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Dort wo die Oder auf der Höhe des Brockenfeldes entspringt, wird sie schon nach kurzer Laufbahn durch einen gewaltigen Damm aufgehalten und gezwungen, einen Teich zu bilden, um mit ihrem gesammelten Wasser die Mühlräder und Hüttenwerke von Andreasberg zu treiben. Einst floß sie als unscheinbarer Bach durch die Felsgesteine des Thales rieselnd hindurch, jetzt erglänzen die klaren und blauen Wasser des Oderteiches weithin und hohe und dunkle Tannen umkränzen die Ufer und spiegeln sich in der klaren Fluth. Es ist der Damm, durch welchen der Teich gebildet wird, ein riesiges Werk von Menschenhänden; quer durchschneidet er das ganze Thal und fast anderthalb Jahrhunderte hat er allen Stürmen und aller Gewalt des Wassers getrotzt. Wendet man das Auge links vom Damme, so ruht es auf dem blauen Spiegel des Teiches, während es zur rechten in das wild romantische Thal, den Rehberger Graben, blickt.
Es ist hier ein herrlicher, stiller Punkt. Schweigsam ruht die Natur ringsum, nur das Wasser rauscht plätschernd nieder und aus dem Walde tönt die Axt des Holzhauers und das Echo hallt schwach an den Bergen wider.
Noch vor wenig Jahren sah man häufig die hohe, aber durch das Alter gebeugte Gestalt eines Greises auf dem Damme. Er hatte sich in der Regel an das starke und roh gearbeitete hölzerne Gelände gelehnt, welches den Damm an beiden Seiten begrenzt, und ließ sein Auge entweder in das Thal hinabschweifen, oder blickte sinnend in das blaue Wasser des Teiches. Unter der einfachen Mütze fielen greise Haare hervor und reichten über den Nacken herab. Die großen dunkeln Augen blickten ruhig und ernst und dem ganzen Gesichte war der Ausdruck eines milden Ernstes aufgeprägt. Aber nicht immer hatten diese Augen so ruhig geblickt, nicht immer hatte dieser milde Ausdruck auf seinem Gesichte gewohnt, das zeigte die Veränderung, die mit ihnen vorging, wenn eine Leidenschaft das Blut des Mannes erregte. Dann bekamen die Augen einen aufleuchtenden Glanz, alle Muskeln des Gesichtes zuckten und dieses erhielt einen fast wilden Ausdruck, der nur zu deutlich andeutete, daß dieser Greis nicht immer Herr seiner Leidenschaften gewesen war. In solchen Augenblicken schien eine neue Kraft die ganze Gestalt zu durchströmen, denn sie richtete sich grade in die Höhe und machte durch die stolze Haltung des Kopfes einen gebieterischen Eindruck. Seine Kleidung war äußerst einfach, fast ärmlich, aber trotzdem beschlich einen unwillkürlich der Gedanke, dieser Mann müsse einst über Viele zu befehlen und zu gebieten gehabt haben und im Geiste dachte man ihn sich als General, wie er hoch zu Roß saß und ernst und ruhig die Regimenter in die Schlacht führte. Aber dem war nicht so. Er war ein einfacher Holzbauer gewesen, hatte die Axt geschwungen und die Säge geführt und nur in seiner Jugend hatte er beide häufig mit der Büchse vertauscht und hatte Nachts auf der Waldwiese oder im Thale auf dem Anstande gelegen, um einen Rebbock oder einen Hirsch zu schießen. Aber über diesem Zeitabschnitte seines Lebens schien ein geheimnißvolles Dunkel zu schweben. Dies Alles wußte ich. Ich hatte die hohe Gestalt des Greises oft auf dem Damme getroffen, er hatte mein größtes Interesse erregt, denn wenn er auch nur ein einfacher Holzhauer gewesen war, in seinem Leben mußte es heftige und wilde Stürme gegeben haben, das verrieth der Blick seiner Augen und der Ausdruck seiner Züge. Der milde Ernst, der in seinem Gesichte lag, war nicht die ernste Beschaulichkeit des Alters, und der Frieden, der durch ein ruhiges und sanft hingleitendes Leben gewonnen war, er glich vielmehr einem mühsam errungenen und über wilde Leidenschaften erkämpften Siege.
Ich hatte wiederholt versucht, mich ihm zu nähern, um sein Vertrauen zu gewinnen und einen Aufschluß über sein Leben zu erhalten, aber er blieb schweigsam und fremd und hütete sich, die geringste Gefälligkeit anzunehmen, um nicht verpflichtet zu sein. Ich hatte von Anderen nur zweideutige und ungenaue Andeutungen über diesen Mann erhalten und grade diese erhöhten das Verlangen in mir, ein Näheres über ihn und wo möglich von ihm selbst zu erfahren. All' meine Bemühungen würden indeß wahrscheinlich ohne Erfolg gewesen sein, hätte mich nicht der Zufall unterstützt.
Es war ein kalter und stürmischer Herbstmorgen, als ich auf dem Wege von Andreasberg nach Harzburg an dem Oderteiche vorüberkam. Der Wind fuhr kalt und heulend durch das Thal und beugte rauschend die hohen Wipfel der Tannen und die sonst so ruhigen blauen Wasser des Teiches vereinten sich die Wellen und schlugen schäumend an die starke Mauer des Dammes. Ich traf den Alten wieder auf dem Damme, er hatte sich auf das hölzerne Gelände gelehnt und blickte starr in die Wellen zu seinen Füßen. Sein langes greises Haar flatterte in dem Winde, dessen ganzer Heftigkeit er an dieser Stelle ausgesetzt war, aber er schien es nicht zu bemerken, seine Gedanken schienen mit der Gegenwart nichts gemein zu haben, sondern weit zurück in der Vergangenheit zu weilen.
Ich grüßte ihn, aber er hörte meinen Gruß nicht, unverwandt und starr blickte sein Auge in die Fluth. Einen Augenblick betrachtete ich ihn schweigend, dann legte ich die Hand auf seine Schulter, um ihn aus seinem Träumen aufzuwecken. Erschrocken und heftig fuhr er in die Höhe, sein Auge blickte mich so fremd und kalt an, als ob es mich nie zuvor gesehen hätte, und in diesem Auge lag jetzt ein Glanz und eine Leidenschaft, die mir fast unheimlich entgegenleuchteten. Er hatte seine gebeugte Gestalt emporgerichtet, seine Rechte stützte sich auf das Gelände, aber ein leises Erzittern seiner Beine und seines ganzen Körpers entging mir nicht. Er schien noch vor den Gedanken und Erinnerungen, denen er sich soeben hingegeben, zurückzubeben und konnte sich in der Gegenwart noch nicht wieder zurecht finden.
»Heute sind es fünfzig Jahre her,« sprach er, indem er mich starr anblickte; »ja, fünfzig Jahre, und es war eben solches Wetter wie heute, der Wind fuhr über den Teich daher und die Wellen schlugen an den Damm, daß er erzitterte, die Wipfel der Tannen rauschten und ihre schlanken Stämme beugten sich wie ein Rohr. Und ich bin hier gestanden und habe es Alles gesehen.«
»Was habt Ihr gesehen, Alter?« fragte ich.
»Ihr wißt es nicht?« erwiderte er, indem er mich erstaunt ansah. »Freilich, woher solltet Ihr es wissen,« fügte er, nachdem er sich einen Augenblick besonnen hatte, mit einem wilden und leidenschaftlichen Blicke hinzu, »woher solltet Ihr es wissen, denn die, welche einst darum gewußt haben, sind alle längst dahin.«
Ich hatte den Alten nie so aufgeregt gesehen und nie hatte seine Stimme einen so unheimlichen Eindruck auf mich gemacht. Unwillkürlich trat ich einen Schritt zurück. Der Alte bemerkte es und lächelnd sagte er: »Ihr braucht Euch nicht zu fürchten, Herr, die Stürme und die Leidenschaften, welche einst diese Brust erschütterten, sind längst vorüber, nur die Erinnerung daran lebt noch in mir. Sie treibt wohl noch einmal für einen Augenblick das Blut schneller durch meine Adern, das Herz schlägt mir wohl noch einmal unruhiger, wenn ich daran zurückdenke, aber das ist alles. Fünfzig Jahre sind verflossen, und wie mein Körper zu einem Schattenbilde geworden ist, so zieht auch nur der Schatten meiner Vergangenheit bisweilen vor meinem Geiste vorüber. Aber der Schatten hat keine Kraft mehr, das Feuer ist längst ausgebrannt, kaum glimmt in der Asche noch ein schwacher Funken und auch dieser wird bald ganz verlöschen. Ich fühle, es ist bald aus mit mir. Fünfzig Jahre, Herr, sind ein Menschenleben, und ich habe sie durchgemacht, und wenn ich an Alles zurückdenke, so ist es mir als ob ich zehn Menschenleben hinter mir hätte.«
Er schwieg und sein Auge kehrte wieder zurück auf das Wasser des Teiches, und die Erinnerung an die Vergangenheit nahm seine Gedanken wieder gefangen.
»Erzählt mir Eueren Lebenslauf, Alter,« bat ich ihn, und er wandte sich zu mir und blickte mich verwundert an.
»Glaubt Ihr,« erwiderte er, »ein Menschenleben mit seinen Stürmen und Schmerzen lasse sich erzählen wie ein Ammenmärchen, glaubt Ihr, Ihr würdet das Alles zu fassen und zu begreifen vermögen, wie ich es erlebt und gefühlt habe? Ihr seid noch jung, Euer Herz hat noch nie solche Stürme erlebt, welche mein Haar schon vor Jahren gebleicht haben, sonst könnte Euer Auge nicht so keck und heiter blicken, sonst würdet Ihr wissen, daß alle Menschenhoffnungen Thorheiten sind, daß sie zerrinnen wie die Wellen, wenn der Wind sich legt. Ihr seid noch jung und ich will Eure Lebenshoffnungen nicht trüben.«
Er schwieg. Seine Worte erklangen so feierlich und ernst wie die eines Propheten, und dennoch vermochte ich das Verlangen, einen Blick in das Leben dieses Mannes zu thun, nicht zu unterdrücken.
»Ich gründe mein Lebensglück nicht auf bloße Hoffnungen,« erwiderte ich deshalb, »ich weiß, daß der Mensch sein Geschick in eigener Hand hält, wenn er das Leben begreift und richtig erfaßt. Fürchtet nicht, mir meine Hoffnungen zu vernichten, denn ich hoffe nicht mehr vom Leben, als ich mir selbst zu verschaffen vermag.«
Der Alte blickte mich lächelnd an. »Man sieht,« entgegnete er mit ruhiger Stimme, »daß Ihr noch wenig vom Leben kennt, aber Ihr seid noch jung und werdet noch andere Erfahrungen machen. Ihr wollt' mein Leben wissen, gut Ihr sollt es erfahren. Noch habe ich es Niemand mitgetheilt, seit fünfzig Jahren habe ich Alles, Alles fest und tief in meiner Brust verschlossen, ich wollte es mit mir in das Grab hineinnehmen, aber ich will es Euch erzählen, es mag Euch nützen und wird Euch vielleicht vor mancher Täuschung bewahren. Kommt mit mir,« fügte er nach kurzem Schweigen hinzu, »hier ist nicht der Ort dazu und mein Leben ist lang, kommt, folgt mir.«
Schweigend verließ er den Damm und wandte sich den hohen und dunkeln Tannen zu, welche die Ufer des Teiches umgeben. Schneller als man es seinem Alter zugetraut hätte, schritt er in dem Walde und zwischen den Felsen voran. Kein Pfad bezeichnete die Richtung, welche er einschlug, und dennoch schien er dieselbe genau zu kennen. Endlich schritt er einen Felsen hinauf, ließ sich auf einem Steine nieder und forderte mich durch ein Zeichen mit der Hand auf, dasselbe zu thun. Rings von hohen Tannen umgeben, deren Wipfel rauschten und sich beugten, lag vor uns zu unsern Füßen der Teich mit seiner bewegten Oberfläche.
Schweigend saß der Greis einen Augenblick da und sein Auge schweifte über den Teich bin.
»Hier war es;« sprach er endlich rasch; »doch Ihr kennt ja mein Leben noch nicht,« fügte er gleich darauf hinzu, und wieder versank er in sein Schweigen, indem er seine Erinnerungen zusammenzustellen und zu ordnen schien.
»Hört mich ruhig an,« begann er endlich seine Erzählung. »Ich will Euch Alles erzählen, wie es noch in meiner Erinnerung lebt und wie es gewesen ist. Ich habe nichts mehr zu hoffen und nichts mehr zu fürchten und ich brauche deshalb auch nichts zu verschweigen. Seht, Herr, ich war ein junger Bursch wie Ihr und sah das Leben auch noch mit anderen Augen an, als jetzt. Ohne Reichthum und Fülle war ich herangewachsen. Mein Vater, ein Holzhauer, wie ich es geworden bin, war früh gestorben, ich war sein einziges Kind und meine Mutter suchte für mich zu sorgen, so gut als sie es vermochte, und wie es eben gehen wollte. Es gab oft schmale Bissen, aber wir hatten genügsame und lustige Herzen und dachten nicht daran, daß wir es je besser haben könnten. Meine Mutter ließ mir viele Freiheit und mag mich auch wohl verzogen haben, denn ich war ihr einziges Kind. Gesund und kräftig wuchs ich heran und war ein rasches und wildes Blut. Kein Baum war mir zu hoch und kein Felsen zu steil und zu schroff und ich kannte schon, als ich noch ein Junge war, jeden Weg und Steg in der ganzen Gegend. Ich sollte ein Bergmann werden, weil die ein sicheres Brod haben, aber ich vermochte mich nicht in der Erde zu begraben, ich wußte wie süß Luft und Sonnenschein oben auf ihr waren, ich wußte, daß ich mich nur in dem Walde oder auf den Bergen und zwischen den Felsen frei und glücklich fühlen könnte.
So lange ich noch ein Knabe war, hatte ich Vögel gefangen und gezähmt und hatte meiner Mutter dadurch manchen Pfennig erworben; als ich aber die Axt heben und die Säge führen konnte, griff ich zu diesen und ward ein Holzhauer, wie es mein Vater gewesen war.
Doch, Herr, ich will Euch nicht zu lange mit der Erzählung meiner Jugend aufhalten, sie thut ja wenig zur Sache, aber es war eine gute und glückliche Zeit und nie wieder habe ich mich, wenn ich Abends von der Arbeit kam, so ruhig und zufrieden auf mein Lager gestreckt wie damals und nie wieder bin ich Morgens so rüstig und frisch zur Arbeit gegangen. Noch hatte ich ja wenig Trauriges erfahren, noch lag das Leben voll Hoffnung und Glück vor mir und Niemand hat wohl je mit größeren und glühenderen Hoffnungen der Zukunft entgegengesehen als ich, und alle, alle sind mir vernichtet.«
Er schwieg einen Augenblick, sein Haupt sank etwas auf die Brust herab, als ob es durch den Schmerz dieser Erinnerung niedergebeugt sei, aber bald hob er es wieder empor und es war mir, als ob ich eine Thräne in seinem Auge erblickt hätte.
»Seh't dort zur Linken hinüber,« fuhr er fort, indem er mit der Hand die Richtung bezeichnete, »dort liegt das Torfhaus, oder der Brockenkrug, und dort wohnte der Wirth Andreas Köhler. Er hatte eine Tochter, die hieß Else und war das hübscheste Mädchen in der ganzen Umgegend. Er war mit meinem Vater verwandt und ich kam oft in sein Haus und war gleichsam mit seinem Mädchen großgewachsen. Wir spielten mit einander und liebten uns wie Schwester und Bruder, weiter dachten wir uns nichts dabei, aber es blieb nicht immer so. Als wir heranwuchsen, war diese Liebe eine andere, ohne daß wir es merkten und ohne daß wir es uns einander sagten, denn es dachte ja keiner von uns beiden daran, daß wir je getrennt werden könnten, oder daß ein Anderer zwischen uns treten würde.
Ich war ein Bursch von achtzehn Jahren, hoch gewachsen und schlank, und ich weiß, daß die Leute sagten, ich sei ein schmucker und hübscher Bursch, und daß die Mädchen mir gern nachguckten, aber ich kümmerte mich nicht darum, ich war selten zu Tanz gegangen, weil die Else nicht dabei war und nur bei ihr fühlte ich mich wohl und leicht. Die Else war aber in dem Jahre aus der Schule gekommen, sie konnte nun auch zu Tanz gehen und wir freuten uns beide auf das Johannisfest, da wollt' ich sie zum ersten Male auf den Tanzboden führen.
Und Johannis kam. Ich weiß es noch wie heute, Herr; es war ein schöner, heiterer und warmer Tag und schon früh Morgens herrschte in Andreasberg, wo ich mit meiner Mutter wohnte, ein lustiges Leben. Der Tannenbaum ward eingeholt und mit Bändern geschmückt, aber ich war nicht dabei, sondern war nach dem Brockenkruge gegangen, um Else zu holen. Und sie kam mit mir, Hand in Hand gingen wir nach Andreasberg zurück. Zum ersten Male in meinem Leben tanzte ich öffentlich mit der Else, und sie war meine Tänzerin während des ganzen Nachmittags und des ganzen Abends. Dieß war der erste Tag in meinem Leben, an dem ich mir so recht deutlich bewußt wurde, wie unaussprechlich glücklich sich ein Menschenherz fühlen könne. Als ich mich mit dem Mädchen im Tanze schwang, als ich sie mit dem Arme umfaßt hatte und ihr Herz so nahe dem meinigen schlug, da jauchzte ich auf in wilder Lust und mir war zu Sinne, als ob all' meine Gedanken, als ob mein ganzer Körper sich in einem seligen Rausche befänden.
