Autorenseite

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

¿

Bauerntrotz.


Dort wo die große Ebene beginnt, welche bald durch weite Moore und Sümpfe, bald durch unfruchtbare Sand- und Haide-Strecken unterbrochen, sich über das ganze nördliche Deutschland hinzieht, ist sie nach Süden zu durch einige Hügel oder Bergketten begrenzt, welche man mit Recht als die letzten Ausläufer des Harzgebirges ansehen kann. Es sind freundliche, mit den schönsten Laubwäldern umgrenzte Berge, deren Gipfel sich kaum etwas über tausend Fuß über die Meeresfläche erheben.

Zwischen zweien dieser Bergketten, zwischen dem Elme und der Asse, erstreckt sich ein weites und liebliches Thal, das in der Geschichte große Bedeutung erlangt hat. Bis in dieses Thal erstreckte sich einst die alte Völkerschaft der Herzynen, deren kräftiger wilder Stamm die rauhen Harzgebirge bewohnte. Dieses Thal wählte sich einst Karl der Große zur Heerstraße, als er zur Unterdrückung der Sachsen ins Feld zog, und noch sind hier die Ueberreste von drei festen Lagern, welche er aufschlug, vorhanden. Einige Jahrhunderte später erhoben sich in diesem Thale und auf den Bergen zu beiden Seiten zahlreiche Burgen und feste Schlösser, deren Ruinen zum Theil noch jetzt in das Land hineinschauen. Mancher kühne Ritterkampf ward in diesem Thale bestanden, mancher glückliche Raubzug ausgeführt.

Als die Reformation ausbrach, nahm auch dieses Thal seinen Antheil daran, denn in ihm wurde Tetzel erschlagen, als er nach Königslutter zog. Wieder um ein Jahrhundert später, ward dieses Thal von allen Schrecken und Verwüstungen des dreißigjährigen Krieges heimgesucht, und manches Dorf, welches in dieser fruchtbaren Gegend entstanden war, wurde in jener Zeit verwüstet und jetzt kennt man nur noch die Namen derselben und bezeichnet die Stätten, wo sich einst friedliche Dörfer erhoben. Will man zu der geschichtlichen Bedeutung und dem Ruhme dieses weiten Thales noch etwas hinzufügen, so braucht man nur daran zu erinnern, daß es die Wiege des Till Eulenspiegel ist.

Von all diesen geschichtlichen Ereignissen weist das Thal jetzt außer einigen alten Burgruinen freilich wenig auf. Dann und wann stößt der Pflug des Landmanns wohl noch auf eins der zahlreichen Hünengräber, oder auf eine alte Münze, oder einen silbernen Sporen, oder verrostetes Waffenstück aus der Ritterzeit – das ist Alles. Aeußerlich gewährt das Thal einen durchaus friedlichen und anmuthigen Anblick. Zahlreiche blühende Dörfer erheben sich in ihm und schauen mit ihren rothen Dächern lachend aus den sie umgebenden Gärten und Baumgruppen hervor. Ueppig grünende Wiesen, welche ihrer Länge nach von einer Eisenbahn durchschnitten sind, ziehen sich in dem Thalgrunde hin, an beiden Seiten von fruchtbaren Ackerfeldern begrenzt, deren Boden an Güte keinem anderen nachgibt.

Man muß dieses Thal sehen, wenn die Zeit der Ernte naht, um sich einen Begriff von der Fruchtbarkeit und dem Reichthum des Bodens zu machen. Weizenfelder reihen sich an Weizenfelder, und die langen, schwer niederhängenden Aehren deuten den reichen Ertrag an. Man bemerkt indeß aber auch auf den ersten Blick an den wohlerhaltenen Wegen und Gräben, an den sorgfältig bestellten Feldern, daß die Kultur hier nicht zurückgeblieben ist, und daß die Hand des Landmanns keine Mühe scheut, um den Segen, den der Boden bietet, zu erringen.

Deutlicher fällt der Reichthum dieser Gegend noch in die Augen, wenn man in irgend eines der zahlreichen Dörfer eintritt. Die großen und stattlichen Bauergüter, die sorgfältig gepflegten Straßen, selbst die schmucken, freundlichen Häuser der ärmeren Bewohner zeigen genugsam, daß wirkliche Armuth hier nicht zu finden ist. Erstaunt bleibt der Fremde oft vor manchem Bauerhofe stehen und betrachtet den Reichthum und Luxus, der sich auf demselben verräth, denn der reiche Bauer dieser Gegend ist stolz auf seinen Stand und sein Geld und trägt seinen Reichthum gern auf seine Weise zur Schau.

Es ist ein kräftiger derber Menschenschlag, der diese Gegend bewohnt. Die äußerliche Kultur der Städte und Stadtbewohner hat auf ihn noch wenig Einfluß geübt, er weiß, daß er reicher ist als der Städter und stellt sich deshalb auch über ihn. Er ist stolz auf seinen Stand, fühlt sich als Bauer und will auch ein Bauer bleiben.

Es liegt in diesem Stolze und festem Vertrauen auf den Grundbesitz etwas Richtiges und Wahres, nur verliert es viel von seiner Achtung durch die Offenheit, ja durch den Hochmuth, womit es zur Schau getragen wird. Der reiche Bauer liebt es, mit seinem Reichthume zu prunken, er will sich bewundern, zugleich aber auch beneiden lassen.

Bei aller Derbheit und Kraft liegt in dem Charakter des Bauers zugleich eine unverkennbare Schlauheit und ein Mißtrauen gegen Andere. Durch seinen Stolz und das starre Festhalten an dem Althergebrachten ist auch sein Charakter in vieler Beziehung starr und eigensinnig geworden. Er ist selbstsüchtig, betrachtet Alles nur von seinem eigenen Standpunkte aus und ist deshalb gegen Alles, was diesem Standpunkte irgend wie zuwider läuft, mißtrauisch. Gute Schulen, welche für die geistige Bildung des Bauernstandes in dieser Gegend unendlich viel gethan haben, sind nicht im Stande gewesen, diese gleichsam angeborenen Charakterzüge zu verwischen, selbst nur zu mildern. Der Bauer will nicht anders sein und werden, und an diesem Willen scheitert jeder Versuch.

Auf einen dieser reichen Bauerhöfe führt uns unsere Erzählung, es war die Besitzung des Ackermanns Heinrich Sante.

Der Reichthum, Stolz und die Prunksucht des Besitzers prägten sich in vielen Aeußerlichkeiten des Hofes aus. Auf den beiden hohen und massiven steinernen Thorpfosten, an welchen die Flügel des eisernen Thores hingen, lagen zwei aus Erz gegossene Löwen, welche dem Eintretenden ernst und würdig entgegenblickten. Der Hof war groß und sorgfältig gepflastert. An zwei Seiten, zur Rechten des Eintretenden und dem Thore gegenüber lagen die Scheuern, Ställe und Wirthschaftsgebäude, zur Linken erhob sich das neue und stattliche Wohnhaus. Ueber demselben ragte ein hoher, thurmähnlich gebauter Taubenpfeiler hervor, auf dem das lustige Taubenvolk ein- und ausflog, und die Spitze dieses Taubenpfeilers zierte eine mächtige und lautknarrende Wetterfahne, die mit goldenen Buchstaben und einem gewissen Stolze schon von fern den Namen des Besitzers anzeigte.

Für den ersten Augenblick konnte man wähnen, den Hof eines Rittergutes oder einer Domäne betreten zu haben, aber mehrfache Kleinigkeiten verriethen sofort, daß man man sich nur auf dem Gute eines reichen Bauers befand. Das auf der dem Hause gegenüberliegenden Scheuer befindliche Storchnest machte einen friedlichen und ländlichen Eindruck, aber diesen Eindruck störten wieder die neuen mit grellem Roth angestrichenen Thüren der Wirthschaftsgebäude und die mit gleich grellen Farben angebrachten Verzierungen an der Scheuer und dem Wohnhause, welche alle nur den Zweck hatten, den Namen des stolzen und reichen Besitzers zu verkünden.

Die Sauberkeit und Ordnung, welche überall auf dem Hofe herrschte, konnte weniger überraschen, da sie auf den meisten Bauerhöfen dortiger Gegend zu finden war, wenn auch nicht in einem gleichen Grade. Trat man in das Haus, so fand man auf der großen geräumigen Hausflur dieselbe Sauberkeit, ja selbst einen gewissen Luxus.

Um so mehr mußte man aber überrascht sein, in der großen Wohnstube ein gemeinsames Zimmer für die Familie des reichen Ackermanns und sein Gesinde zu finden. Es war gemeinsam für beide Theile und doch wieder streng getrennt. In der der Thür zunächst gelegenen Ecke stand ein großer schwerer Tisch von Eichenholz, an dem Fenster und der Wand neben ihm waren Bänke – das war der Platz für das Gesinde, wo es unter den Augen des Ackermanns die Mahlzeiten einnahm. Ueber diesen Platz hinaus wagte keiner des Gesindes zu treten. Der übrige Raum des Zimmers war für die Familie des Herrn, und er zeigte alle Bequemheiten und allen Luxus, wie ihn der Reichthum des Ackersmanns gestattete. Von dieser althergebrachten Sitte, das Wohnzimmer mit dem Gesinde zu theilen, war der Ackersmann Heinrich Sante trotz aller Bitten seiner Frau und seines Sohnes nicht abzubringen, denn so war es bei seines Vaters und Großvaters Lebzeiten gewesen und so sollte es bleiben. Und er war nicht der Mann, den Bitten Anderer nachzugeben, wenn sie nicht seinem eigenen Wunsche entsprachen.

Er vereinte in sich alle Vorzüge, aber auch alle Mängel eines reichen und stolzen Bauers. Derb und kräftig in seinem Auftreten, entschlossen und seinen Grundsätzen getreu in seinem Handeln, war er zugleich eigensinnig bis zur Halsstärrigkeit und stolz bis zum Hochmuthe. Mit unermüdlichem Fleiße und den Erfahrungen und Kenntnissen, welche er von seinem Vater überkommen, hatte er seine Felder bestellt und seine Wirthschaft geführt, aber über diese Erfahrungen und Kenntnisse war er auch nicht um einen Schritt hinausgegangen, sie waren nach seiner Ansicht vollkommen, und hartnäckig wies er jede Neuerung zurück, denn er war ein Feind von Allem, was von dem Althergebrachten abwich. In dieser Hartnäckigkeit wurde er noch durch den Umstand befestigt, daß er viel Glück gehabt hatte, aber dies Glück erkannte er nicht an, sondern schrieb Alles sich selbst zu.

In seinem ganzen Hauswesen lag etwas Patriarchalisches. Er war der alleinige Herr, nur sein Wort, hatte Geltung und seine Strenge ging oft in Härte über. Seine Frau sah ihn als ihren Herrn an, dem sie folgen mußte, und selbst seinem einzigen Sohne, den er innig liebte, stand er nur als Herr gegenüber, denn obschon derselbe bereits einige zwanzig Jahre alt war, räumte er ihm nicht die geringste Selbständigkeit ein. Er mußte bei ihm dienen wie ein anderer Knecht, mußte wie dieser die ihm aufgetragene Arbeit vollbringen und empfing wie dieser regelmäßig seinen Lohn. So lange der Ackermann Herr seines Hofes war, wollte er auch alleiniger Herr sein; so hatte es auch sein Vater gehalten und so war es in der Ordnung.

Das Gesinde trat in diesem Augenblicke aus der Wohnstube von der Mittagsmahlzeit und die Knechte gingen lachend und scherzend über den Hof zu den Ställen. Wer mit dem Leben auf diesem Hofe näher bekannt war, konnte daraus mit Gewißheit schließen, daß der Ackermann nicht daheim war, denn nimmer würden sie es sonst gewagt haben, an einem Werktage so laut und lustig zu sein. Der Herr liebte das nicht, er wollte Ernst und Ruhe bei der Arbeit, das wußten sie recht wohl.

Es war auch so. Von seinem Sohne hatte sich der Ackermann an dem Morgen in die Stadt fahren lassen, da an diesem Tage die Entscheidung eines langjährigen Prozesses, den er mit seinem Nachbar, dem Ackermann Lüddeke, über ein Stück Land geführt hatte, eröffnet werden sollte. Mit stolzer Ruhe und der festen Hoffnung, den Prozeß zu gewinnen, war er am Morgen fortgefahren und erst am Nachmittage wurde er zurück erwartet.

»Mich soll's wundern, ob der Herr den Prozeß gewinnen wird,« sprach der Großknecht zu seinen Mitknechten, welche sich behaglich auf einer Bank vor dem Stalle niedergelassen hatten – »mich soll's wundern. Ich glaub', er ist in seinem Rechte, aber bei dem Gerichte geht's nicht immer nach dem strengen Rechte zu. Da gilt auch Gunst und Advokatenlist.«

»Mir gilt's gleich,« erwiderte einer der jüngeren Knechte, »mag er ihn gewinnen oder nicht. Er hat Land genug, da kann ihm an dem kleinen Felde nicht viel gelegen sein.«

»Du sprichst wie Du klug bist« – entgegnete der Großknecht. – »Nicht an dem Felde ist's dem Herrn gelegen, sondern an dem Rechte, und ich sage Euch, wenn er heute Recht bekommt, dann gibt's für uns morgen einen leichten und lustigen Tag.«

»Ha, ha« – lachte der andere Knecht – »meinst Du, daß er aus einem Arbeitstage einen Feiertag machen wird? Das wär' gewiß das erste Mal in seinem Leben, und ich glaub's nicht.«

»Ich denk', ich kenn' ihn besser als Du« – erwiderte der Großknecht – »und ich bleibe dabei, was ich gesagt habe. – Wer kommt dort?« – fügte er hinzu, indem er mit der Hand auf die Landstraße zeigte, wo ein Wagen rasch und den Staub aufwirbelnd dahergerollt kam. – »Ich glaube wahrhaftig, es ist der Herr schon wieder.«

»Das wäre zeitig« – warf der Andere ein.

»Er ist's« – rief der Großknecht. – »Und der Alte fährt selbst, da setzt es nichts Gutes, ich kenne ihn. Seht wie er die Schwarzen ausgreifen läßt, was sie laufen können, das ist seine Art, wenn's in seinem Kopfe unruhig hergeht. Macht, daß Ihr in den Stall und an die Arbeit kommt, heute ist mit dem Alten nicht zu spaßen.«

Die Knechte erhoben sich rasch und eilten in den Stall. Gleich darauf bog der Wagen durch das Thor in den Hof ein. Der Ackermann hatte die Zügel in der Linken, die Rechte hielt die Peitsche fest. In raschem Trabe ließ er die Pferde über den Hof gehen und ohne eine Muskel seines finster blickenden Gesichtes zu rühren, zog er vor der Thür des Hauses die Zügel so plötzlich und kräftig an, daß die Gäule vorn emporstiegen und fast übergeschlagen wären, aber sie standen.

Ohne den Gruß des herbeieilenden Großknechtes zu erwidern, warf er ihm schweigend die Zügel zu, sprang rasch von dem Wagen hinab und schritt die Stufen zur Hausthür hinan. Dort blieb er einen Augenblick stehen und blickte sich um nach seinem Sohne, der ihm folgte und die Pferde der Pflege des Großknechtes überließ.

»Bist Du nicht alt genug geworden, die Pferde selbst auszuschirren!,« – herrschte er ihn an – »gib ihnen ihr Futter und nachher geht's mit ihnen an die Arbeit!«

Schweigend, wenn auch mit unwilligem Gesichte gehorchte der junge Mann dem Befehle seines Vaters; er hatte nicht den Muth, ihm entgegen zu handeln.

Der Ackermann schritt in das Haus und die Stube. Seine Frau trat ihm entgegen. Der finstere Blick ihres Mannes verrieth ihr sogleich, daß der Ausgang des Prozesses ein unglücklicher gewesen, und doch wagte sie nicht darnach zu fragen. Sie reichte ihm die Hand zum Willkommen dar, aber er bemerkte sie nicht, denn die Augen starr und finster auf den Boden geheftet, schritt er langsam, die Hände auf den Rücken gelegt, im Zimmer auf und ab.

Er war eine große, stattliche Figur, von ungefähr fünfzig Jahren. Die breiten Schultern, der starke Nacken und die Kraft, welche sich in jeder Bewegung ausprägte, gaben der ganzen Gestalt etwas Imponirendes und Befehlendes. Er trug den Kopf gewöhnlich stolz und gerade, nur in diesem Augenblicke war er, wie von einer schweren Last niedergedrückt, etwas gebeugt. Das Gesicht war sonnengebräunt, die Stirn fest und hoch, und in dem Blicke der dunkeln Augen lag, etwas Gebietendes und Strenges. Die ganze Erscheinung des Mannes machte den Eindruck, als ob er sagen wollte: »Ich bin der Ackermann Heinrich Sante und ich weiß, daß ich es bin.«

Die Frau warf einen besorgten Blick auf ihren Mann, und die finster zusammengezogene Stirn desselben preßte einen schweren Seufzer aus ihrer Brust hervor, denn sie wußte, daß nun schwere und kummervolle Tage folgen würden. Er theilte seinen Kummer und Gram nie mit. Still verschloß er ihn in seiner Brust und zehrte ihn langsam auf, ohne daß darüber ein Wort über seine Lippen kam; aber während solcher Zeit war sein Herz gegen alles Andere fest verschlossen, er war dann hart und unnachgiebig, und lieber würde er selbst zu Grunde gegangen sein, als daß er sich nur um ein haarbreit dem Willen eines andern gefügt hätte.

Schweigend verließ die Frau das Zimmer, und als sie auf die Hausflur trat, kam ihr Sohn ihr entgegen. Sie winkte ihm und zog ihn mit sich in ein kleines Zimmer, welches für Besuche oder festliche Gelegenheiten in Bereitschaft stand.

»Was hat der Vater nur, Gottfried?« – fragte sie, nachdem sie die Thür verschlossen hatte. – »Gewiß ist der leidige Prozeß unglücklich ausgefallen!«

»Es wird so sein, ich weiß es nicht« – erwiderte der Gefragte, auf dessen Gesichte sich der Unwille über die Härte seines Vaters offen ausprägte. – »Seitdem der Vater vom Gerichte gekommen ist, hat er kein Wort mit mir gesprochen.«

Die Frau schüttelte mißbilligend mit dem Kopfe.

»Ich ertrage diese Härte des Vaters nicht länger mehr, Mutter!« – fuhr der junge Mann fort, indem er seinem bis dahin stets geheim gehaltenen Unwillen endlich Luft machte. – »Ich ertrage es nicht mehr. Wie ein Knecht werde ich behandelt, wie ein Taglöhner gescholten, wenn nicht Alles nach des Vaters Sinne geht, und doch bin ich sein einziger Sohn und Erbe.«

»Er ist Dein Vater!« – entgegnete die Frau, indem sie ihn zu beruhigen suchte. – »Er hat wohl ein hartes und schroffes Wesen, aber er meint es nicht so und hat Dich lieb. Weil er es bei feinem Vater eben so gehabt hat, meint er, müsse er es auch so halten. Du kennst ja den Vater, Gottfried, du weißt, daß er von Herzen gut ist.«

»Ja, nur gegen mich nicht« – warf der Sohn ein. – »Sieh, Mutter, der Konrad Lüddeke ist noch jünger als ich, und der ist Herr auf seinem Hofe. Niemand hat ihm etwas zu sagen, und ich, ich bin nur ein gewöhnlicher Knecht, weiter nichts!«

»Du vergißt, daß Lüddeke's Vater gestorben ist, und daß er nun den Hof selbst angenommen hat« – erwiderte die Mutter ruhig. – »Sieh', wenn dein Vater stürbe, würde es mit Dir eben so sein – doch Gott möge uns vor einem solchen Unglück behüten!«

»Das ist es auch nicht, was ich meine und wünsche« – entgegnete Gottfried. – »Ich verlange nur, wie ein Sohn dazustehen und nicht wie ein Knecht. Wenn der Vater von mir nichts weiter will als Knechtsdienste, die kann er von jedem Andern auch haben, und ich kann überall um Lohn dienen, dazu brauche ich den Vater auch nicht.«

»Sprich nicht so, Gottfried« – sprach die Mutter, ruhig zurecht weisend – »Du bist ja doch unser Kind und Sohn, und wenn Du einmal geheiratet hast, dann wird Alles anders, dann wird der Vater den Hof an Dich abgeben, und Du kannst schalten und walten wie Du willst.«

Ueber des jungen Mannes Gesicht flog eine leichte Röthe, gleichsam als ob diese Worte einen Gedanken in ihm erregt hätten, den er geheim zu halten wünschte. Um den Eindruck dieser Worte zu verbergen erwiderte er leichthin: »Damit hat's noch Zeit. Der Vater sieht mir noch nicht darnach aus, als ob er Lust hätte, sich zur Ruhe zu setzen. Das vermöchte er nicht auszuhalten, denn er ist an das Herrschen und Befehlen gewöhnt.«

»Du thu'st dem Vater Unrecht, Gottfried« – fiel die Mutter ein. – »Ich weiß, daß er im Stillen schon daran gedacht und sich nach einem Mädchen umgeschaut hat, welches zu Dir als Frau paßt. Du weißt, er spricht nur nicht viel über solche Sachen.«

»Das ist auch nicht nöthig« – erwiderte der Sohn. – »Was diesen Punkt anbetrifft, Mutter, so werde ich schon selbst mich umschauen und wählen, wenn's an der Zeit ist. Dies ist meine Sache. Der Vater braucht sich darüber keine unnöthigen Sorgen zu machen, es möchte sonst leicht kommen, daß sie umsonst gewesen wären. Ich muß mit meiner Frau leben, ich will sie deshalb auch wählen – das ist meine Meinung.«

Die Mutter hatte ihren Sohn erstaunt und zugleich erschrocken angehört; denn noch nie hatte sie so entschiedene und selbständige Worte aus seinem Munde vernommen. Sie selbst war daran gewöhnt, jedem Wunsche und Willen ihres Mannes nachzukommen, und nie war ihr der Gedanke in den Sinn gekommen, daß ihr Sohn, so lange er nicht selbständig, einen anderen Willen als ihr Mann haben könne. Sie war erschrocken, weil sie daran dachte, wie unerschütterlich fest und hartnäckig ihr Mann war, wenn Jemand seinem Willen entgegen zu treten wagte.

