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Bettelstolz

Auf der elenden Talstraße überschottert der alte Wegmacher Gidl eine besonders sumpfige Stelle. Dabei redet er zuweilen mit sich selbst. »Ganz sauber steht das Stückl wieder aus«, sagt er jetzt und betrachtet dabei sein Werk. »Die Gehenden wird mein' schöne Anricht prächtig ertragen, aber wenn wer drüber führ', so wär's wieder im G'mööst. Es hat im Sommer niemand durch's Tal zu fahren. Was ein g'höriger Bauer ist, der bleibt jetzt mit seinem Fuhrwerk auf sein'n eigenen Grund, und Mühlfahren und Holzschlitten tut er im Winter, wo die Straß' eh derart verweht ist, daß man ihr ausweichen muß. Und ein fremdes Fuhrwerk brauchen wir da Gott sei Dank nicht. Das unnötige Landfahren und Herumstinken in der Welt ist durchaus niederträchtig, und ich möcht's den Leuten legen, wenn ich zu befehlen hätt'.« Es dauerte nun ein Weilchen, dann sah er einen jungen Mann daherkommen und hinter diesem zwei falbe Ochsen, die einen Truhenwagen zogen.

»So kommt's, wenn man was b'schreit«, sagte der Gidl zu sich selbst, dann ging er dem jungen Manne entgegen, der nun die Falben an einer großen Wegpfütze stehen und trinken ließ. »Wohin?« fragte der Gidl den Burschen in einem neugierigen Tone.

Der junge Mensch deutete auf den Wagen zurück und erklärte: »Die Erdäpfel und das Kraut brächt ich gern' an.«

»Da bist du irr' gefahren«, meinte der Gidl. »In unserem Graben wirst du keine Kaufleut finden, da ist heuer das Geld rar.«

»Ich bin kein Marktfahrer«, sagte der Bursche stolz lächelnd. »Ich bin der Wieskaspermirtl vom Krahng'reut.«

Jetzt nahmen die Mienen des Wegmachers einen ehrerbietigen Ausdruck an. Er tippte sich an die Stirne und rief: »Dich hätt' ich doch gleich an der Art erkennen sollen! Da seh' ich's jetzt wieder, wie patschet mich schon das Alter macht. Einen so schlankgewachsenen Buben und so schön g'schlachtige Ochsen kann doch im Waldbezirk niemand habe als der Wieskasper! Und jetzt weiß ich's freilich, daß du dein' Fracht verschenken willst. Seit dein Vater Hofbauer ist, hat er ja unseren armen Grabenleuten alljährlich was herabgebracht. Und diesmal bist halt schon du an seiner Statt da. Willst dich beizeiten in der christlichen Barmherzigkeit üben, gelt?«

Der Mirtl schüttelte den Kopf und antwortete aufrichtig. »Nein, ich wär' heut lieber lustig als barmherzig. In unserm Paßwirtshaus oben sind heut umziehende Musikanten. Und damit ich mich bei denen nicht zuviel des Lebens freu', hat mich mein Vater mit der Armenfuhr daher g'schickt. Wenn ich die Ladung los hätt', dann fahret ich gleich heim. Zu etlichen Tanzeln hoff' ich noch zurechtzukommen. Wo find' ich denn schnell etliche von eueren hungrigsten Notvögeln?«

Der Gidl wies demütig auf sich und sagte: »Da steht einer von denen vor dir. Ein kleinerer Wintervorrat als der meine wird nicht leicht zu finden sein. Zwei Metzen gute Erdäpfel hab' ich heuer der Erd anvertraut, und einen Metzen schlechte hat sie mir zurückgegeben. Schier die ganze Fechsung ist mir in diesem nassen Sommer verfault. So lad mir halt um Gottes willen was ab! Heimbringen tu' ich mir das nachher schon selber.«

»Du kannst mein' ganze Ladung haben, wenn du sie willst«, sagte der Mirtl.