Lächelnd blickte mich Else an, auf ihren vom Tanzen gerötheten Wangen lag eine unverhohlene Freude, und wenn ich ihr innig die Hand drückte, erwiderte sie den Druck leise und es war mir, als ob dadurch ein ganz neues Leben durch meinen Körper gegossen würde, als ob mein Blut wärmer und schneller mir durch die Adern ränne, und mein Herz pochte so laut, daß man es fast hören konnte und ich wußte nicht warum, es war ja das erste Mal, daß die Liebe mir so das Herz bewegt und erschüttert hatte.
Mitternacht war schon vorüber, als wir endlich den Tanzboden verließen. Else wollte noch in dieser Nacht zu ihrem Vater zurückkehren, und all' meine Bitten vermochten sie nicht zu bewegen, bis zum Morgen in dem Hause meiner Mutter zu bleiben. Ich entschloß mich deßhalb sie zu begleiten, ich that es gern, denn ich war ja nun mit dem geliebten Mädchen noch länger zusammen; und was lag mir daran, ob ich um ein paar Stunden Schlaf betrogen wurde.
Es war eine stille, wonnigschöne Nacht. Der Mond schien hell und rein auf die Felsen, die Bäume und den Weg, und ein schwacher Wind, der leise rauschend durch die Wipfel der hohen Tannen zog, wehte erfrischend und kühlend an unsere noch vom Tanze glühenden Wangen. Schweigend schritt ich eine Zeit lang an des Mädchens Seite dahin, ihre Hand in der meinigen und mir war so wohl zu Muthe, um uns herrschte eine so tiefe feierliche Stille, daß ich es kaum wagte, diese Ruhe zu unterbrechen.«
›Else,‹ sprach ich endlich, ›hast Du gehört, wie die Leute heute sagten: Du wärest meine Braut?‹
›Und wenn ich es nun wär'?‹ erwiderte das Mädchen, indem sie mich mit ihren großen dunkeln Augen lächelnd anblickte.
›Wenn Du es wär'st,‹ wiederholte ich, indem der Gedanke mit seliger Freude mein ganzes Innere durchzuckte, ›wenn Du es wär'st, sieh, Else, dann wär' ich der glücklichste Mensch auf Gottes weitem Erdboden.‹
›Und wer hindert Dich daran?‹ sprach sie leise, indem sie erröthend zur Erde blickte.
›Niemand soll mich hindern, Niemand,‹ rief ich laut und ungestüm freudig, indem ich sie an meine Brust zog und fest mit meinen Armen umschloß. ›Du sollst meine Braut sein, denn ich hab' Dich herzig lieb und Du sollst mein Weib werden, denn ich mag Niemand außer Dir.‹
›Auch ich hab' Dich lieb, Heinrich, und trag' Dich schon lange im Herzen,‹ erwiderte sie flüsternd. Und da drückte ich sie noch fester an mein Herz und küßte sie auf den Mund und sie ließ es lächelnd geschehen.
Ich weiß nicht, Herr,« fuhr der Alte, nachdem er einen Augenblick inne gehalten hatte, fort, »ob Ihr wißt, wie einem Herzen zu Muthe ist, das zum ersten Male seine Liebe ausspricht und wieder Liebe findet, ich weiß nicht, ob Ihr so glühend lieben und fühlen könnt, wie ich es that. Sehet, die Erde schien unter meinen Füßen zu tanzen vor Freude und es war mir, als ob ringsum lichter und heller Tag wäre und als ob die Sonne darein schiene. Ich hielt das Mädchen fest an meiner Brust und dann hob ich sie hoch in die Höhe und trug sie eine Strecke auf meinen Armen fort, bis ich sie erschöpft niedersetzen mußte. Und mein Herz schlug mir so ungestüm und so glücklich, daß ich glaubte, die Brust müßte mir zerspringen, und dann wieder blickte ich der Else still in die Augen und es war mir, als könnte ich hinabschauen bis in ihr tiefstes Innere.
Als ich endlich dort hinter dem Teiche zurückkehrte, schien die Morgensonne schon durch die Bäume und die Felsen und die Tannen erglänzten wie Gold. Ich konnte und mochte nicht schlafen, ich mochte nicht heimgehen, denn in dem Hause wär es zu eng gewesen für meine Brust und mein Glück, ich stieg hinauf auf den höchsten Gipfel jenes Berges, dort war ich allein, dort hatte ich nur den weiten blauen Himmel über mir und unter mir, mir zu Füßen lag die Erde, der ich ja kaum noch angehörte. Und dort machte ich meiner Brust und meinem überglücklichen Herzen Luft, dort rief ich meine unermeßliche Freude in die Welt hinein, so laut ich vermochte, daß meine Stimme an den Felsen widerhallte und von allen Seiten tönte mir derselbe Ruf als Antwort zurück.
Erschöpft sank ich endlich nieder und der Schlaf brachte mein ungestümes Herz zur Ruhe. Als ich wieder erwachte, schien die Mittagssonne heiß auf mein Haupt, aber ich bemerkte es kaum, denn drinnen in der Brust brannte es mir noch heißer. Herr, ich war unaussprechlich glücklich! Und so blieb es lange Zeit. Unter lustigen Liedern hob ich die Axt und ich merkte es kaum, wenn ich den ganzen Tag über die Säge geführt hatte, denn ich dachte daran, daß ich am Abende bei meiner Else vorsprechen und mit ihr noch ein paar Stunden zusammen sein konnte.
Ja, Herr, das waren lustige, frohe Zeiten, und nie wieder habe ich mit solcher Lust gewirkt und gearbeitet, denn ich wollte Geld verdienen, um mir einen eigenen Herd zu gründen und die Else heimführen. Ich sprach oft mit ihr darüber und wenn sie mich dann mit ihren dunkeln Augen freundlich anblickte und sprach: ›Gut, Heinrich, ich bin mit dabei,‹ – seht, dann hat mir das Herz vor Freude gebebt.
Des Mädchens Vater hatte nichts dagegen, daß ich mir seine Tochter zum Weibe ausersehen hatte. ›Du magst das Mädel nehmen,‹ sprach er, ›wenn Du so viel hast, daß Du es ernähren kannst; denn eine gute Ehe will auch gutes Brod haben.‹ Aber mit der Axt und der Säge allein bringt man's nicht rasch vorwärts, das hatt' ich erprobt, und ich fing deßhalb nebenbei einen Holzhandel an und ich hatte Glück und verdiente Geld – das war ja mein Streben.
So trieb ich es zwei Jahre, und es waren glückliche Zeiten trotz aller Arbeit und Mühen. Aber es sollte nicht immer so bleiben und der Baum meines Glückes war schon vom Wurme angefressen, als ich ihn noch in vollster Blüthe wähnte. Seht, dort über dem Wald hinüber liegt ein Försterhaus, Ihr kennt es; ein junger Jägerbursch war um diese Zeit in dasselbe gekommen, aber was kümmerte ich mich um ihn, ich ahnte ja noch nicht, daß er es war, der mich um mein ganzes Lebensglück betrügen sollte. Ich traf ihn mehre Male im Hause meiner Braut; aber konnt' ich es ihm verbieten? Es war ein Wirthshaus und er konnte dorthin gehen so gut wie jeder andere. Es war ein schlanker, kräftiger Bursch, um einige Jahre älter als ich und wenn er dahin schritt in seinem kurzen grünen Rocke, die Büchse nachlässig über die Schulter gehängt, so machte er einen stolzen Eindruck und er war auch ein stolzer, hochfahrender Bursch. Wohl war einmal der Verdacht in mir aufgestiegen, daß er der Else nachstelle, aber das Mädchen war nach wie vor freundlich gegen mich, und konnte ich es wehren, daß sie auch ein Anderer hübsch fand? Glaubte ich doch fest an ihre Liebe und ihre Treue. Nur Eins fiel mir auf, es schien mir, als ob sie jetzt mit geringerer Freude unserer Verbindung entgegenblickte, denn wenn ich davon sprach, suchte sie auszuweichen und schob die Zeit unserer Vereinigung hinaus, indem sie mir vorstellte, ich möchte mir erst noch mehr erwerben, um dann der Zukunft um so sorgenloser entgegenblicken zu können.
Ein einziger Tag sollte mich über Alles aufklären, und es war ein schwerer Tag und mein Herz zittert noch jetzt, wenn ich daran zurückdenke.«
Der Alte schwieg einen Augenblick. Er stützte sein Haupt auf die Hand und sein Auge starrte auf die Erde, als ob es dort die Bilder der Vergangenheit in aller Frische erblicke.
»Seht Herr,« fuhr er endlich in seiner Erzählung fort, »es war an einem Sonntage. Ich hatte meiner Braut versprochen, sie nach Andreasberg zu Tanz zu führen, als aber der Tag herankam, hatte sie keine Lust und drang in mich, an diesem Tage nach Harzburg zu gehen, um eine Holzlieferung, die mir angetragen war, zu übernehmen. Ich hatte keine Neigung dazu, aber sie bat mich so innig und war so freundlich, daß ich in meinem Entschluße schwankend ward.
›Wozu sollen wir morgen zum Tanz gehen, Heinrich?‹ sprach sie, ›mach' Du lieber ein gutes Geschäft, das bringt uns unserem Ziele näher und sind wir erst Mann und Frau, so können wir ja auch noch tanzen.‹
Und diese Worte wirkten. Ich ging, Herr, an dem folgenden Tage und er hat mich meinem Ziele nur zu schnell entgegen geführt. Noch war mein Herz ohne Verdacht und ohne Arg. Noch an dem Morgen des Tages kehrte ich bei ihr ein und sie war freundlich und gut.
›Wann wirst Du heimkehren, Heinrich?‹ fragte sie und ich erwiderte ihr, daß es spät Abend werden würde, wenn ich überhaupt an dem Tage zurückkommen könne.
›Uebernimm Dich nicht,‹ sprach sie schmeichelnd, ›komm erst morgen zurück, denn heute Abend würde ich schon schlafen und Du könntest mich nicht sprechen. Morgen früh erwart' ich Dich,‹ fügte sie lächelnd hinzu und reichte mir die Hand zum Abschiede.
Und ich ging – ich ging mit leichtem und frohem Herzen. Ich dachte an sie, an die Zukunft und das Herz schlug freudig in der Brust. Glücklich erreichte ich Harzburg und ebenso glücklich war ich in meinem Geschäfte. Als der Abend nahte hatte ich bereits den größten Theil desselben vollendet. Ich hatte gehofft, an dem Tage meine Geschäfte zu beendigen und zurückzukehren und hatte mir deshalb keine Zeit gegönnt, um mich zu erholen und zu erfrischen. Ich war im höchsten Grade ermattet und eben im Begriff, in ein Wirthshaus zu treten, als ein Bekannter mir begegnete.
›Halt, Heinrich,‹ rief er mir entgegen, ›Du bist ein närrischer Bub', Du treibst Dich hier umher und läßt Dein Mädchen von einem Andern zu Tanz führen.‹
›Die Else tanzt nur mit mir,‹ entgegnete ich mit Stolz. ›Seitdem wir uns versprochen haben, hat sie noch mit keinem andern Burschen getanzt.‹
Der Andere lächelte. ›Was würdest Du sagen, Heinrich,‹ versetzte er, ›wenn ich Dir erzählte, daß ich die Else vor wenigen Stunden mit einem Anderen habe tanzen sehen?‹
›Ich würde Dir in's Gesicht sagen, daß Du lügest oder daß Deine Augen schwach geworden seien,‹ rief ich etwas heftig, denn das Lächeln erschien mir wie Spott und ärgerte mich.
›Wenn es nun aber doch wahr ist,‹ erwiderte der Andere mit demselben ruhigen Lächeln, ›wenn ich Dir nun doch sage, daß ich Deine Else vor wenigen Stunden mit dem Jägerburschen Hans habe tanzen sehen; nun – was sagst Du nun?‹
›Du lügst,‹ rief ich mit vor innerer Aufregung halb erstickter Stimme.
›Geh' nach Altenau auf den Tanzboden und Du wirst sehen, ob ich lüge,‹ erwiderte der Andere mit demselben Lächeln. ›Ich habe gesehen, wie Dein Mädchen dort mit dem Jägerburschen tanzte, und wie es mir schien, thaten sie recht zärtlich mit einander. Geh', überzeuge Dich selbst,‹ fügte er hinzu, ›es ist auch gut, wenn Du sie nicht allein in der Nacht heimgehen läßt, es ist nicht gut, denn man könnte doch nicht wissen …‹
›Schweig, Lügner,‹ rief ich in einer furchtbaren Aufregung, die mich nicht Herr meiner Sinne bleiben ließ. ›Schweig,‹ wiederholte ich, indem ich ihn mit der Rechten an der Brust ergriff, ›schweig, oder jedes Deiner Worte sollst Du theuer bezahlen!‹
Er stieß meinen Arm von sich. ›Lass' Deinen Zorn an dem aus, der Dir Dein Mädchen entführt hat,‹ entgegnete er und diese Worte gaben meiner Aufregung plötzlich eine ganz andere Richtung. Ja ich wollte mich überzeugen, ob er die Wahrheit gesprochen und eine innere Stimme rief mir zu, daß es die Wahrheit sei; ich wollte mich rächen selbst an der Else und sie von mir stoßen als eine Treulose, als eine Verrätherin.
Ich war matt und erschöpft, Herr, ich hatte mir den ganzen Tag über keine Zeit zur Erholung gegönnt, aber jetzt wußte und fühlte ich nichts mehr davon. Ein wildes und heftiges Feuer zehrte in meinem Innern. Mir schwindelte, wenn ich an den Verrath und die Treulosigkeit des Mädchens dachte und im Geiste sah ich sie mit dem Jägerburschen tanzen. Wie ein Wahnsinniger stürzte ich fort. Der Abend war hereingebrochen und unter den hohen Tannen, unter welchen mich der Weg nach Altenau führte, war es dunkel. Ich kannte den Weg, aber ich achtete nicht darauf. Mehrere Male stürzte ich über Wurzeln, Steine, aber wie ein Gehetzter sprang ich wieder in die Höhe. Was fragte ich darnach, ob ich mir das Gesicht blutig gestoßen, denn es war mir gleichgiltig, selbst wenn ich mein Haupt an einem Felsen zerschellt hätte.
Ich weiß nicht wie lange Zeit ich gebraucht habe, Altenau zu erreichen, ich weiß nur, daß mir die Zeit unendlich lang währte, obschon ich wie ein flüchtiger Hirsch dahin eilte. Endlich erreichte ich den Ort. Vor dem Wirthshause stand ich still, denn alle meine Glieder zitterten heftig in fieberhafter Aufregung. Von dem Tanzboden tönte die Musik lustig in mein Ohr, sie klang mir wie eine Todes-Musik. Ich zauderte, ob ich hinaufeilen und das in mir stürmende und brennende Gefühl durch die Rache an dem verhaßten Jägerburschen kühlen sollte, – da erfaßte mich plötzlich eine fast wunderbare Ruhe. Es war nur die Ruhe der höchsten Verzweiflung, sie glich der unheimlichen Stille, welche einem heftigen Gewitter vorherzugehen pflegt; aber es war doch Ruhe, wenn sie auch mein Herz kalt und eisig anpackte.
Mit dem festen Entschluß, mich mit eigenen Augen von Allem zu überzeugen, trat ich auf den Tanzboden, denn eine leise Hoffnung regte sich mir im Herzen, daß Alles unwahr, eine Lüge sei.
Schweigend trat ich auf die Schwelle des Tanzbodens und mein Auge schweifte glühend und suchend umher. Ich weiß nicht wie ich in dem Augenblicke ausgesehen habe, aber Alle, welche mich erblickten, fuhren bestürzt und erschreckt zurück.
Endlich blieb mein Blick in der Ecke des Tanzbodens haften, starr, glühend und unbeweglich, dort saß sie, die Else mit dem Jägerburschen und ihre Wangen glühten und ihre Augen lächelten. Er hatte seinen Arm um sie geschlungen und hielt ihre Hand in der seinen. – Was in diesem Augenblicke in meinem Inneren vorging, ich weiß es nicht mehr, aber es muß Schreckliches gewesen sein, denn noch jetzt zieht sich mein Herz krampfhaft zusammen, wenn ich daran denke. – Mir schwindelte, vor meinen Augen ward es schwarz und ich mußte mich an dem Thürpfosten halten, um nicht umzusinken. Aber nur einen Augenblick währte dieß, dann bezwang ich mich mit aller Gewalt und schritt langsam, aber fest auf die Treulose los.
