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Viertes Kapitel.
Der Tag der Kündigungen.

Durch den Brief an Baron Grotenburg und seine frühe Abfahrt von Sellhausen war dem Legationsrat der Anblick des Einzuges des glücklichen Erben und seiner Gesellschaft erspart worden, sonst hätte es sich leicht ereignen können, daß beide Parteien noch einmal daselbst zusammengetroffen wären.

Die Barone Haas und von Kranenberg, zu begierig, ihren Schwager auf dem so mühelos erworbenen Gute sitzen zu sehen und ihren kleinen Anteil an der großen Beute sicher heimzubringen, waren laut Verabredung schon am frühsten Morgen dieses Tages nach der Grotenburg gefahren und so lange mit Bitten und Wünschen in den leicht zugänglichen Mann gedrungen, bis er sich entschloß, noch an diesem Tage seinen glänzenden Einzug auf Sellhausen zu halten. Insbesondere hatte ein schlauer Einfall des verschlagenen Haas den Ausschlag zu dieser Unternehmung gegeben, denn Baron Grotenburg befand sich, wie immer, schon jetzt wieder in einer so argen Geldklemme, daß er seinem fürsorgenden Schwager im stillen sogar dankbar in seinem Plane entgegenkam.

Baron Haas nämlich, welcher wußte, daß auf Sellhausen ein reicher Erntesegen vorhanden war, hatte vermöge seiner vielfachen Verbindungen mit Mäklern und Getreidekäufern einen Mann ausfindig gemacht, der sich bereit zeigte, den ganzen in Sellhausen aufgespeicherten Kornvorrat für ein gutes Stück Geld sofort bar anzukaufen. Natürlich zündete ein solcher Vorschlag, in dem sich gleich viel Vernunft wie guter Wille aussprach, bei dem gelddurstigen Erben und ohne Aufenthalt rüstete er sich nun, das große Vorhaben ins Werk zu setzen und damit zugleich den Genuß der Besitzergreifung des schönen Gutes zu verbinden.

So saßen die drei Barone denn bald in Baron Grotenburgs elegantem Wagen, vom reichgeschmückten Kutscher gefahren, der den Leibjäger des gnädigen Herrn mit wehenden Hutfedern an seiner Seite hatte, und die kleine Chaise des Barons Haas, sowie der Jagdwagen des Barons Kranenberg, jeder mit einem guillotinierten Bedienten besetzt, fuhren diesmal leer hinterher, da die Damen es vorzogen, noch ein paar Stunden auf der Grotenburg zu bleiben und erst später nachzukommen, wenn ein Bote, wie der Erbe versprochen, ihnen melden würde, daß sie keine Gefahr mehr liefen, mit dem ausgetriebenen Sellhauser Herrn zusammenzutreffen.

Die Stimmung der drei Schwäger war, wie in der Regel, auch diesmal nicht ganz dieselbe. Baron Haas war, wie fast immer und namentlich an diesem großen Freudentage, bei allervortrefflichster Laune, er jubelte und sang laut, konnte kein Ende im Ersinnen neuer Pläne finden und freute sich schon im voraus, wie er in den Keller des alten närrischen Sellhausen steigen und sich die besten Flaschen für das heutige Diner aussuchen würde, deren Lage ihm, wie er meinte, noch aus alter Erinnerung her sehr wohl bekannt sei.

Baron Kranenberg war zwar mundstill, wie auch sonst, aber er schmunzelte doch vergnüglich vor sich hin, hörte Haas' Pläne und Absichten hoffnungsvoll an und dampfte dabei fröhlich ungeheure Rauchwolken aus seiner kostbaren Meerschaumpfeife in die warme Morgenluft.

Baron Grotenburg dagegen war diesmal der nachdenklichste und gehaltenste von allen, obwohl seine innere Herzensfreude jedes gewöhnliche Maß weit überstieg. Allein, verschiedene Bemerkungen, die er am gestrigen Tage von einigen ihn besuchenden Nachbarn hatte vernehmen müssen: daß der alte Sellhausen gegen seinen Sohn eigentlich doch wohl nicht so ganz väterlich gehandelt, hatten eine seit langer Zeit wunde Stelle in seinem Gewissen berührt, und das Gewissen ist selbst bei leichtsinnigen und lebelustigen Menschen ein ganz eigenes Ding. Es erwacht bei der geringsten Berührung wieder, wenn man es auch noch so tief eingeschlafen glaubt, und ein einziges zufällig gefallenes Wort ist oft hinreichend, wie ein ins Wasser geworfener Stein, gewisse Nachschwingungen hervorzurufen, die tief in die Seele dringen und sie bis in ihre innersten Fugen erbeben machen. Ähnlich erging es auch heute dem Erben und er litt infolge jener Bemerkung mehr, als er sich selbst gestand, obwohl er sich alle Mühe gab, so heiter wie möglich zu blicken und die Miene anzunehmen, als ob er die lauten Späße des lachlustigen Haas aus vollem Herzen teile.

In dieser Stimmung also kamen sie gegen elf Uhr morgens vor Sellhausen an, fuhren, als sie die Marken des Gutes erreicht, etwas langsamer und betrachteten mit freudestrahlenden Gesichtern die schönen Äcker und Wiesen, die ihrem neuen Besitzer im vollen Morgenglanze herrlicher denn je erschienen.

Unweit des Eingangstores, wo sich das herrschaftliche »Chateau« schon in seiner ganzen Ausdehnung präsentierte, befahl Baron Grotenburg seinem Kutscher zu halten. Er hatte einen alten Schäfer bemerkt, der eine Herde Schafe – leider waren keine fetten Hammel darunter, um einen Preis zu gewinnen – über die Stoppeln trieb.

»Heda, Alter,« rief ihn der Baron an, »komm einmal her!«

Der Alte gehorchte sogleich und trat mit abgezogenem Hute vor die drei Herren, die ihn barhaupt stehen ließen, obgleich der Wind frisch durch die weißen Locken des gebrechlichen Mannes blies.

»Wem gehören diese Schafe?«

»Herrn von Sellhausen, gnädiger Herr!«

»Ah, Ihr wollt sagen, dem Herrn von Sellhausen. Und das bin ich

Der greise Schafhirt glotzte den Sprechenden mit erstaunter Miene an, schwenkte seinen abgerissenen Hut und rief: »Dann segne Sie Gott, gnädiger Herr – aber Herr von Sellhausen war ein sehr guter Mann.«

»Narr du!« rief Baron Haas grob, »Baron Grotenburg wird ein noch viel besserer sein!«

»Still doch!« unterbrach ihn der Erbe. »Sagt 'mal, Alter,« fuhr er zu dem Hirten gewendet fort, »Ihr wißt doch, daß Herr von Sellhausen nicht mehr dies Gut besitzt?«

»Hm! ich wußte es nicht, aber ich habe es leider heute früh gehört!« lautete die aufrichtige und mit sichtbarem Bedauern gesprochene Antwort.

»Nun ja, so ist es. – Wißt Ihr nicht, ob Herr von Sellhausen noch auf dem Gute ist?«

Der Alte schüttelte traurig den Kopf. »Ach nein,« sagte er dumpf, »er ist fort, mit Sack und Pack; schon vor mehreren Stunden ist er abgefahren.«

»Ist das gewiß wahr?«

»Ich habe ihn mit eigenen Augen fahren sehen und ihm meinen letzten Gruß zugewinkt.«

»Vorwärts!« rief Baron Grotenburg dem Kutscher zu. »Der Kerl hat uns genug gesagt. So, nun rasch, Fritz!«

»Ja, fahre zu!« rief Baron Haas. »Ich verspüre einen grimmigen Appetit auf etwas Warmes – und auch Kühles. Weiß der Himmel – ich bin ein Mann für alle Eli – Ali – Alimente gemacht.«

»Elemente! willst du sagen,« bemerkte das Brüderchen mit weise emporgezogenen Augenbrauen und hochgehaltener Pfeife, um seinen Worten mehr Nachdruck zu geben. »Alimente sind etwas ganz – ganz anderes, Haas.«

»Den Teufel auch, Ambrosius, du spielst schon wieder den Weltweisen. Laß das, ich verbitte mir dies, sogar der Fritz da vorne lacht dich aus. Ob ich Alimente oder Elemente sage, ist hierbei einerlei, wenigstens für mich. Ah – aber da sind wir ja. Nun werden sie gleich herbeistürzen und ihre tranigen Kappen schwenken. Na das wird eine Rede kosten, Bruder Herz, mache dich immer parat.«

Sie fuhren rasch in den Hof ein, habgierige, sehnsüchtige, erwartungsvolle Blicke ringsum werfend, aber zu der Rede schien sich nicht die geringste Gelegenheit bieten zu wollen, denn es zeigte sich kein Mensch, noch viel weniger schwenkte einer seine »tranige Kappe«, und so kam man auf der Rampe vor dem Hause an, das sich ganz still verhielt, wie der Hof, und nicht einmal »eine vollbusige Magd mit der weißen Küchenschürze« erschien, um die einziehenden Herren mit Knixen und Grinsen zu empfangen, wie Baron Haas sagte.

