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Vermischte Gedichte.
Zweites Buch.


Sommernacht.

Willst du wieder bei mir sein,
Muse, die mich längst gemieden?
Ach, in diesem Sternenschein
Welche Fülle, welch ein Frieden!
Horch! Gedämpfter Klang erwacht
In den unberührten Saiten;
Nimm mich hin denn, süße Macht!
Schon von ferne durch die Nacht
Hör' ich Götter schreiten.


Julin.

Es rauscht der Wind, es rinnt die Welle,
Beflügelt schwebt das Schiff dahin;
An jenes Kreidefelsens Schwelle
Dort, sagt der Schiffer, lag Julin;

Julin, die hohe Stadt am Sunde,
Die still die Meerflut überschwoll;
Wie klingt die fabelhafte Kunde
Mir heut an's Herz erinn'rungsvoll!

Ich denk' an meiner Kindheit Tage,
Da mir, von Märchenlust beseelt,
Die Schwester jene Wundersage
Des Abends vor der Thür erzählt.

Noch steht's mir deutlich im Gemüthe:
Wir saßen auf der Bank von Stein,
Am Nachbarhaus die Linde blühte,
Am Himmel quoll des Mondes Schein.

Die schlanken Zackengiebel hoben
So ernst sich, wo der Schatten fiel,
Und dann und wann erklang von oben
Von Sankt Marie'n das Glockenspiel.

Dann ging's hinein zum Nachtgebete
Und linder Schlaf umfing mich drauf;
Ich baute die versunk'nen Städte
Im Traume prächtig wieder auf.

O Knabenträume rein und helle,
O Jugendlust, wo gingt ihr hin! –
Es rauscht der Wind, es rinnt die Welle,
Wo sind Vineta und Julin?


Irene.

Du bist so schön an Seel' und Leib,
Wohin du wandelst, hohes Weib,
Da muß an deinen Blicken
Sich jedes Herz erquicken.

Und solche Reinheit wohnt in dir,
Du weckst nicht Sehnsucht noch Begier;
Ein Glanz des Friedens leise
Webt um dich her im Kreise.

So wandelt still durch's Grün der Au
Die goldgelockte Sonnenfrau,
Und bringt den Blumen allen
Ein neidlos Wohlgefallen.


Mädchenlieder.

1.

    Ich bin gegangen
   Den Mai empfangen,
Doch bracht' er keinen Gruß für mich;
   Die Wolken zogen,
   Die Schlossen flogen,
Ein eis'ger Hauch vom Flusse strich.

   Wer mag der Blüten
   Im Garten hüten,
Wenn also weht der scharfe Wind?
   Um den ich bange,
   Wie schweigt er lange
Und räth es keiner, was er sinnt!

   Wer mag den Segen
   Im Herzen pflegen,
Wenn Zweifel kühl die Brust beschlich!
   Ich bin gegangen
   Den Mai empfangen,
Doch bracht' er keinen Gruß für mich.


2.

Und wenn der Tag die Nacht geküßt,
Da stirbt sie hin in süßem Tod;
Ihr seliges Verbluten,
Das ist das Morgenroth.

Ich liebe dich wie die Nacht den Tag,
Ich kann dich nie erwerben –
O dürft' ich denn an deinem Kuß
Verblutend sterben!


Wittwenleid.

Ach, das ist es, was ich klage,
Daß vom alten Traum umwebt
Mir das Herz mit jedem Schlage
Statt in's Frühlicht künft'ger Tage
Rückgewandt in's Spätroth strebt;

Daß es stets nach einem Glücke
Bangt, das nimmer wiederkehrt,
Und, wie reich die Welt sich schmücke,
An der eingestürzten Brücke
Stumm in Heimweh sich verzehrt.


Scheidelieder.

(Zu Melodien.)

1.

Im Winde kommt ein scharfer Ton,
Die wilden Schwäne wandern schon,
Die schöne Zeit geht scheiden;
Du hast mich sommerlang geküßt,
Nun steht nach Anderm dein Gelüst,
Wie sollt' ich's dir verleiden!

Am Berge liegt ein weißer Streif,
So fiel auf deine Lieb' ein Reif,
Heißt: Ueberdruß und Reue;
In Windeswirbeln fliegt der Staub,
Es bricht der Ast, es stiebt das Laub,
Warum nicht deine Treue?

Fahr hin, ich weiß nun, wie du liebst;
Ein Herz, das du nur halb vergiebst,
Das gönn' ich jedem andern.
Fahr hin! Dein Weinen dünkt mich Hohn.
Die wilden Schwäne wandern schon,
Und ich, auch ich will wandern.


2.

Durch die wüste weite Haide
Trägt mein Roß mit meinem Leide
Matt mich fort, der Abend graut.
Ueber mir die Wolken schweifen,
Und der Wind mit hohlem Pfeifen
Wandert durch das Haidekraut.

Wo ich nur zu gern geblieben,
Hat mein Dämon mich vertrieben,
Ach, vom Glücke war ich blind;
Und nun muß ich wieder fliehen
Rastlos, wie die Wolken ziehen,
Heimatlos, ach, wie der Wind.


Sintram.

(Aus einer Novelle.)

1.

Im weißen Mondlicht dehnen
Sich Strand und Klippen bleich umher;
Es baden die Sirenen
Und singen fern im Meer.

Es singen die Sirenen,
Den Klang versteh ich nur zu gut;
Mein Blick vergeht in Thränen,
Mein Herz vergeht in Glut.

Die Königin im Schwarme
Wohl kenn' ich sie, mein tödtlich Glück;
In ihre weißen Arme
Führt, ach, kein Weg zurück.

Kühl weht es durch die.Klippen;
Mir ist, als ob ich sterben müßt';
Sie hat mir von den Lippen
Die Seele fortgeküßt.


2.

Spielende Flammen hoffnungsloser Liebe,
Was lockt ihr mich und züngelt ohne Ruh?
Bezwungen strebt vom tödtlich süßen Triebe
Dies Herz euch zu.

