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Historische Erzählung.
Der Morgen des 25. Mai des Jahres 1809 war still und friedlich über die Stadt Stralsund hereingebrochen. Von dem Hafen und der See her wehte ein frischer Wind, der Himmel war weit und blau, die Morgensonne schien freundlich und mild – Alles verhieß einen heitern, sonnigen Frühlingstag.
In den Straßen der Stadt war es still und einsam, denn nur wenige Menschen durchschritten dieselben, und selbst in dem Hafen, wo sonst ein reges Leben zu herrschen pflegte, lagen nur wenige und unbedeutende Boote still da – die alte Stadt Stralsund machte einen öden, fast traurigen Eindruck.
Und sie war auch still und traurig. Sie hatte in den letzten Jahren des Unglücks und der Noth genug erfahren, denn mehr als andere Städte hatte sie durch den Krieg gelitten. Das verrieth schon der Blick auf ihre Festungswerke, welche einst dem eisernen Willen Wallenstein's so siegreich getrotzt hatten. Ihre Außenwerke waren zerstört, ihre Wassergräben und Teiche abgeleitet und verschüttet und von den Wällen standen nur noch wenige Theile unversehrt da, die meisten waren gesprengt und abgetragen.
Die Stadt war seit dem letzten Kriege in französischen Händen geblieben und hatte allen Uebermuth der fremden Sieger ertragen, aber selbst hieran würden sich die Bürger der Stadt gewöhnt haben, hätten nicht stets neue Befürchtungen ihre Ruhe gestört. Mochten die Festungswerke auch fast gänzlich zerstört sein, noch war Stralsund für den Krieg ein nicht unbedeutender Platz, denn schon seine natürliche Lage war eine äußerst günstige. Von der Landseite her durch Sümpfe und Teiche geschützt, dicht am Meere gelegen und auch von dieser Seite her durch die Insel Rügen gedeckt, blieb die Stadt für Freund oder Feind immerhin ein wichtiger Platz, und die ansehnlichen Kriegsvorräthe, welche sich hier noch von Alters her befanden, erhöhten seine Bedeutung.
Das Jahr 1809 hatte für die Bewohner der Stadt noch wenig Erfreuliches gebracht und die letzten Tage waren für sie unter bangen Befürchtungen und Sorgen dahin geflossen.
Vor wenigen Tagen hatte nämlich die Nachricht die Stadt erreicht, daß der tollkühne Major Ferdinand von Schill mit seiner muthigen und gefürchteten Schaar über Wismar und Rostock heranziehe, um sich der Stadt zu bemächtigen und von hier aus seine Operationen zu leiten. Diese Nachricht hatte aber eine um so größere Bestürzung hervorgerufen, je weniger Hoffnung da war, daß die Stadt im Stande sei, einem muthigen Angriffe zu widerstehen. Ihre Festungswerke waren ja fast gänzlich zerstört, die Teiche und Gräben waren zum Theil trocken und deshalb leicht zu durchschreiten und die Besatzung des Platzes war nur eine geringe, sie hatte nur zur Bedeckung der Kriegsvorräthe gedient. Außer einer kleinen Abtheilung französischer Artillerie, hundert polnischen Uhlanen und einigen mecklenburgischen Truppen, im Ganzen nur wenige hundert Mann, lagen keine Truppen in der Stadt.
Fast alle Bewohner waren gut preußisch gesinnt, aber jede neue Eroberung der Stadt, selbst durch Freundeshand, jeder Wechsel des Besitzes derselben, brachte für die armen Bürger neue Noth und Beschwerden und dem Herannahen Schill's ward daher mehr mit Furcht als mit Freude entgegengesehen.
Die Tage vor dem 25. Mai waren deshalb voll Unruhe und Sorge gewesen und die Vorkehrungen, welche der französische General Candras, der Kommandant des Platzes, getroffen hatte, um dem heranrückenden Feinde mit seiner geringen Macht so nachdrücklich als möglich entgegenzutreten, hatten die Besorgniß und Unruhe der Bürger noch um ein Bedeutendes gesteigert.
Candras, der die Unhaltbarkeit der Stadt gegen die überlegene Macht Schill's nicht übersah, hatte seine Truppen vereint und die Stadt unter Zurücklassung einer geringen Besatzung verlassen. Am 23. Mai war der General ausgezogen, um dem herannahenden Schill den Uebergang über die Recknitz streitig zu machen, und er durfte hoffen, daß ihm dies gelingen werde, da der kleine Fluß überall von sumpfigen Ufern eingefaßt war und nur ein einziger langer und leicht zu vertheidigender Damm durch die Sümpfe führte.
Seit dem Ausrücken des Generals aus der Stadt waren die Bewohner ohne jede Nachricht von ihm geblieben und jenem peinlichen Gefühle des Schwankens zwischen Bangen und Hoffen hingegeben, das jedem bedeutungsvollen Ereignisse vorhergeht.
Da wurden sie am frühen Morgen des 25. Mai durch lauten Kanonendonner aus dem Schlafe aufgeschreckt. Er erschallte aus der Nähe, von den Wällen der Stadt, und jeder glaubte, Schill habe die Stadt überfallen oder angegriffen. Dieser Schreck und diese Unruhe lösten sich aber friedlich auf, denn bald rasselten Trommeln durch die Straßen und verkündeten den erschrockenen Bürgern, daß das Donnern der Geschütze einen friedlichen Zweck gehabt habe. Es war ein Freudenfeuer und galt dem am 13. Mai erfolgten Einzuge Napoleon's in Wien, wovon die Nachricht erst an diesem Morgen an die in der Stadt zurückgelassene Artillerie gelangt war.
War auch durch diese Nachricht der Schrecken der Bürger bald verwischt, so legte sich doch die Aufregung, in welche die Gemüther durch denselben versetzt waren, nicht so schnell, und Hunderte durchschritten aufgeregt und in Unruhe wegen der kommenden Ereignisse die Straßen.
In der Nähe des Triebseer Thores, welches an dem südwestlichen Theile der Stadt gelegen, standen zwei junge Mädchen an dem offenen Fenster in der ersten Etage eines geräumigen Hauses und blickten auf die zu ihren Füßen vorüberschreitenden Menschen hinab. Auch sie waren von dem allgemeinen Schrecken in der Frühe dieses Morgens nicht verschont geblieben und auch ihre Herzen waren noch von der Aufregung desselben erfüllt. Das verriethen ihre gerötheten Wangen. Es waren zwei große und schlanke Gestalten, die trotz ihrer auffallenden Familienähnlichkeit einen ganz verschiedenen Eindruck machten.
Die ältere der beiden Schwestern, eine zarte Blondine, hatte in ihrem Gesichte wie in ihrem ganzen Wesen etwas Sanftes und Ruhiges. In ihrem Gesichte lag eine frische und reizende Anmuth, doch fiel diese nicht sofort in die Augen, sondern ward erst bei näherer Berührung durch das Sanfte und Ruhige ihres ganzen Wesens, mit dem sie eng und nothwendig zusammenhing, gehörig hervorgehoben. In ihren blauen Augen lag eine unendliche Milde und Stille, und wenn sie die langen Wimpern langsam in die Höhe schlug, hatte ihr Anblick etwas Madonnenartiges.
Ihre jüngere Schwester, welche ungefähr neunzehn oder zwanzig Jahre zählen mochte, schien fast in Allem einen Gegensatz zu ihr zu bilden. Ihre großen dunkeln und feurigen Augen blickten herausfordernd, keck und entschlossen umher. Schwarze reiche Locken fielen ihr bis an den Nacken herab, und wenn sie anmuthig den Kopf zurückwarf, um die bei ihrer Unruhe ewig widerspenstigen Locken in den Nacken zurückzuweisen, machte sie einen muthigen, ja kühnen Eindruck. Die Züge ihres Gesichtes waren noch regelmäßiger und schöner als die ihrer Schwester, ihre Schönheit hatte etwas Blendendes, dafür fehlte ihr aber auch jene Stille und Milde, welche das Auge schwerer fesselt, aber dauernder befriedigt.
Obgleich ihre Augen auf den zu ihren Füßen vorüberschreitenden Menschen ruhten, waren doch ihre Gedanken mit einem ganz anderen Gegenstande beschäftigt, über den sie sich lebhaft unterhielten.
»Hast Du noch Hoffnung, Margarethe, daß Schill es wagen wird, die Stadt anzugreifen?« – fragte die ältere der beiden Schwestern, indem sie ihr Haupt zurückbog und ihre Schwester anblickte. – »Ein neuer Sieg bezeichnet Napoleon's Bahn, er ist in Oesterreichs Kaiserstadt eingezogen, ganz Deutschland steht wieder unter seiner Herrschaft, auch Oesterreich.«
»Nein« – rief die Gefragte fast heftig – »Du irrst, Gabriele, wenn Du diesem Siege vertraust. Oesterreich hat Unglück gehabt, aber es ist nicht besiegt; es wird aufs Neue all' seine Kräfte zusammenraffen und es ist stark genug, das Joch des fremden Herrschers abzuschütteln. Es würde nimmermehr so weit gekommen sein, wäre Preußen treu und fest zu Oesterreich gestanden, denn beide zusammen bilden eine unüberwindliche Macht. Aber mag jetzt Wien zehnmal in Napoleon's Händen sein, es giebt noch Männer, die sich dadurch nicht entmuthigen lassen, denen dieser neue Sieg zu einem neuen Sporn wird, das Vaterland zu retten. Schill und alle die, welche mit ihm sind, lassen sich dadurch nicht abschrecken.«
»Weißt Du bestimmt, daß Karl von Wedell bei Schill ist?« – fragte Gabriele weiter.
»Ich weiß, daß er in Schill's Freikorps eingetreten ist« – erwiderte Margarethe nicht ohne einen Anflug von Stolz – »und ich weiß, daß er nicht zurückbleiben wird, wo es ein kühnes Unternehmen gibt.«
»Ich zweifle nicht an dem Muthe der Schaar, welche Schill führt« – nahm Gabriele wieder das Wort »aber ich zweifle, daß sie stark genug sein wird, Candras zurückzudrängen. Noch ist keine Nachricht von ihnen in die Stadt gekommen und fast sind zwei Tage entschwunden, seit Candras ihnen entgegengezogen ist.«
»Gerade dies befestigt meine Hoffnung, daß Schill siegreich ist« – rief Margarethe. – »Der französische General würde keinen Augenblick gezögert haben, der Stadt seinen Sieg zu verkünden, wenn er nur den geringsten Vortheil über Schill erlangt hätte.«
Gabriele schwieg nachsinnend einen Augenblick und richtete ihre Augen gedankenvoll auf die Straße.
»Und selbst, wenn Schill den General zurückdrängt« fuhr sie fort – »so hat er die Stadt noch nicht erobert. Die Besatzung, welche hier zurückgeblieben, ist nicht gering. Ich habe gestern gesehen, daß sie an den Thoren, vor der Kaserne auf der Hackenstraße und vor dem Zeughause Kanonen aufgestellt hat, sie scheint auf einen Angriff gefaßt zu sein.«
»Die paar Mann, welche in der Kaserne zurückgeblieben sind, nennst Du eine Besatzung?« – rief Margarethe lächelnd. – »Es sind kaum hundert und fünfzig Mann! Ha, wenn die Bürger Stralsunds nur Muth und Patriotismus besäßen, in einer Stunde wären jene paar Fremdlinge entwaffnet und Schill fände offne Thore! Ich wünschte, ich wäre ein Mann, Gabriele, ja ein Mann, ein Soldat, damit ich auch dazu beitragen könnte, das Vaterland zu retten und die übermüthigen Fremdlinge zu vertreiben!«
Gabriele schrak unwillkürlich vor dem kühnen Gedanken ihrer Schwester zurück, denn sie besaß weder Muth noch Stärke genug, um ihn zu fassen.
»Was haben die Franzosen uns zu Leid gethan?« fragte sie endlich. – »Wir leben friedlich unter ihrer Herrschaft; friedlicher vielleicht, als wenn die tollkühne Schaar Schill's die Stadt eroberte.«
Margarethe wandte sich zu ihr um, und auf ihrem Gesichte war Unmuth und Begeisterung zugleich ausgeprägt.
»Du kannst noch fragen, was sie uns zu Leid thun« erwiderte sie. – »Sie knechten und unterdrücken unser Vaterland, sie schänden den deutschen Namen, und thun sie nicht auch hier, als ob die Stadt ihnen von jeher gehört hätte, als ob sie innerhalb Frankreichs Grenze läge! Ich begreife Dich nicht, Gabriele, wie Du an Deinem Vaterlande ein so geringes Interesse nehmen kannst, ich begreife nicht, weshalb Du nicht mit vollem Herzen der Ankunft Schill's entgegenjubelst. Dir sind die Franzosen lieber als deutsche Brüder.«
»Nein« – entgegnete Gabriele ruhig – »das ist es nicht. Du denkst nur nicht daran, daß ich in der Schill'schen Schaar keinen Geliebten habe, nach dem ich mich sehne. Auch Du würdest anders gesinnt sein, würdest Dich nach Ruhe sehnen, wenn Karl von Wedell nicht in jener kühnen Schaar wäre!«
»Nie, nie würde ich anders gesinnt sein« – rief Margarethe. – »Nur deshalb liebe ich meinen Karl so innig, weil er gleich wie ich für die Sache des deutschen Vaterlandes glüht. Sieh, deshalb liebe ich ihn, deshalb wünsche ich, daß ich ein Mann wäre, um an seiner Seite kämpfen zu können!«
»Du vergißt, daß er dann nicht mehr Dein Geliebter sein könnte« – erwiderte Gabriele lächelnd.
»So würde er mein Freund sein« – entgegnete das muthige Mädchen. – »Und an seiner Seite wollte ich für Deutschlands Freiheit kämpfen!«
Die beiden Mädchen wurden in ihrem Gespräche durch einen Reitertrupp unterbrochen, der sich im gestreckten Galopp dem Thore näherte. Aufwirbelnde Staubwolken machten es ihnen unmöglich, die Reiter zu erkennen. Aber in demselben Augenblicke sprengten sie schon in das unvertheidigte Thor, entwaffneten eben so schnell die die Zugbrücke besetzende Bürgerwehr und sprengten mit geschwungenem Säbel die Straße entlang dem Neuen Markte zu. Ihnen voran sprengte ein wilder und muthiger Reiter in goldgestickter Uniform.
Als sie vor dem Hause, an dessen Fenster die beiden Mädchen standen, vorüber ritten, blickte einer der Reiter flüchtig empor. Kaum hatte er die Mädchengestalten erblickt, als eine flüchtige und freudige Röthe seine Wange überzog. Er zog die Zügel an, daß sein Pferd sich hoch aufbäumte, neigte grüßend seinen Säbel und nickte lächelnd zum Fenster hinauf. Dann sprengte er weiter. Es war eine jugendliche schöne Gestalt, und aus den dunkeln, feurigen Augen blickte Muth und Begeisterung.
Als der Reitertrupp vor dem Fenster vorüber gesprengt war, rief Margarethe, deren Wangen sich bei dem Gruße des Reiters geröthet hatten: »Das war Schill! Hast Du ihn gesehen, wie er den Seinen kühn voranritt? Und auch Karl war dabei, ich wußte es, und er hat mich erkannt und mich gegrüßt. Sie haben den General geschlagen und die Stadt überrascht.«
Gabriele war erschrocken und bleich vom Fenster zurückgetreten, sie hatte geahnt, was Margarethe ihr so eben gesagt.
»Die Stadt ist in Feindeshänden?« – fragte sie zitternd.
»Nein, nein, Gabriele« rief Margarethe von Freude und Hoffnung berauscht – »sie ist in Freundes Händen, die gekommen sind, uns zu befreien. Ha, daran erkenne ich Schill und meinen Karl, daß sie mit wenigen Mann eine Stadt überfallen und einnehmen, das ist ihrer würdig. Und Du sollst meinen Karl kennen lernen, Gabriele; und auch Du wirst ihn lieben, wenn Du siehst, welcher Muth, welche Vaterlandsliebe aus seinen dunklen Augen leuchten. Du sollst es erkennen, was mich mit unwiderstehlicher Gewalt zu ihm hingezogen hat, was mir ihn theurer macht als mein Leben. Ja, Gabriele, ich wollte, ich wär' ein Mann, um an seiner Seite kämpfen zu können!«
Gabriele wußte, daß ihre Schwester sich mit dem jungen und kühnen Karl von Wedell, der als Offizier in das Schill'sche Freikorps getreten war, vor zwei Jahren in Stettin heimlich auf einem Balle verlobt hatte, sie hatte schon genug Beschreibungen seiner Liebenswürdigkeit und seines Muthes aus dem Munde ihrer Schwester gehört, aber dennoch vermochte sie jetzt in deren Freude nicht einzustimmen, denn ihr ängstliches Gemüth erblickte im Geiste schon all' die Gräuel und Plünderungen, welche so häufig mit der Einnahme einer Stadt verbunden sind. Margarethe stellte ihr vor, daß Schill nicht als Feind, sondern als Freund gekommen sei, sie schilderte ihr die ehrenwerthe Gesinnung aller der Männer, welche mit ihm und unter ihm fochten, aber all' dies übte auf ihr ängstliches verzagendes Herz nur einen geringen und wenig beruhigenden Einfluß aus.
Während die beiden Mädchen noch über die kühne Reiterschaar sprachen, sprengte diese rasch dem Neuen Markte zu, um sowohl die französische Besatzung der Stadt wie die Bürger durch diese tollkühne und gewagte That zu verwirren, zu betäuben und zu überwältigen.
Nur mit 15 Husaren und 30 Jägern, welche am besten beritten waren und ihm zu folgen vermocht hatten, war Schill in Stralsund eingedrungen, während seine übrigen Truppen langsamer gegen die Stadt heranrückten und dieselbe erst in einer Stunde erreichen konnten. Schill erkannte das Kühne und Gewagte seines Unternehmens, deshalb galt es ein schnelles Handeln und der Zufall begünstigte ihn.
Sein Ueberfall war so unvorhergesehen und schnell geschehen, daß die französische Besatzung, welche aus 150 Kanoniren bestand, noch ruhig und unbesorgt in ihrer Kaserne weilte, als Schill bereits den Neuen Markt erreicht hatte. Ihr Kapitän befand sich zufällig auf diesem Markte, er sah die Reiter heransprengen, dachte aber nicht daran, daß es Feinde sein könnten, bis Karl v. Wedell, der unmittelbar neben Schill ritt und ihn sogleich erblickt hatte, auf ihn zusprengte und ihn zum Gefangenen machte.
Er zog seinen Degen, um sich zu vertheidigen, aber in demselben Augenblicke sah er sich von mehren Reitern umringt, deren Säbel über seinem Haupte geschwungen waren.
»Ergebt Euch!« – rief ihm der junge Offizier zu, und der Kapitän überreichte ihm ohne weitere Weigerung seinen Degen.
In diesem Augenblicke ritt Schill heran.
»Sie sind der Befehlshaber der Besatzung?« fragte er, und der Gefangene bejahte es.
»Wie stark ist die Besatzung?« – fragte Schill weiter, und da der Kapitän glaubte, die ganze Stadt sei bereits von den feindlichen Truppen besetzt, nahm er keinen Anstand anzugeben, daß die Besatzung nur aus 150 Kanoniren bestehe.
»Es würde ein unnützes Blutvergießen sein, wenn diese geringe Besatzung Widerstand leisten wollte« fuhr Schill fort. – »Auch Ihnen muß daran gelegen sein, die Ihrigen zu erhalten, sind Sie deshalb damit einverstanden, auf Ihr Ehrenwort zu der Besatzung zurückzukehren und sie zu bewegen, ohne Widerstand die Waffen zu strecken? Ich sichere Allen eine ehrenvolle Gefangenschaft und spätere Entlassung zu.«
Der Kapitän ging darauf ein. Er gab sein Ehrenwort und während er von einem Schill'schen Jäger begleitet sich nach der Kaserne zu seiner Mannschaft begab, sprengte der muthige Führer des Freikorps zurück aus dem Thore, um seine nahenden Truppen in größter Eile herbeizuholen.
Die Vorstellung des Kapitäns fand indeß bei der Besatzung kein Gehör, der neue Triumph ihres Kaisers hatte sie begeistert und bis zu diesem Augenblicke bildeten sie ja die Uebermacht in der Stadt. Er ward von den Kanoniren mit Gewalt gezwungen, den Befehl wieder zu übernehmen und sein Ehrenwort zu brechen und so schnell als möglich wurden alle Vorkehrungen zu einer hartnäckigen Gegenwehr getroffen. Von dem Artillerie-Hofe wurden Kanonen herbeigeholt und gegen den Neuen Markt gerichtet, mit Train-Wagen wurden die Straßen abgesperrt, und als Schill bald darauf mit seinen Truppen in die Stadt rückte, um die Besatzung zu entwaffnen, donnerte ihm das grobe Geschütz und ein heftiges Gewehrfeuer entgegen. Er war durch diesen unerwarteten Empfang für einen Augenblick bestürzt, aber gleich darauf führte er seine Truppen schnell und besonnen gegen den Feind und versuchte ihn zu sprengen. Doch ein wohlgezieltes Feuer empfing ihn und streckte viele der Seinen neben ihm nieder.
Jetzt ließ er die Uhlanen absitzen und mit der Pike in der Hand vordringen, die reitenden Jäger unterhielten ein wirksames und verderbliches Feuer, denn sie bestanden meist aus Scharfschützen, aber alle diese Bemühungen waren vergebens, denn die Franzosen hatten den Vortheil des groben Geschützes für sich und standen mit dem Rücken fest an das Zeughaus gelehnt.
Der Kampf hatte bereits über eine halbe Stunde mit erbittertster Heftigkeit gewährt und noch hatte Schill nicht den geringsten Vortheil errungen. Er wußte zwar mit Gewißheit, daß er der endliche Sieger in diesem Kampfe bleiben werde, aber es lag ihm daran, seine Truppen zu schonen, denn er hatte sie zu größeren und wichtigeren Kämpfen nöthig. Mancher seiner braven Soldaten würde indeß noch zum Opfer gefallen sein, hätte er nicht eine Hilfe von einer Seite erhalten, von der er es nicht vermuthen konnte.
Das für ihn und seine Sache begeisterte Mädchen hatte, sobald er mit seinen Truppen in die Stadt gerückt war, das Haus am Triebseer Thore verlassen und war zu einem Bekannten, einem ehemaligen schwedischen Artillerie-Lieutenant Namens Peterson geeilt, von dessen Fenster aus sie dem Kampfe zusah. Ihre Wangen glühten vor Freude und Begeisterung, als sie die Krieger, unter denen ihr Geliebter weilte, so muthig dem Feinde entgegenstürmen sah. Neben ihr schlugen die Kugeln in das Haus, aber sie fürchtete sich nicht, und vergebens bemühte sich der Lieutenant, sie von dem Fenster zu entfernen.
Erst als Schill nach fehlgeschlagenem Angriffe die Seinen zurückziehen mußte, wandte sich Margarethe bestürzt und fragend an ihren Begleiter.
