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Durch die Bergschluchten von Durango, nach Norden hinauf, verfolgte ein kleiner Trupp von Reitern, durch eine enge, abwärts führende Schlucht, seinen Weg. Es konnte kaum einen pittoreskeren Anblick geben, als ihn der wilde, bunte Zug bot, der sich durch das üppige Grün der Berge wand, bald in dem Schatten der Bäume verschwand, bald wieder an lichten Stellen zum Vorschein kam und dann in den Sonnenstrahlen die Läufe seiner Gewehre und die Spitzen seiner Lanzen blitzen ließ.
Der Pfad selber war erbärmlich. Seit fünfzehn oder mehr Jahren hatten hier nur Maultierzüge ihren Weg gehabt, um die vom Stillen Ozean kommenden Güter in das Innere des Staates zu führen, wie von dort aus ganze Herden von Vieh, Pferden und Maultieren über die Berge zu treiben. Das Maultier ist dabei – an die Gefahren der Bergpässe gewöhnt – ein sehr vorsichtiges Geschöpf und setzt auf seinen Märschen den Fuß immer wieder am liebsten dahin, wo es sieht, daß ihm vorangegangene Tiere schon früher ihre Spuren eingedrückt haben. Wo der Boden nun hart und steinig ist, hat das nicht viel zu sagen, denn er nimmt da die Eindrücke nur wenig an; auf hartlehmigem Grund dagegen, und besonders bei feuchter Witterung, bilden diese Züge eine Straße, die einen gewöhnlichen Menschen zur Verzweiflung treiben könnte.
An solchen Pfaden hat dabei die Kunst gar nichts und die Natur alles getan, aber nur um sie so viel als möglich von Jahr zu Jahr zu verschlechtern. Das sind auch außerdem die einzigen Verbindungswege, die das zerklüftete, von mächtigen Bergrücken und tiefen Taleinschnitten und Schluchten durchzogene Land in riesiger Ausdehnung besitzt, und wer nur den geringsten Anspruch auf Bequemlichkeit macht, sollte sich nie in jene Wildnis wagen.
Aber der Reitertrupp, der hier seinen Weg verfolgte, dachte auch wohl an nichts weniger als an Bequemlichkeit, sonst hätte er diese Pfade nicht gewählt.
Es waren Soldaten, Guerillas oder vielleicht gar Straßenräuber – an ihrem Aussehen konnte man es wahrlich nicht erkennen, die hier, einer hinter dem anderen, in einer wohl eine halbe englische Meile haltenden Reihe, nach Norden zu zogen, und eine bunt zusammengewürfelte Gesellschaft, sowohl was Gesichtsfarbe wie Anzug betraf, schien es außerdem zu sein.
Die Kleidung war im allgemeinen die mexikanische der unteren Klassen: breitrandige ordinäre Filz- oder Strohhüte, die bunte, in allen Farben prangende, aber schmutzige Serape um die Schultern geschlagen, den Säbel unter dem linken Beine dicht im Sattel liegend, einen Karabiner, gewöhnlich in einem alten Lederfutterale, an der rechten Seite des Tieres schlenkernd und die lange Lanze dabei in der rechten Hand.
Vorn am Zug ritten aber auch wieder besser bewaffnete Männer, die alle an einem Riemen eine ziemlich gut aussehende Henry-Büchse, sogenannte fourteen shooter (mit vierzehn Schüssen), auf den Schultern trugen, sonst aber ebenso abgerissen waren wie die übrigen.
Und zwischen diesen ein Bursche, der etwa so aussah, als ob er von einer gewöhnlichen Volksmaskerade käme, mit goldgestickter Uniform, aber durchgescheuerten Ellbogen, mit einem alten Strohhut auf, und außerdem barfuß im Sattel, die Sporen an die bloßen Füße geschnallt. Es war dies jedenfalls ein General, und doch schien er nicht das Kommando zu führen, denn dem Zug voran ritt auf einem vortrefflichen braunen Hengst, aber in einfacher, wenn auch sehr abgetragener Zivilkleidung ein kleiner, korpulenter Indianer, trotz der Wärme fest in seinen Tuchrock eingeknöpft und außerdem noch einen dünnen chinesischen Schal oder eine Leibbinde um den unteren Teil des Gesichts geschlagen, als ob er sich damit hätte gegen die kühlere Luft der Berge schützen wollen.
Unmittelbar hinter ihm, aber auf einem kräftigen, silberbezäumten Maultier folgte ein Kreole von echt weißem Blut, der einzige in der Tat, der allein der rein kaukasischen Rasse zu entstammen schien. Es war ein ziemlich großer Mann, der aber kaum einem Mexikaner glich, denn er hatte nicht schwarzes, sondern braunes, wenig gelocktes Haar, und als er den Hut einmal abnahm, zeigte er eine hohe, intelligente Stirn, wie auch seine ganze Erscheinung etwas ruhig Befehlendes und in sich Abgeschlossenes.
Er ging ebenfalls in Zivil und ohne Waffen, einen silberbeschlagenen Revolver ausgenommen, den er im Gürtel trug, wie auch beide Reiter Pistolenholfter an den Sätteln führten. Seinen Kopf deckte ein feiner, wenn auch durch Regen und Sonnenschein sehr mitgenommener Panamahut. Überhaupt lag in seinem ganzen Wesen etwas vornehm Aristokratisches, während der vor ihm hinreitende Indianer mehr in einer gedrückten, brütenden Stellung auf seinem Pferde hing und auch den Blick weder nach rechts noch links hinüberwandte.
Es war Juarez, der von Ort zu Ort gejagte Präsident des weiten Reiches, der einfache indianische Advokat, der aber zäh und hartnäckig wohl den andrängenden und übermächtigen Feinden auswich und von einem Staat zum anderen flüchten mußte, immer aber wieder, sobald seine Gegner ihn vertrieben und vernichtet glaubten, neue Schwärme anwarb und unverdrossen zu einem frischen Kampf zurückkehrte.