Wohl kennt es euer trügerisch Gefunkel,
Und glaubt der schmeichelnden Verheißung nicht;
Doch ach, so trostlos ist das kalte Dunkel,
So schön das Licht!

Schon rührt mein halb erstarrtes Blut sich wieder,
Schon weht's mich an wie Frühlingswonnegraus,
Und die gelöste Seele bricht in Lieder
Und Thränen aus.

Stürb' ich im Frost nicht, wenn ich fühllos bliebe?
Nein, stolz verglühn ist besserer Gewinn.
Spielende Flammen hoffnungsloser Liebe,
Nehmt mich dahin!


3.

Aus allen Himmeln lieg' ich hergestürzt
Im Schlangenthurm, verfehmt, ein Mann des Hohns:
Ich kann ihn nicht zerbrechen, weh, und auch
Vergessen nicht, was sonst war.

Ich wollte König sein, und spielte drum
Verweg'nes Spiel – ich selbst zerschlug mein Glück,
Ich selbst, und nichts hab' ich gerettet, nichts,
Als meinen Stolz und meine Harfe.

Zischt auf, ihr Nattern! Ringle, Qualenbrut!«
Hier bin ich; meine Seiten strömen schon
Von euren Bissen, nagt! Ich singe drein,
Und singend will ich sterben.


Traumleben.

O hast du niemals selbstvergessen
Auf dürrem Moos und Farrenkraut
Im Wald am Wassersturz gesessen
Und schweigend in die Flut geschaut?

Du sahst die Welle nahn und schäumen,
Du sahst sie schimmernd weiter ziehn,
Und dich befing ein waches Träumen,
In dem dir doch kein Bild erschien.

Und Stunden kamen, Stunden gingen,
Doch du vernahmst nicht ihren Schritt,
Du warst verloren in den Dingen,
Und webtest, walltest, rauschtest mit.

Ja, ganz, als ob euch nichts mehr schiede,
Empfand sich deine Seele nur
Als einen Laut noch in dem Liede
Der allumfangenden Natur;

Da war kein Draußen mehr, kein Drinnen,
Du schwebtest, frei vom Bann der Zeit,
Ausruhend mit gelösten Sinnen
Im Schooße der Unendlichkeit.


Lied.

Ach, du fliehst vergebens,
Was dich härmt und kränkt;
Keinem wird des Lebens
Bittrer Zoll geschenkt.

Wenn der erste süße
Jugendleichtsinn schwand,
Bleibt dir an die Füße
Stets ein Weh gebannt.

Zu den höchsten Matten,
Unter's stillste Dach
Wandelt, wie dein Schatten,
Dir die Sorge nach;

Mischt zu jedem Glanze
Sich als Nebel still,
Nagt an jedem Kranze,
Der dir blühen will;

Bis du, unter Schmerzen,
An durchkämpftem Tag
Dir errangst im Herzen,
Was sie bänd'gen mag:

Muth, der sturmentgegen
Neuen Pfad sich bahnt,
Demuth, die den Segen
Auch im Trübsal ahnt.


Meinem Schwager

am Tage seiner Wiedervermählung.

Wenn im West am Himmelsbogen
Nun der Tag hinabgezogen
Und das Sonnenauge brach,
Wird es still in Wald und Aue,
Und die Blume weint im Thaue
Dem verlornen Schimmer nach.

Aber sieh, ein sanftes Dämmern
Naht, und zwischen Wolkenlämmern
Schwebt der Vollmond über's Thal,
Bringt im feuchten Widerscheine
Dir das Sonnenlicht, das reine,
Mildgedämpft zum andern Mal.

So verschmilzt dir heut im Innern
Selig Hoffen und Erinnern,
Und du weißt es selber nicht:
Was ist Wehmut? Was ist Wonne?
Doch du ahnst: von Mond und Sonne
Kommt dasselbe Gotteslicht.

Froh in Thränen, zwischen beiden
Magst du nicht mehr unterscheiden;
Ein Gefühl sind Lust und Leid;
Und du lebst in reicher Stunde
Das was ist und war im Bunde,
Junges Glück und alte Zeit.


Ehespruch.

Das ist die rechte Ehe,
Wo zweie sind gemeint
Durch alles Glück und Wehe
Zu pilgern treu vereint;
Der Eine Stab des Andern
Und liebe Last zugleich,
Gemeinsam Rast und Wandern,
Und Ziel das Himmelreich.


Dem Fürsten
Heinrich zu Carolath-Beuthen

an seinem achtzigsten Geburtstage.

Aus meiner stillen Zelle
An Lübecks altem Dom
Erschwingt sich flügelhelle
Mein Lied zum Oderstrom;
In Ehrfurcht dich zu grüßen
Betritt's dein fürstlich Haus,
Und schüttet dir zu Füßen
Der Segenswünsche Füllhorn aus.

Denn Er, der seinem Volke
Durch Flut und Sandgewog
Voran als Schattenwolke
Und Feuersäule zog,
Der ihm den Pfad bestreute
Mit Manna wunderbar,
Er hat dich gnädig heute
Geführt durch zweimal vierzig Jahr.

Preis ihm, der, als die Wetter
Der Schlachten dich umstürmt,
Ein immer naher Retter
Des Jünglings Haupt beschirmt;
Der dann im Weltgebrause,
Im wilden Waldrevier,
Am trauten Heerd im Hause
Die Hand gehalten über dir!

Er gab aus seiner Stärke
Die Kraft dir jederzeit
Zum hohen Tagewerke,
Dazu er dich geweiht.
Und wo auf dunkeln Pfaden
Dir schier der Muth entschwand,
Hat er dir stets in Gnaden
Den Engel seines Trosts gesandt.

Von Wolken bald umgeben
Und bald voll Sonnenscheins,
Wo blüht' ein Menschenleben
So reich sich aus, wie dein's?
Du hast der Lust der Waffen
Die Lust des Lieds gepaart,
Und durftest bau'n und schaffen,
Was Tausenden zum Segen ward.

