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Verschiedene Parteien.

Am 30. Mai des Jahres 1864 war die erste Etage des großen und schönen Hauses in Mexiko, das der General und frühere Präsident Miramon mit seiner jungen Frau bewohnte, festlich erleuchtet, und die geschäftige Dienerschaft noch in voller Arbeit, um die verschiedenen Säle für den Empfang der erwarteten Gäste instand zu setzen. Im Spielzimmer wurden die Tische arrangiert und die Lichter angezündet; im großen Saal rückte man das Instrument etwas von der Wand ab, und alles verriet, daß der Besuch ein sehr zahlreicher und auch äußerst glänzender sein würde – keine der gewöhnlichen Tertulias, die in der letzten Zeit fast wöchentlich eine Anzahl von Freunden wie Gesinnungsgenossen in dem gastlichen Haus des jungen Kriegers und Staatsmannes versammelt hatten.

Es war auch in der Tat eine bewegte und lebendige Zeit in Mexiko – dies Frühjahr von 1864, denn es schien fast, als ob es Frühling im ganzen Lande werden, und Krieg und Blutvergießen, die ihre Schrecken seit langen Jahren über die schöne Erde gegossen, nun doch ein Ende nehmen sollten.

Allerdings standen die Franzosen überall im Land; das Blut, das ihre Waffen vergossen, rauchte noch allerorten in den Tälern – mexikanisches Blut, den Herzen derer entströmt, die sich den fremden Usurpatoren keck entgegengeworfen und ihr eigenes Vaterland, den eigenen Herd verteidigt hatten; aber daran war man ja in Mexiko gewöhnt. Solange die jetzige Generation lebte, hatte sie es – mit kurzen Unterbrechungen vielleicht – nie anders gesehen und gekannt, und was deren Eltern erzählten, drehte sich nur ebenfalls um Geschichten von Revolutionen und Pronunciamentos, um Erpressungen und Exekutionen. Sie wußten es nicht besser, und, von der übrigen Welt so ziemlich abgeschlossen, schien es fast, als ob ein anderer staatlicher Zustand gar nicht denkbar sei.

Ähnlich wie jetzt war es dabei schon oft im Land, schlimmer freilich noch nie gewesen; denn wie zuzeiten der Spanier, drang ein fremdes Heer herein und benutzte die eine Partei, um mit deren Hilfe die andere zu schlagen und zu unterjochen. Auch war ein Ende dieses Kampfes kaum vorauszusehen, konnte wenigstens noch lange Jahre dauern, und mußte dann Mexiko vollständig ruinieren.

Da plötzlich zeigte sich Rettung, und wie ein schönes, wunderbares Märchen klang es fast, denn drüben, weit drüben über dem Meere, in einem fremden Weltteile, auf hohem, die See überschauendem Felsenschloß, hatte ein Fürstensohn eingewilligt, die Zügel ihres Landes in die Hand zu nehmen, und schon, wie das Gerücht ging, trug ihn die Welle ihrem Ufer entgegen.

Es war eigentümlich, welchen Eindruck diese Nachricht auf alle Parteien – wenigstens für kurze Zeit – hervorbrachte. Wie das Läuten der Friedensglocken die Streitenden trennt und sie dem Klange horchen, so schienen sich auch hier die Parteien für kurze Frist geeinigt zu haben, um wenigstens erst einmal den neuen Zustand der Dinge anzuschauen.

Das eigentliche Volk sehnte sich übrigens nach Frieden, und wer ihn brachte, war willkommen; jede der anderen Parteien aber hoffte den neuen Fürsten ihrer Seite zu gewinnen, und selbst zahlreiche Führer der Liberalen, die bis dahin noch auf des zurückgetriebenen Juarez Seite gestanden, waren es müde geworden, das schöne Land zu nichts als einem Schlachtfeld zu verwenden, auf dem sie den Boden ewig mit Blut düngten, ohne je ein Saatkorn hineinzulegen oder eine Ernte zu ziehen.

Ob die Führer der Parteien nicht ihre Absichten und Pläne dabei hatten und allein nach dem Grundsatz handelten, kein Mittel zu scheuen, um nur ihre Zwecke zu erreichen, sollte erst die Zeit enthüllen – jetzt zeigte sich, wenigstens äußerlich, nichts davon, und in der Hauptstadt selber schien alles nur von dem Wunsch beseelt, die neue Monarchie in Kraft, ins Leben treten zu sehen. – Wie es nachher wurde – wen in dem ganzen weiten Reich hätte das gekümmert? Welcher einzelne von all den Hunderttausenden der spanischen Kolonisten in ganz Amerika sorgte sich um das nächste Jahr, ja, nur um den nächsten Tag, und eine neue Regierung? Was hinderte sie, dieselbe wieder abzuschaffen, sobald sie ihnen nicht behagte? Es war ja doch weiter nichts als ein Versuch. Daß irgend jemand so töricht sein könne, mit vollem und heiligem Ernst an eine solche Sache zu gehen und sein ganzes Leben, seine Ehre, sein alles dafür einzusetzen, wäre ihnen nicht einmal im Traum eingefallen, selbst, wenn sie nur einen Begriff von dem gehabt hätten, welchen Wert das alles für einen europäischen Prinzen haben mußte.

Nur unter den höheren Klassen des Staates herrschten hier und da noch Zweifel, und solche besonders, die mit den außermexikanischen Verhältnissen nur ein klein wenig vertraut waren, konnten es sich nicht denken, daß ein österreichischer Prinz, von Frankreich aufgefordert, sein ruhiges Asyl daheim verlassen sollte, um sich einen Palast über dem Krater eines Vulkans aufzubauen. Das eigentliche Volk aber hatte keine solchen Bedenken, – es erwartete den versprochenen Kaiser und jubelte ihm schon von vornherein entgegen.

