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Lieder aus alter und neuer Zeit


I.

Du willst in meiner Seele lesen
Und still mein bestes Theil empfah'n;
So schau mein unvergänglich Wesen
Im Spiegel meiner Lieder an.
Ich bin die Weise, die dich rühret,
Ich bin das Wort, das zu dir spricht,
Der Hauch, den deine Seele spüret,
Ich bin's – und dennoch bin ich's nicht.

Denn sieh, noch oft mit heißem Ringen
Durch Schuld und Trübsal irrt mein Gang,
Doch drüber zieht auf reinen Schwingen
Die ew'ge Sehnsucht als Gesang.
So stürmt der Bach in dunkeln Wogen
Zum Abgrund, drein er sich begräbt,
Indeß der siebenfarb'ge Bogen
Verklärend über'm Sturze schwebt.


II.

Die Möve flog zu Nest,
Der Mond hält oben Wacht,
Des Meeres Brausen kommt
Von ferne durch die Nacht.

Ich schreit' hinab zum Strand,
Die Seeluft streift mein Haar,
Da kommt mir in's Gemüth
Was jemals süß mir war.

Und wie die Wolken dort
Sich rasch verwandelnd ziehn,
Ziehn durch die Seele mir
Erinn'rungsträume hin.

Sie wechseln für und für,
Sie grüßen und zergehn;
Dein Bild nur, wie der Mond,
Bleibt klar inmitten stehn.


III.

Wenn über's Schneefeld mit Gebrause
Des Neujahrs rauhe Stürme ziehn,
Wie lieblich ist's, im sichern Hause
Die Glut zu schüren im Kamin!

Nun darf das Herz sich frei gehören,
In seine Tiefen kehrt es ein,
Und Geister lernt's emporbeschwören,
Genossen seiner Rast zu sein.

Kommt denn mit unhörbaren Tritten,
Ihr Helden längst verscholl'ner Zeit!
In falt'ger Toga kommt geschritten,
Im blutbeströmten Panzerkleid!

Ich seh' auf euren narb'gen Zügen,
Im Auge, das verfinstert droht,
Die Spur von hohen Thatenflügen,
Von wildem Glück und jähem Tod.

Und wenn mir eure Kränze sagen,
Daß Ruhm und Sieg euch einst gelabt,
Ahn' ich zugleich, was ihr getragen
Und stolz der Welt verschwiegen habt.

Vielleicht, daß durch der Muse Walten,
Wie ihr mir ernst vorüberschwebt,
Vor Einer plötzlich der Gestalten
Mein schweigend Saitenspiel erbebt;

Und wie sich Klang gesellt dem Klange,
Wie Bild um Bild sich reich enthüllt,
Ein groß Geschick mir mit Gesange
Die lange Nacht des Winters füllt.


IV.

Wie säuselt über Thal und Hügel
Der Gruß des Frühlings heut so mild!
Von fern erklingt's wie Schwalbenflügel
Und traumhaft brütet's im Gefild.

Im Stamm der alten Linde steigen
Die Säfte schon geheimnißvoll.
Sie spürt's und schauert mit den Zweigen
Vor Freuden, daß sie grünen soll.

Zwar decken Schleier zartgewoben
Des Himmels Angesicht noch ganz,
Doch rinnt durch ihr Gespinnst von oben
Verheißungsvoll ein weißer Glanz.

Er gleicht dem räthselsüßen Schimmer,
Der um des Mädchens Züge schwebt,
Das sich geliebt fühlt, doch noch immer
Ihr Glück sich zu bekennen bebt.


V.

In diesen Frühlingstagen, da genesen
Das Herz nicht will vom süßen Sehnsuchtleid,
Wie spricht, was einst bei Platon ich gelesen,
Vertraut mich an aus dunkler Fabel Kleid!
Geschaffen, schreibt er, ward als Doppelwesen
Der Mensch dereinst im Anbeginn der Zeit,
Bis ihn ein Gott, weil er nicht Schuld gemieden,
In seine Theile, Mann und Weib, geschieden.