Dieser war der erste aus dem Wagen und schaute sich neugierig, forschend nach allen Seiten um. »Na,« sagte er halblaut, »Ehrenpforten haben Sie uns nicht gebaut, soviel sehe ich schon. Aber da war ja eben die alte Hexe am Fenster – wie heißt sie doch, Bruder Herz?«

»Still, Haas, still,« beschwichtigte ihn Baron Grotenburg. »Die Haushälterin heißt Treuhold und ist eine alte respektable Person. Mit der dürfen wir es nicht gleich von Anfang an verderben.«

Die Treuhold stand eben in ihrer bisherigen Stube und schloß eine Handtasche zu, die auch schon gefüllt war, als sie die drei Wagen auf dem Hofe anlangen sah. Anfangs glaubte sie, es seien schon des Meiers Fuhrwerke, die sie und ihre Sachen, sowie die der abziehenden Mägde holen wollten; als sie aber ihren Irrtum gewahrte, faßte sie schnell ihren Entschluß, trat vom Fenster, wo sie bisher gestanden, zurück und bekümmerte sich gar nicht um die drei Herren, die sie sehr wohl erkannt hatte. Nur nahm sie rasch aus einem Schranke einen Korb mit zahllosen Schlüsseln, die sämtlich auf einer kleinen Marke ihre Bezeichnung trugen, und stellte ihn auf den Tisch vor dem Sofa, an dem sie so oft mit ihrem lieben Herrn in glücklichen Abendstunden gesessen und geplaudert hatte.

Unterdessen waren die drei Herren ausgestiegen und schauten sich einigermaßen betroffen um, da kein Stalldiener, kein Arbeitsmann – mit einem Wort kein Mensch sichtbar wurde, der ihnen die geringste Auskunft hätte geben können.

»Zum Teufel!« rief da Baron Haas empfindlich aus, »das ist doch eigentlich ein bißchen arg. Na wart', das soll Euch angestrichen werden, Ihr Halunken! – Kinder, fahrt nun wieder hinunter, alle drei,« wandte er sich zu den Kutschern, die ihre Wagen hintereinander auf die Rampe gefahren hatten. »Die Ställe kennt Ihr ja, und die Remisen auch. Ihr seid hier zu Hause, und was Ihr findet, ist Euer. Nun fort!«

Unterdessen war Baron Grotenburg schon auf die Außentreppe gestiegen und hatte die Haustür öffnen wollen, sie aber zu seiner Verwunderung geschlossen gefunden. So klingelte er denn etwas heftig und nach einiger Zeit wurde die Tür aufgemacht und Rieke erschien, aber ohne Küchenschürze, schon zum Abmarsch gerüstet, und ihre roten Augen bewiesen hinlänglich, was in ihrem Innern vorging.

»Nun,« redete sie Baron Grotenburg etwas barscher an als notwendig, »was ist denn das? Hast du mich nicht kommen sehen?«

»Nein, Herr Baron, ich hatte zu tun.«

»Ein andermal paß besser auf, bis mein Portier hier sein wird. Wo ist die Haushälterin?«

»Da drinnen, Herr Baron!« erwiderte Rieke kurz und ging ohne weiteres fort, um wieder in ihre Stube im Erdgeschoß hinabzusteigen.

»Das ist ja ein seltsames Betragen!« sagte Baron Grotenburg zu sich, während die beiden Schwäger sich fürs erste auf die Treppenbank vor der Haustür niedergelassen hatten, und er ging auf die Tür der Treuhold zu, wobei er erst bemerkte, daß der Flur mit Koffern und Kasten besetzt war, die, ihrem Aussehen nach zu urteilen, verschiedenen Personen geringeren Standes angehören mußten.

Eine Weile besann sich der Baron noch, was er tun und wie er sich verhalten solle, dann wurde sein Blut warm und er griff rasch nach dem Türschloß, das er ohne weiteres aufriß. Aber gleich darauf bereute er schon sein heftiges Tun, denn er sah die würdige Bewohnerin des Zimmers vor sich stehen, die ihn mit ihren verweinten Augen ruhig anblickte, als ob sie sein Erscheinen mit größter Fassung erwartet hätte.

»Guten Morgen!« sagte er, etwas zögernd in das Zimmer tretend. »Sie lassen mir ja einen seltsamen Empfang zu teil werden, meine Liebe. Seit wann empfängt man denn einen neuen Herrn mit verschlossenen Türen und roten Augen, he? Ich liebe das nicht, ein für alle Mal gesagt!«

»Herr Baron!« antwortete die Treuhold, mit ruhiger Höflichkeit, aber zugleich auch einer ihre Wirkung nicht verfehlenden Sicherheit, »wenn Sie diese Worte an mich gerichtet haben, so waren sie ganz vergebens gesprochen. Ich bekümmere mich eben so wenig um den neuen Herrn, wie um seinen Empfang, da ich in einer Stunde dies Haus verlasse und mit mir – ich nehme die Gelegenheit wahr, es Ihnen mitzuteilen – das Stubenmädchen, die Hausmädchen und die Köchin, denen morgen auch die Meierin und verschiedene andere Dienstleute folgen werden.«

Baron Grotenburg stand wie versteinert vor dem alten Fräulein und glaubte seinen Ohren nicht trauen zu dürfen. »Warum denn das?« fragte er, mit einem Mal viel leiser sprechend. »Das ist ja ganz gegen allen Gebrauch. Wer soll mir denn das Haus übergeben, wenn nicht Sie?«

»Darüber nachzudenken, ist meine Sache gar nicht, Herr Baron, und im Testament hat davon kein Wort gestanden, so viel ich weiß.«

»Ach so, also das wissen Sie?«

»Schon lange und viel früher, als Sie es gelesen und gehört haben, wußte ich es. – Hier aber, wenn Sie sich informieren wollen, ob alles vorhanden ist, liegen die Schlüssel, und ich habe es Ihnen bequem gemacht und sie sämtlich bezeichnet. Da Sie im Hause so gut bekannt sind wie wir selber, werden Sie keine Schwierigkeiten haben, zu finden, was Sie wünschen.«

»So, so! Ei, das ist artig. Ich danke Ihnen. Wenn ich Sie aber bitte – bitte, sage ich,« fuhr er mit bissiger Miene fort, »noch einige Stunden wenigstens hier zu bleiben, so werden Sie mir doch diesen kleinen Dienst erweisen?«

»Um Verzeihung, nein, Herr Baron. Ich bin Ihre Dienerin nicht und will es niemals werden. Auch bin ich nicht die Dienerin des Hauses, das Sie mit allem, was darin ist, geerbt haben, sondern nur der Person gewesen, und noch viel weniger gehöre ich zum Inventarium, das durch ein so herrliches Testament in Ihren Besitz gekommen ist. Hiermit sind meine Funktionen für Sie zu Ende und ich habe die Ehre, mich Ihnen zu empfehlen.«

Sie machte eine tiefe Verbeugung mit einem Gesicht, das dem Baron wie ein spitzes Messer in die Seele schnitt. »Sie setzen mich in Erstaunen,« sagte er, unbewußt immer höflicher werdend. »Das habe ich weder erwartet, noch erwarten können. Wenn Sie aber nicht bleiben wollen, gut, halten kann ich Sie nicht. Nur tun sie mir wenigstens den Gefallen, den Verwalter zu rufen oder rufen zu lassen, da ich ihn notwendig auf der Stelle sprechen muß.«

»Noch einmal um Verzeihung, Herr Baron, auch das muß ich ablehnen. Ich weiß nicht, wo der Verwalter ist, und habe noch mit meinen Sachen zu tun, bis der Wagen kommt, der sie abholt, was hoffentlich sehr bald geschehen wird.«

Baron Grotenburg sah, daß hier nichts weiter auszurichten war, und gab sich alle Mühe, gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Er verließ langsam und kopfschüttelnd das Zimmer und trat zu seinen Schwägern hinaus, denen er mit kurzen Worten berichtete, wie die Sachen standen.

Die beiden Barone hörten ihn ganz verdutzt an, dann aber faßte sich Baron Haas zuerst und loderte in grimmigen Zorn auf. »Was,« schrie er, »das hat dir die Kanaille gesagt und du hast es gutwillig hingenommen? Na, das hätte sie mir sagen sollen, ich hätte ihr das Genick umgedreht. Aber wie sagst du – auch die Köchin geht fort? Pfui – das ist – gemein! Was soll denn da nun aus unserm Diner werden?«

Die Barone traten zusammen und berieten sich eine Weile. Sie faßten sich kurz, da es einmal nicht anders ging. Ihr Entschluß war der, daß sie zuerst Baron Haas' Wagen nach dem Kolkhof schickten, um seine unvergleichliche Köchin herüber zu holen, die auf der Stelle kommen und einige Mägde und etwas Gutes zu essen mitbringen sollte, um ein Diner anzurichten, so rasch es ginge. Baron Kranenbergs Wagen dagegen sollte nach der Grotenburg fahren, von daher ebenfalls noch einige Bediente und Mägde holen und zugleich die Damen benachrichtigen, daß sie am Nachmittag herüberkommen und sich so einrichten möchten, einige Tage hier bleiben zu können, bis die Hausordnung wieder hergestellt und alles im alten Geleise sei.

Erst als sie diesen wichtigen Beschluß ausgeführt und die beiden Wagen in höchster Eile abgefahren waren, fanden die Herren ihre Ruhe wieder und traten in das Haus ein, wo sie sich ohne weiteres in das obere Stockwerk begaben und mit Hilfe des Jägers des Erben einige Türen aufschlossen, die, wie ihnen bekannt, zu den schönen Zimmern führten, die früher der alte Herr von Sellhausen bewohnt hatte. Hier machten sie es sich vor der Hand bequem, überlegten dabei, wie sie die Zeit bis zur Ankunft der Köchin vom Kolkhofe verbringen wollten, und sahen endlich des Meiers Wagen heranfahren, auf den schnell die im Flure aufgestellten Sachen gepackt und, nachdem sie gehörig befestigt, abgefahren wurden. Die Köchin und einige abziehende Mägde blieben bei diesem Wagen, zu Fuße nebenher gehend, als er den Hof verließ, Fräulein Treuhold und Rieke aber bestiegen eine zierliche, mit stattlichen Goldfüchsen bespannte Kalesche und fuhren ebenso still und geräuschlos davon, als ob sie zu einer Spazierfahrt auszögen, von der sie in wenigen Stunden zurückzukehren hofften.

