Friedrich Gerstäcker
In der Südsee
Friedrich Gerstäcker

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6.

Legs hatte ganz recht gesehen. Unter den Frauen entstand in diesem Augenblicke eine auffallende lebhafte Bewegung, und während bis dahin die Männer hauptsächlich den inneren Ring der Zuschauer gebildet hatten, drängte sich jetzt der weibliche Teil der Bevölkerung vor, um an der Verhandlung und ihrem weiteren Verfolge vielleicht tätigen Anteil zu nehmen.

Jedenfalls geschah dieses auf ein Zeichen, vielleicht auf einen Befehl Toanongas, der indessen seine Augen aufmerksam im Kreise umhergehen ließ und die ihm näher drängenden Frauen zu mustern schien. War das wirklich der Fall gewesen, so kam er damit bald zu einem Resultate; denn er sah nach wenigen Minuten schon wieder still und nachdenkend vor sich nieder, nur dann und wann nach den Egis hinüberhorchend, die indessen eine desto lebhaftere Debatte führten.

Sie sprachen aber so rasch, daß Mac Kringo nur einzelne Worte davon verstehen konnte. Der alte How oder König schien jedoch mit allem, was sie sagten, einverstanden; nur einmal protestierte er, und die Sache mußte den neben ihm sitzenden Lemon betreffen, auf den er wiederholt deutete. Lemon merkte ebenfalls etwas Ähnliches, und der mürrische Blick, mit dem er den Alten betrachtete, hatte etwas unendlich Komisches. Toanonga nahm aber weiter nicht die geringste Notiz von ihm, und die übrigen Egis schienen sich endlich seiner ausgesprochenen Meinung zu fügen.

»Ma Kino,« sagte da plötzlich der Alte, indem er sich an den Schotten wandte, »ich und die Egis sind darüber einig geworden, wie sie euch versorgen wollen, und ich will dich kurz mit ihrem Entschluß bekannt machen, welche Frauen euch zugeteilt werden sollen.«

»Zugeteilt?« fragte der Schotte rasch, »das ist in unserem Lande nicht Sitte, und meine Kameraden sind völlig damit einverstanden, daß wir uns lieber die, welche uns am besten gefallen, aussuchen wollen.«

»Das glaube ich euch recht gern,« sagte der alte Toanonga gutmütig, während die zunächst sitzenden Frauen untereinander kicherten und flüsterten. »Wenn aber hier überhaupt eine Wahl stattfinden sollte, so wären es unsere Frauen, die dazu ein Recht hätten. Von euch kann gar keine Rede sein. Da die Frauen aber in Geschäftssachen sehr kurzsichtig sind, und die Männer für sie denken müssen, so haben die Egis das übernommen, und du wirst jetzt hören, was wir darüber beschlossen.«

»Aber meine Kameraden werden damit nicht einverstanden sein,« warf Mac Kringo ein.

»Bah – ich habe dich für einen vernünftigen Pagalangi gehalten,« sagte kopfschüttelnd der Alte. »Was wollt ihr denn tun? – haben wir euch nicht gekauft? – Könnten wir euch nicht die Schädel einschlagen, wenn wir sonst Lust dazu hätten, und habt ihr das etwa nicht auch verdient? – Wer kümmerte sich hier um euch, wenn wir euch in ein durchlöchertes Kanoe setzten und euch hinaus in die Bai ziehen ließen, dort nach Gefallen zu sinken oder zu schwimmen, he? also sprich nicht solch dummes Zeug, und sei gescheit. Wenn ihr etwas an der Sache ändern könntet, so hätten wir euch um Rat gefragt. Da das nicht der Fall war, so habt ihr für jetzt weiter nichts zu tun, als zu gehorchen.«

Der Alte sprach diese Worte mit seiner gewohnten, gutmütigen Freundlichkeit, aber doch auch mit so viel Entschiedenheit im Ton, daß Mac Kringo bald merkte, wie sie mit ihm und den Eingeborenen überhaupt standen. Die Schar der Insulaner war sich, den unbewaffneten Weißen gegenüber, ihres Übergewichts wohl bewußt, und an Widersetzlichkeit von ihrer Seite war in der Tat nicht zu denken. Klug genug also, die nicht für den Augenblick zu reizen, die einmal die Gewalt in Händen hatten, beschloß Mac Kringo, sich vorderhand allem zu fügen, was sie über ihn und die Kameraden verhängen würden. Mit der Zeit kam auch Rat, und sie fanden vielleicht Mittel und Wege, sich einer ihnen lästig werdenden Gefangenschaft zu entziehen.

Toanonga kümmerte sich indessen wenig um das, was sein Dolmetscher etwa denken oder beabsichtigen mochte. Er hatte ihn mit dem Willen der Egis, der vor allen Dingen auch der seinige war, bekannt gemacht, und daß der durchgeführt werden mußte, verstand sich von selbst.