Ein heilig Räthsel deutet mir dies Wort;
Wer fühlt' es nie, daß Bruchstück nur sein Leben,
Ein Ton, nur angeschlagen, zum Akkord
Mit seinem Gegenton sich zu verweben?
Wir all sind Hälften, ach, die fort und fort
Nach den verlornen Zwillingshälften streben,
Und dieses Suchens Leid im Weltgetriebe
Wir heißen's Sehnsucht, und das Finden Liebe.


VI.

Der ich alter Zeit Geschichten
Schrieb, als Schnee bedeckt die Flur,
Jetzt, o Frühling, in Gedichten
Deine Thaten schreib' ich nur.

Täglich merk' ich an, wie linder
Sich die Kraft der Sonne rührt,
Und die Blumen, deine Kinder,
Aus dem Thal zum Gipfel führt;

Wie in tieferm Grün die Halde
Schwellend prangt, vom Thau erfrischt,
Wie vollzähl'ger stets im Walde
Sich der Chor der Stimmen mischt.

Heut aus zarter Knospenhülle
Weiß und dicht wie Silberschaum
Brach des Birnbaums Blütenfülle,
Morgen blüht der Apfelbaum.

Wichtig für mein froh Verzeichniß
Däucht mir, was ich nur vernahm –
Ist's nicht auch ein Weltereigniß,
Wenn die erste Rose kam?


VII.

Im Wind verhallt Trompetenton
Und ferner Paukenschlag;
Es zieht durch's Feld die Procession
Am schönsten Frühlingstag.

Die Fahnen wehn im Sonnenschein,
Die Kreuze blinken vorn;
Von tausend Stimmen murmelt's drein,
Sie flehn um Wein und Korn.

Weit hinter'm Zug, verspätet, geht
Durch's blüh'nde Saatgewind,
Versunken in ihr still Gebet,
Ein hold blauäugig Kind.

Ihr rosig Antlitz ist so klar,
Ihr weiß Gewand so rein,
Um ihre Stirn das goldne Haar
Fließt wie ein Glorienschein.

So wallt sie hin, das süße Bild,
Den Palmzweig in der Hand,
Als zög' ein Engel durchs Gefild,
Und segnete das Land..


VIII.

Auf den grünen Auen
Wallt der Sonnenschein;
Berg' und Burgen schauen
Winkend in den Rhein.

Weiß vom Blütensegen
Liegt mein Pfad bestreut,
Durch das Thal entgegen
Schwebt mir Festgeläut.

Wie mir da im Innern
Jeder Schatten weicht,
Und ein hold Erinnern
Wonnig mich beschleicht!

Lieblichste der Frauen,
Still gedenk' ich Dein!
Auf den grünen Auen
Wallt der Sonnenschein.


IX.

Nun schwindet allgemach im Blau
Der Feuerglanz der Sterne;
Der Garten liegt im frischen Thau
Und weiß im Duft die Ferne.

Schon singt die Nachtigall im Strauch
Ihr Lied mit leisrer Kehle;
Aus Ost ein wunderkühler Hauch
Durchflutet mir die Seele.

Von Allem, was zum Staube zieht,
Im Schlafe reingebadet,
Wie fühl' ich mich zu That und Lied
Mit Flügelkraft begnadet!

Mir ist's, als ob mein Genius
Mir Gruß und Handschlag böte –
Und prächtig über Wald und Fluß
Geht auf die Morgenröthe.


X.

Ueber den stillen Seen
Erglänzt des Vollmonds Schein;
Ein träumerisches Wehen
Durchläuft den Buchenhain.

Am thau'gen Hügelpfade
In Düften wallt das Korn,
Und fern vom Waldgestade
Herüber grüßt ein Horn.

Wie schwebt zu dieser Stunde
Mein Geist in leichtem Flug!
Geheilt ist jede Wunde,
Die mir die Fremde schlug.

Kaum zeugt von Kampf und Plage
Verwachs'ner Narben Spur,
Und an die goldnen Tage
Der Jugend denk' ich nur.