Dieser Augenblick jedoch, so unerwartet er vorher gewesen, und so überaus rasch er gekommen, sollte dem neuen Herrn von Sellhausen doch eine kleine Herzenserleichterung gewähren, denn eben als Fräulein Treuhold mit Rieke abfuhr, kam Herr Hinz aus einem Hause hervor, reichte ihr die Hand und sah dann dem Wagen nach, wie er so schnell und leicht über den Kies rollte.

Die drei Barone hatten alle diese sich überaus ruhig abwickelnden Vorgänge von ihrem Fenster aus beobachtet und auch den Verwalter wahrgenommen; und als er nun allein dastand und dem Wagen nachsah, schallte Baron Grotenburgs Stimme bis zu ihm hinab, die ihn beim Namen rief und zu sich in sein Zimmer beschied.

Herr Hinz hob langsam und verwundert den Kopf nach dem Fenster empor, als töne ihm eine Stimme vom Himmel herunter. Dann, als er der drei Köpfe ansichtig wurde, die ganz rot vor Zorn und Ärger ihm entgegenschauten, lüftete er gleichgültig den Hut und nickte hinauf, schickte sich aber sogleich an, dem Rufe zu folgen und vor dem neuen Gebieter zu erscheinen, dessen Miene ihn belehrte, daß er ihm etwas höchst Wichtiges mitzuteilen habe.

»Aber, mein Lieber,« fuhr ihn Baron Grotenburg, als er ruhig ins Zimmer trat, mit entrüstetem Gesicht und zitternd vor Zorn an, »was geht denn hier vor?«

»Etwas sehr Natürliches, Herr Baron!« lautete die höflich gesprochene Antwort. »Die alten Diener ziehen aus und die neuen ein, so viel ich sehe; ganz in derselben Weise, wie es die Herren getan.«

»Aber das ist ja eine förmliche Insubordination, mein Bester!«

»Durchaus nicht, Herr Baron. Gegen Sie begeht niemand ein Unrecht, da Sie ja niemandes Herr und Gebieter hier sind.«

»Nicht? Das will ich jedermann beweisen, der es zu sehen verlangt!«

»Aber niemand wird es zu sehen verlangen, und ich am allerwenigsten, wenn Sie zufällig auf mich Ihren Zorn auszuschütten belieben, da kein anderer im Augenblick anwesend ist. Ich bin nur heraufgekommen, nicht etwa, weil Sie mich gerufen haben, sondern um Ihnen mitzuteilen, daß ich heute abend noch ebenfalls Haus und Hof verlasse, um mir eine Stelle bei einem Herrn zu suchen, wie er mir gefällt, nicht aber bei einem, der mir durch Gott weiß welche mir gleichgültigen Bestimmungen aufgedrungen wird.«

Baron Grotenburg wollte zornig gegen den also Sprechenden losfahren, aber er war zu sehr erschrocken über diese neue Kündigung, die ihm im gegenwärtigen Augenblick die allergrößte Verlegenheit bereitete. Er sah daher, wie um sich bei ihnen Rat zu holen, seine Schwäger an, beide aber, aus dem Fenster sehend, zuckten die Schultern, als ginge sie dieser Auftritt nichts an oder als fühlten sie sich dem energisch ausgesprochenen Willen des Verwalters gegenüber ebenso macht- wie ratlos. Als Baron Grotenburg diesen geringen Trost erkannt, von einer Seite, woher er einen besseren erwartet, glaubte er unterhandeln zu müssen, und so bezwang er sich noch, um seinen Vorteil so lange wie möglich wahrzunehmen.

»Mein lieber Herr Hinz,« sagte er mit geschmeidiger Katzenfreundlichkeit, während aus seinem grauen Auge schon die scharfe Kralle blickte, »ich muß gestehen, Ihre Kündigung überrascht mich umsomehr, als ich bisher gehört, daß Sie ein ebenso loyal dienstfertiger, wie ein erfahrener und umsichtiger Mann sind, der Sellhausen liebte und auf den mein verstorbener Schwager, dessen Erbe ich bin, große Stücke hielt. Und jetzt wollen Sie alles stehen und liegen lassen, wie es eben steht und liegt? Ei, nein doch, wer soll mir denn Rechenschaft von allen Verhältnissen ablegen?«

»Das ist nicht meine Sache, Herr Baron. Mein bisheriger Herr, dem ich allein verpflichtet war, hat mir keine Instruktionen darüber zukommen lassen.«

»Nun, dann bin ich der Mann zu diesen Instruktionen. Ich dächte, Sie besinnen sich noch einmal und bleiben wenigstens so lange hier, bis ich einen tüchtigen Wirtschafter an Ihrer Stelle habe. Wie viel Lohn erhielten Sie bisher?«

»Zweihundert Taler bar, freie Station für mich und Ration für mein Pferd.«

»Ah! So fordern Sie – ich gebe, was Sie verlangen.«

»Nun, dann geben Sie mir meinen Abschied – weiter verlange ich nichts.«

»Also Sie sind halsstarrig?« fuhr Baron Haas plötzlich mit blitzenden Augen dazwischen.

Herr Hinz sah den kleinen Mann, der einem wütenden Truthahn auf ein Haar glich, kalt von der Seite an und bemerkte mit ruhigem, aber festem Blick:

»Mit Ihnen, mein Herr, habe ich gar nichts zu schaffen und verbitte mir sogar jederlei Einmischung in meine Unterhaltung mit dem Besitzer von Sellhausen.«

»Donner und Doria, Herr! Reitet Sie denn der Schwarze?« schrie Baron Haas wütend auf. »Wie können Sie sich eine solche Frechheit gegen mich, den Baron Haas von Haasencamp, erlauben?«

»Es ist gut,« sagte der Verwalter kalt, »daß Sie diese Worte in Ihres Schwagers Hause sprechen. Wären Sie vor einigen Tagen damit gekommen, so hätte ich Sie noch schneller vom Hofe befördert, als Sie heute hereingekommen sind. Da haben Sie mein letztes Wort!«

Die drei Barone standen wie angedonnert da, eine solche Sprache hatten sie nicht erwartet. Da aber raffte sich Baron Grotenburg zusammen und sagte zum mindesten rauh:

»Schweigen Sie! Allerdings sehe ich jetzt, daß Sie den Hof verlassen müssen. Haben Sie vielleicht noch einen Lohn zu fordern?«

»Von Ihnen will ich keinen Lohn, Herr Baron, Sie dürften Ihr Geld vielleicht bald besser gebrauchen, als ich. Und somit, meine Herren, wünsche ich Ihnen einen guten Morgen!«

Mit diesen Worten verbeugte er sich kurz gegen den Besitzer des Gutes, sah die beiden Schwäger nicht einmal mehr an und schritt langsam und stolz aus dem Zimmer, wie es sonst gar nicht in der Art des bescheidenen Mannes lag.

Die drei Barone sahen sich mit kochendem Grimm eine Weile schweigend an. »Na, das muß ich sagen!« rief endlich Baron Haas, als er so viel Fassung gesammelt, um wieder sprechen zu können. »Und das duldest du, Grotenburg?«

Dieser zuckte verächtlich mit den Achseln. »Du siehst,« sagte er, »daß eine Erbschaft auch Verlegenheiten seltsamer Art bereiten kann. Hätte ich ihn gefaßt, so wäre es mir viel schlimmer ergangen. In der Tat – das war fatal!«

»Wenn es noch eine Weile so fort geht,« nahm Baron Kranenberg jetzt das Wort auf, dann fahre ich lieber nach Hause. Das ist ja schlimmer als schlimm und beinahe, als wäre man unter die Türken geraten!«

»Den Teufel auch, ja, du hast recht!« rief Baron Haas. »Aber das kann und muß doch der letzte Racker gewesen sein, der widerhaarig ist. Na, nun ist er weg und kommt nicht wieder – wir wollen uns kein graues Haar darum wachsen lassen. Nein, so was kann nicht mehr vorkommen, und damit Basta! Heda, Bruder Herz, aufgeschaut! Wie wäre es, wenn du deine Schlüssel da nähmst, und wir machten ein wenig die Runde, um Inspektion zu halten, wie?«

Baron Grotenburg fuhr wie aus dem Traume auf. »Ja,« sagte er, »du hast recht. Wir wollen das Unangenehme vergessen und das Angenehme beginnen. Kommt!«

Zunächst begab man sich in das ehemalige Wohnzimmer des verstorbenen Herrn von Sellhausen, wo sein Schreibtisch stand, auf den Baron Grotenburg am begierigsten war. Der Schlüssel dazu war bald gefunden und ebenso die Kasten rasch geöffnet. Allein das Innere derselben war merkwürdig leer. Viele Kleinigkeiten ohne besonderen Wert lagen zwar darin, auch drei goldene Uhren, von denen Baron Grotenburg in einer Anwandlung von Großmut zwei seinen Schwägern schenkte, die dritte sehr hübsche aber in seine eigene Tasche steckte und dabei bemerkte, daß der Legationsrat doch eigentlich sehr ehrlich gewesen sei, daß er sie habe liegen lassen. An Papieren fand man auffallend wenig vor, höchstens Briefe von Freunden, aber nichts, was sich auf das Gut bezog. Alle diese Papiere, Rechnungen, Belege, Kontrakte und dergleichen waren unmittelbar nach dem Tode des alten Herrn dem Sachwalter ausgehändigt; die mit der Aufschrift: Privatsachen! bezeichneten Schriftstücke hatte, wie vorher bestimmt, der Meier zu Allerdissen in Empfang genommen, und ehemalige Briefe von Bodo hatte dieser sich aus eigener Machtvollkommenheit bald nach seiner Ankunft auf Sellhausen angeeignet. Geld war gar nicht mehr vorhanden, denn das nach dem Tode vorgefundene hatte der Sachwalter in B..., teilweise auch die Treuhold, zur Bestreitung des Haushalts und Herr Hinz zur Ablöhnung der Leute erhalten, die ihrerseits wieder sich beide mit dem Sachwalter allmonatlich schriftlich auseinandergesetzt hatten.

