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Endlich hatte die langsam geruderte Fähre die Brücke des Stralsunder Ufers erreicht, und Waldemar schickte sich ohne Zögern an, die ihm als Müllerknecht aufgetragenen Geschäfte auszurichten. Ein französischer Beamter, dem er seine Papiere vorwies, gestattete ihm, da er Lebensmittel brachte, die Säcke zu landen und dann in die Festung zu gehen, um den Bäcker aufzusuchen, auf dessen Namen sein Geleitsbrief lautete. In der Stadt selbst sah es wild und wüst genug aus, denn noch hatte man nicht daran denken können, die vielfachen Spuren des eben beendeten Kampfes zu beseitigen. Auf den Plätzen und an manchen Ecken der Stadt standen noch die gebrauchten Kanonen aufgefahren, die ihre Kugeln nicht allein unter die Menschen, sondern auch auf die Fronten und Giebel der Häuser ausgeschüttet, wo sie teils in den dicken Mauern sichtbar stecken geblieben waren, teils die Wände eingerissen und arge Verwüstungen angerichtet hatten. Die Bewohner selbst waren noch von dem ersten Schrecken und den traurigen Vorfällen des vergangenen Tages betäubt. Dänische und holländische Pikets ständen mit geladenen Gewehren oder gezogenem Säbel überall, und Patrouillen durchstreiften ohne Unterlaß die öden Straßen und durchsuchten die verdächtigen Häuser, um die etwa verborgenen Flüchtlinge an's Licht des Tages zu ziehen und ihrem unentrinnbaren Schicksal zu überliefern. Viele derselben waren von wackeren patriotischen Bürgern gerettet worden, und in manchen Häusern lagen namentlich Verwundete sicher versteckt, wo sie auf das liebreichste verpflegt würden. Überall herrschte eine drohende und unheimliche Stille, wie nach der Entladung eines unseligen Gewitters Fluren und Wälder in stiller Ergebung ihre Blumen und Gräser beugen; die meisten Häuser waren geschlossen, an den verhangenen Fenstern zeigte sich nicht wie sonst eine geschäftige oder genießende Bevölkerung, und niemand wagte ein lautes Wort zu äußern, aus Besorgnis, irgend ein aufmerksames Ohr möchte die gesprochenen anders deuten, als sie gemeint waren. Es war daher schwer, irgendwo erfolgreichen Eingang zu gewinnen, und vergebens hatte Waldemar schon hier und da angepocht, um die vorläufig so notwendige Nachfrage nach der Wohnung der Verwandten Magnus Brahes zu halten.
Endlich beschloß er, zu dem Bäcker zurückzukehren, der ihm seiner äußeren Erscheinung nach ein ehrlicher Mann zu sein schien, und bei ihm die Nachforschung ernstlich zu beginnen. Aber der Bäcker wußte selbst nur wenig und berichtete nur Allgemeines und Bekanntes. Da wagte Waldemar kühn den Namen der Dame zu nennen, die er, als des Grafen Verwandte und mütterliche Freundin, vor allen aufsuchen wollte, um sich bei ihr nach demselben zu erkundigen, weil vorauszusetzen war, daß Magnus, wenn er mit Schill in Stralsund eingerückt, sie besucht und von seinen Absichten in Kenntnis gesetzt haben würde. Glücklicherweise traf es sich, daß der Bäcker der Lieferant des erfragten Hauses war. Es wurde ihm genau bezeichnet, und nun belud sich Waldemar mit einem Korbe voll Backwaren, um auf diese Art Eingang daselbst zu gewinnen. So begab er sich denn nach dem alten Marktplatze, den fünf bis sechs Stock hohe altmodische Giebelhäuser, das uralte berühmte Rathaus und die Hauptwache zieren, welche letztere leider dicht neben dem bezeichneten Hause Gegenwärtig wohnt der Konditor Liß darin. lag, wie sich sogleich ergab.
Die Dame, die darin wohnte, war früher oft im Scherz, die, Königin von Hiddens-öe genannt worden, weil sie nicht allein die Gutsherrin des Gehöftes Kloster, sondern auch Besitzerin der ganzen Insel gewesen war, die sie aber seit dem Jahre 1800 an den Hauptmann von Bagewitz verkauft hatte, um ihren Lebensabend in der lebhafteren und geselligeren Stadt zu verbringen, in der sie jetzt ihren Aufenthalt nahm. Die Kammerrätin von Giese war eine ausgezeichnete Dame, die, wie ein oft genannter Reisender von ihr sagt, sich als eine höchst interessante Frau darstellte, die mit einem durchdringenden Verstand eine ungemeine Feinheit des Umgangs und liebenswürdige Denkungsart verband.
Waldemar klopfte an die Haustür, aber niemand öffnete sie ihm. Darauf wandte er sich zu dem einen Fenster und Pochte daran, aber auch hier zeigte sich niemand hinter den fest geschlossenen Vorhängen. Endlich jedoch erschien ein alter Diener, zog vorsichtig einen Zipfel des Vorhangs zurück und schaute forschend hinaus. Als er den Bäckergesellen, wofür er natürlich Waldemar hielt, draußen stehen sah, machte er rasch einen Fensterflügel halb auf und wollte so einige Vorräte in Empfang nehmen. Hastig aber flüsterte ihm Waldemar zu, er möge die Tür öffnen und ihn einlassen, da er notwendig mit seiner Herrin sprechen müsse.