»Wenn ich so viel annähm', war' ich ein schlechter Kerl«, entgegnete der Wegmacher. »Aber ich sag's dir, wie du deinen Wagen am schnellsten und am besten leer kriegen kannst. Schau, da drüben an dem Feldweg stehen zwei Hütten, hausen zwei arme Wittinnen, die Bimmerin und Garwenderin. Denen hat der heuerige Sommer spottwenig beschert. Und die zwei gehören zu denen, die zum Klagen und zum Bitten zu stolz sind. Wenn du denen die Ladung schenkst, so tust du ein besonders gutes Werk, kommst früher heim, als wenn du in das Grabendörfl hinabfährst, und zerräderst mir mein frisch hergericht 's Wegstückl nicht. Sollten sich die zwei in ihrem Stolz so stellen, als ob sie die Gab' nicht nötig hätten, so wirf's ihnen hin und fahr' heim! Sie werden sich hernach gern ans Aufklauben machen und werden dir im stillen dankbar sein.«

»Dein Rat wird befolgt«, sagte der Mirtl. Er lud von der Fuhre dem Alten so viel ab, als dieser gerne nahm. Hernach lenkte er das Gefährte von der Straße auf den schmalen, tief furchigen Feldweg. Bei den zwei Hütten hielt er die Falben an. Die armseligen Bauwerke standen zwischen dem Wege und einem schütteren Birkenwäldchen, nahe nebeneinander. An der anderen Wegseite waren die naßländigen Felder der zwei Witwen.

Die alte, bucklige Bimmerin und ihr schöner Sohn, der Jürgerl, mähten jetzt gerade ein Wiesenfleckchen. Die Grashalme waren hier freilich kaum länger als die Bartstoppeln eines Bauern am Samstage. Aber der Jürgerl hatte die Sensen so gut gedengelt, daß sie wie die Badermesser schnitten und den kurzen, saftlosen Rasen bis an seine Wurzeln wegputzten.

Die Garwenderin und ihre mollige Tochter, die Kuni, gruben nun Erdäpfelrainchen um, in denen sie nur selten eine ganz gesunde Frucht fanden. Zwischen dem Wieslein und dem Erdäpfelacker war nur ein schmaler Rain.

Ein Weilchen früher als die Arbeitenden den Mirtl gewahrten, schielte die Bimmerin nach den Nachbarsleuten hinüber, und weil die beiden gerade zu Boden blickten, zettelte sie schnell einiges Grün über einen Maulwurfshügel, so daß dieser wie ein Grashäufchen aussah. Dann sagte sie zu ihrem Sohne so laut, daß es die Garwenderweiber verstehen mußten: »Da schau her, stellenweis steht halt doch ein schön's Schöpferl da.«

Gleich drauf schleppten die Garwenderin und ihre Tochter einen Korb, den sie heimlich mit Lehmklumpen gefüllt hatten, zu einem Sack, in welchen sie schon vorhin Erde schütteten. Während sie nun den Sack anfüllten und zubanden, rief die Garwenderin in einem jubelnden Tone: »Einen hätten wir ja schon voll!«

So wie jetzt täuschten diese Nachbarleute einander gar oft. Und sie hatten es damit so weit gebracht, daß sie sich gegenseitig wirklich nicht für so arm hielten, als sie waren. Sie taten lediglich ihres Stolzes wegen so. Es bestand dabei keine Feindschaft zwischen ihnen. Der Jürgerl und die Kuni hatten einander heimlich sehr lieb. Aber sie verhehlten diese Liebe, damit sie nicht auch ihre Armut zeigen mußten.

Der Mirtl schrie nun diese Viere an: »Laßt die Elendstiererei bleiben und helft mir abladen! Glurrt mich nicht erst eine Weil' an! Ich bin der Wieskaspermirtl und komm' euch beteilen!«

Die Garwenderin und ihre Tochter antworteten darauf gar nicht. Aber die Bimmerin rief: »Wir pfeifen dir auf die Bescherung! Im Dörfl drinn' sind die Bettelleut'! Ins Dörfl fahr!«

»Tut nicht so groß!« schrie der Mirtl. »Ich weiß es schon, daß ich da bei den Richtigen bin! Wollt ihr mir abladen helfen oder nicht?«

Darauf bekam er keine Antwort mehr, und die Nachbarsleute zeigten es einander mit Gebärden an, daß sie ihn für nicht recht gescheit hielten.