»Du weißt, wie der Vater ist« – sprach sie zu ihrem Sohne – »er duldet nimmer einen Widerspruch. Doch es ist auch nicht Dein Ernst, was Du gesprochen hast.«

»Doch Mutter, es ist mein voller Ernst« – erwiderte der Sohn. – »Mag der Vater immerhin ein Mädchen für mich auswählen, ob ich es aber zu meinem Weibe nehmen werde, das kommt auf mich an, und dazu vermag mich Niemand zu zwingen. Das ist meine feste Meinung.«

Die Frau schüttelte bedenklich und betrübt den Kopf, denn eine Reihe trüber und finsterer Tage zog wie eine Ahnung vor ihrem Geiste vorüber. Der junge Mann verließ das Zimmer und ging auf den Hof, um an die Arbeit zu schreiten.

Fast in demselben Augenblicke trat auch der Ackermann vor die Hausthür und ließ sein Auge finster und spähend über den Hof hinschweifen, als suche er nach einem Gegenstande, an dem er seine erbitterte Stimmung auslassen könne. Denn wie es in seinem Innern gährte und stürmte, das verriethen seine gerötheten Wangen und die finster zusammengezogenen Brauen. Aber ein Jeder hütete sich, ihm eine Veranlassung zum Unwillen darzubieten, denn daß ihm etwas Bitteres durch den Kopf fuhr, das hatten ihm alle längst angesehen.

Der Ackermann bot in diesem Augenblicke, wie er auf den erhöhten Stufen vor der Hausthür dastand, wirklich einen imposanten Anblick dar. Seine große, stattliche Gestalt stand so fest und ruhig da wie eine Statue, er trug den Kopf wieder gerade und befehlend und seine Brust war von Stolz gehoben.

Eben war er im Begriff, von den Stufen herab auf den Hof zu schreiten, als sein Gegner der junge Ackermann Konrad Lüddeke mit lautem Jubel vor dem Hofe vorüberfuhr und so die Befürchtung Aller, daß der Ackermann den Prozeß verloren, zur Gewißheit machte.

Sante hatte seinen Gegner kaum erkannt, als sich sein Gesicht noch mehr röthete. Er schritt in das Haus zurück und warf die Thür so heftig hinter sich zu, daß es laut dröhnend durch das ganze Haus hallte. Und so finster schritt er in dem Zimmer auf und ab, daß an diesem Tage Niemand wagte, ein Wort an ihn zu richten.

Es war nicht der Verlust des kaum zwei Morgen großen Ackers, der durch den Prozeß seinem Gegner zugesprochen war, was Sante so bitter kränkte. Hätte er auch das Stück Feld gern besessen, weil es unmittelbar hinter seinem Garten lag und sein Feld von dem Garten trennte; wäre es ihm auch lieb gewesen, wenn dieses Stück Acker sein Besitzthum mehr abgerundet hätte, weil er dann unmittelbar aus seinem Garten auf sein Feld getreten wäre, welches er anders nur auf einem Umwege durch das Dorf erreichen konnte. Dies Alles würde er leicht verschmerzt haben, wußte er doch ohnehin, daß er dieses Feld für ein paar hundert Thaler sich zu eigen machen könne und was war ihm an ein paar hundert Thalern gelegen. Aber sein Stolz war durch den Verlust des Prozesses schwer gekränkt und das ging ihm bitter an's Herz.

Auch dies würde ihn nicht so schwer betroffen haben, hätte er nicht schon mit dem verstorbenen Vater des jungen Lüddeke in unversöhnlicher Feindschaft gelebt. Beide waren in demselben Alter gewesen, waren als Nachbarkinder mit einander aufgewachsen, aber schon früh hatte sich die Verschiedenheit ihrer Charaktere gezeigt. Während Sante, ein echter Bauernsohn, fest an dem Althergebrachten und von seinem Vater Ueberkommenen hielt, während er stolz auf seinen Stand und Reichthum war, war Lüddeke gerade das Gegentheil. Er glaubte dem Fortschritt zu huldigen, indem er. jede Neuerung sofort, und zu seinem eigenen Nachtheile oft voreilig und ungeprüft annahm, bis es er sie endlich, durch trübe Erfahrung und schlechten Erfolg klug gemacht, wieder aufgab, aber nur um sie durch eine neue zu ersetzen. Er war in seiner Jugend mehre Jahre auf einer städtischen Schule gewesen und hatte einen Theil des städtischen Lebens kennen gelernt, aber dies gereichte ihm später mehr zum Nachtheile als zum Gewinn. Er hatte sich manche Kenntnisse erworben, suchte sie durch Lesen und Studium zu vermehren, vor aller Theorie kam er indeß nicht zu einem praktischen Blicke und zu wirklich praktischer Anwendung. Wie sein Nachbar Sante an dem Althergebrachten unverbrüchlich festhielt, so suchte er es überall zu verdrängen und durch Neuerungen zu ersetzen. Die Bewirthschaftung seiner Felder betrieb er nicht mit wirklichem Ernste und mit Liebe, sie war für ihn fast nur ein Spielzeug, ein Mittel, um Versuche zu machen, Theorien anzuwenden und selbst auf neue Erfindungen auszugehen. Bei alle dem war er geistig weit beschränkter als Sante, dessen Blick meist das Rechte sofort erkannte und es mit eisernem Fleiße ausführte.

Der Erfolg der Verfahrungsweise dieser beiden Männer war in die Augen fallend. Sante vermehrte seinen Reichthum von Jahr zu Jahr, während Lüddeke immer mehr zurückkam, ohne dadurch geheilt oder auch nur gebessert zu werden. Er hatte ohne dies seinen Hof schon mit einigen Schulden belastet von seinem Vater überkommen und diese Schulden mehrten sich von Jahr zu Jahr. Seine Felder und Wirthschaft waren schlecht bestellt und seine nach städtischer Weise eingerichtete Haushaltung kostete mehr als der Hof zu tragen vermochte. Als er endlich starb und sein Sohn Konrad den Hof übernahm, waren fast mehr Schulden darauf, als er werth war. Konrad ließ sich indeß nicht abschrecken. Sein Vater hatte ihn ganz in seiner Weise erzogen, hatte ihn tüchtige städtische und landwirthschaftliche Schulen besuchen lassen, und Konrad hatte sich nicht unbedeutende Kenntnisse gesammelt. Auch er strebte nach stetem Fortschritt, war dabei aber verständig genug, keine Neuerung anzunehmen, welche sich nicht bereits vielfach bewährt hatte. Er gestand den theoretischen Kenntnissen eine große. Bedeutung zu, aber über sie stellte er noch die Praxis und die aus ihr gewonnenen Erfahrungen. So ausgerüstet übernahm er mit frischem Muthe den Hof seines Vaters, und bald bewährte es der Erfolg, daß er auch zu leisten vermochte, was er wollte, da er Fleiß und Ausdauer besaß.

Der Haß seines Vaters gegen Sante schien indeß auf ihn vererbt zu sein, und ihn erbitterte das stolze hochmüthige Wesen des reichen Ackermanns noch mehr. Sein erstes Werk, als er selbständig geworden, war, daß er den Prozeß, der an diesem Tage zu seinen Gunsten entschieden war, mit aller Energie fortgeführt hatte, und dieser Energie hatte er die baldige Entscheidung zu danken. Auch ihm war es nicht um das Stück Feld, welches wenig Werth besaß, da es seit Jahren schon unbenützt dagelegen hatte, zu thun gewesen, sondern er hatte gestrebt, seinem stolzen Nachbar durch den Verlust des Prozesses einen empfindlichen Schlag zu versetzen, und dies war ihm gelungen. Deshalb war er lautjubelnd vor dem Hofe des Ackermanns vorübergefahren und auch hierdurch hatte er seine Absicht erreicht, denn sein Jubel hatte Sante bitter gekränkt.

Von beiden Seiten hatte der Ausgang des Prozesses eine erneute und noch mehr erbitterte Feindschaft hervorgerufen und beide Männer schienen von derselben gänzlich beherrscht zu sein.

Schon am anderen Morgen ließ der junge Lüddeke das gewonnene Feld umbrechen und bestellen, und auch dies nur, um Sante zu kränken und ihm den Weg abzuschneiden, den er Jahre lang von seinem Garten aus über das Feld zu seinen Aeckern genommen hatte. Dieser bemerkte es von seinem Garten aus; er erkannte die Absicht seines Gegners, und ein bitteres, spöttisches Lächeln zog sich um seinen Mund. Wer konnte ihn hindern, über das Feld zu schreiten, mochte es ihm gehören oder nicht, mochte es bestellt sein oder unbebaut daliegen! Der Richter hatte ihm gesagt, daß sein Gegner ihn pfänden lassen könne, sobald er das Feld wieder betrete, – dies konnte ihn nicht hindern, seinen Willen durchzusetzen. Was lag ihm daran, wenn er gepfändet wurde und ein paar Groschen Strafe bezahlte! Das galt ihm gleich. Er wollte dem verhaßten Nachbar zeigen, wie wenig er sich aus ihm mache und wie wenig er gesonnen sei nachzugeben. Und sogleich wollte er dies thun, sogleich, während jener noch auf dem Acker beschäftigt war, um ihn zu bestellen.

Mit festem, ruhigen Schritte trat er aus seinem Garten. Nichts verrieth die gewaltige Erregung in seinem Innern. Sein Auge blickte ruhig, fast gleichgiltig umher, als ob er seinen Gegner gar nicht bemerke. Langsam, die Hände auf den Rücken gelegt, schritt er über das soeben bestellte Feld dahin. Da trat der junge Lüddecke rasch hinzu und seine gerötheten Wangen und hastigen Bewegungen verriethen seine heftige Erbitterung. – »Zum letzten Male seid Ihr diesen Weg gegangen« – rief er mit vor Erregung zitternder Stimme. »Der Acker gehört jetzt mir, wie Ihr wißt, und betretet Ihr ihn noch einmal, so werde ich Euch pfänden.«

Langsam, mit stolzer Ruhe wandte sich der Ackermann zu ihm, und mit einem spöttischen Lächeln blickte er ihn an. – »Bist Du Feldhüter geworden, daß Du mich pfänden willst?« – erwiderte er – »so sag's nur und ich will Dir die paar Groschen, die es kostet, zu verdienen geben, ich habe sie noch über und deshalb gehe ich, wo ich will!«

Langsam und ruhig setzte er seinen Weg weiter fort.

»Ha, ich will Euch die Lust dazu schon vertreiben« – rief ihm der junge Mann nach. Aber Sante that, als ob er, die Worte gar nicht vernehme und schritt seinen Aeckern zu. Erst als er diese erreicht und sich eine Strecke weit entfernt hatte, machte er seiner mit aller Gewalt zurückgehaltenen Aufregung durch ein lautes und bitteres Lachen Luft. »Ich will ihm das Vergnügen gönnen, mich pfänden zu lassen« – sprach er zu sich selbst – »auf demselben Wege will ich zurückkehren, da kann er es bald haben.«

Wie er gewöhnlich zu thun pflegte, durchschritt er seine Felder und kehrte dann auf demselben Wege zurück Schon von fern erblickte er den Feldhüter, der von seinem Gegner, der seinen unbeugsamen Willen kannte, herbeigeholt war. Ein freudiges Lächeln flog über sein Gesicht, und so ruhig, als ob Niemand da gewesen und er auf seinem Eigenthum gegangen wäre, betrat er das Feld.

Sofort eilte der Feldhüter auf ihn zu, ihn zu pfänden. – »Gut« – sprach er ruhig lächelnd »hier hast Du die Strafe und hier noch ein Trinkgeld obenein, damit Du auch weißt, daß Du einen Sante gepfändet hast.« In fast heiterer Stimmung betrat er seinen Garten wieder. Er hatte seinen Willen durchgesetzt und seine Aufregung hatte sich gelegt. Er erzählte seiner Frau sogar, daß er gepfändet sei, aber doch seinen Willen durchgesetzt habe.

»Gieb diesmal nach, Sante« – bat die Frau »Du kannst Deinen Willen nicht durchsetzen, denn der Lüddeke hat das Recht in den Händen.«

»Ha, was für ein Recht!« – erwiderte Sante heftig. – »Er kann mich pfänden lassen, das ist Alles. Glaubst Du, ich werde arm davon, wenn ich täglich die paar Groschen bezahle! Ha! Und ich will meinen Willen durchsetzen und sollte ich darüber zum Bettler werden!«

Die Frau schwieg, weil sie wußte, daß jeder Widerspruch ihren Mann noch mehr reizen und noch eigensinniger machen würde. In ihrem Herzen stiegen aber bange und sorgenvolle Bilder der Zukunft empor. Sie sah im Geiste ihr Lebensglück zerstört und vernichtet, ihren Mann gebeugt und gedemüthigt, sie sah, wie er allein und verlassen in seinem Alter dastehe. Erschrocken fuhr sie empor, als ob sie sich bei unrechten Gedanken überrascht hätte und ging an ihre Arbeit, um dadurch die trüben Bilder zu verscheuchen.

Ruhig und friedlich verging dieser Tag auf dem Hofe des Ackermanns. Alle schienen bei der heiteren Stimmung des Herrn freier aufzuathmen, nur Einer, und zwar sein eigener Sohn nicht; dieser wußte, wodurch die heitere Stimmung seines Vaters entstanden war, er wußte, daß er am Morgen das Feld seines Gegners betreten hatte und gepfändet worden war, auch sah er im Geiste voraus, wie weit sein Vater in seinem Eigensinne gehen werde, und für ihn war noch ein anderes Interesse dadurch gefährdet, sein Lebensglück hing unmittelbarer damit zusammen.

Als der Abend hereingebrochen war, als sich Alle zur Ruhe gelegt hatten, verließ er heimlich und leise das Haus. Er schritt rasch durch den Garten und schwang sich gewandt über eine Mauer, welche die beiden feindlichen Nachbarn trennte. Rasch schritt er durch den Garten, und nachdem er vorsichtig umhergespäht und aufmerksam gelauscht hatte, klopfte er leise an ein Fenster. Vorsichtig wurde es ein wenig geöffnet und eine Stimme flüsterte: »Ich komme, Gottfried!«

Gleich darauf trat ein Mädchen aus einer kleinen Thür, welche in den Garten ging. Der junge Mann eilte ihm entgegen, und indem er es fast ungestüm mit seinen Armen umschlang, zog er es schweigend mit sich fort zu einer inmitten des Gartens gelegenen Laube.

»Ich glaubte nicht, daß Du heute noch gekommen wärst, Gottfried« – sprach das Mädchen – »ich habe lange schon auf Dich gewartet.«

»Ich konnte nicht früher kommen« – entgegnete der junge. Mann. – »Aber nach dem, was heute Morgen zwischen meinem Vater und Deinem Bruder vorgefallen ist, mußte ich Dich noch sprechen. Wir haben uns beide getäuscht, Marie. Wir hofften, die endliche Entscheidung des unglückseligen Prozesses werde auch der Feindschaft zwischen meinem Vater und Deinem Bruder ein Ende machen, und nun scheinen Beide noch erbitterter zu sein als zuvor. Nachdem mein Vater sich einmal in den Kopf gesetzt hat, sich den Weg über den Acker nicht wehren zu lassen, wird er seinen Willen auch nicht aufgeben, ich kenne ihn in dieser Beziehung zu gut. – Was sagt Dein Bruder darüber?«

»Er ist auf das Heftigste erbittert« – gab das Mädchen zur Antwort. – »Er hat geschworen, den Trotz Deines Vaters zu brechen, und ich glaube, Gottfried, mein Bruder ist diesmal in seinem Rechte.«

»Das ist er« – entgegnete der junge Mann »aber dadurch läßt sich mein Vater nicht abschrecken. Ich würde mir aus diesem ganzen Streite wenig machen, wenn er nicht unserm Glücke in den Weg träte.«

»Ja, das thut er« – erwiderte das Mädchen »denn mein Bruder wird nie zugeben, daß ich Dein werde.«

»Dein Bruder, Marie?« – unterbrach sie Gottfried. – »Ha, den fürchte ich am wenigsten, denn er ist nicht Dein Herr und hat Dir nichts zu befehlen und nichts, zu verbieten. Das Wenige, was Du von ihm einst zu fordern hast, muß er Dir geben, magst Du heirathen, wen Du willst. Du bist nicht von Deinem Bruder abhängig, aber ich bin es von meinem Vater – und der würde mich eher enterben als zugeben, daß die Tochter und Schwester seines erbittertsten Feindes sein Haus als Schwiegertochter betrete.«

»Und was soll dann aus uns werden?« – fragte das Mädchen still weinend.

»Noch weiß ich es nicht, Marie« – gab Gottfried zur Antwort. – »Aber halte Du nur fest und treu zu mir, wie ich Dich nie verlassen werde. Einst muß die Zeit kommen, wo auch mein Vater den Hof meinen Händen übergibt, und dann bin ich Herr, dann hat mir Niemand mehr etwas zu gebieten.«

»Wird Dein Vater nicht vorher verlangen, daß Du ein anderes Mädchen, das nach seinem Wunsche ist, heirathest?« – fiel das Mädchen ein.

»Das wird er wohl« – erwiderte Gottfried mit einem bittern Lächeln. – »Aber kann er mich, zwingen? Ich habe Dir geschworen, Marie, daß ich nie ein anderes Mädchen als Dich als mein Weib heimführen will, und ich halte mein Wort, so wahr mir Gott helfen möge.«

»Schwöre nicht, Gottfried« – unterbrach ihn das Mädchen. – »Du weißt nicht, wie noch Alles kommen kann, unser Schicksal steht in Gottes Hand.«

»Ich weiß nicht« – erwiderte Gottfried ernst – »ob Du einst mein Weib werden wirst, Marie, sieh', aber das weiß ich bestimmt, daß ich nie – nie ein anderes Mädchen als Weib heimführen werde, denn dies hängt von meinem Willen und nicht von dem Schicksale ab.«

Marie schwieg und dachte sinnend nach, wie das Schicksal noch ihr Leben gestalten werde. Jetzt war der Himmel ihrer Zukunft noch von düsteren Wolken umhüllt und Stürme trieben die Wolken wild durcheinander. Aber wer weiß, woher diese Wolken kommen und wie lange sie bleiben. Oft scheinen sie den ganzen Horizont eines Menschenlebens zu verhüllen, finster und schwer hängen sie über dem Haupte, und unvermuthet taucht am fernen Horizonte ein heller Streifen auf, durch welchen der blaue Himmel und die Sonnenstrahlen freundlich hindurch schimmern. Und der Streifen wird größer und größer, die Wolken ziehen nicht fort, sondern scheinen zu zergehen und zu verschwinden. Schon brechen einzelne Sonnenstrahlen freundlich grüßend durch die Wolkendecke, und bald ist der ganze Himmel blau und heiter und spannt sich unerforschlich tief und weit über das Menschenherz aus.

Der Morgen dämmerte bereits, als die beiden Liebenden sich trennten, und die wenigen Stunden Glück hatten ihnen neue Kraft verliehen, um muthig der Zukunft entgegen zu schreiten, von der sie so viel befürchteten und auch so viel hofften.

Schon seit Jahren hatten sich Gottfried und Marie heimlich versprochen, und Niemand wußte um ihre Liebe und ihre Zusammenkünfte, ja es schien nicht einmal Jemand eine Ahnung davon zu haben. Von der Entscheidung und Beendigung des Prozesses, der wie sie glaubten, die Feindschaft zwischen ihren Vätern hervorgerufen, hatten sie Großes gehofft, aber auch diese Hoffnung war ihnen vernichtet, und wieder mußten sie ihren Blick und ihre Hoffnung noch weiter in die Zukunft hinausschieben und ihre Liebe einem günstigen Geschicke anvertrauen. Aber die Liebe schreckt vor keinem Hinderniß zurück. Sie fühlt sich stark und muthig, Allem zu trotzen, und wenn sie auch endlich überwältigt wird – besiegt kann sie nie werden, weil selbst über ihrem Sturze ihre Fahne noch unbefleckt und siegreich flattert. –

 

Wie am Tage zuvor schritt der Ackermann am folgenden Morgen ruhig und langsam aus seinem Garten über den Acker seines Nachbars. Wieder wurde er zweimal gepfändet, und mit spöttischem Lächeln gab er dem Feldhüter das Strafgeld und ein Trinkgeld obendrein, um zu zeigen, daß ihm dem reichen Ackermanne an einem Thaler nichts gelegen sei.

