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Mehrere Tage vergingen in Mexiko, ohne daß beide Parteien, die Klerikalen wie die Antiklerikalen, sich – wenigstens offen – gerührt hätten. – Es war, als ob jeder wisse, daß etwas Entscheidendes in der Luft läge, und nun seine Zeit abwarte, um dem zu begegnen.
Allerdings hatte es sich schon in der Stadt ausgesprochen, daß der Kaiser den strengen und ungerechten Forderungen des Papstes nicht nachgeben würde und einen Schritt dahin vorbereite, – von der anderen Seite aber war auch wieder das Gerücht verbreitet, die mexikanische Regierung wolle selber Gesandte an den Papst schicken, um die Befehle in Sachen der Kirche direkt von seinen eigenen Lippen zu holen, wo dann natürlich an eine Widersetzlichkeit nicht gedacht werden konnte.
Da, mitten in den Neujahrsfestlichkeiten, und mit Siegesberichten aus dem Norden, wo wieder verschiedene Juaristische Banden zersprengt worden und andere sich freiwillig dem Kaiserreich angeschlossen hatten, erschien plötzlich im »Mario del Imperio« der Brief des Kaisers an den Justizminister Escudero, datiert vom 27. Dezember 1864, und zerhieb mit
einem Schlag den Knoten, der bis jetzt noch als fast unentwirrbare Fessel das Gedeihen und die Entwickelung des mexikanischen Staates in Banden gehalten hatte.
Dieser Brief, neben dem späteren verhängnißvollen Erlaß vom 3. Oktober, ist eins der wichtigsten, wenigstens folgenschwersten Dokumente des Kaiserreichs und verdient deshalb hier wörtlich wiedergegeben zu werden.
Mexiko, 27. Dezember 1864.
Mein lieber Minister Escudero!
Um die Schwierigkeiten zu erleichtern, welche in bezug auf das Reformgesetz entstanden sind, schlagen Wir die Annahme eines Mittels vor, welches, indem es den gerechten Forderungen des Landes entspricht, zugleich den Frieden der Gemüter und die Gewissensruhe bei allen Bewohnern dieses Reiches wiederherstellen soll. Zu diesem Zwecke haben Wir bereits, während Unseres Aufenthalts in Rom, Unterhandlungen mit dem heiligen Vater, als dem allgemeinen Oberhaupt der katholischen Kirche, eröffnet.
Der päpstliche Nuntius befindet sich jetzt in Mexiko, aber zu Unserem größten Erstaunen
hat er erklärt, daß er sich hierüber ohne Instruktionen befinde, und daß er dieselben erst von Rom aus erwarte. Diese unnatürliche Position, welche nun durch sieben Monate fortdauert, läßt keinen weiteren Aufschub mehr zu. Sie fordert eine schleunige Lösung. Wir beauftragen Sie daher, Uns sowohl die geeigneten Maßregeln vorzuschlagen, daß die öffentliche Justiz ohne Ansehn der Person geübt werden könne, wie auch, daß die legitimen, durch Gesetze begründeten Interessen sicher gewahrt bleiben, indem die in ihrem Namen begangenen Ausschreitungen abgestellt, wie ferner für die Aufrechthaltung des öffentlichen Gottesdienstes und den Schutz anderer, in den religiösen Bereich gehörigen kirchlichen Angelegenheiten Fürsorge getroffen wird; und endlich dahin zu wirken, daß die Sakramente administriert und die Funktionen des heiligen Amtes ausgeführt werden, ohne dem Volke durch das ganze Reich irgend welche Auslagen oder Lasten zu verursachen.
Zu diesem Ende werden Sie Mir vor allem die Revision der Verhandlungen über die Güter der toten Hand und die Nationalisierung der Kirchengüter vorzuschlagen haben, und dabei als Basis annehmen, daß legitime Transaktionen ohne Arg und in Übereinstimmung mit den diese Amortisation normierenden Gesetzen vollzogen, auch ratifiziert werden sollen.
Kurz, seien Sie im Sinne einer freien und großartigen Toleranz tätig, lassen Sie jedoch nicht außer acht, daß die Staatsreligion die römisch-katholische und apostolische ist.
Maximilian. Die Aufregung aber, die derselbe in der klerikalen Partei sowohl wie im Volke hervorbrachte, ist ganz unbeschreiblich, denn damit war eigentlich der erste entscheidende und selbständige Schritt des Kaisers getan, und er hatte gezeigt, daß er nicht, wie er auf der einen Seite noch notgedrungen von Frankreich abhängig bleiben mußte, auch auf
der anderen von Rom geführt und
regiert werden wollte.
