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Philipp Galen

Lebensbeschreibung von Else Galen-Gube

Philipp Galen wurde am 21. Dezember 1813 zu Potsdam geboren.

Sein Vater war der Hofwundarzt Friedrich Wilhelms des III. und IV., Dr. Fritz Lange. Im Elternhause zu Potsdam verlebte er seine Jugend. Auf dem Gymnasium war er ein von seinen Lehrern wegen seiner Begabung geschätzter Schüler. Schon damals offenbarte sich sein starkes, literarisches Talent, indem er ein kleines Theaterstück: »Friedrich in Rheinsberg« schrieb, welches später sogar an einigen Bühnen zur Aufführung gelangte, jedoch in keiner Beziehung an seine Romane heranreicht.

Seinem lebhaften Wunsch, sich ausschließlich der Literatur zu widmen, willfahrte sein Vater nicht; denn als lebenskundiger Mann war dieser der Ansicht, daß eine sichere Position unentbehrlich sei, und sich ein wirkliches Talent unter allen Umständen durchsetzen müsse. So zwang er Galen zum Studium der Medizin, obgleich derselbe nur wenig Interesse dafür hatte.

Nun bezog der junge Mediziner mit 22 Jahren die Universität zu Berlin und fand Aufnahme im Friedrich Wilhelm-Institut. In den ersten Semestern hörte er auch Philosophie und Ästhetik, wie es in damaliger Zeit – nicht zum Schaden der Jünger Aesculaps – üblich war.

Die neuen Eindrücke, welche er hier auf der Abteilung für Psychiatrie als Unterarzt empfing, gaben ihm zugleich mit einer Zeitungsnotiz die Anregung zu seinem ersten und berühmtesten Roman »Der Irre von St. James.« Die Zeitungsnotiz berichtet nämlich, daß ein Lord seinen Erstgeborenen in ein Irrenhaus gebracht habe, um seinem zweiten Sohn, den er über alles liebte, seine Würden, Ämter und sein Vermögen zu vermachen.

Diesen Roman sandte Galen an den Verlagsbuchhändler Janke, der ihm 300 Taler dafür anbot. Es ist ein Beweis für das literarische Selbstbewußtsein des jungen Schriftstellers, daß er diesen für damalige Verhältnisse guten Preis für sein Erstlingswerk nicht annahm. So blieb denn das Buch viele Jahre ungedruckt liegen, in denen sich Galen nur seinem ärztlichen Berufe widmete. Nachdem er sein Examen bestanden, wurde er als Assistenzarzt zum Kadettenkorps in Potsdam kommandiert. Von hier kam er 1847 als Bataillonsarzt nach Bielefeld in Westfalen, wo er sich mit der Nichte des dortigen Bürgermeisters, der jugendschönen Marie-Louise Körner, einer Verwandten des Dichters Theodor Körner, vermählte, die ihm kurz vor der Silberhochzeit das erste und einzige Kind schenkte, die spätere Schriftstellerin Else Galen-Gube.

Das geringe Gehalt, die schwer zu erlangende Privatpraxis in den Bergen wandte Galens Geist wieder der Schriftstellerei zu. Es ist kein bloßer Zufall, daß gerade damals im Jahre 1853, wo der Dichter sich in ziemlich dürftigen Verhältnissen befand, der Roman des Reichen »Der Inselkönig« entstanden ist. Der Schauplatz dieses Buches ist die Pfaueninsel bei Potsdam. Die stille Poesie des verschwiegenen Eilandes hatte schon auf die lebhafte Phantasie des Knaben so mächtig eingewirkt, daß er sich in den Gedanken hineinträumte, der Herrscher der kleinen Insel zu sein. Dieses Werk eröffnete ihm seine literarische Laufbahn.

Zunächst suchte er nun das Manuskript »Der Irre von St. James«, das über 10 Jahre in seinem Schreibtisch geruht, wieder hervor, und nach einer kleinen Umarbeitung erschien das Buch im nächsten Jahre, wo es kurz hintereinander viele Auflagen erlebte. Später wurde es auch ins Englische übersetzt.

Bald darauf folgte der Roman »Fritz Stilling«, in dem er seinem Vater ein Denkmal setzte. Die Gestalten sind alle dem Leben entnommen, auch die Handlung hat Galen – mit dichterischer Freiheit – zum größten Teil dem Leben nacherzählt.