Wie damals füllt mich innig
Ein holdes Glücksvertraun;
Ich fühl's zu Hause bin ich,
O laßt mich Hütten baun!


XI.

O Sommerfrühe blau und hold!
Es trieft der Wald von Sonnengold,
In Blumen steht die Wiese;
Die Rosen blühen roth und weiß
Und durch die Fluren wandelt leis'
Ein Hauch vom Paradiese.

Die ganze Welt ist Glanz und Freud,
Und bist du jung, so liebe heut,
Und Rosen brich mit Wonnen;
Und wardst du alt, vergiß der Pein
Und lerne dich am Widerschein
Vom Glück der Jugend sonnen!


XII.

Nordostwind hatten wir, die See ging hoch;
Die Wogen rollten an mit schäum'gem Kamme
Und spritzten gischend auf am Hafendamme,
Der Tag sah durch Gewölk, das flatternd zog.

Da schrittst auch du den Quaderpfad entlang,
In's straffe Tuch die herbe Fülle schmiegend,
Den schlanken Leib auf leichten Hüften wiegend,
Beschwingt und fest der kleinen Füße Gang.

Und plötzlich fiel ein Stral aus Wolken da
Und zeigt' auf deiner Stirne mir die Güte,
Und zeigte mir im Auge dein Gemüthe,
Das frisch und scheu doch in die Welt noch sah.

So standest du und sogest tief gestillt
Den feuchten kühlen Hauch, von Wind und Wogen
Wie eine Meereslilie sanft gebogen,
Geschloss'nen Mädchenthums ein reizend Bild.

Mir aber schwoll das Herz, mein Athem flog,
Ich wußt', ich würde nie dich wiedersehen,
Und doch war mir so wohl, so wohl geschehen –
Nordostwind hatten wir, die See ging hoch.


XIII.

So winterlich noch schaudern
Die Lüfte weit und breit;
O Lenz, was soll dein Zaudern?
Es ist schon Blühens Zeit.

Im Thal und in den Herzen
Das Eis ist schier zerthaut;
Nun ruft nach dir mit Schmerzen
Die bange Sehnsucht laut.

O komm, uns zu erquicken,
Und bring in Donnerschlag,
In Guß und Sonnenblicken
Den Auferstehungstag!

Wir können's kaum erwarten:
Wann wird die Eiche grün!
Wann wird im deutschen Garten
Die Kaiserkrone blühn!


XIV.

Wann doch, wann erscheint der Meister,
Der, o Deutschland, dich erbaut,
Wie die Sehnsucht edler Geister
Ahnungsvoll dich längst geschaut:

Eins nach außen, schwertgewaltig
Um ein hoch Panier geschaart,
Innen reich und vielgestaltig,
Jeder Stamm nach seiner Art.

Seht ihr, wie der Regenbogen
Dort in sieben Farben quillt?
Dennoch hoch und fest gezogen
Wölbt er sich, der Eintracht Bild.

Auf der Harfe laut und leise
Sind gespannt der Saiten viel;
Jede tönt nach ihrer Weise,
Dennoch giebt's ein klares Spiel.

O wann rauschen so verschlungen
Eure Farben, Süd und Nord!
Harfenspiel der deutschen Zungen,
Wann erklingst du im Akkord!

Laß mich's einmal noch vernehmen,
Laß mich's einmal, Herr, noch sehn;
Und dann will ich's ohne Grämen
Unsern Vätern melden gehn.


XV.

Einst geschieht's, da wird die Schmach
Seines Volks der Herr zerbrechen;
Der auf Leipzigs Feldern sprach,
Wird im Donner wieder sprechen.

Dann, o Deutschland, sei getrost!
Dieses ist das erste Zeichen,
Wenn zum Bündniß West und Ost
Wider dich die Hand sich reichen.

Wenn verbündet Ost und West
Wider dich zum Schwerte fassen,
Wisse, daß dich Gott nicht läßt,
So du nicht dich selbst verlassen.