»Schill ist für den Augenblick im Nachtheile« sprach der Lieutenant. – »Das grobe Geschütz tödtet ihm viele Leute. Schade, daß er in Stralsund nicht so gut Bescheid weiß, wie ich, er könnte unbemerkt und mit leichter Mühe den Franzosen in den Rücken fallen. Durch die Höfe des Gymnasiums und den Hof des Zeughauses führt ein Weg in den Rücken der Feinde; Schade, daß er diesen Weg nicht kennt, in zehn Minuten wäre er ohne Verlust Herr von Stralsund.«
»Wie!« – rief Margarethe, indem sie den Lieutenant erstaunt anblickte. – »Sie kennen den Weg, Peterson, und zögern einen Augenblick, Schill davon in Kenntniß zu setzen?«
Der Lieutenant zuckte mit den Schultern. – »Ich bin neutral« – erwiderte er – »ich darf keiner Partei dienen, obschon ich Schill vor Allen den Sieg gönne.«
»Sagen Sie lieber, daß Sie für keine Partei Interesse haben« – entgegnete Margarethe. – »Sie haben am meisten über die Herrschaft der Franzosen geklagt, und nun die Rettung endlich naht, ziehen Sie sich bange zurück. Bleiben Sie ruhig hier, bringen Sie Ihr Leben nicht in Gefahr, ich selbst werde Schill den Weg zeigen, den Sie mir genannt haben!«
Sie schien in der That entschlossen zu sein, ihre Worte auszuführen, denn rasch wandte sie sich der Thüre zu.
»Sie thun mir Unrecht« – rief der Lieutenant, indem er sie zurückhielt. – »Die Befürchtung für mein Leben würde mich keinen Augenblick abgeschreckt haben, mich dem tapfern Schill anzuschließen, die Sorge für meine Familie hielt mich zurück. Doch es mag sein, ich habe nichts mehr zu verlieren, da ich bereits Alles eingebüßt habe; bleiben Sie hier, ich will gehen und Schill den Weg zum leichten Siege führen.«
Rasch verließ er das Haus und wenige Minuten später hatte er Schill bereits seine Dienste angetragen und war von ihm freudig willkommen geheißen. Während Schill die Seinen auf's Neue dem Feinde entgegenführte, drang Peterson mit einer Abtheilung Jäger durch die inneren Höfe des Gymnasiums in den Hof des Zeughauses und von dort in die Gasse mitten unter die Franzosen. Ein heftiges Gefecht entspann sich. Die Franzosen wehrten sich mit dem Muthe der Verzweiflung, aber sie vermochten der Erbitterung der Schill'schen Krieger nicht lange zu widerstehen. Die Meisten, unter ihnen ihr Kapitän, wurden niedergehauen, und nur Wenige warfen das Gewehr von sich und wurden zu Gefangenen gemacht – Stralsund war in den Händen Schill's.
Erst jetzt wagten die Bürger ihre Freude über Schill's Ankunft unverhohlen auszudrücken, und erst jetzt vermochte Schill die Bedeutung dieses Platzes für seine Operationen vollständig zu erkennen. Er fand einen Artilleriepark von einigen hundert Kanonen, über 2000 Centner Pulver und eine große Menge anderer Kriegsbedürfnisse, welche ihm um so erwünschter waren, als er sie aus eignen Mitteln nicht anschaffen konnte und gleichwohl zur Fortsetzung des Krieges nothwendig bedurfte.
Während Schill diese Kriegsvorräthe besichtigte und sein nachgerücktes Fußvolk unter lautem Jubel in die Stadt einzog, suchte der junge Offizier, der an dem Morgen die beiden Mädchen so freundlich gegrüßt hatte, den Lieutenant Peterson auf, um durch ihn ein Näheres über den Aufenthalt der Mädchen zu erfahren.
»Sie haben ein scharfes Auge« – rief Peterson lachend, als er die Frage des jungen Mannes vernommen – »daß sie sogleich die beiden Mädchen erblickt haben, welche mit Recht für die schönsten der ganzen Stadt gelten.«
»Ich habe die eine bereits vor einigen Jahren kennen gelernt« – erwiderte Karl von Wedell – »aber ich, wußte nicht, daß sie hier war.«
»Sie kennen die eine der beiden Schwestern?« rief Peterson erstaunt – »Sie kennen sie, nun begreife ich ihren Patriotismus. Sie brauchen mir nicht zu sagen, welche es ist, Margarethe heißt sie und wahrhaftig, Sie konnten keinen bessern Schritt thun, als daß Sie sich an mich wandten. Wissen Sie, daß es dieses Mädchen war, welches mich bewogen hat, mich Ihrer Sache anzuschließen und Ihnen den Weg durch den Hof des Zeughauses zu zeigen? Sie stand neben mir, als Sie vergeblich gegen die Kanonen anstürmten, sie sah dem Kampfe zu – deshalb glühten ihre Wangen so feurig, deshalb wollte sie selbst hereilen, Ihnen den Weg zu zeigen. Sie weiß, daß Sie in Stralsund sind?«
»Sie hat mich bemerkt, als wir in die Stadt sprengten, sie stand am Fenster und erröthete, als ich sie grüßte. Wie kommt sie aber nach Stralsund?«
»Sie ist mit ihrer Schwester hier zum Besuche bei einem alten Onkel« – entgegnete der Lieutenant. »Schon seit mehren Wochen ist sie hier und will Ihnen Gelegenheit geben, Sie zu sehen und zu sprechen. Welche Belohnung geben Sie mir, wenn ich Sie in das Haus ihres Onkels einquartiere?« fügte er lächelnd hinzu.
Karl war durch diese Worte zu freudig überrascht, der Gedanke an die unmittelbare Nähe des geliebten Mädchens wirkte zu mächtig auf ihn ein, als daß er es für möglich gehalten hätte.
Peterson bemerkte es. – »Ich halte, was ich Ihnen versprochen habe, und Sie brauchen sich vor dem Onkel nicht zu fürchten, er ist zwar ein sonderbarer Kauz, aber er ist für Ihre Sache begeistert und weiß es mir Dank, wenn ich einen Schill'schen Offizier in sein Haus bringe. Oder soll ich vielleicht erst bei Margarethe anfragen, ob sie damit zufrieden ist?«
»Lassen Sie, lassen Sie« – rief Karl halb verlegen – »sie wird nichts dagegen haben. Bringen Sie ihr einstweilen meinen Gruß, aber verrathen Sie Niemand, daß ich sie kenne.«
Peterson versprach es, und während Karl zu seinen Soldaten zurückeilte, ging er sein Versprechen zu erfüllen.
In dem Hause des alten Onkels Rühler, eines der reichsten Kaufleute in Stralsund, herrschte ein geschäftiges und freudiges Leben. War der alte Rühler schon über die Befreiung der Stadt auf das höchste erfreut, so hatte die Nachricht des Lieutenants Peterson, daß er einen der tapfern Schill'schen Offiziere ins Quartier bekommen werde, diese Freude noch gesteigert. Durch Peterson hatte er Schill selbst und eine Anzahl seiner Offiziere für den Abend zu sich laden lassen und mit größter Eile wurden die Vorkehrungen getroffen, um diese tapfern Krieger würdig zu empfangen.
Er selbst war bei allen Vorkehrungen mit thätig und fand an Margarethe die freudigste und bereitwilligste Unterstützung. Ihr Herz schlug mit noch ganz anderen Gefühlen und Hoffnungen dem Abende entgegen, denn dann sollte sie den Geliebten wieder sehen, dann sollte er mit ihr unter einem Dache weilen und täglich sollte sie ihn sehen. Sie selbst ordnete und schmückte das Zimmer, welches er bewohnen sollte, und ihr Onkel konnte ihre Sorgfalt und Aufmerksamkeit nicht genug loben, während er mit der schüchternen und furchtsamen Gabriele, die sich still auf ihr Zimmer zurückgezogen hatte, schmollte.
Der Abend rückte heran. Schill hatte die Einladung des Kaufmanns angenommen und mit ungeduldig pochendem Herzen blickte Margarethe seiner und des Geliebten Ankunft entgegen. War es ihr zu verargen, daß sie sich sehnte, den Mann kennen zu lernen, dessen kühnes Unternehmen die Blicke von ganz Deutschland auf sich gezogen hatte, dessen Namen schon das Symbol eines deutschen Helden geworden war und an den so viele und große Hoffnungen sich knüpften? War es ihr zu verargen, daß ihre Wangen sich feurig rötheten und ihre dunklen Augen einen milden und weichen Ausdruck annahmen, da sie den wiedersehen sollte, der ihrem Herzen so nahe stand und den sie so lange nicht gesehen hatte? Wohl durfte sie nicht, wie ihr Herz sie trieb, ihm freudig entgegeneilen und sich in seine Arme werfen, denn ihre Liebe sollte einstweilen noch geheim bleiben, aber ein liebendes Herz legt sich ja gern jede Beschränkung auf, wenn es ihm nur vergönnt ist, den Geliebten zu sehen und in seiner Nähe zu weilen. –
Die Gesellschaftszimmer in dem geräumigen Hause am Triebseer Thore waren hell erleuchtet, der alte Kaufmann Rühler erwartete mit seinen beiden Nichten die Ankunft der Gäste. Da trat Schill von Peterson geführt an der Spitze mehrer seiner Offiziere ein. Sein schönes schwarzes Auge blickte freundlich grüßend und unverkennbar leuchtete die Siegesfreude daraus hervor. Seine Gestalt war mittelgroß, aber kräftig und gesetzt und man sah es ihr an, daß sie geeignet war, die härtesten Beschwerden des Krieges ungefährdet zu ertragen. Durch eine sorgfältige, reiche Husaren-Uniform ward sie vortheilhaft hervorgehoben und paßte vollkommen zu dem feurigen, unternehmenden Blicke seiner Augen. Sein Gesicht war rund und geröthet, aber in seinen Zügen lag trotz aller Kühnheit ein freundlicher und milder, ja oft schwärmerischer Zug, der ihm die Herzen so schnell entgegenführte und die ihm Untergebenen mit Liebe und Vertrauen so fest an ihn knüpfte.
Es machte einen eigenthümlichen Eindruck, diesen jungen Helden – er zählte ja erst drei und dreißig Jahre – an der Spitze eines so großen Unternehmens und von Untergebenen umringt zu sehen, welche ihn zum Theil an Alter überragten; aber man begriff es, wenn man in seine dunkeln Augen schaute, aus denen das innere Feuer unaufhörlich hervorblitzte.
Margarethe hatte der so interessanten Persönlichkeit Schill's, nur einen flüchtigen Blick gewidmet – ihre Augen suchten den Geliebten und als sie seinen Blicken begegneten, überzog eine dunkle Röthe ihre Wangen und kaum war sie im Stande, das laute feurige Pochen ihres Herzens zu verbergen.
Der Lieutenant Peterson übernahm es, die einzelnen Personen gegenseitig vorzustellen. Als er Karl von Wedell zu Margarethe führte und lächelnd dessen Namen nannte, hatte Margarethe bereits Fassung genug errungen, um den Geliebten ruhig zu begrüßen. Nur mit einem flüchtigen Blicke verrieth sie ihm, wie erfreut sie über seine Ankunft war, aber diesen Blick hatte außer ihm Niemand bemerkt.
Die liebenswürdige Anspruchslosigkeit Schill's und der Seinen, welche nicht als übermüthige Sieger, sondern als Freunde auftraten, hatte bald einen heitern und gemüthlichen Ton hervorgerufen. Niemand hätte es diesen sorglosen heiteren Männern angesehen, daß sie fest entschlossen waren, Blut und Leben daran zu setzen, um Deutschland zu befreien.
Erst als der alte Rühler sein Bedenken aussprach, daß es für Schill unmöglich sein werde, die Stadt mit seiner geringen Schaar gegen einen heranrückenden und überlegenen Feind zu behaupten, erst da ward die volle Begeisterung und der ungestüme Muth in Schill's Brust wieder wach gerufen und leuchtete blitzend aus seinen schwarzen Augen hervor.
»Sie kennen Ihre eigene Stadt nicht genug und wissen nicht, was sie zu leisten vermag« – rief er, sein Haupt muthig erhebend. – »Mögen die Festungswerke auch zum größten Theile zerstört sein, noch steht die Stadtmauer fast unverletzt da. Lassen Sie mir nur wenige Tage Zeit, und Sie sollen sehen, was einige Tausend fleißiger Hände an ihnen auszurichten vermögen. Lassen Sie mich die Gräben wieder ausräumen und mit Wasser anfüllen, lassen Sie mich die Wälle und Dämme wieder aufwerfen und mit Pallisaden versehen, und Sie selbst sollen gestehen, daß Stralsund auch einen dreifach überlegenen Feind nicht zu fürchten hat. Mag meine Schaar auch nur eine geringe an Zahl sein, ich kenne den Muth, der sie beseelt, ich weiß, was sie zu leisten vermag. Ich stehe nicht so hilflos da, als Sie glauben. Die Stadt bietet an Kriegsvorräthen eine größere Menge dar, als ich je gehofft habe, englische Kriegsschiffe kreuzen in der Ostsee und können jeden Tag landen, um mich zu unterstützen. Sie haben mich einmal in Ihrer Stadt, und es soll schwer halten, mich wieder daraus zu vertreiben. Ist es nicht ein günstiges Zeichen für mich, daß bereits ein Feind vor den Mauern dieser Stadt gelegen hat, der sich verschworen hatte, die Stadt zu erobern, und wenn sie mit Ketten an den Himmel geschmiedet wäre, und er dennoch abziehen mußte, ohne einen Fuß in dieselbe gesetzt zu haben. Stralsund soll seinen alten Ruhm bewahren, ich will ein zweites Saragossa aus ihm machen, das Haus für Haus von dem Feinde erobert und vernichtet werden müßte, ehe er es eroberte. Sollte es fallen – gut, so mögen seine Trümmer mich begraben, lieber ein Ende mit Schrecken, als ein Schrecken ohne Ende.«
Er hatte diese Worte mit dem ganzen Feuer der Begeisterung, deren er fähig war, gesprochen und sie verfehlten ihren Eindruck nicht. Am meisten war Margarethe von ihnen ergriffen und immer und immer klangen ihr die Worte im Ohre wieder, daß Stralsund ein zweites Saragossa werden solle. Und sie gedachte jenes Mädchens, das in der spanischen Stadt in den Reihen der Männer so tapfer gefochten hatte und heftiger und wilder stürmte es in ihr und es trieb sie ein dunkles Verlangen, gleich jenem Mädchen zu kämpfen und zu siegen. Hatte sie auch schon früher oft den Wunsch gehegt, ein Mann zu sein, um mit den Männern für das Vaterland zu kämpfen, so war er doch nie mit solcher Bestimmtheit in ihr hervorgetreten als jetzt, wo Schill's Worte so mächtig zu ihrem Herzen gesprochen hatten.
Sie war in ein Fenster getreten, um diese stürmischen Gedanken und Empfindungen zu beruhigen, da trat Peterson an ihre Seite und flüsterte ihr zu, daß ihr Geliebter sie im Garten erwarte. Eine dunkle Röthe flog über ihre Wangen, sie war fast erschrocken, aber dennoch eilte sie rasch und heimlich in den Garten hinab.
Es war ein ruhiger, warmer Frühlingsabend. Ueber der Stadt lag ein tiefer Frieden, und nichts schien noch daran zu erinnern, daß an dem Tage vor diesem Abende ein heftiger Kampf in ihren Straßen gewüthet hatte. Die Mondscheinstrahlen stahlen sich hier und dort durch die Zweige der dichtbelaubten Bäume des Gartens und fielen spielend und zitternd auf den grünen Rasen darunter. Von der See her drang ein schwacher Wind und rauschte leise in den Wipfeln der Bäume. Alles schien an diesem Abende dazu bestimmt, das Herz weich und schwärmerisch zu stimmen.
In dem Schatten der Bäume stand Karl und erwartete seine Geliebte, und als er Margarethe in den Garten treten sah, eilte er auf sie zu und schloß sie stürmisch an sein Herz. Fast zwei Jahre waren verflossen, seit sie sich zum letzten Male gesehen hatten, und wie viel hatte sich in diesen zwei Jahren zugetragen, wodurch ihre Herzen noch inniger vereint waren. Beide glühten für die eine, gemeinsame große Sache, die Befreiung ihres deutschen Vaterlandes, beide waren mit Freuden bereit, Alles daran zu setzen und zu wagen. Dieses gemeinsame Ziel erfüllte auch jetzt ihre Herzen. Diese Stunde war nach einem solchen Tage zu groß und zu ernst, um sie mit Liebesgeplauder hinzubringen, wußten sie doch, daß ihre Herzen treu und unverbrüchlich einander angehörten.
»Das hast Du nicht erwartet, Margarethe, daß ich mich Schill anschließen würde!« – rief Karl. – »Aber es hatte mich schon lange gedrängt, mich aus dem schmachvollen Joche, in welchem Deutschland schmachtet, loszureißen. Oesterreich ist uns mit einem guten Beispiele vorangegangen, da hieß es einen schnellen und kühnen Entschluß fassen. Ich weiß, daß wir allein nicht im Stande sind, das fremde Joch zu sprengen, aber ich weiß auch, daß unser Unternehmen in Tausenden von deutschen Herzen ein helles Feuer der Begeisterung erwecken und sie zur Nachfolge rufen wird. Ja, Margarethe, es kommt die Zeit, wo ganz Deutschland sich erheben und gegen den französischen Tyrannen auf dem Schlachtfelde zusammen treten wird; es kommt die Zeit, wo der Groll über die fremde Herrschaft, der jetzt noch heimlich in den Herzen lebt, offen hervorbrechen wird, und wehe denen dann, die diesen Groll hervorgerufen haben. Siehe, diese Gedanken, diese Hoffnungen haben mich bewogen, mich Schill's Unternehmen anzuschließen. Sollte es zu früh sein, sollten wir von den Deutschen im Stich gelassen und als ein Opfer der Freiheit fallen – gut, wir sind alle darauf vorbereitet, wissen wir doch, daß wir einst gerächt werden.«
»Nein, nein, es ist nicht zu früh« – entgegnete Margarethe. – »So wie Du denkst, denken Tausende und Tausende mit Dir. Siehe, ich bin nur ein schwaches Weib, aber mein Herz jubelte laut auf, als ich die erste Kunde von Eurem kühnen Unternehmen erhielt. Wär' ich ein Mann, ich stünde längst in Euren Reihen. Es treibt und drängt mich mit unabweisbarer Gewalt, meine weibliche Scheu zu besiegen, mich Euch anzuschließen, um an Deiner Seite für Deutschlands Freiheit zu kämpfen!«
»Du, Margarethe!« – rief Karl erstaunt.
»Ja, ich!« – erwiderte Margarethe mit begeistertem Feuer. – »Hast Du nicht gehört, wie Schill heute Abend sagte, er wolle aus Stralsund ein zweites Saragossa machen; weißt Du nicht, daß in Saragossa selbst Frauen und Kinder mitkämpften, daß viele die Schüchternheit ihres Geschlechtes vergaßen und die Stelle ihrer im Kampfe erschlagenen Gatten oder Brüder einnahmen? Hast Du nicht gehört von jenem Mädchen von Saragossa, daß sich kühn an die Spitze ihrer Brüder stellte und sie dem Feinde entgegen zum Kampf und zum Siege führte? Weshalb soll ein deutsches Mädchen nicht dasselbe zu vollbringen im Stande sein, was ein spanisches Mädchen gethan hat? Weshalb soll ein deutsches Mädchen nicht einen gleichen Muth, eine gleiche Liebe zu seinem Vaterlande haben?«
Sie hatte diese Worte mit lauter und begeisterter Stimme gesprochen, ihre Wangen glühten von innerem Feuer, und wie eine Heldin stand sie vor dem Geliebten. Einen Augenblick schaute dieser sie bewundernd an, dann schloß er sie stürmisch in die Arme.
»Margarethe, Margarethe« – rief er ergriffen – »nichts Schöneres und Größeres vermag ich mir zu denken, als daß Du ein solches Heldenmädchen würdest, und doch zittere ich bei dem Gedanken an die Gefahren, denen Du ausgesetzt wärest.«
»Würde mein Leben mehr bedroht sein als das Deinige?« – erwiderte Margarethe – »Glaubst Du, daß ich für eine so große und heilige Sache nicht auch freudig sterben könnte! Ihr Männer traut uns Frauen zu wenig Muth zu, weil wir weniger Gelegenheit haben, ihn zu zeigen und zu bewähren.«
»Ich zweifle nicht an Deinem Muthe, Margarethe« – entgegnete Karl – »aber schon Dein Körper würde nicht im Stande sein, die Mühen und Beschwerden eines Krieges zu ertragen. Du würdest unterliegen, ehe Deine Hoffnungen erfüllt wären.«
»Weshalb hältst Du mich für so schwach, Karl?« fragte das Mädchen. – »Glaubst Du die feurige und freudige Begeisterung für eine so große Sache verleihe dem Körper keine Kraft! Woher hat jenes Mädchen von Saragossa, woher die Jungfrau von Orleans die Kräfte genommen, daß sie ebenso Großes wie die Männer zu vollbringen im Stande waren? Die Begeisterung hat sie stark gemacht, stark wie Männer, obschon sie auch zu dem Geschlechte gehörten, welches ihr das schwache nennt.«
»Denke an das Ende, welches das Mädchen von Orleans genommen hat« – entgegnete Karl.
»Kann es ein schöneres Ende geben« – rief Margarethe begeistert – »denn als Siegerin zu sterben! Ihr nennt das Schlachtfeld das Feld der Ehre, weshalb soll es für ein Weib nicht gleich ehrenvoll sein, auf diesem Felde zu sterben! Oder glaubst Du, daß ich einen Augenblick zögern werde, mein Leben hinzugeben, wenn ich dadurch Deutschlands Freiheit erkaufen könnte! Siehe, Karl« – fügte sie mit weicherer und milderer Stimme hinzu – »Dir habe ich mein Herz geschenkt, Dir wollte ich mein Leben widmen und Gott weiß es, wie freudig ich diesen Entschluß gefaßt habe – aber eins steht mir noch höher da, als der Geliebte, das ist mein Vaterland. Es ist ja auch Dein Vaterland, Karl, auch Du liebst es und wirst deshalb mein Herz nicht verkennen.«
Peterson trat in diesem Augenblicke zu ihnen und benachrichtigte sie, daß Margarethe in der Gesellschaft vermißt werde. Schnell eilte sie in das Haus zurück, nachdem sie den Geliebten noch einmal an ihr Herz gedrückt hatte.
Karl blieb mit Peterson im Garten zurück, um jeden Verdacht zu vermeiden, daß er mit dem Mädchen zusammen gewesen sei und um mit dem Lieutenant über die Befestigung und Haltbarkeit der Stadt zu sprechen. Peterson kannte die Stadt in allen ihren einzelnen Theilen genau, er wußte, welches ihre schwächsten Punkte und wie diese am leichtesten zu verstärken waren. Er hatte bereits mehre Jahre lang in Stralsund gelebt und die Festung genau gekannt, ehe der größere Theil derselben durch die Franzosen gesprengt war.
Als sie endlich in das Haus und zur Gesellschaft zurückkehrten, fanden sie Margarethe im eifrigen Gespräche mit Schill, der an des Mädchens kühnem und begeistertem Sinn das lebhafteste Interesse nahm. Des Mädchens dunkle Augen funkelten und leuchteten, jedes Wort aus dem Munde des Helden galt ihr werth wie das eines Propheten, und als die Krieger endlich schieden, befand sie sich in einem Rausche stürmischer Gedanken und Gefühle. Ihre Phantasie führte ihr Bilder des Kampfes und Sieges, vor, in denen sie selbst thätig war, und als der Schlaf längst schon die Augen ihrer ruhigeren und milderen Schwester geschlossen hatte, lag sie noch aufgeregt auf ihrem Lager, und immer und immer tönten ihr Schill's Worte in den Ohren wieder, daß Stralsund ein zweites Saragossa werden solle, und dann – dann durfte sie hoffen, daß sie gleich groß da stehen werde, wie jenes Heldenmädchen Spaniens.
