Friedrich Gerstäcker
In der Südsee
Friedrich Gerstäcker

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6.

Durch die tanzenden Wogen, über die leuchtende quillende Flut schossen die dunklen Kanoes der Eingeborenen, die Mattensegel geschwellt, heran, und im Bug des vordersten stand eine hohe, edle Gestalt mit wehendem Haar und Hüftentuch, die weite See mit dem Adlerblick überfliegend, wo ihn die stürzende Woge auf ihren Kamm hob und in jagender Schnelle voranriß.

Es war der junge Häuptling Tai manavachi, der dem Tod selbst trotzend, seine kleine Flotte dem frechen Räuber in Nacht und Wetter nachführte und verzweifelnd schon die trostlose Jagd hatte aufgeben wollen, als der Feuerschein des fremden Schiffes jubelnd von ihm entdeckt wurde. Auch auf den anderen Kanoes hatten sie schnell die Wahrheit des Unfalls ihrer Feinde begriffen, und der gellende Jubelruf, der Schlachtenschrei ihres Stammes, mit dem sie ihre Lanzen und Speere fester packten, war es, der das Blut des sonst wahrlich unerschrockenen jungen Engländers in den Adern gerinnen machte.

Hua aber hatte in jauchzender Seligkeit die Nähe der Freunde gehört, und wenn auch der antwortende Schrei zu schwach war, gegen den Wind an die Retter zu erreichen, wußte sie doch nun, daß die Ihren, den Wogen trotzend, mit kühnem Mut ihren Spuren gefolgt waren und die einzelnen Boote ihnen jetzt gar nicht mehr entgehen konnten.

»Ruhig, mein Täubchen, ruhig!« warnte sie aber drohend der neben ihr stehende Kapitän; »die Nacht ist dunkel, und deine Stimme dringt doch nicht zu ihnen hinüber, aber auch der Gefahr wollen wir uns nicht aussetzen und – ich möchte dir kein Leides tun – aber wirst du noch einmal laut, so muß ich dich wieder binden und knebeln, so weh mir das selber täte.«

Hua blickte wild und trotzig zu ihm empor, aber sie war auch schlau genug, nicht nutzlos den Zorn derer zu reizen, in deren Gewalt sie sich noch befand, und kauerte von jetzt an still und schweigend im Boot, aber ihre Blicke forschten, die Sehkraft bis zum Schmerze angestrengt, in die Nacht hinaus, die Freunde zu entdecken.

Ein blendendes Licht breitete sich in dem Augenblick über die See, und als sie rasch die Blicke dem brennenden Schiffe zuwandten, sahen sie einen hellen Strahl von seinem Deck emporschießen, und ein dumpfer Krach verkündete die Explosion des Pulvers. Das Fäßchen hatte aber zu hoch unter Deck gelegen, um dem Rumpf des Schiffes weiteren Schaden zu tun, als das Deck oben zu sprengen und den Besanmast zu zersplittern, der jetzt in lichten Flammen einen Moment zur Seite schwankte, und dann schwerfällig und tausend und tausend Funken emporwerfend, über Bord in See schlug.

»Mein armes Schiff!« seufzte der Kapitän und blickte traurig herüber, da traf ein anderer Ton sein Ohr, und »ein Schuß!« rief fast die ganze Bootsmannschaft wie aus einem Munde.

»Ein Schuß!« – Ein Schiff war in der Nähe, das ihre Not erkannt, und das Signal gab zur Rettung – einen Schuß, und von Gefahr umringt, zeigte sich Hilfe. Der Schall kam aber vom Süden hierauf, und sie mußten ihren Kurs jetzt ändern, die Boote deshalb zusammenrufend – das Sinken des einen war in der Erregung des Augenblicks von den anderen gar nicht bemerkt – legten sie rasch über den anderen Bug, schräg von den Wellen abschneidend und konnten der Richtung, die ihnen jetzt ein zweiter und bald darauffolgender dritter Signalschuß angab, genau folgen. Einmal an Bord, und die Kanoes, denen sie bis dahin zu entgehen hofften, waren ihnen nicht mehr gefährlich.

Tai manavachi kam indessen mit geblähten Segeln und sieben vollbemannten Kriegskanoes durch die Wellen schäumend an; ein Brautzug hatte es werden sollen und war eine Jagd geworden auf den Räuber seines Teuersten, was er auf dieser Welt kannte, und wie die jetzt schon sehr gemäßigte, aber doch noch immer frische Brise mit den flatternden, wehenden Zieraten am Bug der schlanken, wunderlich geschnitzten Fahrzeuge schlug und spielte, standen die wilden, trotzigen, kriegerischen Gestalten, hinaus in die Nacht spähend, am Bord, die geflüchteten Boote zu erkennen und zu verfolgen.