Deinen alten Bruderzwist
Wird das Wetter dann verzehren;
Thaten wird zu dieser Frist,
Helden dir die Noth gebären,

Bis du wieder stark, wie sonst,
Auf der Stirn der Herrschaft Zeichen,
Vor Europas Völkern thronst,
Eine Fürstin sonder Gleichen.

Schlage, schlage denn empor,
Läutrungsglut des Weltenbrandes!
Steig' als Phönix draus hervor,
Kaiseraar des deutschen Landes!


XVI.

Einstmals hab' ich ein Lied gewußt,
Einst in goldenen Stunden
Sang ich's, da ich ein Kind noch war;
Aber mir ist's entschwunden.

Lieblich schwebte die Weise hin,
Weich wie Schwanengefieder;
Ach, wohl such' ich durch Feld und Wald,
Finde nimmer sie wieder.

Manchmal mein' ich, es wogt ihr Laut
Ueber der Flur in den Winden,
Aber er ist verhallt im Nu,
Will ich ihn greifen und binden.

Oft auch, wenn ich bei Nacht entschlief,
Streift urplötzlich und leise
Ueber mein Herz mit Traumeshand
Die verlorene Weise.

Aber fahr' ich vom Kissen auf,
Kann ich mich nimmer besinnen;
Nur vom Auge noch fühl' ich sacht
Brennende Thränen rinnen.

Und doch mein' ich, fänd' ich den Klang:
All die heimlichen Schmerzen
Könnt' ich wieder, wie einst als Kind,
Mir wegsingen vom Herzen. – –


XVII.

Auf glatten Fluten schwamm der Abendstern,
Ein grünlich Gold umdämmerte die Fluren;
Die Thürme Lübecks spiegelten sich fern
Und leise zog der Nachen, drin wir fuhren.

Die Luft ward kühl; Gesang und Scherz zerrann
Gemach in traulich flüsterndes Gekose;
Ein weißer Mädchenarm griff dann und wann
Ins feuchte Blau nach einer Wasserrose.

Nachdenklich saß die Lieblichste der Schaar,
Ein sechzehnjährig blühend Kind am Steuer;
Den wilden Epheukranz im lock'gen Haar,
Fast glich sie jener, die mir einst so theuer.

Und plötzlich stand es vor der Seele mir,
Mein ganzes Glück, mein ganzes Leid von weiland,
Und tiefe Sehnsucht fiel mich an nach dir,
Du meiner Jugend fernverschollnes Eiland! – –


XVIII.

Die Nacht ist klar, die Nacht ist kühl,
Am Himmel schießen die Sterne –
Du hast mich einst so lieb gehabt
Und mich geküßt so gerne.

Du hast mich einst so lieb gehabt,
Wo blieb dein heiß Gefühl? –
Am Himmel schießen die Sterne,
Die Nacht ist klar und kühl.


XIX.

Minne hält, das wilde Kind,
Einen Brauch, wie blind sie fahre,
Daß ihr vierundzwanzig Jahre
Lieber stets, als vierzig, sind;
Altersfrost und graue Haare
Treiben sie zur Flucht geschwind.

Bei des Herzens Rosenfest
Gilt vor aller Weisheit Schätzen
Selig Stammeln, süßes Schwätzen,
Lipp' auf Lippe stumm gepreßt;
Geist wird nie den Mund ersetzen,
Der sich feurig küssen läßt.

Was verstrickte denn so jäh
Einst das junge Herz Isolden,
Daß sie sich mit ihrem Holden
Glühend stürzt' in Schmach und Weh?
Tristans Locken wallten golden,
König Markes weiß wie Schnee.

Darum setze dich zur Wehr,
Glänzt in's alternde Gemüthe –
Dir der Schönheit Stral, und hüte
Dich vor nichtigem Begehr;
Minneglück will Jugendblüte,
Und du änderst's nimmermehr.


XX.

O wo ist, wo ist das Glück zu Hause,
Daß ich's endlich finden mag und greifen,
Und mit starker Fessel an mich binden!
O wo ist, wo ist das Glück zu Hause!