Jetzt freilich stand seine Sache schlecht – sein Präsidentschaftstermin war überhaupt bald abgelaufen, das Heer der Franzosen überall im Norden siegreich gewesen, ja ein großer Teil seiner Offiziere und Generale, mit den Truppen natürlich, von ihm abgefallen und zu den Kaiserlichen übergegangen. Im Süden sah es dabei, nach den neuesten Nachrichten, die er erhalten, ebenfalls so trübe wie nur irgend möglich aus, denn sein treuester Anhänger, Porfeirio Diaz, konnte sich nicht gegen die wider ihn ausgesandte und selbst mit Belagerungsgeschütz versehene Macht halten – und was dann? Je weiter er dabei aus dem Inneren fort und der Grenze zu gedrängt wurde, desto weniger Mittel standen ihm zu Gebote, um wieder ein frisches Heer auf die Füße zu bringen und den Kampf um die Herrschaft zu erneuern, und wenn ihn auch die Regierung der Nordstaaten in Amerika moralisch unterstützte, was half ihm das in einer Zeit, wo jenes Reich selber um seine Existenz mit dem rebellischen Süden kämpfte?
Und selbst jetzt befand er sich wieder auf der Flucht – selbst jetzt war er gezwungen, jede Feindseligkeit einzustellen, nur um sich selber in Sicherheit zu bringen, während ihm der Erbfeind seines Reiches, der eroberungslustige Franzose, durch die Besetzung der Häfen am Stillen Meere auch die letzten Hilfsquellen abgeschnitten hatte, durch welche er sich früher doch noch wenigstens das nötige Geld verschaffen konnte, um seine Truppen zu bezahlen.
Kalt und finster ritt Lerdo de Tejada, sein Staatsminister und seine rechte Hand in der ganzen politischen Führung des Reiches, hinter ihm; kalt und finster, denn auch er sah sich in seinen Hoffnungen getäuscht, seinem Ehrgeiz die letzte Hoffnung abgeschnitten, und ein zorniges, halb verächtliches Lächeln zuckte sogar um seine Lippen, als Juarez' Hengst mit seinem Reiter stolperte und ihn beinahe abgeworfen hätte.
Ohne aber anzuhalten, verfolgte der Zug der Bewaffneten seine Bahn immer tiefer in das Tal hinab, an dem schon die Vegetation eine Änderung zeigte. Bis dahin hatten sie sich noch vollkommen in der gemäßigten Zone bewegt, ja an dem nämlichen Morgen eine Kieferwaldung passiert, welche die Höhen deckte. Die Kiefern und einige dazwischen wachsende Fichten ließen sie allerdings zurück und betraten nun das Agaventerrain, in welchem auch die Kaktus hier und da in ihren wunderlichen Formen auftraten.
An dem Rand des Baches wuchsen außerdem weidenartige Bäume und anderes niederes Gebüsch mit einer prachtvoll blühenden Distel, und die eigentliche mexikanische Mageh – jene Agavenart, welche das nationale Getränk, den Pulque, liefert – kam hier schon in Masse wild wachsend vor, während sich auch die andere Gattung, aus welcher der Mescal (eine Art von Branntwein) gewonnen wird, zu zeigen begann – ein sicherer Beweis, daß man einem wärmeren Klima näher rücke.
Und diese wunderliche Gattung von Euphorbien, die hier stand – mächtige Kaktusbäume mit Stämmen, die nicht selten einen Fuß und mehr im Durchmesser hielten und in richtiger Kandelaberform bis zu 20 und 30 Fuß hoch wuchsen, wodurch sie der ganzen Landschaft wie den Berghängen einen höchst eigentümlichen Charakter gaben. Aber die Sonne gewann auch hier schon Kraft, und einzelne der Soldaten nahmen ihre Serapen von den Schultern und legten sie vor sich auf den Sattel, während die Maultiere unverdrossen und sich um nichts kümmernd, nur in der Verfolgung ihres Weges vorsichtig über die einzelnen Erhöhungen weg, aus einem Schlammloch in das andere traten.
Da plötzlich schaute Juarez auf und griff unwillkürlich seinem Tier in die Zügel, denn die seinen unmittelbaren Vortrab bildenden Reiter hielten, während zu gleicher Zeit einzelne Schüsse aus dem Tal herauftönten. War das der Feind? – In keinem ungünstigeren Terrain hätte er den kleinen Zug überraschen können, denn ein Ausweichen schien hier unmöglich, und ebenso fast eine Verteidigung oder Flucht, die Reiter hätten denn ihre Tiere im Stich lassen und an den steilen Hängen hinaufklettern müssen.
Juarez hielt auch nur für einen Moment und spornte dann sein Pferd wieder an, um wenigstens aus dieser schwierigen Passage hinauszukommen. Aber selbst die Maultiere spitzten bei dem Knallen der wenn auch noch fernen Gewehre die Ohren, denn nur zu gut wußten sie, was das bedeutete, und eilten jetzt, wie aus eigenem Antrieb, nach vorn zu.
Der Weg senkte sich hier zu einer vollkommenen Schlucht hinab, die so schmal wurde, daß sich die Reiter kaum dazwischen durchzwängen konnten. Nur die Packtiere, die dem Zug folgten, kamen besser vorwärts, denn ihre Ladung war ihnen schon von den Arrieros hoch genug aufgelegt, um nicht an den Seitenwänden des grubenartig ausgetretenen Pfades hängen zu bleiben oder zu scheuern. An manchen Stellen mußten sie aber fast wie auf Treppen mit zwei und drei Fuß hohen Stufen hinabspringen, so schroff fiel die Wand nach dem unten liegenden Kessel ab. In der Regenzeit wäre es auch hier ganz unmöglich gewesen, hinabzukommen, denn deutlich sah man überall an den Wänden die Spuren, wie dann der Pfad von einer zu Tal stürzenden Wasserflut gefüllt wurde.