Der Diener schloß das Fenster wieder und dachte einige Augenblicke nach, was er tun solle. Endlich aber fand er sich bewogen, dem Manne, der es eilig zu haben schien und vielleicht eine wichtige Botschaft bringen könnte, zu Willen zu sein, und so riegelte er das Tor auf. Waldemar fühlte sich von einer schweren Last erleichtert, als er im Innern des Hauses stand und nun ungehindert nach der Kammerrätin fragen konnte.
»Was wollen Sie von ihr – sie ist heute sehr beschäftigt und dürfte kaum Zeit und Neigung haben, mit einem Fremden zu reden.«
»Mit mir spricht sie gewiß, wenn Sie ihr sagen, daß ich zum Frommen des Grafen Brahe zu ihr komme.«
»»Ha!« rief der Alte und machte ein erstauntes Gesicht. »Ist es wahr, was Sie sagen, und kann, ich Ihnen vertrauen?«
»Ganz und gar, denn ich bin nicht, was ich scheine, und habe nur des Grafen wegen die gefährliche Stadt betreten.«
»Wo kommen Sie her und woher wissen Sie, daß der Graf in diesem Hause ist?«
»Ha!« rief nun auch Waldemar, und sein Gesicht errötete sichtbar unter dem Mehlstaube, der es bedeckte und unkenntlich machte. »Also er ist hier – und ungefährdet? Sprechen Sie wahr?«
»Ja, er ist wenigstens hier – aber erlauben Sie, daß ich sogleich die gnädige Frau benachrichtige und treten Sie einstweilen in dieses Zimmer ein.«
Waldemar befolgte ohne Zögern die Aufforderung, und als der alte Diener eilig das Zimmer verlassen hatte, wischte er vor einem Spiegel mit einem Tuche den Mehlstaub vom Gesicht, das sich nun in seiner natürlichen Färbung und männlichen Bildung zeigte. Bald darauf aber kam der Diener wieder und bat sich den Namen des Besuchenden aus. Nachdem dieser sich genannt und der Diener ihn wieder einige Zeit allein gelassen hatte, kam der Alte mit freudestrahlender Miene zurück und lud den Fremden ein, eine Treppe höher zu steigen, wo ihn die Dame des Hauses ungestörter empfangen könne.
Waldemar ward nun in ein nach damaliger Sitte reich möbliertes großes Gemach geführt, und in dieses trat kurz nach ihm mit etwas eiligem Schritte eine bejahrte, sehr ehrwürdige Dame ein, auf deren Gesichtszügen freudige Überraschung seltsam mit Sorge und Betrübnis gemischt war.
»Sie sind Waldemar Granzow aus Sassnitz – der Freund Magnus Brahes?« fragte sie ohne Umstände.
»Der bin ich, gnädige Frau, und ich komme in der Absicht hierher, ihm förderlich zu sein, da ich nach seinem Ausbleiben auf dem Rugard in vergangener Nacht, nachdem ich von allen den Vorfällen in Stralsund gehört, eine Beteiligung seinerseits bei dem gescheiterten Unternehmen für höchst wahrscheinlich annehmen muß, wenn er gestern schon in Stralsund war.«
»So schickt Sie Gott hierher, denn ich bin in großer Sorge um ihn, da ich jede Stunde befürchten muß, die Spione der Feinde werden ihn auskundschaften und aus seinem Versteck ziehen.«
»Dann bin ich zur rechten Zeit gekommen, gnädige Frau; ich habe alle Mittel in Händen, ihn seinen Verfolgern zu entziehen und sicher nach Rügen zu bringen.«
Die Dame, fast sprachlos vor Freude, streckte die Hand aus und ergriff den mehlbestäubten Arm des wackeren jungen Mannes. »So hängt mit dieser Ihrer Absicht auch wohl Ihre Verkleidung zusammen?« fragte sie endlich, nachdem sie sich nach Kräften ermannt hatte.
»Sie haben es erraten, gnädige, Frau, mein Kleid ist eine Maske – und diese Maske war gut, denn sie hat mich rascher zum Ziele geführt, als man hätte für möglich halten sollen.«
»So lohne Ihnen Gott Ihre Freundschaft und Aufopferung! Aber ach, mein Herr, Graf Brahe, der schon oft von Ihnen gesprochen und Ihren Namen stets mit großer Liebe genannt hat, ist verwundet, und seine Fortschaffung wird mit Schwierigkeiten verknüpft sein.«
»Verwundet!« rief Waldemar, indem alle Farbe aus seinem Gesichte wich. »Doch wohl nicht lebensgefährlich?«
»Nein, das nicht; sein linker Arm ist durchschossen, und das ist hinreichend, um ihn unfähig zu seiner Selbstbefreiung zu machen, die unter den obwaltenden Verhältnissen überhaupt bedenklich sein wird.«
»So führen Sie mich nur zu ihm – alles Übrige wird sich finden, ich nehme alles auf mich.«
»Kommen Sie; er weiß schon, daß Sie hier sind, und erwartet Sie mit Ungeduld.«
Die Kammerrätin schritt voran und führte den jungen Mann, der sich ihr und den Ihrigen in einem verwickelten Momente so hülfreich erwies, durch mehrere Zimmer, über einen langen Korridor in einen neu angebauten Seitenflügel des alten Hauses, wo, entfernt von dem Treiben der Stadt und allen Nachforschungen entzogen, der Kranke in einem tief beschatteten und wohl verwahrten Zimmer lag. Mit hochklopfendem Herzen und schweigend folgte ihr Waldemar; erst als er seinen Freund mit noch bleicherem Gesicht als gewöhnlich, aber doch matt lächelnd im Bette liegen sah, stieß er einen Ruf des Frohlockens aus. Dann stürzte er auf ihn zu und schloß ihn in seine Arme, was der Kranke, so viel er es vermochte, mit ebenso herzlicher Hingebung erwiderte.