An demselben Morgen, an welchem der Brief im »Dario« veröffentlicht wurde, und noch lange, bevor die Exemplare die Druckerei verlassen, betrat Monsignore Meglia, die erste Nummer in der Hand, die ihm durch die Vermittlung eines Anhängers der Kirche zugesandt worden, das Arbeitszimmer seines Freundes, des Erzbischofs, teilte diesem aber keine Neuigkeit mehr mit, denn das nämliche Blatt lag schon, noch feucht von der Presse, auf seinen Tisch, und der geistliche Herr schritt in sichtlicher Erregung in dem hohen, luftigen Gemach auf und ab. Nur als er den Nuntius erblickte, blieb er mitten in der Stube stehen, und mit einem eigentümlich kalten Lächeln in den Zügen sagte er, indem er den römischen Priester fest und forschend ansah:
»Nun, Monsignore, wie gefällt Ihnen das Aktenstück, das Sie, wie ich sehe, schon erhalten haben? Ich selber wollte eben nach Ihnen schicken, um Ihre Meinung darüber zu hören. Seine Majestät enthebt uns jedenfalls auch des kleinsten Zweifels über seine Ansichten, und ich bin neugierig, wie der heilige Vater diese Expektorationen aufnehmen wird.«
»Und glauben Sie wirklich, daß es Ernst ist?« rief der Nuntius, indem er sich in augenscheinlicher Erregung in einen Stuhl warf; »es ist ja doch kaum möglich – kaum denkbar, daß ein österreichischer Prinz sich so vollkommen – ja, ich möchte fast sagen, von dem Glauben unserer Kirche losmachen könnte. Kirchenraub! – Und »großartige Toleranz«, das heißt dem Protestantismus frei die Tür öffnen; Zwang der Geistlichkeit unter die gewöhnlichen Gerichte – es kann und darf ja nicht sein, und das in Mexiko – in einer der spanischen Kolonien, von einem streng katholisch erzogenen Monarchen selber ausgeführt. Es ist nichts als ein Druck, den er auf uns auszuüben hofft, damit wir uns seinen früheren Vorschlägen geneigter zeigen und mit ihm darüber unterhandeln sollen.«
»Täuschen Sie sich darüber nicht, Monsignore,« sagte Labastida, ernst mit dem Kopf schüttelnd, »Sie kennen unseren Kaiser noch nicht, der mit modernen und oft gefährlichen Ideen wie allen Arten von Neuerungen, so schwankend er sonst auch an Charakter sein mag, doch auch einen gewissen Trotz verbindet. Diesen aber erst einmal geweckt, und es hält außerordentlich schwer, die Folgen abzuwenden.
»Und wer hat ihn hierher gerufen?« rief Meglia heftig aus, »war es nicht die Kirche selber, die ihn auf den Thron setzte, um hier im Lande die Spuren jener frechen Gesetze zu vertilgen, die jener abtrünnige Indianer erlassen? – Und glaubt etwa dieser Schattenkaiser, Rom, das ihn groß gemacht und zu seinem Werkzeug ausersehen, besäße nicht auch die Macht und Mittel, um ihn wieder zu stürzen, sobald er seinem Zweck nicht entspräche? Ist das die Dankbarkeit, die wir vom Hause Habsburg erwarten durften?«
Labastida sah still und schweigend vor sich nieder, und für einen Moment war es fast, als ob ein leichtes, kaum merkbares Lächeln um seine Lippen zuckte. Wenn so, verlor es sich aber so rasch wie es entstanden, und nach einer kleinen Weile sagte er sinnend:
»Dankbarkeit ist ein Wort, was diese südlichen Länder fast gar nicht kennen. Es liegt hier im Blut, wie es scheint – in dem ganzen Wesen und Charakter der Leute, und was man für sie tat, betrachten sie als nichts weiter wie eine erfüllte Pflicht. Maximilian hat schon nach seinem Antritt erklärt, daß er sich ganz und vollkommen als Mexikaner fühle, und er scheint es in Wirklichkeit rascher geworden zu sein, als wir je vermuten konnten.«
»Aber wir dürfen das nicht dulden!« rief Meglia heftig aus; »wie ich fast glaube, ist dieser Brief noch immer nur erst ein Fühler, wie weit die Kirche ihm gestatten wird, zu gehen – es ist noch kein Gesetz, das er gar nicht wagen darf in dieser Ausdehnung, und Rom ganz beiseite schiebend, zu geben. Nichts als ein mutwilliger und – ich darf sagen frecher Versuch, die Kirche selber glauben zu machen, daß er ein Kaiser sei und über ihren Gesetzen und Vorschriften stehe, und erst wenn wir das dulden, wenn wir ruhig die Hände dazu in den Schoß legen, geht er vielleicht weiter – aber auch nur dann.«
»Täuschen Sie sich darüber nicht,« sagte der schlauere Labastida, »wie ich den Kaiser kenne, ist das mehr als ein Versuch, ist es eine Tatsache, und wir werden wohltun, keine unnütze Zeit zu versäumen.«
»Aber es ist doch nicht denkbar,« rief Meglia aus.
»Ich muß selber gestehen,« nickte Labastida, »daß ich nicht geglaubt habe, er würde in so rascher und rücksichtsloser Weise vorgehen, denn es liegt das, wie gesagt, gar nicht in seinem sonst weit eher schwankenden Charakter. Der Kaiserin selber würde ich es weit eher zutrauen, wenn ich mir überhaupt denken könnte, daß sie als fromme Katholikin die Hand dabei im Spiel gehabt.«
»Und hatten Sie keine Ahnung, daß etwas derartiges im Werke sei? Hätte es sich nicht doch noch vielleicht umgehen oder wenigstens hinausschieben lassen, um uns nicht jetzt vollkommen unvorbereitet dabei zu finden?«
»Ich muß zugeben, daß wir schlecht bedient waren,« sagte Labastida sinnend, »und ich hätte vielleicht einen mir früher gemachten Vorschlag eines meiner Untergebenen annehmen sollen. Das Geschehene ist allerdings nicht mehr ungeschehen zu machen, aber um so nötiger wird es jetzt dafür, mit aller nur möglichen Umsicht zu Werke zu gehen.«
»Ich verstehe Sie nicht.«
»Wir hatten niemanden in der unmittelbaren Nähe des Kaisers, auf den wir uns fest verlassen konnten,« sagte der Erzbischof.