Fritz Stillings Lebensgeschichte ist die seines Vaters. Die blinde, arme Witwe ist seine Großmutter, die am Niederrhein wohnte und den Sohn in ein holländisches Kloster zur Erziehung schickte. Auf dem Wege von seiner Heimat zu diesem Ort war es, wo sich jene kleine, in dem Buche geschilderte Episode abspielte, die auf das spätere Leben seines Vaters einen so entscheidenden Einfluß ausüben sollte. Hier fand dieser nämlich auf der Landstraße eine Brieftasche, welche ein Vermögen in Wertpapieren enthielt. Eine mit vier Pferden bespannte Kutsche war ihm kurz vorher begegnet, und er nahm an, daß das Portefeuille wohl den Insassen des Wagens gehörte. Um es in dem nächsten Ort bei der Behörde abzugeben, nahm er es mit sich. Es mochte noch keine Stunde vergangen sein, als das Gefährt, zurückkam, und ein vornehmer Mann ihn fragte, ob er nichts gefunden habe. Klug, um nicht den Fund in unrichtige Hände zu geben, ließ der Knabe sich den Gegenstand und Inhalt genau beschreiben, und, als er erkannt, daß er es mit dem rechtmäßigen Besitzer zu tun hatte, übergab er ihm die Brieftasche bescheiden, ohne einen Dank anzunehmen. Der Insasse aber, Louis von Lorch aus Argendorf am Rhein – ein Edelmann im wahren Sinne des Wortes – versprach dem armen Jungen, für ihn zu sorgen. Und er hielt Wort. Als der Zögling aus dem Kloster entlassen wurde, ließ Lorch ihn studieren und gab ihm später seine Pflegetochter zur Frau.

Nunmehr gab Galen in jedem Jahr ein neues Buch heraus:

»Walter Lund« (1855) führt uns wieder in seine Jugendzeit zurück. Wer die Römerschanze, sagenumwoben, in tiefster Waldeinsamkeit, bespült von den Wellen der seenreichen Havel, kennt, wird verstehen, daß manche liebe Erinnerung des Knaben mit diesem Ort verknüpft ist. Hier fanden sich die Schüler des Potsdamer Gymnasiums zusammen, hier gründeten sie den »Dichterbund Aoidia«, in dem sie sich gegenseitig die »Werke ihrer Feder« vorlasen.

In »Andreas Burns« (1856) gibt uns der Dichter seine Erlebnisse im Schleswig-Holsteinschen Krieg 1849, den er als Lazarettchefarzt mitmachte. Mit vieler Liebe ist eine Familie gezeichnet, bei welcher er längere Zeit ein gastliches Quartier fand, und der er stets mit großer Verehrung und Dankbarkeit gedachte.

»Die Insulaner« und »Der Strandvogt von Jasmund« gelten seinen pommerschen Freunden.

»Der Sohn des Gärtners« (1861) spielt an einem kleinen, nicht fernen Fürstenhofe, an dem Galen einmal den geistesschwachen Herzog zu behandeln gerufen war, später aber nicht nur als Arzt, sondern als Dichter Gastfreundschaft und viel Liebe genoß.

Wie in seinem ersten Buche »Der Irre von St. James«, so ist auch im »Leuchtturm auf Cap Wrath« (1862) England der Schauplatz der Erzählung. In beiden schildert er anerkanntermaßen die englischen Verhältnisse so vorzüglich, daß der Leser den Eindruck haben muß, als ob der Verfasser dieselben an Ort und Stelle studiert hätte. Da er jedoch niemals in England gewesen, so kann man ermessen, mit wie großem Eifer und Sorgfalt er sich in die einschlägige Literatur vertieft hat, um ein wahres Bild des ihm fremden Landes geben zu können. Allerdings ist die Schilderung der Briten deutlich beeinflußt durch seine Beobachtungen, die er in internationalen Hotels an dem damaligen reisenden Publikum gemacht hat. Daß infolgedessen sein Urteil über unsere Vettern jenseits des Kanals nicht allzu günstig war, ist begreiflich.