Und weil in reiner Güte
Das Herz dir täglich neu
Für fremdes Wohl erglühte,
Blieb ihm die Jugend treu.
Von allen Erdenloosen
Das lieblichste ward dein,
Dem Liebe noch mit Rosen
Die Scheitel kränzt im Spätrothschein.

Hör' uns mit frommer Bitte
Denn heut' zum Vater flehn,
Du mögst in unsrer Mitte
Solch Heil noch lange sehn,
Und ahnend schon hienieden,
In heitre Ruh vertieft,
Empfinden jenen Frieden,
Der von des Himmels Palmen trieft.


Reformation.

Woll' uns deinen Tröster senden,
Herr, in dieser schweren Zeit,
Da die Welt an allen Enden
Durstig nach Erlösung schreit!
Denn es geht ein heilig Sehnen
Durch der Völker bangen Sinn,
Und sie seufzen unter Thränen:
Hüter, ist die Nacht bald hin?

Ach, sie fühlen's: alles Wissen,
Ob's den Stoff der Welt umfaßt,
Bringt, vom Ew'gen losgerissen,
Kein Genügen, keine Rast.
Doch die Suchenden, Beschwerten
Treibt levitisch Schwertgezück,
Treibt der Spruch der Schriftgelehrten
Hart und eng in sich zurück.

Was einst Trost und Heil den Massen,
Ward zur Satzung dumpf und schwer;
Dieser Kirche Formen fassen
Dein Geheimniß, Herr, nicht mehr.
Tausenden, die fromm dich rufen,
Weigert sie den Gnadenschooß;
Wandle denn, was Menschen schufen,
Denn nur du bist wandellos.

Aus dem dunkeln Schriftbuchstaben,
Aus der Lehr' erstarrter Haft,
Drin der heil'ge Geist begraben,
Laß ihn auferstehn in Kraft!
Laß ihn über's Rund der Erde
Wieder fluten froh und frei,
Daß das Glauben Leben werde,
Und die That Bekenntniß sei!

Flammend zeug' er, was vereinigt
Einst der Boten Mund getönt,
Wie's, vom Zeitlichen gereinigt,
Sich dem Menschengeist versöhnt;
Zeug' es, bis vor solcher Kunde
Jede Zweifelstimme schweigt,
Und empor vom alten Grunde
Frei die neue Kirche steigt.


Geschichte und Gegenwart.

Du, die im Wirrsal dieser Tage
Sich zur Prophetin Gott ersah,
Wie hoch und ernst mit deiner Wage,
Geschichte, stehst du vor mir da!
Sibylle, der vom keuschen Munde
Das Zeugenwort der Dinge tönt,
Die mit jahrtausendalter Kunde
Des jüngsten Morgens Leid versöhnt.

Wohl hast du ewig unbestochen,
Von Zorn und Liebe nie entflammt,
Den Sterblichen ihr Recht gesprochen,
Doch schmückt dich heut ein höher Amt.
Mit kühner Hand im Zeitenbuche
Aufblätternd was von Anfang war,
Machst du mit priesterlichem Spruche
Das Weltgeheimniß offenbar.

Denn tief im Schutt bis an die Brüste,
Das Haupt von Flugsand überschneit,
Lag schweigend, wie die Sphinx der Wüste,
Dein Räthselbild, Vergangenheit.
Das Auge, das an Stirn und Falten
Nur hier und dort ein Zeichen las,
Verlor, vom Nächsten festgehalten,
Des Ganzen ungeheures Maß.

Doch nun allmählich aus den Tiefen,
Die nimmermüder Fleiß durchgräbt,
Sich überdeckt mit Hieroglyphen
Des Riesenleibes Umriß hebt;
Nun in untrüglicher Gestaltung
Der Sprache Fußspur vielverzweigt
Uns der Geschlechter frühe Spaltung
Und ihren frühsten Bund uns zeigt:

Nun rollt vor dem betroffnen Blicke
In festgegliedertem Verlauf
Die Kette sich der Weltgeschicke
Wie ein vollendet Kunstwerk auf;
Nun sehn wir reifend durch die Zeiten,
Das Antlitz wandelnd Zug um Zug,
Des Gottes Offenbarung schreiten,
Die jeder gab, was sie ertrug.

Wohl lastet über weiten Räumen
Unsichrer Dämm'rung trüber Flor,
Doch wächst in Bildern dort und Träumen
Die Sehnsucht nach dem Licht empor;
Wohl stürzt, was Macht und Kunst erschufen
Wie für die Ewigkeit bestimmt;
Doch alle Trümmer werden Stufen,
Daran die Menschheit weiter klimmt.

Und wie wir so aus Nacht zum Glanze
Den Wandel der Geschlechter sehn,
Erkennen wir – den Blick auf's Ganze –
Die Stätte, da wir selber stehn:
Wir spüren, froh des hohen Waltens,
Das jeder Zeit ihr Ziel verliehn,
Den heil'gen Fortgang des Entfaltens
Im Tag auch, der uns heut erschien.

Und ob sich rings Gewitter thürmen
In West und Ost um unsern Pfad,
Uns schwant, daß auch in diesen Stürmen
Ein gottgesandter Frühling naht;
Und aus der Kräfte dunklem Gähren
Umwittert uns geheimnißvoll
Der Hauch, der was erstarb verzehren,
Und was da lebt verjüngen soll.

Da schwillt, was immer uns betroffen,
Das Herz von muth'ger Werdelust,
Da füllt ein unvergänglich Hoffen
Zukünft'gen Heiles uns die Brust.
Zum Kern des Lebens wird der Glaube,
Von dem das Kleid der Formel fällt,
Und wir verehren tief im Staube
Den Gott im Tempelbau der Welt.


Sonett.

Wer will's denn läugnen, daß in unsern Tagen
Ein rascher Pulsschlag sich lebendig regt,
Daß rings ein frischer Geist die Welt bewegt,
Und die Gedanken neue Flüge wagen?