Der folgende Morgen rief in Stralsund und namentlich in den zum größten Theile gesprengten Festungswerken der Stadt ein äußerst thätiges und reges Leben hervor. Schill wußte, daß der Feind ihm nicht lange Ruhe lassen werde, um sich in Stralsund fest zu setzen, und er wollte deshalb keinen Augenblick verloren gehen lassen, um die Festungswerke mit allen ihm zu Gebote stehenden Kräften so viel als irgend möglich wiederherzustellen und die Stadt in den Stand zu setzen, dem Angriffe eines überlegenen Feindes siegreich zu widerstehen. Die Bürger unterstützten ihn bereitwillig und die Bauern der naheliegenden Dörfer wurden entweder mit Güte oder selbst mit Gewalt herbeigeholt, um an dem Werke zu helfen. Auf diese Weise wurden Tausende von Händen in Bewegung gesetzt, um die gesprengten Werke wieder aufzuräumen, die Wälle nach Möglichkeit herzustellen und Bettungen für die Geschütze anzulegen.
Es fehlte den Arbeitern nicht an Aufmunterung, denn sowohl Schill wie viele seiner Offiziere griffen selbst zu Hacke und Spaten, um sie durch ihr Beispiel anzufeuern.
Die innere Stadtmauer stand noch unverletzt da, deshalb wurde die erste Mühe auf die Thore verwendet, um gegen einen ersten und baldigen Anlauf des Feindes gesichert zu sein. Namentlich wurde das westliche Triebseer-Thor, auf welches zunächst ein Angriff zu erwarten stand, und sodann das südlich gelegene Frankenthor zuerst befestigt und die Arbeit schritt erstaunlich schnell vorwärts.
Die kräftigste Hülfe fand Schill in dem Lieutenant Peterson.
Dieser kannte die Oertlichkeiten genau, war mit den Bürgern der Stadt bekannt und besaß als früherer Artillerie-Offizier in dem Befestigungswesen treffliche Kenntnisse. Zudem war er von einem unablässigen Eifer beseelt, und Schill konnte ihm bald den größten Theil der Aufsicht über die aufzuführenden Werke überlassen, denn auf ihm ruhten noch größere und schwerere Sorgen.
Bei allem Muthe und aller Begeisterung, welche seine Schaar beseelte, konnte er sich doch nicht verhehlen, daß sie zu gering sei, um die ziemlich umfangreichen Werke der Stadt selbst nur nothdürftig zu besetzen und dem Angriffe eines mehrfach überlegenen Feindes siegreich zu widerstehen. Er richtete deshalb sein Augenmerk zunächst darauf, sich zu verstärken, und dies gelang seinen entschlossenen Bemühungen namentlich durch die Einberufung der Landwehr der Insel Rügen so gut, daß er in den nächsten Tagen eine Anzahl von 400 Köpfen in Stralsund zusammenbrachte, welche dem größten Theile nach früher bereits gedient hatten und deshalb mit den Waffen vertraut waren.
Die Abende brachte Schill nach den mühe- und sorgenvollen Tagen meist in dem Hause des Kaufmanns Rühler zu, wo Margarethe und Gabriele, so wie Karl von Wedell und dessen um einige Jahre jüngerer Bruder Albert, der das Quartier mit ihm theilte, ihn erwarteten.
Das rege Leben, welches in der Stadt herrschte und die kriegerischen Zurüstungen, welche unmittelbar unter Margarethes Augen vor sich gingen, das Glück, ihren Geliebten täglich zu sehen und bei ihm zu sein, erhielten sie fortwährend in einer fast fieberhaften Aufregung, in der sich der Gedanke, an dem Kampfe, sobald es dazu komme, theilzunehmen, zum festen Entschlusse ausbildete. Sie hielt diesen Entschluß indeß vor ihrer Schwester sorgsam verborgen, denn Gabrielens stilles, schüchternes Gemüth vermochte sie nimmer zu begreifen und sie hatte die Schwester zu lieb, um ihr nutzlose Angst zu bereiten. Konnte sie dieselbe doch nicht einmal bewegen, mit ihr die so rasch vorwärtsschreitenden Befestigungswerke zu besehen, welche sie täglich, von ihrem Geliebten begleitet, besuchte.
Gabriele sehnte sich fort aus Stalsund und doch mochte sie nicht auf die Abreise dringen, weil sie Margarethes Glück nicht stören wollte, und die Zuversichtlichkeit und Bestimmtheit, mit der Schill und seine Offiziere täglich von der Stärke und Haltbarkeit der Festung sprachen, gaben auch ihrem Herzen zuletzt etwas Vertrauen.
So heiter die Abende in dem Hause des Kaufmanns Rühler auch waren, so sorglos und ruhig Schill auch scheinen mochte, so thürmten sich doch die Wolken an dem Himmel seines Glückes immer finsterer auf und zogen sich immer drohender zusammen.
Durch den Lieutenant von Rochow, welcher mit einer geringen muthigen Schaar von Stralsund aus einen kleinen kühnen Streifzug gegen Lübeck hin gewagt hatte und glücklich zurückgekehrt war, erfuhr Schill zuerst, daß der General Gratien sich mit dem dänischen General v. Ewald vereint habe und mit überlegener Macht und rasch gegen Stralsund heranrücke. Nachricht auf Nachricht folgte, und obschon Schill mit rastlosem Eifer die Vollendung der Befestigungswerke betrieb, so konnte er doch nicht hoffen, sie vor der Ankunft des Feindes, der kaum noch zwei Tagemärsche von Stralsund entfernt war, zu beenden.
Gratien rückte mit einer Macht von über 5000 Mann heran und Schill hatte ihm in Stralsund im Ganzen nur 1560 Mann entgegenzusetzen, aber er wußte, daß er den Seinen fest vertrauen konnte, er kannte den Muth, der sie beseelte, und selbst einen noch überlegeneren Feind würde er nicht gefürchtet haben. Seine Soldaten wünschten sogar, dem Feinde entgegengeführt zu werden, um sich in offener Feldschlacht mit ihm zu messen, aber hierzu war ihre Zahl zu gering.
Unter solchen Befürchtungen und Hoffnungen war der Abend des 30. Mai hereingebrochen. Durch Kundschafter hatte Schill erfahren, daß der Feind nur noch wenige Stunden von der Stadt entfernt war, und mit Bestimmtheit erwartete er am folgenden Tage einen Angriff, aber so zuversichtlich hoffte er auf einen Sieg, daß er noch an diesem Abende einen Bericht an den Erzherzog Karl von Oesterreich niederschrieb, um diesen ausgezeichneten Heerführer, den er mit Recht als die Seele des großen deutschen Befreiungswerkes ansah, zu einem Vorrücken von Böhmen aus längs der Elbe zu bewegen.
Mit diesem Berichte und den Vorkehrungen für den folgenden Tag beschäftigt, war Schill an diesem Abende nicht im Stande, den Kaufmann Rühler zu besuchen, und ungestört konnte deshalb Margarethe mit ihrem Geliebten den Abend zubringen. Beide schienen zu ahnen, daß es der Vorabend eines großen und verhängnißvollen Tages, daß es der letzte Abend war, an welchem sie so friedlich und glücklich beisammen waren. Sie saßen in dem Garten in dem dunkeln Schatten der Bäume, und ihre Hände ruhten in einander. Sie schwiegen, denn diese Stunde erschien ihnen fast zu heilig und zu groß, um sie durch Worte zu stören.
»Siehe Margarethe« – brach Karl endlich das Schweigen – »nun ist der Tag nahe, den wir alle so sehnsüchtig herbei gewünscht haben; nur noch wenige Stunden, und wir werden uns mit dem Feinde messen, wir werden ihm zeigen, was ein begeisterter Muth vermag. Wir sind an Zahl geringer, aber nicht auf die Zahl kommt es an, sondern auf den Muth, der die Brust erfüllt, auf die Kraft des Armes, der den Säbel schwingt. Ich habe wahrlich keine Todesgedanken, Margarethe, aber das Geschick des Menschen läßt sich nicht im voraus erkennen. Mich kann eben so gut wie jeden Andern morgen eine Kugel treffen; sollte es geschehen, so sei gefaßt und ruhig. Bedenke, daß ich für eine heilige Sache, für Deutschlands Freiheit gefallen bin, für welche Du eben so begeistert bist als ich.«
»Nein, Du wirst nicht fallen, Karl« – entgegnete Margarethe mit ruhiger und fester Stimme. – »Eine unerklärbare Ahnung sagt mir, daß der morgende Tag ein schweres, großes Opfer verlangen wird, aber Dein Leben ist es nicht, denn sonst könnte mein Herz nicht so ruhig bleiben.«
»Du kannst die Zukunft nicht ergründen« – erwiderte Karl – »aber mag es kommen wie es will, ich bin auf Alles vorbereitet.«
»Du bist es nicht, Karl« – rief Margarethe, indem ihre dunkeln, sonst so lebhaften Augen ernst und starr auf die Erde blickten. – »Du fürchtest nicht für Dein Leben, aber ich weiß, daß es auch für Dich noch Schrecklicheres giebt, als den Tod.«
»Was meinst Du?« – rief Karl, durch die ernste und prophetische Stimme des Mädchens aufgeregt. »Was befürchtest Du?«
»Nichts, nichts« – erwiderte Margarethe, indem sie sich gewaltsam aus ihrer finstern Stimmung hervorzureißen versuchte. – »Es war nur ein wildes Bild meiner aufgeregten Phantasie, welches ich erblickte. Du hast Recht, der Mensch kann die Zukunft nicht ergründen.«
»Und welches Bild hast Du im Geiste gesehen?« fragte Karl.
»Laß, Karl, ich selbst gebe nichts darauf« – erwiderte Margarethe. – »Ich will Dir nicht durch die trüben Bilder meiner Phantasie die freudige Zuversicht auf den morgenden Tag wankend machen, freudig und muthig sollst Du diesem Tage entgegen gehen, denn von ihm hängt unendlich viel ab.«
»Nein, nein« – rief Karl lächelnd, indem er sie mit dem Arme umschloß und fest an sich drückte – »Du mußt mir Deine Vision erzählen. Glaube nicht, daß sie mir meinen Muth und die freudige Zuversicht raubt, es stände schlimm damit, wenn sie nicht fester begründet wären. Nenne sie mir, mein Mädchen, ich bin auf Alles gefaßt.«
Margarethe zauderte noch, aber endlich gab sie den drängenden Bitten des Geliebten nach. – »Mir ist es« sprach sie – »als ob all' Euer Muth und Eure Tapferkeit morgen vergebens sein würden. Stralsund entgeht seinem Geschicke nicht, es wird wieder in die Hände derer fallen, die es vor Euch inne gehabt. Und nicht den Verlust der Stadt allein werdet Ihr zu beklagen haben, ein großes und unersetzbares Opfer wird fallen, ich vermag es nicht zu erkennen und ich wage auch nicht es zu denken …«
»Halt ein!« – rief Karl, der durch des Mädchens Worte und den ernsten Klang ihrer Stimme unwillkürlich aufgeregt war. – »Halt ein, male Dein schreckliches Bild nicht weiter aus. Aber Thorheit!« – fügte er gleich darauf beruhigter hinzu – »es ist ja nur ein Bild Deiner Phantasie, es kann und darf nicht Wahrheit werden!«
»Ja, gebe Gott, daß es nur ein finsterer Traum ist, daß es nie, nie zur Wahrheit wird« – entgegnete Margarethe ernst. – »Denke nicht weiter darüber nach, Karl, laß Dir durch den Traum eines Mädchens den begeisterten Muth nicht wankend machen.«
»Nein, Margarethe, meine Zuversicht des Sieges steht fest und unerschütterlich« – erwiderte Karl – »nur in dem Augenblicke als Du das finstere Bild schildertest, wurde ich durch den ernsten prophetischen Ton Deiner Stimme erregt, es ist vorbei, nichts, nichts soll meinen Muth zum Wanken bringen!«
Es war spät geworden und die beiden Liebenden kehrten in das Haus zurück und schieden von einander. Karl hatte bald den Eindruck, den des Mädchens Worte auf ihn hervorgerufen, vergessen, während Margarethe noch lange Zeit mit bangem, pochendem Herzen über die finstern Bilder nachdachte, welche sie so deutlich wahrgenommen hatte und an welche sie doch nicht glauben konnte und wollte.
So brach der Morgen des 31. Mai herein. Schon früh am Morgen hatte Schill durch einen Kundschafter die Nachricht erhalten, daß der Feind heranrücke. Er war darauf gefaßt, Alles war in der größten Ordnung und zum Kampfe gerüstet, dem die Seinen mit Begeisterung entgegensahen. Die Kavallerie stand schlagfertig auf dem Marktplatze, während schon früh um 5 Uhr eine Abtheilung Fußvolk mit einigen Feldstücken zum Triebseer-Thore hinausmarschirt war, um den Feind aufzuhalten.
Schill hatte indeß seinen Plan, mit dem Feinde außerhalb der Stadt ein offenes Gefecht zu wagen, verändert und zog diese Abtheilung zurück, um sich allein auf Vertheidigung der Stadt zu beschränken.
Es war 10 Uhr Morgens geworden, als der Feind in geordneten Linien rasch und energisch gegen die Stadt heranschritt und seinen Angriff vorzugsweise auf das Triebseer-Thor, wo Schill selbst bei der dort angelegten Batterie befehligte, gerichtet zu haben schien. Kaum hatte er sich indeß auf Schußweite genähert, als ihn ein heftiges Feuer aus dem groben Geschütze empfing und seine Reihen sichtbar lichtete.
Ein lautes Hurrah folgte diesem ersten glücklichen Beginnen des Kampfes, und der Muth der Schill'schen Krieger loderte in lauter Begeisterung auf. Der Feind war durch diesen Empfang in eine sichtbare Verwirrung und Bestürzung gerathen, welche den Belagerten nicht entging. Nur Schill schien sie nicht zu bemerken, da er unruhig umherritt und mit dem Ordnen der Batterie, welche von ungeübten Leuten bedient wurde, beschäftigt war.
In diesem Augenblicke sprengte Karl von Wedell an Schill heran und beschwor ihn, die augenblickliche Verwirrung des Feindes zu benutzen und ihn durch einen raschen, kühnen Ausfall zurückzuwerfen.
Schill schüttelte ablehnend mit dem Haupte.
»Wir werden ihn werfen und besiegen« – rief Karl begeistert. – »Lassen Sie uns keinen Augenblick zögern, sehen Sie, wie der Feind sich bemüht, Quarrées zu bilden, lassen Sie uns ihm zuvorkommen und wir haben gewonnen. Die vierte Schwadron Husaren ist sofort zur Hand, die ganze Kavallerie steht unthätig und ungeduldig auf dem Markte, in wenig Minuten kann sie hier sein.«
Er wandte sein Pferd, um auf Schill's Wink sofort nach dem Markte zu fliegen und die Reservetruppen herbeizuholen. Aber den sonst so muthigen, ja tollkühnen Anführer hatte Verzagtheit erfaßt, er, der früher stets der Erste bei einem kühnen raschen Unternehmen gewesen war, bebte jetzt davor zurück.
»Bleiben Sie, bleiben Sie!« – rief er. – »Ich darf nicht Alles wagen, um vielleicht nur weniges zu gewinnen. Im freien Felde ist uns der Feind überlegen, aber hier in der Stadt können wir uns mit Nachdruck vertheidigen und halten, bis Unterstützung für uns herankommt. Ein Ausfall wäre zu tollkühn!«
Vergebens stellte ihm Wedell vor, daß der Feind darauf gänzlich unvorbereitet sei, daß sie bei dem Ausfall durch die Thorbatterie unterstützt wurden und daß die Kavallerie nutzlos auf dem Markte stehe. Mehre andere Offiziere unterstützten seine Vorstellungen, aber Schill verschloß sich immer mehr gegen dieselben.
»Ich will es nicht« – rief er endlich heftig – »hier habe ich einen festen Boden, hier bin ich im Vortheile und ich will ihn nicht freiwillig aufgeben. Ich will diesen Platz nicht einem Zufalle des Glückes anheimstellen – hier will ich mich halten oder fallen!«
Er ließ die Husaren absitzen und mit Gewehren versehen, um die Infanterie an dem Thore zu verstärken, er befeuerte die Artillerie und stellte sich furchtlos dem feindlichen Feuer blos. Alle Kräfte wurden aufgeboten, um den Angriff des Feindes auf das Thor zurückzuweisen, und es gelang.
Ebenso glücklich war die Besatzung des südöstlich von der Stadt gelegenen Frankenthores gewesen. Auch hier war der Angriff des Feindes zurückgeschlagen und erhöhte Begeisterung erfüllte die Schill'sche Schaar.
Die Freude über diesen anfänglichen Sieg sollte indeß nicht allzu lange währen.
In der Nacht vor diesem Tage hatte sich ein Bauer, der an den Verschanzungen mitgearbeitet, in dem feindlichen Lager eingefunden und dem General Gratien gegen einen hohen Lohn die schwächste Seite der Festung verrathen. Diese war das am weitesten und nördlich gelegene Knieper Thor. Schill selbst war dies nicht entgangen, er hatte indeß auf dieser Seite keinen Angriff vermuthet, da der Feind nur auf großem Umwege und nur mit Besiegung mancher Schwierigkeiten durch die sumpfige Gegend, durch welche nur ein schmaler Damm führte, zu dem Knieper Thore gelangen konnte. Er hatte deshalb nur eine schwache Besatzung unter dem Befehle des Lieutenants Peterson, der zugleich die noch zu vollendenden Verschanzungen überwachen und leiten sollte, an dies Thor gelegt.
Keine Ahnung hatte deshalb Schill davon, daß der General Gratien einen großen Theil seiner Macht schon während der Nacht den Umweg zum Knieper Thor hatte zurücklegen lassen, und daß die Angriffe auf das Triebseer und Franken-Thor nur Scheinangriffe gewesen waren, um die Aufmerksamkeit Schill's und der Besatzung von dem Knieper Thore möglichst abzulenken.
Peterson war auf das höchste überrascht, als er sich unerwartet von einer weit überlegenen Macht angegriffen sah. Er empfing den Feind mit lebhaftem Feuer und suchte ihn mit allen Kräften an dem Uebergange über mehre Brücken, welche zum Thore führten, zu hindern. Da der Feind aber trotz aller Verluste, welche ihm durch die Geschütze von den Wällen herab beigebracht wurden, im Sturmschritt vordrang, sandte er schleunigst auf das Rathhaus, um von dem versammelten Magistrate Brennstoffe zum Niederbrennen der Brücken zu verlangen.
Durch ein unglückseliges Mißverständniß erfüllte der Magistrat dieses Verlangen nicht, da er wähnte, der Brennstoff solle zum Niederbrennen der Stadt benutzt werden. Vergebens wartete Peterson in größter Ungeduld darauf. Er sandte einen zweiten Boten auf das Rathhaus, dieser kam zu spät. Die Brücken wurden von dem Feinde überschritten, die noch unvollendeten Wälle mit geringer Mühe erstiegen, die schwach besetzten Batterien genommen und das Thor überwältigt.
Die Besatzung des Thores, welche meist aus ungeübten Rekruten und aus der Landwehr bestand, suchte sich durch eilige Flucht zu retten und dem bereits verwundeten Peterson, der bis zum letzten Augenblicke tapfer gefochten hatte, blieb gleichfalls nichts weiter als Flucht übrig, wenn er dem Feinde nicht als Gefangener in die Hände fallen wollte.
In dichten Massen drängte der Feind durch das eroberte Thor in die Stadt, und noch hatte Schill keine Ahnung davon. Noch war er mit den besten seiner Truppen am Triebseer-Thore beschäftigt und Karl von Wedell an seiner Seite, als Margarethe mit glühenden Wangen, halb aufgelöstem, in der Luft flackerndem Haare und einen Husarensäbel in der Rechten schwingend, auf der Straße herab kam und dem Thore zueilte.
Ihre eigene Ungeduld und die peinigende Angst der Schwester, als der Kampf begonnen und der Donner der Geschütze die Stadt erschüttert hatte, hatte ihr daheim keine Ruhe gelassen. Wo Karl in diesem Augenblicke war, hatte sie nicht gewußt. Sie war deshalb in Peterson's Wohnung geeilt, weil sie hoffen durfte, dort eher Nachricht von dem Ausgange des Kampfes und von ihrem Geliebten zu erhalten.
Lange Zeit hatte sie dort in größter Ungeduld vergeblich gewartet, da war endlich Peterson bleich und blutend in das Zimmer gestürzt und hatte ihr mit hastigen abgebrochenen Worten seine Flucht und das Eindringen des Feindes in die Stadt erzählt.
»Wo ist Karl? Wo ist Karl von Wedell« – war Margarethen's erste Frage gewesen, und als sie von dem Verwundeten erfahren, daß er an Schill's Seite am Triebseer-Thore sich befinde, und daß beide noch keine Nachricht von dem Eindringen des Feindes hätten, da hatte es sie mit namenloser Angst erfaßt. Für einen Augenblick hatten sich ihre Sinne verwirrt und sie war unschlüssig gewesen, was sie thun sollte. Als sie aber mehre Dänen in ihrer rothen Uniform die Straße herabkommen sah, als sie die ganze Größe und Nähe der Gefahr erkannte, da war alle Bangigkeit mit einem Male von ihr geschwunden, sie wußte, daß sie keinen Augenblick zögern dürfe, den Geliebten von der ihn bedrohenden Gefahr zu benachrichtigen. Sie mußte ihn erretten, an seiner Seite wollte sie kämpfen und siegen oder mit ihm zusammen untergehen. Jede weibliche Schwäche und Scheu wich in diesem Augenblicke der Gefahr von ihr. Sie fühlte sich stark und berufen, einzugreifen in das Werk der Männer, in das heilige Streben, das Vaterland zu erretten. Das Bild der Jungfrau von Orleans und des Mädchens von Saragossa tauchte begeisternd vor ihren Augen auf und ihre Wangen erglühten von innerem Feuer.
Sie erfaßte einen an der Wand hängenden Husarensäbel und ihn muthig schwingend stürzte sie fort aus dem Zimmer, aus dem Hause und eilte dem Triebseer-Thore und dem Geliebten entgegen.
Mit Staunen hatte Karl das eilende Mädchen sich dem Thore nähern sehen, kaum hatte er aber die Geliebte in ihr erkannt, als er erschrocken und begeistert zugleich ihr entgegenstürzte.
»Margarethe, Margarethe!« – rief er. – »Was hast Du gewagt? Du bist aufgeregt, was ist vorgefallen?«
»Das Knieper Thor ist erstürmt, die Besatzung zurückgeworfen und geflohen – Peterson ist verwundet – der Feind ist in der Stadt!« – rief Margarethe mit hastigen und stockenden Worten. – »Rette Dich, rette Dich, Karl« – fügte sie athemlos hinzu.
»Du bist aufgeregt, Margarethe« – erwiderte Karl, der, keine Ahnung von der Nähe und der Größe der Gefahr hatte, und Alles nur für ein Bild ihrer aufgeregten Phantasie hielt. – »Du bist furchtbar aufgeregt, aber sei ruhig, meine Geliebte, der Feind ist hier und am Frankenthore mit Erfolg zurückgeschlagen. Du bist falsch berichtet, für uns ist keine Gefahr.«
»Der Feind ist in der Stadt« – rief das Mädchen noch hastiger als zuvor. – »Ich weiß Alles aus Peterson's eigenem Munde, ich habe die rothen Dänen gesehen, zögert keinen Augenblick, oder es ist Alles verloren.«
Schill war herangetreten und hatte ihre Worte gehört, aber auch er zweifelte an ihrer Wahrheit.