Allerdings stand mitten in der Stadt der alte Palast Iturbide. Das war auch ein Kaiser gewesen, – der erste, seit Mexiko das spanische Joch abgeschüttelt, und sein Blut hatte den mexikanischen Boden gefärbt, mexikanisches Geschoß sein Herz durchbohrt – aber niemand dachte daran, zwischen den beiden Kaisern, die ihren Thron inmitten einer Republik aufpflanzen wollten, eine Parallele zu ziehen, während die mexikanische Hautevolee schon im Vorgenuß all der Herrlichkeiten schwelgte, die ein Kaiserreich ja im natürlichen Verlauf der Dinge bringen mußte. Waren sie doch gerade die eigentliche und einzige Aristokratie im Lande, ohne welche nun einmal kein Hof bestehen konnte – und was die politischen Schwierigkeiten betraf, ei! das blieb Sache des Kaisers wie seiner Räte, und sie dachten nicht daran, sich darüber den Kopf zu zerbrechen.

General Miguel Miramon stand, wenn auch in vollständiger Toilette, sich aber um die Vorbereitungen in seinem Hause wenig kümmernd, und nur aufmerksam eine vor ihm ausgebreitete Karte von Mexiko betrachtend, in seinem Zimmer.

Er war von jeher eine der Hauptstützen der klerikalen Partei gewesen, und gerade diese hatte die Berufung des Kaisers am stärksten und unermüdlichsten betrieben, weil sie besonders auf einen österreichischen Prinzen ihre größte Hoffnung setzte. War nicht von dem Republikaner und Indianer Juarez Der Name wird Chúarez gesprochen, mit dem Hauchlaut, wie ihn die Holländer oder Schweizer haben. die Kirche, und damit, ihrer Meinung nach, die ganze Religion unter die Füße getreten worden? Hatte er nicht die Kirchengüter konfisziert, ja, sogar den Priestern verboten, in ihrem Ornat auf der Straße zu erscheinen? Durfte denn selbst unter seiner Regierung nur noch eine Prozession die Stadt durchziehen, oder das Allerheiligste offen und frei einhergetragen werden? Das letztere hatten nun allerdings die Franzosen schon wieder beseitigt, seit sie Juarez nach Norden hinaufgejagt und unschädlich gemacht, aber die Liegenschaften der Kirche befanden sich noch immer in den Händen von Laien, die Gewalt selber hatten sie noch nicht zurückgewinnen können, und dazu sollte und mußte ihnen jetzt Maximilian helfen. Er mußte, denn nur durch sie war er auf den Thron berufen – nur durch sie konnte er sich, wie sie glaubten, halten.

Miramon dachte aber jetzt nicht an die Interessen der Geistlichkeit, wenn sie auch mit den seinigen vielleicht Hand in Hand gingen. Die Linke auf den Tisch gestützt, mit dem Zeigefinger der Rechten den Punkt bezeichnend, wohin die Franzosen seinen alten Feind und politischen Nebenbuhler Juarez getrieben, und wo er in dieser Zeit nur noch einen Rang wahrte, dem schon keine Macht mehr zur Seite stand, schweiften seine Gedanken dort hinauf und suchten die Möglichkeit eines entscheidenden Sieges zu erfassen. Und sollte Juarez noch einmal versuchen, von dort herauszubrechen? Es war nicht denkbar – wenigstens jetzt nicht, wo das Land von französischen Soldaten schwärmte und neue Kriegsschiffe mit dem Kaiser jeden Tag erwartet wurden. Selbst die schwankenden Mexikaner hätten sich dem Flüchtigen in dieser Zeit nicht wieder angeschlossen, und war da jetzt nicht vielleicht der Augenblick gekommen, wo man ihn, den gefährlichsten Gegner, von seinem nördlichen Fluchtweg abschneiden und völlig unschädlich machen konnte? »Stand aber Juarez nicht mehr im Weg« – ein leises, kaum merkbares Lächeln legte sich um die feingeschnittenen Lippen des jungen Mannes, und er hob sich hoch empor und schüttelte die vollen schwarzen Locken aus der Stirn. Da hörte er einen leichten Schritt in seinem Zimmer, und sich rasch danach wendend, bemerkte er seine im vollen Glanz des Abends strahlende Gattin in der Tür.

Es war ein selten schönes Paar, wie sie beide da einander gegenüberstanden, in voller Jugend, von Licht und Glanz und Glück umgeben, mit allen Gütern der Erde gesegnet, und ihrer bevorzugten Stellung im Leben sich dabei vollbewußt. Er, wie sie, hoch und schlank gewachsen, sein männlich intelligentes Gesicht von einem vollen Schnurr- und starken Knebelbart geziert, mit offenem Auge und einer hohen Stirn, mit kühn geschnittenen Brauen, wobei selbst das nicht störte, daß die linke um ein wenig höher auflief als die rechte. – Sie dagegen mit jedem Zauber holder Weiblichkeit übergossen und dennoch stolz und hoch wie eine Königin mit ihrem weiten, wallenden Gewande, den blendend weißen Hals, wie das rabenschwarze Haar von Edelsteinen geschmückt, und deren blitzender Glanz trotzdem von den wahrhaft zauberischen Augen des schönen Weibes übertroffen.

»Und willst du nicht herüberkommen, Miguel?« sagte sie jetzt mit leiser, wohlklingender Stimme – »oder« – setzte sie rascher und besorgt hinzu, »hast du etwa neue und schlimme Nachrichten erhalten, daß du wieder über deinen Karten brütest? Ist etwas vorgefallen? Verheimliche es mir nicht.«

»Nein, mein Kind,« sagte ihr Gatte, indem er lächelnd mit dem Kopf schüttelte, und sein Auge mit Stolz und Freude auf ihr ruhte. »Nichts wenigstens, was uns auch nur die geringste Besorgnis einflößen könnte.«

»Und doch,« erwiderte sie ernst, »dächte ich, hätten wir Grund genug dazu, denn alles jubelt jetzt dem Kaiserreich entgegen.«

»Und kennst du unsere liebenswürdigen Landsleute nicht?« lächelte Miramon, »sie sind entzückt über jedes Neue, das sich ihnen bietet, und jetzt nun gar der Glanz eines neuen Hofes, der ihnen zwei Wünsche auf einmal befriedigt: zuerst die Festlichkeiten beim Einzug der Majestäten, und danach die erhoffte Befreiung von den Franzosen, die allerdings anfangen ein wenig unverschämt aufzutreten.