»Und sein Beichtvater?« fragte Meglia mit einem forschenden Blick auf Labastida.
Dieser zuckte die Achseln und erwiderte: »Es gehört zu einem solchen Amt nicht allein guter Wille, sondern auch ein scharfer Verstand, um – eine solche Stellung auszufüllen. – Es wurde mir auch ein passender Mann dafür vorgeschlagen, aber ich hielt es damals nicht für nötig, ja vielleicht gar für gefährlich, da ich selber die Persönlichkeit nicht genau kannte. Ich habe indessen aber nicht versäumt, Erkundigungen über sie einzuziehen, und selbst auf heute morgen den Padre Miranda zu mir bestellt, um vielleicht doch dessen früher gegebenen Rat zu befolgen.«
»Und wer ist es? Kenne ich ihn?«
»Schwerlich« – sagte Labastida – »es ist ein deutscher Priester, der aber erst spät zu unserer Kirche übertrat und die Weihe erhielt. Es soll ein tüchtig geschulter, wie auch – gewandter Mann sein und – wie die Sachen jetzt einmal stehen, wo wir gar nicht wissen können, welche Folgen dieser erste Schritt des Kaisers nach sich zieht, wird es jedenfalls besser sein, sich auf alles vorzubereiten.«
»Hätten Sie das nur früher getan!«
»Es ist noch nicht zu spät,« sagte Labastida mit einem überlegenen Lächeln, »denn der Kaiser unterschätzt jedenfalls den Einfluß, den wir trotz allem und allem auf das Volk ausüben, und scheint sich selber dabei eine Waffe zu schmieden, die in unseren Händen für ihn gefährlich werden könnte: die Trennung des Staates von der Kirche und unsere dadurch erlangte vollständige Unabhängigkeit in geistlichen Dingen!«
»Kehrt aber Juarez zurück, so haben wir gar nichts gewonnen.«
»Noch ist nicht jede Hoffnung verloren, das Herz Maximilians umzustimmen und eine Deklaration der wirklichen Gesetze zu verzögern. Indessen arbeiten uns die Franzosen in die Hände, indem sie den Indianer vollständig vernichten und vielleicht gar in ihre Gewalt bekommen. Dann muß es nachher unsere Sorge sein, den richtigen Mann zu finden, der das Werk der Neugeburt Mexikos in die Hand nimmt, und daß er die Macht dazu nicht erhält, ehe er uns diesmal volle Garantien geleistet hat, dessen können Sie sich versichert halten. Aber ich glaube, ich bekomme Antwort,« unterbrach er sich, als sich in diesem Augenblick die Tür öffnete und ein indianischer Priester in sehr demütiger Stellung auf der Schwelle erschien, »was gibt es, Padre Antonio?«
»Padre Miranda steht draußen im Vorsaal und wünscht –«
»Er soll hereinkommen,« unterbrach ihn der Erzbischof, »er soll hereinkommen,« und ungeduldig machte er selber einige Schritte nach vorn, der Tür zu, besann sich aber doch wieder, blieb stehen, ging zum Tische zurück und nahm dort ein Buch auf, als Padre Miranda mit seinem kahlen Kopf und dem verschmitzten Gesicht, das er aber jetzt in gar ernste und demütige Falten gelegt hielt, in der Tür erschien.
» Ave Maria,« sagte er mit leiser, halb flüsternder Stimme, indem er wie unwillkürlich das Zeichen des Kreuzes auf Stirn und Brust machte, und » Purisima« antwortete ihm, leicht den Kopf neigend, der Erzbischof.
»Sie haben mich rufen lassen, Monsennor.«
»Ja, Padre,« nickte der Erzbischof, »aber nur einer einfachen Frage wegen, die ich dem Boten nicht anvertrauen wollte. Sie nannten mir einmal vor einiger Zeit einen – zuverlässigen Mann, der vielleicht – wenn Seine Majestät eine geistliche Hilfe brauchen oder wünschen sollte, ihm empfohlen werden könne?«
»Ja, Monsennor, den Padre –«
»Der Name tut nichts zur Sache,« unterbrach ihn sein Vorgesetzter, »ich kenne ihn, aber wo ist jener Mann jetzt?«
»Hier in Mexiko, Monsennor – in der Hauptstadt.«
»Hier in Mexiko?« rief Labastida erstaunt; »wie mir gesagt worden, befand sich jener Padre ziemlich weit von hier entfernt – im Norden.«
»Allerdings, aber – wir sind miteinander befreundet, Monsennor, und ich hatte mir die Freiheit genommen, ihm anzudeuten – ohne jedoch dafür die geringste Verpflichtung zu übernehmen – daß er vielleicht hier bei uns einen seinen Fähigkeiten entsprechenden Wirkungskreis finden könne, wenn er es versuchen wolle, herzukommen.«
»Hm!« sagte Labastida, dadurch wirklich überrascht, denn das Ganze kam ihm fast ein wenig zu schnell, »und wo hält er sich jetzt auf?«
»Er wohnt jetzt in der Stadt bei einem Landsmann und würde sich glücklich schätzen, wenn ihm Monsennor erlauben wollten, Ihnen einmal seine Aufwartung zu machen, nur um Ihnen Bericht über jene Landesteile abzustatten, die er bereist hat, und wo er ordiniert gewesen. Ich bin fest überzeugt, daß Sie sich außerordentlich dafür interessieren werden, denn er hat eine vortreffliche Beobachtungsgabe und die verschiedenen Länder mit Nutzen durchzogen!«
»In der Tat?« sagte Labastida, »die Zeit ist allerdings nicht besonders dazu geeignet, denn wichtige Dinge beschäftigen uns gegenwärtig, aber – eine Stunde findet sich vielleicht doch dafür. Wenn er morgen früh um zehn Uhr einmal hier anfragen will, so ist es möglich, daß ich ihn sprechen kann. Sagen Sie ihm das!« und die Hand wie segnend gegen den Padre ausstreckend, wandte er sich zur Seite, indessen dieser nach tiefer Verbeugung sich zurückzog.