Jetzt war er trocken, wenigstens lief kein fließendes Wasser darin, und nur wilde Ranken senkten ihre Blütenzweige hinein, und bunte Schmetterlinge flatterten darüber hin, oder schaukelten sich mit blitzenden Flügeln in den Sonnenstrahlen.
Da plötzlich, als die ersten Reiter den unteren Teil der Schlucht erreichten, öffnete sich das ganze Tal vor ihren Augen, und einen reizenderen Anblick hätte man sich kaum denken können. Weit vorn hinaus lagen die blauen Gebirgszüge dieses hohen Landes, links mit den Ausläufern der Kordilleren oder der Sierra madre, wie sie in diesem Teil der Welt genannt werden. Den Mittelgrund bildeten die mit dunklem Grün der Waldung und der eigentümlichen Formation der Kaktus und Euphorbien bedeckten Höhen, über die sich ein leichter, weißlicher Duft gelegt hatte und manchen Einschnitten eine fast milchige Färbung gab, während darunter hin wieder nach links ein tiefer, dunkler Abgrund gähnte, als ob die Berge dort von einer Riesenhand auseinandergerissen wären – und dazu unten das Tal – wie eine Perle von grünen Edelsteinen lag es dort – klein und eng eingeschlossen, ja, aber mit allem Zauber tropischer Landschaft übergossen, mit einem schmalen Streifen Zuckerrohr, das hellgrün herüberblitzte, mit schattigen Fruchtbäumen und breitblättrigen Bananen, und dem murmelnden Bergbach, der sein Wasser durch die mit saftigen Blattpflanzen bedeckten Ufer trieb – ein Bild von Glück und Frieden, wenn nicht die wilde Leidenschaft der Menschen das Gras dort unten zerstampft und mit Blut getränkt und den Hain in ein unseliges Schlachtfeld verwandelt hätte.
Juarez' Augen hafteten auch wahrlich nicht auf dem Bild des Friedens, das die Natur hier in aller Pracht und Schönheit ausgebreitet, sondern hingen im ersten Moment mit unverkennbarer Bestürzung an der Szene, die sich da unten entwickelte. Von dort herauf knatterten noch die Schüsse, und lichte, fremdartige Gestalten, die sich in der Entfernung nicht unterscheiden ließen, stürmten über den Plan und die seitwärts gelegene Anhöhe hinan. Der Helle Pulverdampf stieg da und dort in kleinen, milchweißen Kräuselwolken empor, und in dem breiten, deutlich sichtbaren Weg, der durch das Tal hinlief, lagen dunkle Punkte still und regungslos.
Hatte man dem Präsidenten einen Hinterhalt gelegt? – Aber wie war das möglich? – Wer konnte wissen, daß er diesen Pfad gerade wählen würde? Wer das Ziel bestimmen, dem er entgegenstrebte, da er noch nicht einmal mit sich selber darüber klar geworden? Also mußte seine Avantgarde hier zufällig auf den Feind getroffen sein – aber wie stark war der, und durften sie wagen, ihm die Stirn zu bieten?
Lerdo de Tejada hielt an seiner Seite und schaute besorgt in das Tal hinab. Er mochte nicht fragen, denn er wollte keine Furcht verraten, aber er verhehlte sich auch nicht, daß sie hier eine schwierige Stellung finden würden, wenn sie es mit einem starken Feind zu tun bekamen, der sie zugleich in der Flanke und von oben herab fassen konnte. An Juarez' Seite arbeitete sich aber jetzt der General Pastera, ein früherer Maultiertreiber und dann Bandenführer, hinunter, und warf einen hastigen Blick über das sich da unten abwickelnde Schauspiel – doch kaum zwei Minuten brauchte er dazu, dann rief er schon lachend aus:
»Caracho, wie sie laufen. Die Unseren müssen ein Streifkorps des Feindes erwischt und überrumpelt haben, denn dort fliehen die einzelnen Soldaten ja schon an den Hängen hinauf.«
»Aber die Franzosen tragen keine Weißen Uniformen,« rief Juarez, »und ebensowenig die neu eingetroffenen Österreicher!«
»Es sind Turkos,« nickte der Sambo-General, »jedenfalls Turkos, von den westlichen Truppen versprengt.«
»Das wäre möglich,« nickte der Präsident – »aber wenn sie uns hier umgehen?«
»Da müßten sie tüchtige Führer haben,« lachte Pastera, »wenn sie von jenem Hang auf diesen durch die Schlucht kommen wollten, die da links von uns einschneidet, und dann brauchen sie wenigstens einen halben Tag dazu. Hier von vorn und gegen die Höhe auf können sie uns aber nichts anhaben, und drängten sie hier mit Wirklicher Übermacht heran, so brauchen wir uns nur dort rechts hinaufzuziehen, wo wir in einen Paß kommen, den zehn Mann gegen ein ganzes Heer verteidigen können. Bürger-Präsident, hier haben wir für alle Fälle einen ganz sicheren Punkt erreicht, aber den nicht einmal nötig, denn das beste wird sein, daß wir gleich scharf in das Tal hinabrücken. – Ich kenne hier jeden Fußbreit Boden. Nur auf der anderen Seite müssen wir noch eine häßliche Stelle passieren, wo ein Angriff gefährlich werden könnte – aber auch nur von Leuten, die das Terrain genau kennen.«
» Vamonos!« sagte da Juarez nach kurzer Pause – »vorwärts, Sennores; ich denke, wir dürfen uns auf Pastera verlassen. Zu dem Gefecht da unten kommen wir freilich zu spät, denn die Unseren haben es schon beendet, aber wir wollen wenigstens sehen, was vorgegangen ist, und können uns dort auch leicht den Rücken decken.« Und ohne eine weitere Einrede abzuwarten, gab er seinem Tier wieder die Sporen und verfolgte den Weg, der jetzt am Hang schräg hinab, und nicht mehr so steil als vorher, durch die sogenannte Escalera zu Tal führte.