Der junge Lüddeke war über diesen hartnäckigen Trotz auf das heftigste empört, er wußte indeß, daß er den Trotz zu brechen vermochte und er wollte es. Acht Tage lang ließ er den Ackermann, der jeden Morgen sein Feld überschritt, regelmäßig pfänden, dann reichte er eine Klage gegen ihn ein, und schon wenige Tage darauf erhielt Sante eine Vorladung vor das Gericht.

Mit größter Ruhe ließ dieser sich von seinem Sohne in die Stadt fahren. Was konnte das Gericht ihm anhaben! Hatte der Richter doch selbst gesagt, daß sein Gegner nur das Recht habe, ihn pfänden zu lassen, und die Strafe dafür hatte er dem Feldhüter regelmäßig bezahlt und ihm überdies ein Trinkgeld gegeben. Er glaubte in vollem Rechte zu sein und freute sich schon auf den Triumph, den er diesmal vor dem Gerichte und vor allen Zeugen über seinen Gegner davon tragen werde«

In dem Bewußtsein seines Rechtes trat er fest und mit einem spöttischen Lächeln in den Mienen vor den Richter hin, aber nur zu bald sollte dieses Lächeln schwinden. Ruhig und ohne Umschweife gestand er, daß er regelmäßig jeden Tag über den Acker seines Nachbars geschritten und ebenso regelmäßig gepfändet worden sei. Und als der Richter ihn fragte, weshalb er hartnäckig und trotzig dem Gesetze entgegen gehandelt habe, erwiderte er stolz: »Weil es mein Wille gewesen ist. Ich habe das Strafgeld dem Feldhüter jedesmal bezahlt, denn mir ist an ein paar Thalern nichts gelegen.«

»Darum handelt es sich nicht« – sprach der Richter ernst. – »In Eurem Trotze liegt eine absichtliche Kränkung Eures Nachbars und deshalb seid Ihr strafbar.«

Er stutzte überrascht, denn dies hatte er nicht vermuthet. Als aber der Richter die Summe nannte, die er als Strafe zu bezahlen habe, klärte sich sein Gesicht auf. Mit einem spöttischen Lächeln trat er an den Tisch und indem er das Geld sogleich darauf legte, sprach er: »Gut, hier ist das Geld. Auf ein paar Thaler kommt es mir nicht an, ich kann sie entbehren.«

Schon wollte er mit einem stolzen Blicke auf seinen Gegner, fortgehen, da sprach der Richter: »Dieses Mal seid Ihr mit einer Geldstrafe davon gekommen, sobald Ihr Euch noch einmal beikommen laßt, den Acker Eures Nachbar zu überschreiten, so ist die Strafe nicht mehr mit Geld abzumachen, Ihr müßt sie dann im Zuchthause absitzen. Das merkt Euch.«

Erschrocken fuhr Sante zurück und seine Augen waren fragend auf den Richter gerichtet, um sich zu überzeugen, ob er auch recht gehört. Er, der reiche Ackermann, Heinrich Sante, in's Zuchthaus – in das Zuchthaus, wo die Diebe und anderes schlechtes Gesindel saßen! Nein, es konnte nicht sein, das konnte ihm der Richter nicht gesagt haben, er mußte falsch gehört haben.

»In's Zuchthaus?« – fragte er, und seine Stimme erbebte vor innerer Aufregung. – »In's Zuchthaus sagen Sie?«

»Ja, in's Zuchthaus« – erwiderte der Richter »denn jede Wiederholung steigert die Strafe.«

»Und ich kann die Strafe nicht mit Geld abbezahlen?« – fragte er weiter, da er den Gedanken an das Zuchthaus immer noch nicht zu fassen vermochte.

»Das nächste Mal nicht« – gab der Richter zur Antwort. – »Richtet Euch also darnach und versucht nicht, dem Gesetze zu trotzen.«

Dies hatte er nicht erwartet. Regungslos stand er einen Augenblick da und ließ seine Augen über die Anwesenden schweifen, als ob er sich überzeugen wollte, ob nicht Alles ein böser Traum sei. Da traf sein Blick auf das siegreich lächelnde und triumphirende Gesicht seines Gegners, und dieser eine Blick rief ihn wach. Gewaltsam raffte er sich zusammen und verließ schweigend das Gerichtszimmer, dessen Luft ihm die Brust beengte, dessen Decke ihn zu erdrücken schien.

Erst als er das Freie erreicht hatte, athmete er leichter auf und warf die Gewalt, die er sich auferlegt hatte, von sich. Mit finsterem Blicke schaute er umher, seine Hand ballte sich und einen wilden Fluch stießen seine Lippen aus. Er in das Zuchthaus, er, der reiche Ackermann! Er lachte laut auf, aber in diesem Lachen lag etwas Wildes und Verzweiflungsvolles.

Diese wilde aufgeregte Stimmung wich indeß bald dem Gefühle des verletzten und gebeugten Stolzes, welches noch schwerer auf seinem Herzen lastete. Und durch wen war dieser Stolz gebeugt? Durch den, den er am meisten vor allen Menschen haßte, durch einen Menschen, der nicht halb so viel Jahre zählte, als er.

Als er an diesem Tage heimfuhr, trieb er die Pferde noch ungestümer an, als damals, wo er den Prozeß verloren hatte. Es war ihm, als ob durch das rasche Dahinrollen des Wagens sein Blut, welches durch die Adern stürmte, beruhigt werde und langsamer fließe. Als er endlich vor der Thüre seines Hauses die Pferde anhielt, waren sie über und über mit Schaum bedeckt. Doch was fragte er darnach, und wenn sie todt niedergestürzt wären, den Verlust konnte er leicht verschmerzen, er konnte sich andere kaufen, aber all' sein Geld reichte nicht hin, den Fleck von seiner Ehre und seinem Stolze zu waschen, den dieser Tag gebracht hatte.

Wieder schritt er wie damals heftig, die Arme auf den Rücken gelegt, im Zimmer auf und ab. Seine Stirn war in finstere Falten gezogen, seine Augen waren starr auf den Boden geheftet, als verfolgte er in Gedanken einen Gegenstand und sänne über einem Plane. Niemand wagte, ihm zu nahen.

Wieder fragte seine Frau ihren Sohn nach der Ursache dieser finsteren, brütenden Stimmung ihres Mannes, wieder erwiderte Gottfried, daß er es nicht wisse, denn noch war kein Wort über des Ackermanns Lippen gekommen, seit er das Gericht verlassen hatte.

Dieses Mal sollte die Ursache indeß nicht lange geheim bleiben. Lautjubelnd wie damals fuhr der junge Lüddeke bald darauf vor dem Hofe des Ackermannes vorüber, doch dieser hörte nichts davon, weil er, für Alles außer ihm gleichsam todt im Zimmer auf- und abschritt.

Durch Lüddeke's und der Zeugen Erzählung war alsbald im ganzen Dorfe kund, daß der reiche Ackermann in dem Zuchthause büßen solle, wenn er wieder über den Acker gehe. Auf diesem Umwege erfuhren es auch Gottfried und seine Mutter. Sie erschraken heftig, denn sie kannten den Ackermann zu gut, um nicht zu wissen, daß seine Hartnäckigkeit dadurch noch nicht gebrochen sein werde. Ein solcher Widerstand schien ihn aller Vernunft zu berauben, denn sein Eigensinn ließ keine vernünftige Rücksicht aufkommen und er war im Stande, ihm sein und der Seinen Glück zum Opfer zu bringen.

Und sie hatten sich nicht getäuscht. Der Gedanke an das Zuchthaus machte sein Blut fast erstarren, aber der Gedanke, daß er seinem Feinde nachgeben, daß dieser über ihn triumphiren solle, ergriff ihn noch heftiger und gewaltiger als jener. Er schwankte lange, ob er sich beugen oder ob er nachgeben solle – nein, er konnte und mochte nicht nachgeben, und wenn er darüber zu Grunde gehen sollte. Er wollte lieber den Schimpf des Zuchthauses ertragen, als seinem Feinde die Freude des Triumphes gönnen. Alle Vernunft, jede ruhige Ueberlegung war durch die Leidenschaft seines Trotzes verdrängt – er beschloß, am anderen Morgen wieder über den Acker seines Feindes zu schreiten.

Das beharrliche Zurückhalten seiner aufgeregten Leidenschaft steigerte diese nun noch, und das stille, finstere Grübeln eine lange und schlaflose Nacht hindurch war noch weniger geeignet, sie zu mildern. Mit dem festen. Entschlusse, seinen, Willen durchzusetzen und sollte es zu seinem eigenen Unglücke sein, erhob er sich am folgenden Morgen.

Seine Frau ahnte sein Vorhaben und war entschlossen, Alles aufzubieten, es zu verhindern. Mit spannender Angst beobachtete sie ihn. Er erschien äußerlich ruhig und gefaßt, nur an dem schweren und tiefen Athmen seiner Brust erkannte sie seine gewaltige innere Erregung. Wie gewöhnlich schickte er sich an, hinaus auf das Feld zu gehen.

Langsam und ruhig schritt er aus dem Zimmer über die Hausflur in den Garten. Jetzt unterlag es keinem Zweifel mehr – er war entschlossen, sein Vorhaben auszuführen. Mit bangem, klopfenden Herzen eilte sie ihm nach; sie mußte ihn zurückhalten.

»Sante!« – rief sie und ihre Stimme bebte.

Langsam blickte sich der Gerufene um, und es war ihr, als ob in seinem Blicke eine gewisse Trauer liege.

»Sante« – fuhr sie fort, obschon die Worte sie fast zu ersticken drohten – »Sante, mache Dich und uns nicht unglücklich!« Mehr vermochte sie nicht hervorzubringen.

Einen Augenblick schien er zu schwanken, dann wandte er sich ab und schritt schweigend und langsam weiter.

In höchster Angst eilte sie ihm nach und ergriff seine Hand.

»Thue es nicht, Sante« – flehte sie – »dieser eine Schritt macht Dich für immer unglücklich. Du trotzest dem Gerichte, diesem mußt Du unterliegen. Thue es nicht, gönne nicht Deinem Feinde den Triumph, daß er sieht, wie Du in das Zuchthaus abgeführt wirst. Das ist es ja, was er wünscht, deshalb hat er Dich verklagt.«

Der Ackermann schwieg und seine Augen waren auf seine Frau gerichtet. Aber er ließ seine Rechte in ihrer Hand und bittend fuhr sie fort: »Du hast ihm gezeigt, daß Du ihn nicht fürchtest. So lange Du nur ihm gegenüberstandest, hast Du Deinen Willen durchgesetzt, jetzt ist das Gericht eingetreten und dem mußt Du unterliegen. Weshalb willst Du diesem trotzen, es ist nicht Dein Feind. Sieh, wenn Du auch Dein Vorhaben im Zuchthause abbüßtest, nachher wäre es wieder wie jetzt, es wäre noch schlimmer und einmal müßtest Du doch nachgeben. Sei vernünftig, Sante, nur dies eine Mal laß Dich erbitten.«

Diese Worte schienen den starren, leidenschaftlichen Mann von der Thorheit seines Entschlusses überzeugt zu haben. Leise drückte er seiner Frau die Hand und schritt langsam und schweigend zurück in das Haus und das Zimmer. Erschöpft warf er sich auf einen Stuhl und bedeckte das Gesicht mit beiden Händen. Erfreut trat seine Frau zu ihm und strich ihm die Haare von der Stirn, welche mit Schweißperlen bedeckt war.

Da ließ er die Hände langsam herabsinken, sah sie eine zeitlang ruhig an und sprach dann: »Du hast mich von einer Thorheit zurückgehalten, Marie-Anne, die ich zu thun im Begriff war. Du hast Recht, dem Gerichte muß ich unterliegen, deshalb ist es gut, daß ich es nicht gethan habe.«

Er drückte seiner Frau dankend die Hand, erhob sich dann, verließ das Haus und schritt auf dem Umwege durch das Dorf seinen Feldern zu.

 

Es war das erstemal seit langen Jahren, daß er gezwungen seinen festen Willen aufgegeben und sich gebeugt hatte, und dieses Brechen seines Trotzes schien auf seinen Charakter einen mildernden Einfluß ausgeübt zu haben. Er war stiller und scheinbar ruhiger geworden, seine Stimme war nicht mehr so befehlend und hart und sein Auge blickte milder.

Von Allen, welche mit ihm verkehrten, wurde diese Veränderung sogleich bemerkt, denn sie hatten sich daran gewöhnt, ihn mit einer fast ängstlichen Aufmerksamkeit zu beobachten. Niemand war aber erfreuter darüber als Gottfried, denn diese günstige Veränderung seines Vaters gab seiner Liebe neue Hoffnung.

Ihn verlangte darnach, diese Hoffnung dem geliebten Mädchen mitzutheilen, aber erst nach einigen Tagen war er im Stande, es zu sehen und zu sprechen. Wieder verließ er Nachts, als Alle im Schlummer ruhten, still das Haus, schwang sich über die Gartenmauer und pochte vorsichtig an Mariens Fenster. Gleich darauf trat Marie in den Garten. Er umschlang sie mit seinem Arme und in leisem Gespräche schritten sie langsam der Laube zu, in der sie schon so manche Stunde still und glücklich zugebracht hatten.

Eben waren sie im Begriff, arglos in die Laube einzutreten, als sich aus dem Dunkel derselben eine große Gestalt erhob und dicht vor sie hintrat.

»Kommt Ihr endlich? Ha, so ist es doch wahr!« sprach sie mit tiefer, bebender Stimme.

»Vater!« – rief Gottfried, indem er erschrocken zurückfuhr.

»Bleib, Du Bube!« – rief der Ackermann, denn er war es, mit furchtbar drohender Stimme. – »Bleib, keinen Schritt zurück, ehe ich es Dir sage« – und er erfaßte ihn mit eiserner Kraft am Arme.

Er versuchte mit seinen Augen die Dunkelheit der Nacht zu durchdringen, um den beiden zitternd dastehenden Menschen mit einem einzigen Blicke all' seine Gedanken und seinen Willen zu verkünden, aber es war zu finster. Das schwere, tiefe, fast keuchende Athmen seiner Brust verrieth das gewaltige Stürmen in seinem Innern.

»So, heute habt Ihr Euch zum letzten Male gesprochen« – preßte er endlich mit größter Anstrengung hervor. – »Jetzt komm, Du Bube!« und er zog Gottfried gewaltsam mit sich durch den Garten, durch die Pforte in sein Haus, ohne die Hand von dem Arme loszulassen.

Willenlos folgte ihm Gottfried. Die plötzliche Ueberraschung, der Schreck hatte ihm alle Kraft geraubt, Erst als sie im Zimmer angekommen waren, ließ ihn sein Vater frei. Er trat dicht vor ihn, hin, blickte ihm mit vor Zorn gerötheten Wangen und starr in die Augen, und schien nach Worten zu ringen, aber er brachte keines hervor. Mit auf dem Rücken gekreuzten Armen schritt er im Zimmer auf und ab, den Blick starr vor sich hin geheftet. Nur zeitweilig wandte er den Kopf etwas zur Seite und blickte drohend zu Gottfried, der sich zu fassen suchte, um seinem bevorstehenden Zornausbruche entgegentreten zu können. Ja, er war entschlossen, seinem Vater ruhig und fest entgegenzutreten und es ihm offen herauszusagen, daß er nie ein anderes Mädchen als Marie heimführen werde. Er wollte ihm zeigen, daß er nicht ein Knabe mehr sei, der willig jedem Befehle gehorche und sich willenlos führen und leiten lasse. Er fühlte sich als Mann und er wollte zeigen, daß er es war. Er sah im Geiste einen wilden, heftigen Kampf mit seinem Vater voraus, ihm bangte davor, aber einmal mußte er doch erfolgen, das wußte er, deshalb war es besser, wenn es jetzt geschah, wo sein Vater selbst ihm die Veranlassung dazu bot.

Wieder blieb Sante vor seinem Sohne stehen, und seine sich stürmisch hebende Brust verrieth, daß er seine innere Erregung nicht länger zu beherrschen vermöge. – »Bube!« – rief er mit einer fast klanglosen, bebenden Stimme, welche tief aus seiner Brust heraufschallte. – »Bube« – wiederholte er, und seine Augen blickten drohend und wild, da versagte ihm die Stimme und er vermochte kein Wort weiter hervorzubringen. Er nahm das Licht von dem Tische, und entfernte sich in die Kammer, ohne seinen Sohn noch eines Wortes oder eines Blickes zu würdigen.

Auch Gottfried verließ das Zimmer, und ein eigenthümlich wehmüthiges, ja schmerzhaftes Gefühl ergriff ihn, als er die Thür hinter sich schloß. Es war ihm, als ob von diesem Augenblicke an hinter seinem ganzen vergangenen Leben, welches so viele frohe und freudige Tage barg, eine feste Schranke gezogen wäre, als ob er mit all' dem Glücke, welches er in diesem Zimmer gefunden, von nun an abgeschlossen, als ob nicht blos ein enger Raum ihn von seinem Vater trenne, sondern eine Kluft, die durch nichts mehr auszufüllen und zu überschreiten war.

Finster wie die Nacht, in der er dastand, blickte ihm die Zukunft entgegen, unheimlich finster, und erst als er an das offene Fenster seiner Kammer trat und ihm ein heller Stern am Himmel lustig entgegenschimmerte, erst da kehrte die Hoffnung wieder in seine Brust ein. Er richtete das Auge zum Himmel hinan und Stern auf Stern tauchte nun aus dem tiefen Blau hervor und schien ihm zuzulachen. Bald schimmerten Tausend und aber Tausend Gestirne an dem weiten Himmelsdom, und das Auge ward durch ihren schimmernden Glanz und durch die Unendlichkeit ihrer Zahl fast geblendet.

Ha, wenn jeder Stern das Bild eines lichten Augenblickes in seiner Zukunft wäre, nur eine Sekunde des Glücks – dann war er reich, dann war sein Glück nicht zu ermessen, wie die Sterne am Himmel unzählbar und ungezählt waren.

Beruhigt, mit den Bildern der funkelnden und freundlich schimmernden Sterne noch vor den geschlossenen Augen, legte er sich zum Schlafe nieder, und ehe seine Gedanken sich noch von dem Traume seiner Zukunft loszulösen vermochten, war er schon entschlafen.

 

Nicht ohne Unruhe, wenn auch ohne Furcht, trat Gottfried am folgenden Morgen seinem Vater entgegen. Er war auf dessen Heftigkeit gefaßt. Aber mit keinem Worte, ja mit keinem Blicke erwähnte dieser des am vorigen Abend Geschehenen. Er war ernst und still wie gewöhnlich. Niemand vermochte ihm anzusehen, welche heftigen, leidenschaftlichen Stürme während der Nacht seine Brust erschüttert hatten. Nur sein Gesicht war etwas blässer als gewöhnlich.

Und dennoch ahnte Gottfried, was in seinem Innern vorging. Er kannte diese eiserne Ruhe, sie war das sichere Zeichen, daß er einen Entschluß gefaßt hatte, und daß dieser fest und unerschütterlich vor seinem Geiste stand. Worin dieser Entschluß bestand, vermochte er nicht zu errathen.

Der Ackermann befahl einem Knechte, die Pferde anzuschirren und den Wagen vorzufahren. Gottfried wartete, ob er seinen Vater wie gewöhnlich fahren solle, aber dieser wollte an diesem Tage selbst und allein fahren, Niemand wußte wohin. Als er seiner Frau die Hand zum Abschied reichte, sprach er: »Ich werde einige Tage fortbleiben, und es kann leicht sein, daß es noch etwas länger währt.« Aber auch sie wagte nicht, ihn zu fragen, wohin er fahre.

Ohne einen Blick auf seinen Sohn und die Umstehenden zu werfen, stieg er in den bereit stehenden Wagen, in die Linke nahm er die Zügel, die Rechte ergriff die Peitsche, und fort ging es in raschem wilden Trabe von dem Hofe die Heerstraße entlang. Erst jetzt, als er allein und unbeachtet war, ließ er seiner düsteren, unwilligen Stimmung, welche er bis dahin mit aller Gewalt beherrscht hatte, freien Lauf. Seine Augen blickten funkelnd und zornig, um seinen Mund zog sich ein bitteres Lächeln und seinen Lippen entführen die Worte: »Ha! das Mädchen meines ärgsten Feindes, die Schwester des verhaßten Burschen!« – Er schwang die Peitsche mitleidslos über die Gäule, als ob er durch den rasenden Lauf derselben seinen eigenen Gedanken und finsteren Bildern zu entfliehen vermöchte.

Mit langen Blicken hatte seine Frau ihm nachgeschaut, bis er ihren Augen entschwunden war. Sie wußte nicht, was zwischen ihm und Gottfried vorgefallen, aber aus seinem ganzen Wesen merkte sie, daß in seinem Innern etwas vorging. Besorgt das Haupt schüttelnd, schritt sie in das Zimmer zurück.