Else hatte mich bemerkt. Ein glühendes Roth überflog ihre Wangen. Hastig flüsterte sie dem Jägerburschen einige Worte zu und trat mir dann lächelnd entgegen. Sie erfaßte meine Hand, aber ich stieß sie zurück und finster ruhte mein Auge auf ihrem Gesichte. In mir stürmte und kochte es gewaltig. Da sprang der Jägerbursch keck in die Höhe und drängte sich zwischen mich und die Else.
Herausfordernd blickte er mich an und suchte mich mit der Rechten zurückzudrängen. – Ha, es bedurfte dieser Herausforderung nicht mehr, meine ganze nur mit größter Mühe zurückgehaltene innere Aufregung brach jetzt mit aller Gewalt los. Der Jägerbursche war groß und kräftig, er trug einen Hirschfänger an seiner Seite; aber was kümmerte dieß mich in diesem Augenblicke, und wenn er ein Riese gewesen wäre, ich würde ihn erfaßt und erdrückt haben. Kaum hatte er mich berührt, so stürzte ich wie ein in Wuth gesetzter Tiger auf ihn, ergriff ihn mit beiden Händen und hob ihn hoch in die Luft empor. Ich würde ihn niedergeworfen und seinen Schädel an der Wand zerschmettert haben, aber die Else fiel mir in die Arme und umschlang meinen Hals und schrie laut auf. – Und seht, Herr! als sich der volle weiche Arm des Mädchens um meinen Hals legte, da war es mir als ob ein mildes kühlendes Oel in mein Herz und meine Adern gegossen würde. Ich setzte den Verhaßten nieder und ließ mich willenlos wie ein Kind von dem Mädchen fortziehen. Ja, Herr, ich war schwach, denn als das Mädchen mir weinend um den Hals fiel, als sie sich auf meine Knie setzte und mir lieb die Wangen streichelte, als sie mir ihre Unschuld betheuerte und auf's Neue ihre Liebe schwor, als sie mir erzählte, daß nur der Zufall sie mit dem Jägerburschen zusammen geführt habe, da habe ich ihr geglaubt und habe sie noch mehr geliebt denn zuvor.
Ich war noch ein junger Bursch, ich kannte noch die Menschen und die Herzen nicht, eine Thräne konnte mich bestechen, denn ich wußte noch nicht, daß auch Thränen heucheln können. Ich brachte die Else heim, sie war so lieb und gut, wie fast nie zuvor und jeder Zweifel an ihrer Liebe schwand aus meinem Herzen. Selbst dem Jägerburschen zürnte ich nicht mehr, denn ich hatte ihm ja Unrecht zugefügt, nicht er mir. Else sprach nicht von ihm, sondern fragte nach meinem Geschäfte und dem Grunde meiner schnellen Rückkehr. Ich erzählte ihr Alles, denn ich vertraute ihr wieder und als ich endlich an der Thüre ihres Hauses Abschied von ihr nahm und sie noch einmal ihren Arm um meinen Hals schlang und flüsternd fragte: ›Gelt, Heinrich, Du zürnest mir nicht mehr? Ich hab Dich ja lieb und werde ja bald Dein Weib.‹ Da riß ich sie ungestüm an mein Herz und nahm sie auf den Arm und hob sie hoch empor. –
Ich zürnte ihr nicht mehr,« fuhr der Alte langsam fort, nachdem er einen Augenblick inne gehalten hatte; »ich hatte sie zu lieb dazu. Ich hatte ihr ja in die Augen geblickt und die Augen hatten mich lieb und freundlich angeschaut, ich glaubte auch in ihr Herz blicken zu können und war ruhig und ohne Furcht.
Seht, Herr, es sind über fünfzig Jahre her, ich bin ruhiger und ernster geworden und oft habe ich ruhig darüber nachgedacht, ob es möglich sei, daß die Else mich damals absichtlich hintergangen, daß sie mir nur Liebe vorgeheuchelt habe, um mich zu täuschen. Ich habe es oft geglaubt und es hat mich in manchem wilden Augenblicke Aerger erfaßt, daß ich ihr nicht mein Messer in das falsche Herz gestoßen oder sie von einem Felsen herabgestürzt habe. Und dann wieder habe ich es für unmöglich gehalten, daß ein Menschenherz so falsch sein könne und habe alle Schuld dem Jägerburschen aufgebürdet. Ich denke noch oft darüber nach, aber es wird ein Räthsel bleiben, welches sich nie aufklärt.
Ruhig und glücklich ging ich an dem Abende heim und ich schämte mich an dem folgenden Tage bei der Else vorzusprechen, weil ich ihr gezeigt hatte, wie wild und eifersüchtig ich zu sein vermochte. Ich ging auch nicht zu ihr, sondern betrachtete nur aus der Ferne ihr Haus. Dieß sollte eine Strafe sein, die ich mir selbst auferlegte, weil ich an der Liebe und Treue des Mädchens gezweifelt hatte.
Es war spät, als ich an dem folgenden Abende heimkehrte, denn das Zimmer war zu eng für mich, nur unter dem freien Himmel konnte ich frei und leicht aufathmen. Sebt, auf dem Gipfel jenes Berges stand ich und blickte in die Nacht hinein und hinauf zu dem bestirnten Himmel, und der Mensch kam mir mit seinen Erdensorgen und seinem Erdenglück so klein, so unendlich klein vor. Lange Zeit stand ich in solchen Betrachtungen versenkt, da störte mich ein Mann, der sich zwischen den Felsen leise den Berg hinaufschlich. Ich erkannte ihn, als er sich mir näherte, und ich wäre ihm gerne ausgewichen, weil ich nichts mit ihm zu schaffen haben mochte, aber es war zu spät, auch er hatte mich bereits erkannt und schritt auf mich zu. Es war ein wilder finsterer Bursch und seiner rothen Haare wegen ward er in der ganzen Gegend nicht anders genannt, als der Rothe Klaus. Er war Bergmann gewesen, hatte diese Beschäftigung aber schon seit sechs Jahren aufgegeben und die wenigsten Menschen wußten, wovon er lebte und woher er das Geld nahm, welches er bei Trinkgelagen und auf den Tanzböden verthat. Ich wußte es, er war ein Wilddieb. Er galt als ein ausgezeichneter Schütze, der nimmer den Raubvogel im Fluge fehlte, und er war ein wilder, tollkühner Gesell. Ich kannte ihn, traf aber nur selten und ungern mit ihm zusammen. Er trug eine kurze Büchse über der Schulter und schritt rasch daher.
›Du bist ein Thor, Heinrich,‹ sprach er, indem er mir die Hand zum Gruße darreichte, ›Du bist ein Thor, daß Du dem Jägerbuben gestern Abend nicht besser heimgeleuchtet. Alle Wetter, hätte ich ihn so wie Du in meiner Gewalt gehabt, ich würd's ihm eingetränkt haben, daß er wüßte, was es heißt, einem Andern seinen Schatz stehlen; auf die Erde hätt' ich ihn geschleudert und mit meinen Füßen getreten, den elenden Buben.‹
›Wer sagt Dir,‹ entgegnete ich etwas heftig, ›daß er mir das Mädchen gestohlen?‹
›Ich selbst sag' es, ich,‹ erwiderte er trotzig. ›Glaubst Du, ich weiß nicht, daß er Deinem Mädchen auf Schritt und Tritt nachläuft? Ha, meinst Du, der Klaus hat keine Augen, daß er nicht zu sehen vermöchte, wenn die Else mit dem grünen Buben heimliche Zusammenkünfte im Walde hat? Ich hab's gesehen, mehr denn einmal und deßhalb ärgerte es mich, daß Du den erbärmlichen Burschen gestern Abend so wohlfeilen Kaufs davon ließest.‹
›Du lügst,‹ rief ich heftig, indem ich seinen Arm umfaßte und ihm starr in die Augen blickte. ›Du lügst, die Else bat keine Zusammenkunft mit ihm gehabt.‹
›Laß meinen Arm los,‹ erwiderte der Andere ruhig. ›Ich will keine Händel mit Dir anfangen, sondern ich will Dich nur warnen. Dir scheint das Mädchen fest in's Herz gewachsen zu sein, Heinrich, Du traust ihm zu viel. Laß den Fuchs nicht in Deinen Bau kommen, ich warne Dich.‹
Wieder stieg eine heftige, gewaltige Aufregung in mir empor, und all die wilden Zweifel, welche kaum in mir zur Ruhe gebracht waren, stürmten wieder durch meine Brust.
›Klaus,‹ rief ich leidenschaftlich, ›sag mir die Wahrheit, oder ich vergreife mich an Dir, wenn Du das Mädchen ungerechter Weise schmähst. Sage mir die Wahrheit und beweise mir sie – oder –‹
›Ich habe Dir die Wahrheit gesagt,‹ erwiderte er ruhig. ›Weßhalb sollt' ich Dich täuschen. Ich kenne den Ort, wo sie sich öfters treffen, und mit eigenen Augen sollst Du Dich überzeugen von dem, was ich Dir gesagt habe, Du sollst sehen, daß das Mädchen Dich hintergeht.‹
Ich schwieg, aber er mochte es mir ansehen, was in meinem Innern vorging. ›Nimm Dir's nicht zu sehr zu Herzen, Heinrich,‹ fuhr er fort, ›das Mädchen trägt weniger Schuld als der Jäger. Komm', halt' Dich zu mir und ich werde Dir schon Gelegenheit verschaffen, Dich an ihm zu rächen; auch ich habe noch eine Rechnung mit ihm abzumachen.‹
Ich wäre in diesem Augenblicke zu allem fähig gewesen, wenn es nur etwas Wildes und Ungestümes war, das meine innere Gluth und Leidenschaft löschte. Ich blieb die Nacht über bei dem wilden Burschen und er fachte die in mir lodernde Leidenschaft stets noch mehr an.
›Du bist ein Thor,‹ sprach er zu mir, ›daß Du Dich quälst und mühst, um ein paar Thaler zu verdienen; ich habe es leichter und führe ein lustiges Leben. In ein paar Stunden des Nachts verdien' ich mir mehr, als Du während einer ganzen Woche, und ich bin frei und unabhängig dabei, Niemand hat mir zu befehlen. Oder fürchtest Du Dich etwa vor dem Jägerburschen? Ich weiß, daß er mir nachstellt, aber ich wünsche, daß er mir nur einmal entgegentritt, wie Dir gestern, ich wünsche es, aber er fürchtet mich mehr als, ich ihn.‹
Das Verlangen, mich an dem, der mir das Herz der Else entzogen hatte, rächen zu können, wirkte mehr als alle. Worte des wilden Klaus. Ich reichte ihm die Hand zum Bunde dar und von dieser Stunde an ward ich ein Wilddieb.
Schon in der folgenden Nacht traf ich wieder mit dem Rothen Klaus zusammen und als der Morgen hereinbrach, führte er mich hinter jenen Felsen, der dort hinter den Tannen hervorragt. Damals waren die Tannen noch junge Bäume und man hatte von dort eine freie Aussicht auf diesen Felsen hier, ohne von hier aus leicht bemerkt werden zu können.
›Nun sei still, Heinrich,‹ sprach er zu mir. ›Ich habe Dir versprochen, daß Du mit eigenen Augen sehen sollst, wie die Else Dich hintergeht, und ich will es halten. Dort auf jenem Felsen,‹ – derselbe auf dem wir jetzt sitzen,« fügte der Greis hinzu – »›pflegen sie sich zu treffen. Von hier aus können wir sie sehen, ohne daß sie uns bemerken.‹
Mit fieberhafter Unruhe und Angst waren meine Augen auf den Felsen gerichtet. Es war mir, als ob mein Todesurtheil ausgesprochen werden sollte, es war mir, als ob ich an einem finstern gähnenden Abgrund stände, um jede Minute hinabgestürzt zu werden, und doch vermochte ich die Augen von dem Felsen nicht abzuwenden, und doch wäre ich nicht von jener Stelle gewichen, und wenn es mich das Leben gekostet hätte; denn jetzt, jetzt sollte ich endlich selbst sehen, wogegen mein Herz sich so oft gesträubt hatte, jetzt sollte endlich die bange Ungewißheit, die mich Tag und Nacht gequält hatte, von mir genommen werden. – Und sie ward von mir genommen.
Herr,« unterbrach sich der Alte, indem er tief und schwer Athem schöpfte, »es ist schwer zu ertragen, wenn bange Zweifel und Ungewißheit am Herzen nagen und jede Ruhe und jeden Frieden verscheuchen, es ist schwer zu ertragen, obschon dann und wann noch ein schwacher Hoffnungsstrahl das Herz aufrichtet und erfrischt; aber es ist nichts gegen den Schmerz der vollen und unabänderlichen Gewißheit. Auch ich wollte damals meinem bangen Zweifel ein Ende machen, ich glaubte ihn nicht länger ertragen zu können, mir ahnte nicht, um wie viel schrecklicher die Gewißheit war, daß ich betrogen, getäuscht und hintergangen war.
Es währte nicht lange, so erschien die Else auf dem Felsen. Sie schien rasch gegangen zu sein, denn ihre Wangen waren geröthet, und als sie so dastand, mir das Gesicht zugekehrt, als die Morgensonne sie mit einem röthlichen Scheine umgoß, als das Tuch, das sie um den Kopf geschlungen hatte, in dem Winde flatterte, da erschien sie mir schöner als ich sie je zuvor gesehen hatte. Mein Herz schlug laut und heftig und meine ganze Liebe zu dem Mädchen flammte in diesem Augenblicke mächtig in meiner Brust empor; ich konnte es mir nicht denken, daß dieser lieblichen Gestalt ein falsches und treuloses Herz inne wohnen könne, und hätte mich nicht ein Abgrund von ihr getrennt, ich wäre zu ihr geeilt und hätte sie an mein Herz gezogen.
Ihre Augen schweiften forschend umher, das Ohr hielt sie lauschend dem Winde entgegen. Ein lautes Pfeifen hallte durch den Wald und ward in vielfachen Echos von den Felsen zurückgeworfen. Ihre Augen leuchteten freudig auf, als sie diesen Ton vernahm, und ihr Oberkörper war nach der Richtung geneigt, aus welcher der Ton zu ihr gedrungen war.
Zitternd, regungslos, die Augen starr auf das Mädchen gerichtet, saß ich da. Wenige Augenblicke darauf sprang der Jägerbursch auf den Felsen, das Mädchen eilte ihm entgegen und er schloß sie in seine Arme und küßte sie.
Herr, ich weiß nicht mehr, was ich dachte und fühlte, aber ich glaubte die Erde müsse sich unter mir öffnen und mich und sie Alle verschlingen; ich weiß es nicht mehr, wie mir zu Sinne war, aber es war schrecklich. Ich wollte zu ihnen stürzen, um die Verräther mit meinen Händen zu vernichten, der Arm meines Begleiters hielt mich zurück, denn blindlings wäre ich in den Abgrund vor mir gestürzt. Ich konnte es nicht ertragen, was in mir vorging. Jetzt hatte ich die Gewißheit, nach der mich verlangt hatte, mit eigenen Augen hatte ich es gesehen, jetzt war kein Zweifel, kein Hoffen mehr, ich war verrathen, betrogen, hintergangen. Und diese Gewißheit warf mich fast zu Boden und raubte mir die Besinnung; nur ein Gedanke lebte noch in mir, der Gedanke der Rache.
Ich griff nach der Büchse meines Begleiters, die an den Felsen gelehnt dastand, ich hatte sie erhoben, um ihn, sie, um beide durch das verrätherische Herz zu schießen, aber mein Begleiter entriß sie mir.
Kennt Ihr, Herr, die Wuth eines auf das Aeußerste gereizten Stiers, der durch eine starke Kette gefesselt ist? Habt Ihr schon gesehen, wie er mit den Hörnern die Erde aufwühlt und sich den Kopf an der Mauer blutig stößt? Habt Ihr schon gesehen, wie er all seine Wuth gegen sich selbst, gegen sein eigenes Leben richtet? Seht, so war ich. Ich habe in dem Schmerze der Verzweiflung getobt und gewüthet, ich habe mich und sie und alle Menschen verwünscht, ich habe mir das Haupt an den Felsen gerannt, um es zu zerschmettern und das brennende Feuer drinnen zu löschen, ich habe die Nägel tief in mein eigenes Fleisch gegraben. Ich war kein Mensch mehr, ich kannte mich nicht mehr, ich hätte Alles vernichten mögen, was in meiner Nähe war, und so trieb ich es, bis ich erschöpft, bewußtlos zur Erde stürzte.«
Der Alte schwieg. Er hatte die letzten Worte in größter Aufregung gesprochen, denn die Erinnerung hatte noch einmal den Schmerz und die Verzweiflung jenes Augenblickes, wenn auch nur in schwachen Nachklängen, in ihm wach gerufen, aber ich erkannte doch daraus, wie wild und gewaltig der Schmerz des Mannes gewesen war. Er war eine kräftige, wilde, aber ungezähmte Natur.
»Jetzt vermögt Ihr es mir nicht mehr anzusehen, Herr, was ich einst gelitten habe, wie ich einst war,« fuhr er endlich ruhiger fort. »Mein Herz ist fünfzig Jahre älter geworden und es hat noch Schlimmeres erlebt, als in jenem Augenblicke, es hat noch mehr erlebt, und hat es Alles ertragen müssen.