Sie brauchten übrigens noch reichlich eine halbe Stunde Zeit, bis sie die eigentliche Talsohle erreichten, denn gerade hier war der Weg durch die von den Hängen quer darüber hinströmenden Wasser so mit tiefen Rinnen und oftmals wirklichen kleinen Schluchten eingerissen worden, daß sie sogar ein paarmal absteigen und ihre Tiere hindurchführen mußten. Erst einmal unten, hatten sie dann noch etwa dreihundert Schritt zu dem eigentlichen kleinen Rancho, der in diesen Kessel, wie abgeschieden von der Welt, hineingebaut war, und dicht daran trafen sie auf die ersten Zeichen der dort eben abgespielten Schauderszene.
Der Offizier, der den Vortrab befehligt hatte, kam ihnen dort auch schon entgegen, um dem Präsidenten das Vorgefallene zu melden, und Juarez erfuhr jetzt, daß sie, wie es Pastera vermutet, hier in dem Rancho einen kleinen Trupp Franzosen und Turkos Turkos, jene unglücklichen Ägypter, die Napoleon III. in einem schmachvollen und nichtswürdigen Menschenhandel dem Vizekönig von Ägypten abgekauft und sie hier als »allerchristlicher« Kaiser, der berufen ist die Welt zu zivilisieren und jeder Zivilisation dabei ins Gesicht schlagend, zu Kanonenfutter verwendete, um seinen eigenen ehrgeizigen Zwecken damit zu dienen. Die Geschichte wird einst über das elende Spiel richten, das dieser Monarch mit einem Fürstensohn getrieben, aber der faulste Fleck, der dabei auf ihm haftet, ist und bleibt für ihn sowohl wie für den Vizekönig von Ägypten der erbärmliche Schacher mit jenen unglücklichen Menschen aus Afrika. überrascht hätten, der ihnen allerdings tapferen Widerstand leistete, der Übermacht aber doch erliegen mußte. Sechzehn Turkos und sieben Franzosen waren dabei in Gefangenschaft geraten, eine andere Zahl deckte, schwer verwundet oder tot, den Boden.
Juarez ritt schweigend vorwärts, und wenige Minuten später erreichte er den Kampfplatz, wo sich der kleine Trupp der Feinde, von den Mexikanern überrascht, in einer Umzäunung gestellt und verteidigt hatte.
Dort lagen die Leichen noch, wie sie gefallen waren, Mexikaner und Fremde bunt durcheinander, denn die Guerillas hatten den Platz gestürmt; aber unwillig wandte der Präsident das Antlitz ab, als er an einem ziemlich starken Orangenbaum, und unfern der Hütte selber, ja kaum fünfzehn Schritte davon entfernt, zwei Gehängte – und zwar Mexikaner – bemerkte, die dort dem furchtbar raschen Gericht des Bandenführers zum Opfer gefallen waren.
»Oberst Yuba,« sagte Juarez finster, »hatte diese Rechtspflege nicht Zeit, bis ich selber das Tal erreichen konnte? Sie scheinen in großer Eile gewesen zu sein.«
»Bürgerpräsident,« brummte der Guerilla, »es waren Verräter, Deserteure aus unserem eigenen Korps, und wenn wir der Mannschaft nicht in jetziger Zeit ohne weiteres vor Augen halten, was sie bei dem geringsten Treubruch zu gewärtigen haben, so können wir uns fest darauf verlassen, daß uns schon im nächsten Nachtquartier die Hälfte fahnenflüchtig wird. Nur mit den übrigen Gefangenen habe ich mir Zeit genommen und bitte Sie, selber zu bestimmen, was mit ihnen werden soll, muß Ihnen aber bemerken, daß unser kleiner Zug nicht imstande ist, Gefangene zu bewachen oder mitzuführen, und ließen wir sie wieder frei, so könnten wir uns fest darauf verlassen, daß sie uns bis spätestens morgen den Feind in Hellen Schwärmen auf die Hacken brächten.«
Neben Juarez auf dem Boden lag ein Turko in seiner lichten und kleidsamen Tracht, aber das braunschwarze Gesicht sah fahl aus und war von Blut überströmt, der Fez durch einen Säbelhieb mitten voneinander gehauen, die Brust selber von verschiedenen Kugeln durchbohrt.
Lerdo de Tejada war herangeritten und abgestiegen, um den Gurt seines Maultieres fester anzuziehen. Wie er dabei zurücktrat, berührte sein Fuß die Leiche, und in Ekel wandte er sich ab.