Ein Hilferuf traf ihr Ohr, neben ihnen im Wasser schrie sie ein Schwimmender an um Rettung, und treibende Ruder und Sitze verrieten ihnen rasch genug das Schicksal wenigstens eines der Boote. Einen ängstlich suchenden Blick warf der junge Häuptling umher – wenn gerade dies Boot – doch nein, sein Herz zog ihn weiter, und nur dem nächsten Kanoe ein paar Worte zurufend, das rasch zur Seite schoß und seinen Bug gegen die nächsten Wellen anwarf, hier zu halten und die Verunglückten aufzunehmen, verfolgten die Rächer unaufgehalten ihre Bahn.

Da dröhnte auch zu ihnen der Krach des explodierenden Pulvers herüber, aber mehr als das, der helle, blitzähnliche Strahl verriet ihnen die weiß leuchtenden Segel der Flüchtigen, und als gleich darauf die fernen Kanonenschläge irgendeines zufällig in die Nähe gekommenen Fahrzeugs an ihr Ohr schlugen, zuckte ein triumphierendes Lächeln über das Antlitz des jungen wilden Kriegers. Er kannte die Lage der Feinde, und daß sie jetzt hinüberhalten müßten, dem Schiffe zu, wo sich ihnen allein noch Rettung bot. Dorthin aber war er imstande ihnen den Weg abzuschneiden und wußte sie jetzt in seiner Macht.

Kapitän Silwitch hatte sich indessen wohl gescheut, den hellen Wasserstreifen zu durchfahren, den das bis jetzt in die Masten hinauf brennende Fahrzeug zwischen sich und seinen Verfolgern ließ, aber er durfte auch keine Zeit versäumen, denn der Feind mußte gewaltig schnelle und tüchtige Kanoes haben, daß er es nur gewagt hatte, ihnen bis hier heraus zu folgen. So, auf ihre eigenen guten Boote vertrauend, hielten sie gerade nach Süden hinunter, und einmal wieder weit genug von dem hellen Schein entfernt, hofften sie auch in der Dunkelheit der Nacht dem Feinde entgehen zu können.

Ein neuer Signalschuß des fremden Fahrzeugs, dessen Kapitän den Booten die Stellung seines Schiffes zu zeigen wünschte, tönte schon um vieles näher, und Kapitän Silwitch hätte jetzt gern ein Gewehr abgefeuert, dem ziemlich unter dem Winde befindlichen Fremden die Richtung anzudeuten, in der sie sich selbst befanden, mußte er nicht zugleich fürchten, dadurch auch den vielleicht näher gekommenen Verfolgern die Stelle zu verraten.

Sein Boot, das größte Segel führend, war das erste, die anderen vielleicht in zwei- und dreihundert Schritt Entfernung folgend, und einer der Bootssteuerer war vorn in dem Bug postiert, scharf auszuschauen, ob er nicht vielleicht doch gegen den etwas helleren Horizont das jetzt keinesfalls so weit mehr entfernte Schiff entdecken könne.

»Hallo, Kapitän!« rief dieser plötzlich, »da vorn sah ich eben etwas Dunkles, als sich das Boot auf der Welle hob, es sah aus wie ein Boot.«

»Hab acht, wenn es wiederkommt,« lautete die Antwort. Die nächste Woge, jetzt nicht mehr durch den Wind gepeitscht, aber noch immer in schwerer Dämmung, kam hinter ihnen drein, und rechts und links von dem Boot ihren zischenden, glühenden Schaum ausgießend, hob sie das schlanke Fahrzeug auf ihren Nacken über die nächsten Wellen. Ehe aber nur der Mann eine weitere Meldung machen konnte, schallte ein gellender Jubelruf, schrill und furchtbar, an ihr Ohr, und:

»Hierher, hierher, Tangata Tonga!« jauchzte die emporspringende Maid den Rettern entgegen. – »Hierher, zu Hilfe!« und, die Arme emporschlagend, wollte sie sich eben in die schäumende See werfen, als Silwitch seinen linken Arm um sie schlang und die sich wild gegen ihn Sträubende festhielt und zu sich zog. Aber Tai manavachi hatte den Ruf gehört und erkannt, und während die Europäer in wilder Hast ihre Waffen aufgriffen und der Bug des Bootes, wie selber ein lebendiges Wesen, vor der Nähe des Feindes zurückscheuend, abfiel von seinem Kurs, schoß auch das mächtige dunkle Kanoe heran, und zwanzig drohende Gestalten, unter denen her jetzt die anderen Kanoes preßten und ihren antwortenden Jubelruf durch die Luft sandten, streckten die Arme aus, die Larbordseite des eingeholten Bootes zu fassen und zu halten. Durch die zerrissenen Wolken trat in diesem Augenblick die bleiche Mondessichel und warf ihr fahlem silbernes Licht auf die wogende See.