»Wohin mag der Vater nur gefahren sein?« – fragte sie ihren Sohn, der ihr schweigend gefolgt war. – »Er will mehre Tage fortbleiben, ich begreife nicht, was er vorhaben mag.«

»Ich weiß nichts davon« – erwiderte Gottfried. »Er liebt es ja, Niemand in seine Geheimnisse und Pläne blicken zu lassen, wir sind ihm zu gering, um uns sein Vertrauen zu schenken – nun ein Jeder nach seiner Weise, ich mag mich nicht hinein drängen.«

»Nein, Gottfried, das ist es nicht« – entgegnete die Mutter – »das ist es nicht. Es ist seine Gewohnheit, Niemand etwas zu sagen, wenn er etwas Unangenehmes vor hat, es ist nicht Mangel an Vertrauen, er glaubt es sei genug, wenn er allein es trage. Mich hat diese Gewohnheit schon manche Thräne gekostet, das ändert nichts; es ist einmal so seine Art und Weise und die legt er nimmer ab.«

»Sicher nicht« – rief Gottfried. – »Ehe der Vater in irgend einer Sache nachgäbe, eher müßte eine ganz andere Ordnung aller Dinge eintreten, für ihn gibt es nur einen Willen auf der Erde und das ist sein eigener.«

»Sprich nicht so« – verwies ihn die Mutter mit ruhiger, aber trauriger Stimme, der man es anhörte, daß sie im Herzen ihrem Sohne nicht ganz Unrecht geben konnte, wenn sie es auch nimmer eingestehen mochte, denn es betraf ihren Mann und seinen Vater. – »Sprich nicht so« – wiederholte sie – »der Vater ist wohl fest in seinem Willen und schwer zu leiten, aber wenn er einsieht, daß er Unrecht hat, gibt er auch nach.«

»Ha, ha, Mutter« – erwiderte der junge Mann »dessen weiß ich mich nicht zu entsinnen, und der Vater müßte erst noch beweisen, daß Du recht gesprochen hast.«

»Was ist das, Gottfried?« – fragte die Frau, indem sie ihren Sohn prüfend ansah. – »Du bist seit einiger Zeit gegen den Vater erbittert, ich merke es Dir wohl an, was hast Du gegen ihn, sprich.«

»Sag mir, was der Vater gegen mich hat, daß er mich nicht anders wie einen Knaben und Knecht behandelt« – entgegnete der Sohn. – »Sieh darin liegt auch die Antwort auf Deine Frage.«

»Gottfried, Gottfried« – erwiderte die Frau, indem sie zweifelnd den Kopf schüttelte – »ich sollte Dich nicht besser kennen, das ist es nicht, was Du sagst, denn lange Jahre hast Du es geduldig ertragen, Du hast darüber nicht gemurrt und mit einem Male solltest Du jetzt darüber so erbittert sein!«

»Ja, denn endlich reißt die Geduld« – rief der junge Mann. »Ich bin alt genug geworden, daß ich endlich wohl auf eigenen Füßen stehen kann und ich will es.«

»Gottfried, Gottfried!« – wiederholte die Mutter ernst. – »Wenn Du es Deiner Mutter nicht vertrauen magst, was hinter Deiner jetzt so erbitterten Stimmung steckt, so magst Du es für Dich behalten. Vergiß nur nicht, daß es Dein Vater ist, gegen den Du erbittert bist.«

»Das werde ich nicht vergessen, so lange er nicht vergißt, daß ich sein Sohn bin, und ich meine, das hat er bereits vergessen« – entgegnete Gottfried und verließ das Zimmer.

Betrübt blickte die Frau ihm nach. Sie begriff seine Worte nicht recht, aber das erkannte sie aus ihnen, daß sich zwischen den Herzen ihres Sohnes und ihres Mannes eine Schranke gezogen hatte, von deren Festigkeit und Höhe sie keine Ahnung gehabt. Und sie wußte, wie schwer solche Schranken wieder zu lösen und zu entfernen sind. Ihr Herz befand sich in einer peinlichen Lage, denn dem Manne und dem Sohne hing es gleich fest an, beiden mußte es Recht geben, und doch wußte sie, daß beide zugleich auch Unrecht hatten. –

 

Erst nach einigen Tagen kehrte der Ackermann zurück. Ruhig, in gelassenem Schritte ließ er die Pferde auf den Hof einbiegen, und wer ihn kannte, wußte, daß dies ein Zeichen seiner günstigen Stimmung war. Seine Frau war allein daheim, denn Gottfried befand sich mit den Knechten auf dem Felde, und als sie ihren Mann langsam über den Hof fahren sah und erkannte, wie sein Auge ruhig und freudig sich auf dem Hofe umschaute, da ward es ihr leicht im Herzen und freudig eilte sie ihm entgegen. Er nickte ihr grüßend zu, als sie aus der Hausthür trat, und reichte ihr vom Wagen herab die Hand zum Gruße dar. So mild und freundlich war er lange nicht gewesen, und all die Befürchtungen und bangen Sorgen, welche sie sich während seiner Abwesenheit gemacht hatte, waren mit einem Male aus ihrem Herzen verschwunden. Sie hätte ihm in ihrer Freude um den Hals fallen mögen, aber sie wagte es nicht, denn seit langen Jahren waren sie nicht so innig mit einander gewesen.

Als er wieder in die Stube trat, blickte er sich in dem alten und ihm so vertrauten Raume mit einer zufriedenen Freude um und sprach: »Sieh', Marie-Anne, hier ist es am besten.«

Er setzte sich dann im Sopha nieder und sie mußte neben ihm Platz nehmen.

»Weißt Du, wo ich gewesen bin?« – fragte er nach einiger Zeit mit ruhiger Stimme, und als sie ihn fragend anblickte, fuhr er lächelnd fort: »Ich habe für Gottfried eine Frau ausgewählt?«

»Eine Frau!« – rief sie überrascht und erfreut zugleich.

Aber diese Freude wich sogleich wieder durch die Erinnerung an die Worte ihres Sohnes, daß er sich selbst das Mädchen wählen werde, welches einst sein Weib werden solle.

Er blickte sie lächelnd an, indem er sich an ihrer Ueberraschung weidete.

»Ich denke es wird Dir Recht sein, Marie-Anne, wenn Du in der Wirthschaft eine Unterstützung bekommst« – fuhr er fort. – »Nun rathe einmal, welches Mädchen ich gewählt habe?«

»Ich weiß es nicht« – erwiderte die Frau, der die Worte ihres Sohnes nicht aus dem Gedächtniß schwinden wollten.

»Du würdest es auch so leicht nicht rathen« sprach der Ackermann – »aber, wenn ich es Dir sage, wirst Du wohl damit zufrieden sein. Sieh, es ist die Liesbeth, das jüngste Mädchen des reichen Klaus Rosenthal, der zwei Ackerhöfe besitzt, und den einen bekommt das Mädchen als Mitgift. Ich habe mit dem Vater bereits Alles abgemacht, er sagte mit Freuden ›Ja‹, denn wo ein Sante anklopft, wird die Thür nicht vor ihm zugemacht. Es ist ein schmuckes Mädchen und hat mir wohlgefallen, doch Du kennst sie ja. Nun was sagst Du dazu, Marie-Anne? Ich denke, die Santens vergeben sich durch diese Heirath nichts, der alte Rosenthal wiegt seine hunderttausend und darüber. – Nun, noch kann ich ihm das Gleichgewicht halten. – Was sagst Du dazu, Marie-Anne?«

Die Frau kannte das Mädchen, und kein hübscheres und besseres hätte sie sich je zu ihrer Schwieger-Tochter gewünscht, aber unwillkürlich stieg die Frage in ihr auf: »Wird Gottfried mit dieser Wahl auch zufrieden fein, wird auch ihm das Mädchen gefallen?« Ohne deshalb auf die Frage ihres Mannes zu antworten, fragte sie: »Weiß Gottfried schon darum?«

Der Ackermann richtete seine Augen forschend auf sie. – »Seit wann habe ich dem Jungen schon etwas mitgetheilt, ehe Du es gewußt hast?« erwiderte er. »Weshalb frägst Du hiernach?«

»Wenn das Mädchen ihm nun nicht gefällt, wenn er es nicht heirathen mag« – entgegnete sie.

»Nicht heirathen mag!« – wiederholte er langsam, indem sein Blick noch forschender und durchdringender wurde. – »Nicht heirathen mag, wenn ich das Mädchen für ihn ausgewählt habe!« – rief er noch lauter. – »Doch es ist Thorheit, davon zu sprechen, denn ich sage Dir, von dem Jungen lasse ich mir am allerwenigsten einen Widerspruch gefallen. In sechs Wochen ist die Hochzeit, dabei bleibt es, denn so habe ich es abgemacht.«

»Sei vernünftig, Sante« – entgegnete die Frau. »Wenn Gottfried mit Deiner Wahl nicht zufrieden sein sollte, Du kannst ihn nicht zwingen, aber Gott gebe, daß die Liesbeth ihm gefällt, es ist ein liebes Mädchen.«

»Ich kann ihn nicht zwingen!« – rief der Ackermann, indem er heftig in die Höhe sprang. – »Ich sollte meinen eigenen Jungen nicht zwingen können?« wiederholte er. – »Doch freilich, Du hast Recht, zwingen kann ich ihn nicht« – fügte er mit einem bittern, schneidenden Lächeln hinzu – »ja zwingen kann ich ihn nicht, aber ich kann ihn von Haus und Hof jagen, ich kann ihn enterben und ihn zum Bettler machen, und das will ich. Ja, das will ich wahrhaftig, wenn er mir zu trotzen wagt!«

»Sante!« – rief die Frau bittend und beschwichtigend. – »Vergiß nicht, daß er Dein Sohn, daß er unser einziges Kind, und wir wissen ja noch nicht einmal, ob ihm das Mädchen nicht recht ist.«

»Er ist mein Sohn nur so lange als er mir gehorcht« – erwiderte er mit derselben Aufregung. – »Lieber will ich gar kein Kind, als ein ungehorsames und trotziges. Doch laß' uns davon schweigen, es muß sich ja noch heute entscheiden, wie es kommen soll, ob so oder so; mein Entschluß steht fest: in sechs Wochen ist die Hochzeit. Sobald Gottfried heimkehrt, schicke ihn zu mir in's Zimmer.«

Die Frau schwieg, um ihren Mann durch Widerspruch nicht noch mehr zu reizen. Wußte sie doch ohnehin, daß all' ihre Worte nichts ändern und nichts helfen würden. Sie verließ das Zimmer, um im Stillen zu zu beten, daß Gottfried mit der Wahl zufrieden sein und als sein Weib in das Haus einführen möge – dann war alles gut.

Mit steigender Angst sah sie der Heimkehr des Sohnes entgegen, mit sich selbst noch uneins, ob sie ihm, ehe er mit seinem Vater spreche, Alles mittheilen solle oder nicht. Als er endlich vom Felde zurückkam, vermochte sie ihm kaum die Worte zu sagen: »Der Vater ist heimgekehrt, Gottfried, und will mit Dir reden; er erwartet Dich im Zimmer.«

Mehr neugierig als besorgt trat Gottfried ein. Der Ackermann erwiderte seinen Gruß mit einem Neigen seines Kopfes und blickte ihn eine zeitlang prüfend an, ehe er ein Wort zu ihm sprach, gleichsam als ob er über seine Worte selbst noch nicht mit sich einig wäre.

»Ich habe Dir ein Mädchen zur Frau ausgewählt« – sprach er endlich mit ruhiger, aber ernster und befehlender Stimme. – »Es ist die Liesbeth Rosenthal, Du kennst sie ja. Ich habe mit ihrem Vater bereits Alles abgemacht, er giebt ihr einen seiner beiden Ackerhöfe zur Mitgift und in sechs Wochen ist die Hochzeit und zwar hier im Hause.«

Er hatte während dieser Worte seinen Blick prüfend auf das Antlitz seines Sohnes geheftet, das zuerst erschrocken erbleichte und gleich darauf heftig erröthete.

»Nun?« – fragte er, als er keine Antwort erhielt. – »Meine Wahl wird Dir doch recht sein, hoffe ich?«

Gottfried schien gewaltig mit einer inneren Aufregung zu kämpfen. Sein Herz klopfte hörbar laut.

»Nein!« – erwiderte er endlich mit gepreßter Stimme, denn er vermochte kaum dies Wort hervorzubringen.

»Nein?« – rief der Ackermann, und seine Augen nahmen einen zornigen Glanz an. – »Nein? – Und weshalb nicht?«

Gottfried schien nach Fassung und nach Worten zu ringen.

»Weshalb nicht?« – wiederholte der Ackermann mit strenger und befehlender Stimme.

»Du weißt, daß ich mir selbst schon ein Mädchen erwählt und zu meiner Frau bestimmt habe« – entgegnete Gottfried.

»Das weiß ich?« – fuhr Sante heftig auf. »Nichts weiß ich, oder glaubst Du etwa, daß ich je zugeben werde, daß das Mädchen meines ärgsten Feindes, die Schwester des frechen Burschen, des Lüddeke, mein Haus betrete? Da irrst Du, und ich hätte Dich nimmer für so thöricht gehalten.«

»Was hat das Mädchen mit Deiner Feindschaft mit ihrem Vater und ihrem Bruder gemein« – entgegnete Gottfried gefaßter – »Es hat Dir nie etwas zu Leid gethan!«

»Und wenn es die Tochter meines besten Freundes wäre, so würde ich dennoch nie zugeben, daß ein Sante, daß mein Sohn ein Mädchen heirathet, das nicht einmal so viel hat, daß es den Hochzeitskuchen bezahlen könnte« – rief er heftig. – »Oder Du glaubst vielleicht, daß ich die Schulden seines Bruders noch obenein bezahlen soll, und ihm danken, daß er seine Schwester mir zur Schwiegertochter gibt. Ha, ha, Junge, so weit ist's noch nicht, und dahin kommt's auch nie – nie sag' ich!«

»Lüddecke wird seine Schulden selbst bezahlen können« – erwiderte Gottfried, über die spöttischen Worte seines Vaters erbittert. – »Er würde eben so wenig von Dir als Du von ihm einen Pfennig annehmen.«

»Schweig!« – rief der Alte zornig und befehlend. – »Kein Wort will ich hierüber wieder hören. Zum letztenmale frage ich Dich jetzt, willst Du das Mädchen, welches ich Dir ausgesucht und bestimmt habe, die Liesbeth Rosenthal, zur Frau nehmen, sprich, willst Du?«

»Nein!« – sprach Gottfried fest und entschieden.

»Nein?« – rief der Ackermann mit furchtbar drohender Stimme, indem sein ganzer großer Körper erbebte. – »Nein, sagst Du! Du wag'st mir zu trotzen, mir, Deinem Vater! – Sieh, Du Bube« – fügte er hinzu, indem er dicht vor ihn hintrat – »ich sage Dir, in sechs Wochen ist Deine Hochzeit, und dabei bleibt's. In sechs Wochen, und nicht um einen Tag schiebe ich sie länger hinaus! Du nimmst die Liesbeth zu Deiner Frau, oder …« – Er erhob drohend die geballte Hand, verließ in größter Aufregung das Zimmer und schlug die Thür heftig hinter sich zu.

In Gedanken versunken blieb Gottfried stehen. Im Geiste weilte er bei dem Mädchen, welches er so innig liebte, und schien sich zu prüfen und zu fragen, ob seine Liebe auch stark genug sei, ein großes und starkes Opfer zu bringen. Ja, ein großes Opfer, denn nimmer konnte er hoffen, daß sein Vater nachgeben werde; er kannte ihn zu gut.

Er hatte längst gewußt, daß es einst so kommen werde und müsse, wie es jetzt gekommen war, er hatte über seine Zukunft genug nachgedacht, war indeß zu keinem festen Entschlusse gekommen. Jetzt, in diesem Augenblicke stand es mit einem Male klar und bestimmt vor seiner Seele, was er thun müsse, und auf seinem Gesichte prägte sich die Ruhe eines festen Entschlusses aus.

Da trat seine Mutter an ihn heran, legte ihre Hand auf seine Schulter, blickte ihm betrübt und kummervoll in die Augen und sprach mit sanfter, weicher Stimme: »Gieb dem Vater nach, Gottfried, gib ihm nach, es ist zu Deinem und unserem Frieden.«

Wie aus einem Traume fuhr er empor und blickte sie ruhig und schweigend an.

»Gib nach, Gottfried« – fuhr die Mutter bittend fort – »denn nie, nie wird der Vater zugeben, daß Du die Marie zur Frau nimmst, sie ist die Tochter und Schwester seiner beiden größten Feinde. Gib nach, Gottfried« – fügte sie mit Thränen in den Augen hinzu – »es ist zu Deinem Glücke, die Liesbeth ist ein gutes Mädchen!«

Ruhig hatte Gottfried seine Mutter angehört und, ihre Bitte ablehnend, schüttelte er mit dem Kopfe. – »Ich weiß, daß der Vater es nie zugeben wird« – erwiderte er fest und ruhig – »aber ich weiß auch, daß die Zeit kommt, wo ich seiner Einwilligung nicht mehr bedarf. Ich bleibe nicht immer unter seinem Willen und Befehle stehen, noch ein paar Jahre, dann bin ich mündig und selbständig. Dann hat es ein Ende mit des Vaters Herrschen und Befehlen für mich.«

»Du wirst so lange von dem Vater abhängig sein, bis er Dir den Hof übergeben hat« – entgegnete die Mutter. – »Trotze ihm nicht, Gottfried, Du weißt, wie leicht er gereizt wird und wie unerbittlich hart er dann sein kann.«

»Was kann der Vater mir anhaben, Mutter?« warf Gottfried ein. – »Er kann mich verstoßen und enterben, aber er kann mich nicht zwingen, wider meinen Willen zu heirathen. Ich habe geschworen, nie ein anderes Mädchen denn Marie als Frau heimzuführen und ich halte meinen Schwur. Ich brauche den Vater nicht und werde vielleicht als Knecht oder Tagelöhner auf fremdem Hofe glücklicher leben als jetzt in dem Vaterhause, wo die freundlichen Blicke und Worte so selten geworden sind. Das Mädchen, mit dem ich mein ganzes Leben hindurch vereint leben muß, will ich selbst wählen, das ist meine Sache und reicht über des Vaters Macht hinaus. Dies ist meine feste Meinung. Der Vater will seinen Willen durchsetzen und ich werde meinen Schwur halten, wir wollen sehen, wer diesmal siegt!«

Er schritt nach diesen Worten zur Thür und verließ das Zimmer. – »Gottfried, Gottfried!« – rief ihm die Mutter schluchzend nach, aber er hörte es nicht mehr.

Auch er war ein Sante und auch in seiner Brust stand ein einmal gefaßter Entschluß fest und unerschütterlich.

 

Der Ackermann hatte gesprochen: »In sechs Wochen ist Hochzeit und dabei bleibt's.« Dieser Entschluß stand fest und nichts vermochte ihn zum Wanken zu bringen, weder die Weigerung seines Sohnes noch die Bitten seiner Frau. Er hatte es beschlossen und dabei blieb es.

Manche Thräne der besorgten Mutter floß in dieser Zeit, manches harte Wort des Mannes hatten seine Untergebenen zu ertragen, denn der feste Trotz, den er aus dem schweigsamen und dabei doch festen Benehmen seines Sohnes ihm gegenüber zu erkennen glaubte, erhielt ihn in einer fortwährend gereizten Stimmung.

Kein Wort hatte er mit Gottfried hierüber wieder gesprochen, aber er ließ alle Vorkehrungen zu einer großartigen Hochzeitsfeier treffen. Er hatte sich mit Liesbeths Vater dahin vereint, daß die Hochzeit in seinem Hause und nicht, wie es sonst Sitte war, in dem Elternhause der Braut gefeiert werde, denn er wollte bei dieser Gelegenheit sich mit seinem Reichthum brüsten und beabsichtigte dadurch zugleich seinen Nachbar und dessen Schwester doppelt zu kränken.

Alles wurde auf das Großartigste und Glänzendste hergerichtet und für eine große Anzahl von »Gästen in Bereitschaft gesetzt. Als er selbst einst Hochzeit gehabt hatte, welche auch in diesem Hause gefeiert worden war, hatte man noch lange Zeit nachher über die Großartigkeit derselben gesprochen, jetzt sollte man noch länger davon reden, so war es sein Wille. Er wollte zeigen, wie bedeutend er das von seinem Vater ererbte Vermögen vergrößert habe; durch diese Hochzeit wollte er seinem Stolze die Krone aufsetzen, Jedermann sollte sehen, daß ihm an ein paar hundert Thalern nichts gelegen war.

Mit bangem Herzen und manchen stillen Thränen sah seine Frau diese Vorkehrungen und Vorbereitungen weiterschreiten. Sie galten der Hochzeit ihres einzigen Sohnes, – sie hatte einst geglaubt, dieser Tag müsse der freudigste ihres ganzen Lebens sein, und doch vermochte sie sich nicht darüber zu freuen, nur mit banger Furcht sah sie diesem Tage entgegen.

