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Wir saßen einst gemütlich zusammen, ein paar alte Offiziere a. D. und z. D. und etliche i. D. (denn so konjugiert man die Längstvergangenheit, Halbvergangenheit und Gegenwart in der Soldatengrammatik, die, wie der geneigte Leser weiß, immer noch etwas anders lautet, als der berühmte »Wurst«, den der Verfasser seinerzeit mit Inhalt und Einband sogar verlaboriert hat); also wir, das heißt die alten Herren und noch etliche vom »Volk außer Waffen«, saßen unter der schattigen Veranda eines alten herrschaftlichen Hauses. Die alten Herren hatten ihre Pfeifen angesteckt, und es dampfte wie in dem Tabakskollegium Friedrich Wilhelms I., gesegneten Angedenkens. Jeder hatte das Recht, frei öffentlich seine Meinung zu sagen und auch gründlich abfahren zu dürfen, wenn sie nicht stichhaltig war. Allmählich kam man auch auf die Vergangenheit zu sprechen, von alten Mären, Taten und Meinungen der Vorfahren, und von eignen Erlebnissen.
Der Abend flog dahin; wir wußten nicht wie. Es ist eigen, wie manchmal ein Gespräch so unscheinbaren Anfang nimmt, und am Schlüsse steht man vor etwas, was man nicht geahnt, und einer fragt den andern: »Wo hat's denn angefangen?« Manchmal blitzte die Freude aus den Augen, manchmal lachte der Mund – und wieder sah ich Tränen aus den alten Wimpern in den eisgrauen Bart fallen. Ein recht Gespräch führt in die Höhe und Tiefe, in die Zeit und in die Ewigkeit. Namentlich sind mir im Gedächtnis noch etliche Erinnerungen eines alten Generals, der jetzt nicht mehr unter den Lebenden weilt. Daheim zeichnete ich mir verschiedenes auf, mir und dem geneigten Leser zu Nutz, wenn er auch nicht des Königs blauen Rock trägt, darunter auch folgende Geschichte.
Es war tat Jahre 1756. Der siebenjährige Krieg hatte eben begonnen. Da stellte sich eines Tages bei dem Chef des preußischen Kürassierregiments » Aschersleben« ein blutjunges Bürschlein ein und trug bescheidentlich seine Bitte vor, in das Regiment aufgenommen zu werden. Der riesige Oberst schaute wie ein Goliath den kleinen David an, strich sich seinen großen Schnauzbart, stemmte beide Hände in die Seiten und lachte ganz ungeheuerlich.
»Was, Er will unter meine Kürassiere?« rief der Oberst und lachte noch einmal aus vollem Halse. »Er hat wohl noch keinen Gaul von nahem gesehen und will mit in den Krieg reiten?«
»Halten zu Gnaden, Herr Oberst,« sagte unerschrocken das Bürschlein, »ich kann auf dem größten Gaul sitzen, ohne daß er mich herunter kriegt.«
»So, wo hat Er denn das gelernt?« frug der Oberst.
»Bei meines Vaters Rossen, Herr Oberst.«
»Wer ist denn Dein Vaters
»Halten zu Gnaden, Herr Oberst – das sag' ich nicht!«
»Was, will Er mir wohl seinen Vater sagen? Ist Er nicht ehrlicher Leute Kind?«
»Gerade deswegen sag' ich's nicht. Denn wenn ich's sage, dann nehmen mich Euer Gnaden nicht.«
»Woher weiß Er das?«
»Nun, meine Eltern halten's nicht mit dem großen Könige und sind ihm spinnefeind. Aber ich halte es mit ihm und will unter ihm kämpfen.«
»Er ist wohl seinen Eltern fortgelaufen, he?«
»Nein, meinen Eltern nicht, aber dem Schulmeister. Ich hab's nicht mehr aushalten können, seit ich weiß, daß der König wieder in den Krieg muß.«
»Hör' Er, Er gefällt mir. Wie heißt Er?«
»Halten zu Gnaden, Herr Oberst, das sag' ich nicht. Erst wenn Euer Gnaden mir versprechen, daß Sie mich nehmen wollen, dann wird's gesagt.«
»Potz, Bomben und Granaten! will Er wohl Ordre parieren! Hab ich doch meinen Lebtag keinen so obstinaten Knirps gesehen. Aber hör' Er, Er gefällt mir doch und hat einen Schädel, auf dem die Oesterreicher trommeln werden. Reit' Er mir einmal was vor.«
Der Oberst rief seine Ordonnanz. »Den Rappen vorführen!« befahl er. Es war ein feuriges Tier, das mutig stampfte und wieherte.