Außer den genannten Gegenständen fanden sich nur noch einige Kisten feiner Zigarren vor, die Bodo ebenfalls unangerührt gelassen, und ein Schlüssel mit der Bezeichnung: »Schlüssel zum Weinkeller für meinen lieben Haas.«

»Donnerwetter!« rief dieser, als man dies wichtige Instrument fand und rekognoszierte, »der Alte ist doch noch vernünftiger gewesen, als ich dachte, daß er es sein könnte. Ha, er hat wirklich an mich gedacht, die gute Seele! Na, Kinder, der Schlüssel soll heute seine Schuldigkeit tun, dafür laßt mich sorgen – das ist mein De – Deparlament

Von dem Wohnzimmer des Verstorbenen begab man sich nun in verschiedene andere Gemächer, durchstöberte, beschnüffelte jeden Winkel, fand alles in vortrefflichstem Stande und so kam endlich wieder einiger Frohsinn in den eingeschüchterten Erben, der den ersten Tag auf seinem neuen Gute schon etwas mühselig und unangenehm hatte finden wollen.

Aus dem oberen Stockwerk stieg man nun in das untere hinab, besichtigte die Fremdenzimmer, die alle in bester Ordnung waren, die Gesinde- und Haushaltsstuben und gelangte dabei endlich in den Keller, der sich noch ziemlich gefüllt erwies, obgleich keine Flasche griechischen Weines mehr darin zu bemerken war.

»Na ja, das hab' ich mir gedacht!« sagte Baron Haas. »Den hat er mit in die Verbannung genommen, um sich zu trösten, haha! Aber was wollen wir denn! Seht mal da – da ist noch Rotspohn und Rheinwein genug – ha, den habe ich selbst verschrieben, ich kenne die Sorte und, ach! da ist mein geheimer Verschluß! – Donnerwetter! Welch ein Vorrat von Sekt! Na warte, den wollen wir heute versuchen – packt Euch voll, Kinder – heute wird nur Sekt – geheimer Sekt genossen!«

Jeder der drei Männer nahm so viel Flaschen als er tragen konnte, mit in das Zimmer hinauf, welches sie sich heute zum Speisesaal ausersehen, und versuchsweise brach man gleich einer davon den Hals und trank den edlen Stoff aus Wassergläsern, da keine andern im Augenblick vorhanden waren. Baron Haas kostete nach Kennerart, schmunzelte mit dem ganzen Gesicht und rief: » Probatus est! – so lautet mein klassisches Judi – Judicicum

*

Unterdessen waren mehrere Stunden vergangen und diese hatte man außerhalb Sellhausen nicht ungenützt verstreichen lassen. Zunächst kamen die Grotenburgischen Diener und Mägde laut jauchzend mit dem abgesendeten Wagen zurück und gleich darauf auch die unvergleichliche Köchin nebst ihren Helfershelfern aus dem Kolkhof. Da war denn die Freude groß bei den Herren und nun erst fühlten sie sich zu Hause, da sie sich wieder von bekannten Gesichtern umgeben sahen, die nichts Subordinationswidriges zur Schau trugen, vielmehr die freiherrliche Fuchtel mit einer wahren Lust trugen, weil sie sich alle auf Kosten ihrer Herrschaft gut dabei zu stellen wußten.

Die Kolkhofer Köchin begab sich auch gleich mit ihren mitgebrachten Vorräten ans Werk, vieles Brauchbare und Gute fand sich noch in der Speisekammer auf Sellhausen vor und so war Aussicht vorhanden, daß das längst in der Einbildung gesehene Diner, wenn auch etwas verspätet, endlich eine Wahrheit werden könnte.

Die Vorbereitungen dazu im Zimmer wurden von den eingeschulten Dienern und Mägden schnell getroffen und bald prangte die Tafel in entsprechender Weise und die drei hungrigen Herren setzten sich daran zurecht, mit der festen Absicht, heute eine ordentliche und wohlverdiente Sitzung zu halten, wobei sie einstweilen eine Flasche nach der andern die Probe bestehen ließen.

*

Es war ein herrlicher Tag geworden. Die warme Augustsonne schien freundlich in die geöffneten Fenster herein und warf, von dunkelroten Vorhängen aufgefangen, rubinfarbige Streiflichter über die Tafel und die Gesichter der drei Herren, die allmählich in eine vortreffliche Laune geraten waren.

»Na,« rief Baron Haas, nachdem endlich die Suppe gekommen und rasch verzehrt war und man eben bei einem saftigen Stück Rinderfilet saß, welches seinen Ursprung dem damit reich versehenen Kolkhof verdankte, »da sitzen wir nun hier ganz gemütlich, wo vorgestern noch Herr von Sellhausen gesessen. Haha! So ändern sich die menschlichen Dinge, meine Brüderchen. Ob es ihm heute auch so gut schmecken mag wie uns? Ich bezweifle das stark. Haha! Aber was sagt Ihr denn eigentlich zu der seltsamen Fabel, die uns der Alte in seinem Testament aufgebunden hat? Sein Sohn soll nicht sein Sohn sein? Das glaube, wer will, ich nicht!«

»O, o,« bemerkte Ambrosius christlichen Sinnes, »das wird doch wohl seine Richtigkeit haben – – warum hätte er ihm denn sonst die Haupterbschaft entzogen?«

»Weil er meine Tochter nicht geheiratet hat, wie wir es weise stipulierten!« rief Baron Grotenburg mit seinem alten, von neuem erwachenden Hochmut, da er sich zu fühlen begann. »Das ist ja ganz klar.«

»Natürlich,« stimmte Haas bei. »Der Alte ist immer ein schlauer Fuchs gewesen und hat gehofft, ihn durch seine Drohung dazu zwingen zu können. Denn das hat doch ein jeder aus dem Benehmen des Gerichtsmenschen herausgelesen, daß der ebensowenig wie der alte Esel, der Sellhausen, auf eine Weigerung des diplomatischen Herrn gerechnet hat. Aber nun ist es ihm recht geschehen. Wenn man einen Esel an die Krippe stellt, und er frißt nicht, so ist es seine eigene Schuld. Haha! Hochmut kommt auch hier vor dem Fall. Der junge Mensch wird sich noch oft hinter den Ohren kratzen, wenn er sich künftig seine dumme Handlungsweise überlegt. So ein Mädchen, schlank und blond wie Klotildchen, auszuschlagen – haha! Aber sagt 'mal, wo wurde denn eigentlich der Legationsrat – natürlich, er war damals noch keiner – geboren? Ich habe es vergessen. War es nicht auf einer Reise irgendwo?«

»Ja, irgendwo wird es wohl gewesen sein,« erwiderte Baron Grotenburg etwas nachdenklich. »So viel ich weiß, brachte der alte Sellhausen seine Frau von Helgoland oder irgendwo da oben her mit – ich muß ja noch meine Briefe darüber zu Hause haben, wenn die Wische nicht abhanden gekommen sind. Ich will 'mal nachsehen – bei Gelegenheit.«

»Ja,« fuhr Baron Kranenberg fort, »in Helgoland, glaube ich, hat er sie kennen gelernt – war eine dumme Geschichte. Wie er aber dazu gekommen, weiß ich nicht mehr, es ist lange her. Er blieb beinahe ein Jahr oder noch länger mit ihr fort, und als er wiederkam, brachten sie den Jungen mit, der –«

»Der jetzt um ein Gut ärmer ist!« nahm Haas das Wort, dem das Brüderchen viel zu langsam sprach. »Nun ja. So mag es gewesen sein. Aber beweisen soll er mir noch, daß er nicht sein Sohn war. Der Schafskopf! Als ob das ein Mann überhaupt beweisen könnte.«

»O ja, das kann er, aber das Gegenteil nicht,« sagte Baron Grotenburg ruhig. »Doch laßt das jetzt, es ist ja auch ganz einerlei. Ich habe das Gut, und das ist der Humor davon!«

Soeben brachte man einen delikaten Rotwildrücken herein, der ebenfalls vom Kolkhofe stammte. Aller Augen bohrten sich darauf fest, und man war alsbald dabei, seine Mürbigkeit zu probieren, als die Tür aufging und zur Überraschung der Speisenden in reizender Sommertoilette die Baronin Grotenburg und Fräulein Klotilde erschienen, in deren Begleitung sich Herr von Bökenbrink befand, ein Trifolium, dessen Auftritt ein allgemeines Freudengeschrei verursachte.