Als ich wieder zu mir kam, kniete der Rothe Klaus neben mir und rieb mir die Stirn und die Schläfe mit Branntwein ein. Unwillkürlich fuhr ich zurück, als ich ihn erblickte, denn sein Anblick rief mir sofort das Erlebte in das Gedächtniß zurück. Er war erfreut, daß ich in das Leben zurückkehrte. Stundenlang hatte ich bewußtlos dagelegen und die Sonne stand bereits hoch am Himmel. Ich hatte den Menschen früher verachtet und vermieden mit ihm zusammen zu treffen, denn er war ein unbändiger und roher Bursch, aber er war doch bei mir geblieben, er hatte mich nicht verrathen, wie das Mädchen, das ich so unermeßlich geliebt. Ich weiß nicht, was aus mir geworden wäre, hätte er mich verlassen; ich würde mein Haupt an einem Felsen zerschellt haben, oder zu der Else geeilt und sie gemordet haben. Er hielt mich von Allem zurück. Er fachte die Lebenslust dadurch in mir wieder an, daß er mein ganzes Rachegefühl wach rief, und jetzt fühlte ich mich wohl bei ihm, sein wilder Sinn paßte zu meiner Stimmung.«
›Sei kein Thor, Heinrich,‹ sprach er zu mir. ›Das Mädchen ist nicht werth, daß Du Dich so grämst; es gibt mehr hübsche und lustige Mädel in der Welt. Du darfst es ihm nicht zeigen, daß es Dir zu Herzen geht. Du mußt lustig leben, dann vergißt Du Alles und es wird schon die Zeit kommen, wo Du Dich rächen kannst. Jetzt darfst Du es nicht. Du bist jetzt zu unruhig, zu aufgeregt, Du würdest Dich selbst verderben.‹
Er hatte Recht, das fühlte ich und ich that, wie er mir gerathen. Ich schloß mich an ihn an und führte ein wildes ausschweifendes Leben. Ich hatte mir ja Geld erspart, ich brauchte es nun nicht mehr, und um den in mir zehrenden wilden Schmerz zum Schweigen zu bringen, ergab ich mich dem Trunke. Ich habe viel, viel in dieser Zeit ausgestanden und viel durchgemacht. Ich kam aus dem Rausche der wilden Lust kaum heraus und Nachts ging ich mit dem Rothen Klaus auf den Anstand. Ich hatte es nicht nöthig zu wilddieben, an Geld fehlte es mir nicht, aber es machte mir Lust und es war, als ob mein Herz nach Blut verlangt hatte.
Ich hatte mir vorgenommen, die Else ganz aus meinem Herzen zu reißen und zu vergessen, ich wollte nicht an sie denken; aber wenn ich allein auf einem Felsen saß, oder in stiller Nacht auf meinem Lager lag, dann trat ihre liebliche Gestalt oft an meinen Geist heran und blickte mir freundlich und mild entgegen. Dann dachte ich an die glücklichen Stunden zurück, die ich an ihrer Seite verlebt und dachte daran, wie damals mein Leben ein ganz anderes und glücklicheres gewesen war, als jetzt. Dann schlich sich wohl die Hoffnung in mein Herz, daß es einst wieder werden könne, wie es gewesen war und schon mehre Male hatte ich den Entschluß gefaßt, zu dem Mädchen zurückzukehren und ihr Herz wieder zu gewinnen. Wenn man einmal von Herzen glücklich gewesen ist, Herr, das vergißt sich nicht, und ich war es gewesen, glücklich wie nur ein Menschenherz sein kann. Ich war heiter und zufrieden gewesen, das ganze Leben hatte offen und heiter vor mir gelegen, und was hatte ich jetzt! Ich hoffte auf nichts mehr und ich freute mich über nichts mehr, mir war es, als ob ich ein Verstoßener, ein Geächteter wäre.
Oft sehnte ich mich nach diesem Glücke zurück, nur konnte ich es nicht über mich gewinnen, das Haus des Mädchens zu betreten; denn trotz all meines Unglückes wohnte ein Stolz in meiner Brust, der es dem Mädchen nicht zeigen mochte, wie unglücklich ich war.
So waren einige Wochen vergangen und ich hatte die Else nicht wieder gesehen. Tagelang hatte ich hinter Felsen versteckt gelegen, um sie bei einer Zusammenkunft mit dem Jägerburschen zu überraschen, aber vergebens.
Da ging ich eines Tages allein und in Gedanken an die Vergangenheit versenkt durch den Wald. Ich dachte an die Else und fuhr deßhalb erschrocken zurück, als ich um einen Felsen bog und sie plötzlich vor mir stand.
Auch sie schien erschrocken und überrascht zu sein, denn auf ihren Wangen wechselte Blässe mit Röthe. Sie hatte die Augen auf die Erde geheftet und ich sah, wie sie heftig erzitterte. Finster ruhte mein Auge auf ihr, sie war schön, schöner als ich sie zuvor gesehen, und wie eine Flamme loderte plötzlich die alte Liebe wieder in meinem Herzen empor; zugleich erwachte aber auch die Erinnerung an ihre Treulosigkeit lebhaft in mir.«
›Hast Du hier wieder eine Zusammenkunft mit Deinem Buhlen, dem Jägerburschen, wie auf dem Felsen über dem Oderteiche?‹ fragte ich endlich nicht ohne Spott.
Sie schwieg, aber ihre Wangen wurden noch blässer und ihr Busen hob und senkte sich heftig; ich sah es ihr an, daß sie nach Athem rang.
›Das ist also die Treue, die Du mir geschworen hast,‹ fuhr ich fort; ›mit einem Andern läufst Du zu Tanz, mit ihm hast Du geheime Zusammenkünfte, ich habe Euch gesehen, dort auf dem Felsen am Oderteiche habe ich Dich gesehen, wie Du ihn erwartetest und in seinen Armen lagest. Das ist also Deine Treue, Du Falsche!‹
Sie schlug ihre dunkeln Augenlider langsam auf und sah mich mit einem trauernd flehenden Blicke an, als ob sie mich bitten wollte, nichts weiter zu reden. Ich bemerkte es, aber es erschien mir als das Bewußtsein ihrer Schuld und noch spottender fuhr ich fort.
›Du erwartest Deinen Buhlen hier, gut Else, ich will Euch nicht stören, denn wenn ich den Buben zum zweiten Male treffe, so möchte noch ein Unglück geschehen. Ich bin Dir zu gering gewesen, obgleich ich es ehrlich mit Dir gemeint habe; Du ziehst es vor, die Buhle eines Jägerburschen zu sein, gut Else, wenn Ihr Hochzeit habt, will ich auch dazu kommen.‹
Ich wandte mich ab, um fortzugehen, da richtete sie ihr Haupt empor, beugte ihren Oberkörper vorn etwas über und rief mit flehender, weicher Stimme: ›Heinrich!‹
Herr, ich hörte diese Stimme meinen Namen rufen, es lag darin gleichsam das ganze Bekenntniß ihrer Schuld und auch die Reue. Es zuckte mir durch alle Nerven und ich hätte müssen das Mädchen nie geliebt haben, wenn ich hätte wollen widerstehen. Dieser Ruf kam aus ihrem Herzen, das einst mein größtes Glück und mein größter Schatz gewesen war. Und ich wandte mich zu ihr, und als ich sie wie eine schöne reuige Sünderin dastehen sah, vermochte ich mich nicht länger zu halten. Ich zog sie an mich und schloß sie in meine Arme.
›Else,‹ fragte ich, ›warum liebst Du mich nicht mehr?‹
›Ich liebe Dich noch, Heinrich,‹ flüsterte sie mit leiser Stimme, indem sie sich fest an meine Brust schloß, ›ich liebe Dich noch und habe nie aufgehört Dich zu lieben.‹
›Aber Du bist mir ungetreu geworden und hast Dich dem Jägerbuben zugewandt,‹ entgegnete ich.
›Er hat mich bethört und betrogen,‹ schluchzte sie, ›er hat mein Herz getäuscht und berauscht, ich habe ihn nie so wahr geliebt als Dich. Ich habe Tage und Nächte lang geweint, weil Du Dich von mir gewandt hattest, der Gedanke an meine Schuld quälte mich, Heinrich, ich bin noch viel unglücklicher als Du!‹
›Und Du liebst mich noch, Else?‹ fragte ich, indem ich sie fest und leidenschaftlich an mein Herz drückte, ›Du liebst mich noch?‹ und sie antwortete mir durch lautes und heftiges Schluchzen.
›So sollst Du mein werden, Else,‹ rief ich, ›so kehre zu mir zurück und alles Vergangene soll vergessen sein. Du sollst mein Weib werden, und Den will ich sehen, der es wagt, Dich zum zweiten Male aus meinen Armen zu reißen.‹
Gewaltsam entwand sie sich mir und mit einem starren, fast irren Blicke sah sie mich an. ›Nein, nein,‹ rief sie, ›verlange das nicht von mir; ich werde Dich immer lieben, aber Dein – Dein Weib kann ich nie – nie werden!‹
Ich verstand sie nicht und blickte sie verwundert an.
›Doch, Else,‹ rief ich, ›Du mußt mein Weib werden, Du sollst es, alles Vergangene ist vergessen.‹ Ich wollte sie an meine Brust ziehen, aber sie wehrte mir mit dem Arme.
›Nein, nein,‹ rief sie leidenschaftlich, ›Dein Weib kann ich nie werden, ich bin Deiner unwerth, ich bin zu tief gefallen!‹ und sie barg verzweiflungsvoll ihr Gesicht in den Händen und ihr ganzer Körper erzitterte.
Herr, jetzt zuckte eine bange, schwere Ahnung durch meine Gedanken, und mein Herz bäumte sich rasch empor.
Ha, wenn der Bube sie bethört, wenn er ihre Unschuld angetastet, wenn er … ich vermochte nicht weiter zu denken, denn es war mir, als ob das Herz mir gewaltsam aus der Brust gerissen würde.
› Else,‹ rief ich, indem meine Stimme vor innerer Aufregung erbebte und meine Augen glühend und durchdringend auf sie gerichtet waren, › Else, der Bube hat Dich verführt?‹
Kein Wort erwiderte sie, sie barg das Gesicht noch in den Händen, ich hörte ihr Schluchzen und sah, wie ihr Körper zitterte.«
› Else,‹ wiederholte ich mit drohender, lauter Stimme, ›sprich es aus, der Bube hat Dich verführt?‹
Da schluchzte sie in böchster Verzweiflung: ›Gott, Gott, ich wollt', ich wäre todt!‹
Herr,« fuhr der Alte fort, nachdem er einen Augenblick inne gehalten hatte, um die Aufregung, in welche er durch die Erinnerung versetzt wurde, gewaltsam zu unterdrücken, »Herr, ich danke noch heute Gott, daß ich damals nichts in meinen Händen trug, weder einen Stock, noch eine Waffe, denn ich glaube, ich würde sie ermordet haben. Noch heute fühle ich, wie furchtbar in dem Augenblicke meine Aufregung war. Mein Herz war krampfhaft zusammengepreßt und die Haare richteten sich auf meinem Haupte empor. Ich stieß das Mädchen von mir und stürzte fort.
Wohl hörte ich sie mit banger, verzweiflungsvoller Stimme meinen Namen rufen, und sie eilte mir nach, aber wie ein von Furien Verfolgter stürzte ich weiter und weiter.
Herr, wenn der Mensch am meisten an sich und den Menschen und der ganzen Welt verzweifelt, dann steht ihm Gott am nächsten. Seht, hundertmal würde ich in Abgründe oder von Felsen herabgestürzt sein und mein Haupt zerschmettert haben, denn wie ein Wahnsinniger eilte ich umher. Die steilsten und gefährlichsten Klippen stieg ich aufwärts, an dem Rande der Abgründe wälzte ich mich in meinem Schmerze am Boden. Ich suchte den Tod, obgleich ich ihn mir nicht unmittelbar zu geben wagte; das Leben war mir verhaßt, denn er hatte nur Qualen für mich. Es lag etwas Beruhigendes darin, wenn ich den Tod unmittelbar neben mir sah, das Schauerliche desselben paßte zu meiner Stimmung und zu meiner Wildheit. Gottlob, daß des Menschen Kraft in der Verzweiflung seines Schmerzes, in seinem Wahnsinne nur eine geringe und schwache ist. Hätte ich damals die Kraft gehabt, ich würde Alles vernichtet haben, denn ich fluchte und tobte wie ein Toller, ich verwünschte mich und alle Menschen und ich schleuderte Steine von den Felsen herab, und der Gedanke, der Wunsch, daß jeder Stein das Haupt des verhaßten Buben sein möge, gewährte mir eine wilde Freude.
Ich hatte jetzt nur einen Gedanken, nur einen Wunsch: mich an dem Jägerburschen zu rächen. Tag und Nacht durchstreifte ich den Wald und die Felsen, um ihn zu suchen. Offen trug ich meine Büchse über der Schulter, denn ich fürchtete Niemand und hatte auch nichts zu fürchten. In wilder Mordlust richtete ich auf jedes Thier, auf jedes Wild meine Büchse, ich wollte es nicht besitzen, sondern nur tödten. Ich wollte mich nur an seinem Todeszucken weiden und an dem Gedanken, daß so einst der Verhaßte blutend, zuckend, sterbend zu meinen Füßen liegen solle.
Herr, der Mensch kann schrecklicher und wilder werden, als das wildeste Thier – ich war es damals. Mich hatte ein fürchterlicher böser Sinn erfaßt, und in ihm rasete ich Tage lang umher. Ich ward verwegener und verwegener, ich wollte den Jägerburschen herausfordern und herauslocken und bis in die Nähe seiner Wohnung drang ich vor, Alles verheerend, was mir in den Weg trat.
Seht, Herr, dort am jenseitigen Ufer des Teiches, wo die hohen und dunkeln Tannen stehen, dort lag ich eines Morgens hinter einem Felsen. Ich lauerte auf ein Wild und hielt die Büchse gespannt in der Hand. Ich wollte den Buben herauslocken, denn der Schall des Schusses mußte bis zum Försterhause dringen, und so blind war ich in meiner wahnsinnigen Wuth, daß ich nicht einmal daran dachte, wie leicht ich mich dem verhaßten Buben in die Hände liefern könne.
Es währte nicht lange, so kam ein Reh, um an dem Ufer zu äsen, und eine Minute darauf lag es schon zuckend am Boden. Kaum war der Schuß im Walde verhallt, als mehrere Jäger hinter dem Felsen hervor sich auf mich stürzten. Ich erkannte den Verhaßten unter ihnen, und mit roher Freude sprang ich empor und stürzte ihm entgegen.
Ich dachte nicht daran, daß ich der Uebermacht unterliegen müsse, daran lag mir ja auch nichts, ich dachte nicht daran, daß ich ihm ohne Waffen gegenüberstand, denn selbst meine Büchse hatte ich am Boden liegen lassen, ich dachte nur an meine Rache und mit meinen Händen wollte ich ihn ermorden und erwürgen. Mein Rachegefühl wäre noch nicht befriedigt gewesen, wenn ich ihm eine Kugel durch das Herz gejagt oder ihn mit dem Kolben meiner Büchse erschlagen hätte, nein, ich selbst, mit eigenen Händen wollte ich ihn tödten.
Er mochte ahnen, was in mir vorging, denn er wich zurück und zwei der Jäger umfaßten mich. Mit überlegener Kraft schleuderte ich sie zurück und stürzte auf den Verhaßten zurück. Er hielt mir seine Büchse entgegen, der Hahn war gespannt, aber was kümmerte es mich in meiner blinden rasenden Wuth, ich schlug sie mit der Faust zurück, daß sie zersplittert zur Erde fiel. Jetzt war er in meiner Gewalt. Mit der Rechten umklammerte ich seinen Arm, und mit der Linken erfaßte ich seine Kehle; er schlug mich auf die Brust und in's Gesicht – ich fühlte es nicht. Sein Gesicht ward roth und braun – noch einen Augenblick und ich hatte ihn erwürgt. Da eilten die anderen Jäger herbei. Sie versuchten meine Linke von seinem Halse zu reißen, aber wie eine eiserne Klammer hielt sie denselben umschlossen; ein Schlag mit dem Kolben auf meinen Arm lähmte denselben und löste die Hand, aber noch war er nicht frei, noch hielt ich seinen Arm mit meiner Rechten umklammert und mit furchtbarer Kraft hielt ich ihn fest. Ich fühlte, wie sich meine Nägel und Finger in sein Fleisch gruben und sah das Blut an meiner Hand niederrinnen. Ha, das Blut des Verhaßten gab mir neue Kraft und mit einer Hand hatte ich ihn erwürgt, gemordet, hätte mich nicht ein Schlag über den Kopf bewußtlos niedergestürzt.«
Der Alte schwieg einen Augenblick, die Erinnerung an jene Stunde schien ihn erschöpft zu haben. Unwillkürlich hatte ich meine Augen an seiner Gestalt herabgleiten lassen; sie war jetzt alt und zerfallen, aber selbst in ihren Trümmern verrieth sie noch ihre einstige Größe und Kraft. Er schien meinen Blick zu bemerken, denn lächelnd sprach er: »Seht mich jetzt nicht mehr darauf an, Herr, denn was ich einst gewesen bin, vermögt Ihr nicht mehr zu erkennen. Nicht das Alter und die Jahre allein haben mein Haar gebleicht und meinen Körper erschlafft und zur Ruine gemacht. Es gibt Etwas, was noch weit mehr und weit tiefer und schneller zehrt als die Zeit, das ist der Schmerz, die Verzweiflung und der Wahnsinn. Ja, ich hatte einst einen gewaltigen Körper und eine gewaltige Kraft, und was ihr jetzt seht, ist nicht einmal mehr der Schatten von dem, was ich einst war.