Der Mirtl lenkte nun sein Gefährte derart auf die Rainböschung, daß es schief zu stehen kam, hernach warf er es um.

Die armen Nachbarsleute hatten seit Jahren nicht so viel Kraut und Erdäpfeln auf ihrem Felde gesehen als wie jetzt.

Den leeren Wagen stellte der Mirtl auf, ohne sich plagen zu müssen. Dann fuhr er heimzu. Wenn sich die Nachbarsleute nicht voreinander geschämt hätten, so wären sie nun gleich hingelaufen und hätten die vielen schönen Feldfrüchte genau besehen. Sie schmachteten nach diesem schönen Geschenk und blickten es doch verächtlich an.

»Was tun wir jetzt?« fragte die Bimmerin die Nachbarsweiber.

»Von mir aus kann der Haufen liegen bleiben und verfaulen«, antwortete die Garwenderin. »Wir brauchen nichts davon und nehmen nichts davon.«

Die Bimmerin schüttelte den Kopf. »Ich leid' den Haufen nicht auf dem Rain'«, sagte sie. »Sobald ich in den Marktflecken komm', geh' ich gleich zu Gericht' und laß' es dem Wieskasper anbefehlen, daß er den Rain säubern soll. Und überdies verklag' ich den Buben, weil er mich für ein Bettelweib herg'stellt hat.«

»Gut, so verklag' ich ihn auch!« rief die andere.

In einer Weile hernach sagte sie leise zu ihrer Tochter: »Es ist ein rechtes Unglück, daß man sich soviel verstellen muß. Da guck nur hin! So gelb und fein wie die Fraueier liegen die Erdäpfeln dort. Die unseren sind der wahre Saufraß dagegen. Und z''wegen dem Bimmerischen Hochmut darf man sich nicht ein Körbl voll von dieser Köstlichkeit nehmen. Diese Nachbarsleut' könnten einen gewiß wegen keiner guten Eigenschaft mehr achten, wenn man ihnen nur einmal seine Bedürftigkeit merken ließ. Sie sehen ja keinen Menschen anders als durch ihre Hochmutsbrille an. Könnt' die Alte nicht sagen: Schau, Nachbarin, sei'n wir g'scheit und teilen wir uns das Häufl ehrlich auf. Nein! Daran denkt sie in ihr'm Hoffartskoller nicht. Und wenn ich das zu ihr sagen tät', da ließ' sie mich wohl mein Lebtag nimmer als ihresgleichen gelten. Und der Bub ist um kein' Pfifferling vernünftiger als die Alt', sonst brächt' er es jetzt zwischen uns zu einer richtigen Ausred'. Es ist traurig, daß du g'rad den so gern hast und daß da trotz aller Näh' kein Zusammenkommen möglich ist. Sag, wie stellt er sich denn in letzter Zeit, wenn ihr irgendwo zusammentrefft?«

Kuni seufzte tief, dann gestand sie der Mutter ganz wahrheitsgemäß: »Mit unseren Worten sind wir halt schon so höflich gegeneinander, wie es ehrliche Nachbarskinder niemals werden sollten. Und mit den Augen gibt er es mir zu verstehen, daß er mir seine Lieb' aus Ursachen nicht eingestehen kann, von denen er niemals reden möcht.«

»Diese erbärmlichen Ursachen, die er so fein verheimlichen möcht', kennst du ja«, sagte die Garwenderin. »Er will eine besonders Reiche ergattern.«

Kuni nickte. »Und du?« forschte die Mutter. »Was gibst du ihm denn mit deinen Augen zu erkennen?«