»Haha, Kinderchen, Ihr habt gute Nasen und kommt gerade zur rechten Zeit!« rief Haas, rasch aufspringend und die Baronin zum Tische geleitend. »Ihr seht, wir sind die Herren vom Lande und haben die Fleischtöpfe Ä – Äthiopiens gefunden. Haha! Nun setzt Euch. So. Da sind Gläser – Kranenberg, schenk ein! Pilatus, setzen Sie sich auch und trinken Sie ein Glas auf das Wohl der Damen.«

Das geschah ohne Widerspruch und mit allerseits frohen Gesichtern. Man trank, man jubelte, und unterdes berichtete Baron Grotenburg seiner Gemahlin, was für Hindernisse er bis jetzt bei seinem Einzuge gefunden hatte. Die Baronin lächelte bitter dabei und trank zum Trost ein Glas Sekt nach dem andern, den sie mit dem Beiwort »er sei billig und also gut« bezeichnete. »Aber jetzt ist es vorbei, Grotenburg, nicht wahr?« fragte sie. »Nun sitzest du fest, wie, mein Alter?«

»Wie eine Bombe, die in weiches Holz gedrungen ist!« rief Baron Haas, der ihre Frage gehört hatte. »Haha! Pilatus – her mit dem Glase – hier gibt es genug von dem Zeug. Na, Kerlchen, Hammeljäger – hat die Dame da den armen Teufel auch begnadigt, den Sie totschießen wollten?«

Pilatus' XXII. Gesicht war wie mit Blut übergossen, Fräulein Klotilde aber rümpfte die Nase, stand auf und trat an ein Fenster. Plötzlich kehrte sie an den Tisch zurück und sagte: »Mir ist es zu warm hier, auch haben wir schon lange gegessen, Papa. Ich möchte in den Garten gehen und ein wenig mit meinen Blumen Bekanntschaft machen, von denen ich neulich ein so schönes Bukett erhalten habe.«

Pilatus sprang wie ein Champagnerpfropfen in die Höbe, aber ohne Bogen, in kerzengerader Linie. »Ich bin bereit, meine Gnädigste!« sagte er, mit untadelhafter Grimasse seinen Arm darbietend.

»Ich gehe mit,« rief die Baronin, wartet! Nur noch ein Glas. So. Auf Wiedersehen, meine Herren, aber haltet keine zu lange Sitzung, wir wollen nachher noch ein wenig die Wirtschaft inspizieren. Apropos, Grotenburg, du hast auch deinen Verwalter hier verloren? Sagtest du nicht vorhin so?«

»Leider, meine Liebe, ja!«

»Herr von Bökenbrink,« rief die Gnädigste. »Ein Wort! Sprachen Sie nicht vorher von einem jungen Mann, der ein tüchtiger Ökonom und dabei brotlos ist?«

»Ich wiederhole es, meine Gnädigste, er war früher mein Bursche, und ich empfehle ihn – auf Ehre!«

»Gut, schicken Sie ihn her, mein Mann kann ihn gebrauchen – hier ist eine Vakanz für solche Kreaturen.«

»Amalie!« rief Baron Grotenburg schmachtend, »du bist eine Perle! Ich küsse dir – die Hand!«

»Ich auch!« brüllte Baron Haas ihr nach, da sie, ihrer Tochter und Pilatus folgend, schon zur Tür hinaus stolzierte, als Besitzerin von Sellhausen noch einmal so hoch den Kopf tragend als früher. Und bald waren alle drei in den Garten getreten, um Klotildchens Blumen in Augenschein zu nehmen.

*

Nachdem die Damen von der Grotenburg nun auch nach Sellhausen gekommen waren, fühlten sich die drei Herren erst recht behaglich, da sie außer der frommen Theodolinde jetzt fast alles um sich wußten, was ihnen auf Erden lieb und teuer war. Die erhebende Gegenwart seiner Gemahlin und Tochter brachte aber namentlich auf den Baron Grotenburg in diesem Augenblick einen wohltätigen Eindruck hervor; in ihrer Nähe verlor sich allmählich die Beklommenheit ganz und gar, von der er noch kurz vorher, ohne sich eigentlich den Grund recht erklären zu können, beherrscht worden war, und er gab sich nun dem Genusse des Augenblicks, das heißt des Sekts, des Gesprächs mit seinen lieben Schwägern und dem noch viel größeren Genusse des allmählich wachsenden Bewußtseins seines neu errungenen Besitztums hin, in dem er sich von Stunde zu Stunde wärmer und heimatlicher werden fühlte.

Wenn Baron Grotenburg aber von keiner inneren Sorge mehr belästigt wurde, von der er sich nun schon seit Jahren fast niemals ganz frei zu ringen vermocht, so wachte auch gleich der Hochmut, ein ungebändigter Stolz und das Vollgefühl seiner freiherrlichen Würde in ihm auf. Denn dieser Mann war so seltsam organisiert, daß er entweder nur beklommen und still oder übermütig und hochfahrend sein konnte. An der Grenze der letzteren Eigenschaften war er jetzt angekommen, und seine ganze Umgebung trug dazu bei, sie bald vollständig überschreiten zu machen, um alle Welt empfinden zu lassen, wer und was er sei, wieviel er zu leisten vermöge und daß es nur wenige Menschen auf dem Erdboden gebe, denen der Wille des Schicksals einen gleich bedeutungsvollen Wirkungskreis zugewiesen habe.

So erging er sich denn jetzt mit wahrem Behagen in einer langen Aufzählung dessen, was er auf Sellhausen zunächst zu tun entschlossen sei. »Laßt es nur gut sein,« sagte er mit zurückgeworfenem Kopfe, die Brust mächtig aufblasend und sich dabei die Zähne stochernd, »laßt es nur gut sein, die Sache wird hier bald ein anderes Aussehen gewinnen, als sie heute morgen angetan schien. Laßt mich nur erst mein Getreide verkauft haben, dann jage ich alles Lumpengesindel vom Hofe, was nicht aus freien Stücken abgezogen ist. Sie sollen bald Respekt vor mir kriegen. Hollah! Kein Mensch soll mehr hier atmen, der von den ehemaligen Sellhäusern sprechen könnte, und ich werde schon das Gut nach meiner eigenen Ansicht auf eine Weise bewirtschaften lassen, daß Ihr Eure Freude daran habt. Die paar lumpigen Zinsen, die ich zu zahlen habe, spare ich mir vom ersten Frühstück ab, um so leckerer aber soll unser Mittagstisch werden, und die Abende wollen wir in dulci jubilo verbringen. Nicht wahr, Haas? Nun ja, du verstehst mich. Ha, Kinder, so haben wir es uns lange geträumt, und nun ist es da – ist das nicht prächtig? Daß der alte Sellhausen aber so wenig bar Geld hinterlassen würde, hätte ich nicht gedacht. Doch das ist der Grund, warum er nie von seinem Vermögen sprechen wollte. Er sagte nur immer: »Ich habe genug!« Und ich ländliche Unschuld verstand das so, als habe er übermäßig viel. Na, Champagner hat er freilich viel hinterlassen – gieß mir ein, Haas, du wirst doch das alles nicht allein trinken wollen?«

Während dieses mit hochmütigem Wesen gehaltenen Vortrags war, ohne daß es einer der bei Tische Sitzenden gehört, ein bescheidener Mietswagen langsam auf die Rampe gefahren, um einen vierten Gast in das Schloß zu bringen, den keiner der drei Anwesenden weder eingeladen noch erwartet hatte.

Es ging fast schon gegen Abend, wenigstens war die Sonne längst von den Fenstern des Herrenhauses gewichen, und da sich der Himmel zugleich mit leichtem Gewölk bedeckt hatte, so schaute das abnehmende Tageslicht nüchtern und trübe in das von Weindünsten und Zigarrenrauch verdüsterte Zimmer herein.

Baron Grotenburg wollte eben seinen glänzenden Vortrag weiter fortsetzen, als sein von den Geistern des Sekts leuchtendes Auge auf seinen Jäger fiel, der schon einige Zeit neben ihm stand und eine Verbeugung nach der andern machte, ohne daß sie von irgend einem der drei Herren wahrgenommen worden wäre.

»Was willst du, Mathias?« fragte endlich der Baron mit hoheitsvoll auf den hübschen jungen Menschen gerichteter Miene.

»Ich bitte um Entschuldigung, gnädigster Herr,« lautete die ergebungsvoll gesprochene Anrede, »aber da ist eben ein Mann gekommen, der Ew. Gnaden zu sprechen verlangt. Er sei schon auf der Grotenburg gewesen, sagt er, und man habe ihn hierher gewiesen.«

»Sprechen will er mich? Jetzt? Er ist wohl nicht recht gescheit! Und du auch nicht, daß du mir diese Bestellung machst, während ich bei Tische sitze.«

»Er habe aber wichtige Geschäfte, sagte er, Herr Baron, und er tut überhaupt sehr eilig.«

»Geschäfte? Wichtige? Warum nicht gar! Der Mann konnte keine üblere Zeit dazu wählen. Sein Gesuch ist abgeschlagen, ehe er es vorgetragen. Sag' ihm das, Mathias. – Und nun en avant, meine Lieben! Ambrosius, bei dir steht die Flasche jetzt ewig – gib sie her!«

Nach einigen Minuten, während die Herren tranken und lachten, kam Mathias jedoch etwas schüchtern wieder herein, stellte sich dicht neben den Baron und sagte:

»Gnädigster Herr, ich bitte um Verzeihung, aber der fremde Herr sagt, er müsse Sie unter jeder Bedingung sprechen, sein Geschäft dulde keinen Aufschub.«

»Oho!« rief der Baron stirnrunzelnd. »Es ist also ein Aufdringlicher, Dummdreister! Für solche Leute bin ich überhaupt niemals zu Hause – merke dir das – und jetzt am wenigsten.«

»Wie heißt denn die Kanaille, die sich so ungebeten zu Gaste ladet?« warf Baron Haas dazwischen, der schon wieder in halber Selbstvergessenheit auf seinem Stuhle hin und her wackelte.