In diesem Augenblicke kam ein Uhlane die Straße herab auf das Thor zugesprengt und rief schon von Weitem: »Rettung, Rettung, das Knieper Thor ist erstürmt, der Feind in der Stadt – es ist Alles verloren!«
Schill erbleichte, einen Augenblick blickte er Wedell erschrocken an, aber nur einen Augenblick, dann kehrte sein alter Muth zurück. Ohne zu zaudern schwang er sich auf sein Pferd, zog den Säbel und rief feurig: »Auf, auf zum Markte, zur Reserve! Wir müssen den Feind zurückwerfen, er muß wieder zum Thore hinaus!«
Mit Ungestüm sprengte er davon, dem Markte zu. Auch Karl wollte sich auf sein Pferd schwingen, aber Margarethe hielt ihn zurück. – »Ich bleibe bei Dir, Karl, ich weiche nicht von Deiner Seite« – rief sie fest und muthig. – »Dir gehöre ich an, Dein Geschick soll auch das meinige sein!«
Vergebens suchte Karl sie zurückzuhalten, vergebens stellte er ihr vor, daß sie ein Weib, nicht zum Kampfe tauge, daß sie ihr Leben nicht in solche Gefahr bringen dürfe.
»Das Mädchen von Saragossa war auch ein Weib« rief Margarethe begeistert. – »Auch sie hatte nur ein Leben für die Rettung ihres Vaterlandes einzusetzen, und sie ist vor der Gefahr nicht bange zurückgebebt. Ich bleibe bei Dir, Karl, Dein Geschick will ich theilen und nur der Tod soll mich von Dir trennen!«
Die Trompeten schmetterten und riefen zum Kampfe, die Trommeln rasselten laut und das Donnern der Geschütze ließ die Luft erzittern. Dies Alles riß Karl mit mit sich fort. Er erfaßte die Hand der Geliebten und rief begeistert: »So komm, Margarethe – zum Siege oder zum Sterben!«
Mit diesen Worten und Hand in Hand eilten sie ihrem Anführer nach dem Markte zu.
Schill hatte seine Reservetruppen bereits in vollem Kampfe mit dem Feinde getroffen, der in dichten Massen und ungehindert in das Thor eingedrungen war. Aber die sonst so tüchtige und muthige Kavallerie hatte auf dem engen Markte nicht Raum, sich zu bewegen und zu entwickeln. Sie sah sich mit einem Male von allen Seiten angegriffen, eine geordnete Bewegung, ein regelmäßiger Kampf war unmöglich, es entstand ein verwirrtes Handgemenge, eine blutige Rauferei, in der die holländischen und dänischen Jäger, durch ihre Waffen und das Terrain im Vortheile, zumal da sie aus einigen Quergassen durch Kartätschenfeuer unterstützt wurden, das Uebergewicht erlangen mußten.
Die Schill'sche Kavallerie wurde in einzelnen verwirrten Haufen hierhin und dorthin gedrängt, ohne im Stande zu sein, sich wieder zu sammeln. In diesem Zustande traf sie Schill. Er riß einige Haufen Husaren und reitende Jäger an sich und suchte mit ihnen zum Knieper Thore dem Feinde entgegen zu dringen. Er fand die Hauptstraßen bereits von dem Feinde besetzt. Indem er durch einige Nebengassen zu dem Thore zu gelangen suchte, verirrte er sich in den ihm unbekannten Straßen, während der Feind immer mehr Zeit gewann, weiter vorzudringen und sich zu ordnen.
Nur zu schnell sah sich Schill mit seiner Schaar abgeschnitten und von allen Seiten umringt. Aber den Säbel hoch über dem Haupte schwingend stürmte er dem Feinde mit verzweiflungsvollem Muthe entgegen, Alles niederwerfend, was ihm entgegen trat. Es war kein Kampf mehr um den Sieg, sondern um Leben oder Tod, ein Kampf gegen einen vielfach überlegenen Feind.
Immer weiter und weiter stürmte Schill, nur von wenigen seiner Getreuen gefolgt. Er suchte den Tod, aber nur um theuren Preis wollte er sein Leben hingeben. Tollkühn stürzte er auf einen Haufen dänischer und holländischer Jäger, welche ihm den Weg versperrten, er hieb den Anführer derselben, den General-Lieutenant Cartond, an ihrer Spitze nieder, er stürmte tiefer in den Feind hinein, nach allen Seiten mit dem Muthe und der Kraft der Verzweiflung um sich hauend. Aber hier war ein Durchkommen für ihn unmöglich und er wandte entschlossen sein Pferd um und sprengte zurück.
In diesem Augenblicke traten ihm Karl von Wedell und Margarethe entgegen. Auch sie waren von den Ihrigen abgeschnitten und von dem Feinde mehrfach zurückgedrängt.
»Mir nach, mir nach, zurück!« – rief ihnen Schill entgegen, als er wild an ihnen vorüber sprengte.
»Schill, Schill!« – riefen Karl und Margarethe erschrocken, ihn allein und in wilder Aufregung zu finden. Sein Gesicht war mit Todtenblässe überdeckt, er blutete und schwer verwundet schwankte er bereits im Sattel.
Er hörte ihren Ruf nicht mehr, da er in dem Augenblicke um eine Straßenecke bog.
»Ihm nach, ihm nach!« – rief Karl, indem er die Geliebte mit dem linken Arme umfaßte und mit sich fortriß. Kaum hatten auch sie die Ecke der Straße erreicht, als sie sahen, wie ein Haufen holländischer Jäger auf Schill anlegte. Mehre Schüsse fielen zu gleicher Zeit. Schill's Pferd bäumte sich hoch auf und er selbst sank getroffen im Sattel zusammen.
»Er fällt, er ist getroffen!« – schrie Margarethe erschrocken auf, aber noch hielt sich der Schwerverwundete im Sattel. Er vermochte indeß das wild umherspringende Pferd nicht mehr zu bändigen, und dieses stürmte gerade auf den Feind zu. Karl sah, daß die Jäger auf das Pferd zueilten, um den tödlich Getroffenen, den sie erkannt hatten, vollends niederzuhauen, und ein unwillkürlicher Angstruf rang sich aus seiner Brust hervor. Wie ein Verzweiflungsvoller stürzte er dem Feinde entgegen, das Leben seines geliebten Anführers zu retten – er kam zu spät. Von mehren Streichen wehrlos getroffen war Schill vom Pferde herabgesunken, und auch jetzt noch trafen ihn mehre Säbelhiebe seiner erbitterten Gegner.
Ohne ein Wort hervorpressen zu können, trieb Karl mit seinem Schwerte die Jäger von dem geliebten Todten zurück. In seiner Wuth streckte er einen jeden nieder, der sich ihm zu nähern wagte. Aber auch die Erbitterung des Feindes wurde hierdurch erhöht und immer zahlreicher stürmte dieser auf den allein Dastehenden ein.
Der kräftige und todesmuthige junge Offizier würde selbst einer größeren Anzahl noch siegreich widerstanden und sich durchgeschlagen haben, hätte er in diesem Augenblicke nicht zur Seite gesehen, und Margarethe neben sich erblickt. Er bebte zurück, als er das geliebte Mädchen einer solchen Gefahr ausgesetzt sah, er konnte jetzt nicht mehr für sich selbst, für sein eigenes Leben kämpfen, er hatte nur noch das eine Streben, jedes Unheil von der Geliebten fern zu halten.
Ein Säbelhieb über seinen rechten Arm lähmte denselben, aber noch war ihm der Muth nicht entsunken. Er nahm das Schwert in die Linke und trat seinen Feinden eben so unerschrocken entgegen. Er kämpfte ja für etwas, was ihm höher galt als sein Leben, und mit seinem Leben schützte er die Geliebte.
Trotz all seines Muthes würde er unterlegen sein, wenn nicht gerade die, für welche er kämpfte, sein Schutzengel geworden. Von zwei Seiten von dem Feinde angegriffen, hatte ein Jäger schon den Säbel über sein Haupt erhoben. Nimmermehr konnte er diesem vernichtenden Schlage ausweichen, da stürzte Margarethe, deren funkelndem Auge keine Bewegung des Feindes entgangen war, rasch hervor, ihr Säbel schwirrte durch die Luft und der Feind sank schwer getroffen nieder, ehe seine Hand noch den Schlag auf das Haupt des Geliebten ausgeführt hatte.
Wie vor einer höheren Erscheinung wichen die feindlichen Soldaten unwillkürlich zurück, denn wie eine Schlachtengöttin stand Margarethe zwischen ihnen und dem Geliebten. Ihre Hand hatte zum zweiten Male den Säbel erhoben und ihre Augen blickten glühend und begeistert dem Feinde entgegen. Ihre Wangen waren geröthet, ihr Haar hatte sich aufgelöst und hing über ihren Nacken herab.
Selbst Karl war durch diesen Anblick überrascht und hatte das Schwert sinken lassen. Er faßte sich indeß am ersten wieder und suchte sich ungestüm vor Margarethe zu drängen, um sie zu schützen. In diesem Augenblicke stürmte eine kleine Abtheilung Schill'scher Husaren herbei, welche sich mit Erbitterung auf die Jäger warf, sie zum Theil niederhaute und die anderen zurückdrängte. Aber sie selbst wurden bald darauf vom Feinde gedrängt, der jetzt in geordneten Massen in die Straßen eindrang.
Karl hatte nicht Zeit, den Leichnam seines geliebten Führers mit sich zu nehmen, all seine Gedanken waren nur auf Margarethe und deren Rettung gerichtet, denn selbst unter dem verworrenen Gedränge der befreundeten Husaren lief sie Gefahr, durch die Pferde erdrückt oder zertreten zu werden.
Margarethe selbst schien in diesem Augenblicke von dieser Gefahr keine Ahnung zu haben. In gewaltsamer Aufregung war sie aus der Schranke des Weibes herausgetreten, sie war mit einem solchen begeisterten Muthe erfüllt, daß sie an ihr eigenes Leben nicht dachte. Was sie sich immer als das Schönste und Höchste gedacht hatte, an der Seite ihres Geliebten für das Vaterland kämpfen zu können, das war jetzt erfüllt und mehr noch – selbst sein Leben hatte sie gerettet. Hätte sie Tausend Leben gehabt, sie würde sie alle mit Freuden preis gegeben haben für diese einzige That, für diesen einzigen Augenblick der schönsten und höchsten Begeisterung.
Sie wurden durch die weiter stürmenden Soldaten mit fortgerissen. Die Sache der Schill'schen Krieger gerieth auf einen immer schlimmeren Standpunkt. Ihr Anführer, die Seele von Allen, lag todt und entstellt auf der Straße. Sie wußten es noch nicht, aber sein Kopf, sein Arm, seine befehlende Stimme fehlte ihnen. Von allen Seiten angegriffen, waren sie auseinander gerissen und wohin sie sich wandten, trafen sie auf Feinde. Wenige von ihnen hatten sich um ihre Offiziere versammelt und schlugen sich tollkühn durch den Feind hindurch, die meisten fochten mit wirklicher Todesverachtung, bis sie todt oder schwer verwundet waren und nur verhältnißmäßig wenige wurden zu Gefangenen gemacht.
In wenigen Stunden war die tapfere Schill'sche Schaar zersprengt, überwältigt und vernichtet. Der Feind war um 2 Uhr vollständig Herr der Stadt. Es war ein wilder, blutiger Kampf gewesen. Die Straßen schwammen in Blut und waren mit Leichnamen bedeckt, holländische und dänische Soldaten zogen im Siegestaumel plündernd von Haus zu Haus. Die Bürger wagten sich nicht aus ihren Häusern hervor, denn auch sie waren ihres Lebens nicht sicher, da der Feind sie des Einverständnisses mit den Schill'schen Truppen beschuldigte.
Erst als General Gratien das Plündern streng untersagte und die Sieger zur Zucht und Ordnung zurückrief, wurde es stiller auf den Straßen, da brach aber auch der Abend über die Stadt Stralsund herein. Ein trauriger, sehr trauriger Abend nach einem Morgen voll so schöner, kühner und glühender Hoffnungen.
Es war am Abende dieses verhängnißvollen Tages. In einem kleinen Hause am Ende der Fährstraße standen in einem nach dem Hofe hinausführenden und nur durch eine kleine Lampe schwach erhellten Zimmer zwei Betten. Auf ihnen lagen zwei Soldaten, der Uniform nach Offiziere. Sie schliefen. Ihre Köpfe waren verbunden und man errieth auf den ersten Blick, daß es Verwundete waren.
An dem einen Bette saß ein junges schönes Mädchen. Ihre Wangen waren bleich und ihre dunklen Augen nahmen einen unendlich traurigen und besorgten Ausdruck an, so oft sie auf dem Schlafenden, der auf dem Bette lag, ruhten. Wenn sie aber halb träumend in dem nur spärlich erleuchteten Raume umherschweiften, leuchtete und zuckte ein eigenthümliches und oft fast wildes Feuer aus ihnen hervor. Die Brust des Mädchens hob und senkte sich dann ungestüm, als vermöchte sie die Empfindungen, welche sie durchstürmten, nicht länger zurückzuhalten.
Dieses Mädchen war Margarethe. Sie wachte an dem Bette ihres Geliebten, der seit mehren Stunden in einem tiefen und festen Schlafe lag. Auf dem anderen Bette lag Peterson, welcher gleichfalls schlief. Auch auf ihm blieb Margarethens Blick dann und wann haften, aber mit einem anderen Ausdrucke. Wohl lag auch Besorgniß, Bedauern und innige Theilnahme darin, aber nicht diese Angst, diese aufreibende Befürchtung als wenn er auf ihrem Geliebten ruhte.
Als Margarethe an dem Mittage dieses Tages an ihres Geliebten Seite von den Husaren mit fortgerissen war, hatte diesem eine feindliche Kugel den Kopf gestreift, so daß er bewußtlos niedergesunken war. In ihren Armen hatte ihn Margarethe aufgefangen und mit Hilfe eines Soldaten in dieses nahegelegene Haus gebracht, welches einer alten Dienerin ihres Onkels gehörte. Hier hoffte sie, als die ganze Stadt in den Händen des Feindes war, eine sichere Zuflucht für ihn zu finden, denn in dem Hause ihres Onkels durfte sie eine solche nicht erwarten. Es war ja bekannt, daß Wedell dort im Quartier gelegen und die Vermuthung lag nur allzu nahe, daß der Feind den Vermißten dort am ersten aufsuchen werde.
Auch Peterson war, als er sich in seiner Wohnung nicht mehr sicher hielt, hierher geeilt, und es war in der That kaum zu befürchten, daß sie hier entdeckt würden, wenn nicht der Zufall einen Feind in das Haus führte.
Karls und Peterson's Wunden waren sorgfältig verbunden. Sie schienen nicht gefährlich zu sein, aber der starke Blutverlust und die gewaltige Anstrengung und Aufregung dieses Tages hatte die beiden sonst so kräftigen Männer außerordentlich geschwächt.
Margarethe war nicht von der Seite ihres Geliebten gewichen. Die Aufregung, in der sie sich noch fortwährend befand, verlieh ihr eine außerordentliche Kraft, sie allein fühlte keine Ermüdung. Sie pflegte ihn mit größter Sorgfalt, aber sie vermochte doch den Schmerz und den Kummer nicht von ihm zu nehmen, als er erfuhr, daß ihre Sache verloren, daß Schill's ganze Schaar zersprengt, vernichtet oder gefangen war. War sie doch selbst nicht im Stande, ihren Schmerz über diese traurige Wendung des Geschickes zurückzuhalten.
Welche freudige Begeisterung hatte sie erfüllt, als vor wenigen Tagen Schill mit einer kleinen Schaar Tapferer so kühn in die Stadt gesprengt war! Wie hatte ihr Herz höher geschlagen und gejubelt, als sie den Geliebten erkannt. Wenige glückliche Tage, ja fast nur Stunden mit hohen und kühnen Hoffnungen waren gefolgt, an der Seite, in den Armen des Geliebten war sie von dessen Begeisterung mit hingerissen. Ja sie hatte große und schöne Hoffnungen in sich aufkeimen sehen, sie hatte im Geiste schon ihr ganzes großes Vaterland siegreich und frei geschaut – und jetzt – und jetzt!
In wenigen Stunden, ja fast Minuten war all dies Glück, waren all diese Hoffnungen geschwunden und vernichtet. Schill war gefallen, seine Schaar vernichtet und gefangen, die Stadt war in den Händen der Feinde, ihr Geliebter lag verwundet vor ihr, ihr bangte für sein Leben), und mußte sie nicht befürchten, daß auch er in der nächsten Stunde schon ein Gefangener sein könne, daß er dann von ihrer Seite gerissen und daß sie ihn vielleicht nie, nie wieder sehen werde?
Auch Karl v. Wedell war, als er wieder zu sich gekommen, von ähnlichen Gedanken gequält und für ihn hatte sich noch die bange Sorge um das Geschick des Leichnams seines geliebten Anführers und um das Geschick seines Bruders dazugesellt. Margarethe wußte von beiden nichts, sie war ja nur auf die Rettung ihres Geliebten bedacht gewesen und konnte ihn auch jetzt nicht verlassen.
Zum Glück war der Soldat, welcher Karl mit in dieses Haus getragen, darin geblieben. Er mochte seinen Offizier – denn unter ihm hatte er gestanden – nicht verlassen. Er war Unteroffizier und ein schlauer, gewandter Mann, der Schill früher manchen Dienst als Kundschafter erwiesen hatte. Bei alledem besaß er eine Ruhe und Unerschrockenheit, die sich fast nie größer zeigte, als in großen Gefahren.
Lange, so hieß der Unteroffizier, hatte sich, sobald sein Offizier gehörig verbunden und für seine Ruhe gesorgt war, davon gemacht, das Haus zu durchforschen, um für den Fall der Noth mit allen Räumen und Ausgängen desselben bekannt zu sein. Als er wieder in das Zimmer getreten war, hatte er Karl's an Margarethe gerichtete Frage nach dem Geschicke seines Bruders und dem des Leichnams Schill's gehört.
»Ich werde Ihnen Gewißheit darüber verschaffen« – hatte er ruhig erwidert. – »Ich werde auf Kundschaft ausgehen. Ich muß mich überzeugen, wie unsere Sache jetzt steht. Ich glaube, sie steht gar nicht mehr, sondern liegt vernichtet darnieder.«
Vergebens hatte ihn Karl zurück zu halten versucht und ihm vorgestellt, wie leicht er dem Feinde in die Hände fallen könne.
»Seien Sie ohne Sorgen, Herr« – hatte er lächelnd erwidert. – »In dem Nebenzimmer hängt ein vollständiger und echter Stralsunder Bürgeranzug. Ich glaube nicht, daß der Feind ein so scharfes Auge hat, in diesem Anzuge ein pommer'sches Gesicht zu erkennen oder zu errathen, daß der Schneider, der jenes Zeug gemacht hat, nicht die Maße dazu an meinem Körper genommen.«
»Und Dein Schnurrbart? Wird er Dich nicht sofort verrathen?« – hatte Karl eingeworfen.
»Gewiß nicht, Herr« – hatte der Kundschafter eben so ruhig erwidert – »denn das geht schneller, einen Bart abschneiden, als sich wachsen lassen. Ich werde den besten Stralsunder Bürger abgeben, so daß selbst unsere Nachbarn an mir irre werden sollen. Verlassen Sie sich darauf.«
In solcher Verkleidung hatte er das Haus verlassen. Karl und Peterson waren von ihrer Ermattung überwältigt eingeschlafen und Margarethe hatte bereits seit mehren Stunden mit größter Ungeduld die Zurückkunft des Kundschafters erwartet.
Karl erwachte und auch seine erste Frage war nach ihm.
»Er ist noch nicht zurückgekehrt« – erwiderte Margarethe. – »Aber wie ergeht es Dir? Fühlst Du dich gekräftigt? Schmerzen Deine Wunden?« – fügte sie besorgt fragend hinzu, indem sie die Hand des Geliebten erfaßte.
»Wenig« – entgegnete Karl. – »Die Wunden sind weniger bedeutend als Du glaubst, ich fühle mich sehr gekräftigt. Aber Du selbst mußt ermüdet sein, Margarethe.«
Er heftete sein Auge mit einem Blicke voll unendlicher Liebe auf das Antlitz des Mädchens, welches ihm an diesem Tage zweimal das Leben errettet hatte, dessen Brust mit einem Muthe und einer Begeisterung erfüllt war, wie sie ihn selbst nicht schöner belebte.
»Ich würde keinen Schlaf finden, auch wenn ich ihn suchen wollte« – erwiderte Margarethe.
In diesem Augenblicke trat der Unteroffizier wieder in das Zimmer, und aus seinen traurigen Mienen ließ sich sogleich erkennen, daß er keine erfreuliche Nachricht brachte.
»Es ist Alles für uns verloren« – sprach er, indem er sich erschöpft auf einem Stuhle niederließ. – »Eine Flucht ist für uns unmöglich. Alle Ausgänge aus der Stadt sind durch den Feind bewacht und besetzt, eben so der Hafen. Selbst den Bürgern ist es nicht gestattet, die Stadt zu verlassen.«
»Weißt Du, was aus meinem Bruder geworden ist?« – fragte Karl, der den Gedanken an ein glückliches Entkommen aus der Stadt längst aufgegeben zu haben schien.
»Er ist gefangen und so wie alle übrigen Gefangenen, Offiziere wie Gemeine, in eine Kirche eingesperrt. Er soll sich tapfer seines Lebens und seiner Freiheit gewehrt haben, ehe er sich ergeben hat. Die Uebermacht hat ihn dazu genöthigt.«
»Das wußte ich« – erwiderte Karl. – »Ich kenne ihn und weiß, daß er seinen Degen nicht freiwillig hergibt. Was ist aus Schill geworden?«
»Ich habe seinen Leichnam nicht gesehen« – entgegnete der Unteroffizier nicht ohne tiefe Trauer in seinen Mienen. – »Ich habe gehört, daß er bis zur Unkenntlichkeit entstellt ist. An seinem Leichnam haben die Feiglinge ihre Rache ausgeübt; hätte er noch gelebt, sie würden es nicht gewagt haben, sich ihm zu nahen. Nur mit Mühe hat ihn sein eigener Reitknecht erkannt. Auf offenem Markte, auf einer am Rathhaus stehenden Fleischbank hat sein Leichnam zur Schau gelegen. Gratien hat dem Todten noch den Kopf abschlagen lassen, um diesen nach Kassel zu senden, die Reste seines Körpers wurden heute Abends auf dem Friedhofe vor dem Knieper Thore in die Erde gescharrt.«
Er schwieg, und keiner wagte den Schauer, der sie über das Ende eines solchen Mannes erfaßt hatte, durch Worte zu unterbrechen.
»Wohl ihm, daß er die Vernichtung all seiner Pläne und Hoffnungen nicht überlebt hat« – sprach Karl endlich tief ergriffen. – »Er würde es nicht ertragen haben. Mag Gratien den Kopf dieses Helden an Hieronymus senden und den darauf gesetzten Preis von 10 000 Franks in Empfang nehmen, mag Hieronymus ihn anschauen und sehen wie der Kopf eines tapferen Mannes aussieht; dem seinigen wird nie eine solche Ehre widerfahren.«
Er wurde durch lautes und heftiges Pochen an der Thür des Hauses, welche von innen verschlossen war, unterbrochen. Erschrocken fuhren Margarethe und Peterson in die Höhe, sie schienen zu ahnen, was es zu bedeuten hatte. Nur Karl und der Unteroffizier behielten ihre Ruhe bei.