Graf Magnus Brahe, nur zwei Jahre älter als Waldemar Granzow, war wie dieser ein hochgewachsener, aber dennoch bedeutend schwächerer Mann, was schon seine von Natur überaus bleiche Gesichtsfarbe und eine gewisse Mattigkeit verriet, die in seinem Gange, seiner Haltung und allen seinen Bewegungen auf den ersten Blick hervortrat. Auch sein schönes hellblondes Haar, das in langen Wellenlinien zu beiden Seiten des Gesichts niederfiel und sich mit dem wohlgepflegten aber dünnen Barte vermischte, der an Wangen und Kinn sichtbar war, verlieh ihm keinen besonderen Ausdruck von großer physischer Kraft. Die feinen Linien seines Mundes, seine fast stets umwölkte, sonst wohlgebaute Stirn und das große, sanfte, nur selten in hellen Flammen blitzende blaue Auge, das fast ununterbrochen in einem See von verhaltenen Tränen zu schwimmen schien, trugen weniger das Merkmal eines selbstvertrauenden kühnen Kriegers, als das eines in sich versunkenen, der Außenwelt mehr und mehr entrückten Grüblers und Schwärmers zur Schau. Sein Geist hatte sich demgemäß von früher Jugend an auf Kosten seines Körpers entwickelt, und die besondere Richtung, die er dabei genommen, hatte nicht dazu beigetragen, die von Hause aus mangelhafte Kraft zu stählen. Was ihm aber an leiblicher Widerstandsfähigkeit und Dauerhaftigkeit abging, ersetzte seine ritterliche hochedle Gesinnung und ein den erhabensten Gütern des Lebens eifrig zugeneigtes Gemüt. Beides hatte ihn auch in die Gefahren des gegenwärtigen Krieges verwickelt, er war mutig, tapfer und jeden Augenblick geneigt, sein Leben für die Freiheit einzusetzen, und, so viel an ihm lag, dazu beizutragen, den allgemeinen Tyrannen, der alle Nationen Europas knechten wollte, zu Boden zu stürzen. Leider aber war mit dieser edlen, nach außen hin gerichteten Bestrebung eine Art schwärmerischer, beinahe mystischer Gemütsbildung verbunden, die man bei ihm vielleicht als einen erblichen Familienzug betrachten konnte, und die ihn antrieb, sich mit Studien zu beschäftigen und geistigen Phantasien hinzugeben, die mit allem, was der Wirklichkeit des Lebens und dem ruhigen materiellen Genüsse desselben angehörte, in vollkommenem Widerspruch standen. Er war, mit einem Wort, mehr ein Mensch des Gemütsinstinkts und der augenblicklichen Eingebung, als ein Mann festen durchdachten Willens und der wohlberechneten Tat, dessen Handlungen und Bestrebungen in naturgemäßem Einklang stehen. Er liebte es, sich in sogenannten höheren Regionen zu ergehen, und vergaß dabei, daß das Leben in ernster Zeit mit kräftigen Händen angefaßt sein will, wenn es bezwungen werden soll. So hatte er es nie über sich vermocht, einem gewissen Glauben an providentielle Vorherbestimmung zu entsagen, die jedes einzelnen Menschen Lebensbahn bestimme und ihm Gutes und Schlimmes zu erleben aufgebe, wogegen man sich vergebens auflehne, da alles Ringen und Wollen nutzlos sei, und damit war bei ihm von früher Jugend an der trübselige Wahn verbunden, daß er selbst zu keinem langen Leben bestimmt, daß er in der Blüte der Jahre werde hinweggerafft werden, und daß er überhaupt nur auserlesen sei, Schmerzen und Weh in allerlei Gestalt zu erdulden. Vergebens war gegen diese törichten Hirngespinnste eine durchaus fehlerfreie Erziehung in die Schranken getreten, sein Vater und seine vortrefflichen Lehrer hatten es nie vermocht, seinen Gedanken eine weniger traurige Richtung anzuweisen und ihm eine richtigere und naturgemäßere Überzeugung von der göttlichen Vorsehung zu verschaffen. Selbst Waldemars ruhiger, klarer, tatkräftiger Anschauungsweise, der ihm von allen Menschen, die mit ihm in Berührung gekommen, dem Herzen nach am nächsten stand, war es nie gelungen, ihm zu beweisen, daß er bisher, wo er ein ihm nahestehendes Verhängnis vorhergesehen, noch immer im Irrtum gewesen sei, nie hatte er sich von seinen krankhaften Ideen frei machen können, und so sah er auch jetzt wieder in seiner verlassenen und bedrohten Lage die Hand des Verhängnisses ausgestreckt, um ihn endlich zu ergreifen und rettungslos zu vernichten.