»Wo des Mondes Sichel schwimmt im Wasser,
Wo das Echo schläft am hohlen Felsen,
Wo der Fuß des bunten Regenbogens
Auf dem Rasen steht, da geh' es suchen!«


XXI.

Die Freuden, die rosigen Tänzerinnen,
Mit Kränzen und Fackeln, mit Spiel und Gesang,
Wie fliehn sie auf schimmernden Sohlen von hinnen!
Aber der Kummer hat schleichenden Gang.

Verhallt ist das Fest und das süße Gelächter
Der schwärmenden Dirnen, ach, eh ich's gedacht;
Nun tappt er um's Haus mir, ein grimmiger Wächter,
Und ruft mir die langsamen Stunden der Nacht.


XXII.

Ach, wer hat es nicht erfahren,
Daß ein Blick, ein Ton, ein Duft
Was vergessen war seit Jahren
Plötzlich vor die Seele ruft!

Also kommt in dieser süßen
Frühlingszeit von Wald und Fluß
Solch Erinnern oft und Grüßen,
Daß ich tief erschrecken muß.

Weisen, die gelockt den Knaben,
Dämmern auf in meinem Ohr;
Dunkle Sehnsucht, längst begraben,
Zuckt wie Blitz in mir empor.

Und wenn hoch die Sterne scheinen,
Geht im Traum durch meinen Sinn
Winkend, mit verhalt'nem Weinen,
Die verlorne Liebe hin.


XXIII.

Daß holde Jugend nur zur Liebe tauge,
Ich weiß es wohl, und daß mein Lenz entschwand;
Doch sehn' ich mich nach einem treuen Auge,
Doch sehn' ich mich nach einer weißen Hand.

Nach einem Auge, das mit hellerm Scheine
Aufleuchte, wenn mein Tiefstes ich enthüllt,
Und das in jenen bängsten Stunden weine,
Wo meines sich nicht mehr mit Thränen füllt;

Nach einer Hand, die hier und dort am Wege
Mir einen Zweig noch pflücke, herbstesfarb,
Die mir zum Rasten weich die Kissen lege,
Und mir die Wimpern schließe, wenn ich starb.


XXIV.

Ach, wohl war dir hienieden,
Als dein Lenz noch gewährt,
Viel vor Andern beschieden,
Was das Leben verklärt.

Wo durch's bunte Gedränge
Nur hinschweifte dein Gang,
Brachst du Rosen die Menge,
Sangst du frischen Gesang.

Ja, mit seligem Neigen,
Als dein Sommer verblüht,
Ward in Liebe dein eigen
Noch das reinste Gemüth.

Darum dämpfe die Klage,
Wenn das Nebelgewog
Nun spätherbstlicher Tage
Deinen Himmel umzog.

Lerne still dich bescheiden,
Sanftmuth lern' und Geduld,
Und mit Lächeln im Leiden
Zahl' dem Glücke die Schuld;

Und der vergangenen Wonne
Fromm im Herzen gedenk
Jeden Blick noch der Sonne
Preis' als ein himmlisch Geschenk.


XXV.

Oftmals, wenn ich ganz allein
Brüte, Nachtumgeben,
Fließt's wie sanfter Mondenschein
Plötzlich in mein Leben.

Jeden Druck, den ich empfand
Schmerzlich und beklommen,
Fühl' ich wie von Engelshand
Sacht hinweggenommen.

Süßer Jugendschauer quillt
Ueber mein Gemüthe,
Und es dehnt sich tief gestillt,
Wie im Thau die Blüte.

Staunend sinn' ich, was geschehn,
So den Schmerz zu bannen?
Dieses Friedens himmlisch Wehn,
Dieser Glanz, von wannen?

Und ein Ahnen will zuletzt
In mein Herz sich senken,
Daß geliebte Todte jetzt
Drüben mein gedenken.


XXVI.

Will das rasche Blut dir stocken,
Wahre nur der Seele Schwung;
Fällt der Reif auf deine Locken,
Liebe nur, so bleibst du jung.