»Aufsitzen,« befahl der Oberst.
Wie ein Blitz war der Bursche oben und hielt vor dem Obersten. »Nun reit' Er einmal einen sanften Trab, und dann mach' Er die Skala durch und geb' Er acht, daß ihm der Kerl nicht durchgeht.« Der Bursche ritt erst langsam, dann immer rascher, dann flog er dahin und kam in vollster Karriere angesprengt auf den Obersten zu und hielt einen Fuß breit vor ihm.
»Potz Mohrenelement,« rief der Oberst, »wo hat Er das gelernt?«
»Bei meines Herrn Vaters Rossen, Euere Gnaden,« sagte wieder trocken das Bürschlein.
»Hör' Er, Er kann dableiben. Aber nun sag' Er mir, wer Er ist.«
»Euer Gnaden geben mir aber das Ehrenwort, daß ich bleiben kaum«
»Will Er wohl? Nun ja – Er hat's. Sage Er nur, Er ist aber doch ein infamichter Schlingel mit seinem Parlamentieren.«
»Nun, mein Vater ist Oberstallmeister Seiner Durchlaucht des Herzogs von Weimar, und ich bin sein Sohn Julius und bin in kurfürstlich-sächsischer Schule Eleve. Aber da ich Euer Gnaden Regiment habe passieren sehen, hat mich's bis ins Herz hineingestochen, und Tag und Nacht bin ich gelaufen, bis ich Euch eingeholt.«
Der Oberst strich sich etwas bedenklich die Stirn, denn er dachte: Du könntest bei dieser Gelegenheit in die schwarze Küche fahren; dann überwand er aber sein Bedenken, als er auf den schwarzäugigen Burschen schaute, der ihn anblickte, als sollte er sagen: »Euer Gnaden werden doch nicht das Ehrenwort brechen?«
»Er kann sich einkleiden und einen guten Gaul geben lassen und ißt alle Tage an meiner Tafel. Abgemacht, rechts um! marsch!«
Kurz danach saß der Bursche auf dem Pferde, stattlich und schmuck. Er zeichnete sich bald so aus, daß er Junker ward und die Standarte des Regiments zu tragen bekam. Dem alten Fritzen begegnete aber in seinen Kriegen auch dann und wann einmal etwas Menschliches – nämlich, daß er geschlagen wurde. Schläft doch manchmal selber der große Dichter Homer, der die schönsten Verse gemacht hat, und ihm passiert, daß er hier und da einmal einen Vers nicht ganz sauber sechsfüßig hingedrechselt hat, so daß sich der Herr Professor wahrhaft darüber ärgert und gern einen Sechsbätzner gegeben hätte, wenn er besser geschrieben – warum sollte dem alten Fritzen nicht auch mal was passieren?
So kam die unglückliche Schlacht bei Kollin, wo Sachsen und Oesterreicher das preußische Heer umdrängten. Als die Sache verloren war, deckten die preußischen Kürassiere, mit ihnen das Regiment unseres Junkers, unter Ziethen und Seydlitz den unvermeidlichen Rückzug. Da schlägt in den Reiterknäuel eine Granate, die unmittelbar hinter unserm Junker krepierte. Davon kriegte nicht der Reiter, aber sein Gaul einen solchen Schrecken, daß er durchging und im wildesten Galopp gerade auf die feindlichen Linien losstürmte. So jagte der Junker, die Standarte in der Hand, mit sich und dem anvertrauten Heiligtum des Regiments der größten Schmach entgegen.
