopf abends nach Hause trägt, legt sie ihm in die Sparbüchse für die Zukunft, und sie ist stolzer auf diese Groschen, als ein Krösus auf seine Millionen!
Einen Augenblick schwieg die Liebe, und mir schien es, als schimmerte in ihrem tiefen Auge eine Träne. Dann fuhr sie mit leiser Stimme fort: Heute wird die arme Mutter ihre letzte Liebestat vollbringen. Der liebe Gott hat mich ausgesandt, damit ich ihr beistehe und ihr den letzten Schmerz in dieser Welt erleichtere und verkläre. – Nun komm, mein Freund, ich will dich zu ihr führen! Sie wohnt nur wenige Gassen von hier in einem so einsamen, armen Dachstübchen wie das deine ist.
Wir tappten uns die finstre Treppe hinunter und traten aus dem Hause. – Das Wetter war umgeschlagen. Keine Seele auf der Gasse, kein Stern am Himmel! Ein kalter, trockener Wind pfiff über die Dächer. – Als wir in das erste Quergäßchen einbiegen, fällt mir ein brandiger Geruch auf. Doch ich achte nicht weiter darauf und sage auch nichts zu meiner Begleiterin, die ganz schweigsam geworden.
So gehen wir vielleicht noch tausend Schritte weiter. Da rennen an der nächsten Ecke einige Menschen über die Gasse. – Und gleich darauf wieder welche! – Und jetzt ein ganzer Schwarm! – Was soll das bedeuten? – Was ist hier geschehn? – Ein Verbrechen –? Ein Unglück –? Ist Feuersgefahr –? – Ich blicke zum Himmel. Der brütet schwarz! Noch ist kein Schein zu entdecken! Doch rennen der Menschen immer mehr, und ich selber fang' an zu rennen – Aber jetzt –? Diese Töne –? Was kann das sein?! ...
... Welch Nachtlied mit erzgepanzertem Klang
Hallt gell durch die schlummernden Gassen?
Das ist der Glocke Sturmgesang,
Den die Winde heulend erfassen
Gleich hungernden Wölfen, und jagen wild,
Bis Schrecken durch alle Gassen schrillt!
Wacht auf, ihr Schläfer – wacht auf, geschwind –
Heut geht es um Leben und Sterben!
Schon züngelt die Flamme, schon peitscht der Wind
In den Nacken das rote Verderben –
Durch Dach schon und Türmlein bricht lüsterne Wut
Und ergießt in die Nacht Rotflammenblut!
In der Nachbarschaft fliegen die Fenster auf:
»Zu Hilfe! – im ›Roßhof‹ ist Feuer!« –
Da rast schon die Spritze die Gasse herauf,
Ein dampfendes Ungeheuer! –
Nun speit es Ströme auf Ströme aus,
Doch eh' nur die Fluten erreicht das Haus –
Verwandelt ist alles in Dampf und Gebraus,
Und es lecken nur höher die Flammen
Und lodern hoch zu den Fenstern hinaus,
Helllachend, und prasseln zusammen. –
Und unten die Menge sich drängt und drückt
Und steht wie gebannt und starrt wie verzückt.
Da bricht durch die Reihen ein jammernd Weib,
Und wie sie das Unheil gesehen,
Umschlingt Verzweiflung den wankenden Leib,
Und der Ärmsten Sinne vergehen.
Doch endlich, da ringt sie, rafft sich und schreit
Hinaus in das Lauschen ihr wildes Leid:
»Meinen Liebling – mein Kind – o mein Leben und Glück –
Erhört kein Gott meinen Jammer?! –
Ich ließ es in seinem Bettlein zurück
Dort droben in letzter Kammer! –
Ihr wackern Männer, ihr helft geschwind:
O eilt und rettet, rettet mein Kind!«
»Geh, armes Weib – du kommest zu spät!
Ein Wahnwitz wär solches Beginnen!
Hier nützt keine Stiege und kein Gerät,
Dein Kämmerlein zu gewinnen!