»Und gerade das beruhigt dich?«

»Gewiß, wenn der Kaiser überhaupt kommt.«

»So zweifelst du noch daran?«

»Liebes Kind,« sagte achselzuckend Miramon, »wenn das, was wir hier, allerdings noch unvollständig, von den Vorschlägen wissen, die Napoleon dem österreichischen Prinzen gemacht hat, und wonach dieser übernommen haben sollte, die Kosten der französischen Besatzung zu tragen, so müßte er sich, um dies zu ermöglichen, auch einen ganz ungewöhnlichen Finanzmann oder eine sehr große Kasse mitbringen. Ich wenigstens hätte mich auf derartiges nie im Leben eingelassen, und wie mir scheint, ist auch Maximilian stutzig geworden. Doch wir werden ja sehen, und wie sich alles nachher gestaltet – quien sabe?« Das Qien sabe – wer weiß es – ist ein in allen spanischen Kolonien fast bei jeder Gelegenheit gebrauchtes Wort und dient als Ausrede, Entschuldigung, Bejahung, Verneinung und in zahllosen anderen Fällen. Es entspricht auch vollkommen dem Charakter dieser Stämme, die sich leicht und rasch über alles ihnen Unbequeme hinwegsetzen.

»Er kommt, darauf kannst du dich verlassen,« sagte die junge Frau mit blitzenden Augen, »es ist nicht leicht, eine Kaiserkrone auszuschlagen.«

»Und doch wohl leichter, als sie zu behaupten.«

»Das kommt, auf den Mann an, der sie trägt,« rief das schöne Weib, und ihr Auge suchte stolz die Blicke des Gatten. »Unser Volk hat diese blutigen Revolutionen satt, und wenn er die Sache ein klein wenig klug anfinge, – aber es ist eine Schmach und Schande für Mexiko, solcher Art einen Fremden in das Land zu rufen. Haben wir denn nicht selber Männer, die wert und würdig wären, an die Spitze des Volkes zu treten?«

Miramon schüttelte mit dem Kopfe. »Und was hülfe es,« sagte er, »die letzten Jahrzehnte haben bewiesen, daß nur eine Revolution der anderen folgte. Nein, ich selber stimmte mit für den fremden Kaiser, denn unser sehr souveränes Volk muß erst einmal durch Schaden klug werden. Nachher arrangiert sich vielleicht alles viel leichter, als wir jetzt selber glauben.«

»Souveränes Volk,« sagte die junge Frau verächtlich, und ihre dunklen Brauen zogen sich zusammen – »eine teigähnliche Masse ist es, die eine geschickte Hand in jede nur beliebige Form kneten kann.«

»Zu viel Hefe drin, Schatz,« lachte Miramon, zu viel Hefe drin, wenn wir das Bild denn einmal beibehalten wollen. Es wirft Blasen nach allen Seiten und zerstört sich selber. Aber ich glaube wahrhaftig, unsere Gäste kommen. Laß die Politik, Querida, oder – überlaß sie mir. Sie gehört nicht für das Haus – und besonders nicht für die jetzige Zeit. Wer auch etwas tun wollte, könnte es nicht, und muß ruhig abwarten, wie sich alles stellt: Wir sowohl hier in der Hauptstadt, im augenblicklichen Sonnenschein des Sieges, wie der alte Panther da oben im Norden, der mit einer nicht zu gering anzuschlagenden Elastizität vor unseren Waffen zurückweicht, ohne ihnen mehr als aus dem Wege zu gehen. Paciencia amiga – unsere Zeit kommt vielleicht auch wieder, und bis dahin wollen wir der Welt dieselbe freundliche Stirn zeigen, die sie bis jetzt gewohnt gewesen ist an uns zu sehen. – Ich glaube, ich höre schon Gäste auf der Treppe.«

Miramon hatte sich nicht geirrt – die Gäste trafen allerdings ein, und wenn auch anfangs noch vereinzelt, fuhr doch bald Wagen nach Wagen vor, so daß es rasch in den luftigen Räumen von geputzten Herren und Damen wogte. Und welchen Glanz der Toilette entfalteten die letzteren! Aber auch die Herren prangten im höchsten Staat, sowohl die im Zivil mit Orden geschmückt, wie das Militär in reichgestickten mexikanischen wie französischen Uniformen. Ja, selbst die hohe Geistlichkeit fehlte nicht und stach mit ihrer bunten, fast weibischen Tracht nur wenig von den Damen selber ab.

Das summte und wogte durcheinander, ein wunderlich blitzendes und lebendiges Bild voller Lust und Leben, und wer hier einen Blick in den Saal geworfen, hätte wahrlich nicht geglaubt, daß ein kaum zu einem Abschnitt gelangter und nichts weniger als beendeter Bürgerkrieg das Land zerreiße, und selbst die Existenz dieser von Pracht und Glanz strahlenden Gestalten bedrohe.

In der Tat waren aber an dem Abend und in den Sälen Miramons fast alle die Großen und Größen des neuzuschaffenden Reiches versammelt. Dort der kleine und magere, aber sehr lebendige Mann, mit vollem Bart, aber kurzgeschnittenem Haar, mit kleinen, wässerigen, aber doch stechenden Augen, in einer mit Goldstickerei fast bedeckten Uniform, der, auf einen Stock gestützt, durch den Saal hinkte, ist Leandro Marquez. Er war ein schon damals bekannter Bandenführer und ein treuer Kampfgenosse Miramons – treu wenigstens und aufrichtig in seinem Haß gegen den von beiden gleich stark verachteten Indianer Juarez – ein strenger Anhänger der Kirchenpartei, aber auch zugleich seiner schamlosen Grausamkeit wegen berüchtigt.