Auch sie hatte mit Gottfried, der all' diese Vorbereitungen mit scheinbar gleichgiltigen Augen betrachtete, als ob sie ihn nicht im Geringsten beträfen, seit jenem Tage nicht wieder über seine Hochzeit gesprochen. Sie fürchtete sich davor, sie glaubte seinen Trotz dadurch noch mehr anzustacheln, und Gottfried suchte absichtlich jedes Gespräch über diesen Gegenstand zu vermeiden. Er war ungewöhnlich still und ernst, verrichtete seine Arbeiten wie früher, suchte aber jedes Alleinsein mit seinen Eltern zu verhüten.

Da sein Vater ihn fortwährend im Auge behielt und genau beobachtete, war es ihm in der ganzen Zeit nur einmal gelungen, seine Marie zu sehen und zu sprechen. Das Mädchen hatte ihm Vorwürfe gemacht, daß er so schnell sein ihr gegebenes Wort und die ihr geschworene Treue gebrochen, aber er hatte erwidert: »Hab' nur Geduld, Marie, noch bin ich nicht getraut, nicht ich treffe die Vorkehrungen zur Hochzeit, sondern mein Vater thut es. Ich habe geschworen, nur Dich zu meinem Weibe zu nehmen, und meinen Schwur halte ich. Laß Du nur nicht von mir, mag es auch kommen wie es will, Du sollst mein werden und wenn ich deinetwegen zeitlebens als Knecht bei fremden Herren dienen sollte.«

Das Mädchen hatte ihm nochmals geschworen, daß es nimmer von ihm lassen wolle und daß ihr jedes Loos willkommen sei, wenn es nur mit ihm vereint dasselbe ertragen könne. Da war er ruhig geworden. Er blickte auf die Vorbereitungen zur Hochzeit mit einem gleichgiltigen Lächeln und sah den Hochzeitstag ruhig näher und näher heranrücken; ihn kümmerte er nicht.

Der Ackermann war zu stolz, um ihn zu bitten, die für ihn erwählte Braut zu besuchen und ihre Angehörigen und Verwandten zur Hochzeit einzuladen, er fürchtete auch seine Weigerung. Er war deshalb wenige Tage vor dem Hochzeitstage selbst zu ihr gefahren und hatte selbst alle Gäste eingeladen. Es wurde ihm leicht, ihnen gegenüber eine Entschuldigung vorzubringen, weshalb ein Sohn es nicht thue.

Als er zwei Tage vor dem zur Hochzeit bestimmten Tage zurückkehrte, war er ruhig und heiter. Alles war bis dahin nach seinem Wunsche gegangen. Die großartigen Vorbereitungen waren vollendet und gelungen, und an einen Trotz, an eine Weigerung seines Sohnes dachte er jetzt selbst nicht mehr. Derselbe hatte Alles ruhig mitangesehen, hatte nichts gesagt, hatte sich also, wenn auch ungern, gefügt.

Auch seine Frau wurde ruhiger, je näher der Hochzeitstag heranrückte, denn auch sie hoffte, daß noch Alles ein gutes Ende nehmen werde. Ihr Auge ruhte prüfend und heimlich beobachtend auf Gottfried, aber sie bemerkte auf seinem Gesichte nichts, was einen Trotz befürchten ließ. Er war still und in sich gekehrt. War das indeß nicht ganz natürlich, da er diese Heirath nur ungern einging, weil sein Herz einem andern Mädchen anhing? »Er wird sich schon darein finden und die Liesbeth lieben lernen, denn sie ist ein gutes, liebes Mädchen« tröstete sie sich selbst.

Als der Ackermann nach seiner Heimkehr zum ersten Male mit Gottfried zusammenkam, war er freundlicher gegen ihn denn je.

»Die Liesbeth läßt Dich grüßen und auch ihr Vater« – sprach er freundlich. – »Und von der Liesbeth sollte ich Dir noch sagen, es sei Unrecht von Dir, daß Du sie vor der Hochzeit nicht einmal besucht habest, sie wolle es Dir aber nicht nachtragen.«

»Was geht mich die Liesbeth an« – warf Gottfried ein.

»Was Dich das Mädchen angeht?« – erwiderte der Ackermann, der diese Worte seines Sohnes nicht recht begriffen hatte. – »Nun, ich sollte denken, daß Dir das Mädchen, welches in drei Tagen Deine Frau wird, nicht so gleichgiltig wäre.«

»Meine Frau?« – wiederholte Gottfried mit einem leisen spöttischen Lächeln. – »Ich hab' Dir ja meine Meinung darüber gesagt.«

»Wie?« – rief Sante, indem er heftig und zornig in die Höhe sprang und dicht vor Gottfried hintrat. – »Wie? – Sag' das noch einmal. – Wie? Du wolltest mir trotzen – trotzen, jetzt, da alle Vorbereitungen zur Hochzeit vollendet sind, da Dein Aufgebot in der Kirche verkündet, da ich die Gäste schon eingeladen habe! Du wolltest wir trotzen und eine solche Schmach über mich bringen!«

»Meine Schuld ist's nicht« – erwiderte Gottfried mit fester Stimme. – »Du hast das Alles selbst besorgt, obschon ich Dir gesagt habe, daß ich das Mädchen nimmermehr zu meiner Frau nehme, und dabei bleibe ich.«

»Und dabei bleibst Du!« – rief der Ackermann mit lauter und vor Aufregung bebender Stimme. – »Und dabei bleibst Du, Du Bube!« – wiederholte er und sein Arm erhob sich drohend, seine Augen blickten zornig wild und seine hohe breite Brust rang nach Athem. »Du willst mir trotzen! Wag's Du Bube, wag's! und mit eigener Hand schleppe ich Dich vor den Altar. Ich hab's geschworen, daß das Mädchen Dein werden soll und mir hat noch Niemand zu trotzen gewagt.«

Fest und scheinbar ruhig stand Gottfried seinem Vater entgegen. – »Auch ich habe geschworen« – erwiderte er – »und« …

»Schweig, Bube!« unterbrach ihn sein Vater, indem er ihn am Arm erfaßte und krampfhaft schüttelte. – »Schweig, sag' ich, oder ich vergesse mich – und es gibt ein Unglück!«

Er wandte sich ab, um seine gewaltige Aufregung niederzukämpfen.

Fest und ruhig verließ Gottfried das Zimmer. Seine Wangen waren wohl geröthet, aber aus seinen Augen blickte ein so ruhiger Muth, den nur ein fester und unerschütterlicher Entschluß zu verleihen vermag, und sein Entschluß stand fest.

Der Ackermann hatte seiner Frau von dem heftigen Auftritte mit seinem Sohne nichts erzählt und auch Gottfried hatte nichts davon erwähnt. Die beiden letzten Tage brachten für sie der Arbeiten, Vorbereitungen und Sorgen so viele, daß sie nicht einmal einen Augenblick Zeit hatte, mit ihrem Sohne zu sprechen. Aber ihre Gedanken weilten fortwährend bei ihm. Sie war der festen Ueberzeugung, daß er sich dem Willen seines Vaters gefügt, und im Herzen war sie ihm dankbar dafür. Sie beschloß, ihm dieses Nachgeben durch erhöhte Liebe und Sorgfalt zu lohnen und im Stillen betete sie, daß Alles zu seinem Glücke sich wenden möge.

Als sie sich an dem Abende vor dem Hochzeitstage, nachdem endlich alle Vorbereitungen vollendet waren, spät und erschöpft zur Ruhe legte, sprach sie zu ihrem Manne: »So, Sante, nun ist Alles für den morgenden Tag in Bereitschaft und ich denke, es wird sich Alles noch besser gestalten als wir denken.«

»Das walte Gott!« – erwiderte der Ackermann, und ein schwerer Seufzer rang sich aus seiner Brust empor. Weiter sprach er kein Wort. Aber lange blieben seine Augen noch ungeschlossen, und als seine ermüdete Frau längst ruhig schlief, lag er noch schlaflos mit bangen, schweren Gedanken da, und Minute auf Minute zog langsam und qualvoll an ihm vorüber, bis auch er endlich gegen Morgen einschlief.

So war der Vorabend des Hochzeitstages seines einzigen Sohnes.

 

Früh am folgenden Morgen erhob sich die Frau. Für sie gab es ja viel zu schaffen und zu sorgen, denn schon zeitig mußte sie die Gäste erwarten. Auch der Ackermann erhob sich bald darauf von seinem Lager, um noch einmal alle Vorbereitungen zu überblicken, denn er setzte seine Ehre darein, daß es an nichts fehlte, daß keiner seiner Gäste einen Grund zur Unzufriedenheit habe.

Einige Stunden vergingen, ohne daß es ihnen aufgefallen wäre, daß sie Gottfried an diesem Morgen noch nicht erblickt hatten. Zuerst fiel es der Mutter auf. Eine bange Ahnung durchzuckte ihre Brust. Sie suchte sie mit Gewalt zurückzudrängen und schalt sich selbst eine Thörin, da sie sich gestehen mußte, daß sie bei ihren Arbeiten und Vorkehrungen wenig auf Gottfried geachtet hatte.

Erst als sie mehre Knechte und Mädchen nach ihrem Sohne gefragt, als auch von ihnen Niemand ihn gesehen hatte, vermochte sie ihrer Angst nicht länger Herr zu werden. Mit laut und bange pochendem Herzen eilte sie hinauf zu Gottfried's Kammer. Mit zitternder Hand öffnete sie die Thüre. Erschrocken trat sie einen Schritt zurück, ihre Wangen erbleichten, und kaum vermochte sie sich aufrecht zu erhalten, denn die Kammer war leer und das Bett stand noch unangerührt da.

Mit bebender Stimme rief sie des Sohnes Namen, aber kein Gottfried antwortete, alles blieb still – still. Da unterlag es keinem Zweifel mehr für sie, ihr Sohn war fortgegangen von Haus und Hof, oder er hatte sich gar das Leben genommen, um die Liesbeth nicht zu heirathen. Wilde, schreckliche Bilder zogen vor ihrem aufgeregten Geiste vorüber. Sie erblickte ihren Sohn, ihr einziges Kind leblos, blutig entstellt. Sie sah seine Augen gebrochen, seine Wangen todesbleich, und zugleich tönte ihr lustige Hochzeitsmusik in die Ohren und sie hörte das Jubeln und Singen der Gäste. Immer wilder wurden diese Bilder, immer lauter tönten die Klänge – da riß sie sich gewaltsam aus diesen schrecklichen Träumen wach, und mit ihrer letzten Kraft eilte sie hinab in die Stube zu ihrem Manne.

Kraftlos sank sie auf das Sopha. – »Sante, Gottfried – fort – todt!« waren die einzigen Worte, welche sie mit Mühe hervorzubringen vermochte.

Der Ackermann erbleichte, seine Augen waren starr auf seine Frau gerichtet, seine große Gestalt schwankte, und nur mühsam hielt er sich an einem Stuhle aufrecht. Eine schreckliche Ahnung zuckte durch seine Brust. Es war in diesem Augenblicke nicht die Sorge und Angst um seinen Sohn, welche ihn erbleichen machten, es war der Gedanke, daß die Hochzeitsgäste ankommen würden, daß die Braut eintreffen werde – und der Bräutigam, sein Sohn, war nicht da. Er dachte an die Schmach und Schande, aber dieser Gedanke war es auch, der ihm die Fassung wieder gab und seinen Stolz zurückrief: Nein, es konnte nicht sein, es konnte nicht Wahrheit sein, was seine Frau sprach, sie mußte sich getäuscht haben.

»Wer hat das gesagt, wer wagt das zu sagen?« – rief er heftig, indem er sich wieder stolz empor richtete.

»Seine Kammer ist leer, sein Bett ist unangerührt, noch Niemand hat ihn heute Morgen gesehen« – sprach die Frau heftig schluchzend.

Der Ackermann schien bei diesen Worten neue Kraft zu schöpfen. – »Du hast zu viel gesehen, Marie-Anne« – erwiderte er – »Du irrst Dich. Es kann nicht sein, ich selbst will es sehen und untersuchen.«

Er schritt zur Thür hinaus und seine Frau folgte ihm. Als er die Treppe hinaufstieg und daran dachte, daß auch er Gottfried an diesem Morgen noch nicht gesehen, ward ihm denn doch bange und seine Kniee erzitterten. Als er in die Kammer trat und sah, daß Alles so war, wie es seine Frau gesagt, als das Bett noch unangerührt da stand, wich das Blut wieder aus seinen Wangen, aber noch behielt er seine Fassung. Dies konnte ja einen andern Grund haben, er konnte ja wieder während der Nacht mit Marie zusammengewesen sein.

Spähend blickte er sich in der Kammer um, nichts schien die Befürchtungen seiner Frau zu bestätigen. Da sah er, daß der Schlüssel in Gottfrieds Koffer steckte.

Er öffnete ihn und wie vom Blitz getroffen fuhr er zurück – er war leer. Gottfrieds Kleider und seine Ersparnisse, welche er in diesem Koffer stets geborgen hatte, waren fort; es unterlag keinem Zweifel mehr, daß Gottfried fort war und sie mit sich genommen hatte.

»Er ist fort!« – rief er mit tonloser Stimme des höchsten Schreckens und sank zurück auf einen Stuhl, das Gesicht mit den Händen bedeckend, denn die Schmach, die Schande, der vernichtete Stolz überwältigten ihn.

Mit dem lauten Ausrufe: »O Gott, mein Kind, mein Gottfried,« warf sich die Mutter schluchzend an seine: Brust, aber diese Worte waren es, welche ihn wieder wach riefen und seinen Zorn den Schmerz überwältigen ließen. Wild sprang er empor.

»Dein Kind?« – rief er. – »Ich habe kein Kind mehr, das ist mein Sohn nicht, der solche Schande über mich zu bringen vermag. Ha, jetzt begreife ich, weshalb er so ruhig und gleichgiltig auf all die Vorbereitungen blickte! Und ruhig ließ er mich fortziehen und die Gäste einladen, und die Gäste werden kommen, und die Braut wird nach ihrem Bräutigam fragen – und wie ein Narr stehe ich ihnen gegenüber. Das hat der Bube gewollt, das ist seine Absicht gewesen. Ha, warte Du Bube, noch stehe ich nicht so vernichtet da, wie Du glaubst, noch hab' ich die Kraft, dies Alles zu tragen! Aber wenn Du je wiederkehrst, wenn Du mir je wieder unter die Augen zu treten wagst – dann dann soll mein Fluch Dein Willkommen, mein Fluch Dein Erbtheil sein!«

»Sante, Sante!« – rief die Frau erschreckt, und die Hände flehend und abwehrend zu ihm ausstreckend – »es ist Dein Sohn, Dein einziges Kind, dem Du fluchst!«

Der Ackermann hörte es nicht mehr, er hatte die Kammer bereits verlassen. Er ging hinaus in den Garten, um der schwer beengten Brust Luft zu schaffen, und seine gewaltige Erregung vor fremden Augen zu bergen. Mit langsamen Schritten ging er hier auf und ab. Sein Gesicht war bleich, seine Augen blickten glanzlos und starr. Nur zuweilen fuhren sie wild und leuchtend empor und spähten umher, als ob sie Jemand suchten.

Es war ein schwerer, qualvoller Tag für ihn. Die Hälfte seines Vermögens würde er hingegeben haben, wenn er dadurch im Stande gewesen wäre, diese Schmach von sich abzuwenden. Dieser eine Tag, dieser eine Schlag stürzte mit einemmale das ganze Gebäude seines Stolzes zusammen, an dem er seit langen Jahren mit Mühe und Sorgen gebaut. Es war vernichtet, und vernichtet durch den, der diesem Stolze die Krone aufsetzen sollte – durch seinen eigenen Sohn.

Wieder ließ er seinen Blick spähend umherschweifen, da traf er auf seinen Feind, der an dem Garten vorüberschritt und mit einem spöttischen Lächeln herüberblickte. »Sollte er darum wissen, vielleicht seinen Sohn dazu bewogen haben! Sollte Gottfried, ihm zum Trotz, bei dem Mädchen sein, das er sich selbst auserwählt!« – Diese Gedanken zuckten plötzlich durch seinen Kopf.

In diesem Augenblicke trat seine Frau zu ihm in den Garten. Er schritt ihr entgegen.

»Marie-Anne« – sprach er – »sollte der Bube mir zum Trotz dort sein« – und er zeigte mit der Hand auf den Hof seines Nachbars.

Weinend schüttelte seine Frau das Haupt. – »Er ist nicht dort« – erwiderte sie. – »Auch mir ist der Gedanke gekommen, und ich habe Jemand hingeschickt, um das Mädchen nach dem Gottfried zu fragen. Sie weiß nichts davon, daß er fort ist, aber fort ist er, denn der Nachtwächter hat ihn während der Nacht mit einem Bündel auf der Schulter aus dem Dorfe gehen sehen.«

Sie brach bei diesen Worten auf's Neue in heftiges Schluchzen aus, und der Ackermann schritt hin und her, um sich Fassung und Ueberlegung zu gewinnen.

»Der Nachtwächter hat ihn gesehen?« – wiederholte er fragend, und als die Frau dies bejahte, fuhr er fort: »Dann werden auch Andere bereits darum wissen.«

»Das ganze Dorf weiß es« – erwiderte die Frau – »und hat es früher gewußt als wir. Es hat nur Niemand gewagt, es zu sagen.«

»Ha, deshalb blickte der Bursch von drüben so schadenfreudig zu mir in den Garten herüber« – rief Sante erbittert. – »Er wußte es bereits. Aber nur Geduld, der soll mich nicht gedemüthigt und schwach sehen, nur Geduld! – Es ist zu spät, um etwas zu ändern, Marie-Anne, nimm Dich an diesem Tage zusammen. Die Hochzeit hat der Bube zu nichte gemacht, aber die Gäste sind eingeladen und werden kommen, und von meinem Hofe soll keiner wie ein Narr zurückkehren, sie sollen diesen Tag feiern, denn deshalb sind sie gekommen.«

»Sante, Sante, nur heute nicht!« – bat seine Frau, aber befehlend erwiderte er: »Es bleibt dabei, wie ich gesagt habe.«

In diesem Augenblicke rollte ein Wagen, der die ersten Gäste brachte, und der Ackermann ging aus dem Garten, um sie zu empfangen. Er nahm alle seine Kräfte zusammen, um ihnen äußerlich ruhig und gefaßt entgegenzutreten, aber es war ihm, als ob durch diesen Zwang seine Brust gewaltsam zusammengeschnürt werde, und jedes Wort mußte er mit Mühe und Anstrengung aus ihr hervorholen.

Er hieß die Gäste willkommen und führte sie in das Zimmer ruhig und schweigend. Aber nicht lange konnte ihnen verborgen bleiben, was vorgefallen, denn die Verwirrung und der Schrecken auf dem Hofe, das bleiche Gesicht des Ackermanns, die verweinten Augen und kummervolle Miene seiner Frau – dies Alles stimmte nicht zu der Freude eines Hochzeitstages und war ihnen sofort aufgefallen.

Gäste auf Gäste kamen an, theils laut jubelnd und singend, theils mit bestürzten und verlegenen Gesichtern, wenn sie bereits im Dorfe erfahren hatten, was vorgefallen war.

Alle empfing der Ackermann ernst und ruhig vor der Thür seines Hauses. Mochte der laute Jubel der Ankommenden ihm auch tief ins Herz schneiden, mochte er ihm gleichsam wie Hohn ins Ohr tönen, er verlor seine Fassung nicht. Ihnen allen hatte er nicht Rede und Antwort zu stehen, sie waren nur gekommen, um die Hochzeit mitzufeiern, und sie sollten den Tag feiern, auch wenn nimmer Hochzeit war.

Erst als ein mit bunten Bändern geschmückter Reiter auf den Hof sprengte und jubelnd rief: »die Braut, die Braut, jetzt kommt die Braut!« erst als er den Wagen, welcher die Braut, ihren Vater und die Ihrigen trug, daherrollen sah, als ihre laute Freude ihm ins Ohr tönte – erst da verlor er auf kurze Zeit seine Fassung, denn wie sollte er dem Vater antworten, wenn dieser sprach: »Wo ist der Bräutigam für meine Tochter?« was sollte er zu Liesbeth sagen, wenn sie nach seinem Sohne fragte.

All' diese Gedanken stürmten in diesem Augenblicke so gewichtig und ungestüm auf ihn ein, daß er sich erschöpft und überwältigt an den Pfosten der Hausthür lehnte und die Hand auf seine Stirn legte, als könne er dadurch diese Gedanken fern halten und bannen. Es war ein schwerer, Augenblick, der schwerste in seinem ganzen Leben.

Unter lautem Jubel fuhr der Brautwagen vor dem Hause vor, aber nicht mit Jubel wurde er begrüßt. Bestürzte, ernste und traurige Gesichter blickten ihm entgegen.

Keiner schien den Muth zu haben, an den Wagen heranzutreten und die Angekommenen zu begrüßen, die erschrocken auf die bestürzten Gesichter blickten. Da trat Sante selbst an den Wagen heran und reichte der Braut und ihrem Vater die zitternde Hand zum Gruß. Aber kein Wort des Grußes und Willkommens vermochte er über seine Lippen zu bringen – kein Wort, und hätte es sein Leben gekostet.