»Und brauchen wir solches Gesindel zu schonen?« sagte er finster. »Neger, von einem fremden Land an unsere Küste geworfen, um hier zu rauben und zu plündern und die Kinder des Bodens zu töten? Was wissen sie von unseren Streitigkeiten? Was begreifen sie davon? Sie verstehen nicht einmal unsere Sprache, so wenig, wie wir die ihrige. Wer hieß sie kommen? Je weniger Umstände wir mit ihnen machen, desto besser, und einen Wert haben sie auch nicht, denn ich glaube kaum, daß sie Napoleon selbst nach dem Dutzend eingekauft hat. Sie sind ihm wie eine Herde Schlachtvieh an Bord getrieben worden.«
»Arme Teufel!« sagte Juarez. »Freilich gebrauchen sie hier ihre Waffen gegen uns, aber nicht etwa, trotzdem daß sie unsere Sprache nicht verstehen, sondern weil sie sich nicht mit uns verständigen können. Glauben Sie, Lerdo, daß im anderen Fall einer dieser Unglücklichen ein Gewehr auf uns abdrücken würde? – Wahrlich nicht.«
»Aber wir können doch keinen Gefangenen mit uns fortführen?«
»So laßt sie laufen –«
»Und wenn uns der Feind dann folgt?«
»Und wird ihn die zersprengte Truppe etwa nicht alarmieren? Was tut es auch. Sie können gar keine Ahnung haben, Lerdo, daß wir beide hier zum Zug gehören, oder ich glaube wohl, daß sie alle weiteren Eroberungspläne willig genug aufgäben, um nur uns den Weg zu verlegen – aber selbst dazu kämen sie zu spät, denn Pastera hat versprochen, uns durch die Gebirge zu führen, und ich weiß und bin überzeugt, daß er Wort hält. Vorwärts, meine Herren, die wenigen Gefangenen, die ich dort sehe, mögen ihren verwundeten Kameraden beistehen, die unsrigen nehmen wir, soweit sich dies tun läßt, mit, die übrigen müssen in dem Rancho bleiben, und wenn wir den Feind geschont haben, dürfen wir uns auch darauf verlassen, daß er sich freundlich gegen unsere Verwundeten benehmen wird. – Was meinen Sie, Pastera, sollen wir hier etwas rasten? – Der Platz sieht nicht besonders einladend dazu aus.«
»Nein, Exzellenz,« sagte der General – »mit dem zersprengten Feind in der Nachbarschaft dürfen wir es nicht wagen, aber kaum tausend Schritt von hier entfernt weiß ich einen prächtigen Platz – gerade dort oben, wo die einzelnen dunklen Bäume stehen – es sind Orangen, die früher eine Hütte beschatteten. Von dort aus haben wir nicht allein einen vollkommenen Überblick über das ganze Tal und die nächsten es umschließenden Berghänge, sondern den Rücken auch gedeckt, und der Weg zweigt dort durch zwei verschiedene Schluchten nach Norden auf. Sobald wir ein paar Reiter zum Rekognoszieren vorgeschickt, können wir uns nachher noch immer, zu welcher Bahn wir wollen, entschließen.«
»Und wollen wir den Vortrab nicht wieder vorausschicken?« sagte Juarez, denn selber kein Soldat, mochte er sich nicht der Gefahr aussetzen, an der Spitze eines Zuges ein unbekanntes und noch nicht gesichertes Terrain zu betreten.
»Der muß sich hier erst sammeln und auch jetzt ein wenig Ruhe haben,« erwiderte aber Pastera – »die Hälfte verfolgt außerdem noch den Feind in die Berge hinein. Sie mögen hier bleiben und ihre Verwundeten nachbringen, und unsere Eskorte kann indessen den Vortrab bilden.«
Die dahin nötigen Befehle waren rasch gegeben, einzelne Reiter dabei an den Rancho gesandt, in dem sich die Bewohner versteckt hatten, um, was irgend möglich, an Lebensmitteln aufzutreiben, und Juarez ritt mit Lerdo indessen langsam über das kleine Schlachtfeld und schaute sinnend auf die armen Turkos nieder, die dort in ihrem Blute lagen!
»Kennen Sie das Land, Lerdo, woher diese armen Teufel gebracht sind?« sagte er nach einer Weile zu dem jetzt neben ihm reitenden Minister.
»Nach Beschreibungen – ja,« erwiderte der Kreole gleichgültig – »es sind mehr Sklaven als Menschen, die von ihrem halbzivilisierten Fürsten eben verwandt werden, wozu er gerade Lust hat, sie zu gebrauchen. Das beste wäre, sie gründlich auszurotten, damit wir den europäischen Machthabern zeigen, was ihre Werkzeuge von uns zu erwarten haben.«
Juarez schüttelte mit dem Kopf. »Was können die armen Menschen dafür? Sie werden hier mitten in das Land hineingeworfen und kämpfen nicht etwa für den Ruhm oder Ehrgeiz jener Herrscher, sondern nur für ihr eigenes Leben. Es würden sogar gute Ansiedler werden, wenn man sie überzeugen oder mit ihnen nur reden könnte.«
Lerdo de Tejada, von reiner weißer Abkunft, dachte anders über die Mischlingsrassen Mexikos, und hegte nicht den geringsten Wunsch, diese noch durch solchen neuen Zuwachs vermehrt zu sehen; aber er hütete sich wohl, das gegen den Präsidenten zu äußern. Der Ritt durch die umhergestreuten Leichen war ihm auch nicht angenehm – von allen Seiten strichen schon die Zapolotas, jene schwarze, ekelhafte Art von Aasgeiern, herüber, die hier ein leckeres Mahl witterten, und außerdem lag die Luft so schwül und drückend auf dem engen, ringsum von Höhenzügen eingeschlossenen Tal.
Indessen hatte Pastera seine Mannschaft, von der er nur einen kleinen Teil zum Fouragieren aussendete, da es hier überall Futter für die Tiere gab, gesammelt und vorausgeschickt, und wie sie auf dem hier ebenen und ziemlich trockenen Wegs dahinsprengten, konnten ihnen Juarez und Lerdo auch etwas rascher und unbehindert folgen.
Nach einer halben Stunde etwa erreichten sie den von Pastera bezeichneten Grund und waren hier eben aus den Sätteln gestiegen, als unten im Tal wieder, wie ein kurzes Pelotonfeuer, eine Anzahl von Gewehren knallten. Die da oben Befindlichen wendeten sich rasch, um zu sehen, ob etwa ein neuer Angriff erfolgt sei, in welchem Fall ihnen dann nichts anderes übriggeblieben wäre, als den engen Paß, der zu ihrem jetzigen Aufenthalt führte, zu verteidigen. Im Tal unten ließ sich aber nichts Außergewöhnliches erkennen – nur aus dem Bananendickicht, das sein grünes Blätterzelt nicht weit von dem Hause aufgespannt, stieg eine dichte Wolke Weißen Pulverdampfes heraus und blieb eine Weile, von dem Luftzug niedergedrückt, zwischen den breiten Blättern der Pflanzen liegen. – Eben jetzt gerade bestieg Pastera, der noch kurze Zeit unten im Grunde zurückgeblieben, die Höhe und sprang aus dem Sattel.