»Das hat er mir nicht sagen wollen, ich habe ihn wiederholt nach seinem Namen gefragt, Herr Baron.«

»So soll er mir seine Karte schicken!« rief Baron Grotenburg ärgerlich. »Aber sieh zu, daß er sie mit Handschuhen anfaßt. So ist es Brauch unter anständigen Leuten. Weg – und wenn er Fersengeld gibt, schenk ihm einen Taler Trinkgeld von mir – ich bin Baron Grotenburg – zum Teufel!«

»Solch unverschämtes Volk!« brummte der stille Ambrosius. »Das wird alle Tage schlimmer. Läßt einen nicht mal mehr ungeschoren bei Tische sitzen!«

»Ach was!« rief der Erbe, »es ist ja gar nicht die Mühe wert, darum noch ein Wort zu verlieren. Weg ist er, und wir sind unsern ersten Taler auf Sellhausen los. Heida! Schenk' ein, Haas, und sitz' nicht selbst wie ein Duckmäuser da!«

»Donnerwetter!« schrie Haas. »Da ist der Kerl schon wieder. Was – und er bringt keine Karte?«

»Nein, Herr Baron, ich bringe keine,« sagte der Jäger, der mit immer verlegenerem Gesichte wieder hereinkam. »Der Herr hat keine Karte bei sich – Handschuhe hat er an – und gibt vor, Ew. Gnaden es Auge in Auge sagen zu müssen, wer er ist und was er will. Es sei eine äußerst dringende Angelegenheit, die keine Minute Aufschub dulde, sagt er.«

Baron Grotenburg rückte unmutig hin und her und schleuderte wütende Augenblitze ringsum, die aber niemanden trafen, noch weniger wehe taten. »Oho!« rief er mit mächtig zornigem Atemzug. »Ins Auge will er mir sehen? Nun, dazu kann Rat werden, und er soll seine Freude an dem blanken Spiegel haben. Führe den Menschen in das Zimmer da vorne und laß ihn warten. Ich werde zu ihm kommen, wenn meine Uhr die richtige Minute zeigt.«

Mathias ging wieder, unmerklich den Kopf schüttelnd, hinaus. Die Herren aber ließen sich noch immer nicht in ihrem Genusse stören, tranken und plauderten weiter, und fast schien es, nach der Länge der Zeit zu urteilen, die sie den Mann warten ließen, als hätten sie fast ganz seine Gegenwart und seine dringende Forderung vergessen.

Nach etwa zehn Minuten aber ging wie von selbst die Tür des Nebenzimmers auf, und durch den Spalt streckte sich ein menschlicher Kopf mit einem ernsten, blassen, aber scharf gezeichneten und geistreichen Gesicht, welches die Eigentümlichkeit hatte, beständig mit den Augenlidern zu zwinkern, so daß sie sich bald auf und zu taten und man das Auge dahinter fast gar nicht sehen konnte, während dieses selbst ganz vortrefflich die ihn anstarrenden Augen studieren konnte.

Dieses Menschengesicht, sobald es die im Zimmer vorgehende Tafelsitzung mit hastigem Blick überflogen, lächelte auf seltsam zurückhaltende Weise, die etwas Imponierendes hatte und ihre Wirkung auf die versammelten Herren auch nicht verfehlte. Wenigstens glaubte Baron Grotenburg einen eigenen Schauer durch seine Glieder rieseln zu fühlen, als er dies Lächeln sah und sich dabei vergebliche Mühe gab, in sein Gedächtnis zurückzurufen, wo ihm dieser merkwürdige Kopf schon einmal im Leben begegnet sei.

Alle sechs Augen der Schwäger blieben starr an dem langsam hereingleitenden Manne hängen, der sich nun, als er ganz sichtbar wurde, in höchst eleganter Kleidung und als ein mittelgroßer Mann mit ruhigen und feinen Manieren darstellte.

»Meine Herren,« sagte der Fremde mit einer klaren und durchdringenden Stimme, »ich bedaure, als Störenfried in Ihre muntere Gesellschaft zu dringen, aber ich muß notwendig den Herrn Baron Grotenburg in einer dringenden Angelegenheit sprechen, die keinen Aufschub duldet, und da derselbe nicht zu mir kommt, wozu ich ihn wiederholt einladen ließ, sehe ich mich genötigt, zu ihm zu kommen. In wem von Ihnen habe ich die Ehre, den benannten Herrn zu begrüßen?«

»Das bin ich,« sagte der Baron rauh, »und da Sie mir die Mühe des ersten Schrittes ersparen, denke ich dasselbe mit dem zweiten zu tun und bleibe also sitzen. Wen habe ich die Ehre vor mir zu sehen?«

Der Fremde richtete sich etwas stolzer auf, betrachtete den Sprechenden eine Sekunde lang mit festem Blick und sagte dann in höchst bescheidener Weise: »Ich bin der Justizrat Dr. Backhaus aus B...

Dieser Name mußte ein bedeutender sein, denn er brachte augenblicklich eine sichtbare Wirkung auf alle drei Schwäger zugleich hervor. Sie kannten den Namen, denn der Justizrat Backhaus war der gesuchteste Advokat der Umgegend, ein Mann von tiefer Gelehrsamkeit und unbestechlicher Rechtschaffenheit, der bei allen großen Geldangelegenheiten eine namhafte Rolle spielte und das unbedingte Vertrauen aller reichen Leute genoß.

»So,« sagte Baron Grotenburg etwas weniger hochfahrend, »nun kenne ich Sie, wenigstens dem Namen nach. Was wünschen Sie von mir?«

Der Justizrat hielt einen Augenblick inne, ehe er weiter sprach, und sah sich dabei gleichsam verwundert im Kreise um. »Soll ich denn in Gegenwart dieser Herren sprechen, die Sie mir nicht einmal vorgestellt haben?« fragte er ruhig.

»Sprechen Sie immerhin, es sind meine Schwäger!« erwiderte Baron Grotenburg fast grob, ohne sich einmal die Mühe zu geben, die Namen derselben zu nennen.

»Sie fordern es, und ich füge mich,« fuhr der bescheidene Mann auf seine stille, aber eindringliche Weise fort. »Nun denn – ich spreche. – Sie haben das Gut Sellhausen geerbt – mit Aktivis und Passivis – nicht wahr?«

»Ah, ist es das? Haben Sie vielleicht Auftrag, mir einen Verkauf desselben vorzuschlagen?«

Der Advokat lächelte geheimnisvoll und blickte nach einem Stuhle, der ihm bisher noch nicht angeboten war. Da er aber die anwesenden Herren gleich richtig taxierte, ihre Art und Weise vielleicht auch schon kannte, zog er ohne weiteres den Stuhl heran und setzte sich dicht zu dem Baron hin, an welchen sein Auftrag lautete.

»Nein,« sagte er, »bis jetzt habe ich diesen Auftrag nicht, aber er kann noch gegeben werden.«

»Wenn es das ist, was Sie von mir wollen, so bemühen Sie sich nicht weiter – dann sind Sie vergebens gekommen. Ich verkaufe das ererbte Gut nicht.«

»Das heißt,« sagte der Advokat, wiederum geheimnisvoll lächelnd, was die Situation für seine Zuhörer immer unheimlicher machte, »Sie dürfen es nicht verkaufen, ich weiß das wohl. Aber wie gesagt, darum handelt es sich jetzt nicht. Vielmehr handelt es sich darum« – und hier erhob sich die bisher sanfte Stimme zu einer schrecklichen Schärfe und Festigkeit – »daß ich mich Ihnen als Mandatar Ihres Gläubigers vorstelle und mich meines Auftrages dahin entledige, daß ich im Namen dieses Gläubigers zu Ihnen spreche: Herr Baron von Grotenburg! Ich kündige hiermit das ganze Kapital, welches als fremdes Eigentum auf dem von Ihnen ererbten Gute Sellhausen steht.«

Baron Grotenburg erschrak sichtbar, aber noch hielt er sich. Der Schlag war ebenso stark wie unerwartet, aber noch kannte er die Macht nicht, die ihn führte, und ebensowenig die Schärfe der Waffe, mit welcher derselbe auf ihn eindrang.

»So, so,« sagte er mit noch unterdrücktem Stöhnen, »Sie kündigen das fremde Kapital? Ist das alles?«

»So ziemlich. Sollte Ihnen das noch nicht genug sein?«

»Noch lange nicht. Ich weiß weder, wer mein Gläubiger ist, noch wie hoch sich das Kapital beläuft, welches er mir zu kündigen sich die Mühe gibt.«

»O, die Mühe ist so bedeutend nicht. Auch weiß ich wohl, daß Sie diesen Gläubiger erst kennen lernen werden, wenn Ihnen laut Bestimmung des bewußten Kodizills in fünf Tagen von heute an das Hypothekenbuch vorgelegt wird. Das ist aber auch Nebensache, der Name tut hierbei nichts. Hauptsache ist und bleibt die Kündigung und – die Höhe der Summe, die Ihnen gekündigt wird. Doch vielleicht erscheint Ihnen diese so gering, daß Ihnen auch das keine Verlegenheit bereitet?«

»Ich hoffe es, mein Herr,« sagte Baron Grotenburg mit bebenden Lippen. »Wie hoch – ja, wie hoch beläuft sich das auf dem Gute stehende fremde Kapital denn?«

Der Advokat lächelte geringschätzig, hob seine zwinkernden Augenlider ein wenig in die Höhe und sagte mit gleichgültigem Tone: »Bis vor acht Jahren belief sich das auf Sellhausen stehende fremde Kapital auf 50 000 Taler. Seit diesem Jahre – es war das Jahr des Neubaus – stieg es bis auf 80 000 Taler an. Das ist die ganze Kleinigkeit.«

Jetzt wußte Baron Grotenburg, wie stark die Macht und wie scharf die Waffe war, die ihn verletzte. Seine Fassung war vorüber, er sank bleich in seinen Stuhl zurück und sah eigentlich nichts um sich her. Alles schien ihm in einen gräulichen Nebel gehüllt, durch den nur von Zeit zu Zeit glühende Funken, gleich kleinen drohenden Blitzen, vor seinen Augen hin und her flogen.