Der Padre, den Meglia indessen, wenn auch nur schweigend, doch aufmerksam beobachtet hatte, war kaum durch die sich hinter ihm schließende Tür verschwunden, als der Nuntius sagte:
»Wie ist sein Name?«
»Der Name des Padres, der uns eben verlassen hat?«
»Ja.«
»Miranda; ein gewandter und brauchbarer Mann.«
»Ich glaube es – er sieht so aus – aber er muß mit Vorsicht benützt werden!«
»Mißtrauen Sie ihm?«
»Das sage ich nicht, aber – ich verkehre nicht gern – außer zu ganz bestimmten Zwecken – mit zu schlauen Menschen.«
»Und dafür halten Sie den Padre?« lächelte Labastida; »ich glaube, Sie tun ihm unrecht; er besitzt, meiner Meinung nach, nur in einer bestimmten Richtung eine, wie ich nicht leugnen will, große Gewandtheit und weiß sich nützlich zu machen. – Doch – um auf unser voriges Gespräch zurückzukommen – was gedenken Sie auf diesen Brief zu tun, denn gegen Sie ist er eigentlich direkt gerichtet!«
»Und wie würden Sie an meiner Stelle handeln?« fragte der Nuntius zurück.
Labastida schwieg und sah eine kurze Weile sinnend vor sich nieder.
»Ich glaube,« erwiderte er endlich, »ich würde mir zu irgendeinem entscheidenden Schritt Zeit nehmen und zuerst versuchen, den Kaiser auf die Gefahr, der er sich durch eine solche Handlung aussetzt, aufmerksam zu machen.«
»Und ist das Ihr Ernst?« forschte der Prälat, sich stolz emporrichtend.
»Ich kann mich irren,« erwiderte Labastida, »aber ich würde es für zweckmäßig halten.«
»Und der Heilige Stuhl sollte eine solche Beleidigung ruhig hinnehmen?« fuhr der Nuntius heftig fort, »sollte diesen »Probekaiser« glauben machen, daß Rom je eine solche Mißachtung seiner Befehle auch nur einen Moment dulden würde?«
»Aber wir verfügen gegenwärtig über keine Macht,« sagte der durch Bazaines früheres rücksichtsloses Einschreiten vorsichtig gemachte Erzbischof, »um unseren Worten Nachdruck zu geben. Das einzige, was wir in diesem Augenblicke tun könnten, wäre, gegen ein solches Vorgehen der Regierung in vollkommen altkatholischer Weise zu protestieren.«
»Und zwingt mich nicht meine ganze Stellung dazu?« rief der Nuntius, »stehe ich hier nicht als Abgesandter des heiligen Vaters, und darf ich dulden, ohne meiner Entrüstung Worte zu leihen, daß hier ein Akt vollzogen wird, der das Heiligste umstürzt und die Kirche in ihrer innersten Feste erschüttert?«
»Maximilian wird aber durch einen solchen Schritt nur noch in der einmal eingeschlagenen falschen Bahn bestärkt werden.«
»Dann mag er sich auch die Folgen selber zuschreiben,« sagte der Nuntius finster – »dann mag er fallen, denn er hat seinen Boden – er hat Gott verloren. An Ihnen aber ist es jetzt, Ihren ganzen Einfluß im Lande aufzubieten, um einem solchen unkirchlichen Gesetz entgegenzutreten. Der Sturm gegen dasselbe muß auf allen Seiten zugleich beginnen und unablässig fortgesetzt werden, bis wir eine entscheidende Antwort von Rom bekommen und dann auch einen entscheidenden Schlag führen können. Pamphlete müssen im Lande verbreitet werden, um das Volk aus seiner Lethargie aufzurütteln. Begünstigt ja doch auch das Gesetz nur die bemittelte Klasse; welchen Nutzen hat der Lepero davon? Wie steht es mit der Bittschrift der Frauen und Jungfrauen, die Sie vorbereitet haben? Dieselbe muß ohne Zögern in Zirkulation gesetzt werden, und ich denke, wir werden die Regierung so zusammenhetzen, daß sie die Lust zu weiteren Versuchen schon verlieren soll. Ich selber werde dabei, kraft der mir vom Papste übertragenen Gewalt, Verhaltungsregeln an die Geistlichkeit Mexikos erlassen, und hoffe dadurch Seiner Majestät klar genug darzutun, daß sich nun einmal nicht gegen den Stachel lecken läßt. Alles das muß aber Schlag auf Schlag folgen, und wir haben deshalb keinen Moment Zeit zu verlieren; sind Sie mit allem einverstanden?«
»Gewiß, wenn Monsignore glauben, daß es nützlich ist. Ich füge mich darin ganz den Beschlüssen des Heiligen Stuhles und stelle Ihnen meine schwachen Dienste zur Verfügung.«
»Dann bis auf Wiedersehen!« Und mit hastigen Schritten eilte der Nuntius in seine eigenen Gemächer, um ohne Säumen den Kampf mit der »weltlichen Macht des Kaisers«, wie er sich ausdrückte, aufzunehmen.