Mit dieser Gemütsrichtung im Einklang hatte sich sein Verhältnis zu Schill gestaltet, der soeben vor seinen Augen den Untergang gefunden. Der schwärmerische, ritterliche, abenteuerliche Charakter desselben hatte ihn angezogen, gefesselt und endlich mit in den Strudel des ungleichen Kampfes gerissen, der jenem verderblich geworden war; ja, Schills trauriges Ende hatte neuerdings wieder umsomehr dazu beigetragen, ihn in seiner vorgefaßten Meinung zu bestärken und die Besorgnis zu vollenden, jetzt endlich sei auch für ihn die Stunde des Unheils gekommen, die er lange vorhergesehen und vorausgesagt habe.
So war er der fast vollkommene Gegensatz von dem tatkräftigen, kühnen, entschlossenen Waldemar Granzow, in dem sich jeder Gedanke nach kurzer Überlegung zur mutigen willensstarken Tat gestaltete, der ohne Furcht und Sorge der Waltung des Schicksals entgegenging und seine ganze vollendete Männlichkeit schon in seiner elastisch leicht beweglichen Gestalt, seinen offenen Gesichtszügen, seiner ganzen Haltung zeigte. Aus diesem Grunde auch verband die beiden jungen Leute, die ihr Stand und ihre Geburt so weit voneinander entfernt, jene innige Freundschaft, die wir schon öfters angedeutet haben und die der alte Graf Brahe, der die schwachen Seiten seines einzigen Sohnes und Erben kannte, auf jede Weise befördert hatte, da er sich von dem Umgang mit Waldemar die größten Vorteile für seinen Sohn versprach.
Wie groß daher des jungen Grafen Freude war, als er seinen einzigen und wahren Freund so plötzlich und unerwartet in sein von namenloser Sorge beschattetes Zimmer treten sah, kann man sich denken, und wohl zwei Stunden vergingen, bis sie sich gegenseitig alle ihre Erlebnisse in traulichster Weise mitgeteilt und den Standpunkt vergegenwärtigt hatten, auf dem sie jetzt in der Mitte ihrer kriegerischen Laufbahn angelangt waren.
»Also das ist der Grund deines Erscheinens hier,« sagte Graf Brahe zuletzt, indem er seinem Freunde mit der unverwundeten Rechten herzlich die Hand drückte, »und so hat dich mein Schicksal noch einmal zu mir geführt! O wie gütig und herrlich ist das von der waltenden Vorsehung! Aber sage mir, wird deine Absicht gelingen, wird dein Plan mit mir nicht an irgend einer unvorhergesehenen Klippe scheitern?«
»Das wollen wir nicht hoffen, Magnus. Wenn du aber etwas Besseres weißt, als ich dir vorgeschlagen habe, so sprich es aus, ich bin zu allem bereit, wenn ich nur die Möglichkeit des Gelingens vor mir sehe.«
»Nein, ich weiß nichts Besseres, und so vertraue ich mich deinem Mute und deiner Kraft völlig an. Wird aber der Fährmann Wort halten und zu bestimmter Stunde das Boot in die bezeichnete Stelle senden?«
»Er hat es verheißen, weiter kann ich nichts sagen; läßt er uns aber im Stich, so werden wir andere Mittel und Wege zu unserer Befreiung erdenken.«
»Weißt du aber bestimmt, daß auf Hiddens-öe keine Franzosen stehen und daß wir auf dem einsamen Kloster nicht gerade dem Feinde in die Arme laufen?«
»Jedermann auf Rügen, den ich bis jetzt gesprochen, hat es mir also mitgeteilt, und ich habe keinen Grund, an der Ehrlichkeit meiner Landsleute, die es gut mit mir meinen, zu zweifeln.«
»So bleibt es also dabei und es wird dies mein letzter Tag in Stralsund sein.« –
Der Plan Waldemars war nun folgender. Gegen elf Uhr nachts wollte er sich mit seinem Freunde, der den kurzen Weg nach dem Strande zu gehen sich bemühen mußte, durch eine Hintertür des Gieseschen Hauses, die über einige Höfe und Gärten in die Mühlenstraße führte, seinen jetzigen Aufenthalt verlassen. Von hier sollte sie einer der Diener der Kammerrätin, der in Stralsund genau Bescheid wußte, durch verschiedene Straßen und Häuser an eine Stelle der Stadtmauer führen, die seit der Schleifung derselben und der teilweisen Zuschüttung der Wälle noch nicht wiederhergestellt war. Auf diese Weise vermied man die gefährliche Fährstraße und deren Tor, das auf den Strand, mündete. War man so weit gelangt und hatte man Wälle und Mauern hinter sich, so gab es keine Schwierigkeit mehr, denn Punkt elf Uhr und nach vorher genau übereinstimmend gestellten Uhren sollte das Boot unter den Weiden nordwärts von der Stralsunder Fährbrücke liegen, wo kein Posten stand und das Einschiffen, wenn der Mond nicht gar zu hell schien, gefahrlos bewerkstelligt werden konnte. Von hier aus wollten sie das Stralsunder Fahrwasser nordwärts entlang nach dem Gutshof Kloster aus Hiddens-öe segeln, um bei dem befreundeten Herrn von Bagewitz ein gesichertes Unterkommen bis auf weiteres zu suchen. Hielt der Südostwind so günstig an, wie er den Tag über geweht, so war das Ganze ein leichtes Unternehmen und konnte in wenigen Stunden abgemacht werden; schwieriger und langwieriger war es allerdings, wenn das Wetter stürmisch wurde, der Wind aus einer weniger günstigen Richtung blies oder gar eine Verfolgung ihr Vorhaben unterbrach und die Erfindung eines neuen unvorbereiteten Planes notwendig machte.