Die Wissenschaft zertrümmert ohne Zagen
Manch dumpfe Schranke, die uns eingehegt;
Der Baum der Freiheit, der schon Blüten trägt,
Verheißt dereinst uns goldne Frucht zu tragen.

Ein Großes aber mangelt dieser Zeit:
Das eigne Dach und Fach, das mit Vertrauen
Die Brust erfüllt, und drin die Rast gedeiht.

Noch heimathlos, bei Sturm und Wettergrauen,
Sitzt sie auf Trümmern der Vergangenheit
Und Quadern, für der Zukunft Bau gehauen.


In ein Album.

(Nach Lamartine.)

Das Buch des Lebens liest sich nur ein einzig Mal;
Du kannst darin nicht blättern, wie's dir wohlgefällt,
Noch bei der Stelle weilen, die dich fesselte;
Denn unerbittlich wenden sich die Blätter um.
Zum Abschnitt »Lieben« kehrten wir zurück, wie gern!
Und sind schon auf der Seite, wo es Sterben heißt.


Schulgeschichten.

Wer jemals, war es noch so kurz, auf schmaler Bank
Am schrägen vielzerschnitt'nen Tisch als Schüler saß,
Der kennt den Reiz von Schulgeschichten. Laßt mich denn
Der Art ein Paar berichten! Aber du vergieb,
Mein würd'ger Rektor, wenn ich heute scherzend dein
Im Lied gedenke, zürne nicht dem Uebermuth:
Nein, wenn noch Schatten lächeln können, lächle mit!
Noch seh' ich dich im langen Rock von braunem Fries,
Kniehoch gestiefelt, hager, auf dem Schulhof stehn,
Die Uhr in Händen, mit gestrengem Herrscherblick
Jedweden Lärm des allzulauten Knabenschwarms,
Jedweden Unfug dämpfend, bis des Glöckleins Ton
Vom Pappelplatz uns wieder in die Classen trieb.
Dein ganzes Wesen – denn du nanntest nicht umsonst
Kant deinen Meister – trug des kategorischen
Imperativus Stempel; jede Miene war
Und jedes Wort unweigerlicher Machtbefehl.
Doch wohnt' in harter Schale dir ein weich Gemüth;
Denn wohl erinner' ich's, wie beim herben Leidbericht
Vom frühen Tode Konradins, von Magdeburgs
Zerstörung plötzlich schluchzend dir die Stimme brach,
Erstickt von Thränen menschlich warmen Mitgefühls.
So stehst du fest in meiner Seel', ein würdig Bild.
Doch nun erzähl' ich, was ich lachend mit erlebt,
Als du zerstreut einst, ohnedies ein wenig taub,
Geschichte wiederholtest und, den Blick auf's Buch,
Antwort von einem heischtest, der abwesend war.

Wer schlug die Schlacht bei Bauzen, Meyer? – »Meyer fehlt!« –
's ist falsch. Der Nächste! – »Meyer fehlt!« – 's ist wieder falsch.
Der Nächste! – »Meyer ist nicht da!« – Der Folgende! –
»Der Alte scheint im Kopf verrückt!« – Ganz recht, mein Sohn.
Nur hätt' es Meyer wissen müssen, so wie du. –
Ein kaum verhaltnes Kichern folgte, doch du fuhrst,
Nichts ahnend, ruhig im Examiniren fort.

Ein andermal erglühte freilich zorniger
Die Stirne dir und bösen Sturm verheißend klang
Dein sächsisch Deutsch in's Ohr mir, als du plötzlich mich
Hinweg vom Nepos auf den Gang hinausberiefst
Nicht eben herzhaft folgt' ich, war am Tag zuvor
Doch auf dem Kirchhof von der Jugend Tertias
Ein blut'ger Hauptstreich wider die Verbündeten
Der Nachbarschulen nur zu siegreich ausgeführt.
Denn mehr als Einer war geschunden heimgekehrt,
Und nach den Rädelsführern, deren ärgsten ich
Mich selber wußte, wurde nun im peinlichen
Verhör geforscht, als gält' es Catilinas Haupt.
Bald war die Schuld ermittelt, und gelind genug
Erging der Spruch auf Carcer. Doch nun sollt' ich noch
Angeben, wer zugleich mit mir das Volk verführt,
Vor allem aber, ob ich mich der Fäuste bloß
Bedient im Treffen oder zur Bekräftigung
Der unglücksel'gen Prügel einen Stock gebraucht,
Ein telum subalare, wie der Rektor sprach.
Ich nicht, versetzt ich, aber von den Anderen
Etwelche mögen –
                         Mögen!! fiel er heftig ein,
Gleich tief empört als Rektor und Grammatikus,
Falsch angewandter Conjunctiv! Ein Factum ist's!
Und eh' ich dessen mich versehen, hatt' er mir
Mit schlaffer Hand die Regel in's Gesicht geprägt,
Daß mir der Backen stundenlang wie Feuer war.
Doch trug mir dieses Argument ad hominem
Heilsame Früchte. Nimmer hab' ich mich seitdem
Des Conjunctivs beflissen, wo's ein Factum galt;
Selbst nicht bei Hof. Und das war manchmal schwer genug.


Eutin.

Vom alten Lübeck, wenn die Zeit der Pfingsten kommt,
Hinaus in's Weite treibt mich stets die Wanderlust,
Im jungen Grün zu schwelgen; nach Eutin zumeist,
Dem waldumkränzten, zieht es mich, wo mir der Freund
Von Alters her, der rechtsgelehrte, heimisch ist.
Ein Stündchen Weges kommt er mir entgegen wohl
Und lenkt den offnen Wagen, der uns beide faßt,
Zum Thor des Gasthofs, wo im kühlen Saale schon,
Auf saubrer Tafel, die ein Kelch mit Rosen schmückt,
Das Mahl der Wirth vorsorglich uns gerüstet hat.
Bei Tisch behaglich plaudern wir, und nimmer geht
Der Stoff uns aus; denn sind wir alten Knaben auch
An Sinn und Neigung urverschieden: treu verknüpft
Der Boden uns, drin unsres Lebens Wurzeln stehn.
Und was ist süßer, als der goldnen Jugendzeit
Beim Wein gedenken, manches tollen Knabenstreichs,
Und jener hohen Stunden, da sehnsüchtig uns
Des Herzens Ueberfülle schier die Brust gesprengt!