»Ich werde gehen und zusehen, wer uns stört« sprach der Letztere – »denn meinem Anzuge nach bin ich der Besitzer dieses Hauses und kann von den Pochenden Rechenschaft verlangen.«
Er ging hinaus, und kehrte bald darauf wieder zurück und aus seinen Mienen leuchtete große Bestürzung hervor.
»Was gibt's?« – fragte Karl und er mußte diese Frage nochmals wiederholen, ehe er Antwort erhielt.
»Man sucht Sie – Sie sind verrathen« – wandte er sich an den Lieutenant Peterson, der erschrocken in die Höhe fuhr.
»Wissen sie, daß ich hier bin? – fragte er.
»Es ist ihnen verrathen – sie wissen es« – lautete die Antwort.
Als in diesem Augenblicke wieder heftig an die Thüre gepocht wurde, eilte Peterson erschrocken aus dem Zimmer, um irgend einen Weg zu seiner Rettung aufzusuchen.
»Rette Dich, rette Dich!« – beschwor Margarethe ihren Geliebten, indem sie sich dicht an ihn herandrängte, gleichsam als ob sie ihn mit ihrem eigenen Körper beschützen wollte. – »Rette Dich« – wiederholte sie mit gesteigerter Angst. – »Horch, sie haben bereits die Hausthür geöffnet!«
»Ist es möglich das Haus zu verlassen, ohne von ihnen bemerkt zu werden?« – wandte sich Karl fragend an den Unteroffizier, und als dieser verneinend mit dem Kopfe schüttelte, fuhr er gefaßt fort: »Dann bin ich Gefangener.«
»Nein, nein« – rief Margarethe erschrocken – »das darf nicht sein, oder sie müssen mich sogleich mit Dir gefangen nehmen, denn ich verlasse Dich nicht.«
»Nein, Margarethe« – rief Karl rasch – »nein, nein, Du würdest mein Loos dadurch nur um so bitterer machen. Du mußt frei bleiben.«
Die feindlichen Soldaten hatten die Hausthür geöffnet und drangen mit Geräusch über die Hausflur.
»Lassen Sie uns beide frei bleiben« – sprach der Unteroffizier hastig und leise, indem er an Margarethe herantrat – »denn nur wenn wir frei sind, ist es uns möglich die Gefangenen zu erretten. Und es muß uns möglich werden.«
Margarethe begriff ihn und so schwer ihr der Gedanke auch war, sich von ihrem Geliebten trennen zu müssen, sie ertrug ihn gern, da er ihr Hoffnung gab, den, den sie so innig, mehr als ihr eigenes Leben liebte, zu erretten und zu befreien.
Der Feind drang in das Zimmer und ohne Weigerung überreichte Karl dem holländischen Offizier, der an der Spitze der Soldaten stand, seinen Degen.
»Sie heißen Peterson?« – fragte der Offizier.
»Mein Name ist Karl von Wedell« – gab Karl ruhig zur Antwort.
Der Offizier schien überrascht. – »Ich suche den Lieutenant Peterson« – fuhr er fort – »und ich weiß, daß er in diesem Hause sich befindet. Wo ist er?«
Karl zuckte die Achseln, ohne auf die Frage zu antworten.
»Ha, wir werden ihn schon finden« – fuhr der Offizier fort – »der Verräther soll seiner Strafe nicht entgehen. Ich weiß, daß er an Schill die Besatzung dieser Stadt verrathen hat. Er hat gegen die Soldaten und Verbündeten des Kaisers gefochten.«
»Würden Sie ihn auch Verräther nennen, wenn er auf Ihrer Seite gestanden wäre?« – fragte Karl. »Glauben Sie mir, die schwache Besatzung würde auch ohne Peterson's Dazwischenkunft unterlegen sein.«
Der Offizier wandte sich ohne Antwort ab, ließ einige Soldaten in dem Zimmer als Wache zurück und leitete selbst die Aufsuchung des unglücklichen Peterson.
Margarethe hatte Karl's Hand ergriffen und hielt sie fest in der ihrigen. Sie sprach kein Wort, aber aus dem Blicke, mit dem sie dem Geliebten in die Augen schaute, leuchtete es deutlicher als alle Worte zu sagen vermögen hervor, daß sie ihn mit ihrem Herzen und ihren Gedanken nimmer verlassen, daß sie Alles aufbieten werde, um ihm die Freiheit zu bringen. Und Karl verstand diesen Blick. Er drückte ihr fest und innig die Hand und dieser Druck war wie ein Bündniß auf Leben und Tod.
Peterson hatte sich in den Keller geflüchtet, aber auch hier wurde er endlich aufgefunden. Ahnend was ihm bevorstand, wollte er sich vertheidigen, aber seine Wunden hinderten ihn daran. Er wurde von den Soldaten ergriffen, sein Degen wurde ihm entrissen und er selbst als Gefangener fortgeschleppt.
Als Karl fortgeführt wurde, schloß er Margarethe schweigend noch einmal in seine Arme. Er fühlte, wie laut und heftig das Herz des geliebten Mädchens schlug, wie ihr ganzer Körper erzitterte. Kein Wort, kein Laut kam von ihren Lippen, aber aus ihren Augen rief es ihm noch einmal zu: »Vertraue mir, ich werde Dir die Freiheit bringen und Dich erretten. Ich bin zwar nur ein Weib, aber ich fühle Muth und Kraft in mir, um Alles für Dich zu wagen und zu thun.«
Er wurde zu den übrigen Gefangenen in die Kirche fortgeführt, wo sie auf das Strengste bewacht wurden.
Margarethe kehrte von dem Unteroffizier, der gleichfalls entschlossen war, Alles zu wagen, um seinen Offizier und seine Kameraden zu befreien, begleitet, in das Haus ihres Onkels zurück. Mit größter Ungeduld war sie hier erwartet, denn Niemand wußte, was aus ihr geworden. Schluchzend warf ihre Schwester sich ihr in die Arme und machte ihr Vorwürfe, aber sie war von einem unerschütterlichen Muthe beseelt, der keine anderen Gefühle und Regungen in ihr aufkommen ließ. Abgeschlossen gegen ihre Umgebung hing sie nur dem einen Gedanken nach, dem Geliebten, dem sie das Leben errettet, auch die Freiheit zurückzugeben.
Es folgten für Margarethe traurige und angstvolle Tage. Die verschiedensten Gerüchte über das Schicksal, welches die Gefangenen zu erwarten hatten, liefen in der Stadt um. Der General Gratien hatte die Aeußerung gethan, daß er die Gefangenen nicht als Kriegsgefangene ansehe, sondern als mit den Waffen in der Hand aufgegriffene Meuterer und Landesverräther, und daß sie als solche behandelt werden sollten.
Ja, um sofort zu beweisen, daß er seine Worte in aller Strenge aufgefaßt hatte, ließ er mehre Bürger, welche vorzugsweise in dem Verdacht standen, Schill und seine Schaar begünstigt zu haben, verhaften und Peterson als Landesverräther und werkthätiges Instrument der getroffenen Vertheidigungsanstalten vor eine Kriegs-Kommission stellen.
Margarethe war unablässig bemüht gewesen, sich Zutritt zu Karl zu verschaffen. Die gefangenen Offiziere, eilf im Ganzen, waren schon am folgenden Tage von den Gemeinen getrennt und in ein besonderes, streng bewachtes Quartier gebracht worden. Margarethe hatte gehofft, daß die Ausführung ihres Vorhabens hierdurch erleichtert werden würde, aber all ihre Bemühungen waren gescheitert. Sie hatte die Wachen zu bestechen versucht, sie hatte flehendlich gebeten, ihr nur eine kurze Unterredung mit ihrem Geliebten zu gestatten – Alles war vergeblich gewesen.
Ihre Angst erreichte den höchsten Grad, als sie erfuhr, daß Peterson durch die Militär-Kommission, vor welche er gestellt worden, zum Tode verurtheilt war. Sie zitterte bei dem Gedanken, daß ihren Geliebten ein gleiches Geschick treffen könne. Und war sie es nicht gewesen, die den unglücklichen Peterson bewogen und gedrängt hatte, sich für Schill zu erklären, die ihn wider seinen Willen hineingetrieben in die Verhältnisse, welche jetzt ein so trauriges Ende nehmen sollten! War sie nicht die Ursache seines Todes!
Aber nein – er durfte nicht sterben, das über ihn gefällte Urtheil durfte nicht vollzogen werden. Auf ihre Veranlassung und Bitten gingen die angesehensten Bürger der Stadt zu dem holländischen General und baten um Peterson's Leben, auf ihre Bitten hatten sich des Unglücklichen Gattin und Kinder ihm zu Füßen geworfen und um die Erhaltung ihres Vaters und Versorgers, ihrer einzigen Stütze gefleht – Gratien war unerbittlich geblieben, nicht einmal einen Aufschub in der Vollstreckung des Urtheils hatte er bewilligt.
Da tauchte in Margarethe ein Gedanke auf und sie zögerte keinen Augenblick, ihn in Ausführung zu bringen, um dem Manne das Leben zu retten, den sie bewogen hatte, Schill's Partei zu ergreifen.
Sie selbst ging zu Gratien und bat um Peterson's Leben, aber auch ihr schlug der General diese Bitte ab.
»Er hat die Besatzung dieses Platzes an Schill verrathen« – sprach er – »denn hätte er nicht den Weg, der in den Rücken der Besatzung führte, gezeigt, so würde diese den Platz behauptet haben, denn in ihren Händen war alles Geschütz. Er ist ein Verräther und als solcher; verdient er den Tod.«
»Und wissen Sie, wer den Unglücklichen zu diesem Schritte bewogen hat?« – fragte Margarethe, indem ihre Wangen glühten und aus ihren Augen ein muthiges Feuer leuchtete. – »Wissen Sie, wer Peterson's Entschluß, neutral zu bleiben, zum Wanken gebracht und ihn fast wider seinen Willen zu Schill's Partei getrieben hat?«
»Ich weiß es nicht« – erwiderte Gratien ruhig. »Und es kümmert mich auch nicht. Peterson hat die That vollbracht und dadurch sein Leben verwirkt.«
»Ich habe ihn dazu bewogen« – rief Margarethe mit begeisterten Worten – »ich habe ihn fast mit Gewalt dazu getrieben und hätte er es nicht gethan, so würde ich Schill's tapfrer Schaar den Weg gezeigt haben und ich wäre stolz darauf, wenn ich eine solche That vollbracht hätte. Verdient diese That den Tod, so habe ich ihn verdient, denn ich habe sie hervorgerufen, ich bin die Schuldige.«
Gratien konnte sich des Staunens nicht erwehren, als er diese Worte des schönen und begeisterten Mädchens hörte. Wie eine Heldin stand sie vor ihm. Kein Zug in ihrem Gesichte verrieth eine weibliche Schwäche und Bangigkeit, und doch lag in diesem Gesichte eine so unendlich liebliche Weiblichkeit ausgeprägt.
»Nicht der Rath, sondern die That wird bestraft« entgegnete der General, indem seine Augen auf dem Antlitze des Mädchens ruhten. – »Der Verurtheilte hat gegen uns gekämpft, er wurde mit den Waffen in der Hand ergriffen, und nur durch die Flucht hat er sich uns entzogen, bis wir seiner wieder habhaft geworden sind.«
»Auch ich habe gegen Sie gekämpft, auch diese Hand hat die Waffen geführt« – rief Margarethe begeistert. – »Weshalb bin ich weniger schuldig als jener Unglückliche?«
»Weil Sie eine Dame sind« – erwiderte der General, auf den die Schönheit des Mädchens nicht ohne Eindruck geblieben war, lächelnd. – »Wären Sie ein Mann, so würde ich auch Sie bestrafen müssen.«
»Kann mein Geschlecht mich vor Strafe schützen, da es mich nicht abgehalten hat, dasselbe Vergehen zu begehen, wie der unglückliche Peterson!« – rief Margarethe unwillig. – »Und wenn er wirklich schuldiger sein sollte als ich es bin, ist sein Vergehen so groß, daß er es mit dem Tode büßen muß? Er hat Frau und Kinder, ohne ihn sind sie ohne Ernährer und ohne Beschützer, ohne ihn sind sie außer ihrem Schmerze dem größten Elende preisgegeben. Und weshalb dies Alles – nur weil ihr Vater das Unglück hatte, einer Partei anzugehören, die einer größeren Uebermacht unterlag!«
Gratien zuckte schweigend mit den Achseln. – »Das Todesurtheil mag Ihnen in diesem Falle hart erscheinen« – sprach er endlich – »aber gewiß ist es nicht ungerecht. Wollte ich Gnade üben, so hieße dies einen Freibrief ausstellen für alle Landesverräther und Empörer!«
»Herr General« – rief Margarethe vor Unmuth entflammt. – »Wir stehen auf deutschem Boden und haben gegen Deutschlands Feind gekämpft, ist das ein Landesverrath, ist das Empörung? Dann wird einst die Zeit kommen, wo Tausende und aber Tausende zu Landesverräthern werden, aber man wird sie als die Retter ihres Vaterlandes preisen, weil sie die Sieger sein werden!«
»Halten Sie ein« – unterbrach sie der General. »Ich darf solche Worte selbst von einer Dame nicht dulden, und ich möchte nicht, daß ich genöthigt würde, auch gegen Sie hart zu erscheinen.«
»Ich fürchte mich nicht« – entgegnete Margarethe ruhiger. – »Herr General« – fuhr sie nach kurzem Schweigen fort – »kann nichts das Leben des Unglücklichen erretten?«
»Nichts« – erwiderte Gratien ernst. – »Sein Todesurtheil ist ausgesprochen, es muß vollzogen werden!«
Margarethe wollte sich, erschüttert, entfernen, aber sie zögerte, um noch eine Frage an den unerbittlichen Mann zu richten.
»Und welches Schicksal wird die treffen, welche das Unglück hatten, als Gefangene in Ihre Hände zu fallen?« – fragte sie.
Wieder zuckte der General mit den Achseln, fügte aber gleich darauf hinzu: »Das wird von dem Ausspruche des Gerichts abhängen, das über sie zu urtheilen hat.«
Margarethe zuckte erschrocken zusammen, denn was durfte sie von einem Gerichte hoffen, daß nur aus Feinden dieser Männer zusammengesetzt war. Sie suchte ihre Bestürzung vor den Augen des sie scharf beobachtenden Mannes zu verbergen und entfernte sich schweigend.
Ihr Muth und auch ihre Kräfte schienen geschwunden zu sein, als sie heimkehrte und sich gestehen mußte, daß nichts, nichts im Stande sei, das Leben des unglücklichen Peterson zu erretten. Kaum dachte sie aber wieder an ihren Geliebten und die ihn bedrohende Gefahr, so fühlte sie sich wieder gekräftigt und ihre Brust von entschlossenem Muthe erfüllt. Sie mußte ihn erretten und sie wollte es.
Mild und heiter erhob sich die Sonne am folgenden Morgen, am vierten Juni Dieser Tag brach so still und ruhig über die Stadt herein, als ob es unmöglich wäre, daß er durch irgend ein Ereigniß getrübt werden könne, und doch war dieser Tag zur Vollstreckung des Todesurtheils an dem armen Peterson bestimmt.
Von einer starken Abtheilung holländischer Jäger eingeschlossen wurde der Unglückliche auf die Batterie am Knieper Thore geführt. Dieselbe Batterie, deren Errichtung er geleitet, welche er so tapfer vertheidigt hatte. Gefaßt betrat er sie, denn er hatte seine Rechnung mit dem Leben bereits abgeschlossen. Einige Minuten später und mehre Schüsse hallten in der Stadt wider. Von mehren Kugeln durchbohrt hatte das Leben des unglücklichen Lieutenants ein rasches Ende gefunden.
Keiner von denen, welche ihn fallen sahen, weinte ihm eine Thräne nach, denn es waren nur feindliche Augen, welche in seiner letzten Stunde auf ihn geschaut hatten, aber um so reichlicher waren sie für ihn in der Stadt geflossen. Margarethe hatte sich zu seiner Frau und seinen Kindern begeben, um sie in dieser schweren, schweren Stunde zu trösten. Sie bedurfte zwar selbst des Trostes, denn ihr Herz war von den bangsten und qualvollsten Gefühlen gemartert, aber sie dachte nicht an sich, sie war stark genug, ihren eigenen Schmerz zurückzudrängen.
Ob sie wirklich im Stunde war, Trost zu bringen? Es ist schwer, für einen solchen Schmerz beruhigende und tröstende Worte zu finden, aber schon ein Auge mehr, das um einen Geliebten weint, bringt Milderung. Und es ist fast, als ob solche Thränen auf das gequälte Herz selbst tropften und es stiller und stiller machten, und seinen Schmerz in trauernde Wehmuth auflösten.
Margarethe besaß in dem Unteroffizier Lange einen eben so schlauen wie unerschrockenen Verbündeten und Spion. Er hatte Alles versucht, um zu den gefangenen Offizieren zu gelangen, es war ihm indeß nicht geglückt, denn sie wurden außerordentlich streng bewacht, und es mißlang ihm, die Wachen zu bestechen. Da hatte er den entschlossenen Plan gefaßt, die Gefangenen zu befreien. Margarethe unterstützte ihn hinreichend mit Mitteln.
Die einzige Möglichkeit, die Befreiten aus der Stadt entfliehen zu lassen, bot ihm der Hafen dar, der weniger streng als die Thore bewacht war. Hier konnten sie auf Kähnen während der Nacht entkommen und das preußische Gebiet erreichen. War dieser Fluchtweg auch mit vielen Gefahren verknüpft, so wußte Margarethe doch nur zu gut, daß jeder der Befreiten die größte Gefahr der Gefangenschaft vorziehen werde.
Schon hatte Lange zwei zuverlässige Männer mit Kähnen gewonnen und in seine Dienste genommen. Es blieb ihm nur noch übrig, die Befreiung selbst auszuführen. Dies war freilich das Schwierigste, aber er bebte nicht davor zurück. Im schlimmsten Falle konnte es ihm mißlingen und er sein Unternehmen mit dem Tode büßen. Aber auch dieser Gedanke hatte nichts Entmuthigendes für ihn, denn zu oft hatte er dem Tode in's Auge geblickt, oft, wo es sich um eine weniger wichtige Sache gehandelt hatte als jetzt.
Auch über den Befreiungsplan war Lange mit sich im Klaren. Ein kleines Haus stieß an das Gebäude und an das Zimmer, in welchem die Gefangenen eingeschlossen waren. Nur durch eine gewöhnliche Wand waren beide getrennt. Diese Wand wollte Lange durchbrechen und so den Gefangenen einen Weg zur Flucht bahnen. Den Besitzer des kleinen Hauses hatte er durch reiche Belohnung für sich gewonnen und, um ihn der Rache des Feindes zu entziehen, sollte derselbe mit ihnen fliehen, wozu er sich auch bereitwillig entschlossen hatte.
Zwar wurde auch das kleine Haus von der Straße aus streng bewacht und hier war eine Flucht unmöglich, um so leichter war sie aber durch den Hof und einen anstoßenden Garten auszuführen.
Lange würde keinen Augenblick gezögert haben, diesen Plan in's Werk zu setzen, aber um das Gelingen möglichst sicher zu machen, war es nothwendig, die Gefangenen zuerst davon in Kenntniß zu setzen, damit auch sie sich darauf vorbereiteten, und hierzu hatte sich ihm noch keine Gelegenheit geboten. Margarethe hatte an Karl geschrieben und ihm den ganzen Plan mitgetheilt, Lange trug den Brief in seiner Tasche, hatte aber noch keinen Weg gefunden, ihn den Gefangenen zukommen zu lassen.
So viel er erfahren hatte, wollte der General Gratien erst am 15. Juni mit seiner Division von Stralsund aufbrechen und die Gefangenen mit sich nehmen. Lange hatte also noch hinreichende Zeit und es schien ihm besser, wenn er seinen Plan erst kurz vor dem Ausrücken in's Werk setzte, als daß er sich damit übereilte und vielleicht Alles verdarb.
Nur Eins hatte er nicht bedacht, daß er die Nachricht über das Ausrücken des Generals nicht aus einem zuverlässigen Munde erfahren hatte, und hierdurch scheiterte sein ganzer Plan.
Am Morgen des 9. Juni rasselten die Trommeln durch die Straßen Stralsunds und riefen alle feindlichen Truppen zusammen. General Gratien kündete ihnen an, daß er an diesem Tage mit der Hälfte seiner Division und mit den Gefangenen Stralsund verlassen werde und daß ihm die andere Hälfte am nächsten Tage folgen solle.
Mehre hundert Wagen aus der Stadt und der Umgegend wurden sofort requirirt, um die Truppen und die Gefangenen fortzuschaffen, und kaum zwei Stunden darauf begann schon das Ausrücken. Die Gefangenen wurden je zwei an einander gefesselt auf den Wagen vertheilt und durch Soldaten streng bewacht.
Als Margarethe hiervon Kunde erhielt, war sie auf das Heftigste erschrocken. Der Befreiungsplan, auf den sie so große Hoffnungen gebaut, war vernichtet, sie wußte nicht, ob sich zum zweiten Male eine Gelegenheit dazu bieten werde, denn in den nächsten Tagen konnte ja schon über das Geschick ihres Geliebten entschieden werden.
Sie erzitterte bei dem Gedanken hieran, zugleich rief ihr aber auch eine Stimme zu, daß sie ihn nimmer verlassen dürfe, daß sie die Einzige sei, welche ihn zu erretten vermöchte, und ein entschlossener Muth erfüllte sie wieder.
Ehe Karl indeß die Stadt verließ, mußte sie ihn noch einmal sehen, um ihm einen Gruß zu senden, um ihm durch ihren Blick zu sagen, daß er auf sie hoffen möge.
Als der lange Zug der Wagen, auf welchen die Gefangenen und ihre Wächter saßen, von dem Markte aus sich in Bewegung setzte, stand Margarethe wieder wie vor wenigen Tagen, als Schill mit seiner tapfern Schaar in die Stadt gesprengt kam, neben ihrer Schwester am offenen Fenster in dem Hause ihres Onkels, denn vor den Fenstern mußte der Zug vorüberfahren, und dies war die einzige Gelegenheit, den Geliebten noch einmal zu sehen.
Es lagen nur wenige Tage zwischen jener Stunde und jetzt, und welche Veränderung war in dieser kurzen Zeit mit Margarethe vorgegangen! Wo war die sorglose Heiterkeit geblieben, welche damals in ihrem schönen Gesichte lag! Wie an jenem Tage fielen auch heute ihre reichen schwarzen Locken über ihre Schläfen und ihre Wangen herab, aber unbekümmert und ruhig ließ sie dieselben hängen, ihr Kopf schien die Kraft und die Lust verloren zu haben, dieselben wie damals in den Nacken zurück zu werfen. Ihre Wangen waren bleich und ihren Augen sah man es an, daß sie viel geweint hatten, und doch blickte noch Muth und Feuer aus diesen Augen hervor.
Gabriele hatte den Arm um die Taille ihrer Schwester gelegt und deren Kopf an ihre Schulter gezogen.