Als sie der Kammerrätin von Giese obiges mitteilten, fand es sich, daß diese ihnen vollkommen beistimmte, und außerdem von Herzen froh war, den bis jetzt so glücklich geborgenen Verwundeten in noch sicherem Verwahrsam zu wissen, da der Fall nicht undenkbar war, daß die Feinde in Stralsund den Geflüchteten aufspürten und in die gefürchtete Gefangenschaft schleppten.
Was nun von seiten der herzensguten Dame geschehen konnte, dem jungen Grafen die Schmerzen zu erleichtern und ihn zu einer nächtlichen Seefahrt so gut wie möglich auszustatten, geschah auf eine wahrhaft mütterlich fürsorgende Weise. Es wurden zunächst die Kleider des abwesenden Sohnes hervorgeholt, dem Grafen angepaßt und darauf in Bereitschaft gelegt. Sodann wurde ein Felleisen mit Wäsche und Lebensmitteln versehen, damit für das Notwendigste auf der Reise selbst und in Hiddens-öe für die Flüchtlinge gesorgt wäre. Als das geschehen, besprach man verschiedenes nach allen Richtungen und bereitete sich auf die Stunden der Nacht vor, die das Unternehmen ins Leben rufen sollten. Von Zeit zu Zeit verließ der alte getreue Diener das Haus, um auf den Straßen sich umzuschauen und alle erhaschten Vorgänge daheim zu berichten. Es lautete gerade nicht ungünstig, was er die ersten paar Male überbrachte. Zwar waren die Feinde geschäftig, vermeintliche versteckte Landesverräter und Tugendbündler, wie man Schills Anhänger insgesamt nannte, auszuspüren; in viele Häuser waren sie sogar mit Erfolg eingedrungen und hatten arme Verwundete fortgeschleppt, um sie erbarmungslos den Gerichten zu überliefern; allein in die Nähe der Hauptwache waren sie noch nicht gekommen, hier schienen sie keine Flüchtlinge zu vermuten und so gab man sich allgemein der besten Hoffnung hin, obwohl Waldemar vor allen darauf bedacht war, sich vor einem Überfall zu wahren und die Augen nach allen Seiten offen zu erhalten.
So war der Nachmittag in Hoffnung und Bangen, Zufriedenheit und Sorge vorübergegangen, je nachdem die Beteiligten mehr von der einen oder andern beherrscht wurden, und der Abend dämmerte langsam herauf, der der unfreiwilligen Haft der jungen Männer ein Ende machen sollte. Waldemar stand am Fenster und blickte nach einer Wetterfahne des Nachbargiebels empor, die der frische Wind kreischend in ihren Angeln bewegte, und, wie er gewünscht und gehofft, blieb der Wind günstig und das Wetter wurde sogar noch günstiger, indem der östliche Horizont sich mit einem Nebelschleier bedeckte, der über das Fahrwasser her der Stadt allmählich näher zog und Nähe und Ferne in sein undurchdringliches Nachtgewand hüllte.
Es war die neunte Abendstunde gekommen; Magnus und Waldemar hatten zu Nacht gespeist und begannen nun ihre Vorbereitungen zur Abreise zu treffen. Bald stand das Felleisen gepackt und wohlverschlossen zur Hand, Magnus' Arm, der ihn sehr schmerzte und jeden Dienst versagte, zumal das Wundfieber im Anzüge war, wurde frisch verbunden und mit deckenden Tüchern versehen, dann half ihm Waldemar in die für ihn bestimmte Kleidung, die, wie man sie gerade zur Hand hatte, die modische Tracht eines Mannes von Stande war. Als man eben damit fertig geworden, ereignete sich etwas, was man jetzt nicht mehr erwartet hatte und daher die allgemeine Zufriedenheit in Sorge und bei dem weiblichen Teil der Bewohnerschaft sogar in Schrecken verwandelte. Der alte Diener, der vor einer halben Stunde noch einmal auf die Straße gesandt war, um den Stand der Dinge zu erkunden, kam atemlos zurückgelaufen und meldete, daß er mehreren Patrouillen auf den Straßen begegnet sei, die den Aufenthaltsort des Grafen Brahe erforschen sollten, da man in Erfahrung gebracht, daß ein solcher, der ein Adjutant und Helfershelfer des Majors Schill gewesen, sich irgendwo in der Stadt verborgen halte.
War diese Nachricht richtig, so lief die ganze verabredete Unternehmung Gefahr, kurz vor ihrer Ausführung zu scheitern. Denn wenn die Dänen erfuhren, daß ein Verwandter oder Freund des Grafen in der Stadt sei, wie er heiße und wo er wohne, so war unzweifelhaft, daß das ganze Haus desselben in genaueste Untersuchung gezogen werden würde.