»Ergib dich, Pagalangi, ergib dich!« schrie da der junge Häuptling, der die Gestalt der Geliebten in dessen Arm sich winden sah; »ergib dich, denn ihr seid in meiner Hand!«

»Zurück! oder Hua ist eine Leiche!« donnerte ihm aber des Weißen Ruf entgegen, der sein Messer aus der Scheide riß und es über dem Mädchen zuckte – er sah doch, daß hier Widerstand vergebens war, und wollte das letzte Mittel versuchen, sich und die Seinen vor Gefangenschaft oder Tod zu retten, dachte aber gar nicht daran, der armen, durch ihn verratenen Maid ein Leides zu tun, und flüsterte ihr rasch und beruhigend ins Ohr:

»Fürchte dich nicht, Hua – dieser Arm sollte eher verdorren, ehe er dich träfe; und wenn sie mich töteten, ich hätte keine Waffe für dich!«

» Fürchten?« rief aber die Jungfrau, wild und zornig ihm ins Auge schauend; »fürchten? stoß' zu, Pagalangi, wenn du Mut hast, aber du bist verloren. Hierher, Tai manavachi!« schrie sie dann in trotziger Kühnheit nach dem Geliebten hinüber; »hier ist der Räuber deiner Braut – triff ihn sicher, und kehre dich nicht an mich!«

»Hua, Hua!« rief aber der junge Häuptling, den Arm bittend und schützend gegen sie ausstreckend; »gib sie frei, Fremder, wirf das Messer von dir, und deine Boote mögen, ungehindert von mir, jenes Schiff suchen – schädige ihr aber nur eine Locke ihres Hauptes, und zerreißen will ich dich auf langsamem Feuer!«

»Du sicherst mir unser Leben und unsere Freiheit?« rief der Europäer.

»Ich geb' dir mein Wort!« rief der Häuptling stolz, während die beiden Fahrzeuge jetzt rasch und schäumend nebeneinander hinschossen und die Matrosen ihre freilich von Seewasser durchnäßten Musketen und die gefährlicheren Walfischlanzen aufgegriffen hatten, dem grimmen Feind im Notfall trotzig die Stirn zu bieten.

»So geh' Hua!« sagte Silwitch traurig, sie freigebend aus seinen Armen; »geh' und vergiß den Fremden, der dir weh tat, weil er dich so unendlich liebte.«

Hua erwiderte keine Silbe, aber ihr Fuß stand auf dem Rand des Bootes, und als der Bug des jetzt dicht an sie hinauschießenden Kanoes rasch vorüberglitt, sprang sie mit kühnem Satz hinüber und in die Arme ihres aufjauchzenden Geliebten.

Fast über ihren Köpfen hin dröhnte in dem Augenblick der schmetternde Schlag eines Kanonenschusses, und als sie überrascht emporschauten, war das fremde Schiff, dem das brennende Fahrzeug als Mark gedient, so nahe an sie herangekommen, daß das Kanoe selbst seinen Bug herumwerfen mußte, nicht überfahren zu werden.

»Teufel!« schrie Silwitch, ingrimmig mit dem Fuße stampfend, »so dicht am Ziel und doch zu spät!« Aber in die Nacht hinein, rasch und plötzlich, wie sie gekommen, verschwanden die Kanoes. Höhnisch noch schlug ihr gellender Triumphschrei an sein Ohr, und Hua war auf immer für ihn verloren.

Das fremde Schiff, ein Bremer Walfischfänger, braßte sein Segel back, als es die gesuchten Boote so dicht unter seinem Bug sah, Taue wurden übergeworfen, die Mannschaft aufzuholen, und die Schiffbrüchigen sahen sich bald alle an sicherem Bord. Nur ein Boot fehlte noch; auf und ab kreuzte das Schiff, von Zeit zu Zeit noch einen Schuß feuernd nach dem vermißten Boot – umsonst. Bis Tagesanbruch hielt es auf der Stelle, und als die Sonne sich über den Horizont hob, wurden die Tops bemannt, von oben aus vielleicht etwas zu erspähen – es ließ sich nichts erkennen. Nur in blauer Ferne lag das Land, kein Boot, kein Segel war weiter am Horizont zu sehen, und mit scharfangebraßten Segeln, dicht am Wind, hielt das deutsche Schiff mit der geborgenen Mannschaft der »Lucy Walker« nach Norden auf, den Sandwichs-Inseln zu.


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