Neben ihm der Hochwürdenträger der Kirche, mit der Dame des Hauses im eifrigen Gespräch, jener Mann mit dem klugen Gesicht und dem stolzen Blick, dem nur das breite Kinn und der etwas große Mund etwas Sinnliches gab, während seine kräftigen Glieder die weibische Spitzentracht seines Standes umhüllte, war Labastida, der Erzbischof von Mexiko.

Dort drüben, sich eifrig und lebendig mit ein paar französischen Offizieren unterhaltend, lehnte ein großer, stattlicher Mann, ebenfalls in reichgestickter Uniform, an der das Offizierskreuz der Ehrenlegion glänzte. Er sah mit seinem dunkelblonden, etwas dünnen Haar, und starken, ebenfalls blonden Knebel- und Schnurrbart fast nicht aus wie ein Mexikaner, und doch war es Oberst Miguel Lopez, der sich in manchem heißen Gefecht schon wacker hervorgetan und auf besonders freundlichem Fuße mit der französischen Okkupationsarmee stand.

Da plötzlich teilten sich die Gruppen, als der vorspringende Diener den Namen des Generals Bazaine nannte – Bazaine, in diesem Augenblick der Alleinherrscher von Mexiko, der Repräsentant des mächtigen Kaisers der Franzosen; und alles gab ihm Raum und bildete ein Spalier, das der General, leicht grüßend, hindurchschritt, um vor allem die Dame des Hauses aufzusuchen.

Der General glänzte und blitzte allerdings in dem Schmuck seiner Uniform und all der Auszeichnungen, mit denen Napoleon seine Brust bedeckt, aber der Ausdruck seiner Züge war kalt, ja, fast hart, und nicht wie ein Soldat, nein, fast selber wie ein Fürst durchschritt er den Saal, die ihm schuldigen Huldigungen entgegennehmend.

Bazaine war in der Tat in Mexiko weit mehr gefürchtet als geliebt, denn wenn ihn auch die Partei herbeigesehnt, ja, selber mit allen Kräften teils offen, teils heimlich unterstützt haben mochte, so kannte und haßte man in ihm doch den Fremden, der hier überhaupt viel mehr Macht gewonnen oder sich angemaßt, als man je für möglich gehalten oder vorausgesehen hatte. Bazaine spielte gewissermaßen hier den Teufel, den der Zauberlehrling gerufen und nun nicht wieder bannen konnte. Und trotzdem brauchte man ihn, denn Juarez war weder tot noch wirklich außer Landes getrieben, und die Mexikaner, während sich ihr Stolz gegen den Druck sträubte, fühlten doch, daß sie ihn noch nicht entbehren konnten. So erhofften sie denn allein durch ein selbständiges Kaisertum, in dem aber nur jeder seine eigenen Wünsche verwirklicht sah, einen doppelten Schutz; einesteils gegen das Schreckbild der Liberalen, und andererseits selbst gegen den Mann, der ihnen für jetzt doch wenigstens diese in weiter Ferne hielt.

In Miramons Haus waren in der Tat heute fast alle Repräsentanten jener beiden mächtigen Parteien vertreten, die den Liberalen entgegenstanden und deshalb vereint einen Kaiser herbeigerufen, wenn sie auch beide sehr verschiedene Interessen verfolgten: die Aristokratie oder, besser gesagt, die Konservativen, und die Geistlichkeit. Viele der Aristokratie gehörten aber auch der letzteren an, während es die Konservativen, obgleich sie die Herrschaft der Liberalen nicht dulden wollten, doch nicht ungern gesehen hätten, daß Juarez, der rücksichtslose indianische Advokat, die Macht der stets intrigierenden Priester gebrochen. Natürlich erwarteten sie aber auch von einem Kaiserreich, daß die Gewalt in ihren Händen bleibe, denn ihrer ganzen gesellschaftlichen Stellung und ihrem Reichtum nach gebührte sie ihnen. Daß sich der Kaiser den Liberalen zuwenden könne, ließ sich natürlich nicht denken.

Die Geistlichkeit dagegen glaubte vollständig sicher zu sein, daß der neue Kaiser, der Prinz eines streng katholischen Reiches, das selber eins der für die Kirche günstigsten Konkordate mit Rom abgeschlossen, auch hier den Gewaltmaßregeln gegen die Religion und ihre Priester entschieden entgegentreten würde. Er mußte deshalb dem Zustand, den die Franzosen allerdings nicht geschaffen, aber doch geduldet, ein Ende machen, er mußte mit ihnen gehen, und das konnte nur durch den Widerruf jenes Dekrets geschehen, das der Kirche ihre Güter nahm und in profane Hände übertrug – es war das ja doch überhaupt Gotteslästerung.

Miramon, früher selber einmal Präsident des Staates, gehörte seiner Stellung nach allerdings den Konservativen an, stand aber im Herzen doch auf seiten der Geistlichkeit – im Herzen? – vielleicht glaubte er auch seine eigenen Interessen am besten bei denselben vertreten, denn er kannte sein Vaterland zu gut, um nicht zu wissen, daß es nur zwei Wege gab, um darüber zu herrschen: entweder mit den Liberalen – d. h. mit dem Volke – oder mit der Geistlichkeit. – Ein Bündnis mit den ersteren widerstrebte aber seiner aristokratischen Natur, und es blieb ihm deshalb nichts übrig, als es – vorläufig wenigstens – mit den Priestern zu halten.