»Was war das da unten, General?« fragte Juarez sich rasch gegen ihn wendend – »wer hat da geschossen, und auf wessen Befehl?«
» Quien sabe,« sagte der Guerillaführer achselzuckend – »sind ihnen vielleicht die Gewehre feucht geworden, und sie haben sie abgeschossen. Die Burschen verladen sich manchmal im Gefecht, und trauen dann ihren eigenen Waffen nicht. Es wird wohl alles in Ordnung sein, denn einen Feind kann ich nirgends mehr erkennen.«
Juarez sah ihn scharf an, und es war, als ob er noch eine andere Frage an ihn richten wolle, Pastera aber behandelte die Sache sehr gleichgültig und beschäftigte sich nur damit, den Sattelgurt seines warm gewordenen Tieres zu lockern, und dann den Doppelsack, den er auf dem Sattel liegen hatte, und der einigen Proviant sowie seine sämtliche Garderobe (ein neues Hemd) enthielt, abzuheben und neben das schon entzündete Feuer zu werfen. Der Präsident nahm seine Unterlippe zwischen die Zähne und sah sinnend vor sich nieder – noch einen Blick sandte er hinab in das Tal und nach dem Pulverrauch, der sich langsam gegen das Haus zog, aber der Bananenhain mit seinem dichten Laub bedeckte alles, und, sich abwendend, schritt er zu einem etwas erhöhten Punkt, wo er seine Serape auf die Erde breitete und sich selber, mit dem Rücken gegen einen starken Orangenbaum gelehnt, darauf warf.
Lerdo de Tejada schritt langsam zu der Stelle, an welcher der Präsident lag, und stand eine Weile neben ihm, anscheinend im Anblick des Tals versunken, in Wirklichkeit sah er aber nichts, was an seinem äußeren Auge vorüberglitt, und nur seine Gedanken flogen hinaus in das weite Land, nach der Hauptstadt zurück, in der er sonst in des Indianers Namen regiert, und wo jetzt ein fremder Herrscher seinen Thron aufgestellt, in die Provinzen hinein, wo fremde Söldlinge Tod und Verderben in die Täler trugen und von den Höhen ihre Feuerzeichen flammen ließen. Krieg – Krieg – Aufruhr und Unterdrückung, wohin sich auch sein innerer Blick richtete, an den Ufern des Atlantischen wie Stillen Ozeans die Kriegsschiffe der Feinde, und ihre Schwärme, die in das innere Land vorgedrungen, der ganze Kern des Landes abgefallen von ihm und den Seinen, so daß sie nicht einmal mehr den einzelnen Bandenführern trauen konnten, und jetzt sogar auf der Flucht nach dem fernen Norden, nur um den siegreichen Truppen der verhaßten Gegner auszuweichen und zu entgehen.
Und still und brütend, die kleine, gedrungene Gestalt zusammengezogen und die Augen stier und glanzlos auf den Boden geheftet, lag vor ihm der Indianer – der Präsident des Reiches, wie er sich selbst jetzt noch nannte, obgleich es keinen Fußbreit des ganzen ungeheueren Bodens gab, auf dem er hätte sagen können, » hier will ich weilen, diesen Platz behaupten.« Und doch lag auch wieder ein kalter, fast lächelnder Trotz in den dunklen Zügen, in den zusammengepreßten Lippen des kleinen, ernsten Indianers. Er hatte etwas Begonnenes durchzuführen und schien der Mann dazu – solange es sich wenigstens mit hartnäckiger Ausdauer durchführen ließ. Tausende an seiner Stelle wären entmutigt worden, und doch schien ihm, gerade in der jetzigen Zeit, sein bisheriges Glück vollständig den Rücken gekehrt zu haben, und seine Freunde und Anhänger, wie die Ratten ein sinkendes Schiff verlassen, in Schwärmen von ihm zu weichen und dem siegreichen Feind zu huldigen. – Seine kleinen Augenlider legten sich so dicht zusammen, daß die Sterne kaum noch dazwischen hervorblickten, und nur die Nasenflügel öffneten sich weit, aber keine Silbe kam über seine Lippen. Was auch in seinem Innern vorging, es ruhte dort, denn er hatte keinen Freund.
Und neben ihm Lerdo de Tejada! Es war ein eigentümliches Gemisch von Stolz und fast Hohn, womit er auf den Indianer zu seinen Füßen niederschaute. Ging sein Stern unter? – Es war möglich – er hatte ihn gebraucht der Rasse gegenüber – er brauchte ihn vielleicht noch, – da die mächtigen Nachbarn, die Vereinigten Staaten von Nordamerika, in sonderbarer Anhänglichkeit an den Mann gerade, nur in ihm die Republik anerkannten. Aber wenn er fiel, wenn er außer Landes flüchten mutzte und dadurch schon das weitere Anrecht an seine Würde verlor, sollte er selber dann die Zügel der Regierung, die er jetzt fest in Händen hielt, lassen? – nie. Das Kaiserreich konnte nicht dauern, das erkannte er recht gut, denn es war wohl möglich, ein solches Land wie Mexiko von einem fremden Weltteile aus zu erobern, aber nie im Leben mit fremden Truppen und fremdem Geld zu behaupten. Sein Ende mußte kommen und blieb nur eine Frage der Zeit. Nur dadurch konnte er deshalb selber seiner Partei Geltung im Lande und Sicherung ihrer Interessen verschaffen, wenn er eben in seiner Stellung aushielt und dem Präsidenten in Glück und Unglück folgte.