In atemloser Spannung vergingen daher den im Krankenzimmer Versammelten die nächsten Minuten. Da aber alles still blieb und kein Fremder an der Haustür erschien, was der alte Diener erlauschte, so gab man sich allmählich wieder einer ruhigeren Erwartung hin, und so verging die Zeit, bis die Uhren der Stadt die zehnte Stunde schlugen. Kaum aber war der letzte Glockenschlag ausgesummt, so erscholl ein durch das ganze Haus dröhnender Kolbenschlag gegen die Haustür, und als der alte Diener nach einem der Vorderfrontfenster gesandt wurde, um zu sehen, was es gebe, kam er nach einer Weile mit kreideweißem Gesicht und der Meldung zurück, daß eine dänische Patrouille vor dem Hause stehe und die Herrin zu sprechen verlange. Die Kammerrätin war im Begriff, in die Knie zu sinken; als sie sich aber nach kurzem Zuspruch Waldemars wieder gesammelt hatte, bewegte sie sich langsam und mit der ihr eigentümlichen würdevollen Haltung nach dem Vorderhause, wo sie dein Diener befahl, den Offizier allein in das erste der im Erdgeschoß liegenden Zimmer einzulassen.
»Meine Dame,« sagte der bärtige Krieger, der glücklicherweise ein gebildeter Mann war, »ich bitte um Verzeihung, daß ich Sie so spät störe, allein der Dienst erheischt meinen Besuch, und ich bitte Sie inständigst, so kurz und entscheidend wie möglich meine Fragen zu beantworten.«
»Ich erwarte dieselben und werde Ihnen nach Möglichkeit dienen.«
»Kennen Sie einen Grafen Brahe aus Spyker in Jasmund?«
»Ich kenne ihn und weiß, daß er sich in Stockholm befindet.«
»Ah ja, freilich, Sie meinen den Vater; ich aber meine den Sohn.«
»Auch der Sohn ist mir bekannt und steht bei der Armee in Deutschland.«
»Sie irren wahrscheinlich – er hält sich in Stralsund auf.«
»Da erfreuen Sie mich wahrhaft, mein Herr, und ich werde Ihnen dankbar sein, wenn Sie ihn zu mir führen, um mir Gelegenheit zu geben, das Gastrecht an ihm zu üben.«
Diese mit Wärme und ruhigem Tone gesprochene Antwort, die die Wahrheit in sich zu schließen schien, machte den Dänen schwankend er für seine Person glaubte schon nicht im mindesten mehr, daß der Gesuchte bei dieser Dame versteckt sei.
»Das würde ich sehr gern tun,« erwiderte er zögernd, »wenn er mir in den Weg liefe, allein noch habe ich ihn nicht. Übrigens ist er ein Feind Sr. Majestät des Königs von Dänemark.«
»Das glaube ich nicht, mein Herr! Graf Magnus Brahe ist nie der Feind eines Königs gewesen.«
Der Däne schaute verwirrt zu Boden und begann damit schon an seinen Rückzug zu denken. »Können Sie mir Ihr Ehrenwort geben,« sagte er plötzlich, »daß der Gesuchte sich nicht in diesem Hause befindet?«
»Das kann ich mit gutem Gewissen geben, denn in diesem Hause befindet er sich gewiß nicht.«
»So habe ich die Ehre, Ihnen eine gute Nacht zu wünschen.«
Der Offizier grüßte mit einer galanten Handbewegung, verbeugte sich und in zwei Minuten schlug die Haustür hinter ihm zu, die sofort wieder verriegelt wurde.
Die Dame vom Hause wankte nach dem Hinterhause zurück. Sie hatte alle Kräfte aufbieten müssen, um dem Soldaten gegenüber ihre Ruhe und Würde nicht von ihrer Angst überflügeln zu lassen, jetzt aber war sie erschöpft und mit Mühe nur teilte sie den sie mit Spannung erwartenden Männern ihre Unterhaltung mit.
So war wieder eine halbe Stunde verstrichen, es schlug halb elf. Noch hielt es Waldemar nicht für die geeignete Zeit, das schützende Dach zu verlassen, denn die Stunde war noch nicht da, wo das rettende Boot an der verabredeten Stelle liegen konnte. Indessen machte er sich und Magnus, der brütend und still vor sich hinstarrend auf einem Stuhle saß, fertig, um jeden Augenblick zum Aufbruch bereit zu sein.
Da ließ sich abermals ein heftig dröhnender Schlag gegen die Haustür hören. Die Kammerrätin sagte den beiden Männern Lebewohl, gab ihnen ihre heißesten Segenswünsche mit und verließ dann das Hintergebäude, um noch einmal ins Vorderhaus zu gehen.
Hier entspann sich alsbald ein anderer Auftritt, als der war, dem sie vorher beigewohnt. Der manierliche Offizier war es nicht wieder, der schon einmal dagewesen, sondern ein dummdreister Korporal oder Feldwebel, der von einem naseweisen Fähnrich begleitet wurde.