So dehnt mit Lust verzögert sich das Mahl hinaus;
Erst spät Nachmittags, wenn die Lüfte draußen sich
Gemach verkühlten und der pflichtgetreue Freund
Gewissenhaft noch einmal zu den Akten kehrt,
Mach' ich mich auf in's Freie. Zwar der Ugley ward,
Der wie ein Schild aus Edelstein im dunkeln Kranz
Des Waldes ruht, dem nächsten Abend aufgespart;
Doch hier ist lieblich jeder Weg, den du betrittst.

Die lange Straße geht's hinab; zur Rechten bleibt
Der Sitz der Stolbergs, stattlich, wie der Adel baut,
Mit Steingesims und Wappenschildern ausgeziert.
Doch nah dem Thor, im Lindenschatten, winkt mir dort
Am Bug der Gasse stillzustehn ein ander Haus,
Bescheidnen Ansehns, aber gern von mir gegrüßt:
Das Haus, in dessen seebespültem Garten einst
Am Sommerabend, voll idyllischer Heiterkeit
Aus ird'ner Pfeife Wölkchen dampfend, Heinrich Voß
Im Schlafrock zwischen Fliederbüschen wandelte.
Sei mir gepriesen, Alter, der den Knaben du,
Ein treuer Dolmetsch, in die sonnige Fabelwelt
Der Griechen führtest, wenn sich auch ihr Goldgeweb
Ein wenig unter deiner Hand vergröberte,
Und oft zu schwer Joniens flüssige Weise dir
Von niederdeutscher Lippe quoll. Luisens auch
Gedenk' ich gern, um deren ländlich Angesicht
Voll derber Frische manch homerisch Lächeln spielt;
Nicht zu vergessen, daß an ihr emporgelehnt
Die schönere Schwester, Dorothea, uns erwuchs,
Von anderm Vater freilich, dessen Hoheit ihr
Die Stirn umleuchtet, aber ihre Schwester stets.

Doch wo verweil' ich? Längst schon aus des Städtchens Thor
Hat unvermerkt hingleitend mich der Pfad entführt.
In offner Landschaft find' ich mich, wo See an See
Mit holdem Gruß blauäugig aus der Tiefe lacht,
Und über sanften Hügeln schwebend, wipfelreich,
Der Buchenforst auf säulenhohen Stämmen wogt.
Gelockt vom Schatten tret' ich in die Finsterniß
Des grünen Doms. O, welche Kühle säuselt hier
Vom Laubgewölbe! Welch geheimnißvoller Duft
Umweht die braunen Quellen und den blühenden
Waldmeisterteppich, der den ganzen Hang bedeckt,
Und füllt die Seele märchenhaft dem Rastenden
Mit allem Zauber schauernder Waldeinsamkeit!
An dieser Stätte grüßte wohl zum erstenmal
Die Muse deinen tonbegabten Sohn, Eutin,
Auf weißem Zelter schwebend, die romantische
Im wilden Laubkranz; hier erwuchs im Busen ihm,
Den ihrer Locken weithinflatternd Gold gestreift,
Die tiefe Waldhornstimme, die Preciosen uns,
Den Schützen Max und Euryanthens Liebe sang,
Und dann in Englands Nebeln, ach, zu früh erlosch.

Gedenkst du seiner, schwermuthvolle Nachtigall,
Die du vom See jetzt, silbern, durch die Blätternacht
Dein schmelzend Gramlied strömen lässest, Ton an Ton
Wie Tropfen Thau's hinperlend? Oder klagst du nur,
Daß wieder drüben jener Sonnen eine sinkt,
Draus sich dein kurzer Frühling webt? – Du mahnst mich recht;
Auch unsre Tage sind gezählt. So laß uns denn
Der Stunde froh sein, die so schön nicht wiederkehrt!
Den Schritt beflügelnd tret' ich aus den Stämmen schon
Des Hügelforstes auf den freien Rand hinaus,
Und wie sich flutend Heut'ges und Vergang'nes mir
Im Herzen mischen, seh' ich dort im stillen See
Des Abends Goldgewölk verglühn, doch über'm Wald,
Sein weißes Licht dreinträufelnd, schwebt der Mond empor.


Erste Begegnung.

Lieblich war sie als Kind, schwarzäugig; schimmernde Blässe,
Wie sie die Perle dir zeigt, lag ihr um Wangen und Stirn,
Daß fremdartig sie fast im Kreise der blonden Geschwister,
Wie ein südlich Gewächs unter den heimischen stand.
Aber ich sah sie zuerst elfjährig am Ufer des Meeres,
Da sie vom Bad heimkam in der Gespielinnen Schwarm,
Froh des köstlichen Tags; denn im Seewind rauschte die Brandung
Hoch und im sonnigen Blau flatterte weißes Gewölk.
Leicht wie ein Rehlein sprang sie dahin, lang flog ihr das dunkle
Haar, zum Trocknen gelöst, über die Hüften herab.
Doch mich rührte die feine Gestalt, mich rührte des Auges
Ahnungseliger Glanz, der wie ein Räthsel mich zog;
Und wie Jünglinge sind, die blitzschnell jeder Empfindung
Folgen, beflügelten Schritts eilt' ich der Lieblichen nach
Und von hinten sie leis' an den zierlichen Schultern ergreifend,
Lehnt' ich im Scherz ihr Haupt sacht an die Brust mir empor.
Aber sie machte sich los, und tief aus schattigen Wimpern
Unbeschreiblichen Blicks schaute sie lange mich an,
Vorwurfsvoll und freundlich zugleich. Da zuckte das Herz mir,
Wie in des Waidmanns Hand über verborgenem Quell
Plötzlich die Ruthe sich rührt. Nicht weiß ich, war es der Blick nur,
War es ein Zukunftshauch, was mir die Seele bewegt?
Doch wie ein Träumender schritt ich hinaus in die Dünen, und lang noch
Dacht' ich des lieblichen Kinds, das ich am Hafen gesehn.