Und hätte Maximilian nicht vielleicht dasselbe vermocht? Tat er nicht jetzt schon, was Juarez selber nur für das Land und die Interessen der besitzenden Klassen hätte tun können? Ja – vielleicht – aber es war ein Fremder, und wenn auch ein Fürst, welches Recht hatte er, sich hier in ihre Streitigkeiten zu mischen und als Schiedsrichter und Gewalthaber aufzutreten? Republik oder Monarchie? – Tejada lächelte verächtlich, als ihm der Gedanke durch den Sinn zuckte. Waren das Republikaner, die sie befehligten? – Hatten diese einen Willen? – Nur eine Willkür, wo sie augenblicklich die Macht hielten, weiter nichts, und selbst die wurde roh und ohne Überlegung ausgeübt, denn nur dem Namen nach durfte das eigentliche Volk regieren.
Aber wohin wollte sich Juarez jetzt wenden? Selbst er wußte nichts von den Plänen des in sich verschlossenen Indianers und mußte dabei doch die größte Vorsicht anwenden, daß dieser nie fühle, wie er von ihm geleitet wurde, oder sein ganzer Einfluß und jahrelange Arbeit und Mühe wären in einer kurzen Stunde vereitelt worden. – Aber wohin konnte er auch? Im Osten wie im Westen waren die Provinzen von den Franzosen und ihren mexikanischen Verbündeten erobert und besetzt worden; selbst oben im Nordosten am Rio-Grande drängten sie schon herein, und nur gerade nach Norden hinauf lag noch eine durch endlose Steppen und wilde Bergmassen geschützte Bahn. Dort oben hielten auch die Nordamerikaner die Grenzen von irgendwelchem Feinde frei, und der Grund und Boden des mächtigen Nachbars bot ihnen zu jeder Zeit einen sicheren Zufluchtsort. Seinem Wunsche nach sollte sich auch jetzt Juarez bis unmittelbar an die Grenze ziehen, um dort wieder vor allen Dingen Kräfte zu sammeln und seine Zeit abzuwarten – überlegte er jetzt gerade seine künftigen Pläne?
»Wann gedenken Sie wieder von hier aufzubrechen, Bürgerpräsident?« sagte Tejada endlich, nachdem er vergebens gewartet hatte, daß der Präsident ihn anreden sollte. – Juarez hatte seine Nähe gar nicht bemerkt und fuhr jetzt wie aus einem Traum empor – aber rasch genug fand er sich wieder zurecht und sagte ruhig: »Ich glaube nicht, mein lieber Lerdo, daß wir uns sehr zu übereilen brauchen. Auf diesem Wege folgt uns niemand, und wir haben volle Muße, unseren nächsten Aufenthaltsort in aller Bequemlichkeit zu erreichen.«
»Aber unser Weg liegt noch weit,« sagte Tejada leise, »ich möchte nicht, daß Sie sich einer unnötigen Gefahr aussetzten. In Ihrer Person liegt unsere eigene, wie die Wohlfahrt des ganzen Reiches, und ich selber habe gewissermaßen die moralische Verpflichtung übernommen, Sie einer jeden Gefahr fernzuhalten.«
»Und wohin möchten Sie mich zu dem Zweck führen?« sagte Juarez, und ein leises, kaum merkbares Lächeln zuckte um seine Lippen.
»Präsident,« erwiderte Tejada, »Sie müssen in Mexiko bleiben, um Ihre Rechte der Tat wie dem Buchstaben des Gesetzes nach zu wahren; aber Mexiko reicht bis zum Rio-Grande, und dort, mit der vollen Sicherheit auch der drohenden Gefahr im Nu entgehen zu können, mögen Sie ruhig abwarten, wie sich die Dinge im Süden entwickeln werden.«
»Und dort in einer Wüste und Wildnis soll ich frische Truppen sammeln?« sagte Juarez finster, »soll dem Feind gleich das ganze Land räumen und ihm zeigen, daß ich nicht imstande bin, seinen Waffen die Stirn zu bieten? – Nein, Tejada, nach Norden werden wir allerdings gedrängt, und ich fürchte, selbst dieser Staat möchte für uns im gegenwärtigen Augenblick nicht zu halten sein, aber in Chihuahua halte ich mich, solange als ich kann. Dort in der Hauptstadt befinden wir uns in einem reichbevölkerten Distrikt, von treuen Anhängern umgeben und beschützt, und ehe es sich die fremden Mordbrenner versehen, brechen wir, wie der Panther unserer Wälder, wieder über sie hinein, um Schlag auf Schlag zu führen, bis wir auch die Letzten vernichtet oder aus dem Lande gejagt haben.«
»Und wenn sie uns dort umgehen und uns den letzten Zufluchtsort, die Grenzen der Vereinigten Staaten, abschneiden?« sagte Tejada. – »An der Mündung des Rio-Grande liegen französische Kriegsschiffe, und ihre Kanonenboote sollen schon den Strom befahren haben. Erfahren sie erst einmal genau, wo wir zu finden sind, so können wir uns auch darauf verlassen, daß sie alle Kräfte aufbieten werden, um mit unserer Gefangennahme einen letzten und dann auch sicher entscheidenden Schlag zu führen.«
»Haben Sie keine Furcht, Tejada,« lächelte Juarez, indem er sich aus seiner liegenden Stellung emporrichtete – »es mögen einzelne Verräter von uns abfallen, aber im ganzen hält das Volk trotzdem zu unserer Sache, schon aus dem alteingewurzelten Haß gegen alle Fremden. Sollten die Franzosen uns wirklich im Norden bedrohen wollen, und fühlen wir uns noch nicht stark genug, um ihnen entschieden standzuhalten, ei! dann werden wir auch rechtzeitig vor der Gefahr gewarnt werden und ihr wieder entgehen, wie wir ihr bis jetzt noch immer entgangen sind. Überlassen Sie die Sorge mir und sehen Sie nur zu, daß wir etwas zu essen bekommen; denn ich fange wirklich an hungrig zu werden. Wir haben einen scharfen Ritt hinter uns, und einen ebensolchen vor uns, und dürfen unsere Kräfte nicht vor der Zeit aufreiben.«
Die Mahlzeit war bald fertig, und ein ganz eigentümliches Bild bot dabei der kleine Bergvorsprung, auf dem der Zug des Präsidenten – und für den Augenblick fast seine ganze Armee lagerte.