Als ich damals wieder zu mir kam,« fuhr er in seiner Erzählung fort, »war ich an Händen und Füßen gefesselt und lag auf einem Wagen, der soeben von dem Försterhause abfuhr, um mich, wie ich richtig vermuthete, als Wilddieb dem Gerichte zu überliefern. Der Jägerbursch schritt neben dem Wagen her und blickte mit höhnischer Schadenfreude auf mich. Was ich in diesem Augenblicke empfand, vermag ich Euch nicht zu beschreiben: der Tod wäre mir das Liebste gewesen und selbst er stand nicht einmal in meiner Macht, denn ich vermochte mich kaum zu rühren.
Der Wagen mußte an dem Brockenkruge, an dem Hause, in dem die Else wohnte, vorüberfahren. Schon sah ich das Haus und bemerkte, wie triumphirend der Jägerbursch zu den Fenstern aufblickte. Nur für einen Augenblick wünschte ich meine Freiheit, nur für die kurze Zeit, die es bedurft hätte, um den verhaßten Menschen vor diesem Hause, unter diesen Fenstern, ja im Angesichte des Mädchens, das er mir entzogen und unglücklich gemacht, mit meinen Händen zu ermorden. Dann wäre es mir gleichgiltig gewesen, ob ich in's Gefängniß oder zum Tode geführt worden wäre. Aber die Fesseln waren stark und spotteten jeder Anstrengung, mich von ihnen zu befreien.
Mit Verzweiflung und Schmerz blickte ich zum Fenster auf. Da stand die Else, unsre Augen begegneten sich, sie erkannte mich und mit einem lauten Schrei fuhr sie zurück. Sie stürzte aus dem Hause heraus und warf sich mit Angst und Schmerz über mich, denn sie mochte ahnen, was mir begegnet war und was ich zu erwarten hatte. Mit ihren Armen umklammerte sie meinen Hals und küßte mich auf Mund und Wangen. Da sprang der Jägerbursch herzu und riß sie gewaltsam von mir. Ich versuchte mich in die Höhe zu richten, er aber stieß mich mit dem Büchsenkolben roh vor die Brust, daß ich zurücktaumelte.
Herr, Gott verzeih' mir, wenn ich dem Menschen noch jetzt fluche, aber er hat sich zu schwer an mir vergangen. Ich kannte mich in dem Augenblicke damals nicht mehr, ich fühlte das Blut mir mit furchtbarer Gewalt zu Kopfe schießen, ich riß an meinen Fesseln, daß die harten Stricke mir tief in das Fleisch einschnitten und mir das Blut von Händen und Füßen herabfloß; ich wollte, ich mußte sie sprengen, ich wollte und mußte frei sein, frei nur für einen Augenblick der Rache, aber die Fesseln waren zu stark selbst für die Kraft der Verzweiflung.
Auf's Neue wollte sich das Mädchen weinend über mich werfen, aber der Bube stieß sie zurück und schlug mir in's Gesicht.
Herr, seht, jetzt noch steigt mir das Blut zu Kopf, wenn ich daran denke, und es sind über fünfzig Jahre her. Ich war wehrlos gefesselt und der Mensch, den ich am meisten vor allen Menschen haßte, durfte mich ungehindert schlagen und mißhandeln. Herr, da habe ich mir die Lippen vor Wuth wund und blutig gebissen und habe in dem Unmaße meines Schmerzes und meiner Verzweiflung so schwer und gottlos geflucht, daß ich noch jetzt nicht ohne Schauder daran zurückdenke.
Dies war der schrecklichste Augenblick meines Lebens. Hier seht meine Arme,« fügte er hinzu, indem er die Aermel des Rockes etwas in die Höhe hob, »hier seht diese Narben, sie rühren von jenem Augenblicke her, von den Wunden, die ich mir durch die Fesseln schnitt. Und wenn ich mir hätte müssen die Linke abschneiden, oder mit meinen Zähnen abbeißen und abnagen, um die Rechte zu befreien und mit ihr meinen Todfeind zu vernichten, ich würde es gethan haben, denn was sind körperliche Schmerzen gegen das furchtbare Brennen im Innern, wenn Wuth, Verzweiflung, Rache, Stolz, Liebe und Wahnsinn zu einer Flamme sich vereinen. Gott gebe, daß Ihr nie, nie erfahret, wie solch' Feuer brennt.
Langsam fuhr der Wagen, auf dem ich lag fort, neben ihm schritt der Verhaßte. Ich schloß die Augen, nur um jenen Menschen nicht zu sehen, den ich so furchtbar haßte, der mir das Glück meines Lebens, den Frieden meines Herzens geraubt hatte.
Ich ward nach Zellerfeld in's Gefängniß gebracht. Meine Fesseln wurden mir abgenommen und ich konnte in dem kleinen Raume mich frei bewegen. Anfangs hatte ich die Absicht gehabt, mir das Leben zu nehmen, um allen Qualen und Schmerzen mit einem Male ein Ende zu machen, jetzt dachte ich nicht mehr daran, obschon ich die Gelegenheit dazu hatte, denn ich hätte mir nur die Pulsader meiner Hand abzubeißen brauchen, aber ich wollte nicht sterben, ich wollte leben, um mich einst rächen zu können.
Wochenlang saß ich allein in der engen Zelle, ehe mein Urtheil gesprochen wurde, und dieß waren schreckliche Wochen, schreckliche Tage und Nächte für mich. Ich war gewöhnt an die freie Luft und die freien Berge, ich hatte mich bis dahin vor Niemandem gebeugt, ich war frei gewesen, wie der Vogel in der Luft und jetzt schloßen mich diese engen und feuchten Wände ein und trieben mich zur Verzweiflung. Ja, Herr, zur Verzweiflung und zum Wahnsinne, denn mit meinem Kopfe bin ich oft gegen die Wand gerannt und mit meinen Nägeln suchte ich im Wahnsinn die starke Mauer zu durchgraben und zu durchbrechen, bis ich mir das Fleisch von den Fingern gestoßen. Tag und Nacht sann ich auf einen Plan, aber aus dieser Zelle, aus diesen Mauern war kein Entkommen möglich.
Endlich ward mein Urtheil ausgesprochen, es lautete fünf Jahre Gefängniß, Fünf Jahre! Sie erscheinen uns wie ein Tag, wie ein Gedanke, wenn wir in die Vergangenheit zurückblicken, aber haben wir sie vor uns liegen, so dünken sie uns eine Ewigkeit. Fünf Jahre! Fünf Jahre sollte ich in einem solchen engen Raume zubringen, fünf Jahre lang sollte ich den Haß und das Verlangen, mich an dem Jägerbuben zu rächen, unbefriedigt in meiner Brust tragen!
Herr, da begreift man erst, was fünf Jahre bedeuten! Und auch die Else sollte ich in dieser Zeit nicht wiedersehen, und doch tönte mir der Schrei, mit dem sie sich über mich geworfen hatte, als ich gefesselt auf dem Wagen lag, fortwährend in den Ohren, doch wußte ich, daß sie mich noch liebte, und in der Stille und Einsamkeit der Nächte war die Liebe zu diesem Mädchen in aller Frische und Leidenschaft in meinem Herzen wieder erwacht.
Ich vermochte es nicht länger in dem Gefängniß auszuhalten, ich mußte frei werden, mochte es kosten was es wolle. Noch war mein Körper nicht geschwächt, noch besaß ich meine volle Kraft und ich versuchte die eisernen Stäbe des Gitters zu erbrechen, aber sie spotteten meiner Kraft. An ihnen hatte sich vielleicht schon mancher Gefangene die Hände blutig gerungen und sie hatten noch Allen widerstanden. Vergebens sann ich Tag und Nacht auf einen Weg und eine Möglichkeit zur Rettung und, ich will es offen gestehen, oft, wenn meine Verzweiflung sich bis zum Wahnsinn steigerte, erfaßte mich der Gedanke, den Wärter, der mir täglich meine Speise brachte, zu erwürgen, seine Kleider anzuziehen und in ihnen zu fliehen. Nur die Scheu vor dem Morde hielt mich zurück; es ist ein Schweres, ein Menschenleben zu nehmen und dieses Leben hatte mir nichts zu leide gethan.
Endlich entdeckte ich, daß mein hölzernes Lager hohl war und wie ein Blitz zuckte der Gedanke durch meinen Kopf, daß ich hierauf meine Rettung bauen könne, daß dieses mir einen Weg zur Flucht verschaffen werde.
Der Wärter kam nur einmal, höchstens zweimal des Tages zu mir, nie des Nachts; während der ganzen Nacht hatte ich also Zeit an meinem Fluchtversuche zu arbeiten.
Mit größter Anstrengung, denn ich hatte ja nichts weiter, als meine Hände und meine Nägel, riß ich ein Brett des Lagers los und es war hohl und groß genug, mich in seinem Innern zu bergen. Der Boden war wie die ganze Zelle mit Steinen gepflastert und es ward mir leicht, diese Steine mit den Händen aufzureißen und in dem Innern des Lagers zu bergen. Als der Morgen kam, schloß ich das Lager wieder mit dem Brette und legte mich darauf, indem ich mich krank stellte. Der Wärter kam, er warf einen prüfenden Blick in dem Raume und an den Wänden umher, aber nichts verrieth ihm, was in der Nacht zuvor vorgefallen war.
Um mir den Raum nicht zu beengen, denn es war mein Plan, mir unter dem Boden bin einen Weg in's Freie zu graben, oder mit den Händen auszuwühlen, benutzte ich die erste stürmische Nacht dazu, um die Steine einzeln durch das Gitter zu werfen, soweit ich vermochte. Ein günstiges Geschick kam mir hierbei zu statten, das Gitter meines Gefängnisses ging nicht auf den Gefängnißhof, sondern in's Freie auf einen mit Buschwerk bewachsenen Abhang. Hier bemerkte Niemand die hinabgeworfenen Steine, aber diese waren bald entfernt und nun kam die größere Schwierigkeit: ich mußte auch die Erde, welche ich mit meinen Händen losgrub und wühlte, durch das Gitter entfernen und hatte doch nichts weiter, als meine Hände. Wie leicht konnte ich während der Nacht Erde auf den Boden der Zelle fallen lassen und dann war ich verrathen; die leichte und lose Erde vermochte ich ferner nicht so weit zu werfen, als die Steine und wie leicht konnte sie an der äußeren Mauer des Gefängnisses entdeckt werden.
Aber die Noth macht erfinderisch. Mit dem Wasser, welches ich täglich zum Trinken erhielt, feuchtete ich die Erde an und ballte sie zu festen Kugeln, welche ich nun ebenso leicht und weit wie die Steine durch das Gitter werfen konnte.
Ich stellte mich krank, um eine doppelte Portion Wasser zu erhalten, ich habe den entsetzlichsten Durst ertragen, nur um das Wasser zu meiner Befreiung zu benützen. Es gehört der feste Muth und die unerschütterliche Ausdauer eines Gefangenen dazu, um ein solches Werk zu beginnen und zu Ende zu führen. Wochen waren vergangen, keine Nacht hatte ich in der Arbeit ausgesetzt und unendliche Schwierigkeiten waren mir entgegengetreten, und der Erfolg all' meiner Mühen war nur ein geringer, ein langsamer. Ich würde mein Unternehmen aufgegeben und mich in dumpfer Verzweiflung in mein Geschick ergeben haben, wenn es sich blos um die Freiheit gehandelt hätte, denn auch gegen die Freiheit kann man abstumpfen; aber eine andere Gewalt lebte in mir und trieb mich rastlos an. Herr, der Haß, der sich einmal in der Brust des Menschen festgesetzt hat, der erstickt nicht so leicht, der läßt nicht nach; von. Tage zu Tage wird er vielmehr mächtiger und glühender, durch eigenes Feuer stachelt er sich auf.
Und zu dem unauslöschlichen Hasse gegen den Räuber meines Glückes und meiner Freiheit gesellte sich noch die Liebe und das Sehnen nach dem Mädchen, dem ich einst so nahe stand.
Herr, ich war durch das zehrende Feuer in meinem Innern, durch die schlaflosen Nächte und das Weilen in der engen und feuchten Zelle matt und elend geworden, so daß ich oft auf meinem Lager lag und glaubte, mein Ende nahe heran; wenn ich aber daran dachte, wie ich das Mädchen liebte und wie auch sie noch an mir hing, wenn ich daran dachte, wie sie mir entfremdet und unglücklich gemacht war, und wie sie jetzt hilflos dastand, wie sie jetzt dem Räuber ihres Glückes und ihrer Ehre hilflos preisgegeben war, während ich in dem Gefängnisse schmachtete – Herr, wenn ich daran dachte, bin ich hoch in die Höhe gesprungen und habe mir in ohnmächtiger Wuth und Verzweiflung die Hände und Füße an der Thür und den Mauern wund gestoßen, um sie zu zertrümmern, mich zu befreien und meine Rache zu kühlen.
In solchen Augenblicken rann mir das Blut mit fieberhafter Gluth durch die Adern und ich habe oft geglaubt, die Stirn müsse mir zerspringen und das Herz müsse mir bersten vor all' der Pein und all' den Schmerzen da drinnen. Und wenn solche Augenblicke vorüber waren, dann sank ich matt und kraftlos nieder und habe stundenlang ohne Bewußtsein gelegen.
Seht, noch jetzt rieselt mir das Blut kalt und heiß zugleich durch die Adern, wenn ich an jene schrecklichen Qualen denke; aber auch sie nahmen ein Ende. Weiter und weiter rückte ich in meinem Werke vor, weiter und weiter führte der mit den Händen gegrabene Gang, und als wieder einige Wochen verflossen waren, kam ich an die letzte Mauer. Nur diese dünne Wand trennte mich noch von der Freiheit, schon sah ich durch eine schmale Spalte derselben den Himmel schimmern, noch eine Nacht und ich hatte sie durchbrochen, ich war frei, frei und konnte mich rächen.
Ich war ein ungestümer Bursch und mein Unglück und meine Gefangenschaft hatten mich nicht gebessert, sondern nur noch trotziger und verbissener gemacht; aber als ich mich meinem Ziele so nahe sah, als alles bis dahin so glücklich abgelaufen war und als ich einen Stern durch die Mauerspalte schimmern sah, da habe ich mich auf die Knie geworfen und habe zu Gott gebetet und habe ihm gedankt.
Noch hatte ich freilich eine Geduldprobe zu bestehen, aber was war sie gegen die Leiden und Qualen, welche ich erlitten hatte. Zu meiner Flucht bedurfte ich einer finstern und stürmischen Nacht, um die Mauer unbemerkt durchbrechen zu können; aber der Himmel war heiter, die Nächte waren still und hell, und so blieb es mehre Nächte.
Nie habe ich mit einem solchen Verlangen mich nach Regen und Sturm gesehnt. Stundenlang stand ich am Tage vor dem Gitter meines Gefängnisses und blickte hinauf zum Himmel, ob sich keine Wolken zeigten, aber fast wie zum Spott blickte er mit unveränderlicher Klarheit auf mich herab. Ich verlor indeß die Geduld nicht. Ich wußte, welche unendliche Mühe es mich gekostet hatte, bis dahin zu gelangen, und ich wollte mir die Frucht dieser Mühen nicht durch ein unüberlegtes Handeln rauben. Endlich mußte ja doch eine Nacht kommen, wie ich sie wünschte und sie kam auch.
Es war eine finstre, stürmische Nacht. Der Wind fuhr heulend um die starken Mauern des Gefängnisses und trieb den Regen gegen das Fenster meiner Zelle. Mit fieberhafter Unruhe und Ungeduld wartete ich, bis Alles still in den Gängen und Zellen des Gefängnisses war. Minute auf Minute zählte ich, die Zeit schritt entsetzlich langsam weiter. Endlich schlug die Mitternachtsstunde und sie war die Zeit, welche ich mir zur Ausführung meines Fluchtversuches festgesetzt hatte.
Mit möglichster Ruhe stieg ich den mühsam gegrabenen Gang hinab und um eine sofortige Entdeckung zu vermeiden, verschloß ich mein Lager mit einem Brette so gut es gehen wollte. Schon war ich bis zur letzten Mauer vorgedrungen und hatte einige Steine aus derselben entfernt, da war es mir, als ob ich über mir Schritte hörte. Es mußte in meiner Zelle sein. Ich glaubte mich zu täuschen, da der Wärter nie während der Nacht zu mir gekommen war, aber ich vernahm sie zu deutlich. Eine unnennbare Angst überfiel mich, denn wenn ich entdeckt wäre, so nahe vor meiner Rettung, wenn man mich zurückgebracht hätte in die feuchte und dumpfe Zelle, ich würde es nicht ertragen haben, der Tod würde mir tausendmal lieber gewesen sein.