Kuni zuckte die Achseln und entgegnete: »Ich weiß es nicht, ob er aus meinem Schauen alles versteht, was ich ihm damit sagen möcht'. Ich möcht' ihm sagen: »Mich könnt'st du ebenfalls aus Ursachen, die ich dir nicht sagen kann, niemals haben». Meine Ursachen errat't er freilich nicht. Er wird vielleicht auch meinen, daß ich so wie er aus Geiz und Hochmut auf mein' Lieb verzichten will. Ich müßt' ihn, wenn er um mich anhalten tät', wahrlich nur deshalb abweisen, damit es nicht aufkommt, daß wir so arm sind und daß wir uns so reich gestellt haben. Er könnt' uns auch gewiß nimmer achten, wenn er erführ', wie wir geschwindelt haben. Und darum können uns ich und er nimmer kriegen. Es ist traurig, daß ich mich da drein finden muß.«

Sie weinte jetzt. Und die Mutter weinte mit ihr. Die Bimmerln und ihr Sohn hatten unterdessen recht lärmvoll ihre Sensen gewetzt und dabei auch miteinander gesprochen.

»Willst du den Mirtl wirklich klagen?« fragte Jürgerl lächelnd die Mutter.

»Frag doch nicht so dumm«, antwortete die Alte. »Weißt's ja, daß man bei der dünkelhaften Nachbarin gleich den Wert verliert, wenn man sich vor ihr nicht allweil großmächtig blähen und batzen tät'. Verdrießen tut mich diese Augenverblenderei g'rad g'nug.«

»Mich auch«, sagte Jürgerl seufzend. »Aber wir müssen das Lügenspiel weiterfahren. Den zweien ihr närrischer Stolz erlaubt uns kein Geringertun. Und weil wir ihnen die Geheimniss' unserer armseligen Wirtschaft nicht offenbaren dürfen, so muß ich halt auf das Dirndl verzichten. Himmelschreiend ist es, daß man sich derart um sein Glück bringen lassen muß.« Er fing ingrimmig zu mähen an.

Der Alten geschah schwer leid um ihn. Sie sah verstohlen nach den Nachbarinnen hinüber und murmelte dabei: »Ihr steifgekrageten Gäns'! Es wird schon eine Zeit kommen, wo ihr die Schnäbel niedriger tragen werdet.«

Sie mußte dann tagüber fast immer an die schönen Erdäpfel und Krautköpfe denken. Als sie dann am Abend mit dem Jürgerl im Stübchen saß, faßte sie einen Entschluß. »Bis es ganz finster ist und bis sie in der Garwenderhütte das Licht ausgelöscht haben, dann gehen wir hinaus und nehmen uns von den guten Sachen einen Sack voll«, sagte sie. »Die Garwenderin wird es morgen dem Haufen nicht ansehen, daß er kleiner geworden ist. Und wenn sie ihm's doch ankennt, so wird sie meinen, daß ihn die armen Dorfleut kleiner gemacht haben. Auf uns wird sie keinen Verdacht werfen.«

Der Jürgerl nickte beifällig. »Es freut mich, daß dir das einfällt«, sagte er. »Wenn du nicht selber auf den Gedanken gekommen wärst, so hätt' ich dich jetzt darauf gebracht.« In einer Stunde darauf schlichen sie zu der Gabe des Wieskasper hin. Sie trugen ihren größten Hafersack mit. Die Nacht war zu ihrem Vorhaben finster genug. In gieriger Eile fielen sie über den Haufen her. Dann sahen sie es, daß an dessen anderem Ende die Garwenderin und die Kuni beschäftigt waren.

Ein Weilchen war nun die Überraschung der vier Menschen so groß, daß sie sich wirklich nicht regen konnten. Dann begann der Jürgerl hellauf zu lachen, und Kuni stimmte mit ein. Sie lachten gar nicht gezwungen, denn sie wußten es ja, daß nun zwischen ihnen des bisherigen Geheimtuens ein Ende war.

Während dieses Gelächters kam die Bimmerin zu der Überzeugung, daß es gut war, wenn sie alles dasjenige verschwieg, was sie jetzt der Garwenderin gerne gesagt hätte.

Sie ging ganz stille nach Hause. Die Garwenderin tat ebenso. Und die beiden jungen Leute gestanden nun einander zuerst ihre Armut und dann ihre Liebe.


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