Spaltungen herrschten übrigens unter allen Parteien, und wie die Liberalen den Konservativen und der Geistlichkeit entgegenstanden, und die beiden letzteren nur auf eine Gelegenheit warteten, um einander wieder in die Haare zu geraten, so waren sich der französische General Bazaine und der Erzbischof Labastida ebenso feindlich gesinnt. Bazaine hatte allerdings manche von Juarez gegebene und für die Geistlichkeit drückende Gesetze aufgehoben; so unter anderen das Verbot, daß die Geistlichkeit nicht in ihrem Ornat auf der Straße erscheinen dürfe, wie er ebenso die öffentlichen Prozessionen wieder gestattete; aber trotzdem sah er sich doch nicht imstande, alles zu tun, was man von ihm, als Vertreter des »allerchristlichsten« Kaisers, verlangte. Er konnte und wollte nämlich den Verkauf der Kirchengüter, von denen sich die meisten schon in fremden Händen befanden, nicht wieder rückgängig machen; und als sich Labastida, der Erzbischof, in dem Gefühl seiner Unfehl- und Unantastbarkeit so weit vergaß, die französischen Soldaten einiger Übergriffe wegen zu exkommunizieren, zeigte ihm General Bazaine bald, wer eigentlich Herr im Lande sei. Er befand sich allerdings gerade im Norden des Reiches, um die Armee der noch bestehenden Liberalen aufzureiben und zu vernichten, kehrte aber augenblicklich nach der Hauptstadt zurück und zwang dort ohne weiteres den rebellischen Erzbischof, den eben noch von ihm exkommunizierten französischen Soldaten eigenhändig und auf offenem Platze vor der Kathedrale den verweigerten Segen zu erteilen.

Welchen Grimm der Geistliche dafür im Herzen gegen den allmächtigen General trug, läßt sich denken, aber was schadet das in einer großen Gesellschaft unter gebildeten Leuten! Als sich Labastida umwandte, um mit anderen Freunden zu verkehren, traf es sich, daß ihn Bazaine gerade passieren wollte. Beide Herren konnten einander nicht mehr ausweichen, ohne auffällig zu werden, und daran war allen beiden in der jetzigen Zeit, wo man einer Entscheidung fast täglich entgegensah, nichts gelegen. Außerdem durfte selbst Bazaine dem Erzbischof nicht schroff entgegentreten, denn der schlaue Priester hatte sich an die rechte Quelle gewandt. Die Kaiserin Eugenie – die Beschützerin aller Pfaffen – war auch die seine geworden, und die letzten Briefe, die der General aus Paris erhielt, versäumten nicht, ihm die höchste Rücksicht für das »Haupt der Kirche in Mexiko« aufzuerlegen.

Und Labastida? Es gab vielleicht keinen Menschen auf der Welt – den Indianer Juarez ausgenommen – den der Erzbischof aufrichtiger und ehrlicher haßte als den französischen General Bazaine, aber niemand würde in diesem Augenblick auch nur die Spur eines solchen Gefühls in seinen Zügen gelesen haben. Mit einem freundlich milden Lächeln wandte er sich gegen den Franzosen, und ihm die Hand entgegenstreckend, sagte er:

»Nun, General, keine Neuigkeiten von unserem Freunde in Monterey oder da oben irgendwo im Norden?«

»Von Juarez?« lachte der General, die gebotene Hand aber nehmend, »es wird lange dauern, ehe wir von ihm wieder etwas erfahren, denn wir haben ihn das letztemal gründlich auf den Trab gebracht. Ich glaube kaum, daß seine jetzige Armee viel stärker ist als unsere Gesellschaft heute abend.«

»Unser Freund Miramon hat Geschmack,« nickte der Erzbischof, »aber was ich Sie fragen wollte, ist keine Depesche von Vera-Cruz eingetroffen?«

»Von Vera-Cruz? Nein, außer daß vor wenigen Tagen ein heftiger Norden geweht und einige unserer Schiffe gefährdet hat.«

»Also vom ›Kaiser‹ noch keine Nachricht?«

»Kein Wort; aber ich glaube, daß wir ihn jeden Tag erwarten dürfen.«

Der Erzbischof neigte sein Haupt, bis sein Kinn die Brust berührte, und schritt dann zu der anderen Seite des Saales hinüber, wo er Miramon selber mit General Marquez und einem der höheren Geistlichen im Gespräch bemerkte.

Marquez war einer der erbittertsten Gegner der Liberalen, aber weniger des Systems, als der gerade am Ruder befindlichen Personen. Selber nur aus einer unbemittelten und niedrigen Familie entsprossen, hatte er sich, mehr durch sein rücksichtsloses Vorgehen auf ein bestimmtes Ziel, als durch besondere Bildung oder andere Fähigkeiten, einen Namen in der mexikanischen Geschichte gemacht. Welche Mittel er dabei gebrauchte, um seinen Zweck zu erreichen, war ihm völlig gleich, und er begrüßte deshalb den Einmarsch der Franzosen, die ihm halfen, den Indianer Juarez aus dem Felde zu schlagen, mit derselben Freude und Bereitwilligkeit, wie er sich den Nordamerikanern oder irgendeinem anderen Volksstamme zur Unterdrückung des Landes würde angeboten haben, sobald er dadurch für sich selber etwas zu erreichen hoffte. Vaterland? Den Begriff kannte er nicht, und in seiner eigenen Heimat war er der gefürchtetste der Bandenführer. Ja, die Mexikaner hatten damals, als Forey gegen die Hauptstadt anrückte, und Marquez ihm mit seinen Schwärmen vorauseilen wollte – selber den französischen Befehlshaber gebeten, die Hauptstadt zuerst von Franzosen besetzen zu lassen. Es waren das allerdings nur Fremde, aber die Bewohner von Mexiko wollten sich doch lieber diesen als ihrem eigenen Landsmann Marquez anvertrauen.