Die Lachswehr.

(1857.)

Du stiller Garten, der den schattigen Ulmengang
Im blauen Flusse spiegelt, wo zur Frühlingszeit
Die Nachtigall ihr tönend Nest am Wasser baut,
Wie lieb' ich dich! Und immer wenn zur Vaterstadt
Mein Weg mich heimführt, such' ich dich vor Allem auf:
Denn deine Pfade reden mir, und lieblich weht
Aus deiner Lauben Dunkel mich Erinn'rung an.
Zwar längst verschwunden ist der zierlich steife Prunk
Geschornen Laubwerks; wo ich an der Blätterwand
Durchbrochner Hecken oft mit buntem Kies gespielt,
Da blüht auf offnem Rasenplatz die Rose jetzt
Und frei zur Wiesenlandschaft und die Krümmungen
Des Stroms entlang zum Eichenhügel schweift der Blick.
Doch immer rauschen deine hohen Wipfel noch,
Noch immer streckt sich, buntbeflaggter Kähne Ziel,
Gestuft auf's Wasser dein Altan, von dem ich einst
Fünfjährig spielend in des Flußgotts Arme glitt,
Sein sichres Opfer, wenn den schon Gesunkenen
Des treuen Bruders Taucherkunst nicht rettete.
Sei ihm dafür nach sechsunddreißig Jahren heut
Der fromme Dank erstattet, den ich dazumal
Vergaß, nicht ahnend, welch Geschenk das Leben sei.
Das lernt' ich erst, als mein erwachend Knabenherz
Gewalt'ger pochte, wenn ich dort am Gitterwerk
Zum Nachbargarten lauschend stand, ob nicht ein Ton,
Ein rosig Kleid nicht, schimmernd durch's Jasmingebüsch,
Des liebsten Mädchens Nähe mir verkündete.
Denn dort im ländlich weinumrankten Giebelhaus
Wohnt' ihr die Freundin. Selten kam die Liebliche,
Doch allgewaltig trieb mich stets die Hoffnung her.

So träumt' ich manchen Sommerabend hier entlang
Am stillen Ufer, in der Brust unendlicher
Gefühle Dämm'rung; und wenn nun das Abendroth
Mit leisem Zittern auf dem feuchten Spiegel schwamm,
Versucht' ich, von der Muse frühem Hauch berührt,
Was unaussprechlich war zu sagen. Nie gelang's,
Doch selig war dieß Stammeln, wie die Jugend selbst.
Ach, als ich später, schon gebräunt von Griechenlands
Glorreicher Sonne, die mich reifere Kunst gelehrt,
Hier wieder hinschritt, hatte schon des Lebens Ernst
Mir vom Gemüth den Flaum gestreift; versunken war
Die goldne Frühe jenes ersten Liebesglücks,
Und bessre Lied sang ich, aber schmerzerfüllt.
Da lernt' ich jene Tage kennen, die so schwer
Dem Jüngling lasten, wenn der frohe Blütenschmuck
Nun abgefallen, doch noch nicht die Frucht gereift,
Die Zeit des bangen Wartens und der Einsamkeit.
Bestürmt von Zweifeln rang ich damals, o wie oft
Umsonst nach Klarheit in mir selbst! Verfehlt erschien
Mir all mein Streben, Täuschung selbst der Muse Ruf,
Der immer wieder lockend an mein Herz erging;
Und wenn ich dann, von hast'ger Arbeit tief erschöpft,
Hier Stille suchte, fand ich heiße Thränen nur,
Wie sie auf öder Klippe weint, wer scheiterte.
Doch Rettung sandte mir ein Gott: du riefest mich,
Mein wackrer Malsburg – Segen deiner Gruft dafür! –
Gastfreundlich in dein waldumrauschtes Escheberg,
Und dort auf sonn'gen Höhn mich lüftend, losgelöst
Vom kleinen Druck des Lebens lernt' ich mächt'ger bald
Die Flügel rühren und der eignen Kraft vertraun.

Gesangerfüllte Wanderjahre lebt' ich nun,
Durch Freud' und Leid vom Lied getragen. Rhein und Spree
Und Neckar grüßt' ich, und zuletzt den Oderstrand,
Wo hoch im alten Ehrenschmuck die Eiche grünt.
Doch wo ich weilt', in vielbewegtem Stadtgewühl,
Auf stillem Landsitz: immer wieder strebte mir
Das Herz zur Heimath, immer wieder sucht' ich euch,
Traumstätten meiner Jugend, auf, als müßt' ich hier
Der Wünsche Ziel einst finden und mein höchstes Glück. –

Und so geschah's. Nach manchem Jahre schautet ihr,
In's goldne Licht des scheidenden August getaucht,
Ihr alten Wipfelkronen, Einen Ehrentag
Da saß ich droben im bekränzten Gartensaal,
Ein sel'ger Mann, und rings an froher Tafel hin
Die Schaar der Lieben, Haupt für Haupt, und neben mir
Im Schmuck der Myrthe holderglüht die süße Braut,
Die mir Beglücktem an des Herbstes Grenze noch
Den vollen Frühling ihrer jungen Seele gab.
Da sang zum Becherklang das Waldhorn, Segen floß
In Scherz und Ernst von allen Lippen, und mein Herz
Voll Dank aufjubelnd faßte seine Wonne kaum,
Ach, sonder Ahnung, daß auch diese Seligkeit
Dahingehn sollte, wie ein kurzer Sommertag.
Doch was auch kam, und ob des Lebens Kleinod mir
Zu früh geraubt ward: einmal war's mein eigen doch
Das höchste Glück, und unvergänglich blüht von ihm
Ein sanfter Nachglanz mir in tiefster Seele fort,
Und lehrt mich klaglos tragen, was ich tragen muß.