Unter einer riesigen Euphorbie zündeten die Soldaten ihre Feuer an, denn zu leben hatten sie genug, da ihnen unten im Tal ein junger Stier in die Hände gefallen und augenblicklich als gute Beute erklärt war. Auch ein paar Hühner wurden entdeckt und aufgegriffen. Sollten sie etwa solche Provisionen zurücklassen, damit sie dem Feind in die Hände fielen? Von was die armen Eigentümer des Bodens da unten lebten, was kümmerte sie das? Die mochten später sehen, woher sie Lebensmittel für ihre Familie nahmen.
Ringsum an den Feuern staken aus zugespitzten Stecken jetzt die großen Stücke Fleisch, während Tortillas (das Hartgebackene und tellerförmige Maisbrot) daruntergelegt waren, um den abträufenden Saft aufzufangen und, was sich nicht einzog, wieder über das Fleisch zu gießen. Einzelne der Burschen führten auch Blechkessel mit, und ebenso trug eins der Packtiere das Kochgeschirr des Präsidenten, wenn auch nur der einfachsten Art.
In dem mit einem Henkel und Deckel versehenen Blechtopf wurde für Juarez und Tejada – der General dinierte mit den Soldaten und beanspruchte auch nicht mehr – ein Huhn mit etwas türkischem Weizen zusammengekocht und in einem kleinen Zinntopf Schokolade bereitet. Ein entsetzlich schmierig aussehender Bursche brach dann mit wahrscheinlich lange nicht gewaschenen Händen ein Stück rohen, braunen Zucker von einem etwas größeren Hut ab und warf es in die Schokolade. Das war das Diner des »Ersten der Republik«, und glücklich genug, daß sich noch so viel vorfand, und ihnen überhaupt Zeit gelassen wurde, um es in Ruhe zu verzehren.
Wo nur auf einmal all die Aasgeier herkamen, die, besonders gegen den Wind an, aber auch von anderen Seiten herbeistrichen. Hatten sie ihre Beute gewittert? – Hatten sie etwa nur die Gewehrschüsse gehört, denn die schlauen Tiere wissen in Mexiko genau, was die bedeuten; sind sie es doch die langen Jahre schon gewohnt. Aber was kümmerte das die Soldaten da oben am Bergeshang; sie selber hatten sich ebenso an die Gesellschaft dieser eklen Geschöpfe gewöhnt, die sie auf allen ihren Märschen begleiteten – und wenn sie nun auf ihren eigenen Leichnam warteten? – que importe – ihr eigenes Leben war ihnen kaum einer Sorge wert. Aus was bestand es? Aus nichts als Gefahren und Beschwerden, solange sie denken konnten; herumgehetzt, bald da-, bald dorthin, jetzt von dieser, jetzt von jener Partei gepreßt und ihren Familien entrissen, ihre Heimat zerstört, ihr geringes Eigentum vernichtet oder weggeführt, was hatten sie, was sie an dies Leben binden konnte? Nichts auf der ganzen Welt, und so wenig sie das eigene achteten, gerade so wenig kümmerte sie auch das anderer Menschen.
Der Zug war wieder zum Abmarsch gerüstet, denn Juarez drängte vorwärts, da ihm das Streifkorps des Feindes, das vorhin von seiner Avantgarde überrascht worden, doch die Überzeugung geben mußte, daß ein größerer Truppenkörper desselben nicht gar zu entfernt von dort stehen mußte. – Er durfte sich nicht der Gefahr aussetzen. Hier von ihnen überrascht und gefangen zu werden.
General Pastera, der eben seine Mahlzeit beendet und seine fettigen Hände dann durch die Haare gestrichen hatte, um sie in etwas zu säubern (daß dicht dabei ein Quell niedersprudelte, störte ihn nicht, denn er gebrauchte nie Wasser zum Waschen), war eben damit beschäftigt, den Gurt seines Pferdes wieder anzuziehen, als Tejada zu ihm trat und leise sagte:
»Was bedeutete die Gewehrsalve vorhin da unten in dem Platanar?«
» Quien sabe,« erwiderte der Bursch, wie vorhin mit den Schultern zuckend, »ich war schon fort, als sie schossen.«
»Yuba hat die Gefangenen erschießen lassen, wie?« drängte aber der Minister und sah den Burschen scharf an.
Wieder zuckte dieser die Achseln. »Und wenn er's getan hätte?« sagte er endlich, denn er wußte genau, wie er mit Tejada stand – »sollen wir sie mitschleppen, oder abwarten, daß sie uns in der Schlucht dort voraus Steine auf die Köpfe niederrollen? Es sind Fremde,« setzte er verächtlich hinzu, »die der Teufel selber in unser Land gerufen. – Caracho, ihr Blut ist nicht besser als das unsere und flieht ebenso schnell – Vamonos« – und mit einem Satz auf sein Tier springend, warf er es herum und ritt jetzt an die Spitze des Zuges, um sich der Avantgarde anzuschließen. Tejada aber, dessen Diener ihm ebenfalls sein Tier vorgeführt, stieg langsam auf und folgte in dem jetzt wieder enger werdenden Pfade schweigend wie vorher dem Präsidenten.