Übrigens gehörte er, ebenso wie Miramon, der Partei der Geistlichkeit an, war aber trotzdem bis jetzt den Franzosen eine treue Stütze gewesen und hatte sich auch bei vielen Angriffen so tollkühn der Gefahr ausgesetzt, daß er für einen der tapfersten wie auch begabtesten Generale galt, – soweit sich eben das Wort Begabung auf diese Kriege anwenden ließ. Sein großer Vorzug bestand darin, daß er eine außerordentliche Terrainkenntnis besaß und sie richtig anzuwenden wußte. Man wollte auch in Mexiko behaupten, daß er früher Arriero oder Maultiertreiber gewesen sei, wodurch er dann allerdings jeden Paß und Weg, jeden Fluß und Übergang genau kennen mußte. In einem Lande wie Mexiko aber war Terrainkenntnis die wichtigste und notwendigste Eigenschaft eines Führers, und wenn dieser dann noch außerdem Mut genug besaß, um unerschrocken vorzugehen, so konnte er seines Erfolges so ziemlich sicher fein.

Mehr und mehr füllten sich die Säle, und besonders trafen noch viele Herren der hohen Geistlichkeit ein, von denen Miramon keinen übersprungen hatte. Oberst Mendez, ein anderer sehr tapferer mexikanischer Offizier, der sich aber weit weniger zur geistlichen Partei hielt als Miramon und Marquez, erschien ebenfalls, wenn auch etwas später als die übrigen, da er erst an diesem Tag von einer Rekognoszierungstour aus dem Westen zurückgekehrt war.

Mendez trug aber ebensowenig wie Lopez den mexikanischen Typus, und auf den ersten Blick hätte ihn wohl jeder für einen etwas sehr dunkeläugigen Franzosen oder auch vielleicht für einen Deutschen gehalten. Mit einem ziemlich runden Gesicht, mit braunem, nicht schwarzem Haar und einem Knebel- und Schnurrbart, verriet nur die dunklere Färbung feines Gesichtes indianische Abkunft, und er hatte außerdem etwas entschieden Soldatisches in seinem ganzen Wesen. Er mochte übrigens, wie schon vorerwähnt, von der Priesterwirtschaft nicht viel wissen und stand deshalb nur wenig in Miramons Gunst, aber er war ein wackerer Haudegen und haßte die Liberalen aus vollem Herzen – was Wunder denn, daß er sich den Franzosen, die er bald als tapfere Soldaten kennen lernte, mit voller Seele in die Arme warf. Wie die meisten seiner Landsleute jubelte er den Fremden entgegen, weil diese ihnen halfen, Rache an ihren persönlichen Feinden zu nehmen, und dachte nicht an eine kommende Zeit, und wie es werden sollte, wenn diese einmal den Lohnfür ihre Dienste verlangten. – Außerdem war er auch nur Soldat – die Politik mochte die Regierung besorgen und verantworten, und solange er nur den Feind vor sich hertreiben konnte, lag ihm das andere wenig genug am Herzen.

Miramon, der den Erzbischof auf das ehrerbietigste begrüßt und einige Worte mit ihm gewechselt hatte, wurde jetzt durch seine Eigenschaft als Wirt in Anspruch genommen. Viele der älteren Herren besuchten die Tertulias nur, um ihre Partie dabei zu machen, und betrachteten jeden Augenblick, der ihnen daran gekürzt wurde, als unwiederbringlich verloren. Es blieb deshalb Sache des Wirtes, sie in dem Arrangement zu unterstützen.

Eine kleine Gruppe mexikanischer wie französischer Offiziere war eben im Begriff gewesen, in eins der Vorzimmer zu treten, wo aus der Kredenz spirituöse Getränke, wie Kognak und Xeres, als auch Wasser und Zucker zum allseitigen Gebrauche stand, als sie den Erzbischof auf sich zuschreiten sahen, und ihre Stärkung noch verschieben mußten, denn Monsennor konnten sie doch nicht gut dazu einladen.

Der Erzbischof befand sich in diesem Augenblick in einer ganz eigentümlichen und nicht gerade angenehmen Stellung in Mexiko, denn selbst aus dem bisher regierenden Regentschaftsrate, den er mit Bazaine und Minister Salas bildete, war er gewissermaßen ausgestoßen worden – er wurde wenigstens nicht mehr zu den Beratungen gezogen, und infolge einer Malice Bazaines gegen ihn auch der Ehrenposten von seiner Tür entfernt. Freundlich gestimmt konnte er deshalb nicht gegen die jetzigen Verhältnisse sein und war es auch wahrlich nicht, aber der Gesellschaft zeigte er trotzdem ein glattes Angesicht.

Mit seinem Blick überflog er die Gruppe, und wohl sah er da manche »Gutgesinnte« – d. h. der Kirche vollkommene Angehörige – aber doch noch sehr viele Zweifelhafte«, ja manche sogar, die er zu seinen entschiedenen Gegnern zählen durfte. Doch was tat das? Das Oberhaupt der Kirche war es gewohnt, schwierige und oft sogar gefährliche Kurven zu wandeln, und als sein Blick Oberst Lopez unter den übrigen erkannte, wandte er sich mit der ihm eigenen Leutseligkeit an diesen.

»Nun, lieber Oberst – guten Abend, meine Herren – ich habe Sie ja noch gar nicht wiedergesehen, seit Sie von Ihrem letzten wilden Zug zurückgekehrt sind. – Wie geht es Ihnen?«

»Diesmal war ich nicht so weit, Monsennor,« lächelte Lopez, indem er sich aber doch zur Begrüßung straff und soldatisch aufrichtete. »Seit wir das Raubgesindel hier aus der Nachbarschaft trieben, hatte ich schon wieder die Ehre, in einer Soiree des Herrn Ministers Salas mit Ihnen zusammenzutreffen.«

»Ach ja – ach ja – in der Tat! War mir wirklich entfallen; aber Sie dürfen mir deshalb nicht zürnen, Herr Oberst. Wir leben in einer ernsten Zeit, und unsere Gedanken werden unwillkürlich und immer nur unserer augenblicklichen prekären Lage zugelenkt.«

Lopez war zerstreut, denn an der Schulter des vor ihm stehenden Geistlichen vorbei erblickte er eine nicht in den Salon gehörende Gestalt, die er selber aber nur zu gut kannte. Es war anscheinend ein ganz gewöhnlicher Mexikaner aus den unteren Ständen, der sogar seine Serape nach der Landessitte so umgeschlagen trug, daß sie ihm den unteren Teil des Gesichtes verdeckte. In der Hand hielt er ein zusammengefaltetes Papier, und augenscheinlich suchte er irgend jemanden in dem Saal.