Du aber, trauter Garten, der du frischbelaubt
Dich wie ein Kranz um meines Lebens Bilder schlingst,
Sei mir gesegnet! Immer dichter wölbe sich
Dein schattig Grün, und weit bis auf den Fluß hinaus
Im Windesodem walle deiner Rosen Duft!
Und wenn mein Kind nun, wo ich mit der Mutter einst
Beglückt dahin schritt, wenn mein blondes Töchterchen
Zu meinen Füßen im besonnten Grase spielt
Und Blumen pflückt, dann rührt euch schauernd über ihm
Und rauscht, ihr hohen Wipfel, rauscht ihm Träume zu
Glücksel'ger Zukunft, aber mir Erinnerung!


Ein Traum.

Von langer Reise kam ich heim, so träumte mir,
Und trat in's Haus, mein süßes Weib – ich wußte nicht
Im Spiel des Traumes, daß sie mir gestorben war –
An's Herz zu drücken nach so manchem öden Tag,
Und fast verging in Ungeduld die Seele mir.
Doch wie ich fragte, hieß es, daß sie droben sei
Im obern Stockwerk; raschen Fußes stürmt' ich denn
Hinan die Treppen, aber nirgends fand ich sie.
Und wieder höher wies man mich, und wiederum
Von dort hinaufwärts über Stufen ohne Zahl
Zu klimmen hatt' ich, bis zuletzt im obersten
Geschoß ein glänzend heller Saal sich öffnete.
Da saß sie zwischen fremden Blumen, stillvertieft,
Das Haupt gelind zur Seite neigend, ganz wie sonst,
Wenn sich in ernstes Sinnen ihr Gemüth verlor,
Nur himmlisch schöner. Süße Düfte wallten rings
Und solche Klarheit war umher, daß ich verstummt,
Vom Glanz geblendet auf der Schwelle zauderte.
Sie aber wandte, wie den Kelch im Sommerhauch
Die Lilie wendet, sanft zu mir das Antlitz her
Und sah mich an voll Liebe, daß das treue Licht
Der braunen Augen tief mir in die Seele drang,
Sie ganz erfüllend. Aber als ich nun nach ihr
Die Arme breitet', ach, da war das holde Bild
In Duft zerronnen plötzlich dem Erwachenden.
Kühl floß der Mondschein über mein verwittwet Bett,
Und heiße Thränen weint' ich in den Schooß der Nacht.


Am 26. August 1859.

Ich denke still zurück
An heut vor sieben Jahren;
Das war das höchste Glück,
Was damals ich erfahren.

Das war das höchste Glück,
Wohl hieß ich's froh willkommen:
Doch hast du's, Herr, zurück
Aus meiner Hand genommen.

Die Blüte, die ich pries,
Die reine, dornenlose,
Sie blüht im Paradies
Nun längst als weiße Rose.

Ach, nimmer den Verlust
Meint' ich zu überstehen;
Die Wund' in meiner Brust
Hast du allein gesehen.

Doch bleibt ein heil'ger Schmerz
Im Staub nicht ewig ranken,
Und heute soll mein Herz
Nicht klagen, sondern danken,

Daß, was so schön und hoch
Mir ward an jenem Tage,
Ich als Erinn'rung doch
Stillglänzend in mir trage,

Und daß du mild von Ihr,
Bis ich sie wiederfinde,
Ein süßes Abbild mir
Bescheert in ihrem Kinde.


Um Mitternacht.

Im Saal gedankenvoll
Saß ich bei Lampenschein;
Durch's offne Fenster quoll
Die Sommernacht herein.

Mir gegenüber hing
An dunkler Wand dein Bild,
Ein Rosenkranz umfing
Die Züge lieb und mild.

Da auf der Sehnsucht Pfad
Vertiefte sich mein Sinn,
Und himmlisch leuchtend trat
Dein Wesen vor mich hin;

Ach, wie du lilienrein
Nie nach dem Deinen frugst,
Und lächelnd selbst die Pein
Wie eine Heil'ge trugst.

Und überm Abgrund dann,
Dem düstern, Tod und Grab,
Hing mein Gedank' und sann
In seine Tief' hinab.

Werd' ich dich wiedersehn?
Kann je, was Liebe hier
Erwarb, verloren gehn?
Und weißt du noch von mir?

O gieb mir, hast du Macht,
Ein Zeichen noch so stumm! –
Da schlug es Mitternacht
Und zaudernd blickt' ich um.

Ein süßes Duften flog
Vom Kranz, der zitternd hing,
Und um die Lampe zog
Ein weißer Schmetterling. –


Mittagszauber.

Im Garten wandelt hohe Mittagszeit,
Der Rasen glänzt, die Wipfel schatten breit;,
Von oben sieht, getaucht in Sonnenschein
Und leuchtend Blau, der alte Dom herein.

Am Birnbaum sitzt mein Töchterchen im Gras;
Die Märchen liest sie, die als Kind ich las;
Ihr Antlitz glüht; es ziehn durch ihren Sinn
Schneewittchen, Däumling, Schlangenkönigin.

Kein Laut von außen stört; s' ist Feiertag –
Nur dann und wann vom Thurm ein Glockenschlag!
Nur dann und wann der mattgedämpfte Schall
Im hohen Gras von eines Apfels Fall!

Da kommt auf mich ein Dämmern wunderbar,
Gleichwie ein Traum verschmilzt, was ist und war;
Die Seele löst sich und verliert sich weit
In's Märchenreich der eignen Kinderzeit.


Am Ostersamstag.

(1864.)