Baron Kranenberg, bis mitten ins Gehirn getroffen, beugte seinen Kopf vornüber und schien ihn, als wäre er plötzlich zu schwer geworden, mit beiden Händen stützen zu müssen. Baron Haas aber – er wußte selbst nicht, wie es geschah – sprang, wie von einem Wirbelwind gefaßt, von seinem Sitze auf, taumelte, mit beiden Armen wie ein Ertrinkender um sich fahrend, auf das nächste Sofa hin und wälzte sich hin und her, als würde er von der heftigsten Kolik geplagt.

Es entstand eine lange unheimliche Pause, die zu unterbrechen der schreckliche Advokat am wenigsten geneigt schien. Er schaute nur aufmerksam rings um sich her und beobachtete mit merkwürdiger Gelassenheit die Wirkung, die seine Mitteilung, gleich einer mitten in den Feind einschlagenden Bombe, auf die noch eben so gemütlich Trinkenden hervorgebracht hatte.

Baron Grotenburg wollte zuerst sprechen, aber er vermochte es nicht. Die Stimme schien ihm in der Gurgel kleben zu bleiben oder ein Riegel sich vor seinen Mund geschoben zu haben. Er machte aber doch einige Ansätze, und endlich gelang es ihm, den Riegel wenigstens fortzuschieben. Stammelnd brachte er die Worte hervor: »O – ach – so! – Und in welcher Frist – geben Sie sich die Miene – mir dieses große – wollt' ich sagen, miserable Kapital zu kündigen?«

»Herr Baron,« lautete die mit einer sehr höflichen Verneigung gesprochene Antwort, »ich gebe mir nicht die Miene, sondern ich kündige wirklich in Form Rechtens und zwar –«

»Machen Sie's kurz, Mann!« schrie Baron Haas dazwischen, einen wild grollenden Blick auf den langsam redenden Advokaten werfend.

Dieser hob verwundert seinen feinen Kopf in die Höhe, sah den Kolkhofer Schwager eine Weile ruhig an und sagte gelassen: »Mein Herr, mit Ihnen habe ich gar nicht zu reden – wenigstens heute nicht – Sie sind mir ja nicht einmal vorgestellt. Mein Auftrag lautet allein an diesen Herrn.«

»Ja, ja,« stöhnte Baron Grotenburg. »Da hast du's! – Wann soll das Kapital gezahlt werden, lieber Mann?«

»Von heute, dem Moment der Kündigung an gerechnet« er zog die Uhr und sah darauf – »es sind zehn Minuten über einhalb sieben, in neunzig Tagen. So ward es verabredet und gerichtlich festgestellt, als die Summen geliehen wurden und so können Sie es in fünf Tagen auf dem Gerichte zu B... im Hypothekenbuche nachlesen. Und da wir nun so weit sind,« fuhr er, langsam aufstehend und aus seiner Brusttasche einen versiegelten Brief ziehend, fort, »so beehre ich mich, Ihnen, Herr Baron, diese meine gesprochene Kündigung auch geschrieben in aller Form Rechtens zu überreichen. Hier haben Sie sie. Sie ist von mir, dem Mandatar des Gläubigers, in seinem Auftrage unterzeichnet. Wir durften keine Stunde Zeit verlieren – Zeit ist Geld, wissen Sie – und so kam ich schon heute – in fünf Tagen werden Sie mich auch auf dem Gericht vorfinden. Dann alles übrige. Mein Herr Baron, ich habe die Ehre, mich Ihnen zu empfehlen.«

Er machte dem Baron eine tiefe Verbeugung und glitt wie ein schwarzer Schatten aus dem Zimmer, ohne von den beiden Schwägern die geringste Notiz zu nehmen, – die ihm nicht einmal vorgestellt worden waren, wie er gesagt. Hinter ihm aber schien plötzlich undurchdringliche Finsternis in dem bisher so lustigen und lichtvollen Speisegemach auszubrechen – es lag wie ausgestorben, öde und traurig da und – so mächtig war die Einwirkung des zauberhaften Advokaten auf alles darin gewesen, daß sogar der Champagner – in den Augen der Barone wenigstens – gemeines, ungenießbares Wasser geworden zu sein schien.

Baron Kranenbergs Kopf war ganz schwer geworden und völlig auf die matt daliegenden Arme gesunken, er stöhnte bloß. Baron Haas war einem Schlagfluß nahe und wälzte sich nur ächzend auf dem Sofa hin und her. Baron Grotenburg aber, obgleich am schwersten getroffen, hatte noch so viel Kraft, seine starren, entsetzt blickenden Augen von einem Schwager zum andern schweifen zu lassen, so daß ein Maler, wäre er gegenwärtig gewesen, einen charakteristischen Vorwurf für seinen Pinsel gefunden hätte.

Erst nach langer Zeit hob Ambrosius den kahlen Schädel in die Höhe und blickte sich, gleichsam um Hilfe flehend, nach den beiden anderen um. Haas, der plötzlich von krampfhaftem Schlucken heimgesucht wurde und nur dadurch verriet, daß noch Leben in ihm sei, versuchte wiederholt zu reden, konnte aber nicht, und endlich war es der glückliche Erbe, der mit einer Grabesstimme und in einer Art sprach, als wäre er mit einem Male der bescheidenste und duldsamste Mann geworden:

»Habt Ihr gehört, Kinder?«

Ambrosius nickte röchelnd, Haas aber sagte: »Ach ja!«

»Und was nun?«

»Familienrat! Familienrat!« stöhnte Ambrosius, sich möglichst ermannend.

»Ja – aber vor allen Dingen Geld, meine Brüder!« rief Baron Grotenburg. »Und wo und wie sollen wir so viel Geld auftreiben?«

» Wir?« fragte Haas naiv. »Warum denn wir? Das sehe ich noch gar nicht ein – du bist ja der Erbe des Gutes –«

»O mein Gott!« ächzte der Erbe – und zu seinem nicht geringen Schrecken traten soeben die Baronin, Fräulein Klotilde und Pilatus herein, die überaus lustig und guter Dinge waren, alle Hände voll Blumen hatten und sich ein Glas Champagner ausbaten, da sie alle zusammen sehr durstig wären.

Baron Grotenburg deutete matt nach dem Tische. »Nehmt,« sagte er mit schwacher Stimme, »da steht alles!«

»Aber was ist denn das?« fragte die Baronin erstaunt, ihre Blicke von einem auf den andern richtend. »Ihr seht ja alle drei wie niedergeschmettert aus? Habt Ihr Euch gezankt?«

»Ja,« murmelte Baron Haas, aufstehend und ihr entgegentaumelnd, »wir haben uns gezankt und sind damit noch nicht zu Ende gekommen. Es kann gleich noch schlimmer werden. Sie würden uns daher einen großen Gefallen tun, wenn Sie uns noch eine halbe Stunde allein ließen – nachher sollen Sie weiter hören.«

Die Baronin warf einen vorwurfsvollen Blick auf ihren Gemahl, den sie für trunken hielt, wie die beiden übrigen, goß sich dann ein Glas Champagner ein, trank es aus und verließ mit ihrer Tochter das Zimmer, der natürlich Pilatus XXII. als zweiter Familienschatten ohne besondere Aufforderung nachfolgte.

*

Die erste, immer fürchterliche Stunde nach einem Ereignis, wie das eben beschriebene, war glücklich vorübergerauscht, die tief erschütterten Lebensgeister der drei Männer hatten Zeit gehabt, sich zu erholen und, nach lebhafter Beratung untereinander, mit freierem Blick der Zukunft ins drohende Antlitz zu schauen. Sie saßen jetzt bei dem milden Scheine einiger Lampen um den abgeräumten Speisetisch, tranken ihren Kaffee und tauschten bei dem würzigen Duft der geerbten Zigarren ihre letzten Gedanken über das vorliegende Verhältnis aus.

Baron Haas hatte es kurz vorher übernommen, die Damen auf schonungsvollste Weise von dem Vorgefallenen in Kenntnis zu setzen, und diese Mühewaltung, die er freiwillig dem aus aller Haltung gekommenen Grotenburger Schwager abgenommen, war keine geringe gewesen. Die Damen, ebenso tief erschüttert, wie ihre Angehörigen, waren gleich darauf in den Wagen gestiegen und nach Hause gefahren, den Männern das Schlachtfeld und die Sorge überlassend, ihre Toten zu begraben und ihre Verwundeten möglichst sicher unterzubringen.

Auch Baron Grotenburg wollte ihnen später folgen, das hatte er schon verkündigt, denn der Aufenthalt auf Sellhausen, von dem er sich diesen Morgen eine so große Herzenserquickung geträumt, war ihm plötzlich verleidet worden, aus allen Ecken und Winkeln grinsten ihn unheimliche Gesichter von unbekannten Schuldforderern an und selbst der enterbte Adoptivsohn des Entschlafenen schien ihn wie ein Gespenst mit seinem ruhigen Gesicht und leuchtenden Auge anzuschauen, wenn auf irgend eine Weise desselben Erwähnung geschah.

Baron Kranenberg wollte mit dem Schwager das neue Gut verlassen, um in seinem stillen Hause eine gemütliche Meerschaumpfeife zu rauchen und eine kostenfreie Patience zu legen; nur Baron Haas hatte sich entschlossen, in Sellhausen, damit es nicht ganz verödet und ohne Aufsicht bleibe, einstweilen sein Hauptquartier aufzuschlagen, was ihm um so leichter durchzusetzen schien, da ja seine Köchin bereits in ihrem neuen Wirkungskreise Posto gefaßt hatte. Den jungen Verwalter, seinen früheren Burschen, hatte Pilatus schon am nächsten Morgen zu senden versprochen, die drei Schwäger wollten sich zu einer bestimmten Stunde an jedem Nachmittag auf Sellhausen treffen, um ihren permanenten Familienrat fortzusetzen, in der Zwischenzeit aber keine Minute sparen, um allen Kredit aufzubieten, alle Kräfte daran zu setzen, das fehlende Geld zusammenzutreiben und so das kaum errungene Gut für die Zukunft sich bewahren zu können.