Schon neigt sich der Giebel, das drohende Dach –
Sie begrüben uns stürzend mit Donner und Krach!«
»Ich will euch führen, ja, kommt mit mir,
Ihr Guten, o laßt euch beschwören!
Auf meinen Knieen lieg' ich hier,
Und ihr werdet,
müßt mich erhören!
Wer einer Mutter Verzweiflung nicht hört,
Ist der eigenen Mutter Schmerzen nicht wert!«
Vergebens! Hier hilft kein Bitten und Flehn!
Schon sieht man die Fähnlein streichen
Und rot um das Fensterlein droben wehn –
Und die Augenblicke entweichen! ...
Da springt sie von Erden – »Hör, Gott, meinen Mund!« –
Und mitten hinein in den Feuerschlund!
Ein Aufschrei aus Tiefen – dann Todesruh –
Es erstarren die Schreckensrufe ...
Die Unselige stürzt – schon knistert ihr Schuh! –
Treppaufwärts von Stufe zu Stufe!
Schon tanzt ihr die Flamme ums Angesicht –
Schon sprühen die Funken ins Augenlicht –
Und mörderisch schlägt schon die gierige Glut
In ihr Denken die Geierfänge,
Trinkt aus den Adern ihr Lebensblut –
Da klingt es wie ferne Gesänge! ...
»Ist das mein Liebling, der singt und spricht ...? –
Mutter Gottes, Maria, verlasse mich nicht!«
Und weiter rast sie – hindurch und empor! –
Durch krachende Balken und Trümmer –
Noch diesen Gang – nun steht sie davor,
Vor der Kammer, und hört Gewimmer! –
Ach nein! Im Bettlein, der kleine Mann,
Er schläft und lächelt die Mutter an!
Und wie die Mutter das Mündlein geküßt
Und zwei Ärmchen sie weich umschlingen,
Da lallt ihre Lippe: »Mein Heiland Christ,
Nun will ich Dir lobsingen!« –
Und sie wandelt singend zur Tür hinaus –
Das Kind auf den Armen – ins brennende Haus ...
Da grüßt ein Brausen – ein flammendes Meer
Schwillt grausend und wogt ihr entgegen;
Und glühende Wolken wälzen sich schwer,
Verströmend in funkelndem Regen;
Und es faucht und fegt die fliegende Brunst:
Umspült ihren Atem, verspülend im Dunst.
Sie murmelt ... und lallt ... und starrt in die Flut,
Da winkt keine Insel und Landung,
So schmilzt ihres Lebens Abendglut –
Und sie lauscht dem Liede der Brandung ...
Jetzt
bläht sich die Glut – jetzt
berstet das Dach ...
Da schwankt sie zurück ins enge Gemach.
Doch näher und näher quillt Glut und Qualm,
Grinst Wahnsinn und Flammengespenster ...
Die Mutter singt seltsam, es klingt wie ein Psalm,
Und sie klettert singend aufs Fenster.
»Du kleiner Bursche in meinem Arm,
Schlafe, mein Liebling, du kennst keinen Harm!
Kennest kein Elend, nicht Not und Gram,
Nichts weißt du von Haß noch Strafe,
Nun lausche dem Liede, das
ich vernahm –
Schlafe, mein Liebling, schlafe!« ...
Und wie in Gluten die Mutter so singt,
Lockt singend die Tiefe, der Abgrund klingt! ...
»Mein Herz ist ein Bettlein, weicher wie Flaum –
Bleib ruhig, mein Kind, und schlafe!
Trag dich auf Flügeln, wie Englein im Traum –
Ave Maria, ave!« ...
Und wie die Mutter noch also singt –
Hinunter sie in die Tiefe springt!
Und im Sturz noch, da tönt es wie leiser Gesang,
Da hört man auf fernenden Schwingen,
Was durch die unsterbliche Seele klang,
Wie Sterbeweise verklingen ...
Und ob heiß einer Mutter Leben verrinnt –
Hoch in den Armen, da atmet ihr Kind! ...