»Sei gefaßt, sei ruhig, Margarethe« – sprach sie. – »Karl ist zwar jetzt Gefangener, aber er wird auch wieder frei werden und dann wirst Du ihn wiedersehen.«
»Ja, ich werde ihn wiedersehen« – rief Margarethe, indem sie ihren Kopf entschlossen emporhob – »ich will ihn wieder sehen! Oder glaubst Du, daß ich ihn verlassen werde, jetzt, da er meiner bedarf? Ich werde ihm folgen, und mag er bis an das Ende der Erde geführt werden.«
»Du willst ihm folgen?« – fragte Gabriele erstaunt, indem sie unwillkürlich ihren Arm von der Taille ihrer Schwester löste. – »Du willst ihm folgen?« – wiederholte sie noch einmal, da sie diesen Gedanken noch immer nicht zu fassen vermochte. – »Du als ein Mädchen ohne Schutz und Beistand?«
»Ich fürchte nichts für mich« – entgegnete Margarethe ruhiger. – »Ich habe nur das eine Ziel im Auge, ihm stets nahe zu sein, um ihm die Freiheit zu bringen, sobald es möglich ist. Weshalb soll ich als Mädchen weniger wagen und unternehmen, als wenn ich ein Mann wäre? Oder glaubst Du, daß Karl, wenn ich in seiner Lage wäre, einen einzigen Augenblick zögern würde, Blut und Leben für mich einzusetzen! Glaubst Du nicht, daß auch er mir folgen würde, daß auch er keinen anderen Gedanken hätte, als mich zu erretten! Ich will mich seiner nicht unwürdig zeigen, Gabriele, ich fühle Muth und Kraft in mir, für ihn mein Leben zu opfern, oder zum wenigsten mit ihm vereint zu sterben!«
»Margarethe, Margarethe!« – rief die Schwester erschrocken zurückfahrend. – »Und hast Du keinen andern Gedanken als ihn, denkst Du nicht auch an Deine Schwester? Wird es Dir so leicht, mich zu verlassen, gelte ich Deinem Herzen nichts mehr?«
»Ich würde für Dich dasselbe thun, wenn Du in Gefahr wärest« – rief Margarethe, indem sie heftig ihre Schwester mit den Armen umschlang. – »Auch für Dich würde ich mein Leben opfern, wenn es sein müßte. Weine nicht, Gabriele, schüttle nicht zweifelnd Dein Haupt, ich würde es thun, so wahr ich Deine Schwester bin. Ich weiß, daß Du mich nicht verstehst, weil Du anders fühlst als ich. Dein Herz schlägt ruhig und sanft, Du liebst die Ruhe und den Frieden, und bist nicht geschaffen, Gefahren beherzt ins Auge zu sehen, Du erzitterst schon bei dem Gedanken daran. Du kannst nicht dafür, aber ist es meine Schuld, daß mein Herz unruhiger und glühender schlägt? – Sieh', Gabriele, als Schill vor wenigen Abenden hier sprach, daß er aus Stralsund ein zweites Saragossa machen wollte, da zuckten diese Worte mit Allgewalt durch meine Brust. Mit einem Male stand das Mädchen von Saragossa, welches für den gefallenen Bruder in die Reihe der Kämpfenden trat und an der Seite ihres Geliebten das Schwert für ihre Vaterstadt und ihr Vaterland schwang – da stand sie mit einem Male wie eine Heldin, wie eine Göttin vor meinem Geiste da, und ich vermochte dies Bild nicht wieder zu verscheuchen. ›Auch du könntest eine solche Heldin werden‹ – rief mir stets eine innere Stimme zu – ›auch du könntest an der Seite deines Geliebten für Dein Vaterland kämpfen!‹ Und diese Stimme fachte die in mir lebende Begeisterung zu einem unauslöschlichen Feuer an. Deshalb hat es mich hinaus getrieben in die Reihen der Männer, als ich diese Stadt bedroht sah. Ich dachte nicht daran, daß ich nur ein Mädchen war, ich fühlte die Kraft des Mannes in meinem Arme – und, Gabriele, an seiner Seite habe ich gefochten, sein Leben habe ich errettet, ihn habe ich in meinen Armen aufgefangen, als er von einer Kugel getroffen niedersank! Und jetzt, wo er in Gefahr, wo seine Freiheit verloren, sein Leben bedroht ist, jetzt soll ich ihn verlassen, jetzt soll ich bange zurückweichen! Ich kann es nicht, ich darf es nicht, Gabriele! Du fühlst nicht, wie mächtig mein Herz schlägt, Du vermagst nicht zu begreifen, daß es für mich keinen schöneren, seligeren Gedanken gibt, als für ihn mein Leben zu wagen, oder mit ihm zu sterben!«
Sie hatte diese Worte mit hinreißender Begeisterung gesprochen. Ihre Wangen waren geröthet von dem Feuer ihres Innern und ihr Herz pochte laut und glühend.
In diesem Augenblicke fuhren die Wagen mit den Gefangenen vor dem Hause vorüber. Margarethe bemerkte sie und bog sich zum Fenster hinaus. Auf ihren Wangen flammte noch die Röthe der Begeisterung. Ihre Augen blickten suchend von einem Wagen zum andern. Da erblickte sie endlich den Geliebten, der gleichfalls die Augen zum Fenster emporgerichtet hatte und ihr mit wehmüthigem Schmerze entgegenlächelte. Mit einem leisen, unterdrückten Schrei fuhr sie erschrocken zurück, als sie das bleiche Gesicht des geliebten Mannes erblickte, der wie ein Verbrecher, von Soldaten bewacht, auf dem Wagen saß.
Die Röthe war für einen Augenblick von ihren Wangen gewichen und hatte einer Todtenblässe Platz gemacht, aber nur für einen Augenblick, denn mit aller Kraft faßte sie sich sogleich wieder und blickte wieder begeistert und grüßend zu dem Geliebten hinab. Ihr Blick, ihre Augen mußten ja für sie in diesem Augenblicke die einzige Sprache sein. Nur durch sie konnte sie ihm zurufen, daß er muthig ausharren möge, denn sie werde ihm folgen, sie werde ihn nimmer, nie verlassen, durch ihre Hand solle er die Freiheit wieder erhalten. Und er schien ihren Blick zu verstehen, denn auch über seine Wangen zuckte es wie eine schwache Röthe, seine Augen blickten feuriger und grüßend nickte er ihr zu.
Der Wagen fuhr vorüber und Margarethe blickte ihm nach, als ob sie mit diesem Blicke den Geliebten zurückhalten und an ihr Herz ziehen wolle. Noch einmal blickte sich Karl um und nickte ihr mit dem Kopfe zu, dann verschwand der Wagen unter dem Thore.
Als Margarethe ihn nicht mehr erblickte, war es ihr mit einem Male, als ob sich eine tiefe Kluft zwischen ihrem Herzen und dem Geliebten geöffnet habe. Sie wollte ihm nacheilen und ihn erretten, aber diese Kluft vor ihr hielt sie zurück. Sie wollte sich verzweiflungsvoll hineinstürzen, aber auch das vermochte sie nicht, denn ihre Glieder versagten ihr den Dienst und sie mußte sehen, wie ihr Geliebter am jenseitigen Rande zum Tode verurtheilt, von den Kugeln des Feindes getroffen todt niederstürzte.
In größter, gewaltiger Aufregung und nicht länger im Stande, die Gefühle ihres Herzens zurück zu halten, warf sie sich laut schluchzend an den Hals ihrer Schwester, welche sie lieb mit ihren Armen umfing. Es war nicht Schwäche, es war nicht banges Zurückbeben vor den Gefahren, welche ihr Entschluß mit sich brachte, sondern ein Tribut, den sie ihrem Herzen und ihrer Liebe schuldig war. Es war der Schmerz über die Trennung von ihrem Geliebten und der Abschied von ihrer Schwester, der Abschied von einem Leben, welches für sie bis dahin ruhig entschwunden war.
Ihr Entschluß stand noch unerschütterlich in ihr fest. Ehe sie ihn indeß zur Ausführung brachte, mußte sie den früheren Gefühlen und Pflichten ihres Herzens sich noch einmal, vielleicht zum letzten Male hingeben. Das war es, was sie schmerzte.
An dem Abende dieses Tages schritt Margarethe in Reisekleidern und von Lange begleitet aus dem wieder freigegebenen Thore Stralsunds. Ihre Wangen glühten noch von den Thränen und dem Schmerze des Abschieds, aber die frische Abendluft kühlte sie bald und verwischte jede Spur eines innern Kampfes. Nur eins kühlte und verwischte sie nicht: den begeisterten Muth und die Freude, jetzt für ihren Geliebten Alles wagen zu können.
Rasch schritt sie auf dem Wege, welchen der General Gratien eingeschlagen hatte, weiter. Sie achtete nicht der hereinbrechenden Dunkelheit und fühlte keine Ermüdung. Ihr Begleiter bat sie, sich eine kurze Erholung zu gönnen, sie wollte nichts davon hören, denn schon der Gedanke, daß sie mit jedem Schritte ihrem Geliebten wieder näher komme, trieb sie rastlos weiter. Und wie war es anders möglich, ihn zu befreien, als wenn sie in seiner Nähe war.
Erst am Abend des folgenden Tages gelang es ihnen, die Vorausgeeilten wieder einzuholen. Lange, der als fahrender Handelsmann verkleidet war, suchte sich dem Wagen zu nähern, um einen Brief Margarethe's in Karl's Hände gelangen zu lassen. Unerschrocken und ruhig trat er an den Wagen heran. Zum Unglück erkannte ihn einer der gefangenen Offiziere und war so sehr überrascht, daß er sein Staunen nicht zu verbergen vermochte. Die wachehaltenden Soldaten schöpften Verdacht und nur durch rasche Flucht rettete Lange sein Leben, ohne daß ihm die Ausführung seines Planes gelungen wäre.
Margarethe war über diesen neuen fehlgeschlagenen Versuch auf das schmerzlichste betrübt. Sie fragte nichts nach den Mühen und Beschwerden, denen sie ausgesetzt war, aber jede Verzögerung in der Ausführung ihres Planes verlängerte auch die Leiden ihres Geliebten. Er konnte ja von seinen Wunden noch nicht wieder genesen sein, sie hatte sich über seine bleichen abgezehrten Wangen nicht getäuscht. Und wie konnte er sich jetzt davon erholen, da er Tag und Nacht auf dem Wagen zubringen mußte, ohne eine Stunde der Ruhe und Erholung.
Der Gedanke hieran zehrte wie der bitterste Schmerz an ihr und erschöpfte ihre Kräfte, aber ihre geistige Entschlossenheit, ihr Streben, den Geliebten zu befreien, hielt sie aufrecht und ließ sie selbst Beschwerden ertragen, welche über ihre Kräfte hinausgingen.
Ohne Karl gesehen zu haben, ohne ihm ein Zeichen von ihr zukommen lassen zu können, war sie dem holländischen Korps und den Gefangenen stets gefolgt, und langte endlich an demselben Tage wie diese, am 16. Juni, in Braunschweig an.
Hier sollten die Gefangenen so lange bleiben, bis von dem Könige von Westphalen die Entscheidung eingetroffen sei, ob sie nach Magdeburg oder nach Frankreich geführt werden sollten. Die Offiziere wurden in einem Gefängniß neben der Wache des Augustthores gleich Verbrechern eingesperrt, ungewiß über das Schicksal, das sie erwartete.
Mit der ihn auszeichnenden Schlauheit und Verwegenheit hatte Lange sofort am folgenden Tage die Umgebungen dieses Gefängnisses untersucht. Es lag nur nach einer Seite hin frei, an welcher es bewacht wurde, um so leichter erschien ihm aber die Befreiung. Mochte auch die Stadt von feindlichen Truppen besetzt sein, unter den Bürgern traf er die wärmsten Sympathien für die Gefährten des Mannes, auf den sie mit heimlicher Freude als Deutschlands Befreier geblickt hatten.
Noch war Lange über seinen Befreiungsplan nicht einig mit sich, denn ehe er denselben fest bestimmte, mußte er sich mit den Gefangenen selbst in Verbindung und Einverständniß setzen, und ehe ihm dies gelang, waren wieder einige Tage nutzlos verstrichen.
Endlich glückte es ihm. In der Tracht eines Braunschweigers und mit einigem Tischlerhandwerkszeuge in der Hand, welches er sich durch Margarethens Mittel, mit denen sie reichlich versehen war, verschafft hatte, ging er dreist an der Wache vorüber und trat in das Gefängnißgebäude ein. Die Wache ließ sich durch ihn täuschen und hielt ihn nicht an, da sie glaubte, er sei ein bestellter Arbeiter. Schnell fand er sich in dem Hause zurecht. Niemand hielt ihn zurück. Als er sich dem Raume, in welchem die Gefangenen waren, genährt hatte, schob er rasch einen auf seiner Brust verborgen gehaltenen Brief unter der etwas abstehenden Thür hindurch in das Zimmer.
Sofort kehrte er dann zurück. Er hätte laut aufjubeln mögen, daß ihm dieser erste Schritt so trefflich geglückt war, aber er bewahrte äußerlich seine völlige Ruhe.
Er klopfte an die Thüre des Gefängnißwärters, und als dieser heraustrat, fragte er ihn mit dem gleichgiltigsten Gesichte, wo die Thüre sei, welche er ausbessern solle.
»Was wollt Ihr« – fragte der Gefängnißwärter erstaunt. – »Ich habe keine Thüre, die nöthig hätte, ausgebessert zu werden.«
»Ich bin aber hierher bestellt« – erwiderte Lange.
»Niemand hat Euch bestellt« – rief der Wärter unwillig, »denn ich weiß nichts davon und brauche Euch nicht. Man wird Euch zum Narren gehabt haben, Freund, deshalb geht zu denen zurück, welche Euch hierher geschickt haben.«
Mit scheinbar unwilliger Miene verließ der Abgewiesene das Haus. Er hätte laut auflachen mögen, bezwang sich aber, bis er eine Nebengasse erreicht hatte, dann ließ er seiner heiteren Stimmung freien Lauf.
Der Brief ward von den Gefangenen sofort bemerkt und mit vor Freude zitternder Hand hatte ihn Karl erbrochen, denn in der Aufschrift erkannte er Margarethens Hand. Seine Augen erglänzten freudig, als er ihn las, und seine Wangen rötheten sich.
»Sie ist hier, sie ist uns gefolgt – sie geht damit um, uns zu befreien« – rief er plötzlich begeistert zu seinen Schicksalsgefährten. – »Ha daran erkenne ich meine Margarethe! Ihre Hand hat mir nicht allein das Leben gerettet, sie will mir auch die Freiheit wieder geben und nicht mir allein, sondern Euch allen, Euch allen! Und sie wird es« – fügte er hinzu – als seine Kameraden ihn umringt hatten – »sie wird es thun, denn ich kenne ihren Muth und ihre Begeisterung.«
Diese begeistert ausgerufenen Worte Karl's hatten unter Allen eine freudige Ueberraschung hervorgerufen, denn Freiheit war ja für sie das höchste Streben. Nur Einer schien wenig dadurch berührt zu sein. Dies war der älteste von ihnen allen, der Lieutenant Leopold Jahn aus Massow in Pommern. Auch er war erst ein und dreißig Jahre alt, aber die meisten seiner Gefährten hatten ja kaum das zwanzigste Jahr überschritten. Er war ein ernster und fester Charakter, schweigsam für gewöhnlich, aber beredt, wenn ihn Begeisterung erfaßt hatte, oder wenn es galt, seine Ideen zu vertheidigen. Er hatte das traurige Loos der Gefangenschaft von Allen mit der größten Ruhe ertragen und keine Klage war über seine Lippen gekommen. Und doch war er von Allen vielleicht am meisten durch die Schmach dieser Gefangenschaft ergriffen.
Als er hörte, wie seine Gefährten Karl's Worte mit unverhohlener Freude aufnahmen, wandte er sich ab, und ein bitteres Lächeln zuckte über sein Gesicht.
»Hört« – sprach er endlich, indem er sich an seine Gefährten wandte – »die Hoffnung der Freiheit erfüllt Euch mit Freude, ich verarge es Euch nicht, denn auch ich werde den Augenblick, in dem ich wieder frei werde, als den glücklichsten meines Lebens ansehen. Aber ich will eine andere Freiheit als Ihr. Es ist wahr, man behandelt uns wie Verbrecher, deshalb laßt uns nicht wie Verbrecher, die sich vor der Strafe fürchten, durch die Flucht unsere Freiheit erringen. Oder fürchtet Ihr Euch vielleicht vor der Strafe, vor dem Geschicke, das uns erwartet? Wir sind mit den Waffen in der Hand ergriffen, aber wir sind immerhin nur Kriegsgefangene! Wir haben nicht unser Interesse verfolgt, sondern für die Befreiung unseres ganzen deutschen Vaterlandes haben wir Freiheit, Blut und Leben eingesetzt. Und gerade unser Kampf für Deutschlands Befreiung ist der Schild, der uns schützt, denn Tausende von Herzen in allen Landen und Gauen unseres Vaterlandes schlagen wie die unsern und sind im Geiste eng mit uns verbündet. Sie werden unsere Freiheit fordern von denen, welche sie uns genommen, sie werden Genugthuung verlangen für die Schmach, welche uns angethan ist. – Glaubt Ihr, daß wir nicht schon längst frei sein könnten, wenn wir die Freiheit durch die Flucht erkaufen wollten! Ha, mehr als einmal habe ich auf der Reise hierher, wenn Nachts unsere Wächter schliefen, gedacht, jetzt wäre es ein leichtes zu entfliehen, auch mich hat der Gedanke, frei zu sein, verlockt, aber ich habe ihn mit aller Macht zurückgedrängt. Denn ich mag nicht als Flüchtling, wie ein Verbrecher umherirren und mich vor der Polizei und den Spionen unseres Feindes verbergen, ich mag nicht für immer das Geständniß mir aufbürden, daß ich durch die Flucht mir errungen, was ich als ein gutes Recht zu fordern habe. Wenn ich wieder frei bin, dann will ich auch mit offenem und ehrenvollen Gesichte wieder in die Reihe derjenigen Männer treten können, welche für Deutschlands Freiheit kämpfen. Oder habt Ihr Lust, wenn Ihr frei geworden seid, die Waffen ruhen zu lassen und Euch in Geduld unter das Joch und die Schmach der Knechtschaft zu beugen?«
»Nein, nein, unser Arm, unser Blut und Leben gehört unserm Vaterlande« – riefen die Gefangenen einstimmig und begeistert. – »Die Fahne, der wir geschworen, ist nicht gefallen, sie flattert noch frei und gewaltig in Tausenden von Herzen, denn es ist eine Fahne des Geistes, die Fahne der Freiheit!«
»Und Ihr sollt wieder unter dieser Fahne kämpfen« – fuhr Jahn fort. – »Ihr sollt frei werden, frei auf eine ehrenvolle Weise, das gelobe ich Euch. Ich habe schon Schritte deshalb gethan und wollte sie Euch verschweigen, bis die Stunde der Freiheit gekommen sei jetzt kann ich sie nicht mehr geheim halten, ich muß sie Euch mittheilen. Seht, als ich gefangen wurde, habe ich einen mir ergebenen und zuverlässigen Diener an meine Frau abgesandt, um ihr meine Gefangenschaft mitzutheilen und ihr die Schritte anzugeben, welche sie thun sollte, um mich und Euch auf ehrenvolle Weise daraus zu erlösen. Sie ist eine geborene Reichsgräfin von Pappenheim und ein naher Anverwandter von ihr hat eine sehr einflußreiche Stellung am baierischen Hofe. Er gilt viel beim Könige und durch seine Verwendung werden wir die Freiheit erlangen, indem wir mit anderen Gefangenen ausgetauscht werden. Seht, das ist es, weshalb ich in keinen Fluchtplan willigen werde. Ich sehne mich wie Ihr nach der Freiheit, aber ich will sie nur auf eine Weise erlangen, welche der Ehre eines Soldaten, eines Schill'sche Soldaten, nicht zuwiderläuft. Das ist es. Wir werden vielleicht noch eine Zeitlang in Gefangenschaft bleiben, aber wenn wir endlich frei werden, können wir auch als freie Männer auftreten und haben nicht nöthig, uns wie Verbrecher zu verbergen. Jetzt sagt, ob ich recht gehandelt habe, sagt, ob Ihr mit mir ausharren wollt.«
Von seinen Worten ergriffen und begeistert traten Alle ohne einen Einwurf zu machen auf seine Seite.
»Es ist gut« – fuhr Jahn fort – »so gebt mir jetzt Euer Ehrenwort darauf, daß sich keiner von Euch durch die Flucht der Gefangenschaft und der Untersuchung, welche unser vielleicht wartet, entziehen will. Wir sind Krieger und Kämpfer für Deutschlands Freiheit, aber keine Verbrecher.«
Mit Begeisterung gab ihm ein jeder sein Ehrenwort, und legte die Hand in die seinige. Er hatte an ihre Ehre als Soldaten appellirt und diese galt ihnen noch höher als Freiheit und Leben. Ja, sie wollten ausharren, bis ihnen von denen die Freiheit wieder gegeben wurde, welche sie ihnen genommen.
Der Abend war hereingebrochen und die kleine Lampe, welche den Gefangenen vergönnt war, erhellte das düstere Gefängniß nur spärlich. Da wurde die Thüre geöffnet und eine Frauengestalt trat ein. Erstaunt blickten die Gefangenen dieselbe an, nur Karl erkannte sie sofort und eilte ihr mit dem Rufe: »Margarethe, Margarethe!« entgegen. Er schloß sie in seine Arme, und als er fühlte, wie ihr Herz laut an das seinige pochte, hatte er Alles vergessen, was ihn noch vor wenigen Stunden mit Schmerz und Trauer erfüllt hatte.
»Hast Du meinen Brief erhalten?« – fragte Margarethe.
»Ja, vor wenigen Stunden, und mit Freude und Bangen zugleich ersah ich aus ihm, daß Du uns hierher gefolgt warst. Mir bangt vor den Gefahren, denen Du Dich ausgesetzt hast.«
»Gefahren!« – wiederholte Margarethe lächelnd. »Bist Du nicht noch hundertmal mehr in Gefahr als ich? Würdest Du einen Augenblick gezögert haben, Alles für mich zu wagen und zu thun, wenn ich gefangen wäre?«
»Nein, nein« – rief Karl begeistert – »Dir gehört ja mein Leben!«
»Und gehört Dir das meinige etwa weniger?« fuhr Margarethe fort. – »Ich habe gelobt, Dir die Freiheit zu bringen, ich werde Wort halten. Sieh, das ist es, was mich getrieben, Dir zu folgen. Schon in Stralsund hatte ich mit Lange einen Plan vorbereitet, Euch zu befreien. Noch eine Nacht und Ihr wäret frei gewesen; leider wurdet Ihr unerwartet fortgeführt. Aber hier, hier soll es uns nicht mißlingen!«
Ein wehmüthiges Lächeln zuckte über Karl's Gesicht, die Freiheit lachte ihm so golden entgegen, noch dazu als ein Geschenk aus der Hand seiner Geliebten, die sie mit Mühen und Beschwerden, selbst mit Gefahr für ihr Leben errungen, und er hatte sich durch sein Ehrenwort gebunden, sie nicht anzunehmen, sondern im Gefängnisse auszuharren, bis sie ihm von anderer Hand oder durch den Spruch des Richters gegeben würde.