*
Unbeschreiblich war die Aufregung in Mexiko, als an diesem Tage das »Diario del Imperio« herausgegeben wurde und den Brief brachte, den der Kaiser an seinen Justizminister geschrieben. Erhielt die Bevölkerung doch dadurch den bestimmten Beweis, daß sich der Kaiser nicht länger am Gängelbande Roms befand, und gesonnen sei, seine eigene, freie Bahn, unbehindert durch einen Einfluß des Klerus, zu wandern. – Aber man glaubte noch nicht recht daran, oder fürchtete vielmehr die Schritte, die der vom Papst gesandte Nuntius jetzt tun würde, um der Absicht des Monarchen entgegenzuwirken, – und der Protest desselben ließ auch nicht lange auf sich warten. Er bestritt darin mit der größtmöglichen Unverschämtheit Maximilian das Recht, in seinem eigenen Reiche das anzuordnen, was er für das Beste desselben hielt, und entblödete sich sogar nicht, wenn auch noch immer in versteckten Worten, mit dem Strafgericht des »heiligen Vaters« zu drohen, der eine solche Mißachtung seiner Forderungen nicht dulden würde und könne.
Das nun ließ die Regierung ruhig hingehen – weshalb sollte der Nuntius nicht protestieren, war er doch selber durch diesen Brief, wie sich nicht gut leugnen ließ, in eine nicht gerade angenehme Lage geraten. Aber dabei blieb es nicht, denn Meglia, der stolze Nuntius Roms, gebärdete sich gerade so, als ob er der Herr von Mexiko wäre, und der Minister Escudero erhielt die Nachricht, daß ein förmlicher Befehl an sämtliche mexikanische Geistliche in die Druckerei gegeben sei, der natürlich, wenn er veröffentlicht worden wäre, viel Unheil angerichtet, oder doch wenigstens viel böses Blut im Lande gemacht hätte.
Ohne weiteres konferierte er deshalb mit dem Kaiser, und Maximilian, durch den unverschämten Protest des päpstlichen Dieners überhaupt gereizt, war in diesem Augenblick fest entschlossen, den Klerikalen das Recht nicht einzuräumen, gegen ihn und den Staat offen zu agieren. Ohne Zögern erschien im amtlichen Blatte ein Dekret, welches dem Kaiser für alle päpstlichen Bullen und Erlässe in Mexiko das Exequatur vorbehielt, der Nuntius also nun auch den Geistlichen keine Verhaltungsregeln mehr geben konnte, die nicht erst dem Kaiser oder seinen Ministern zur Prüfung und Genehmigung vorgelegt waren.
Der Nuntius protestierte allerdings auch augenblicklich hiergegen, aber Labastida hatte recht gehabt: es fehlte ihnen die Macht, ihren Willen durchzusetzen, und die stolzen Priester fanden bald, daß sie allein gar nichts gegen die beschlossene Maßregel ausrichten konnten, sondern mit jeder Stunde fast mehr den Boden unter den Füßen verloren.
War es das Gefühl im Lande, daß sein Kaiser energisch gegen den nur zu oft drückenden Zwang der höheren Geistlichkeit auftrat, der die niederen Geistlichen überdies nicht immer freundlich gesinnt waren und auch von ihr in einem oft kaum erträglichen Zwang gehalten wurden; war es das dadurch geweckte Vertrauen zu einem starken – nicht von Rom abhängigen Kaiserreich, aber die Begeisterung war allgemein und zeigte sich, wie das ja stets der Fall ist, am stärksten und deutlichsten in der Hauptstadt.
Wenige Tage nach dem letzten Erlasse fuhr der Kaiser mit der Kaiserin in seiner leichten Equipage von Chapultepec in die Stadt, um dort einem dringend gebotenen Ministerrat zu präsidieren, kaum aber erreichte er nur die erste Straße, als sich das Volk zusammenrottete und die Herrschaften mit Jubelruf empfing. Der Kaiser ließ den Wagen langsam fahren, damit in den fast unnatürlich belebten Straßen kein Unglück passiere, aber die Volksmenge wuchs, » El Temperador – el viva!« tönte es durch die Gassen, und müßiges Volk gab es überall, um jeden Auflauf zu schwellen – Kopf an Kopf standen sie bald – französische und mexikanische Soldaten, Leperos, mit den angesehensten Bürgern der Stadt zusammen. » El viva – el viva!« tönte der Ruf – die Hüte wurden geschwenkt – die Bevölkerung schien in Aufregung – und es blieb dem Kaiserpaar zuletzt nichts anderes übrig, als den Wagen zu verlassen und den noch übrigen Weg nach dem Palais unter dem immer mehr anwachsenden Beifallssturm der zuströmenden Massen zurückzulegen.