Die damalige Kronprinzessin – spätere Kaiserin Friedrich die ihm sonst sehr wohl wollte, hat ihm das einmal deutlich zu verstehen gegeben, indem sie zu ihm sagte: »Lieber Doktor, die Engländer, welche Sie in Ihren Büchern schildern; sind reich gewordene Schuster und Schneider, aber keine wirklich gebildeten Leute; diese würden sich nicht so benehmen.«

Zu dem Roman »Der grüne Pelz« (1863) hat Galen den Stoff aus Verwandtenkreisen in Bielefeld geschöpft. Eine reiche, bürgerliche Tante seiner Frau vermachte nämlich ihren adligen, auf die große Erbschaft spekulierenden Angehörigen nichts als ihren grünen Pelz (einen Biebermantel, der mit grünem Pelz bezogen war). Das Buch befaßt sich mit viel Familienkonflikten, schildert aber Land und Leute der roten Erde gemütvoll, wahrheitstreu und eingehend.

»Die Tochter des Diplomaten,« »Das Irrlicht von Argentières,« »Der Löwe von Luzern,« »Der Alte vom Berge,« »Der Einsiedler vom Abendberg,« »Irene, die Träumerin« und »Der Meyer von Monjardin« spielen alle in der Schweiz – der zweiten Heimat des Dichters, wo Galen 25 Sommer hintereinander seinen Aufenthalt zur Erholung und zu Studienzwecken nahm.

Das letztgenannte Werk – die Lebensgeschichte seines Freundes, eines Schweizers, welcher der natürliche Sohn einer französischen Herzogin war, weicht stofflich ganz von seinen sämtlichen Romanen ab. Obgleich er, bereits an der Grenze des Greisenalters, ihn schrieb, schlägt er eine völlig neue Richtung darin ein, und wenn man immer behauptet hat: Galen kann jedes junge Mädchen schon in der Pension unbeschadet lesen, so möchte ich mir bei diesem Buche doch ein Fragezeichen erlauben.

Galen schrieb in seinem Leben 32 Romane, ein Theaterstück und einige Humoresken; alle zu benennen führte zu weit. Durch die meisten geht ein weher Mollakkord nach einem verlorenen Jugendglück, nach einer früh entrissenen, endlich aber doch wiedergefundenen Liebe hindurch.

Er kehrte 1858 auf ausdrücklichen Ruf Friedrich Wilhelms lV., der seinem Vater sagte: »Solche Männer, wie Ihren Sohn, will ich in meiner Nähe, an meinem Hofe haben,« nach Potsdam zurück, wo er bis zu seinem 70sten Lebensjahre im Dienst blieb.

Während des Deutsch-Französischen Krieges hatte er als Chefarzt eines Lazarettes in Potsdam die pockenkranken Turkos in Behandlung. Oft wurde ihm die Ehre zuteil, Königin Elisabeth und Kaiserin Augusta an seinem Arm durch die Krankensäle zu führen, wenn sie die Lazarette besuchten. Auch am Hofe des späteren Kaiser Friedrich war Galen ein oft und gern gesehener Gast.

Er war ein Mann, der nie nach Ehrungen gestrebt, sich nie in den Vordergrund gedrängt hat, ein einfacher, vornehmer, schlichter Charakter. Als ihm im Auftrage der Kaiserin Augusta die Frage vorgelegt wurde, ob er für seine Mühewaltung und Aufopferung in den Pocken-Lazaretten einen Orden oder Geld zu einer Erholungsreise haben wollte, bat er um letzteres. Er aber verwandte es nicht für sich, sondern zur Unterstützung armer Literaten, von denen manche in ihm ihren Erretter nach dem Schiffbruch verloren haben.

Seine Hand war stets für seine Mitmenschen offen – zu offen sogar.

Am 19. Februar 1899 starb Galen im Kreise seiner Familie im Alter von 86 Jahren zu Potsdam. Alle größeren Zeitungen widmeten ihm ehrenvolle Nachrufe. Man pries ihn als eine der berühmtesten Persönlichkeiten des preußischen Versailles. Einige nannten ihn sogar den deutschen Scott. Galen selbst wäre wohl der erste gewesen, der dieses Lob abgelehnt hätte.

Potsdam, den 1. November 1905.

Else Galen-Gube.


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