Mit der äußersten Kraft der Verzweiflung und Angst stemmte ich mich gegen die Mauer und sie gab nach, die Steine lösten sich und mit ihnen zugleich stürzte ich auswärts und einen kleinen Abhang hinab. Ich fühlte nicht, daß ich mir Gesicht und Hände verletzt hatte, ich kannte in diesem Augenblicke keine Schmerzen, sondern nur den Gedanken: frei zu sein. Ich sprang empor, warf einen Blick auf das Gitter meiner Zelle – richtig, es war Licht darin. Aber ich war frei, frei und wie ein gehetztes Wild stürzte ich fort, fort. Ich fühlte nichts von Sturm und Regen, nichts von Ermüdung, ich hatte nur den einen Gedanken: zu fliehen, zu entrinnen – wohin, galt mir gleich. –
Ich weiß nicht wie lange ich so fortgeeilt bin, jene erste Zeit meiner Rettung ist gänzlich aus meiner Erinnerung geschwunden. Wahrscheinlich bin ich zuletzt kraftlos und ohne Besinnung niedergestürzt; denn inmitten des Waldes zwischen Felsen kam ich wieder zu mir. Ohne daß ich es wußte, von einem natürlichen Instinkte getrieben, war ich meiner Heimat zugeeilt und befand mich in einer mir bekannten Gegend. Die Morgensonne war schon im Osten emporgestiegen und brachte mir gleichsam den Gruß der Freiheit, der Freiheit, die ich mir mit so unendlichen Mühen errungen hatte.
Ich weiß nicht, Herr« unterbrach sich der Alte und in seiner Stimme lag etwas tief Ergreifendes und Erschütterndes, »ob Ihr schon jemals empfunden habt, was es heißt, frei sein. Ich weiß nicht, ob Euch schon jemals die Freiheit genommen worden ist, denn nur erst dann lernt man sie würdigen, erst dann begreift man den gewaltigen Unterschied zwischen der dumpfen Zelle und dem freien luftigen Walde, erst dann saugt man jeden Lufthauch mit voller und freudiger Brust ein, erst dann empfindet man wie schön und warm die Sonnenstrahlen sind.
Ich wollte mich erheben,« fuhr er in seiner Erzählung fort, »aber die Glieder versagten mir den Dienst. Ich hatte sie zu unmäßig angestrengt, sie waren ohnedieß zum großen Theil verletzt und durch den Regen und die Kälte des nassen Felsens, auf dem ich lag, erstarrt. Sie schmerzten mich heftig und ein empfindlicher Hunger stellte sich ein – aber was kümmerte mich dieß Alles – ich war frei und hatte an diesem Orte keine Entdeckung zu befürchten. Mit ungestüm und freudig pochendem Herzen legte ich mich auf den Rücken und richtete das Auge zum Himmel empor. Die Sonne schien mild und warm auf mich herab, über mir wölbten sich die Wipfel der Tannen und ein Bergquell rieselte neben mir in das Thal herab.
So lag ich da, und in mir ward es ruhiger und stiller; es kehrte ein Frieden in meine Brust ein, wie ich ihn lange nicht gekannt. Das Gefühl meiner Freiheit erfüllte mich mit einer unaussprechlichen Wonne. Ich dachte in diesem Augenblicke nicht an meine Rache, sondern das Bild meines geliebten Mädchens und die Erinnerung an die vielen glücklichen Stunden, welche ich an seiner Seite verlebt hatte, zog wie ein Traum an meinem Geiste vorüber.
Herr, mein Herz war in diesem Augenblicke mild und aufgelöst und wenn mir damals die Else entgegengetreten wäre, wenn sie sich wieder wie einst an meine Brust geworfen hätte – ich wäre ein guter und glücklicher Mensch geworden – manches Unglück wäre weniger geschehen. Aber es sollte nicht so sein, ich sollte ein solches Glück nie erreichen.
Ich durfte den Tag über den Ort, an welchem ich mich befand, nicht verlassen, denn da meine Flucht so schnell entdeckt war, konnte ich mir wohl vorstellen, daß man mich sofort verfolgen und mir nachsuchen werde. Nach Andreasberg, meinem Heimatsorte, wagte ich mich nicht zurück, ich mochte überhaupt mich keiner Wohnung nähern, obschon ich der Nahrung nothwendig bedurfte. Ich hatte meine Hoffnung auf den Rothen Klaus gesetzt, ihn wollte ich während der Nacht aufsuchen, denn ich kannte die Orte, wo ich ihn ziemlich zuverlässig treffen konnte und daß er mich nicht verrathen würde, wußte ich.
Langsam schwand der Tag dahin, aber doch immer noch schneller als die vielen Tage im Gefängnisse. Als die Nacht hereinbrach, schleppte ich mich mit vieler Mühe zu dem Orte, wo ich den Rothen Klaus zu treffen hoffte, und traf ihn auch wirklich schon dort.
Seine Freude, als er mich erkannte, war aufrichtig und groß, denn war er auch ein verwahrloster und verachteter Bursche, so hielt er doch fest und treu zu Denen, die einst seine Gefährten gewesen waren. Und so wenig ich früher von ihm hatte wissen mögen, so that es mir doch jetzt im Innersten des Herzens wohl, daß es einen Menschen gab, der mir auch im Unglücke getreu geblieben war.
Er hatte nichts bei sich als wenige Schluck Branntwein, an denen ich mich erquicken konnte, aber kaum hatte er meine Lage erkannt, so sprang er auf und eilte fort, um mir Nahrung zu holen. Ich bedurfte ihrer sehr, und während ich sie mit der Gier des Heißhungers verzehrte, erzählte er mir von meinen Bekannten. Nur der Else und des Jägerburschen erwähnte er mit keinem Worte.
›Was macht die Else und der Bube, der sie so unglücklich gemacht?‹ fragte ich ihn mit bebender Stimme.
›Ich mochte Dir nichts davon erzählen,‹ erwiderte er, ›da Du aber selbst darnach frägst, sollst Du die Wahrheit erfahren. Der Else ist es schlimm ergangen, seitdem Du fortgewesen bist. Sobald ihr Vater bemerkt hat, daß sie einen Fehltritt gethan, hat er sie schlecht und strenge behandelt. Er ist in den Buben, ihren Verführer, gedrungen, sie zum Weibe zu nehmen und dadurch wieder zu Ehren zu bringen, aber der erbärmliche Mensch konnte ja kein Weib nehmen, weil er sie nicht ernähren konnte und er hatte auch keine Lust dazu. Er hat sich mehr und mehr von dem Mädchen zurückgezogen. Da ward ihr Vater noch heftiger erbittert und hat sie aus dem Hause gestoßen, und in einem Stalle, wo er früher sein Vieh gehabt hat, wohnt sie jetzt und schläft dort des Nachts auf einem Bunde Stroh. Ich bin ihr mehrere Male im Walde begegnet, wenn sie Holz sammelte. Sie sah bleich und elend aus und ihren Augen merkte man es an, daß sie viel weinte. Sie dauerte mich, ich war mehreremale willens sie anzureden und ihr zu sagen, das sie nur ruhig ausharren möge, denn wenn Du wieder frei würdest, so würdest Du schon für sie sorgen; aber ich wagte es nicht, denn sie sah gar zu elend und traurig aus, und immer mußte ich an das schmucke Mädel denken, das sie einst war, ehe sie den Jägerbuben kannte, als Du noch mit ihr zum Tanzen gingest.
Nur einmal habe ich sie angeredet, es mögen kaum zwei Wochen her sein. Es war ein kalter und nasser Morgen, da traf ich sie mitten im Walde. Sie saß auf einem Stein und weinte heftig und neben ihr lag ein großes Bündel Holz, das sie zusammengelesen. Ich sah es ihren bleichen und eingefallenen Wangen an, daß sie Noth litt, und da faßte ich mir ein Herz, trat zu ihr und bot ihr ein Stück Brod und das Geld an, das ich bei mir hatte. Es war nicht viel, aber ich gab es ihr gern, denn es ging mir durch das Herz, wie ich sie so traurig da sitzen sah.
Sie blickte mich mit ihren großen dunklen Augen so traurig, und dankbar an, daß ich hätte Alles für sie thun können, aber nehmen mochte sie von mir nichts. Sie wies es mit der Hand zurück Ja, ja, es war viel von mir, daß ich es ihr anbot, denn das einzige Kind des wohlhabenden Wirthes zum Brockenkrug hätte den wilden Klaus einst ja kaum am Wege angesehen; aber daran dachte ich nicht und sie dachte auch nicht daran, das sah ich aus ihren Augen, sondern sie mochte nur Niemand zeigen, wie elend sie war. Seitdem habe ich sie noch einmal auf dem Felsen über dem Oderteiche gesehen. Sie hatte dort eine Zusammenkunft mit dem Jägerbuben. Sie schien ihn um Etwas zu bitten, aber er war roh und abstoßend gegen sie. Siehe, Heinrich, ich hatte gerade meine Büchse bei mir und so sehr ging es mir zu Herzen, daß er das Mädchen, das er erst unglücklich gemacht, so roh behandelte, daß ich sie schon an die Schulter gelegt hatte, um dem ehrlosen Buben eine Kugel durch den Kopf zu jagen; aber ich mochte meine Hand nicht mit seinem Blute besudeln und ich hatte das Mädchen vielleicht auch noch unglücklicher gemacht. Ich ging schnell fort, weil ich es nicht länger mit anzusehen vermochte. – Sieh', so ist es, Heinrich, wie ich es Dir gesagt habe. Weiter weiß ich nichts von ihnen.‹
Schweigend hatte ich ihm zugehört. Was aber während seiner Erzählung in meinem Innern vorgegangen war, das vermag ich Euch nicht zu sagen. Es war mir als ob mir glühendes Blei in die Adern gegossen worden wäre und mir durch das Herz und durch den Kopf strömte. All' meine Wildheit war mit einem Schlage wieder in mir erwacht.
›Klaus,‹ rief ich, indem ich seinen Arm erfaßte und fest mit meiner Rechten umklammerte, ›Klaus,‹ wiederholte ich, indem meine Augen starr und drohend auf ihn gerichtet waren, ›hast Du die Wahrheit gesprochen?‹
›Ich hab' Dir Alles gesagt, wie es ist,‹ erwiderte er ruhig. ›Ich wollt', es wäre anders, denn das arme Mädel dauert mich und Du dauerst mich, und den Jägerbuben, wollt' ich, holte der Teufel!‹
›Er soll ihn holen,‹ rief ich wild. ›Er soll büßen was er verschuldet bat. Nur einmal mag er noch in die Gewalt meiner Hände kommen und wenn er dann entrinnt, so mögen meine Hände verdorren.‹ Die Aufregung hatte mir neue Kraft verliehen, ich sprang ungestüm empor und fluchte dem Buben, der sie so unglücklich gemacht, welche ich so innig liebte.
Wie ein Fieberschauer, wie ein Wahnsinnsanfall überfiel es mich, und ich hätte Alles vernichten mögen, was sich in meiner Nähe befand, und dann wieder plötzlich löste sich diese Wuth und ich setzte mich still nieder und weinte wie ein Kind. Ich weinte ja nicht meines Geschickes, sondern des Mädchens wegen, das so unglücklich war und dem ich nimmer zu helfen vermochte. Und diese Thränen thaten wohl, denn sie brachten Ruhe in mein aufgeregtes Herz.
›Heinrich,‹ sprach der Rothe Klaus endlich, und ich merkte es seiner Stimme an, daß er ergriffen war, ›Heinrich, Dir ist es übel ergangen, Du warst in Deinem vollen Rechte und bist schmählich hintergangen; schlag Dir's aus dem Herzen. Sieh', Du mußt jetzt auf Deine eigene Sicherheit bedacht sein, Du darfst dem Buben den Triumph nicht gönnen, daß er Dich zum zweiten Male in's Gefängniß bringt, und Du hast ein schweres Spiel gegen ihn, Du stehst allein da gegen Viele. Aber wo und wann ich Dir helfen kann, da rechne fest auf mich, Du weißt, ich hasse den Jägerbuben ebenso sehr wie Du.‹
Er reichte mir die Hand und ich erfaßte sie und hielt sie fest in der meinen. Dieser Mensch war roh und leidenschaftlich, er galt für schlecht und war allgemein verachtet, aber es lebte doch ein guter Kern in ihm, der ihn nimmer ganz sinken ließ, er war doch tausend Mal besser als jener Bube, der das unschuldige Mädchen in's Elend gerissen hatte und sich nun ohne Mitleid von ihm abwandte.
›Du darfst jetzt nicht daran denken, Dich an dem Buben zu rächen,‹ fuhr er fort, ›denn er wird es wissen, daß Du Dich frei gemacht hast und er wird auf seiner Hut sein. Du mußt Dich an einem sichern Orte verbergen, ich werde schon Sorge für Dich tragen. Wer weiß, ob Du mir nicht einst wieder dienen kannst.‹
›Und was wird aus der Else?‹ fragte ich, denn auf sie waren all' meine Gedanken gerichtet. ›Soll sie noch länger dem rohen Menschen preisgegeben sein, soll sie in Noth und Elend verkommen? Ehe ich das zugebe, lieber mögen sie mich zum zweiten Male in's Gefängniß bringen, lieber will ich sterben.‹
›Sei nur ruhig,‹ entgegnete der Wilddieb, nachdem er einen Augenblick nachgesonnen hatte. ›Auch für die Else soll gesorgt werden. Zu ihr mag ich nicht gehen, aber sobald ich ihr wieder im Walde begegne, werde ich ihr sagen, daß Du frei seiest und sie noch lieb habest, und in Deinem Namen werde ich ihr geben, so viel ich aufzutreiben vermag, dann wird sie es doch wohl nehmen, denn dann kommt es ja nicht von mir.‹
›Könnt' ich sie nur einmal sehen, um ihr selbst zu sagen, daß sie nicht verzweifeln möge, sondern geduldig ausharre!‹ rief ich. – ›Nur auf wenige Augenblicke möchte ich sie sehen, denn ich sehne mich nach ihr mehr denn je.‹
›Nur Geduld!‹ rief Klaus. ›Zu ihr gehen darfst Du nicht, aber Du triffst sie vielleicht zufällig im Walde, und wenn ich ihr begegne, will ich ihr sagen, daß Du sie zu sehen wünschest und will sie zu Dir bringen. Aber der Morgen bricht schon herein, Du mußt an Deine Sicherheit denken. Wo willst Du Dich verbergen?‹
›Ich bleibe im Walde,‹ erwiderte ich. ›Dort kenne ich alle Wege und Stege, dort bin ich am sichersten, den jeder Fels schützt mich dort. Ich vermöchte es jetzt auch nicht in einem Hause auszuhalten, ich würde denken, ich sei im Gefängnisse. Ich bin frei und will meine Freiheit genießen.‹
›Sei aber vorsichtig,‹ mahnte der Andere, ›Du darfst Dich am Tage nicht zeigen. Nenne mir den Ort, wo Du Dich verbergen willst, und ich will Dir Essen dorthin bringen, bis Du Dich ohne Gefahr hervorwagen kannst. Ich werde bald erfahren, ob sie Dich verfolgen und wo sie Dich suchen, und Du sollst zeitig genug von Allem Nachricht haben.‹
Er ging. Ich suchte mir einen sichern Schlupfwinkel aus und wieder war ich einen ganzen langen Tag allein. Ich war ermattet und müde, aber der Schlaf wollte sich trotzdem nicht auf meine Augen senken, denn im Innern war ich noch zu sehr aufgeregt und auch die Hoffnung, daß ich vielleicht die Else im Walde erblicken werde, hielt mich wach.
In der folgenden Nacht traf ich wieder mit dem Rothen Klaus zusammen. Er hatte die Else im Walde getroffen und hatte ihr Alles gesagt, wie er mir versprochen.