Wie kam der Bursche hier in diese Räume, wie durch die Dienerschaft, und was wollte er? – Suchte er ihn?

Der Erzbischof, dem Lopez' zerstreuter Blick nicht entging, wandte sich der Richtung zu, die dieser suchte, und war nicht minder erstaunt, den Peon Peon wird in allen südamerikanischen Republiken ein Diener genannt. in seiner Straßentracht, und wie er eben von der Straße kam, im Salon zu sehen. Aber dieser schien auch schon den, welchen er suchte, gefunden zu haben, und zwar General Miramon, der nicht weit vom Erzbischof an dem einen offenen Fenster stand. Auf diesen zugleitend, überreichte er ihm das Papier, das jedenfalls zu solcher Zeit, von einem solchen Boten gebracht, etwas Wichtiges enthalten mußte. Sobald er es aber übergeben, und ohne eine Antwort abzuwarten, warf er den Blick zurück, als ob er nicht gleich wisse, nach welcher Richtung er sich wenden solle. Die hatte er jedoch bald gefunden, und jetzt, dicht an Lopez vorbeigleitend, flüsterte er ihm nur das Wort zu: »der Kaiser«, und eilte jetzt, durch die ihm erstaunt Raum gebenden Gäste, aus dem Saal. Allerdings wollten ihn schon an der Tür die Diener noch zur Rede stellen, aber er ließ sich mit ihnen gar nicht ein, sprang die Stufen hinab und war im nächsten Augenblick in der dunklen Straße verschwunden.

Die Aufmerksamkeit der Gäste wurde indessen schon im nächsten Moment von einem anderen Gegenstand vollkommen abgelenkt, denn Miramon, der nur einen flüchtigen Blick auf das Blatt geworfen, trat rasch in die Mitte des Salons. Etwas Außerordentliches mußte geschehen sein – man sah, er wollte sprechen, und alles drängte sich ihm zu.

»Meine Herren!« rief der Wirt des Hauses, das Blatt emporhebend, »soeben erhalte ich die Kunde, daß Seine Majestät der Kaiser Maximilian in Vera-Cruz gelandet ist.«

»Der Kaiser! Der Kaiser!« – Wie das Wort durch die Versammlung rauschte und wogte. »Also doch,« flüsterte es fast unbewußt von vielen Lippen, denn trotz allem hatten noch viele an der Verwirklichung ihrer Hoffnungen gezweifelt, – und es – wenn auch vielleicht unausgesprochen – für unmöglich gehalten, daß irgend jemand seine Heimat, Ruhe und Sicherheit verlassen könne, um die Zügel eines so verwilderten und bis in seine untersten Schichten hinab zerrütteten Volkes in die Hand zu nehmen.

Und was nun? Blieben die Franzosen noch länger in Mexiko, wenn der Kaiser die Regierung antrat, oder zogen sie ab? Und was wurde dann in beiden Fällen?

Eigentümlich war es, zu beobachten, wie die Tatsache, die allen eine totale Umwälzung ihrer ganzen bisherigen Verhältnisse vor Augen stellte, für einen Moment fast lähmend auf die eben noch so geräuschvolle Gesellschaft wirkte. Kein Wunder auch; es blieb ein jeder mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt und jeder einzelne auch bei der ganzen Wendung der Dinge bald mehr, bald weniger beteiligt – beteiligt aber in jedem Fall. – Und was für Hoffnungen knüpften sich an die sie erwartende neue Welt!

Sie hatten wohl schon ein Kaisertum in Mexiko gehabt: der unglückliche Iturbide lag mit zerschossener Brust unter mexikanischem Rasen – das aber war doch etwas anderes gewesen, kein wirklicher Fürst, sondern nur ein Mann, der lange in ihrer Mitte gelebt, ein einfacher General und nachher ein Kaiser, mehr dem Namen nach, und nicht viel mehr als eben ein erblicher Präsident. Er kam und ging auch so rasch, daß man kaum recht darüber zur Besinnung gelangte, und nachher jagten zahllose Regierungen immer eine die andere und brachten nur Blut und Verderben über das ganze Land.

Und das sollte jetzt alles anders werden? – Eine feste Regierung bestehen, ein Kaiser eintreten, der, wenn er im Lauf der Jahre starb, ohne Revolution seinem Erben den Thron überließ, oder einen anderen für sich einsetzte? – Der Zustand war zu neu, zu unfaßbar, als daß sie sich da gleich hätten hineindenken können, und doch trat er in diesem Augenblick ins Leben.

»Seine Majestät der Kaiser ist in Vera-Cruz gelandet.« Die Worte lauteten so kurz und überzeugend, daß ein Zweifel daran unmöglich wurde. Außerdem hatte ja Miramon selber die Kunde erhalten, und der Bursche, der das Schreiben gebracht, war jedenfalls der Correo gewesen.

Bazaine allein schien die Ankunft des neuen Monarchen in dem nicht angenehmen Gefühl zu vergessen, daß General Miramon – ein Mexikaner, und nicht er die erste Botschaft erhalten. Aber von wem war sie ausgegangen, und wie war es möglich, daß man in Vera-Cruz versäumt haben sollte, ihm gerade zuerst das Wichtigste zu melden, was in diesem Augenblick das Land betreffen konnte?