»Sante!« – rief der Vater der Braut erschrocken. – »Sante, was ist das? Was ist vorgefallen? Wo ist Gottfried, Dein Sohn?«

Schweigend blickte ihn der Ackermann an, er hatte keine Antwort auf diese Frage. – »Wo ist Dein Sohn?« – tönte es in seinem Ohre wieder – »wo ist Dein Sohn?« schien ihn jeder Blick zu fragen und er hatte keinen Sohn mehr. Der, den er einst so nannte, den er so sehr geliebt, auf den er all' seinen Stolz gebaut – der war fort, war sein Kind nicht mehr. Zwischen ihm und seinem Herzen lag jetzt eine weite, unausfüllbare Kluft.

»Wo ist Dein Sohn?« – wiederholte der Vater der Braut, über des Ackermanns Schweigen noch mehr erschrocken.

Dieser bewegte die Lippen, um zu sprechen, vermochte indeß kein Wort hervorzubringen, er selbst konnte es nicht zuerst sagen – er konnte es nicht.

Da trat einer der Gäste hinzu, zog den Vater der Braut zur Seite und flüsterte ihm einige Worte zu. Erschrocken fuhr dieser zurück und auch aus seinen Wangen wich das Blut für einen Augenblick. Aber auch nur für einen Augenblick, dann wandte er sich an den Ackermann und fragte heftig: »Sante, was ist das? Was heißt das, Dein Sohn ist fort?«

Jetzt endlich hatte der Ackermann, sich einige Fassung wieder errungen. – »Du sollst es erfahren, Rosenthal« – sprach er – »Du sollst Alles erfahren, wie es ist, komm mit mir.«

Er erfaßte ihn am Arme und führte ihn in das Haus, in das kleine Zimmer – dort waren sie ungestört. Aufgeregt ging er einigemal im Zimmer auf und ab, dann blieb er vor dem Anderen stehen und sprach: »Höre mich ruhig an, Rosenthal, unterbrich mich nicht, ich will Dir nichts verschweigen, ich bin es Dir und Deinem Mädchen schuldig.«

Ruhig erzählte er ihm nun, wie Alles gekommen war und wie es war. Er war zu stolz und zu rechtschaffen, um irgend etwas zu verschweigen.

»So ist es« – schloß er seine Erzählung. – »Auch ich habe gefehlt, daß ich geglaubt habe, der Bube wage seinen Trotz nicht so weit zu treiben. Darin habe ich gefehlt und jetzt muß ich es schwer büßen. Ich wollte mein Leben hingeben, wenn ich diese Schande von mir hätte abwenden können.«

Schweigend hatte der Vater der Braut ihn angehört, aber seine Wangen hatten sich vor Unwillen und Zorn geröthet. – »Ha!« – rief er jetzt erbittert – »Deinem Burschen ist also mein Mädchen zu gering gewesen, so daß er ein anderes ihm vorzieht. Zum Narren hat er mich gehabt, daß ich mich zur Hochzeit rüste und hierher komme. Und mein Kind soll ich jetzt wieder heimbringen, damit die Leute mit Fingern darauf weisen und sagen: ›Seht, der ist der Bräutigam am Hochzeitsmorgen davon gelaufen!‹ – Das ist mir zu viel, Sante, das ist zu viel für mich, um es ertragen zu können. Das greift mir an die Ehre und an das Herzblut, und Dein Bube hat das Alles gethan. Ich wollte ihm mit Liebe entgegenkommen, und er hat Schande auf mich gehäuft, das ist zu viel, sag ich Dir, das ist zu viel! – Nun, es sei; es ist geschehen, der Wagen wird noch angeschirrt sein, da kann ich mein Kind sogleich wieder nach Haus fahren.«

Er wandte sich entschlossen zur Thür, um das Zimmer zu verlassen, da trat der Ackermann auf ihn zu, erfaßte ihn am Arm und hielt ihn zurück. – »Halt, Rosenthal, halt« – rief er – »so geht's nicht, so wollen wir nicht von einander scheiden. Ich verarge es Dir nicht, daß Du über den Buben erzürnt bist, der Dir so weh' gethan; aber sieh', wenn Du schauen könntest, wie es bei mir hier in der Brust nagt und stürmt, wenn Du wüßtest, was es heißt, vom eigenen Kinde so hintergangen zu sein, dann würdest Du erkennen, wie viel mehr ich leide. Ja, das greift an's Herz, an's Leben. Trage mir's nicht nach, was mein Bube verschuldet, nimm mir nicht Alles, Rosenthal – laß mir Dein Kind, Dein Mädchen!«

Er hatte des Mannes Hand ergriffen, sah ihm traurig und weich in die Augen, und seine Stimme erbebte vor innerer Erregung.

»Mein Kind, die Liesbeth?« – rief Rosenthal erstaunt.

»Ja, die Liesbeth?« – fuhr der Ackermann fort. »Sieh', ich hatte sie mir zur Schwiegertochter auserwählt, weil ich's dem Mädchen ansah, daß es gut und brav ist, und bin ich auch oft schroff und hart, das weiß ich wohl, das Mädchen hätte es bei mir gut gehabt. Gott hat mir kein Mädchen geschenkt, so oft ich mir es auch gewünscht habe; laß mir Dein Kind hier, Rosenthal, kein böses Wort soll es aus meinem Munde hören. Laß mich an dem Mädchen wieder gut machen, was mein Bube an ihm verschuldet. Schlag ein, Rosenthal, schlag ein.«

Er reichte ihm die Rechte dar und zögernd schlug des Mädchens Vater ein.

»Es sei,« – sprach er – »wenn die Liesbeth damit zufrieden ist.«

Sie war es.

Der Ackermann bot Alles auf, diesen Tag so festlich zu begehen, als ob wirklich Hochzeit gewesen wäre. Er wollte dadurch verbergen, wie gewaltig sein Stolz gebeugt sei, wie nahe ihm diese Schmach ans Herz getreten, aber all' sein Reichthum, alle Pracht der Vorkehrungen waren nicht im Stande, die Bestürzung der Gäste zu verwischen und auf seinem Gesichte eine ungezwungene Heiterkeit hervorzurufen.

Viele der Gäste wollten sofort heimkehren, und nur die Bitten und das Mitleid mit dem Schmerze des Vaters hielten sie zurück. Wohl brach hier und dort, durch den Wein angeregt, sich eine heitere Stimmung Bahn, aber ein Blick auf das kummervolle Gesicht der Mutter und die verweinten Augen der Braut verscheuchte sie sofort wieder.

So schwand der Tag in einer gedrückten, fast ängstlichen Stimmung dahin. Noch schien die Abendsonne friedlich und goldig auf den Hof des Ackermanns, da waren die Gäste schon sämmtlich heimgekehrt, und er stand an dem Wagen, welcher jetzt auch den Vater der Braut, den letzten aller Fremden fortführen sollte.

»Trag's ruhig, Sante« – sprach dieser zu ihm. – »Der Bube verdient nicht, daß Du Dich um ihn härmst, trag's ruhig und halt mir mein Kind gut!«

Der Ackermann drückte ihm die Hand, vermochte indeß nichts zu erwidern. Der Wagen fuhr fort und nun war es wieder still auf dem Hofe, stiller noch als sonst.

Jetzt löste sich aber auch der Zwang, den sich der Ackermann mit aller Gewalt auferlegt hatte, jetzt vermochte er seine Fassung nicht länger zu bewahren. »Komm', Liesbeth, komm'! Jetzt bist Du mein Kind, mein einziges« – sprach er zu dem heftig weinenden Mädchen, erfaßte es an der Hand und führte es in das Zimmer. Kaum hatte er dieses betreten, da brach sein großer starker Körper erschöpft und wie ein, gebrochener Stamm zusammen. Fast besinnungslos ward er in sein Bett getragen. Kein Wort, kein Laut kam über seine Lippen, auf keine Frage antwortete er. Seine Brust holte tief und schwer Athem und in finsterem Brüten blickte er starr vor sich hin.

So endete der Tag, zu dem so große Vorkehrungen getroffen waren, von dessen Pracht und Jubel man noch nach Jahren rühmend sprechen sollte!

 

Stille, traurige Tage folgten nun auf dem Hofe und in dem Hause des Ackermanns, obschon die Geschäfte ungehindert ihren Fortgang nahmen, denn ein Jeder fürchtete sich, durch eine Nachlässigkeit oder Unbedachtsamkeit den Unwillen des Mannes zu erregen, dessen Stirn jetzt fortwährend finster zusammengezogen war. Er schien äußerlich auf den ersten Anblick., ruhiger und gemäßigter geworden zu sein; diese Ruhe war indeß nur eine trügerische, die geringste Veranlassung war im Stande, seinen Zorn wach zu rufen, und dann ließ er sich noch ungestümer als früher gehen.

Gegen seine Frau war er ruhig, ja fast mild, indeß verschloß er sein Inneres vor ihr noch mehr als früher. So oft sie ihn zu trösten versuchte, und in seinem Herzen neue Hoffnung in Betreff Gottfried's anfachen wollte, wies er sie ernst zurück, denn den Namen seines Sohnes mochte er nicht hören, und den Schmerz und Gram wollte er langsam in eigener Brust verzehren. Es kümmerte ihn wenig, ob er dabei zu Grunde gehen werde, denn das Leben hatte jetzt für ihn ungleich weniger Reiz wie früher.

Am freundlichsten und mildesten war er gegen Liesbeth. Oft ruhte sein Auge mit einer stillen und wehmüthigen Trauer auf ihr, aber sein Inneres hielt er auch vor ihr verschlossen.

Während er sich so vorzugsweise über die Demüthigung seines stolzen Sinnes und über die Schande, welche ihm durch den Trotz Gottfried's angethan war, härmte, war das Herz seiner Frau nur von dem Schmerze und den Besorgnissen um ihren Sohn erfüllt. Denn noch keine Kunde war zu ihnen gedrungen. Niemand wußte wo er war, selbst Marie nicht. Gottfried's Mutter fand bei Liesbeth alle Eigenschaften, welche sie nur bei ihrer Schwiegertochter wünschen konnte, aber das eigene Kind vermochte sie ihrem Herzen nicht zu ersetzen. Sie war still und traurig geworden, denn all' ihre Hoffnungen auf einen ruhigen, glücklichen Lebensabend waren zu Grabe getragen.

Liesbeth hatte sich vorzugsweise eng an sie angeschlossen und fand eine liebevolle Mutter in ihr. Von dem Ackermann hielt sie eine gewisse Furcht ferne, obschon sie nie ein hartes Wort aus seinem Munde vernahm.

So floßen Wochen, Monde und Jahre dahin. Alles blieb sich auf dem Ackerhofe gleich, nur der Ackermann selbst alterte auffallend rasch. In seinem Hause herrschte ein stilles Leben; wer aber einen Blick tiefer hineinthat, vermochte sofort zu erkennen, daß dieses Leben nicht ein glückliches war, denn das Glück macht heiter und lebensfroh, aber die Heiterkeit war in dem Hause selten geworden.

In dem Hasse Sante's gegen seinen jungen Nachbar hatte die Zeit keine Milderung hervorgerufen. Er kam mit ihm in keine Berührung, es konnte ihm indeß nicht verborgen bleiben, daß Lüddeke durch unermüdlichen Fleiß und durch tüchtige Kenntnisse unterstützt sich rasch emporgearbeitet hatte. Seine gut bewirthschafteten Felder trugen die reichsten Ernten, und waren sie früher hinter denen des Ackermanns weit zurückgestanden, so verdienten sie jetzt entschieden den Vorzug. Dies Alles trug nur dazu bei, den Haß Sante's noch zu erhöhen und unauslöschbar in seine Brust einzugraben.

 

So waren fast drei Jahre vergangen, als die Nachricht in das Dorf drang, Gottfried diene in einer entfernten Gegend als Knecht bei einem Bauer, er wolle indeß heimkehren, um Marien als sein Weib mit sich zu nehmen. Auch auf den Ackerhof drang diese Kunde und rief dort die verschiedenartigsten Empfindungen hervor.

Das Herz der Mutter war nur von der Freude erfüllt, daß sie ihr Kind wiedersehen solle, und auf diese Freude baute sie die Hoffnung, daß noch Alles ein gutes Ende nehmen werde. Sie rechnete fest darauf, daß Gottfried ihren Bitten nicht werde widerstehen können, und sobald er Liesbeth näher kennen gelernt hatte, mußte er sie lieben, denn sie war gut und brav.

Auch Sante nahm diese Nachricht viel besser auf, als seine Frau geglaubt hatte. Wohl wurde die Erinnerung an den Trotz seines Sohnes und die durch ihn hervorgerufene Schande wieder lebhaft in ihm erweckt, aber auch er hoffte, daß dann endlich die Zeit kommen werde, wo er seinen Willen noch durchsetzen könne. Gottfried sollte die Liesbeth heirathen, oder er wollte ihn enterben und dem Mädchen seinen Hof und all' sein Vermögen vermachen. Dies hatte er fest bei sich beschlossen, aber auch er hoffte, daß Gottfried durch das Leben klüger geworden sei und ihm nicht länger trotzen werde.

Nur Liesbeth vermochte ihre Unruhe nicht zu verbergen, wenn sie daran dachte, daß der Mann zurückkehren werde, der sie einst so schnöde verschmäht und sie fast zum Spott der Leute gemacht hatte. Sie konnte ihn nicht mehr lieben, denn seit jenem Tage hatte ihr Herz sich von ihm abgewendet. Sie verbarg indeß dies Gefühl, um die Eltern, welche stets liebevoll und gütig gegen sie gewesen, nicht zu kränken und hoffte im Stillen, daß Gottfried nie wiederkehren oder doch seiner Marie treu bleiben werde.

Etwas Näheres über Gottfried erfuhr Niemand, und die Einzige, welche vielleicht mehr von ihm wußte, Marie, schwieg hartnäckig. Aus ihrem heitern und zufriedenen Wesen konnte man indeß schließen, daß sie keine traurigen Nachrichten von dem Entschwundenen hatte und daß sie mit freudiger Hoffnung der Zukunft entgegensah.

So standen die Angelegenheiten, als Gottfried eines Sonntags Morgens, während der Ackermann mit Liesbeth zum Gotteshause gegangen war, auf den elterlichen Hof trat. Mit einem wehmüthigen Ernste blickte sein Auge umher. Hier war noch Alles eben so, wie er es vor fast drei Jahren verlassen hatte. Es war ihm in diesem Augenblicke, als ob er erst vor wenigen Wochen von hier geschieden wäre und doch hatte er selbst in der Zwischenzeit so viel erlebt und diese Erlebnisse prägten sich auch in seinem Gesichte aus. Er war ernster und männlicher geworden, aus seinen Augen blickte ein fester und entschiedener Sinn. Er hatte erkannt, daß er auch auf sich allein angewiesen durch das Leben komme und daß er dabei glücklich und zufrieden leben könne, und diese Erkenntniß hatte ihm eine feste Zuversicht gegeben.

Er wußte nicht, daß sein Vater nicht daheim war, aber er schritt ohne zu zögern und gefaßt auf das Haus zu. Als er auf die Hausflur trat, kam ihm seine Mutter entgegen. Einen Augenblick lang blickte sie ihn schweigend und prüfend an, dann eilte sie auf ihn zu und warf sich laut weinend an seine Brust. »Mein Kind, mein Gottfried, habe ich Dich wieder« – schluchzte sie und schaute ihm lieb in die Augen. Hierauf zog sie ihn mit sich in das Zimmer, wo sie allein waren und sank auf's Neue an seine Brust.

»Wo ist der Vater?« – fragte Gottfried endlich, um nicht zu zeigen, wie nahe ihm selbst das Wiedersehen ging und wie gerührt sein eigenes Herz durch die Freude der Mutter war.

»Er ist im Gotteshause« – erwiderte die Mutter. »Du bist doch gekommen, Gottfried, um bei uns zu bleiben?« – fügte sie fragend hinzu.

Ein schmerzliches Lächeln zuckte um Gottfrieds Mund. – »Ich weiß es nicht« – entgegnete er – »denn nicht von mir hängt es ab, ob ich hier bleibe. Der Vater hat es zu bestimmen, und seine Antwort auf eine einzige Frage von mir wird über mein ganzes ferneres Leben entscheiden.«

»Was willst Du von dem Vater?« – fragte die Mutter nicht ohne Besorgniß.

»Ich will ihn in Ruhe und Güte fragen« – erwiderte Gottfried – »ob er es jetzt zugeben will, daß ich die Marie heirathe. Ob er uns seinen Segen geben will; denn hindern kann er mich nicht mehr daran. Ich bin mündig und nicht mehr von ihm abhängig. Weiter verlange ich auch nichts von ihm als eine Antwort auf diese Frage und ich fürchte fast, der Vater zürnt mir noch und wird mir seine Zustimmung nicht geben.«

Ehe die Mutter ihm zu antworten vermochte, wurde die Thür geöffnet und der Ackermann trat ein. Er blieb überrascht stehen, als er seinen Sohn erblickte, faßte sich aber sofort wieder und schritt mit einer scheinbar gleichgiltigen Miene an ihm vorüber, ohne ihn zu begrüßen oder die Hand zum Willkommen darzureichen.

Gottfried trat zu ihm und indem er ihm die Rechte darbot, sprach er: »Du zürnst mir, Vater, weil ich einst …«

Der Ackermann unterbrach ihn mit einer Bewegung seiner Hand. – »Laß das« erwiderte er. – »Was einst geschehen ist, darüber zu reden und abzurechnen ist später noch Zeit genug. Erst sag mir, was du jetzt hier willst, weshalb Du jetzt wieder gekommen bist.«

Es lag in dem Tone seiner Stimme ein kalter und befehlender Ernst, der Gottfried um so mehr auffiel als er ihn seit Jahren nicht gehört, als selbst der Bauer, bei dem er als Knecht gedient, freundlicher und milder zu ihm sprach als jetzt sein Vater. Es war sein fester Entschluß gewesen, diesem ruhig und freundlich entgegenzutreten, aber jetzt fing dieser Entschluß schon an wankend zu werden. Er fühlte sich unabhängig von seinem Vater und dessen harte Worte erbitterten ihn um so mehr.

»Du sollst es erfahren, weshalb Ich gekommen bin und was Ich will« – entgegnete er – »denn es scheint, daß Dein Sohn nicht mehr das Recht hat, Deinen Hof zu betreten.«

»Ha« – rief der Ackermann spöttisch lachend – »er hat dies Recht selbst aufgegeben, seitdem er davongelaufen ist und Schimpf und Schande über diesen Hof gebracht hat. Deshalb frage ich Dich noch einmal, was Du hier willst.«

»Ich wollte Dich nur fragen, ob Du in Güte und Frieden Deine Einwilligung geben willst, daß ich Marie Lüddeke heirathe?« – fragte Gottfried. – »Das ist es, was ich hier wollte.«

»Dann magst Du nur wieder hingehen, woher Du gekommen bist« – rief Sante heftig auffahrend. »Nie werde ich meine Einwilligung dazu geben, nie, sage ich. Du kennst das Mädchen, welches ich zur Frau gewählt habe, dabei bleibt es. Wir wollen sehen, wer seinen durchsetzt, Du oder ich?«

»Ich habe Dich um Deine Einwilligung in Güte gebeten« – erwiderte Gottfried – »Du verweigerst sie mir – gut so mag es geschehen ohne dieselbe, denn ich brauche sie nicht, ich kann auch ohne sie Marie als mein Weib heimführen – ich bin mündig!«

»Was bist Du?« – rief der Ackermann heftig. »Mündig? – Freilich Du hast jetzt das Alter, in dem Du thun und lassen kannst, was Du willst« – fügte er mit bitterem Lachen hinzu – »Du bist jetzt mündig – bist ein mündiger Bettler! Auch ich werde mit meinem Hofe und meinem Hab und Gut machen, was ich will, und das schwöre ich, Du Bube, daß Du es nimmermehr erhalten sollst, wenn Du jenes Mädchen heirathest.«

»Ich habe nicht darauf gerechnet« – entgegnete Gottfried – »ich kann ohne Dich durch das Leben kommen, und ich will lieber ein Knecht bei fremden Leuten sein, als ein Knecht und Sklave meines eigenen Vaters. Auch ich habe geschworen, daß Marie mein Weib werden soll, und bei Gott! sie wird es!«

»So lauf, Du Bube!« – rief der Ackermann, indem er in höchster Erbitterung drohend den Arm erhob. – »Lauf fort aus meinem Hause! Meinetwegen magst Du die Dirne zum Weibe nehmen – Bettelpack gehört zu Bettelpack – und ich habe nichts mehr mit Dir gemein! Aber noch Eins will ich Dir sagen: Laß Dich nicht zum zweiten Male auf meinem Hofe und in meinem Hause erblicken, sonst mache ich von meinem Rechte Gebrauch und werfe Dich mit eigener Hand hinaus.«

Er würde dieses Recht vielleicht schon in diesem Augenblicke ausgeübt haben, wäre ihm nicht seine Frau laut schluchzend und abwehrend in die Arme gefallen. Er stieß sie unsanft zurück und verließ in heftigster Aufregung das Zimmer.