›Als ich ihr sagte,‹ erzählte er mir, ›daß Du Dich freigemacht habest und sie noch ebenso sehr liebest wie früher, da rannen Thränen über ihre Wangen und ich sah es ihr an, wie freudig ihr Herz bewegt wurde. Aber sie mochte wohl an ihr Elend und ihre Schande denken, denn gleich darauf barg sie ihr Gesicht in den Händen und fing an heftig zu weinen. – Du weißt, Heinrich, ich bin nicht weich, aber wie ich das Mädchen so dastehen sah, so traurig und so elend, ging mir's durch das Herz. Ich wollte ihr das Geld geben, welches ich bei mir hatte und sagte ihr, daß Du es ihr sendest und daß Du wünschest sie zu sehen und zu sprechen, aber sie wies das Geld zurück und erwiderte, daß sie Dich nicht sehen könne, daß sie nicht werth sei, daß Du noch an sie denkest. Du mögest sie vergessen; ihr Elend sei nur die gerechte Strafe, weil sie Dir untreu geworden sei. Als ich nochmals in sie drang und sie bat, mir zu Dir zu folgen, da stürzte sie fort. Ich folgte ihr langsam und aus der Ferne sah ich, wie sie sich auf die Erde warf und verzweiflungsvoll die Hände rang. Ich schlich mich unbemerkt ziemlich nahe an sie heran, weil ich fürchtete, sie möge sich ein Leid anthun, aber endlich stand sie auf und ging fort. Das arme Mädchen scheint recht elend und unglücklich zu sein; weiß Gott, ich wüßte nicht was ich thäte, wenn ich ihm zu helfen vermöchte.‹
›Ich muß sie sehen, ich muß sie sprechen,‹ rief ich leidenschaftlich, denn die Erzählung und der Gedanke an das Elend des geliebten Mädchens drückte mir fast das Herz ab. ›Ich muß sie sehen, koste es, was es wolle; ich gehe zu ihr.‹
›Du sollst sie auch sehen,‹ erwiderte der Rothe Klaus, ›aber zu ihr gehen darfst Du nicht. Man sucht Dich dort in der Gegend und der Jägerbursch hat sich verschworen, daß er Dich auffinden wolle und daß Du dann nimmer zum zweiten Male entkommen sollest. Du darfst nicht zu ihr gehen; bedenke, wenn Du gefaßt würdest, Du machtest die Else nur noch unglücklicher dadurch, macht ihr doch schon jetzt ihr Gewissen die bittersten Vorwürfe, daß sie an Deinem Unglücke Schuld sei, daß sie es herbeigeführt habe.‹
»Für mich selbst fürchtete ich keine Gefahr, denn das Leben hatte ja keinen Werth für mich, wenn ich dem Mädchen nicht helfen konnte; aber ich fühlte, daß er Recht hatte, daß ich die Unglückliche noch elender machen würde, wenn ich mich unvorsichtig in Gefahr begäbe.
Herr, es ist ein bitteres, bitteres Gefühl, Diejenigen, welche man am liebsten hat, leiden zu sehen, ohne im Stande zu sein, ihnen zu helfen, ja ohne ihnen helfen zu dürfen. Ich weiß, wie mir dieß Gefühl am Herzen genagt hat. Ich glaubte, ich sei unglücklich und war doch noch zu beneiden gegen sie, denn ich hatte nicht die Klagen und Vorwürfe des eigenen Gewissens zu ertragen.
Ich hatte versprochen, auf meine eigene Sicherheit bedacht zu sein, aber als ich wieder allein war, dachte ich nicht mehr daran. Mit einer unwiderstehlichen Gewalt trieb es mich fort in jene Gegend und an jene Stätten, welche ihr Fuß oft betrat, und dort warf ich mich auf die Erde, küßte sie und tränkte sie mit meinen Thränen.
Als der Morgen anbrach, befand ich mich in der Nähe des Oderteiches. Hinter jenem Felsen, der dort zwischen den Tannen hervorragt, verbarg ich mich. Ohne Gefahr zu laufen, dort bemerkt zu werden, da der Felsen und eine in demselben dicht mit Moos bewachsene Spalte, in welcher ich mich verbarg, mich hinlänglich schützte, konnte ich selbst von dort aus frei umherblicken, und nahte sich mir eine Gefahr, so blieb mir noch Zeit genug zur Flucht, ich kannte ja jeden Weg und jeden Felsen in dieser Gegend.
Unablässig hatte ich diesen Felsen, auf dem wir jetzt sitzen, im Auge. Hier hatte einst Else mit ihrem Verführer eine Zusammenkunft gehabt, und in mir war eine dunkle Ahnung, daß sie an dem Tage dorthin zurückkehren werde. Das Herz war mir bange und schwer, meine Hände zitterten und es war mir als ob etwas Schreckliches an diesem Tage, an diesem Orte geschehen müsse. –«
Der Alte schwieg einen Augenblick. Er hatte den Kopf auf die Hand gestützt und seine Augen blickten starr auf den Felsen zu seinen Füßen. Seine Stirn zog sich finsterer und finsterer zusammen, traurige Bilder schienen vor seinem Geiste vorüber zu schweben.
»Glaubt Ihr an Ahnungen, Herr?« fragte er mich endlich, indem er sich emporrichtete.
Ich glaubte nicht daran und gestand es ihm offen, daß ich nichts davon hielte.
Ein schwaches trauriges Lächeln flog über sein Gesicht und ruhig sprach er: »Seht bis dahin hatte ich auch nicht an Ahnungen geglaubt und hatte darüber gelacht und gespottet. – Aber es gibt Ahnungen,« fuhr er ernster fort, »ich habe es erfahren und auch Ihr werdet sie noch kennen lernen, obgleich es besser wäre, Ihr erführet nie etwas davon, denn selten bedeuten sie etwas Gutes.
Seht, wie ich hinter jenem Felsen lag, da rief mir eine innere Stimme zu, daß die Else hieher kommen, daß hier ein Unglück geschehen werde – und so ist es gekommen. War das keine Ahnung?
Kaum hatte ich ein paar Stunden dort gelegen, da erschien der Jägerbube hier auf dem Felsen. Er hatte die Büchse über der Schulter hängen und seine Augen fuhren suchend umher. Ich konnte ihn genau sehen, denn es sind ja kaum hundert Schritt in gerader Richtung, aber mich konnte er nicht bemerken. In mir stürmte und kochte es, als ich diesen verhaßten Buben erblickte, ich wollte emporspringen und zu ihm stürzen, um ihn zu ermorden, zu erwürgen, aber es hielt mich zurück, weil ich glaubte auch die Else werde kommen. Und sie kam auch, elend und bleich. Es ward ihr schwer den Felsen empor zu klimmen, denn sie trug ein Kind unter ihrem Herzen; der Bube sah es, aber ruhig blieb er stehen, er ging ihr nicht entgegen, er unterstützte sie nicht. Hätte ich eine Büchse in dem Augenblicke gehabt, Herr, sein Herz hätte zum letzten Male geschlagen.
Das Mädchen ging weinend auf ihn zu und reichte ihm die Hand zum Gruße. Er nahm sie nicht, sein Gesicht war finster und kalt. Er sprach mit ihr, die Worte konnte ich nicht verstehen, aber aus seinen Mienen erkannte ich, daß es Vorwürfe und Drohungen waren, und das Mädchen rang schluchzend und verzweiflungsvoll die Hände. Da vermochte ich mich nicht länger mehr zu beherrschen, jeder Nerv in mir zuckte vor Erbitterung und Wuth. Ich sprang hinter dem Felsen hervor und eilte hieher. Nicht eher bemerkten sie mich als, bis ich diesen Felsen schon erreicht hatte. Da erblickte mich der Bube und aus meinen Augen mochte er erkennen, was in mir vorging, denn er erbleichte und wich erschrocken einen Schritt zurück. Rasch riß er die Büchse von seiner Schulter und legte auf mich an. Mit einem lauten Schrei sprang das Mädchen auf ihn zu, um seinen Arm zurückzuhalten. Es war zu spät, der Schuß blitzte aus der Büchse hervor, die Kugel pfiff dicht an meinem Ohre vorbei und der Knall hallte laut an den Bergen wider.
Ich hatte gestutzt, als ich das Rohr auf mich gerichtet sah – aber jetzt war ich kein Mensch mehr. Wie ein wildes Thier stürzte ich mich auf ihn. Er wollte mich mit dem Kolben der Büchse niederschmettern, aber ich ergriff den emporgehobenen Arm und der Schlag ging fehl. Jetzt hatten wir uns gefaßt und mit gleicher Wuth und gleicher Erbitterung rangen wir mit einander. Wär ich noch gewesen wie früher, ich würde ihn wie einen Ball den Felsen hinunterschleudert haben, aber mein Körper war geschwächt und ermattet, der Bube war mir jetzt an Kraft überlegen und nur die Wuth gab mir die neue Stärke.
Hier rangen wir« – der Alte hatte sich erhoben, mit der Hand bezeichnete er die Stelle und seine Stimme hatte etwas Gewaltiges – »es galt auf Leben und Tod, das wußte ein Jeder. Näher und näher kamen wir hier dem Abgrunde, aber wir merkten es nicht. Ein lauter Angstschrei aus Else's Munde machte uns darauf aufmerksam, sie sprang herbei, um uns zurück zu halten, aber es war zu spät, der Fuß des Buben ließ nach, beide stürzten wir von dem Felsen herab in den Abgrund.
Ich wußte kaum etwas davon, ich hörte nur einen lauten und schrecklichen Schrei Else's über mir – da verlor ich die Besinnung.
Als ich wieder erwachte, kniete der Rothe Klaus neben mir und flößte mir Branntwein ein. Ich schlug die Augen auf, ich blickte umher Herr, den Anblick vergesse ich nie und wenn ich noch fünfzig Jahre lebte. Dicht neben mir lag der zerschmetterte Körper des Verhaßten, meine Hand hielt noch seine Kehle fest umschlossen, sein Gesicht war kaum zu erkennen, denn sein Kopf war an einem Felsen zerschmettert; mit seinem Blute war ich über und über bedeckt. Entsetzt fuhr ich zurück und in mir rief eine Stimme: das ist Gottes Gericht, nicht Du hast ihn getödtet, die Strafe seiner Schuld hat ihn ereilt.
Aus den Augen des Rothen Klaus leuchtete eine wilde Freude, als er seinen Feind zerschmettert und mich noch am Leben erblickte. Der Zufall hatte ihn durch die Gegend geführt, der Schuß und der Angstschrei Else's hatten ihn herbeigerufen und auf dem zerschmetterten Körper meines Feindes liegend hatte er mich gefunden. Er hatte versucht, mich von ihm zu trennen, aber meine Hand hatte er nicht zu lösen vermocht.«
Als ich mich etwas erholt hatte, fragte ich nach der Else, aber er konnte mir nichts von ihr sagen, er hatte sie nicht gesehen.
›Steh' auf, Heinrich,‹ sprach er, Du mußt fliehen. Hinter dem Teiche begegneten mir mehrere Landjäger, sie schienen Dich zu suchen; der Schuß und der Schrei ist auch bis zu ihnen gedrungen und sie werden kommen. Wenn sie Dich treffen, bist Du verloren.‹
Ich versuchte mich emporzurichten, aber ich vermochte es nicht, meine Glieder waren durch den Sturz in die Tiefe zu heftig erschüttert und zu sehr verletzt; erschien es doch wie ein Wunder, daß ich am Leben geblieben war und nicht einmal eine gefährliche Verletzung erhalten hatte.
Ohne zu zögern, ergriff mich der Bursch und hob mich auf seine Schultern. ›Dießmal sollen sie Dich noch nicht fassen,‹ sprach er, indem er so schnell als möglich mit mir davon eilte, und nicht eher hielt er inne, als bis er einen sicheren und gefahrlosen Ort erreicht hatte. Er blieb bei mir, bewachte mich, verband meine Wunden und pflegte mich.
Als der Abend hereinbrach, brachte er mich in eine Köhlerhütte und bereitete mir aus Laub und Moos ein weiches Lager. Die Anstrengung, die Ermattung und die Wunden übermannten mich, ich fiel in ein hitziges Fieber, aus dem ich erst nach mehreren Tagen erwachte. Meine erste Frage war nach der Else, denn ich befürchtete, sie habe sich ein Leid angethan, mein Pfleger konnte mir nichts von ihr sagen, denn während der ganzen Zeit hatte er mein Lager kaum verlassen. Ich selbst war noch zu schwach, um mich zu erheben, und um die zehrende Angst um das Geschick des Mädchens von mir zu nehmen, eilte der Rothe Klaus fort, über sie Nachricht einzuziehen.
Mit ungeduldigem Herzen erwartete ich ihn zurück und er brachte mir keine frohe Nachricht. Er hatte sie nicht gesehen und gesprochen, hilflos und krank lag sie darnieder, Niemand bekümmerte sich um sie, die Verführte und Entehrte.
Von jetzt an hatte ich nur den einzigen Wunsch und Gedanken, zu ihr zu eilen, um sie noch einmal zu sprechen, um ihr Trost zu bringen, denn sie war ja unendlich unglücklicher als ich. Was kümmerte mich jetzt mein eigenes Geschick, mein Leben. Der Haß und der Rachedurst gegen ihren Verführer, welcher mich bis dahin fast verzehrt hatte, er war ja nun gestillt, er war gestorben unter meinen Händen und doch durch eine höhere Macht, nach einem höheren Rathschlusse.
So schwach und hinfällig ich war, so wäre ich doch ohne Zögern zu ihr geeilt, hätte Klaus mich nicht zurückgehalten. ›Du kannst ihr jetzt ja doch nicht helfen,‹ sprach er, ›und wirst vielleicht von ihrem Lager fortgerissen, um auf's Neue in's Gefängniß gebracht zu werden. Warte ruhig ab, bis Du wieder hergestellt bist und bis auch sie wieder gesund ist, dann könnt Ihr zusammen fliehen und es wird zuletzt noch Alles besser, als Du jetzt hoffst.‹
Seine Worte brachten mir keinen Trost und keine Ruhe; mein Herz glaubte ihnen nicht. Auf ihren Besitz, auf ein glückliches Leben an ihrer Seite hatte ich ja längst verzichtet, ich wollte sie nur noch einmal sehen und eine innere Stimme rief mir zu: ›Eile, eile, ehe es zu spät ist.‹
Schreckliche und peinliche Stunden habe ich auf meinem Lager verbracht. Daß ich selbst noch krank und elend war, daran dachte ich nicht, das fühlte ich nicht, meine Gedanken weilten nur bei ihr.
Endlich verließ mein Pfleger mein Lager und die Hütte, um Nahrung für uns zu holen. Es war eine kalte und stürmische Nacht, und er dachte nicht daran, daß ich bei solchem Wetter mich hinauswagen werde, da ich noch elend war und krank. Aber mein Herz ließ mir keine Ruhe mehr, mit unwiderstehlicher Gewalt trieb es mich zu dem unglücklichen Mädchen hin. Was kümmerte mich, ob es Nacht war, ob der Sturm über die Erde fuhr und heulend die Wipfel der Tannen beugte, was kümmerte es mich, welcher Gefahr ich entgegen ging, ich hatte ja nur den einen Wunsch, sie noch einmal zu sehen.
Ich verließ die Hütte. Langsam, auf einen Stab gestützt, schritt ich dahin, dem Oderteiche und dem Brockenkruge zu. Ich konnte mich nur langsam und mit größter Anstrengung fortbringen und der Morgen brach schon herein, als ich den Teich erreichte. Heulend fuhr der Wind über den Teich daher und die Wellen schlugen schäumend und brausend an das Ufer und an die Felsen. Die Tannen rauschten im Winde und ihre Wipfel wurden wie ein Rohr hin- und hergeschaukelt. Aber dieser Sturm ringsum wirkte wohlthätig und beruhigend auf mein Herz.
Als ich den Damm des Teiches erreichte, erholte ich mich und lehnte mich erschöpft an das hölzerne Gelände. Mein Auge schweifte hinüber nach jener Gegend, wo der Brockenkrug lag, denn dort weilte sie ja. Da eilte von der andern Seite des Dammes eine weiße Gestalt auf den Teich zu. Wie ein Gespenst erschien sie in dem Dämmerlichte des Morgens. Ihr Haar flatterte in dem Winde und das große weiße Tuch, in welches sie gehüllt war, ward ihr durch den Sturm fast entrissen. In den Armen hielt sie einen Gegenstand fest an sich gepreßt. Ohne mich zu bemerken, eilte sie dem Teiche zu. Da erfaßte mich ein schrecklicher Gedanke, eine furchtbare Ahnung: wenn es die Else wäre, wenn sie in Verzweiflung den Tod in den Wellen suchen wollte.
Wie ein Wahnsinniger stürzte ich auf sie zu, ich wollte ihren Namen rufen, aber die Stimme versagte mir ihren Dienst, keinen Laut vermochte ich hervorzubringen. Kaum war ich noch zehn Schritte von ihr entfernt, da erkannte ich sie, aber es war zu spät, mit einem raschen Sprunge stürzte sie sich in die Fluthen.
›Else, Else!‹ schrie ich laut und eilte auf die Stelle, wo sie sich hineingestürzt hatte. ›Else, Else!‹ wiederholte ich und noch einmal tauchte sie aus den Wellen empor, ihre großen hohlen Augen waren auf mich gerichtet, sie erkannten mich, denn verlangend streckte sie den Arm nach mir aus.
Ich stürzte mich in die Wellen, ich kämpfte mich durch sie hindurch, die Verzweiflung gibt ja Riesenkräfte, ich erreichte sie, jubelnd drückte ich sie fest an meine Brust, die Wellen warfen mich zurück, ich erreichte das Ufer mit ihr, ich schwang mich auf den Damm empor und hielt sie noch fest in meinen Augen, aber ihre Augen waren gebrochen, das Leben war aus ihr gewichen. Sie hörte nicht mehr, daß ich laut und verzweifelnd ihren Namen rief, sie fühlte nicht mehr, daß ich sie auf die bleiche Stirn und die eingefallenen Wangen küßte, ihr armes unglückliches Herz hatte für ewig aufgehört zu schlagen.