»Nein, nein, Margarethe!« – rief Karl – »ich kann nicht fliehen, wir dürfen nicht wie Verbrecher aus dem Gefängnisse entweichen; durch unser Ehrenwort haben wir uns verpflichtet, auszuharren, bis der Urtheilsspruch unserer Richter gesprochen ist, bis wir durch ihn die Freiheit erhalten oder mit anderen Gefangenen ausgetauscht werden. Ich darf nicht fliehen, selbst wenn Deine Hand mir die Gelegenheit dazu bietet.«
»Du darfst nicht fliehen?« – rief Margarethe, indem sie unwillkürlich und erschrocken einen Schritt zurückwich. – »Du hast Dich durch Dein Ehrenwort gebunden? Du willst den Richterspruch Deiner Feinde abwarten und und hoffst durch ihn Deine Freiheit zu erhalten? Du täuschest Dich, Karl; Du hoffst auf Gnade, wo sie Dir nie zu Theil werden wird!«
»Gnade erwarten wir nicht« unterbrach sie Karl. »Wir sind Kriegsgefangene, wenn man uns schon wie Verbrecher behandelt, und nur als Kriegsgefangene kann man uns verurtheilen.«
»Ja, man will Euch vor ein Gericht stellen« fuhr Margarethe aufgeregt fort – »aber nicht als Kriegsgefangene, sondern als Landesverräther und Meuterer. Aus des Generals Gratien eigenem Munde weiß ich es, deshalb bangt mir vor jeder Stunde, welche Du länger im Gefängnisse zubringst, deshalb habe ich nicht eher Ruhe, als bis ich Dich frei weiß!«
»Als Landesverräther und Meuterer!« – rief Jahn, der die Worte gehört hatte und seinen Unwillen nicht länger zurückzuhalten vermochte. – »Wir haben für die Freiheit unseres Vaterlandes gefochten, wir haben gegen den die Waffen ergriffen, der ganz Deutschland unter das Joch der Knechtschaft gebeugt hat; sind wir deshalb Landesverräther und Meuterer? Dann ist auch der ein Verräther, der den Feind, welcher in sein Haus und seine Familie gewaltsam eindringt, zurückweist, der lieber sein Leben hingibt, ehe er diesen stillen Tempel seines Glückes entweihen und vernichten läßt. Wir Landesverräther!« – rief er mit noch gesteigerter Stimme. – »Ha, ich weiß wohl, wer diesen Namen verdient! All' die, welche sich in Ruhe und Demuth unter dies entehrende Joch der Knechtschaft beugen, deren Herz nicht vor Erbitterung anschwillt, sobald sie den Namen unseres Unterdrückers nur aussprechen hören, denen ihr eigenes Wohl theurer ist, als die Freiheit und die Ehre ihres ganzen großen deutschen Vaterlandes! Diese sind Verräther, denn sie üben Verrath an ihrem Vaterlande, das sich auf seine eigenen Söhne nicht mehr verlassen kann, wenn es gilt, seine Freiheit zu vertheidigen und zu erkämpfen. Ha, man mag uns nur anklagen als Landesverräther, ich zittre nicht davor, ich werde mich diesem Gerichte nimmer durch die Flucht entziehen, ich sehe seinem Urtheile mit Ruhe entgegen, ich fürchte es nicht, denn für uns schlagen die Herzen fast aller unserer deutschen Brüder! – Ja, meine Gefährten« – fuhr er fort, indem er sich an seine Mitgefangenen wandte – »ich ziehe selbst den Tod durch Feindeskugel der Flucht vor. Oder wollt Ihr, daß all die, welche noch vor wenigen Tagen ihre Augen auf uns als Deutschlands Befreier gerichtet hatten, daß sie sagen, wir hätten nicht den Muth gehabt, das zu Ende zu führen, was wir so kühn begonnen! Glaubt Ihr, daß unser Tod nicht auch eine Befreiungsthat unseres Vaterlandes sein würde! Ha, mag der Feind unser Leben nehmen, wir bringen es als ein ehrenvolles Opfer für eine geheiligte Sache. Jeder Tropfen Blut, der aus unserem Körper rinnt, wird um Rache schreien bei unseren deutschen Brüdern und jeder Schuß der auf unsere Herzen abgefeuert wird, wird widerhallen in allen Landen Deutschlands und die wachrufen, welche bis dahin noch geschlafen! Ihr habt mir Euer Ehrenwort verpfändet, nicht zu fliehen – ich geb's Euch nicht zurück, ich halte Euch die Fahne vor, zu der wir Alle geschworen – diese ist nicht unsere Freiheit, sondern die unseres Vaterlandes.«
Wie ein Blitz zündeten diese Worte in den Herzen der Gefangenen und riefen eine feurige Begeisterung wach. »Wir fliehen nicht, wir fliehen nicht« – riefen sie einstimmig – »und wenn die Thür unseres Gefängnisses Tag und Nacht geöffnet bliebe!«
Selbst Margarethe war von diesen Worten ergriffen, auch in ihrem für Deutschlands Freiheit begeisterten Herzen hatten sie einen lauten Widerhall gefunden, und doch konnte sie ihnen nicht beistimmen. Sie zählte ja einen Geliebten unter diesen Männern, die ihr Leben mit so viel Freude ihrem Vaterlande zum Opfer darbringen wollten. Sie zitterte für dessen Leben mehr als sie je für ihr eigenes gezittert hatte. Nein! Karl durfte ein solches Opfer nicht werden, er durste nicht sterben oder sie wollte zum wenigsten mit ihm zugleich untergehen. In ihre Augen traten unwillkürlich Thränen, sie suchte sie zurückzudrängen, aber vergebens – sie ließen sich ihr Recht nicht nehmen.
Karl bemerkte es und schloß sie in seine Arme. »Sei ruhig, meine Margarethe« – suchte er sie zu trösten. – »Wir haben zwar gelobt, nicht zu fliehen, aber wir werden die Freiheit dennoch erlangen. Mag man uns ungerecht verurtheilen und in Kerkern schmachten lassen, die Knechtschaft, welche so schwer auf unserem Vaterlande ruht, hat die längste Zeit gewährt. Es kommt, es kommt der große Tag der deutschen Freiheit und dann werden auch wir zu ihr zurückkehren. Ja, er kommt, dieser Tag, denn das Morgenroth der Freiheit leuchtet schon in Tausenden von Herzen wider, er kommt und früher als Du glaubst!«
Margarethe weinte nur noch heftiger, denn wie eine düstere Ahnung zog es durch ihre Seele hin, daß sie zum letzten Male an der Brust des Geliebten liege. Sie wagte nicht, dieselbe auszusprechen, aber sie fühlte die Qual derselben in ihrer ganzen Größe.
Es war ein Glück für sie, daß der Gefängnißwärter, den sie bestochen hatte, um Zutritt zu den Gefangenen zu erlangen, in diesem Augenblicke eintrat und sie daran erinnerte, daß die Zeit, die er ihr gestattet, verronnen sei.
Sie schlang noch einmal mit aller Leidenschaftlichkeit ihres Herzens und ihrer Liebe den Arm um den Hals des Geliebten, sie küßte ihn noch einmal lieb und innig und riß sich dann gewaltsam von ihm los, um dem Wärter zu folgen.
Alle ihre Hoffnungen und Pläne, denen sie sich mit einem solchen begeisterten Muthe hingegeben hatte, sah sie nun mit einem Male vernichtet. Ruhig, ohne ihre Hand zur Rettung reichen zu können, mußte sie dem Geschicke, das den Geliebten erwartete, entgegensehen. Und immer drohender und näher rückte dies Geschick vor ihrem aufgeregten Geiste heran. Und sie konnte es nicht abwenden, ihr blieb nichts weiter übrig, als auch ihr Haupt darunter zu beugen und dadurch unterzugehen. Diesem Gedanken gab sie sich mit stiller Entschlossenheit hin.
Aeußerlich ruhig, aber deshalb um so qualvoller für ihre innere aufgeregte Stimmung floßen die folgenden Tage dahin. Sie versuchte noch einmal zu den Gefangenen zu gelangen, um sie zu beschwören, ihr Leben zu retten, aber auch dies gelang ihr nicht; der Gefängnißwärter, den sie das erste Mal bestochen hatte, war abgesetzt und in Strafe gezogen, weil es entdeckt war, daß er ihr den Zutritt zu den Gefangenen gestattet hatte. Mit der größten Strenge wurden diese jetzt bewacht, zumal da es nicht verborgen geblieben war, einen wie innigen Antheil die Braunschweiger an ihrem Geschicke nahmen.
Lange harrte treu bei Margarethe aus und suchte sie zu trösten. Es kamen auch Stunden für sie, in denen sie neuen Hoffnungen für die Zukunft Raum gab, da trat ein Ereigniß ein, welches ihr auf's Neue dieselben raubte.
Am Morgen des dritten Juli wurden vierzehn von den in Stralsund gefangenen Schill'schen Soldaten, je zwei und zwei an einander gefesselt und von einer starken Abtheilung westphälischer Soldaten bewacht, aus ihrem Gefängnisse fortgeführt. Es waren meist Unterthanen des Königreichs Westphalen und solche, welche in westphälischen Kriegsdiensten gestanden hatten und zu Schill's Fahne übergetreten waren. In aller Stille, um jede Aufregung in der Stadt zu verhüten, waren sie am Tage zuvor vor ein Kriegsgericht gestellt, welches das Todesurtheil über sie ausgesprochen hatte. Jetzt wurden sie fortgeführt, um das Urtheil an ihnen zu vollziehen.
Noch hatte Niemand etwas davon erfahren, aber das dumpfe Wirbeln der Trommeln, die bleichen Gesichter der unglücklichen Gefangenen ließen nur zu deutlich ahnen, was mit ihnen geschehen sollte, und riefen von allen Seiten Neugierige hervor. Die armen Verurtheilten hatten nimmer geglaubt, daß sie ein solches Ende nehmen würden, um so schrecklicher hatte sie deshalb das Todesurtheil getroffen. Nur einer war unter ihnen, der verrieth keine Furcht und kein Bangen, das war der Wachtmeister Friedrich Bandau. Er trug noch seinen Dolman des zweiten brandenburgischen Husaren-Regimentes, in welchem er gestanden hatte, wo er sich Schill angeschlossen, und mit lauten und begeisterten Worten sprach er seinen Kameraden Muth ein.
»Als Schill'sche Soldaten haben wir muthig gefochten« – rief er laut – »deshalb laßt uns auch muthig sterben. Es ist ein ehrenvoller Tod für uns, denn wir sterben für Freiheit und Vaterland. Laßt uns dem Feinde zeigen, daß ein Schill'scher Krieger nimmer mit dem Auge zuckt, wenn der Musketenlauf auf sein Herz gerichtet ist, laßt uns zeigen« – lautes Wirbeln der Trommeln machten seine Worte unverständlich, denn die Volksmenge, welche sich ringsum gesammelt und diese Worte gehört hatte, gab laut und drohend ihre Theilnahme für die Gefangenen kund.
Rascher wurden die Verurtheilten aus dem Thore geführt und dort, wo jetzt der kleine Ort St. Leonhardt liegt, wurde auf weitem Anger das Todesurtheil an ihnen vollstreckt. Sechs Kugeln waren für jede Brust bestimmt und nach einander hallten vierzehnmal sechs Schüsse auf der Ebene wider. Stehend, die Augen unverbunden, hatten die meisten sich erschießen lassen. Der letzte von Allen war Friedrich Bandau. Einen nach dem andern hatte er seine Gefährten todt niedersinken sehen, aber sein Auge hatte nicht gezuckt, sein Herz nicht gezittert. Als auch auf seine Brust endlich die Musketenläufe gerichtet wurden, da ließ er noch einmal mit lauter Stimme sein Vaterland und dessen Freiheit hoch leben. Sechs Schüsse hallten fast zu gleicher Zeit und auch er sank todt nieder.
Noch war keine Stunde seit dem Ausrücken aus der Stadt verflossen, und vierzehn muthige Menschenleben waren als Opfer für Deutschlands Befreiung gefallen, und noch wenige Minuten später, da waren auch ihre Leichname auf dem stillen, grünen Anger in die Erde gescharrt. Nicht einmal ein Grabhügel erhob sich auf der Stätte, wo sie gebettet lagen. Man gönnte ihnen diese Ehre nicht. Aber das vermochten alle feindlichen Bajonette nicht zu hindern, daß tausende von Herzen im ganzen deutschen Vaterlande im Stillen um sie trauerten, daß ihre Namen als ehrenvolle Streiter für Deutschlands Freiheit für immer in den Büchern der Geschichte eingetragen sind.
Schrecken und Trauer erfüllte die Stadt Braunschweig, als sich die Kunde verbreitete, daß diese vierzehn Gefangenen schmachvoll hingeopfert waren. Am meisten von Allen war aber Margarethe dadurch ergriffen. Neues, qualvolles Bangen erfaßte ihr Herz. Konnte nicht auch schon über die gefangenen Offiziere, über ihren Geliebten das Todesurtheil ausgesprochen sein, ohne daß sie es wußte! Konnten nicht auch sie schon in dem nächsten Tage, ja in der nächsten Stunde zum Tode geführt werden! Ihr Herz erzitterte bei diesen Gedanken, in fieberhafter Aufregung rann das Blut durch ihre Adern.
Fast ohne zu wissen, was sie that, eilte sie zu dem Gefängnisse, in welchem ihr Geliebter gefangen saß. Sie mußte ihn sehen und sprechen, mußte sich überzeugen, daß er noch am Leben, mußte aus seinem Munde hören, daß das Todesurtheil noch nicht über ihn ausgesprochen war. Aber die Wachen wiesen sie streng zurück und der Gefängnißwärter war unzugänglich für jede Bestechung und unempfindlich für ihre Bitten.
Rastlos durcheilte sie die Stadt, denn nirgends fand sie Ruhe vor den sie marternden Gedanken. In ihr lebte und drängte das Gefühl, daß sie ihren Geliebten erretten müsse, aber wohin sie ihr Auge auch wandte, nirgend erblickte sie einen Weg und eine Möglichkeit. Von einem Zufall, durch ein Wunder hoffte sie zuletzt die Rettung, aber auch diese Hoffnung schwand, als Stunde auf Stunde verrann, ohne daß Trost und Ruhe in ihr banges Herz einzogen.
Bereits am folgenden Morgen wurden sämmtliche Gefangene nach Kassel fortgeführt, und nachdem sie dort einige Tage geblieben waren, nach der Festung Wesel geschafft. Margarethe war ihnen mit ihrem Begleiter nachgefolgt. Alles, was sie thun konnte, war, dem Geliebten stets so nahe als möglich zu bleiben. Und sie that es, gleichsam als ob ihre Nähe ihn schütze. Seit Braunschweig hatte sie ihn nicht wiedergesehen und auch in Wesel hatte sie wenig Aussicht darauf. Die Gefangenen waren auf die Citadelle der Festung gebracht worden und es war ihr nicht einmal gestattet, diese zu betreten.
Sie hatte schon in Kassel gehört, daß die Gefangenen auf Napoleons besonderen Befehl nach Wesel gebracht und daß dort endlich ihr Geschick entschieden werden sollte. Eine bange Ahnung sagte ihr, was ihrer harre. Sie wollte dieser Ahnung in ihrem Herzen keinen Raum geben, sie wollte sich ihre letzte Hoffnung dadurch nicht rauben lassen, aber gewaltsam kehrte sie immer wieder zurück.
Tage und Wochen verschwanden und keine Veränderung trat in der traurigen und harten Lage der gefangenen Offiziere ein. Wie Verbrechern war ihnen auf der Citadelle ein düsteres und feuchtes Gefängniß angewiesen. Von Tag zu Tag hofften sie, daß Jahn's Versprechen, daß sie durch Vermittlung seines einflußreichen Verwandten die Freiheit erhalten sollten, in Erfüllung gehen werde, aber vergebens. Noch verzweifelten sie indeß nicht, denn noch immer hegte Jahn die Hoffnung, sein Versprechen gelöst zu sehen. Er hatte sie bewogen nicht zu entfliehen, und Alles, was in seinen Kräften stand, bot er auf, ihren Muth zu erhalten.
Da wurde endlich der Tag bestimmt, an welchem ihr Geschick entschieden werden sollte und mit Freude und neuer Hoffnung nahmen sie diese Kunde auf. Durch eine Militär-Kommission sollte ihre That untersucht und ihr Urtheil gesprochen werden, und um den Schein und die Form des Rechtes zu wahren, wurde ihnen gestattet, sich einen Rechtsbeistand zu wählen. Sie bestimmten hiezu den in Wesel wohnenden Advokaten Perwetz, der ihnen freiwillig in einem geheimen Briefe seinen Beistand angeboten hatte. Und nimmer mehr hätten sie einen beredteren und für ihre Sache mehr begeisterten Mann finden können.
Kaum hatte Margarethe dies erfahren, als sie zu ihm eilte, denn nur durch ihn hielt sie eine Rettung möglich. Sie erzählte ihm, was sie an die Gefangenen knüpfe, was sie ihretwegen erduldet, und mit welchen Befreiungsplänen sie sich getragen. Sie schilderte ihm, wie sie den Geliebten nach Jahren in Stralsund zum ersten Male wieder gesehen, wie sie einige glückliche frohe Tage an seiner Seite verlebt, wie sie an seiner Seite gefochten und von seinem Haupte den Todesstreich abgewandt. Dann seien sie getrennt worden. – »Aber ich folge ihm nach« – schloß sie ihre Erzählung mit begeisterten Worten – »ich folge ihm und würde er noch Jahre lang von Gefängniß zu Gefängniß geschleppt, ich folge ihm, denn einst muß doch die Zeit kommen, wo er wieder frei wird, oder wo ich zum wenigsten mit ihm zusammen sterben kann!«
Tief ergriffen hatte Perwetz die vertrauungsvolle und begeisterte Erzählung des Mädchens angehört. Schweigend ruhten seine Augen auf ihrem Gesichte. Margarethe war schön in diesem Augenblicke. Die Aufregung hatte auf ihren bleichen Wangen ein schwaches Roth hervorgerufen und aus ihren dunkeln Augen leuchtete ein durch die Mühen und Schmerzen gemildertes Feuer. Er ergriff ihre Hand und drückte sie fest.
»Haben Sie Vertrauen zu mir« – sprach er endlich – »und seien Sie fest, fest überzeugt, daß ich Alles, was in meiner Gewalt steht aufbieten werde, um sie zu retten. Ihnen kann ich es gestehen, daß ich mich heimlich durch einen Brief den Gefangenen als Rechtsbeistand angeboten habe, denn auch ich sehne mich nach der Befreiung unseres Vaterlandes, auch ich bin dafür begeistert, und ist mein Arm nicht gewöhnt, die Waffen gegen den Feind zu erheben, so will doch auch ich mein Theil zur Erringung dieser Befreiung beitragen und will die zu erretten suchen, welche im Stande sind, für die Freiheit zu kämpfen.«
»Sind sie fest überzeugt, daß Sie den Gefangenen die Freiheit verschaffen werden?« – fragte Margarethe und ihre Augen hingen erwartungsvoll an dem Munde des Advokaten.
»Ich kenne die Anklagepunkte gegen die Gefangenen noch nicht« – erwiderte Perwetz. – »Von ihnen wird Alles abhängen. Das französische Gesetz ist gerade in diesen Fällen äußerst streng, aber lassen Sie sich dadurch nicht erschrecken, ich werde das Möglichste thun und sollte es zu meinem eigenen Verderben sein.«
»Sie haben als Rechtsbeistand das Recht für Ihre Klienten zu sprechen« – warf Margarethe ein.
»Ja das Recht habe ich« – erwiderte der Advokat lächelnd. – »Ich weiß aber auch, daß wir in einer Zeit leben, in welcher die Gewalt noch über dem Rechte steht. Ich gehe schon von vorn herein an dieses Werk mit der festen Ueberzeugung, daß es mir selbst wenig Segen bringen wird, aber nimmermehr werde ich mich durch diese Ueberzeugung einschüchtern lassen. Ich weiß ja, daß die Zustände, in denen wir jetzt leben, auch ein Ende nehmen werden, früher oder später, und ich denke, dieser Zeitpunkt liegt nicht allzu fern mehr. Hier ist viel zu erretten, deshalb muß ich auch viel wagen!«
Margarethe schied endlich von ihm. Sie hatte die feste Ueberzeugung gewonnen, daß die Sache ihres Geliebten in gesinnungstreue und muthige Hände gelegt war, aber sie konnte dadurch noch keine Beruhigung finden, denn von ihm allein hing die Entscheidung nicht ab.
Näher und näher rückte der sechszehnte September heran. Dieser Tag war zu dem Zusammentreten der militärischen Spezial-Kommission bestimmt. Mit bangem Herzen blickte Margarethe ihm entgegen und diese unruhige, peinigende Erwartung der letzten Tage hatte fast ihre Kräfte aufgerieben.
An dem Morgen dieses Tages ging sie noch einmal zu Perwetz, um all' seine Kräfte und seinen ganzen Muth zu Gunsten der Gefangenen wachzurufen. Sie war in einer aufgeregten Stimmung. Er suchte sie zu beruhigen und ihr Muth einzusprechen, war aber selbst ungewöhnlich ernst, fast traurig. Das entging ihr nicht, und in diesem Ernste, in dieser Trauer glaubte sie schon das Geschick der Gefangenen vorauszublicken.
»Bleiben Sie hier« – sprach er zu ihr, als er sich anschickte, fortzugehen. – »Ich weiß nicht, wie lange die Sitzung währen wird, aber hier im Kreise meiner Familie werden Sie eher Zerstreuung und durch diese auch Beruhigung finden. Sobald das Urtheil entschieden ist, kehre ich zurück, und aus meinem Munde, sollen sie es zuerst erfahren. Hoffen wir zu Gott, daß ich es Ihnen mit freudigem und leichtem Herzen mittheilen kann!«
Er reichte ihr die Rechte zum Abschiede. Margarethe erfaßte sie und hielt sie einen Augenblick fest in ihre beiden Hände gepreßt. Forschend blickte sie ihm in's Auge. Sie wollte sprechen, war aber nicht im Stande, ein einziges Wort hervorzubringen.
»Ich verstehe Sie« – sprach Perwetz. – »Seien Sie ruhig. Ich weiß, daß es eilf Menschenleben gilt, eilf Leben, welche zu den besten unseres großen Vaterlandes gehören. Ich weiß auch, wie viel Sie zu verlieren haben, darum fassen Sie frischen Muth und vertrauen Sie fest auf mich.«
Die militärische Spezial-Kommission war durch den Kommandanten der 25. Militär-Division, den Divisions-General Dallemagne, berufen, und trat unter dem Vorsitz des Bataillons-Chef Grand in einem Saale der Citadelle zusammen. Der Kapitän Cavain war Referent und fungirte hier zugleich als kaiserlicher Prokurator.
Ruhig, schweigend grüßte Perwetz diese Männer, als er in den Saal eintrat. Er ließ sein Auge über ihre Gesichter gleiten, um aus ihnen zu erforschen, was er zu erwarten habe, aber diese Gesichter waren ruhig und kalt. Sie verriethen nicht das Geringste. Er verlor seinen ruhigen und entschlossenen Muth nicht.
Die Gefangenen wurden vorgeführt, und jetzt zum ersten Male erblickte er die Männer, denen er seinen Beistand angeboten, für deren Recht und Leben er all seine Kräfte aufzubieten entschlossen war. Der Anblick dieser bleichen und abgezehrten Gesichter, auf denen dennoch eine stolze Ruhe und ein unerschütterlicher Muth ausgeprägt waren, der Anblick dieser Männer, welche meist noch im Jünglingsalter standen, denn der älteste von ihnen Leopold Jahn war erst 31 Jahre alt, während die Jüngsten kaum achtzehn Jahre zählten, und gleichwohl ihr Leben mit so viel Muth und Begeisterung der Freiheit ihres Vaterlandes zum Opfer gebracht hatten – dieser Anblick erfüllte ihn mit neuer Kraft. Er mußte sie retten! Diese jungen, schönen Leben durften nicht verloren gehen und sollte er selbst seine Freiheit und sein Leben dafür einbüßen!