»Ma Kino,« begann er deshalb nach kurzer Pause, denn das Wort Mac Kringo konnte er nicht gut aussprechen, indem er den vor ihm sitzenden Schotten fest und scharf ansah, »du bist, wie du sagst, auf eurem großen Kanoe ein Egi gewesen, und es ist deshalb auch in der Ordnung, daß mit dir der Anfang gemacht wird. Die anderen kommen nachher in der Reihenfolge, die ihnen gebührt. Da du nun unsere Sprache verstehst, gedenke ich dich in meiner Nähe zu behalten, welcher Ehre du dich hoffentlich würdig machen wirst, und zu dem Zweck, und um dich auch zugleich recht wohnlich bei uns einzurichten, habe ich dir eine passende Frau bestimmt, die du gut behandeln und für die du sorgen wirst. Hast du mich verstanden?«

Mac Kringo nickte schweigend mit dem Kopf, denn der Alte fing an, ihm in seiner Ruhe und Bestimmtheit zu imponieren. Die Veränderung fiel ihm auch auf, wie sich Toanonga jetzt und damals benahm, als ihr Kapitän noch mit seiner ganzen Schiffsmannschaft hier lag. Damals war er ihnen weit mehr als Freund und guter Bursche entgegengekommen, während er jetzt, von seinem ganzen Stamme umgeben und den wenigen Weißen gegenüber, nicht ernst und würdevoll genug aussehen konnte. Doch das alles zuckte ihm nur in flüchtigen Gedanken durch das Hirn, denn der gegenwärtige Moment war für ihn selber viel zu entscheidend, um sich mit anderen Beobachtungen aufzuhalten.

Toanonga winkte nämlich einer Frau, die, nicht mehr ganz jung, aber doch noch in den besten Jahren, den Kopf gebeugt, in dem vorderen Ringe saß. Auf das Zeichen, das sie unter den gesenkten Augenlidern hervor gesehen haben mußte, richtete sich aber etwas auf und sah Toanonga an. – Mac Kringo war für sie gar nicht da.

»Mefo Hupe,« sagte Toanonga, die Frau anredend, »du bekommst hier einen Versorger. Ma Kino wird mit dir in deine Hütte ziehen und das Feld für dich und deine Kinder bearbeiten.«

»Deine Kinder?« rief der Schotte erstaunt, während die Frau wieder, als Zeichen des Gehorsams, den Kopf senkte, »sind denn Kinder auch dabei?«

»Allerdings,« erwiderte freundlich der alte How, »und um so viel besser für dich, denn du hast gleich eine Familie, in der du zu Hause bist. Mefo Hupe war die Frau eines tapferen Egis, Luttanaki mit Namen, der in dem letzten Kampfe gegen die Hagai-Leute getötet wurde. Er hatte vorher sieben Hagaikrieger mit eigener Hand erschlagen; du wirst deshalb nicht verfehlen, die Frau ehrerbietig zu behandeln. Geh' jetzt in deine Wohnung, Mefo Hupe, und bereite dich zu der üblichen Feierlichkeit vor.«

Die Frau stand auf und verließ, ohne auch nur einen Blick auf ihren künftigen Gatten zu werfen, die Versammlung, und Mac Kringo wußte wirklich kaum, ob das hier alles nur Scherz sein sollte, oder ob die Insulaner wirklich Ernst machten. An dem Letzteren brauchte er aber kaum zu zweifeln, denn Toanonga sah gar nicht wie Spaßen aus. Wie er sich aber noch überlegte, ob es nicht vielleicht schicklich wäre, daß er wenigstens ein paar Worte mit seiner künftigen Frau spräche, wandte sich der Alte schon wieder an ihn, und zwar um zwischen ihm und dem jetzt an die Reihe kommenden Lemon zu dolmetschen.

Nun war dem How oder König dieser Insel nichts erwünschter, als einen Schmied unter den Pagalangis gefunden zu haben; denn den großen Nutzen, den ihnen eiserne Werkzeuge gewährten, hatte er schon lange kennen gelernt. Diesen beschloß er deshalb auch unter seine ganz besondere Protektion zu nehmen und für sich selber zu benutzen. Daß ein Schmied auch Werkzeug haben muß, ehe er eine Arbeit liefern kann, fiel ihm nicht ein. Der Fremde war nun einmal ein Schmied, und damit war die Sache abgetan.

Für Lemon hatte er deshalb auch eine der jüngsten zu vergebenden Frauen bestimmt, und Mac Kringo mußte ihn mit dem seiner harrenden Glücke bekannt machen. Toanonga erstaunte aber nicht wenig, als der Matrose, der die ganze Sache immer noch für einen schlechten Spaß hielt und mürrischer war als je, ein Gesicht zu der Eröffnung schnitt, als ob er den Dolmetscher hätte umbringen können.