Da blitzte in ihm ein schneller, todesmutiger Entschluß auf. Schon nahe dem Feind, zieht er die Pistole aus dem Halfter, setzt sie dem Pferde hinter das Ohr und schießt unter sich das Tier zusammen. Das gab einen furchtbaren Sturz, da das Roß im vollsten Laufe war. Der Junker überschlug sich ein paarmal kam aber mit einigen heftigen Blaumälern und einer Wunde am Kopfe davon. Mit seinen halbzerschlagenen Knochen kroch er, begünstigt vom Pulverdampf und einer kleinen Bodenvertiefung, auf dem Leibe fort, indem er die Standarte hinter sich herschleppte, und kam an einen kleinen Bach mit Erlengebüsch, in welchem er sich versteckte. Die Feinde jagten ganz nahe an ihm vorüber, sahen ihn aber nicht. Als die Nacht kam, brach er den Kopf der Standarte und das auf Seide gestickte Wappen mit dem preußischen Adler ab, warf die Stange weg und barg Knopf und Fahnentuch unter seinem Kollett. In der Nacht trat er aus dem Bache heraus, in welchem er seine Wunde gewaschen, und zog allein durch das fremde Land, sich nach den Sternen richtend, dem Sachsenlande zu.
Am Tage suchte er die Wälder auf, in der Nacht wanderte er, oft angefallen von den Dorfhunden auf der Straße; von den Rüben auf dem Felde nährte er sich, nur einmal trieb ihn der Hunger in ein einsames Waldwärterhaus. Dort gab er sich für einen sächsischen Reiter aus, was er wegen seiner thüringischen Mundart leicht konnte. Er erzählte, wie er sein Pferd verloren und ergötzte sich, ohne zu mucksen, an dem Schimpfen seines Gastwirts, der an den Preußen kein gutes Haar ließ. Die mitleidige Waldbewohnerin legte ihm ein großes Pechpflaster auf seinen Schädel, den ihm zwar die Oesterreicher nicht eingeschlagen, den er sich aber selbst eingerannt, bereitete dem tapferen Vaterlandsverteidiger ein Mahl, steckte ihm die Taschen voll und entließ ihn mit den besten Wünschen.
Mit großer Schlauheit schlich er sich des Nachts durch die feindlichen Vorposten, die schlimmer waren als alle Dorfhunde und die auch gelegentlich nach ihm schossen. So gelangte er, wunderbar behütet, aber aufs äußerste erschöpft, nach zehn Tagen wieder bei dem Regiments an. Er meldete sich beim Obersten, zog unter dem Kollett die gerettete Standarte und den Knopf heraus.
Da stemmte der Oberst wieder beide Hände in die Seiten und sagte: »Junker, Er ist ein Tausendskerl, ich werd's ihm nicht vergessen. Einstweilen suche Er sich das beste Pferd aus meinem Stalle.«
Bald daraus wurde er Fähnrich, das ist so viel als heutigen Tages Sekondeleutnant.
Seine Eltern versöhnten sich mit dem kühnen, beliebten Junker, den alle auszeichneten. Nach dem Feldzuge diente er fort im Heere und galt als einer der kühnsten Reiter. Seinem Schutzpatron Seydlitz tat er gern das Reiterstücklein nach, zwischen den sausenden Flügeln einer Windmühle durchzureiten.