Es war kein Zweifel mehr; Maximilian, von dem man nie gehofft, daß er gerade der doch noch immer gefürchteten Geistlichkeit so entschieden entgegentreten würde, hatte sich die Herzen des Volkes im Sturm erobert.
Und in seinem Palast an der Plaza stand Labastida, der stolze Erzbischof von Mexiko, mit finster zusammengezogenen Brauen, und sah den Jubel an, mit dem das Volk – sein Volk – den Kaiser in das Schloß geleitete. Seine Hand ballte sich – seine Lippen preßten sich gegeneinander, bis jeder Blutstropfen aus ihnen wich, aber er war machtlos diesem Ausbruch einer entscheidenden Stimme gegenüber, und da zum erstenmal vielleicht fühlte er, daß die Oberherrschaft der »Kirche« in Mexiko für immer gebrochen sei.
In den Straßen tummelte sich das Volk, und ein Jubelruf ging durch die Stadt – woher? – Keiner konnte es sagen – die Menge ist leicht erregt, zum Guten wie zum Bösen, aber wahrscheinlich bleibt es, daß besonders die niedere Geistlichkeit, die schon oft in diesen Ländern dem höheren Klerus gegenübergestanden, viel dazu beigetragen hatte, auch selbst die Masse für eine ihr doch ziemlich fernliegende Handlung der Regierung zu begeistern. Tausende jubelten auch nur aus dem Grunde mit, weil sie andere eben in Jubel ausbrechen sahen – wie sie sich ebenso bereit gezeigt haben würden, im Kaiserpalast die Fenster einzuwerfen, wenn eine Anzahl von Leperos gerade damit den Anfang gemacht hätte.
Der Nuntius war außer sich; alle seine Proteste wurden gründlich mißachtet, seine Erlasse dagegen in den Druckereien zurückgehalten, und der laut ausbrechende Volksjubel zeigte ihm außerdem, was er hier in Mexiko für Rom zu hoffen habe. Allerdings erließ das ganze Episkopat in Mexiko, natürlich unter der Führung und dem Befehl Labastidas, noch einen gemeinschaftlichen Protest gegen diese völlig »unkirchliche« Maßregel der Regierung, aber auch davon nahm kein Mensch Notiz, ja der Justizminister sogar Gelegenheit, seinen Beamten nur noch mehr einzuschärfen, die verschiedenen Geistlichen zu überwachen, und sie, wo sie ihre Verrichtung kirchlicher Dienste verweigerten, ohne Säumen zur Anzeige zu bringen.
In dieser Zeitperiode, und zwar in den ersten Tagen des Januar 1865, reiste der General Bazaine nach dem Süden ab, um sich selber an die Spitze des Truppenkörpers zu stellen, der die Aufgabe hatte, Porfeirio Diaz zu unterwerfen und damit Juarez' letztes Bollwerk zu zerstören. Vom Norden liefen ja auch nur Siegesberichte ein, der Osten war vollständig unterworfen, und nur noch im Westen, in der Provinz Guerrero, bot der alte Gouverneur Alvarez der neuen Regierung Trotz – aber auch nicht mehr, als er bisher jeder anderen geboten. Die Republik hatte er früher wohl anerkannt, aber er duldete keine fremden Truppen oder Beamten in seinem Staat und ließ sich auch in seine Verwaltung nichts hineinreden; und da die zerklüfteten und fast pfadlosen Gebirge Guerreros das ganze Land fast zu einer Festung machten, so setzte er auch seinen Willen durch.
Alle Versuche, den Staat zu erobern, schlugen deshalb fehl und wären besser nie unternommen worden, denn er hätte doch nie gehalten werden können.
Die Eskorte, die bestimmt war, den General Bazaine nach dem Süden zu begleiten, sprengte mit schmetternden Trompeten durch die Straßen der Stadt, und zwei Reiter, die von verschiedenen Seiten dagegen ankamen, mußten halten, um sie vorüberzulassen. Der eine von ihnen wollte jetzt rechts abbiegen, als das Pferd des anderen zuerst seine Aufmerksamkeit erregte und er in dem Reiter dann auch zu seinem Erstaunen einen alten Bekannten, Mauricio Lucido, erkannte.