Am Ostersamstag war's, da schritt ich still
In's Land hinaus; zu meinen Füßen schoß
Der Isar grüne Woge strudelnd hin,
Und fern im Dufte lag das Hochgebirg.
Und wie vom halbentwölkten Himmel her
Ein lindes Säuseln kam und über mir
Die erste Lerch' unsichtbar wirbelnd stieg:
Da schmolz in meiner Brust das stumme Leid,
Und feuchten Auges warf ich mich in's Gras,
Und dacht' an unsern theuren König Max.

Und sieh, mir war's, er stände vor mir da,
Lebendig wieder, mit dem milden Blick
Und doch verklärt von ernster Majestät:
Der Friedensfürst, den mehr als jedes Wort
Das freie Glück des Stamms den er beherrscht,
Die frohe Blüte seines Reiches preist;
Der stille Ueberwinder, der sich selbst
Besiegt, um seinem Volk genugzuthun,
Und jeder Willkür, jeder Leidenschaft
Den Zügel des Gewissens angelegt;
Der ächte Sohn vom Stamme Wittelsbach,
Getreu, beharrlich, heil'gen Willens voll,
Der mit dem letzten Athemzuge noch,
Einstand für deutsches Recht und dem der Zorn
Um deutsche Schmach den Todespfeil geschärft.
Das war der König! Bayern weint um ihn,
Wie an des Vaters Gruft die Tochter weint,
Und Deutschland legt den Kranz auf seinen Sarg.

Und andre Bilder stiegen vor mir auf.
In seiner Hofburg sah ich ihn, umringt
Vom Kreise seiner Lieben, frohgelöst
Aufathmen von der Last des Herrscheramts,
Ein fürstlich Vorbild reiner Menschlichkeit;
Und durch's Gewühl der Gassen, die sein Ruf
In reichem Schmuck erstehn hieß, folgt' ich ihm,
Und sah ihn wandeln unter seinem Volk,
Leutselig, liebreich, jedes fremden Glücks
Sich miterfreuend, hülfreich jeder Noth.
Denn köstlicher als seine Krone war
Das Herz, das unter seinem Purpur schlug,
Das lautre stets sich selbst getreue Herz,
Aus dem auf Alles, was er sprach und schuf,
Ein Sonnenstral der reinsten Güte fiel.
Das war's, was ihm die Seelen unterwarf;
Und wenn er grüßend durch die Menge schritt
Und jedes Auge glänzte, das ihn sah,
Wer spürt' es nicht, daß noch ein schöner Band,
Als angestammter Treue, hier sich wob
Aus Dankbarkeit,Hingebung und Vertraun!

Und jener trauten Stunden dacht' ich dann
Im hohen bilderdunkeln Teppichsaal,
Wo er, mit ernsten Männern im Gespräch,
Das stillgeschäft'ge Walten der Natur,
Der Vorzeit Bücher sich enträthseln ließ.
Denn eine nimmermüde Sehnsucht zog
Ihn zu des Lebens Tiefen. Nicht begnügt
Mit der Erscheinung, sucht' er ihr Gesetz,
Und jede neuerkannte Wahrheit galt
Ihm eine Stufe, die er sich erkämpft.
Und oft, wenn vor dem wissensdurst'gen Geist
Ein Stral ihm aufging jener Gotteskraft,
Der ewig Einen, die im leisen Blühn
Der Pflanze, wie im Auf- und Niedergang
Der Völker und der Zeiten sich enthüllt:
Da flog ein Leuchten über seine Stirn,
Und höher schlug sein Herz, als wär' er selbst
Der Weisheit Jünger, nicht ihr Vogt und Hort.

Doch liebt' er's, wenn um solcher Stunden Ernst
Erheiternd sich der Kranz des Schönen flocht,
Und wie er selbst in jungen Jahren wohl
Geprüft die Saiten, bis des Scepters Pflicht
Ungern das holde Spiel ihn meiden ließ,
Verlangt' ihn nach der Muse Gastgeschenk.
Denn göttlichen Geschlechts noch ehrt' er sie,
Und in der Forscher strengen Kreis entbot
Er die ihr dienten, daß sie mit Gesang
Des Busens Wellenschlag ihm schwichteten.

Auch mir beschied sein königlicher Ruf
Die neue Heimat. Hold gewährt' er mir,
Wonach des Dichters Herz zumeist begehrt:
Sorglose Freiheit und ein freundlich Ohr,
Das seinen Weisen lauscht'. Und was ein Gott
In hohen Stunden mächtiger beschwingt
Mir auf die Lippen legte, wurde sein.
Ach, würd'ger einst die vollgereifte Frucht,
Die unter'm Herbstlaub meines Lebens schwillt,
Ihm darzubringen hofft' ich, und dafern
Ein Kranz mir je noch blühte, sollt' er ihm
Zuerst gehören, der ihn mild gepflegt –
Da riß ein allzufrüh Geschick ihn fort
Zu jenen Sphären, die kein sterblich Lied
Erreicht, und nichts als Thränen heißen Danks
Für den geliebten Todten hab' ich heut.

Den Todten? Nein! Ob auch das Gruftgewölb
Den schmerzensmüden Leib empfing: er lebt!
Nicht in den Blättern der Geschichte bloß,
Nicht bloß im Mund des Liedes, noch im Erz,
Das fromme Treue dankbar ihm erhöht;
In seines Landes Segen und Gedeihn,
In seines Volks Gesittung lebt er fort,
Er lebt in unsern Herzen, lebt im Sohn
Der was er anhub, zu vollenden ringt;
Und daß er also fortlebt, sei uns Trost
In unserm Leid. Denn seins verging in Glanz.

So dacht' ich und erleichtert hob sich mir
Die schwerbeklemmte Brust. Ich sprang empor
Und sah zum Himmel, sah den Strom hinab;
Da brach die Sonne leuchtend durch's Gewölk,
Daß jede Well', in ihren Stral getaucht,
Der Hoffnung goldnes Bild zu tragen schien,
Und durch das Thal, im Wind herwogend, kam
Der Osterglocken Auferstehungsruf.



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