Noch ein Zug aus seinem Leben bezeichnet ihn. Seinen harten Kopf von Anno 1756 hatte er trotz der Schädelwunde doch noch behalten. Denn diesen innern, geistigen Schädel kann man selbst mit dem Hackbeil nicht klein kriegen, wenn er nicht von selber springt. Mit seinen Vorgesetzten stand er nicht auf dem grünsten Fuße, und da das Avancement selbiger Zeit im Frieden sehr schlecht ging, kam er auf allerhand schlimme Gedanken, daß der oder jener ihm nicht grün wäre. Gute Worte waren bei ihm entsetzlich teuer, und seinen Nacken wollte er nicht um einen Finger breit mehr beugen, was ihm durchaus nötig schien. So stand er denn auf jener fatalen Liste derer, die man mit Anstand los werden will. Heutzutage lobt man einen weg, wenn's nicht mit dem Wegtadeln geht, das war aber dazumal noch nicht Sitte. So bekam er, trotzdem er erst in dem Anfang der Fünfziger stand, ohne weiteres an einem schönen Tage zu seiner höchlichen Ueberraschung den Bescheid, daß er »wegen Invalidität« bei dem Kriegsministero zur Verabschiedung eingegeben sei.
In den nächsten Tagen konnte die Entscheidung des Königs eintreffen. Da wachte der alte Junker in dem Major wieder auf, und er faßte einen herzhaften Entschluß. Er nahm noch an dem Tage, da er jenen verhängnisvollen Bescheid erhielt, Urlaub, bestieg das beste seiner Pferde und ritt von seinem Garnisonorte weg direkt nach Berlin vor das Kriegsministerium. Dort ließ er vor demselben durch seinen Diener einen großen Karren aufstellen und setzte zur Mittagsstunde, in voller Uniform, hin und her über sein selbstgeschaffenes Hindernis hinweg. Jeder, der was vom Reiten versteht, weiß, daß dieses Kunststück, auf dem glatten Straßenpflaster ausgeführt, schon mehr in die höhere Reitkunst schlägt, und einen festen Schenkel und eine sichere Faust verlangt.
Natürlich sammelte sich ein großer Publikus bei diesem Schauspiel, das man ohne Entree sehen konnte, und auch die hohen Herren des Kriegsministeriums wurden aufmerksam und traten ans Fenster. Das wollte aber unser Major gerade und hatte sich schon mehrmals hinaufgewandt, um zu sehen, ob noch keiner der Herren vom grünen Tisch aufstehen wolle. Da gab er denn noch ein Extrastück zum besten für sie, warf dem Reitknecht die Zügel hin und stieg mit klirrenden Sporn die Treppe hinauf zu seinen männlichen Schicksalsparzen, die ihm den Lebensfaden abschneiden wollten, meldete sich als nach Berlin beurlaubt und fragte dann sehr höflich: » Halten mich die Herren etwa noch für invalide?«
Diese in dem Reglement nicht vorgesehene Art, seine Dienstfähigkeit zu beweisen, wurde zwar etwas ungewöhnlich befunden, aber sie war durchschlagend, und die Herren konnten sich einer gewissen Heiterkeit nicht enthalten und verließen ihren hohen Olymp und fühlten menschlich mit dem biederen, in kräftiger Haltung und mit offenem Auge dastehenden Reitermajor. Mag die Sache auch vor den König gekommen sein, – kurz, der Major wurde der allerhöchsten Gnade versichert und blieb im Dienste.
Nach einigen Jahren heiratete er und heiratete mit einem treuen Weibe zugleich ein schönes Rittergut. Da bat er freiwillig um seinen Abschied und erhielt ihn auch mit allen Ehren. Dort lebte er still, von seinen Reiterstücken noch erzählend, aber auf dem Gute mit eigener Hand einen Buchenhain pflanzend, in dessen Schatten er begraben sein wollte. Im Frieden seines Gottes ist er heimgegangen im hohen Alter.
»Oft bin ich an seinem Grabe im stillen Buchenhain als Knabe gesessen und habe des Standartenjunkers gedacht, seiner hingebenden Treue für den König und sein Heer, und seines harten Kopfes, seiner selbstgepflanzten Buchen und seines friedevollen Endes; denn dies Gut erbte seine Tochter, meine selige Mutter, und auf diesem Gut bin ich geboren.« So schloß der General.