»Unsinn!« knurrte er dabei, »laß dich doch nicht von dem alten Rotfell zum Narren haben, Lord Douglas.«

»Aber er ist in vollem Ernst.«

»Bah – Dummheiten – sag' ihm nur, ich wollte keine Frau haben, Erstens möcht' ich überhaupt nicht heiraten, und dann – hätte ich auch schon zwei Frauen in England.«

»Zwei?« rief der Schotte überrascht.

»Na, wenn die erste nicht in der Zeit gestorben,« brummte der sauertöpfische Gesell – »ich habe mich wenigstens nie darum bekümmert, und weiß jetzt nicht einmal, wo meine zweite ist.«

»Was sagt er?« fragte Toanonga, der sich den sichtbaren Unwillen des Fremden nicht erklären konnte.

»Hm,« meinte Mac Kringo – »er – er sagt, er hätte schon eine Frau, und nach unseren Gesetzen dürfen wir nicht mehr nehmen.«

»O – weiter nichts?« lachte Toanonga gutmütig, »da sag' ihm nur, daß er sich deshalb keine Sorgen mache, denn hier sind wir auf Monui, und ich selber habe neun Frauen. Doch das findet sich alles; ich erlaube ihm, daß er die Frau nimmt, die ich ihm gebe, und an das andere hat er sich nicht zu kehren. Außerdem wird er seine Hütte auf meinem Grund und Boden haben und unter meinem ganz besonderen Schutze stehen. Sag' ihm das.«

Die zweite Frau stand auf ein Zeichen Toanongas ebenfalls auf und verließ den Kreis. Lemon aber, den Mac Kringo den neuen und verschärften Befehl übersetzt hatte, konnte von dem Schotten nur mit Mühe beruhigt werden, daß er sich hier nicht gleich vor der ganzen Versammlung widersetzte. Die ihm bestimmte Frau hatte er nicht einmal angesehen.

Toanonga aber nahm weiter keine Notiz von ihm, da er noch die Verlobungen der vier anderen Weißen zu beseitigen hatte. Mit diesen verfuhr er jedoch ziemlich summarisch, wenigstens nahm er Jonas, Pfeife und Spund zusammen, zeigte dabei auf drei neben ihm sitzende Frauen, von denen zwei kleine Kinder auf dem Schoß hatten, und ließ die drei Matrosen durch Mac Kringo bedeuten, daß sie dieselben zu Frauen bekommen sollten, wie sie gerade in der Reihe säßen. Als Empfehlung wahrscheinlich bemerkte er nur nebenbei, daß die eine vier, die andere drei und die dritte fünf Kinder habe.

Auf eine Antwort der betreffenden Personen wartete er ebenfalls nicht. Kam es doch hier nur darauf an, daß er eben seinen Willen kundtat und die verschiedenen Parteien gewissermaßen einander vorstellte.

Jetzt war nur noch Legs übrig, der bis dahin vergebens versucht hatte Mac Kringo zu bewegen, ein gutes Wort für ihn in betreff des Mädchens einzulegen, das er mit vielem Vergnügen heiraten wolle. Mac Kringo aber war bis dahin von Toanonga viel zu sehr in Anspruch genommen worden, um ihm willfahren zu können, und erst jetzt, da der alte Häuptling den sechsten Mann fast vergessen zu haben schien, hielt er es an der Zeit, die Aufmerksamkeit des Alten auf ihn zu lenken.

»Hier, How,« sagte er dabei, »ist noch einer, der dir gern eine Bitte vortragen möchte.«

» Der?« sagte Toanonga, indem er einen fast verächtlichen Blick nach der Stelle hinüberwarf, wo Legs saß, ohne diesen selbst anzusehen – »der ist gut für nichts – das ist bloß der KochAuf den Tonga-Inseln ist der Koch der verachtetste unter den verschiedenen Handwerkern.

»Der soll also gar keine Frau haben?« fragte Mac Kringo, und bereute schon, daß er sich nicht selber als Koch anstatt als Egi angegeben hatte.

»O ja,« erwiderte aber Toanonga – »es waren sieben Frauen da für euch sechs. – Der Koch bekommt die beiden letzten. Sind ein bißchen alt und nicht gerade hübsch, haben aber zusammen sieben Kinder – gut genug für den Koch. Die da drüben sind's.«

Mac Kringo mußte an sich halten, daß er nicht laut auflachte. Legs gönnte er übrigens die beiden, denn der kleine Bursche war trotz seiner ansehnlichen Statur immer der gewesen, der sich schon an Bord am unbändigsten gezeigt und nicht selten Streit angefangen hatte. Unendlich komisch kam es ihm dabei vor, sich den etwas krummbeinigen Kameraden als doppelten Familienvater zu denken, und daß seine Ehe interessant und keineswegs langweilig werden würde, dafür bürgten die Gesichter der beiden Frauen. Schienen sie doch selbst in diesem Augenblick schon nicht übel Lust zu haben, einander in die Haare zu geraten.