»Gottfried, was hast Du gemacht, was hast Du gethan!« – rief die Mutter weinend. – »Dein eigenes Unglück hast Du hervorgerufen! Du hast den Vater erbittert, er hat gedroht, Dich zu enterben, und Du weißt, daß er seine Drohung auch ausführt.«

»Ja, das weiß ich, Mutter!« – erwiderte Gottfried gefaßt. – »Ich hatte es vorausgesehen, daß es so kommen werde, doch dies Alles ändert meinen Entschluß noch nicht. Ein Unglück ist es nicht, wenn mich der Vater enterbt, ich kann ohne sein Geld leben und glücklich sein, und werde es vielleicht mehr als er es ist.«

»Nein, nein, Gottfried, Du darfst nicht so sprechen, Du mußt dem Vater nachgeben« – rief die Mutter, indem sie bittend seine Hand ergriff. – »Du darfst mir den Kummer nicht machen, daß ich mein einziges Kind arm und enterbt sehen soll, das bräche mir das Herz!«

»Ich bin nicht arm, wenn ich so viel habe als ich brauche, und so viel verdiene ich mir« – entgegnete Gottfried. – »Willst Du lieber, daß ich ein Mädchen heirathe, das ich nicht liebe und an dessen Seite ich zeitlebens unglücklich bin?«

»Die Liesbeth ist ein gutes, liebes Mädchen« warf die Mutter ein – »auch mit ihr würdest Du glücklich werden. Sie hat es nicht verdient, daß Du sie verschmähst!«

»Hat Marie es etwa verdient, daß ich sie treulos verlassen soll?« – warf Gottfried ein. – »Auch sie ist gut und brav. Sieh', der Vater verweigert mir seine Einwilligung, nur weil er seinen Willen durchsetzen will, es ist Trotz von ihm, nichts weiter. Bei mir handelt es sich um mein ganzes Lebensglück. Ich gebe nimmermehr nach, und mag daraus entstehen was will; auch in meinen Adern fließt des Vaters Blut, auch ich bin ein Sante, und die Sante halten fest an dem Entschlusse, den sie einmal gefaßt haben.«

»Das sei Gott geklagt« – seufzte die Mutter »denn dieser unbeugsame Eigensinn hat schon manchen Kummer über unsere Familie gebracht, und wer weiß, wie noch Alles enden wird!«

»Das will ich Dir sagen, Mutter« – erwiderte Gottfried. – »Sieh', ich habe mir einen kleinen Bauernhof gekauft und habe mit meinen Ersparnissen die erste Anzahlung gemacht. Auf ihm will ich mit Marie leben und wirthschaften, und ich hoffe, wir werden glücklicher sein als der Vater mit all' seinem Reichthume ist. Der Vater wird mich enterben, ich weiß es, denn er hat es gesagt, aber ich frage nichts darnach, seitdem ich weiß, daß ich durch die Arbeit meiner Hände leben kann.«

»Nein, Gottfried, so darf es nicht kommen« – rief die Mutter. – »Denkst Du gar nicht an mich?«

»Doch, Mutter, das thue ich« – erwiderte Gottfried – »und ich weiß auch, daß Du zufrieden und glücklich bist, wenn Du weißt, daß ich es bin, und zum Glücke ist kein Reichthum nöthig. – Doch ich gehe, der Vater soll mir nicht zum zweitenmale die Thüre weisen. Dich kann ich auch anderwärts sehen und weiter habe ich hier nichts zu suchen.«

Er schloß die Mutter noch einmal in seine Arme und verließ dann rasch das Zimmer und das Haus, um seinem Vater nicht wieder zu begegnen.

Als er über den Hof schritt, trat ihm Liesbeth entgegen, welche von dem Besuche einer Freundin heimkehrte. Beide errötheten, als sie einander erblickten. Gottfried blieb überrascht stehen und seine Augen ruhten auf dem lieblichen Gesichte des Mädchens. Er hatte Liesbeth seit Jahren nicht gesehen und hatte in seiner Erinnerung nur ein ungenaues Bild von ihr gehabt, um so mehr war er jetzt überrascht, als er diese frische und liebliche Erscheinung erblickte.

Er fühlte in diesem Augenblicke, daß er auch mit Liesbeth glücklich geworden wäre, daß er auch sie hätte lieben können, er dachte daran, wie glücklich dann seine Eltern gewesen wären und wie behaglich er hier hätte leben können. Unwillkürlich drängte sich ihm ein Vergleich mit seiner Marie und mit den Opfern, die er ihretwegen brachte, auf. Noch nie waren ihm diese so groß und schwer erschienen als in diesem Augenblicke, noch nie hatte er wie jetzt den Trotz gegen seinen Vater bereut. Der Anblick Liesbeths machte ihn für kurze Zeit schwankend. Aber bald nahm er sich wieder zusammen, denn nachgeben konnte und wollte er nicht. Auch er war ein Sante, und wäre er jetzt seinem eigenen Unglücke entgegen gegangen, zurückgekehrt wäre er nimmermehr.

Er trat auf Liesbeth zu, um mit ihr zu sprechen, um ihr zu sagen, daß sie ihm nicht zürnen möge, daß Alles anders gekommen sein würde, wenn er sie früher gesehen hätte. Er erfaßte ihre Hand, aber er vermochte kein Wort hervorzubringen. Er war verwirrt und sein Herz pochte unruhig und laut. Fest drückte er des Mädchens Hand in seiner Rechten, verließ dann hastig den Hof und eilte zu seiner Marie, welche er seit fast drei Jahren nicht gesehen hatte.

Als Gottfried einst an dem Morgen des Hochzeitstages das väterliche Haus verlassen, hatte Marie ihrem Bruder ihre Liebe gestanden, und war dieser auch anfangs dagegen gewesen, so hatte ihn doch der Gedanke ausgesöhnt, daß nun auch Gottfried mit seinem Vater zerfallen sei und daß auch er jetzt zu dessen Gegnern zähle.

Als Gottfried jetzt in das Haus seiner Marie trat, und diese ihm erfreut und glücklich entgegenflog, trat auch Lüddeke zu ihm und reichte ihm die Hand zum Gruße dar.

»Aus Liebe zu meiner Schwester hast Du Deinen Vater verlassen« – sprach er – »Du bist ihr treu geblieben, Gottfried, nun wollen auch wir Freunde sein. Ich weiß ja ohnehin, das Du mit dem, was zwischen Deinem Vater und mir vorgefallen ist, nichts zu schaffen gehabt hast – deshalb sei willkommen in meinem Hause.«

»Ich bin nie feindlich gegen Dich gesinnt gewesen« – erwiderte Gottfried – »und wäre es nach meinem Willen gegangen, mein Vater hätte sich längst mit Dir versöhnt. Aber er läßt sich nicht rathen und auch nicht erbitten. Du kennst ihn ja.«

»Ja, ich kenne ihn« – entgegnete Konrad lächelnd – »und weiß auch, daß an eine Versöhnung und Freundschaft zwischen ihm und mir nie zu denken sein wird. Marie hat mir erzählt, daß Du Dir einen kleinen Bauernhof gekauft hast und sie nun als Dein Weib mit Dir nehmen willst. Ich habe nichts dagegen, aber sag' mir offen, hast Du schon mit Deinem Vater darüber gesprochen? Wird er es zugeben?«

»Ich komme soeben von ihm« – erwiderte Gottfried ruhig. – »Seine Einwilligung wird er nie geben, aber ich habe sie auch nicht nöthig, denn ich bin mündig.«

»Freilich wohl!« – rief Konrad – »aber er ist heftig. Erzürne ihn nicht zu sehr, er hat schon früher gedroht, Dich zu enterben.«

»Er wird es auch thun« – entgegnete Gottfried. – »Ich brauche indeß sein Geld nicht, denn ich vermag mit meinen Händen so viel zu erwerben, daß ich mit der Marie davon leben kann. Auch Marie ist damit zufrieden.«

»Gottfried, Gottfried« – warnte Konrad. – »Nimm dies nicht zu leicht. Jetzt mögt Ihr vielleicht Euch wenig darum grämen. Ihr seid noch beide jung, aber einst möchte es Dich doch gereuen, ein solches Erbtheil verscherzt zu haben. Du weißt, daß mein Hof zu sehr verschuldet ist und daß zu viele Abgaben darauf lasten, um Marie eine reiche Mitgift geben zu, können. Täusche Dich nicht, Gottfried!«

»Ich täusche mich nicht, weil ich nie darauf gerechnet habe« – entgegnete der Gewarnte. – »Mich verlangt nicht nach Reichthum, weil er allein nicht glücklich macht. Ich habe Alles reiflich überlegt und meinen Entschluß bringt nichts zum Wanken.«

»Gut, Gottfried, so sei es« erwiderte Konrad, indem er ihm die Hand darreichte. – »Ich hielt es für meine Pflicht, Dich zu warnen, doch mag ich Deinem Entschlusse nicht hindernd entgegentreten. Vielleicht läßt es Dein Vater bei seiner Drohung bewenden, und es nimmt noch Alles ein besseres Ende als wir jetzt glauben, ich wünsche es Dir von Herzen. Die Liesbeth ist ein schmuckes Mädchen und sie thut mir leid, doch auch sie wird es verschmerzen und einst noch glücklich werden.«

Gottfried schwieg. Der Name des Mädchens rief ihm ihr liebliches Bild vor die Augen zurück, unwillkürlich dachte er daran, daß auch der einst glücklich sein werde, dem es vergönnt sein wird, sie als sein Weib heimzuführen. Er hatte indeß nicht Zeit, diesen Gedanken weiter zu verfolgen. Marie erwartete ihn, und zwei Liebende, welche fast drei Jahre lang getrennt gewesen, haben einander viel mitzutheilen und zu vertrauen.

Marie hing noch mit der alten und innigen Liebe an Gottfried und bald vergaß er auch bei ihr die Größe des Opfers welches er seiner Liebe brachte.

Wieder, wie vor fast drei Jahren, wurden die Vorkehrungen zu Gottfried's Hochzeit getroffen. Sie waren nur einfach und gering, denn die Hochzeit sollte in aller Stille gefeiert werden, aber dennoch nahm Gottfried diesmal das lebhafteste Interesse daran. Er freute sich, daß er nun endlich das Mädchen als sein Weib heimführen solle, das er so treu geliebt und dem er so vieles zum Opfer gebracht, und dennoch konnte er es nicht unterlassen, dann und wann über die Gartenmauer einen Blick in den Garten seines Vaters zu werfen, in der Hoffnung, die liebliche Liesbeth dort zu finden. Er wußte, daß sie jetzt für ihn verloren war, er liebte auch seine Marie noch innig, aber trotzdem vermochte er das Interesse für dieses Mädchen nicht aus seinem Herzen zu reißen, und seine Gedanken weilten oft bei ihr.

Als er am Vorabende seines Hochzeitstages mit seiner Marie in der schattig dunkeln Laube des Gartens saß und in Gedanken die Vorkehrungen zu dem folgenden Tage mit denen verglich, welche einst sein Vater zu gleichem Zwecke getroffen, als er an das große Opfer, welches er seiner Liebe zu bringen im Begriffe stand, dachte und sich vorstellte, wie still und einfach es an dem folgenden Tage zugehen werde, vermochte er eine wehmüthig traurige Stimmung nicht zurückzuhalten, und die Gegenwart der Geliebten vergessend, versank er in träumerisches Sinnen.

Marie bemerkte es und blickte ihn eine Zeitlang schweigend an. – »Vermag der Gedanke an den morgenden Tag Dich nicht freudiger zu stimmen?« fragte sie endlich. – »Bist Du nicht glücklich, Gottfried?«

»So glücklich, wie ich mir diesen Tag einst vorgestellt habe, nicht« – erwiderte Gottfried. – »Keiner der Meinen feiert ihn mit mir; ich komme mir vor wie ein Ausgestoßener, mit dem Niemand etwas zu schaffen haben mag.«

»Dein Vater wird milder gegen Dich werden, sobald er erst ruhiger geworden ist« – versuchte Marie zu trösten. Aber ihre Worte vermochten ihn nicht heiterer zu stimmen, denn das, was ihm selbst unbewußt diese Unruhe in seiner Brust hervorrief, ahnte sie nicht. Wie vermochte sie auch daran zu denken, da Gottfried seiner Liebe ein so großes Opfer gebracht und ihr nie einen Grund gegeben hatte, an der Aufrichtigkeit und Innigkeit seiner Empfindungen zu zweifeln.

Still wurde der folgende Tag gefeiert. Es waren nur wenige Gäste zur Hochzeit geladen, aber keine heitere und lustige Stimmung fand unter ihnen Raum. Unwillkürlich drängte sich ihnen stets der Gedanke auf, daß Gottfrieds Eltern ihm so nahe waren und doch keinen Theil an diesem Feste nahmen, daß sie ihm ferner standen, als wenn sie hundert Meilen von ihm entfernt gewesen wären. Und auch Gottfried selbst war nicht heiter. Nun ein zweites Wesen, seine Marie, unzertrennlich fest an ihn geknüpft war, trat ihm das Leben plötzlich ernst entgegen. Es hatte ihm vorher leicht gedünkt, sich durch seiner Hände Arbeit sein Brot zu verdienen, und jetzt mit einem Male trat ihm die Zukunft schwer und drückend entgegen, und nicht mit freudiger Lust, sondern mit gebrochenem Muthe schaute er ihr in's Auge.

Marie begriff diese Stimmung ihres Geliebten nicht und erkannte sie auch nicht in ihrem vollen Umfange. Ihr Herz war an diesem Tage zu sehr von dem Gedanken an eine stille und glückliche Zukunft erfüllt; was sie so lange und sehnsuchtsvoll gewünscht hatte, sah sie jetzt erreicht, und keine Nebengedanken trübten ihr diese Freude.

Noch an demselben Tage reiste Gottfried mit seinem jungen Weibe nach dem Orte, der von jetzt an seine Heimath sein sollte, ab. Er hatte seine Mutter noch einmal gesehen und gesprochen, aber ihre Thränen waren noch weniger im Stande gewesen, ihn zu trösten und zu beruhigen. Sie schienen ihm zuzurufen: »Du wirst es einst bereuen, daß Du Dein Glück mit eigener Hand von Dir gestoßen, Du wirst es bereuen!« – Sie hatte ihm ihren Segen gegeben, aber war das ein voller und reicher Segen, den sie mit schwerem und traurigem Herzen aussprach!

So war sein Hochzeitstag und der Anfang seiner neuen Laufbahn.

Niemand war von dem Ereignisse dieses Tages schwerer betroffen als Gottfrieds Vater. Er hatte von ihm kein Wort gesprochen, mit keiner Sylbe seines Sohnes wieder erwähnt, aber aus seiner finster zusammengezogenen Stirn, aus seinen zornig blickenden Augen vermochte man genugsam zu erkennen, daß er an ihn dachte und daß ein fester Entschluß in seinem Innern reifte.

Als gegen Abend der Wagen, welcher Gottfried und Marie forttrug, vor seinem Hofe vorüber rollte und und seine Frau laut weinend ausrief: »Sante, Sante, eben fährt unser einziges Kind fort und Du hast ihm Deinen Segen nicht mit auf den Weg gegeben!« – verzog sich sein Gesicht zu einem spöttisch trotzigen Lächeln, »Er soll ihn haben« – erwiderte er, aber weiter sprach er kein Wort. Er verließ das Zimmer und ging auf seine Felder, um dort ungesehen und ungehindert seiner mühsam zurückgehaltenen Aufregung freien Lauf zu lassen.

 

Früh am folgenden Morgen ließ der Ackermann die Pferde anschirren und fuhr allein fort. Niemand, selbst seine Frau nicht, wußte wohin. Sie glaubte, er fahre nach der Stadt, was er aber dort beginnen wollte, davon hatte sie keine Ahnung. Aus seiner finsteren Miene erkannte sie indeß, daß es nichts Freudiges und Gutes war.

Und der alte Sante fuhr zur Stadt. Die Drohung, welche er gegen seinen Sohn ausgestoßen, wollte er erfüllen. Er wollte ihn enterben, um ihm zu zeigen, daß er keinen Trotz dulde, um ihn zu strafen für die Schande, welche er über ihn gebracht. Fest und unwiderruflich hatte er am Tage zuvor diesen Entschluß gefaßt, er sollte der Segen sein, welchen er Gottfried zugedacht hatte. Die Liesbeth sollte seinen Hof und sein ganzes Vermögen erben. Sie hatte er ja als sein Kind angenommen und ein zweites Kind gab es für sein Herz nicht mehr.

Von einem Notar ließ er das Testament aufsetzen, und so weit ging sein Groll, daß er selbst den Theil seines Vermögens, welchen das Gesetz seinem Sohne zuerkannte, nicht zugestehen wollte. Er sollte nichts haben, Alles sollte Liesbeth erben, so war es sein Wille, und erst eine wiederholte Vorstellung des Notars, daß seinem Sohne ein bestimmter Theil zufalle, den er ihm unter keiner Bedingung entziehen könne, und die Versicherung, daß das ganze Testament seine Rechtskraft verlieren werde, wenn er nicht auf diese gesetzliche Beschränkung Rücksicht nehme – erst dies vermochte ihn endlich zu bewegen, daß er seinem Sohne den gesetzmäßigen Theil zugestand.

Er legte das Testament bei dem Gerichte nieder und kehrte heim, unwillig, daß er verhindert war, seinen Entschluß in ganzer Ausdehnung auszuführen. Nur der eine Trost blieb ihm noch, daß Gottfried diesen Theil seines Vermögens erst nach seinem Tode erhalten werde.

In wildem Trabe fuhr er heim. Mit vor Aufregung und Zorn zitternder Hand hielt er die Zügel, aber die Rechte schwang die Peitsche kräftig und heftig über die Gäule. Schon näherte, er sich seinem Dorfe, und der Anblick des still und friedlich daliegenden Ortes, der ihm so freundlich entgegenlachte, schien ihn mehr und mehr zu beruhigen. Da erblickte er seinen Feind, Konrad Lüddeke, der ihm in einiger Entfernung auf demselben Wege entgegen kam, und mit einemmale war sein alter Zorn, seine ganze Heftigkeit wieder wachgerufen. Der Anblick dieses Mannes erinnerte ihn an Alles, was vorgefallen war und was ihn seit Jahren gekränkt hatte: an den Streit um den Acker, an den Trotz seines Sohnes, an die Schande der vergeblichen Vorbereitungen zur Hochzeit, an den Sieg, den der Trotz seines Sohnes doch endlich über ihn davongetragen hatte – er vermochte den Anblick dieses Menschen kaum zu ertragen, und mit unsinniger Heftigkeit hieb er mit der Peitsche auf die Pferde ein, daß sie in wilder Eile dahinliefen.

So sicher und geschickt er aber auch sonst den Wagen zu lenken vermochte, seine Aufregung hatte ihn blind gemacht, und indem er mit rasender Schnelligkeit über einen Stein fuhr, stürzte der Wagen um. Der Leitzaum entglitt seiner Hand, die erschreckten Pferde gingen durch und schleiften ihn unter dem umgestürzten Wagen mit fort.

Er wäre unrettbar verloren gewesen, hätte nicht Lüddeke, der in diesem Augenblicke bei dem Anblicke der Gefahr jede Feindschaft vergaß, sich den flüchtigen Pferden entgegengeworfen und sie zum Stehen gebracht. Er zog ihn unter dem Wagen hervor, aber der Unglückliche empfand es nicht, denn er hatte die Besinnung verloren. Er war über und über mit Blut bedeckt und schien schwer verletzt zu sein.. An dem Kopfe hatte er mehre bedeutende Wunden, und auch der übrige Körper war verletzt. Konrad bemühte sich vergebens, ihn in's Leben zurückzurufen, Sante schlug die Augen nicht auf und nur an dem schwachen Pochen seines Herzens war zu erkennen, daß noch Leben in ihm war. Es durfte keine Zeit verloren werden, da die Wunden stark bluteten, und Konrad erblickte Niemand, den er zur Unterstützung hätte herbeirufen können. Er legte den Bewußtlosen zur Seite des Weges auf weichem Rasen nieder, und hob dann mit Anstrengung aller seiner Kräfte den Wagen wieder empor, um den Ackermann darauf zu legen und auf diese Weise am schnellsten heim zu bringen. Indem er sich über ihn beugte, um ihn empor zu heben, schlug dieser die Augen auf und hielt sie einen Augenblick starr auf seinen Erretter gerichtet. Kaum hatte er indeß diesen erkannt, so bog er sich heftig zurück und schloß die Augen. Er bewegte die Lippen zum Sprechen, vermochte indeß kein Wort hervorzubringen.

Ein trauriges Lächeln zuckte um den Mund Konrad's. Er hatte in dem Augenblicke der Gefahr all' seine Feindschaft vergessen, er hatte selbst sein eigenes Leben gewagt, um seinen Gegner zu erretten, und dieser trug einen so unauslöschlichen und unversöhnlichen Haß in sich, daß er ihn nicht einmal an zu sehen vermochte. Er überwand indeß das schmerzliche Gefühl, welches seine Brust durchzuckte, hob den Unglücklichen auf den Wagen und fuhr mit ihm so schnell als es sein Zustand zuließ, heim.

Bestürzung und Schrecken ergriff Alle auf dem Hofe des Ackermanns, als sie den Feind ihres Herrn auf dessen Wagen daherfahren sahen. Ihr Schreck steigerte sich noch, als sie das Geschick des Ackermannes erfuhren und seinen Zustand erkannten.