So weit also war man schon in einer Stunde nach begonnenem Familienrat vorgeschritten und man muß gestehen, daß die drei Männer die kurze Zeit – wenigstens dem Umfange ihrer Entschließungen nach – gut genutzt hatten. Trotzdem nun aber die Stimmung derselben, so viel man sie nach ihrer äußeren Erscheinung beurteilen konnte, eine bei weitem ruhigere geworden war, so fiel doch insbesondere Baron Grotenburg als der zumeist Beteiligte, immer wieder in seine ersten Anfälle von Zerknirschung und Trostlosigkeit zurück, und namentlich die Höhe der Summe, die er, ohne zu wissen, wie es möglich sei, schuldig sein sollte, kam ihm fast keine Minute aus dem Kopfe.

»80 000 Taler!« rief er unter anderem plötzlich wieder. »Dieser Schurke, der alte Sellhausen! Mir einen solchen Bären aufzubinden – wie war das nur möglich! Wie hat er es angefangen? Der Mensch muß unverantwortlich gewirtschaftet haben, daß eine solche Summe nach so langer Zeit noch nicht abgetragen ist! O, da hätte er sich auch mehr einschränken können und das viele Zeug von Champagner und dergleichen nicht zu kaufen brauchen, wenn er nicht besser bemittelt war!«

Dieser neue Vorwurf schien Baron Haas wieder etwas beleidigt zu haben, und seine alte Hitze kehrte auf einen Augenblick in ihn zurück, obgleich er bis dahin ziemlich ruhig gewesen war. »Wie du so sprechen kannst, Grotenburg,« rief er, »das begreife ich doch wahrhaftig nicht. Das bißchen Sekt tut es doch wirklich nicht. Und wenn du dir das Ganze wohl überlegst, wirst du finden, daß der alte Graukopf noch immer gut genug für dich gesorgt hat.«

»Wieso denn? Das möchte ich mir doch vorrechnen lassen!«

»Ich bin bereit dazu – nur immer ruhig! Jetzt dürfen wir uns nicht ereifern, sondern der wilden Katze gelassen ins grüne Auge sehen. Ha! Hat er dir nicht ein Gut vermacht, das, wie du selbst sagst, seine 200 000 Taler unter Brüdern wert ist?«

»Nun ja freilich – aber weiter!«

»Na, dann ist die Rechnung doch leicht. Bruder Herz. Zieh die 80 000 Taler Schulden davon ab, dann bleiben dir noch immer 120 000 Taler übrig, die du verwirtschaften und wovon du dich leidlich ernähren kannst.«

»Aber Haas, so sei doch vernünftig, was helfen mir diese 120 000 Taler denn, wenn ich jene 80 000 nicht habe? Ich darf ja das Gut nicht verkaufen. Das ist es ja eben, und gerade in dieser verteufelten Bestimmung liegt die ganze Niederträchtigkeit.«

Haas dachte einen Augenblick nach, dann schmunzelte er still vergnügt vor sich hin und brach plötzlich mit dem mehr pfiffigen als höhnischen Ausruf hervor: »Ja, ja, ich verstehe es wohl. Wenn du nun aber infolge dieser Kündigung das Gut verkaufen mußt, dann hast du doch den Überschuß bar – ist das nicht klar?«

»Wie die Sonne, ja!« schrie Baron Grotenburg wütend. »Und bei dem Scheine dieser Sonne sehe ich, daß ich auf eine abscheuliche Weise geprellt bin. Denn unter diesen Umständen kommt Ihr beide am besten weg, da ich alsdann nicht nur dem verlaufenen Diplomaten 20 000 Taler bar von dem Überschuß geben, sondern den ganzen Rest mit Euch teilen muß.«

Baron Haas lachte laut auf, rieb sich vor Vergnügen die Hände und gab dabei Ambrosius einen zärtlichen Rippenstoß, daß dieser wie von einem neuen Bombenschuß zusammenfuhr. »Na.« rief er, »das wirst du doch nicht so griesgrämig beklagen? Gönnten wir dir doch das Ganze und du willst uns nicht einmal einen kleinen Anteil gönnen? Seit wann bist du so ganz Löwe geworden und hältst uns für Hunde, he? Ei, das ist nicht brüderlich. Bruder Herz, Gott verzeih mir die Sünde! Ich habe dich für einen besseren Schwager gehalten!«

Baron Grotenburg besann sich und schien sich den letzten Vorwurf als zutreffend zu Herzen zu nehmen. »Nun ja,« sagte er einlenkend, »von der Seite betrachtet, hast du recht. Aber daran dachte ich soeben nicht, denn mir geht alles wie ein Mühlrad im Kopfe herum. Doch das findet sich später, Hauptsache ist und bleibt für jetzt: Wo finden wir das Geld, was wir brauchen, um den ganzen Besitz für uns zu sichern?«

»Ah, wenn du so sprichst, bin ich der Alte – da hast du meine Hand. Und nun will ich dir sagen, daß ich einen guten Gedanken habe.«

Baron Grotenburg spitzte beide Ohren und sein gläsernes Auge blickte fast freudig bald Haas, bald Ambrosius an. »Sprich ihn aus, Haas,« rief er, »ich sauge ihn ein wie ein hungriges Kind die warme Muttermilch!«

»Nun ja – wir müssen also Geld haben. Unsere Freunde – hole sie alle zusammen der Teufel! – haben selber nicht übermäßig viel oder rücken nicht damit heraus, wenn sie es haben. Zu Juden und Heiden können wir nicht gehen und von Pontius zu Pilatus zu laufen, ist auch nicht angenehm. Apropos – Pilatus gibt gewiß wenigstens einige Tausend her, der kann es – und ich weiß einen Köder für ihn, der ihn in den Angelhaken beißen macht – aber das ist nicht die Hauptsache. Mir ist da mit einem Male der Meier zu Allerdissen eingefallen, der Hammelkönig. Der Kerl soll Geld haben wie Heu. Er kennt das Gut hier besser als einer und weiß, was es wert ist. Sollte der nicht geneigt sein, ein gutes Stück Geld zu geben, wenn man ihm unter der Hand einen Teil des Gutes – verpfändete?«

Baron Grotenburg atmete tief auf. Der Rat war nicht übel. Wenigstens bedacht konnte er werden. Aber da machte sich plötzlich ein bedeutsames Gegengewicht geltend. Sein edelmännischer Stolz, sein aristokratischer Hochmut empörte sich dagegen und er rief: »Ja freilich, Haas, aber ich – ich sollte zu einem Bauer gehen und ihn um Hilfe ansprechen?«

Haas lachte laut auf. »Narr du,« rief er, »was du für antidi – diabolische Bedenken hast! In Geldangelegenheiten gibt es weder Bauern noch Barone, weder Bürger noch Fürsten – darin sind wir alle gleich – wie Brüder, notabene, wenn es zu unserm Vorteil ist. Haha! Aber überlege dir das. Gib dem Kerl ein gut Wort und vielleicht greift er in seinen Beutel, wenn er einen kleinen Nutzen dabei sieht. Er ist auch ein Mensch und aus Knochen, Fleisch und Blut ob – obstruiert

Ambrosius nickte schon lange Beifall. »Ja,« sagte er, »ich stimme dir bei, Haas, aber ich weiß noch einen andern Vorschlag, wenn man sich doch einmal demütigen soll und muß. Ihr habt noch gar nicht an den alten grünen Pelz gedacht!«

Sowohl Haas wie Baron Grotenburg schauten verwundert auf und tauschten dann zustimmende Gesten aus. »Das läßt sich hören,« sagte letzterer, »aber wie kann man ihr beikommen?«

»Dafür weiß ich Rat!« schrie Haas. »Du hast neulich bei ihr nichts ausgerichtet, nun schick einmal deine Frau nach der Cluus. Die stammt ja von derselben Rasse und kann sich auch einmal bücken, ebensogut wie unsereins – nein, noch besser – es darf ihr diesmal auf einen Fußfall mehr oder weniger nicht ankommen.«

»Haas!« rief Baron Grotenburg entzückt, zumal er sah, daß er nicht selbst diesen Fußfall tun sollte, »Haas, das ist ein himmlischer Gedanke! Du bist doch ein gescheiter Kerl – ich muß dich bewundern. Ja, Amalie muß helfen, sie selbst muß ins Feuer und diesen Fußfall auf ihre graziöse Art ins Werk setzen – aber wie bringen wir sie dazu?«

»Na, du nicht!« rief Haas mit seinem alten Feuer. »Du bringst das freilich nicht fertig. Aber ich, Bruder Herz! Ich fange mit dem Fußfall bei ihr selbst an – mir kommt es darauf nicht an, ich lebe näher an der Erde als Ihr – und damit ist die rauhe Bahn betreten! Juchhe! Und jetzt hätte ich fast wieder Lust, mit dem Champagner anzufangen, der mir leider heute zu schnell verraucht ist!«

Die drei Schwäger sprangen freudig auf und umarmten sich. Der Familienrat hatte nochmals zu einem kühnen Entschlusse geführt und dieser Entschluß ließ die erregbaren Gemüter schon wieder in der Ferne einen mächtigen goldenen Berg sehen und auf diesen goldenen Berg hin begannen sie jetzt mit allen Kräften loszusteuern, ein Unternehmen, welches alle ihre früheren an Wichtigkeit übertraf und dem Auswerfen eines Notankers glich, wie ihn der verzweifelnde Seemann zum letzten Rettungsversuch zur Hand nimmt, wenn alle seine anderen Anker verloren gegangen sind.


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