Lieb' und mußte Sie dich lassen,
Die dein Herz einst selig fand,
Darfst du doch ihr Kind umfassen,
Blieb dir doch dein Vaterland.


XXVI.

Am zerfall'nen Burggemäuer
Ueberm schwarzen Fichtenhag
Glüht's noch einmal auf wie Feuer,
Und versunken ist der Tag.

Schauernd rühren sich die Wipfel,
Drunten schwillt der Rhein mit Macht,
Und vom Thal empor zum Gipfel
Steigt wie ein Gespenst die Nacht.

Da befällt ein heimlich Grausen
Mir im Dunkeln Herz und Sinn:
»Steine bröckeln, Wellen brausen,
Und wie bald bist du dahin!«


XXVIII.

Das ist's, was süßen Trost mir bringt
Und Jugendmuth im Alter,
Daß mir, Natur, noch hell erklingt
Dein tausendstimmiger Psalter;

Daß heute noch die Seele mir
Vergeht in süßem Grausen,
Wenn mir zu Häupten im Revier
Die mächt'gen Wipfel brausen;

Daß, wie als Kind, ich jauchzen mag,
Am Dünenstrand zu sitzen,
Wenn über mich vom Wogenschlag
Des Gischtes Flocken spritzen;

Daß mich in dunklem Sehnsuchtsdrang
Die Berge ziehn, die blauen,
Daß mir beim Sonnenuntergang
Noch mag die Wimper thauen;

Daß stets, vom Frühlingssturm erfaßt,
Mein Herz noch schwärmt und dichtet,
Daß mir des Herbsttags goldne Rast
Noch stets die Brust beschwichtet.

Wieviel ich Täuschung auch erfuhr
Im Leben und im Lieben,
Du bist mir allezeit, Natur,
Du bist mir treu geblieben.

Du hast, wenn Unmuth mich befiel,
Ihn sanft hinweg gehoben,
Hast mir dein leuchtend Farbenspiel
In jede Lust gewoben;

Und wollt' ich ganz in Schmerz vergehn,
So zeigtest du mir milde
Von Leben, Tod und Auferstehn
Den Kreis im Spiegelbilde.

O laß mich still an deiner Hand
Fortwallen, heilig große,
Bis ich vom Schlummer übermannt
Mag ruh'n in deinem Schooße!


XXIX.

Der als Morgenstern am Himmel
Glänzte, bei des Tages Schluß
Vor dem andern Sterngewimmel
Geht er auf als Hesperus.

Früh und spät vom selben Golde
Glüht der Saum des Firmaments,
Und des Herbstes letzte Dolde
Gleicht der ersten Dold' im Lenz.

Also gehn, wie sich dazwischen
Auch in buntem Unbestand
Der Entfaltung Stufen mischen,
End' und Anfang Hand in Hand.

Und so kann ich, rauscht in leisen
Melodie'n mein Saitenspiel,
Ein Gefühl nicht von mir weisen,
Das mir sagt: Du bist am Ziel.

Denn die letzten meiner Lieder,
Wenn ich recht zu hören weiß,
Klingen wie die ersten wieder
Und vollendet ist der Kreis.


XXX.

Weil ich ohne Groll und Klage
Dies Geschick des Lebens trage
Und den Sturm zur Ruh beschwor:
Meint ihr, daß ich drum vergessen,
Was ich einst so reich besessen,
Was ich, ach, so früh verlor?

Zwar die Thränen sind zergangen,
Zu des Tags bewegtem Prangen
Lernt' ich lächeln, wie vorher;
Doch geräuschlos, tief im Herzen,
Gehn die nie verwundnen Schmerzen
Wie ein leiser Strom durch's Meer.


XXXI.

Wie manchen Blick du frei und freier
Ins Walten der Natur gethan,
Auf's neue hinter jedem Schleier
Sieht doch die alte Sphinx dich an.

Du kannst ihr nimmer Antwort geben,
Wenn sie die letzte Frag' entbot;
Ein ewig Räthsel ist das Leben,
Und ein Geheimniß bleibt der Tod.



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