Mit dem Erzbischof zusammen, der sich ebenfalls der Gruppe anschloß, trat er zu Miramon, um den Zettel mit eigenen Augen zu sehen, aber derselbe enthielt nur die wenigen Worte:

»Soeben läuft die Fregatte ein, die den Kaiser Maximilian an Bord hat.« Es war nur ein Stück weißes Papier ohne Adresse, aber zusammengefaltet und rein, als ob es eben aus einem Kuvert genommen wäre. Es enthielt auch keine weitere Bemerkung; nur unten noch die Zahl 28, die möglicherweise das Datum andeuten konnte – aber wie kurze Zeit hatte dann freilich der Kurier gebraucht, um hier heraufzukommen?

»Und ist Ihnen das Papier so übergeben worden, General?« fragte Bazaine, der es kopfschüttelnd in der Hand herumdrehte.

»Wie es da ist,« sagte Miramon, »ich begreife es nicht recht – am Ende ein höchst ungeschickter Scherz, den sich jemand mit uns erlaubt hat. Wir hätten den Boten nicht so rasch wieder fortlassen sollen.«

»Kannten Sie ihn?« fragte Labastida – Miramon verneinte es, Bazaine aber sagte:

»Mir kam er bekannt vor; ich habe das Gesicht jedenfalls schon gesehen.«

»Ich kann mich nicht erinnern,« meinte Miramon, »und ich begreife außerdem nicht, daß man ihn so ohne weiteres hereingelassen.«

Ein weiteres Gespräch wurde unmöglich, denn von allen Seiten drängten jetzt die Damen herzu, die sich natürlich nicht mit der einfachen Nachricht begnügten, sondern Näheres erfahren wollten. Miramon aber kannte den Zauber, mit dem er imstande war, dies unruhige, wenn auch sehr hübsche Völkchen zu bannen. Selbstverständlich hatte er ein Musikkorps engagiert, denn ohne Tanz gehen die jungen Damen an solchen Abenden nie nach Hause; die Musici mußten deshalb ihre Plätze einnehmen, und wie inmitten der allgemeinen Aufregung die nicht unmelodischen Töne der mexikanischen Nationalhymne ertönten, regte sich kein Laut mehr, und eine wirklich feierliche Stimmung erfaßte alle. War es doch auch ein feierlicher Moment: der erste Schritt zu einem neuen Leben, vielleicht zu Glück und Frieden in dem schwergeprüften Lande – aber diese Stimmung dauerte nicht lange. Wie nur die Hymne verklungen und die Musiker nach kurzer Pause eine muntere Habanera begannen, verschwand im Nu der ernste Ton. Das junge Volk hatte Musik gehört, und das ganze neue Kaiserreich erweckte ja für dieses Alter nur Bilder von Glanz und Lust, wie von sich aneinanderreihenden Festlichkeiten. Was wußte es von dem Lande selber und von dem darauf lastenden Jammer! Bald schwatzte und lachte und flüsterte und kicherte es wieder untereinander in vollem Jubel, und heller blitzten und funkelten selbst nicht die Brillanten am Nacken und in den Ohren ihrer schönen Trägerinnen, als die Augen der wunderhübschen Mädchenschar.

Und hatten die jungen Damen in Mexiko nicht auch alle Ursache, mit dem neuen Stand der Dinge zufrieden zu sein? Stellte ihnen nicht Frankreich, außer ihren gewöhnlichen und eingeborenen Anbetern und Tänzern, schon allein ein ganzes Offizierkorps zur Disposition, während der neue Kaiser doch jetzt auch jedenfalls eine weitere Sammlung von jungen deutschen Offizieren herüberbrachte? Und außerdem all die bevorstehenden Festlichkeiten und Bälle – es war kein Wunder, daß sich eine fast übermütige Laune ihrer bemächtigte und auf die übrige Gesellschaft ansteckend wirken mußte. Man erinnerte sich nicht, je einen vergnügteren Abend in Mexiko verlebt zu haben.

Diese Heiterkeit erstreckte sich freilich nicht auf alle, denn zu ernst trat das Leben in diesem neuen Abschnitt an manche heran. Miramon selber hatte eine lange Unterredung mit dem Erzbischof Labastida, und selbst die älteren französischen und mexikanischen Offiziere verhandelten ebenso eifrig und die Gesellschaft gar nicht mehr beachtend, mit Bazaine, denn wie plötzlich war das alles gekommen!

Wohl mußten alle auf den jetzt eingetretenen Fall schon vollkommen vorbereitet sein, und trotzdem waren doch so wenig wirkliche Vorbereitungen getroffen und noch von so vielen die tatsächliche Annahme und Ankunft des Kaisers bezweifelt worden, so daß Maximilian jetzt fast wie ein unerwarteter Gast in seinem eigenen Reiche erschien. Alles das mußte nun in einem Zeitraum nachgeholt werden, der kaum so viele Tage dazu gestattete, als man sonst und unter gewöhnlichen Umständen Monate gebraucht haben würde.

Miramon und Labastida besprachen freilich andere Dinge, denn der Erzbischof sah in seinem jungen, der höchsten Aristokratie des Landes angehörenden Freunde seine festeste Stütze. Jetzt aber war die Zeit gekommen, wo die Wahl eines neuen Ministeriums die Richtung bezeichnen mußte, die das neue Kaiserreich zu nehmen gedachte – und konnte es eine andere als solche treffen, die ihm von den Konservativen wie der Geistlichkeit vorgezeichnet wurde? – Es schien nicht denkbar. Diese gerade hatten den Kaiser berufen und all ihren Einfluß aufgeboten, um das Volk für ihn zu stimmen, nur mit ihnen konnte er sich deshalb auch halten. Es galt deshalb nur die Schritte anzubahnen, die gleich von Anfang an getan werden mußten, um den jungen Kaiser zu bewahren, daß er nicht in falsche Hände geriete.

Labastida fürchtete es kaum, aber Vorsicht konnte trotzdem nicht schaden.

Unter den jungen Leuten war indessen der Kaiser bald vergessen, oder lieferte doch nur erwünschten Stoff zu lebendiger Unterhaltung. Die munteren Töne der Habanera erklangen, und das junge, fröhliche Volk gab sich der Lust des Tanzes mit ganzer Seele hin.


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