»Caramba, amigo!« rief er aus, indem er mit einem Schenkeldruck sein eigenes Tier an dessen Seite trieb, »du reitest ja ein wahres Prachtpferd. Wo hast du den Araber gekauft? – Der muß ein schmähliches Geld kosten.«
»Silvestre! Hombre wo kommst du her? Ich habe dich seit Wochen nicht gesehen, und wie bleich und mager du geworden bist. Warst du krank?«
»Nein – nur verreist,« erwiderte der junge Mann – »doch davon nachher. Erst sage mir, von wem du den prachtvollen Fuchs gekauft hast – der Zaum und das Sattelzeug allein muß ja seine 1000 Pesos gekostet haben.«
»Von dem französischen Gesandten. – Nicht wahr, es ist ein Prachttier? und reitet sich pompös. Er tanzt nur so über das Pflaster hin.«
»Du mußt gut bei Kasse sein,« sagte Silvestre, indem sein Blick etwas erstaunt über den Reiter flog, »denn als ich dich zum letztenmal sah, hattest du nicht unbeträchtlich verloren.«
»Und wechselt das nicht im Spiel, amigo?« lachte der junge Mann. – »Was hab' ich dir immer gesagt? Fortuna ist blind und flüchtig, und nur wer sie bei den Haaren erfaßt, kann sie zwingen, ihm zu gehorchen. – Ich habe viel Geld gewonnen.«
»Von dem Italiener?«
»Verdamm ihn,« knurrte der junge Mann durch die zusammengebissenen Zähne, »dem Schuft kann ich nicht beikommen, aber einmal muß das Glück doch auch bei ihm wechseln.«
»Schwerlich – wo es sich mit Geschicklichkeit paart,« sagte Silvestre.
»Ich weiß, daß er falsch spielt,« rief Mauricio, »aber ich erwische ihn einmal, und dann zahl' ich's ihm heim.«
»Und wo hast du gewonnen?«
»Ach – draußen in Tavubaja,« sagte Mauricio ausweichend, »auch hier in der Stadt einmal mit französischen Offizieren. Es ist die letzte Zeit vortrefflich gegangen. – Aber wo warst du?«
»Ich? – Verreist – in Queretaro.«
»Caramba, und was hattest du da zu tun? Die Wege sollen jetzt verwünscht unsicher sein, und die Diligence ist in der letzten Zeit ein paarmal, gar nicht so weit von Mexiko selber entfernt, angefallen worden.«
»Ich weiß es; habe wenigstens davon gehört. Wenn sie einmal ein Dutzend von dem Lumpengesindel an die nächsten Bäume hingen, würden sie bald Frieden geben, aber mit dem Kaiser wird nichts. Der hat keine Energie.«
»Ach was,« sagte Mauricio, »Räuber sind das gar nicht, sondern nur Guerillas der Republikaner, die dem Feinde jeden möglichen Abbruch tun wollen.«
»Ja wohl,« lachte Silvestre, »indem sie ihm die Taschen plündern und ihn laufen lassen. – Doch, wohin willst du jetzt?«
»O,« sagte Mauricio, dem die direkte Frage etwas unverhofft zu kommen schien. »Nur einen Spazierritt Wollte ich machen. Der Fuchs wird mir zu wild, wenn er einen ganzen Tag ohne Arbeit im Stall steht. Wohin gehst du?«
»Ich – habe einige Geschäfte zu besorgen,« erwiderte Silvestre, »doch was ich dich noch fragen wollte. Was sagst du zu dem letzten Erlaß des Kaisers? Der Klerus ist wütend, und – auch vielleicht nicht ganz umsonst, denn er allein hat den fremden Kaiser in das Land gerufen und wird jetzt eigentlich schmählich behandelt.«
»Bah – geschieht den Pfaffen recht,« sagte Mauricio leichthin – »das wäre eine schöne Konfusion geworden, wenn die verkauften Kirchengüter hätten sollen herausgegeben werden. Jetzt ist die Sache abgemacht.«
»Und vielleicht doch noch nicht – der Klerus beruhigt sich nicht so leicht und hat eine große Gewalt im Lande.«
»Aber keine Soldaten,« lachte Mauricio, »und heutzutage ist nur mit Soldaten etwas auszurichten. Nein, die Pfaffen sind in mancher Hinsicht recht gut, und ich möchte es nicht mit ihnen verderben, aber sonst freut es mich doch aus voller Seele, daß ihnen der Bissen aus den Zähnen gerissen ist. Sie können jetzt die Lippen danach lecken. Apropos, Silvestre, welche Zeit ist es – ich habe vergessen, meine Uhr heute morgen aufzuziehen.«
»Es wird elf Uhr vorbei sein.«
»Caramba, so spät!« rief der junge Mann, rasch den Zügel seines Tieres aufgreifend und ihm die Sporen einsetzend – adios amigo – hasta luego,« und fort sprengte er die Straße hinab, seinem Ziel entgegen.
*
In der Calle de los Plateros in dem Friseurladen des Don Pedro Gaspard war große Aufregung, denn der kleine Spanier traktierte den Barbier mit Champagner, zur Feier der festlichen Gelegenheit, daß Kaiser Maximilian den Pfaffen das Grundeigentum abgenommen und sie in die Schranken zurückgewiesen hatte, in die sie gehörten.
Don Pedro war vollständig liberal gesinnt, d. h. nicht etwa im mexikanischen Sinne und gegen das Kaiserreich, wie der Präsident der sogenannten Liberalen, Juarez, sondern in seinen Ansichten überhaupt. Er verlangte für sich eine freie Verfassung, freie Religion und steuerfreie Einführung seiner Toilettegegenstände, und da er jetzt alles dieses erlangt hatte, spendierte er an seinen Gehilfen eine Flasche Sekt.