Wie eine Heilige lag sie da. In ihren Armen hielt sie das Kind, das sie geboren, hilflos und verlassen; auch es war todt, und wohl ihm; wohl mir, wenn auch ich jene Stunde nicht überlebt hätte!« –
Erschöpft hielt der Alte inne und barg das Gesicht in den Händen. Die Erinnerung an jenen Augenblick ergriff ihn mit neuer Kraft. Zwischen den zitternden Fingern rannen Thränen langsam herab und tiefer und tiefer neigte sich sein greises Haupt auf die Brust. Ich wagte es nicht, ihn zu stören.
Ein tiefer Schmerz bat ja etwas Heiliges und erschüttert uns selbst bis in das Innerste der Seele.
Endlich hob er sein Haupt empor, mit aller Kraft hatte er sich Fassung errungen.
»Was ich damals gelitten habe, Herr,« sprach er mit zitternder Stimme, »das vermag ich Euch nicht zu erzählen. Ich war wie ein Wahnsinniger, ich warf mich über den Leichnam und raufte mir das Haar aus, ich stieß mit dem Kopfe auf die Erde, um mir den Schädel zu zerschmettern, ich wollte nicht mehr leben, und ich glaubte auch nicht wehr leben zu können; aber der Mensch kann viel ertragen, unendlich viel, wenn es einmal seine Bestimmung ist.
Damals, als ich über dem Leichname des Mädchens dalag, hätte ich nimmer geglaubt, daß mein Herz noch nach fünfzig Jahren schlagen, daß ich noch nach fünfzig Jahren das Alles erzählen würde. Aber Der, der über jedes Menschen Leben wacht, läßt sich in seinem Rathschluße nicht beirren, und wenn wir auch manchmal dagegen murren und sträuben, am Ende führt er doch Alles wohl hinaus und so, wie er es von Ewigkeit her beschlossen hat.
Ja, Herr, auch ich habe manchmal gemurrt und getobt und habe mich vermessen, daß ich nicht länger leben wolle und könne, und ich lebe doch noch und habe noch manche, manche trübe Stunde seit jenem Augenblicke erlebt.
Seht, wie ich dalag neben der Leiche meiner einstigen Geliebten, wie ich in meinem Schmerze gegen mich wüthete und tobte, da kamen die Landjäger und sie erkannten mich und rissen mich fort von dem Leichname, um mich wieder in das Gefängniß zu führen. Fest hatte ich mich an die Todte geklammert, ich wollte nicht von ihr lassen, wollte mit ihr zugleich in die Erde verscharrt werden, ich schrie und wehrte mich wie ein Wahnsinniger, als sie mich fortreißen wollten, aber mit Gewalt lösten sie meine Hände los und banden sie mit Stricken. Wieder ward ich wie einst auf den Wagen geworfen, um in das Gefängniß geführt zu werden – weiter weiß ich von nichts. Ohne Besinnung, im heftigsten Fieber bin ich im Gefängnisse angekommen und wochenlang habe ich in den wildesten Fieberphantasien getobt und gerast und wochenlang habe ich darauf schwach zwischen Leben und Tod auf dem Krankenbette gelegen. Die kräftige starke Natur meines Körpers siegte endlich.
Erst wie ich langsam wieder genaß, kehrte die volle Erinnerung an das Vergangene zurück; aber jetzt war es ruhig in mir, ich hatte ja nicht einmal die Kraft zum heftigen Schmerze. Eine stille Traurigkeit, oft eine völlige Abgestumpftheit hielt meine Seele umfangen, ich lebte weiter wie eine Pflanze, ohne Wünsche, ohne Hoffen. Ich konnte mich über nichts mehr recht freuen; der kräftige und gewaltige Lebensnerv, der mich früher durchzuckte, war abgeschnitten und vernichtet.
Je mehr indeß meine Kräfte wiederkehrten, um so mehr erwachte auch der Schmerz über das Erlebte in mir, aber nie erreichte er seine frühere Heftigkeit wieder.
Ich lebte in dem Gefängnisse still und fleißig, meine Wärter waren mit mir zufrieden und lobten mich, mir war es gleichgiltig. Als ich endlich nach fünf Jahren entlassen wurde, wäre ich eben so gern in dem Gefängnisse, das mir einst so schrecklich war, geblieben. Ich fürchtete mich wieder in das Leben bin aus zu treten, weil ich gar zu Vieles und zu Schreckliches in ihm erlebt hatte. Ich hatte ja auch Niemand mehr, an den ich mich hätte anschließen können; die Else war todt, meine Mutter war todt, und mit dem Rothen Klaus mochte ich nichts wieder gemein haben. Er hatte zwar edel an mir gehandelt, aber sein verwilderter Sinn paßte nicht mehr zu meiner gleichgiltig ruhigen, zu meiner abgestorbenen Stimmung.
Mein erster Gang war zu dem Grabe des unglücklichen Mädchens, das ich einst so sehr geliebt. Nur mit großer Mühe fand ich es auf. Man hatte der Todten keine Stätte auf dem Friedhofe gegönnt, hinter demselben war sie in die Erde gescharrt; nur so viel Mitleid hatte man gehabt, daß man das Kind nicht von ihrem Herzen gerissen hatte. Kein Grabhügel bezeichnete die Stätte, wo sie lag; hatte sie nie einen gehabt, oder war der Hügel eingetreten – ich wußte es nicht. Ich habe einen Hügel über ihrem Grabe aufgeworfen, ich habe Blumen darauf gepflanzt und manche Stunde habe ich daneben gesessen und manche Nacht, wenn ich keinen Schlaf auf meinem Lager finden konnte, bin ich hinaus gegangen zu ihrem Grabe.«
Die Stimme des Alten ward immer milder und weicher, die Erinnerung führte ihm stillere und friedlichere Bilder vor, und statt des Schmerzes war sein Herz nur noch von einer wehmüthigen Trauer erfüllt.
»Es sind fünfzig Jahre her,« fuhr er ruhig fort, »daß die Else todt ist, und hinter dem Friedhof begraben liegt; ich habe damals oft geglaubt, ich würde sie vergessen, wie ich ihr ja längst vergeben hatte, meine Haare sind er bleicht und auch mich werden sie bald zum Friedhofe hinaustragen; aber vergessen habe ich die Else nicht. Noch gehe ich oft hin zu ihrem Grabe, noch blühen jährlich Blumen darauf, frisch und schön, und noch kommt mir wohl eine Thräne in die alten Augen, wenn ich daran denke, wie das Mädchen einst schön und blühend war und wie ich so glücklich mit ihr zu werden hoffte.
Was man einmal mit ganzem Herzen und voller Seele geliebt hat, das vergißt man nicht wieder, und ich habe sie geliebt, so heiß und innig, wie nur ein Menschenkind lieben kann.
Und die fünfzig Jahre sind für mich verflossen, still und einsam. Ich bin nicht unglücklich gewesen, aber auch nicht glücklich; ich habe keinen andern Schmerz und keine andere Freude mehr erlebt, als die, welche mir die Erinnerung gebracht hat. Ruhig habe ich die Säge und die Axt geführt die langen Jahre hindurch wie einst, sie haben mich ernährt, mehr wollte ich nicht und mehr brauchte ich auch nicht.
Seht, Herr, Ihr seid der Erste, dem ich mein Leben und mein Geschick erzählt habe, ich wollte Alles mit mir in's Grab nehmen, aber heute sind es fünfzig Jahre her, seitdem die Else todt ist und da war es mir in dem alten Herzen so voll und so schwer, daß ich mich darnach sehnte, mich einmal auszusprechen. Und es geht ja auch zur Neige mit mir und es ist mir lieb. Oft wenn ich so an dem Gelände des Dammes stehe, in das Wasser des Teiches hinabblicke und an die vergangenen Zeiten denke, dann zieht es mich ordentlich hinab in die Fluth, und Herr, wenn es keine Sünde wäre, so hätte ich längst meinem Leben ein Ende gemacht und hätte mich längst in dem Teiche ertränkt. Ich stehe jetzt ganz allein und verlassen auf der Erde da, keiner von Denen, die ich einst gekannt, ist noch am Leben, sie sind Alle dahin.«
»Und der Rothe Klaus, ist er auch todt?« fragte ich den Alten.
»Ich weiß es nicht, Herr,« erwiderte er. »Als ich aus dem Gefängnisse zurückgekehrt war, bin ich zwar öfter noch mit ihm zusammengekommen, aber nur, wenn wir uns zufällig trafen, sonst nicht, denn wir paßten nicht mehr zu einander; das mochte auch er wohl einsehen, denn er hat mich nie aufgefordert, an seinem Leben und Treiben wieder Theil zu nehmen.
Er lebte noch weit ausschweifender als früher und ward in seinem Wildfrevel immer kühner und verwegener. Die Förster und Jäger gaben sich alle Mühe, ihn bei einem Wildfrevel zu ertappen, aber er war zu schlau für sie und ich habe keinen zweiten gekannt, der mit allen Wegen und Stegen, mit allen Schlichen und Kniffen so vertraut war, als er.«
Es mögen ungefähr vierzig Jahre her sein, da stürmte er eines Morgens früh in mein Haus. Er sah bleich und erschrocken aus, und auf seiner Stirn standen die Schweißperlen der Angst. ›Rette mich, rette mich, Heinrich,‹ rief er mir zu, ›die Jäger verfolgen mich und sind auf meiner Spur, denn ich habe den Förster erschossen.‹
Bestürzt fuhr ich zurück und starrte ihn schweigend an.
›Ich konnte mir nicht anders helfen,‹ fuhr er fort, ›es ist dieß das erste Menschenleben, das ich auf meinem Gewissen trage und ich habe es nicht herausgefordert. Ich hatte einen Hirsch geschossen und war dabei, ihn auszuweiden, da überraschte mich der Förster. Ich wollte fliehen, da schoß er nach mir, die Kugel streifte meine Schulter, und fast ohne meinen Willen wandte ich mich um, legte meine Büchse an und der Förster fiel. So ist es, nicht anders, er hat zuerst auf mich geschossen – rette mich, Heinrich, rette mich!‹
Ich versteckte ihn in meinem Hause und es gelang mir, ihn vor den Alles durchsuchenden Jägern verborgen zu halten. Er blieb noch mehrere Tage bei mir und als er den Wunsch äußerte, nach Amerika zu gehen, habe ich ihm das Wenige gegeben, was ich mir erspart hatte. Ich habe es ihm gern gegeben, denn er hatte noch mehr an mir gethan und er war von Herzen kein schlechter Mensch, mochte er auch noch so wild und ausschweifend leben.
Er ist wirklich nach Amerika gegangen und ich habe nie wieder etwas von ihm gehört, er hat vielleicht dort seine Sinnesart geändert, oder ist vielleicht längst todt; ich weiß es nicht.
Es hat mir zur Beruhigung gedient, daß ich ihm habe können jenen Dienst erweisen, denn ich war ihm viel schuldig. Wollte Gott, alle Menschen hätten so treu und ehrlich gegen mich gehandelt, wie er, ich hätte vielleicht ein glückliches Leben geführt, aber ich will keinem zürnen, ich habe ihnen längst vergeben.
Nun, Herr,« sprach der Greis, indem er sich langsam erhob, »das ist mein Leben; möge es Euch einst besser ergeben. Sagt ihr jetzt noch, daß der Mensch sein Lebensgeschick in eigener Hand trage? Ich habe mich einst unendlich glücklich gedünkt und habe unendlich viel gehofft, und das, was ich hoffte, habe ich nicht erreicht, es ist für mich vielleicht so am besten gewesen und ich habe mich darein ergeben, denn auch die trüben Tage und Stunden kommen von Gott.«
Erschüttert faßte ich die Hand des Alten und ruhig und fest blickte er mir ins Auge.
»Hört, junger Mann,« sprach er zu mir, »wir sehen uns vielleicht nicht wieder; nehmet noch einen Spruch von mir auf den Weg, ich habe erfahren, wie wahr er ist und wie wohl er thut: Mag es Euch im Leben ergehen wie es will, thut nie Etwas, was Euch die Ruhe des Gewissens raubt, dann könnt Ihr Alles ertragen.«
Wir schieden von einander. War es eine Ahnung des Alten, daß er mich nie wieder sehen sollte? Als ich schon eine Strecke von ihm entfernt war, rief er mir noch einmal Lebewohl zu und schwenkte seine Mütze.
Noch einmal schaute ich mich nach ihm um, da stand er wieder an das hölzerne Gelände des Dammes gelehnt, und seine Augen starrten auf die bewegten Wellen des Teiches und seine greisen Haare flatterten im Winde.
Anderthalb Jahre waren verflossen. Es war ein klarer, sonnig warmer Maimorgen, da kam ich denselben Weg von Andreasberg. Ich hatte des Alten oft gedacht, die Erzählung seines Lebens war mir nicht aus dem Gedächtnisse geschwunden und ich eilte rascher als sonst durch den herrlichen Rehberger Graben, weil ich gespannt war, ob ich den Alten wieder auf dem Damme des Teiches antreffen würde.
Schon von fern bemerkte ich eine Anzahl Menschen, die auf dem Damme versammelt war, aber vergebens suchte mein Auge unter ihnen nach der hohen Gestalt des Greises.
Als ich näher kam, sah ich ein junges Weib neben dem Körper eines Mannes knieen, der auf der Erde ausgestreckt war. Sie beugte sich über ihn und versuchte ihn in's Leben zurückzurufen. Bestürzt trat ich hinzu, denn ich kannte die Züge dieses Mannes, ich kannte die hohe von greisen Haaren bekränzte Stirn – es war der Leichnam des Alten.
Seine Kleidung war durchnäßt, seine greisen Haare trieften von Wasser Sollte er doch endlich seinem Leben in den Wellen ein Ende gemacht haben? Aber nein, das konnte nicht sein, so ruhig, so friedlich, wie er aussah, können die Züge eines Selbstmörders nicht sein. Spielte doch um seinen Mund ein so zufriedener und glücklicher lächelnder Zug – so sieht kein Selbstmörder aus.
Ich wandte mich an einen der ihn umstehenden Männer und fragte nach der Ursache des Todes.
»Habt ihr ihn gekannt?« fragte mich der Mann, der es meinen Augen wohl ansehen mochte, daß ich eine innige Theilnahme an dem Todten hatte.
Schweigend nickte ich ihm Bejahung zu.
»Seht,« sprach er dann zu mir, »das war ein sonderbarer Mann, immer still für sich hin, immer allein und immer zufrieden. Es muß einst etwas mit ihm vorgefallen sein, was keiner von uns weiß, – denn er ist hoch in den Jahren, – und was ihn so still und menschenscheu gemacht hat. Aber nie hat er Jemand etwas zu Leide gethan. Hier am Damme stand er oft an das Gelände gelehnt und hinter dem Friedhofe des nächsten Dorfes saß er oft neben einem Grabhügel, den er sorgsam pflegte. Darunter soll eine Kindesmörderin liegen; vielleicht hängt das mit seinem Leben zusammen; ich weiß es nicht.
Heut' Morgen stand er wie gewöhnlich hier am Gelände des Dammes. Das Kind des Weibes, welches neben ihm kniet, spielte am Ufer und stürzte in den Teich. Niemand ist da, um es zu retten, da stürzt sich der fast achtzigjährige Greis in die Fluthen. Er rettet das Kind und reicht es der Mutter an's Ufer dar, aber er selbst wird von den Wellen zurückgerissen und ertrinkt.
Die Frau rief uns aus dem Walde zur Hilfe, wir haben ihn mit Stangen aus dem Wasser geholt, aber er war todt, und kein Mensch wird ihn in's Leben zurück rufen. Seht, Herr, seine Lippen werden schon blau, das ist das Zeichen des Todes.«
Ergriffen und schweigend trat ich an den Todten heran, um noch einmal in sein ernstes und würdiges Antlitz zu schauen. Er hatte sich so oft gesehnt, in dem Teiche seinem Leben ein Ende zu machen, jetzt war sein Wunsch erfüllt ohne seinen Willen, er war auf dieselbe Weise gestorben wie einst das Mädchen, das er so innig geliebt.
In dem Brockenkrug hatte der Greis seit Jahren gewohnt, dorthin ward sein Leichnam getragen und auch ich ging dorthinein, denn es ward mir schwer, mich von dem Todten zu trennen.
Bereits am folgenden Tage wurde er zur Ruhe getragen still und einsam, er hatte ja Niemand, der ihm angehörte, Niemand, der ihm nahe stand. Ich war der Einzige, der dem Sarge des Greisen folgte und ihn zum Friedhofe geleitete und noch einmal zog sein ganzes Leben in meiner Erinnerung vorüber. Jetzt hatte er endlich Ruhe gefunden, jetzt endlich stand das Herz still, das einst so ungestüm und heftig geschlagen.
War es ein Zufall oder das Walten einer höheren Macht, daß er dicht an der Friedhofsmauer an derselben Stelle, wo hinter derselben ein einfacher Grabhügel, mit den ersten Frühlingsblumen sich erhob, in die Erde gesenkt wurde?
Eine einzige Mauer trennt jetzt die Grabhügel der beiden Menschen, die sich einst so innig liebten und einst an einander gehörten. Aber die Mauer reichte nicht bis in die Erde hinab und reichte nicht bis in den Himmel hinauf, und in der Erde ruhen ihre irdischen Ueberreste dicht neben einander und im Himmel sind ihre Seelen vereint. –
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