»Nun, Lord Douglas, was sagt er?« fragte Legs, der sich schon so mit dem Gedanken vertraut gemacht hatte, ein wackerer Bürger von Monui zu werden, daß er die Zeit kaum erwarten konnte. »Soll ich den kleinen Wildfang zur Frau haben? Hol's der Teufel, wir passen auch in der Figur zusammen und müssen ein prächtiges Paar geben!«

»Legs,« erwiderte aber Mac Kringo, der sich nicht enthalten konnte, bei dieser Bemerkung einen Blick nach den gebogenen Extremitäten des Seemanns hinunterzuwerfen, »es tut mir leid, daß der Alte deine Wünsche nicht berücksichtigen kann. Ob die fragliche Schöne schon versprochen ist, oder ob er vielleicht selber ein Auge auf sie geworfen hat und sie zu seiner zehnten Frau machen will, weiß ich nicht. Er wird dich aber, in Rücksicht deiner anderen Verdienste, entschädigen, und du sollst zwei andere dafür bekommen.«

» Zwei?« rief Legs erstaunt auffahrend.

»Ja, mein Junge, die beiden Schönheiten da drüben mit der braunen, etwas runzligen Haut und den Unmassen Blumen und bunten Lappen um sich her gesteckt.«

»Mach' keinen dummen Spaß!« rief Legs ärgerlich, indem er einen halb zornigen, halb scheuen Blick nach den beiden Unholdinnen hinüberwarf.

»Na, wahrhaftig, mein Junge,« sagte aber Mac Kringo gutmütig, »es ist dem Alten da drüben grimmiger Ernst, und nach Tisch, soviel ich verstanden habe, werden wir alle zusammengespließt werden. Von uns hat jeder schon seinen Teil angewiesen bekommen, wie du ja auch gehört hast, und die beiden sind mit sieben dazugehörenden Kindern für dich aufgehoben. Na, hoffentlich führt ihr eine recht glückliche Ehe zusammen.«

»Verdammt will ich sein,« rief aber Legs, in allem Eifer in die Höhe springend, »wenn ich mich solcherart zum Narren halten lasse. Sollte der alte Holzkopf aber wirklich im Ernst meinen, daß ich mich dazu hergäbe, ein Alt-Weiber-Spittel und eine Klein-Kinder-Bewahranstalt auf der Insel anzulegen, so kannst du ihm nur sagen, Lord Douglas, daß er sich da verwünscht in der Person geirrt hat. Wenn er einen von uns dazu haben wolle, so konnte er Spund nehmen, mich aber soll er ungeschoren lassen, soviel weiß ich.«

»Und was willst du machen?«

»Was ich machen will? dem den Schädel einschlagen, der mir irgendwie zu nahe kommt.«

»Unsinn!« sagte Mac Kringo ruhig, »du siehst, daß wir anderen uns alle in das Unvermeidliche gefügt haben, und du allein kannst nicht gegen die ganze Insel anspringen. Bietet sich einmal eine günstige Gelegenheit, dann kannst du dich darauf verlassen, daß keiner von uns säumen wird, sie zu benutzen, und je fester wir dann zusammenhalten, desto besser. Bis dahin aber bleibt uns nichts anderes übrig, als uns denen zu fügen, die für den Augenblick das Heft in Händen halten. Zeigst du dich ihnen widerspenstig, so ist gar nicht abzusehen, was sie mit dir anfangen, und wenn sie dich selbst totschlügen, kann sie kein Mensch daran verhindern und würde sich niemand später darum kümmern.«

»Und die beiden Vogelscheuchen sollt' ich heiraten?«

»Du kommst in eine ganz anständige Familie,« lachte Mac Kringo – »aber jetzt paß auf, der Alte entläßt die Versammlung und wird noch Aufträge für mich haben. Halt' dich indessen zu Spund und den anderen, damit ihr zusammen seid, wenn man uns verlangt.«

Toanonga winkte ihm auch wirklich in diesem Augenblick, denn es galt nichts geringeres, als die nötigen Vorbereitungen für die Trauungszeremonie der Fremden zu treffen, die auf den Inseln außerordentlich streng genommen werden. Daß diese alle heidnischer Art waren, versteht sich von selbst; den Weißen konnten sie aber nicht erlassen werden, da nur durch dieselben ihre Ehen geheiligt und gesetzlich wurden.


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