»Meine Dame,« begann der Feldwebel, »mein Offizier schickt uns zu Ihnen, um Sie zu fragen, was aus dem Bäckergesellen geworden ist, der heute gegen Mittag in dies Haus getreten ist und dasselbe nicht wieder verlassen hat?«
»O, meine Herren,« erwiderte die Gefragte mit außerordentlicher Fassung, obwohl ihr das Herz vor Angst zu zerspringen drohte, »wie kann ich das wissen? Haben Sie mir den Auftrag gegeben, auf einen Bäckergesellen zu achten?«
»Nein, das freilich nicht, aber Sie werden ohne Zweifel wissen, daß ein Bäckergesell Ihnen Brot gebracht und dann in diesem Hause geblieben ist.«
»Mein Bäcker schickt mir alle Tage frisches Brot, ich habe aber nie darauf acht gegeben, wann derselbe mein Haus wieder verläßt.«
»So. Das ist kurz und bündig gesprochen und wir wollen das Gleiche mit Ihnen, tun. Schreiten Sie uns gefälligst voran und öffnen Sie jede Tür, die ich Ihnen bezeichnen werde.«
Vor dem barschen Tone des ohne Umschweife sich geberdenden Menschen und dem spitz lächelnden Gesicht des Fähnrichs erschrak die edle Frau nicht, im Gegenteil, sie schöpfte daraus neuen Mut, weil sie sich ihnen gegenüber weniger bedächtig zu benehmen hatte, zumal sie berechnete, daß ihre Schützlinge, wenn sie recht langsam ging, das Weite gesucht haben würden, bis sie zu dem entfernt liegenden Hintergebäude gekommen wäre. Sie schritt daher, so langsam sie konnte, von Zimmer zu Zimmer, befahl dem sie begleitenden bebenden Diener, jedes Schloß zu öffnen, sobald es verlangt wurde, und stieg ruhig aus einem Stockwerk ins andere, wo sich niemand aufhielt, bis man endlich den Korridor erreichte, der, über den Hof führend, das Vorderhaus mit dem Hinterhause verband.
Immer langsamer schritt die Dame hier voran, immer heftiger pochte ihr Herz, immer bleicher und marmorartiger wurde ihr ehrwürdiges Gesicht. Endlich, nachdem man in verschiedenen Zimmern sich umgesehen und die ihr dicht auf dein Fuße folgenden Soldaten mit ihren Bajonetten in allen Winkeln und Ecken vergebens herumgesucht, kam sie vor die Tür, hinter der sie Magnus Brahe und Waldemar Granzow verlassen hatte.
»Öffnen Sie auch diese Tür!« schnauzte der Feldwebel den Diener an, indem er aus den Mienen der Dame und des Mannes einigen Verdacht schöpfen mochte.
Der Alte zitterte, daß er kaum sein großes Schlüsselbund in den Händen halten konnte: die Kammerrätin, sich noch einmal ermannend, warf ihm einen ermutigenden Blick zu, nahm ihm das Schlüsselbund aus der Hand und wollte eben das Schloß öffnen, als die Tür ruhig von innen aufgetan wurde und die Gesellschafterin der Herrin, ein noch ziemlich junges Mädchen, ihr mit einem Gesichte entgegentrat, auf dem sie sofort die Gewißheit las, daß die Flüchtlinge außer dem Bereiche ihrer augenblicklichen Verfolger seien.
»Es ist dies das Zimmer meiner Gesellschafterin,« sagte die Dame vom Hause, indem sie dreist in dasselbe vortrat.
»Aha! Aber hier hat jemand im Bett gelegen.«
»Das bin ich gewesen,« sagte das junge Mädchen, »ich habe den ganzen Nachmittag an Kopfschmerzen gelitten.«
»So! Aber hier auf dem Kopfkissen ist eine Blutspur – was hat das zu bedeuten?«
»Nichts weiter, als daß mir heute morgen die Nase geblutet hat.«
Der Feldwebel sah den Fähnrich fragend an, der junge Herr glaubte endlich auch ein Wort sprechen zu müssen und sagte etwas schnippisch: »Das ist mir verdächtig, Feldwebel!«
»Sehr verdächtig! Halloh, weiter! Dort ist noch eine Tür – wo führt die hin?«
»Auf die Treppe, die nach dem Hofe hinabgeht.«
»Hat etwa das Haus einen hinteren Ausgang?« fragte der Fähnrich frohlockend.
»Untersuchen Sie das selbst, meine Herren,« entgegnete die Kammerrätin, aber weiter konnte sie nichts sprechen, ihre Fassung und Kraft war zu Ende. Sie sank auf einen Stuhl und brach in ein krampfhaftes Schluchzen aus.
Der Feldwebel aber ergriff eine Lampe vom Tisch und forderte seine Untergebenen auf, ihm auf dem Fuße zu folgen, was diese wie wohldressierte Spürhunde taten. Im Nu war man auf der Treppe, im Nu unten am Fuß derselben und stand auf dem Hofe, von dem aus ein schmaler dunkler Gang nach der Mühlenstraße führte.
Aber ach! Da trat ein unangenehmes Hindernis in der Verfolgung ein. Der Nebel, der den ganzen Abend schon über der Stadt geschwebt, hatte sich gesenkt und füllte mit undurchdringlicher Dichtigkeit alle nach dem Strande führenden Straßen aus.
Der Feldwebel aber witterte das Wild und stürzte klirrenden Schrittes mit allen seinen Trabanten in voller Hast dicht hinter ihm her.