Don Julio konnte derselben aber nicht einmal recht Genüge leisten, da inzwischen einige Kunden eintrafen, die bedient sein wollten, und Don Pedro hatte sich eben die Zeit zunutze machen wollen, als ein kleiner Indianerjunge den Laden betrat und einen Zettel in die Höhe hielt, zum Zeichen, daß er ihn hier an irgend jemand – er wußte ja selber nicht, an wen – abzugeben hatte. Er war übrigens für Don Pedro selber bestimmt und enthielt nur die wenigen Worte:
»Kommen Sie selber augenblicklich oder spätestens bis Schlag elf Uhr in die Calle San Augustin Nr. 11 und fragen Sie nach mir. Es ist ein wichtiger Gegenstand, um den es sich handelt.
Padre Zaloga.«
Nun stand Don Pedro mit dem Padre (dem Beichtvater seiner Frau – er selber hatte gar keinen) nicht etwa auf einem so besonders freundschaftlichen Fuße, daß irgendwelche vertrauliche Mitteilungen hätten zwischen ihnen verhandelt werden können. Er bezog die Einladung desselben auch nicht etwa auf eine politische, sondern rein geschäftliche Besprechung; der aber legte er um so mehr Wert bei, da er, wenn auch Hoffriseur Ihrer Majestät der Kaiserin, doch noch keineswegs Eingang in die Kreise der hohen Geistlichkeit gewonnen hatte. Was also konnte diese Einladung anderes bedeuten? Jedenfalls sollte er, durch die Vermittlung seines Hauspadres, bei einem der hohen geistlichen Herren eingeführt werden, und daß er eben erst auf die Niederlage derselben eine Flasche Champagner geleert, tat der Sache selber natürlich keinen Abbruch.
Übrigens hatte er gar keine Zeit mehr zu versäumen, wenn er pünktlich an dem bestimmten Ort erscheinen wollte, denn es ging schon scharf auf elf Uhr oder hatte vielleicht gar schon geschlagen, und Don Julio nur einige flüchtige Verhaltungsregeln zurücklassend, eilte er dem bezeichneten Hause zu.
An der nächsten Ecke begegnete ihm ein Reiter, der ihn scharf fixierte und sein Pferd bei seinem Anblick etwas zügelte, aber Don Pedro nahm keine Notiz von ihm – er hatte andere Dinge im Kopf, und Mauricio Lucido trabte danach wieder die Straße hinab und lenkte direkt gegen den Friseurladen zu, ohne diesen jedoch selber zu behelligen. Dicht vor der Tür stieg er vom Pferde, nahm dieses am Zügel, führte es in den inneren Hofraum hinein, wo er es an einem der dort befestigten Ringe anband, und stieg dann, wie schon bekannt im Hause, die Treppe hinan, die zu den oberen Räumen hinaufführte, und wo er eine lange und, wie es schien, sehr interessante Unterredung mit der Sennora Gaspard hatte.
Betraf es die Kirchenfrage, die gerade in dieser Zeit sehr lebhaft von den Damen verfochten wurde? Niemand erfuhr es, und als der junge Mann eine Weile dort oben gewesen war, ging er wieder hinunter in den Hof, nahm sein Pferd am Zügel, führte es hinaus und schritt selber zu dem Laden, an den er anklopfte.
» Entra, Sennor!«
»Ich kann nicht – ich habe mein Pferd hier. Don Pedro zu Hause?«
»Nein, Sennor.«
»Niemand hier, der mein Tier einen Moment halten könnte?«
Der Junge, den die Sennora gewöhnlich zur Aufwartung hatte, war schon unten, sprang hinzu, nahm das Tier, und Mauricio ging indessen in den Laden, um sich eine Flasche Haaröl zu kaufen und seine Locken ein wenig ordnen zu lassen. Wenige Minuten später sprengte er die Straße hinab, und bald nach ihm traf auch Don Pedro, aber in nicht besonderer Laune, wieder ein.
»Caramba,« rief er aus, als er seinen Hut an den Nagel gehangen hatte und sich mit beiden Händen durch die Haare gefahren war. »Wissen Sie, Don Julia, weshalb mich Padre Zaloga hat so eilig bestellen lassen?«
»Keine Ahnung,« sagte der Barbier.
»Wäre auch unnatürlich,« versetzte Don Pedro, »ich selber könnte ein Jahr raten und würde nicht daraufkommen. Wir Spanier hier – denken Sie sich den Blödsinn – sollen eine Adresse, das heißt eine Bittschrift, an den Kaiser aufsetzen, um ihn zu ersuchen, sich nicht an dem Eigentum der Mönche zu vergreifen und den religiösen Sinn der Bewohner von Mexiko zu schonen. Ist Ihnen schon je so etwas vorgekommen?«
»Nein,« sagte Don Julio auf das entschiedenste.
»Und ich begreife auch gar nicht,« fuhr Don Pedro fort, »weshalb mir der Padre das nicht hier im Haus gesagt hat – er kriecht doch oft genug hier herum; aber bewahre! Er muß mich da großartig in das Haus des Bischofs bestellen, und dann lassen sie einen noch eine halbe Stunde auf dem Vorsaal stehen, ehe man nur einmal hineingerufen wird.«
»Das ist vornehm,« sagte Don Julio – »wenn ich einmal ein vornehmer Mann werde, lasse ich auch alle Leute warten.«
»Sie sind ein Esel,« sagte Don Pedro und ging noch einmal zu der Champagnerflasche hinüber, in der er einen Rest zurückgelassen – es war aber nichts mehr darin, und seine Laune besserte sich dadurch nicht.