Mit lautem Schmwerzensschrei stürzte sich die Frau über ihren unglücklichen Mann, der von seinen Knechten sofort in das Haus getragen wurde. Schweigend stand Konrad daneben. In dem Schrecken und der Verwirrung des Augenblickes hatte Niemand ein Wort des Dankes für ihn gehabt. In das Haus des Mannes, mit dem er seit Jahren in Feindschaft gelebt, einzutreten, vermochte er nicht über sich zu gewinnen, und eben wollte er den Hof verlassen, als Liesbeth zu ihm trat. Sie ergriff seine Hand, konnte aber vor Thränen nur die Worte hervorbringen: »Habt Dank, Lüddeke. Er war Euer Feind, Ihr habt es vergessen und ihm das Leben gerettet, habt Dank.«

Noch nie war Konrad dem lieblichen Mädchen, auf dem seine Augen immer mit stillem Wohl gefallen geruht, so nahe gegenübergestanden, nie hatte er ihre Hand berührt, und es durchzuckte jetzt seinen ganzen Körper, als sie seine Rechte drückte. Er blickte sie verwirrt und schweigend an, aber die lieblichen Züge ihres von Thränen und Schmerz gerötheten Gesichtes prägten sich schnell und tief in seinem Herzen ein.

»Was ich gethan habe« – erwiderte er endlich – »verdient keinen Dank, denn es war meine Pflicht, aber dennoch klingt der Dank aus Eurem Munde süß.« – Er hielt die Hand des Mädchens in der seinigen fest und drückte sie innig, und als ihre Augen sich begegneten, erröthete Liesbeth noch mehr.

Konrad verließ den Hof, seine Gedanken blieben indeß bei dem lieblichen Mädchen zurück. Was war es, das sein Herz mit einem Male friedlicher und versöhnlicher gegen den Ackermann gestimmt hatte? Nicht der Umstand, daß er ihm das Leben gerettet, dies würde er bei jedem Menschen gethan haben. Ohne daß er es ahnte, war zwischen ihn und den Feind eine Vermittlerin getreten, und er bedauerte jetzt mit aufrichtigem Herzen den Mann, den er noch vor einer Stunde als seinen größten Feind angesehen hatte.

Es gibt keine Gefühle und keine Leidenschaft in des Menschen Brust, welche nicht durch ein Gefühl überwunden werden könnte, durch ein Gefühl, welches das Herz und den ganzen Menschen mit einer Leidenschaftlichkeit erfaßt, welche keinen Widerstand duldet, vielmehr durch denselben noch gesteigert und unbesiegbarer wird. Dies ist die Liebe.

Die Liebe zu Liesbeth war in Konrads Herzen nicht so plötzlich und mit einem Male entstanden. Schon seit langer Zeit hatte sie sich, ihm selbst unbewußt, langsam entwickelt und es hatte ihr nur eine Veranlassung gefehlt, um offen und ihm selbst bewußt sich kundzugeben. Dieses kurze Begegnen mit Liesbeth, die wenigen Worte, welche sie zu ihm gesprochen, der milde, weiche Blick, mit dem ihr Auge ihm entgegengeschaut, hatte dies vollbracht. Das Feuer, welches schon lange in seinem Herzen heimlich geglimmt hatte, war mit einem Male zur Flamme angefacht, und je mehr er sich bemühte, diese Flamme zu unterdrücken und ihr in Gedanken in der Feindschaft des Ackermanns einen Widerstand entgegenzusetzen, um so leidenschaftlicher loderte sie empor, um so wilder griff sie um sich. Sie hatte schon zu tiefe Wurzeln gefaßt, um unterdrückt werden zu können.

 

Der Zustand des Ackermanns erwies sich bei genauer Untersuchung um vieles gefährlicher als er auf den ersten Anblick geschienen hatte. So bedeutend die äußeren Verletzungen auch waren, so würden sie doch das Leben nicht bedroht haben, aber es war zugleich die Brust heftig gequetscht und dadurch waren innere Theile erheblich verletzt. Dies zeigte sich erst nach einer genauen Untersuchung durch den Arzt und führte zugleich zu der traurigen Ueberzeugung, daß das Leben des Verletzten kaum zu erretten sei.

Dem Kranken ließ man die sorglichste Pflege angedeihen. Seine Frau und Liesbeth wichen nicht von seinem Bette, aber zu helfen vermochte all' ihre aufopfernde Liebe nicht. Tage auf Tage vergingen, ohne daß in dem Zustande des Kranken die geringste Besserung eintrat, und die Hoffnung, die sich selbst an den kleinsten Haltpunkt anklammert, vermochte keinen Boden zu gewinnen. Die Schmerzen des Unglücklichen waren heftig und ließen ihm wenig Ruhe, noch heftiger und unruhiger war seine Gemüthsstimmung. Seine Frau war mit Bitten in ihn gedrungen, Gottfried von dem Unfalle benachrichtigen und ihn herbeirufen zu dürfen, aber der Kranke verbot es und wollte nichts von seinem Sohne hören. Er sah seinen Tod mit Bestimmtheit voraus, der Gedanke daran stimmte ihn indeß nur noch unversöhnlicher und heftiger. Eben so wenig mochte er etwas von seinem Lebensretter hören.

Er war meist still und seine Stirn war finster zusammengezogen. Mit keinem Worte erwähnte er, daß er in der Stadt sein Testament gemacht und seinen Sohn enterbt hatte, und Niemand wußte etwas davon. Wenn er starb, erfuhren es die Seinigen früh genug.

Fast drei Wochen lebte der Unglückliche noch, dann starb er unter den heftigsten Schmerzen. Bis zum letzten Athemzuge war er gegen Gottfried und Konrad unversöhnlich geblieben. Seine Frau empfand diesen Verlust in seinem ganzen Umfange. Länger als ein Vierteljahrhundert hatte sie mit ihm vereint gelebt, und war er auch oft heftig und hart gegen sie gewesen, so hatte sie sich doch im ganzen glücklich gefühlt. Jetzt fand sie nur Trost in dem Gedanken, daß Gottfried zurückkehren und sie an ihm eine feste Stütze haben werde. Sie hatte sofort an ihn geschrieben und ihn gebeten, zu kommen.

Ehe er indeß ankam, ging Konrad zu ihr und bot ihr seine Hilfe an, deren sie jetzt so sehr bedurfte. Und sie konnte ihn nicht zurückweisen, sie konnte die Feindschaft ihres geschiedenen Mannes nicht fortsetzen, denn Konrad hatte zuerst jedes Feindschaftsgefühl vergessen, als er ihrem Gatten das Leben gerettet. Was ihn indeß mit unwiderstehlicher Gewalt in das Haus zog, war Liesbeth, für welche er jedes Opfer zu bringen im Stande gewesen wäre.

Seinem Stande und Reichthume gemäß ward der Geschiedene zum Friedhofe getragen, von vielen seiner Verwandten und Bekannten begleitet. Auch Gottfried und Konrad folgten dem Sarge, denn der Tod hatte beide mit dem Geschiedenen ausgesöhnt.

Gottfried war durch den Tod seines Vaters auf das Heftigste ergriffen. In Zwietracht war er von ihm geschieden, hatte ihn nicht wieder gesehen, und unversöhnt waren sie nun durch den Tod aus einander gerissen und keine Menschenmacht war im Stande, ihre Herzen wieder zu vereinen. Dennoch lag für ihn in dem Gedanken, daß er nun Herr des Hofes und Erbe des ganzen großen Vermögens sei, Beruhigung und zugleich eine heimliche Genugthuung. Sein Trotz erschien ihm dem Todten gegenüber in einem viel milderen Lichte, weil er die Folgen dieses Trotzes jetzt weniger hart empfand. Daß sein Vater seine Drohung, ihn zu enterben, bereits ausgeführt habe, daran dachte er nicht. Niemand wußte ja, daß er ein Testament gemacht hatte.

Um so mehr war er überrascht, als er nebst seiner Mutter schon am folgenden Morgen eine Vorladung vor das Gericht zum Zwecke der Testamentseröffnung erhielt. Aber auch jetzt hielt er die in ihm aufsteigende Befürchtung, daß sein Vater ihn enterbt habe, durch den Gedanken zurück, daß das Testament bereits vor Jahren abgefaßt sein könne. Auch seine Mutter klammerte sich an diese Hoffnung, obschon sie ahnte, daß es erst an jenem Tage des Unglückes entstanden sei.

Sie blieben nicht lange in Ungewißheit, denn schon nach zwei Tagen erfuhren sie den Inhalt des Testamentes, welches der Liesbeth das sämmtliche Vermögen und den Hof des Geschiedenen zusprach mit der natürlichen Bedingung, daß sie die Mutter zeitlebens als Mutter bei sich behalte und als solche ehre und pflege. Der Verstorbene hatte Liesbeth genau genug gekannt, um dies mit Zuversicht voraussetzen zu können.

Die Eröffnung des Testamentes hatte auf dem Hofe des Ackermanns die verschiedenartigsten Gefühle wachgerufen. Die Mutter hatte nur Thränen des Schmerzes und des Schreckens. Obschon sie Liesbeth innig liebte und ihr das Vermögen nicht mißgönnte, so stand Gottfried doch ihrem Herzen näher, er war ihr leibliches Kind. Gottfried suchte seinen Schrecken zu verbergen, um nicht zu zeigen, wie sehr ihn diese harte That seines Vaters kränke. Mit einem trotzigen Gleichmuthe suchte er es zu ertragen. Am meisten war Liesbeth zu bedauern. Sie sah sich wider ihren Willen, ja gegen ihren Wunsch in den Besitz eines bedeutenden Vermögens gesetzt, das ohnehin für sie wenig Werth hatte, da sie schon ohne dasselbe reich genug war. Sie hatte kein Recht darauf gehabt und es war ihr, als ob ihr alle Thränen der Mutter und aller Schmerz Gottfrieds zur Last fielen.

Sie wollte die Erbschaft zurückweisen, allein auch hierzu hatte sie kein Recht, denn sie war noch nicht mündig und Gottfried weigerte sich überdies trotzig, das Geschenk auzunehmen, denn einer ruhigen Ueberlegung war er noch nicht fähig.

Mit einem Male war Liesbeth der Aufenthalt in diesem Hause, wo sie bis dahin so zufrieden und glücklich gelebt hatte, zur Pein geworden und sie hätte sicher ihren Entschluß, zu ihrem Vater zurückzukehren, ausgeführt, wenn nicht Konrad als Vermittler dazwischen getreten wäre. Er hatte erkannt, was in dem Herzen der Einzelnen vorging und sah nur einen Weg, um Alles wieder auszugleichen. Ohne der Mutter oder Gottfried etwas davon mitzutheilen, bat er Liesbeth um eine geheime Unterredung, die sie nicht ohne eine Ahnung dessen, was er vorhatte, zusagte.

Ohne viele Worte zu machen gestand Konrad ihr seine Liebe und bat um ihre Hand. – »Nur eine Bitte, ja eine Bedingung habe ich noch hinzuzufügen« – schloß er seine Erklärung – »und ich weiß, daß Du sie erfüllen wirst. Ich mag nicht, daß die Leute denken, ich hätte deshalb um Deine Hand angehalten, weil Du eine so reiche Erbschaft gethan, ich mag auch nicht, daß man mir nachsagt, ich hätte mich mit dem Vermögen des Mannes bereichert, der im Leben mein ärgster Feind gewesen. Sieh, Liesbeth, von Rechtswegen gehört der Hof und das ganze Vermögen nur Gottfried, versprich mir, es ihm zurückzugeben, sobald Du mündig bist. Dann kannst Du frei darüber verfügen und Niemand kann Dich hindern, es ihm durch eine Schenkungsurkunde wieder zu geben. Sieh, ich denke, sein Vater wird jetzt mit einem versöhnten Herzen auf uns herabblicken und der Himmel wird es Dir lohnen, wenn Du wieder gut machst, was er verschuldet hat.«

Weinend aber zugleich freudig reichte ihm Liesbeth ihre Hand dar. Sie hatte ihn schon lange im Stillen geliebt und sein edles Streben stellte ihn in ihren Augen noch höher. – »Ich würde die Erbschaft unter keiner Bedingung angenommen und behalten haben« – erwiderte sie – »ich hätte damit einen Raub an Gottfrieds Rechte begangen. Ich fürchte nur, daß er sich weigern wird, es anzunehmen.«

»Sobald er ruhiger geworden ist, wird er anders darüber denken als jetzt« – entgegnete Konrad. – »Laß uns diesen Entschluß geheim halten, an unserem Hochzeitstage mußt Du ihn damit überraschen. Er mag darin ein Zeichen sehen, daß Du ihm vergeben hast, was er einst gegen Dich verschuldet.«

Liesbeth war damit einverstanden.

So geheim beide auch ihre Liebe hielten – denn erst sollte der Schmerz und die Trauer um den Geschiedenen durch die Zeit etwas gemildert werden, ehe sie offen damit hervorträten – so war es Gottfried doch nicht entgangen, daß ein stilles Einverständniß zwischen ihnen stattfand. Er hatte Liesbeth fortwährend scharf beobachtet, denn der Eindruck, den sie schon früher auf sein Herz gemacht, war durch das jetzt engere und vertrautere Zusammenleben mit ihr noch gesteigert, und ohne Scheu gestand er sich jetzt, daß sein Trotz eine Thorheit gewesen, er erkannte, daß er an Liesbeth's Seite vollkommen glücklich geworden wäre und nicht nöthig gehabt hätte, sich mühevoll durch das Leben hindurch zu kämpfen.

Zwar drängte sich die Gestalt seiner Marie wie ein Vorwurf zwischen diese Gedanken und Träume, aber auch diesen Vorwurf suchte er durch den Gedanken zurück zu drängen, das Marie sich getröstet haben und an der Seite eines anderen Mannes vielleicht ein sorgenfreieres und leichteres Leben haben würde als jetzt. Er gönnte Konrad den Besitz und die Liebe Liesbeth's nicht, er vermochte es kaum zu ertragen, daß ihre Augen ihn lieb und freundlich anblickten, und um all' diesen auf ihn einstürmenden Empfindungen zu entgehen, kehrte er bald zu seiner Marie zurück, trotzig und über sein ganzes Lebensgeschick erbittert.

 

Wochen vergingen, ehe Konrad und Liesbeth ihre Liebe ihrem Vater und Gottfrieds Mutter gestanden Beide gaben gern ihre Einwilligung, denn auch die Mutter hatte den Feind ihres Mannes achten gelernt. Und nachdem wieder einige Monate vergangen, nachdem Liesbeth mündig geworden war, wurden wieder, wie einst auf dem Hofe des verstorbenen Ackermanns, Vorkehrungen zu einer Hochzeitsfeier getroffen, aber möglichst still und einfach, denn der Schmerz um den Verlust des Geschiedenen lebte noch zu frisch in den Herzen und ließ eine laute und offene Heiterkeit als unnatürlich erscheinen.

Nur ungern war Gottfried zu diesem Tage gekommen, denn er rief die Erinnerung an die Vergangenheit, an alles Verlorene und Geopferte in ganzer Frische wieder in ihm wach. Und doch konnte er die Einladungen Konrads und Liesbeths nicht ablehnen. Mit einem über sein eigenes Schicksal erbitterten Herzen kam er an und vermochte es nicht über sich zu gewinnen, ein heiteres Gesicht zu zeigen.

Mit herzlicher Liebe wurde er von seiner Mutter, von Liesbeth und Konrad empfangen, aber auch dieser Empfang vermochte ihn nicht heiterer zu stimmen, und mit stillem Schmerze sah er dem folgenden Tage entgegen, an welchem die beiden Liebenden zu einem Glücke vereint werden sollten, das er selbst, so wie er es einst geträumt, nicht gefunden hatte.

Und der Morgen des folgenden Tages erschien. Ehe die zur Hochzeit geladenen Gäste eintrafen, trat Liesbeth zu ihm und bat ihn, mit ihr in den Garten zu gehen. Gespannt, was sie ihm zu sagen habe, folgte er ihr. Er war verlegen, weil er daran dachte, wie er sie einst an einem gleichen Tage gekränkt hatte. Diese Verlegenheit steigerte sich noch, als er auch Konrad in dem Garten traf, der sie zu erwarten schien. Schweigend traten sie zu ihm.

Liesbeth ergriff seine Hand und blickte ihm einen Augenblick schweigend in die Augen. Kaum war er im Stande, ihren milden, freundlichen Blick auszuhalten.

»Gottfried« – sprach sie endlich – »Dein Vater hatte uns einst für einander bestimmt. Es ist anders gekommen als er es beschlossen hatte, aber ich denke es ist zu unserem Glücke gewesen. In der Leidenschaft seines Zornes hat er Dich enterbt und der Tod hat ihn eher abberufen, ehe es ihm möglich gewesen ist, das Dir zugefügte Unrecht zu erkennen. Heute sieht er von oben auf uns herab, er ist versöhnt mit Dir und Konrad, denn im Himmel gibt es keine Feindschaft mehr. Er wird bereuen, was er in der Uebereilung der Leidenschaft Dir gethan hat – Gottfried, laß uns wieder gut machen, was er verschuldet hat, das wird dem Herzen Deines Vaters den vollen Frieden zurückgeben. – Ich schulde Dir noch ein Hochzeitsgeschenk – hier hast Du es.«

Sie überreichte ihm ein Papier, das er nur mit Widerstreben annahm, denn er schien zu ahnen, was es enthielt. Willenlos öffnete er es und seine Augen waren starr auf die Schrift geheftet.

»Nein, nein« – rief er leidenschaftlich, als er den Inhalt gelesen hatte – »nein, das nehme ich nimmermehr an. Mein Vater hat Dir sein Vermögen und den Hof vermacht, Du magst es behalten! Ich nehme es nicht an!«

Er wollte die Schenkungsurkunde, denn eine solche war es, zurückgeben und aus dem Garten eilen, aber Liesbeth hielt ihn zurück.

»Gottfried« – sprach sie mit weicher, bittender Stimme – »Du hast mich einst bitter gekränkt, als Du mich verschmäht und an dem Hochzeitstage verlassen hast, willst Du mir auch die Freude dieses Tages verderben? Du bist es mir schuldig, mir eine Bitte zu erfüllen, und ich bitte Dich, dies anzunehmen, es ist nur Dein Eigenthum.«

Gottfried stand schweigend und schwankend da. Da erfaßte auch Konrad seine Hand. – »Unsere Väter haben in bitterer Feindschaft gelebt und sich dadurch ihr Leben verbittert« – sprach er – »laß uns weiser sein als sie. Hier nimm meine Hand zum festen und treuen Freundschaftsbunde. Und zum Zeichen, daß ich es wahr und und ehrlich meine, nimm dieses Schreiben von mir, in dem jener Acker, der unseren Vätern und auch uns so viel Trübsal bereitet hat, für ewige Zeiten als Dein Eigenthum Deinem Hofe verschrieben ist. Es soll kein Geschenk sein, sondern nur ein Zeichen meiner Freundschaft und eine Sühne meiner Feindschaft gegen Deinen Vater. Hier nimm es Gottfried!«

Noch immer stand dieser schweigend und schwankend da. Als aber Liesbeth ihn nochmals innig bat, vermochte er nicht länger zu widerstehen. Er behielt die beiden Urkunden, drückte Liesbeth und Konrad fest die Hand und eilte dann rasch aus dem Garten, um die Gefühle zu verbergen, welche er nicht länger zu beherrschen vermochte, und welche er doch nimmer zeigen durfte, weil sie außer ihm noch ein zweites Wesen unglücklich gemacht hätten, das ihm mit treuer Liebe ergeben war – seine Marie. – Lange blieb er allein auf seiner Kammer, und nie hat Jemand von den Kämpfen erfahren, welche er hier mit seinem Herzen bestanden, denn als er wieder zum Vorschein kam, war er ruhig, und nur eine stille, wehmüthige Trauer leuchtete aus seinen Augen.


Mehre Jahre sind seitdem verflossen. Konrad Lüddeke lebt mit seiner jungen Frau in stillem, ungetrübten Glücke. Sein Ackerhof ist durch das Vermögen Liesbeths und durch seinen eigenen ausdauernden Fleiß schuldenfrei geworden und befindet sich in einem blühenden Zustande, der sich von Jahr zu Jahr mehr hebt.

Gottfried's Hof und sein Reichthum haben die alte Größe bewahrt, denn auch Gottfried ist ein Sante und setzt seinen Stolz darein, sein Vermögen stets noch zu vergrößern. Auch von ihm wird gesagt, daß er mit seiner Marie in stillem Glücke lebt, weil er mild und freundlich gegen sie ist, und wer in die Augen Marie's blickt, weiß auch, daß sie glücklich ist.

Gottfried selbst ist ruhig, still. Doch in seinen Zügen spricht sich oft ein heimlicher, wehmüthiger Schmerz aus, und weder Marie, noch seine Mutter, weder Konrad, noch Liesbeth vermögen den wahren Grund zu errathen, weil sie nicht im Stande sind, in das Innerste seines Herzen zu schauen, weil sie nicht wissen, wie an ihm die Nemesis seinen einstigen Trotz gerächt hat.

* * *


 << zurück