*
Durch dieselbe Tür, dieselbe Treppe hinab und durch denselben schmalen Gang hatte Waldemar, seinen Freund am Arme mit sich fortziehend und auf seinen Schultern das Felleisen tragend, vor wenigen Minuten das Weite gesucht und, indem er Schritt vor Schritt dem vorangehenden Diener folgte, dessen Ortskenntnis er vertrauen konnte, hatte er glücklich die Külpstraße erreicht. Magnus tat, was ihm möglich war, um gleichen Schritt zu halten, aber an seinen verwundeten Arm schien sich eine zentnerschwere Last gehängt zu haben, und so keuchte er mühevoll neben dem starken Freunde her, der mit mächtigen Schritten über Gehöfte und durch Häuser fort, dem Diener folgte und so endlich an die Stelle gelangte, wo man die abgebrochene Mauer teilweise überklettern und einen Graben durchwaten mußte, um endlich an den Strand zu gelangen.
»Gott gebe, daß das Boot da ist,« sagte Waldemar flüsternd zu Magnus, »sonst sind wir verloren, denn mir ahnt, daß man bald auf unsern Fersen sein wird.« »Wie? Du hast eine Ahnung?« entgegnete Magnus und wollte stehen bleiben, als ihn Waldemar halb mit Gewalt weiter riß.
»Meine Ahnungen sind nicht so trübe, wie die deinigen,« sagte letzterer, »namentlich nicht, wenn wir voll männlichen Entschlusses sind. Ha, ich wittere die See, und der Wind bläst mir frisch ins Gesicht. Mut, Magnus, der Strand ist nicht mehr weit – aber vorsichtig, mein Freund, der Boden ist uneben.«
»Geh nicht so schnell, ich halte es sonst nicht aus.«
Waldemar mäßigte den Schritt, aber nur einen Augenblick, denn sein scharfes Ohr hatte in der Ferne hinter ihnen hereilende Tritte vernommen, die sich rasch zu nähern schienen; sein Auge dagegen, das rings durch den immer dichter fallenden Nebel drang, den der Wind flüchtig an ihnen vorüberjagte, war mehr befriedigt, denn er hatte außer einigen ruhig an ihnen vorübergehenden Leuten auf dem ganzen Wege keinen einzigen gefährlichen Menschen wahrgenommen.
Endlich hatte man die letzte beschwerliche Stelle passiert und war nun an den Strand gelangt. Nirgends war eine Wache oder überhaupt ein Mensch zu sehen, denn der Nebel begünstigte ihr Wagnis ungemein. So kamen sie unangefochten dem Wasser nahe, und als sie die Überzeugung davon gewannen, liefen sie so schnell sie konnten und, von der ihnen entgegenwehenden scharfen Seeluft zu neuem Mute angefeuert, schlugen sie die Richtung nach dem bezeichneten Weidengebüsch ein, nachdem sie dem führenden Diener geboten hatten, auf einem anderen Wege nach Hause zurückzukehren.
So weit war ihnen die Flucht gelungen, jetzt aber stellten sich ihre Verfolger ein, die sich durch nichts hatten täuschen und von ihrer Spur abbringen lassen. Jedoch hatten sie sich an dem Brunnen, wo Schill gefallen war, getrennt, indem ein Teil die Nachbarschaft durchsuchte, ein anderer aber die Fährstraße entlang durch das Fährtor nach dem Strande lief, denn daß die Flüchtlinge sich allein und zunächst dahin begeben würden, war jedem von ihnen klar. Aber erst dicht vor dem Weidengebüsche wurden sie der Flüchtigen ansichtig. Keine sechs Schritt mehr waren sie entfernt. Waldemar, eine Armlänge voran, sprang schon zwischen die Bäume. Sein Auge durchdrang mit Blitzesschnelle den wogenden Nebel und den Namen: »Schwager!« ausstoßend, was das verabredete Wort war, eilte er den etwas jäh abstürzenden Strand hinab.
»Hier!« antwortete eine kräftige Stimme, wobei es Waldemar wie eine zentnerschwere Last vom Herzen fiel. Das Boot war da – die Segel hingen schon von der Rae und ihren Tauen herab und brauchten bloß gebraßt zu werden, um ihre Schuldigkeit zu tun.
Waldemar aber, dem der Schweiß von der Stirn rieselte, dachte noch nicht an seine eigene Rettung. Den gesunden Arm des wankenden Freundes ergreifend, hob er ihn halb in das Boot, und dann selbst hineinspringend und mit kräftigem Fußtritt es von den Steinen abstoßend, rief er mit donnernder Stimme: »Vorwärts!« worauf das Steuer sofort gedreht wurde, der Wind die angezogene Leinwand faßte und mit pfeilschnellem Zug in das wogende Nebelmeer riß.
Hinter ihnen vom Strande her erscholl ein wütendes Geschrei. Zwanzig Rufe durcheinander: »Ein Boot! Ein Boot! Hierher!« ließen sich auf einmal hören, und einige Schüsse sogar wurden ihnen blindlings nachgesandt. Schneller aber, als wir diese Worte schreiben, war das vortrefflich segelnde Schiff mit den Flüchtlingen in die Mitte des Fahrwassers geflogen und nun, schon halb gerettet, steuerte es ohne Aufenthalt mit ihnen dem Norden entgegen.