Nur zu bald sollte sein freudiger, begeisterter Muth erschüttert werden. Der Vorsitzende erhob sich und las die Anklage vor. – »Als zu der Bande von Schill gehörig, mit gewaffneter Hand die öffentlichen Kassen im Königreiche Westphalen, im Herzogthume Mecklenburg und anderen Ländern weggenommen, und unter Bedrohung der Todesstrafe die Einwohner besagter Länder gezwungen zu haben, unter den Befehlen Schill's zu dienen« – wurden sie angeklagt.
Perwetz war erbleicht, als er diese Worte gehört, denn er wußte nur zu gut, daß jetzt, nach dieser Anklage, keine Rettung mehr zu hoffen, daß sie fast unmöglich war; Feinde dieser Männer stimmten ja darüber ab, ob diese Anklage gerechtfertigt war, Feinde waren ihre Richter, die schon in ihren Herzen den Urtheilsspruch bestimmt hatten.
Er ließ seine Augen über die Gefangenen gleiten. Sie schienen nicht zu ahnen, was in dieser Anklage ausgesprochen lag, denn ihre Gesichter waren noch ebenso ruhig als zuvor. Da erfaßte es auch ihn mit dem Muthe und der Entschlossenheit der Verzweiflung. Er wußte jetzt, daß er sie nicht mehr zu erretten vermochte, aber er wollte zum wenigsten nichts unversucht lassen. Er wollte ihnen zeigen, daß sie sich nicht in ihm geirrt, daß es nicht seine Schuld war, wenn das Urtheil ihre Vernichtung aussprach.
Mit hinreißender und begeisterter Beredsamkeit vertheidigte er sie und suchte die der Anklage beigefügten und wider sie zeugenden Aktenstücke zu widerlegen. Er sprach es aus, daß sie nur Vertheidiger ihres Vaterlandes seien, daß sie nur für das die Waffen ergriffen, was für jeden Jüngling und Mann das Höchste und Heiligste sein müsse, die Freiheit und Ehre des Vaterlandes. Er bestritt die Anklage in ihrem Rechte und stellte andere Gesichtspunkte auf, unter denen die Gefangenen nur als Kriegsgefangene angesehen werden konnten.
Ein fast spöttisches Lächeln glitt bei seinen Worten über das Gesicht des Vorsitzenden und Referenten; sie waren sich trotz all' dieser begeisterten Worte, trotz dieser glänzenden Vertheidigung der sicheren Uebermacht bewußt.
Perwetz bemerkte dieses Lächeln, er verstand es, aber jetzt war es nicht mehr im Stande, ihn zu entmuthigen. Immer begeisterter wurde seine Vertheidigung, immer hinreißender kämpfte er für Recht und Leben, für Ehre und Freiheit – umsonst – umsonst – er sprach nur zu Feinden. Erschöpft hielt er endlich inne, er wußte daß all sein Mühen vergeblich war.
Ruhig erhob sich der Präsident und legte mit derselben Ruhe der Kommission zuerst die Fragen. »Die eilf Genannten, angeklagt, zu Schill's Bande gehört zu haben, sind sie schuldig? Sind sie mit den Waffen in der Hand gefangen worden?« – Sie wurden einstimmig bejaht, denn dies war von vorn herein beschlossen.
Der Referent Cavain stellte darauf den Antrag auf Anwendung der Todesstrafe nach dem entehrenden und schmachvollen Gesetze: »Diebstahl mit offener Gewalt oder durch Gewaltthätigkeit auf öffentlichen Wegen und Straßen begangen, Diebstahl in bewohnten Häusern mit Einbruch von außen oder Ersteigung mit Leitern sollen mit dem Tode bestraft werden.«
Auch diesen Antrag nahm die Kommission einstimmig und ohne Zögerung an.
Das Urtheil lautete hiernach: »Todesstrafe und deren Vollstreckung binnen 24 Stunden.«
Aus den Wangen des Advokaten schien jeder Tropfen Blutes gewichen zu sein, denn sie waren bleich. Seine Augen blickten starr und seine Lippen waren fest aufeinander gepreßt. Der sonst so entschlossene Mann erzitterte als er diese Worte hörte, er zitterte vor der kalten Ruhe, mit der der Referent das Urtheil vorlas, das eilf blühende Menschenleben vernichtete.
Schweigend entfernt er sich, ehe den Gefangenen das Urtheil bekannt gemacht wurde. Er konnte es nicht ertragen, die Männer, die ihm so fest vertraut, die auf ihn ihre ganze Lebenshoffnung gesetzt hatten, getäuscht zu sehen. Er konnte es nicht, und hätte es ihn das Leben gekostet. Stand ihm doch ohnehin noch eine schwere Aufgabe bevor, vor der er unwillkürlich zurückbebte. Er sollte Margarethe die schreckliche Nachricht mittheilen und vielleicht auch ihr Leben dadurch in Gefahr bringen. Er zögerte, ihm bangte vor diesem Schritt, und doch mußte er gethan werden. Die Todesschüsse, welche ihr schon in wenigen Stunden in's Ohr dringen sollten, mußten es ihr doch verrathen und auf eine nach schrecklichere Weise, als wenn er es ihr sagte, wenn er sie zugleich zu trösten suchte. Es mußte geschehen!
Langsam schritt er seiner Wohnung zu. Es war ihm zu Muthe, als ob über sein eigenes Leben die Todesstrafe verhängt wäre. Als er vor seinem Hanse angekommen war, stand er still. Er zauderte einzutreten, sein Herz schlug laut und ungestüm. Aber hier half kein Zögern, entschlossen und rasch trat er endlich in das Haus und in sein Zimmer.
Margarethe sprang empor, als sie ihn in die Thür treten sah. Sie eilte ihm entgegen, die Augen erwartungsvoll, durchdringend auf sein Gesicht geheftet. Die Blässe und Trauer desselben verrieth ihr Alles und machte auch sie erbleichen.
Er reichte ihr die Hand dar, aber sie zögerte sie anzunehmen. Sie rang nach Athem und Worten.
»Sprechen Sie, sprechen Sie« – drängte sie endlich mit hastigen, ängstlichen Worten. – »Ihr Gesicht verräth mir Alles, selbst das Schrecklichste. Sprechen Sie, sagen Sie mir, daß ich mich täusche!«
Sie hatte seine Hand erfaßt und hielt sie zitternd fest. Ihr ganzer Körper war in einer fieberhaften Aufregung und Spannung.
»Sie täuschen sich nicht« – erwiderte Perwetz und unwillkürlich rang sich bei diesen Worten ein schwerer Seufzer aus seiner Brust empor.
»Ich täusche mich nicht« – wiederholte Margarethe mit bebender Stimme. – »Worin täusche ich mich nicht? Sprechen Sie! Sie foltern mich zu Tode – er muß sterben!«
Perwetz konnte nur bejahend mit dem Kopfe nicken, es war ihm unmöglich, ein Wort über seine Lippen zu bringen, denn jedes Wort traf wie ein Todesstoß das Herz des unglücklichen Mädchens.
»Er muß sterben, sterben!« – rief sie entsetzt und laut. – »Karl soll sterben! Er ist zum Tode verurtheilt! Nein – nein es kann nicht sein! Sie täuschen mich! Sie weiden sich an meiner Todesqual!«
Ihre Augen blickten ihn fast wild an und mit ihrer Hand hatte sie seinen Arm fest umklammert, gleichsam als ob sie ihn nicht entrinnen lassen wollte, bis er jenes schreckliche Wort zurückgenommen.
»Wollte Gott, es wäre Alles nur eine Täuschung!« – erwiderte er ernst und traurig, denn auch er war von dem Schmerze tief ergriffen, der die Unglückliche fast zur Verzweiflung trieb.
»Es ist wahr!« – rief Margarethe noch lauter und verzweiflungsvoller. – »Er muß sterben! Karl zum Tode verurtheilt! O Gott, o Gott!« und sie rang im verzweiflungsvollen Schmerze die Hände. »Er soll sterben, ohne Rettung, ohne Hilfe! Wann, wann soll er sterben? Wann soll das schrecklich Urtheil vollstreckt werden?«
Perwetz hatte sich abgewandt, weil er diese Frage erwartete. Er vermochte den Schmerz des Mädchens nicht länger zu schauen, er selbst rang mit all' seinen Kräften nach Fassung.
»Wann soll das Urtheil vollstreckt werden?« wiederholte Margarethe drängend.
Jetzt konnte er nicht länger schweigen, er durfte die Unglückliche nicht länger foltern, und wenn sein Wort ihrem Herzen auch den Todesstoß versetzte. Einmal mußte es ja doch geschehen.
»In wenigen Stunden – heute noch!« – sprach er mit tonloser Stimme, indem er mit der Linken seine Brust zusammenpreßte, die der Schmerz fast zu zersprengen drohte.
»Allmächtiger Gott!« – schrie Margarethe laut und durchdringend auf. Sie war einen Schritt. zurückgewichen, ihre Augen schweiften einen Augenblick irrend im Zimmer umher, ihr ganzer Körper erzitterte, er wankte und gleich darauf sank sie bewußtlos nieder.
Perwetz sprang hinzu und fing sie in seine Arme auf. Von seiner Frau unterstützt trug er sie auf das Sopha und legte sie dort nieder. Sein Blick ruhte auf den todesbleichen und schönen Zügen des Mädchens, auf dessen geschlossenen Augen sich der Gram und Schmerz wie ein dunkler Trauerflor gelegt hatten, dessen Lippen so fest geschlossen waren, als ob sie sich nie wieder öffnen wollten.
Eine Thräne trat in das Auge des sonst so festen Mannes. – »Möchte dies Herz zum letzten Male geschlagen haben, möchten diese Augen sich nimmer wieder öffnen« – sprach es unwillkürlich in ihm – »möchte dieses Leben zugleich mit vernichtet sein. Ihm wäre dann wohl, denn nur zu neuem Schmerze und Elende erwacht es! Es ist von dieser Stunde ab kein Leben mehr, sondern eine schmerzvolle, thränenfeuchte und traurige Existenz, ein Dasein, für welches der Tod der einzige Wunsch und die einzige Hoffnung ist.«
Doch auch dieser Wunsch ging nicht in Erfüllung. Margarethe schlug nach einiger Zeit die Augen wieder auf, und wie aus einem tiefen Schlafe erwachend schaute sie erstaunt und forschend im Zimmer umher. Die Erinnerung an das, was ihr das Bewußtsein geraubt hatte, war noch nicht wieder zurückgekehrt. Kaum hatte sie aber den neben ihr stehenden Advokaten erkannt, als ihr Gedächtniß wieder Kraft gewann und das Geschick ihres Geliebten wieder mit einem Male in seiner ganzen entsetzlichen Strenge vor ihrem Geiste stand.
Sie sprang heftig und in höchster Aufregung empor. – »Ich muß zu ihm! Ich muß ihn sehen!« – rief sie und eilte in athemloser Hast der Thüre zu.
Perwetz hielt sie zurück. – »Bleiben Sie, beruhigen Sie sich erst« – bat er. – »In dieser Aufregung, mit diesem fassungslosen Schmerze dürfen Sie nicht vor ihn treten – Sie würden ihm die schwere Stunde noch schwerer machen. Sie sollen ihn noch einmal sehen und sprechen, ich gelobe es Ihnen. Ich will Ihnen die Erlaubniß zum Eintritte in die Citadelle verschaffen, man kann nicht so grausam sein, Sie in der letzten Lebensstunde von Ihrem Geliebten zu trennen. Suchen Sie sich zu fassen, ertragen Sie das Unabwendbare, suchen Sie Beruhigung in dem Gedanken, daß sein Leben als ein Opfer für die Freiheit seines Vaterlandes fällt, dem er es mit so freudigem Muthe geweiht hatte!«
Margarethe schwieg. Die Augen starr auf den Boden geheftet stand sie einen Augenblick regungslos da. Nur ein leichtes Erzittern ihres Körpers, ein Zucken ihrer Lippen verrieth, ein wie heftiger Kampf in ihrem Innern tobte. Fest und entschlossen erhob sie darauf den Kopf und ihre dunkeln Augen leuchteten.
»Ich bin ruhig und gefaßt« – sprach sie. – »Befürchten Sie nicht, daß ich ihm durch eine Thräne, durch eine Klage die letzte Lebensfreude trüben werde. Nur sehen will ich ihn, noch einmal meinen Blick tief in seine lieben Augen senken, noch einmal hören, wie sein Mund meinen Namen nennt, und dann, dann will ich – – – Sie haben recht, er stirbt für die Freiheit und sein Vaterland – es ist ein ehrenvoller Tod. Ich selbst will ihm Muth und Todesbegeisterung einsprechen, ich selbst will mit ihm fallen und sterben, das soll sein letzter Trost sein – es ist auch der meinige!«
Sie hatte diese Worte mit einer Bestimmtheit und zugleich mit solcher Begeisterung gesprochen, daß der Advokat keinen Augenblick über sie im Zweifel war.
»Nein, nein« – rief er, indem er ihre Hand ergriff, um sie zurück zu halten. – »Sie dürfen es nicht. Ueberwinden Sie diese eine schreckliche Stunde, die Zeit wird auch Ihren Schmerz heilen und Ihnen Ruhe und Glück zurückgeben.«
»Die Zeit!« – wiederholte Margarethe langsam, fast feierlich. – »Glück? – Glauben Sie, daß dieses Herz je wieder den Gedanken an Glück fassen und ertragen könnte! Glauben Sie, daß es für mich möglich wäre, diese Stunde zu überleben! Ich bin stärker und entschlossener als Sie denken! Man kann mich zurückhalten und mir den letzten Lebenswunsch nicht gewähren, zugleich mit dem Geliebten zu sterben, man kann es, aber keine Menschenhand ist im Stande, das Leben in diesem Körper zurückzuhalten, keines Menschen Macht kann die Seele fesseln, die nur ihm und meinem Vaterlande angehört!«
Noch ehe Perwetz im Stande war, sie zurück zu halten, hatte sie das Zimmer und Haus verlassen. Sie eilte heim, um sich zum letzten Gange vorzubereiten. Kein Zaudern erfaßte sie und kein Bangen vor dem Schritte, den sie beschlossen hatte.
Kaum eine Stunde später trat Margarethe durch eine kleine Pforte, welche ihr durch Perwetz' Bemühung geöffnet wurde, in die Citadelle ein. Es herrschte ein unruhiges Leben darin, denn fast ihr ganzer innerer Raum war von Soldaten verschiedener Waffengattungen erfüllt. Sie errieth, was diese Unruhe zu bedeuten hatte, es waren die Vorbereitungen zur Vollstreckung des Todesurtheils. Erschrocken stand sie still.
»Kommen Sie, kommen Sie« – drängte der Mann, der ihr die kleine Pforte geöffnet hatte und sie unbemerkt zu dem Kerker der Gefangenen führte. – »Kommen Sie, ehe man uns sieht!«
Sie folgte ihm rasch. Ein weites Tuch, in welches sie fast ihre ganze Gestalt und zugleich auch ihren Kopf gehüllt hatte, zog sie noch fester an. Als sie endlich vor der Thüre des Gefängnisses angekommen war, drückte sie ihrem Führer eine schwere Börse mit Geld in die Hand.
Ein zufriedenes Lächeln glitt über dessen Gesicht.
»Treten Sie ein« – sprach er leise, als er die Thür vorsichtig geöffnet hatte. – »Sie haben jetzt noch Zeit, aber bleiben Sie nicht zu lange, denn mein Brot und meine Freiheit setzen Sie auf's Spiel.«
Margarethe nickte ihm schweigend zu. Mit fieberhafter Hast trat sie in den Raum ein, der ihren Geliebten barg, und die Thüre schloß sich sofort wieder hinter ihr. Sie blieb stehen, denn vergebens suchte ihr Auge in dem düstern, nur durch ein kleines Gitterfenster erhellten Raume den Geliebten zu erkennen, nur dunkle Gestalten erblickte sie. Aber nur einen Augenblick währte dies. Bald hatte sie ihn erkannt und mit dem Ungestüm der heftigsten Leidenschaft flog sie an seinen Hals.
»Margarethe, Margarethe!« – rief Karl überrascht, indem er das Mädchen fest an seine Brust preßte. Er hatte im Geiste schon von ihr Abschied genommen, da er nicht die Hoffnung genährt, sie noch einmal zu sehen und jetzt, jetzt hielt er sie in seinen Armen, jetzt fühlte er nochmals ihr Herz an dem seinigen schlagen. Er hatte sich eben mit größter Mühe Fassung zu dem schweren Gange errungen, denn nicht für sein Leben zitterte er, sondern für das geliebte Mädchen, das ihm in so treuer Liebe anhing. Jetzt fühlte er wieder, wie schwer es sei, aus einem Leben zu scheiden, das ihm an der Seite dieses Mädchens das schönste Glück verheißen hatte. Sein Herz erzitterte vor Freude, daß er die Geliebte noch einmal sah, und doch wäre es leichter für ihn gewesen, wenn die letzte Stunde seines Lebens ohne diesen Kampf verronnen sein würde.
Er beugte sich herab auf ihren Kopf. Er küßte sie wieder und wieder auf Mund und Stirn, und seine Thränen tropften heiß, fast glühend auf ihr Haupt herab, denn all seine Ruhe und Fassung war in diesem Augenblicke dahin.
Und auch Margarethe war ihrem festen Entschlusse nicht treu geblieben. Sie hatte ruhig und standhaft sein, sie hatte ihn trösten und mit ihm vereint sterben wollen, das Alles war in diesem Augenblicke dahin. Als sie fühlte, wie glühend sein Herz schlug, rief es in ihr: »Nein, nein, er darf nicht sterben, dies Leben darf nicht vernichtet werden, du mußt es erretten, du kannst es, wenn du dein eigenes für ihn zum Opfer bringst!«
Mit Begeisterung erfaßte sie diesen Gedanken, er erschien ihr fast wie eine höhere Eingebung. Fest und stolz erhob sie ihr Haupt. – »Karl« – rief sie – »Du mußt fliehen, Du darfst nicht verloren gehen, ich, ich will Dich erretten. Sieh« – fuhr sie begeistert fort und warf bei diesen Worten ihr weites Tuch zurück– »sieh, als Du in Stralsund gefangen warst, habe ich fast wie durch ein Instinkt geleitet eine Uniform Deines Bruders mit mir genommen, sie ist auch die Deinige, ich trage sie unter diesem Kleide, ich werfe es ab und Du ziehst es an. Du hängst Dir, wie ich es gethan, dies Tuch über den Kopf, unerkannt wird dich der Mann, der mich hierher geführt, zurückbringen, denn auch Deine Wangen sind bleich, Dein Haar ist dunkel wie das meinige. Du entkommst von der Citadelle, wendest Dich an Perwetz, er wird Alles aufbieten, um Dir zur Flucht behilflich zu sein. Sie muß Dir gelingen, und dann bist Du frei, frei, um die Schmach Deiner Brüder zu rächen, um ein neues Leben zu beginnen!«
Mit Ueberraschung und zugleich mit Spannung hatte Karl diese Worte gehört. Er vergaß für den Augenblick sein gegebenes Ehrenwort, nicht zu fliehen, dachte nicht an sein Versprechen, ruhig und standhaft mit seinen Brüdern sterben zu wollen; gewaltig, mächtig war die Lebenslust wieder in ihm erwacht, und der Gedanke an eine glückliche Zukunft ließ ihn die Gegenwart vergessen.
»Und Du, Margarethe! Wie wolltest Du aus diesem Raume entkommen?« – fragte er.
Das Mädchen lächelte. – »Ich würde bleiben, ich würde mich für Dich zum Richtplatze führen lassen und mit Freuden mein Leben für Deine Freiheit hingeben.«
»Margarethe!« – rief er laut und erschrocken. »Und könnt' ich tausendmal mein Leben retten, ich möchte es um diesen Preis nicht thun, denn es würde zur Qual und zum Fluche für mich dadurch werden. Du darfst nicht sterben, meine Margarethe, Du mußt leben, denn sieh, der Gedanke giebt mir Trost und Muth zum Sterben, daß mir Dein Herz ein liebes Andenken bewahren, daß Dein Auge um mich weinen wird. Du mußt leben, Margarethe, denn Du wirst einst wieder froh und glücklich werden, und ich werde Deinem Herzen dann ein Freund sein, der längst heimgegangen ist, an den es nur noch mit einer stillen Wehmuth zurückdenkt. Vor Dir liegt die Zukunft und das Leben, neue Freuden …«
»Halt ein, halt ein!« – unterbrach ihn Margarethe.
»Kennst Du mein Herz nicht besser, Karl! Glaubst Du, daß es für mich noch Glück und Freude gäbe, wenn ich Dich, wenn ich Alles, was mein Herz mit Liebe erfüllt hat, hätte sterben gesehen! Du weißt nicht, welcher Muth mir im Busen flammt. Du weigerst Dich zu fliehen, durch mein Leben das Deinige zu retten. Karl, dann will ich zum wenigsten mit Dir zugleich sterben, mit Dir untergehen. Au Deinem Arme will ich mit hinausgehen zum Richtplatze, an Deiner Seite will ich ohne Zittern den Todeskugeln meine Brust darbieten, bis zum letzten Augenblicke meines Lebens will ich in Dein Auge schauen und den Pulsschlag Deines Herzens hören!«
Erschrocken wich Karl zurück. – »Du darfst nicht sterben, meine Margarethe!« – rief er. – »Nein, nein – Du darfst nicht sterben, Dein schönes blühendes Leben darf noch nicht vernichtet werden!« – Er bedeckte das Gesicht mit seinen Händen, gleich als wollte er diesen Gedanken gewaltsam von sich abwehren.
»Ich darf nicht sterben!« – wiederholte Margarethe. – »Du kennst mich nicht, Karl! Glaubst Du, ich könne leben, wenn Du todt bist, Du, der allein mich noch an das Leben fesselt. Fühlst Du nicht, daß der Tod auch für mein Herz eine Wohlthat ist, daß er ihm Ruhe und Frieden bringt. Laß mich zusammen mit Dir sterben, an Deiner Seite, an Deinem Herzen, laß mich mit Dir in einem Grabe ruhen!«
Sie hatte bei diesen Worten seine Hand erfaßt, hatte sie an ihr Herz gedrückt und flehend zu ihm aufgeblickt. Auf das Heftigste erschüttert wandte er sich ab. Er konnte den Gedanken nicht erfassen und im heftigsten Schmerze rief er wieder: »Nein, nein, Du darfst nicht sterben!«
»Ich sterbe mit Dir!« – erwiderte Margarethe begeistert. – »Willst Du mir das Glück nicht gönnen, an Deiner Seite, mit Dir zugleich zu fallen. Sieh, ich werde Dir folgen und auf den Knieen werde ich zu Deinen Henkern flehen, auch mir den Tod zu geben. Auf den Knieen will ich sie beschwören – nur eine einzige Kugel in diese Brust, es ist ja bald geschehen, und sie reicht aus, mein schwaches Leben zu vernichten. Und wenn selbst Deine Henker durch meine Bitten sich nicht erweichen lassen, wenn auch sie es mir nicht gönnen, mit Dir, wie Du zu sterben – ans Leben kann mich Niemand fesseln, im nächsten Fluße suche ich meinen Tod. Ich will, ich kann – ich darf Dich nicht überleben!«
Karl hatte sich von ihr abgewandt. Die Rechte zu ihr ausstreckend rief er mit der Stimme des tiefsten Schmerzes: »Halt ein, Margarethe, halt ein!«
Da trat Jahn zu ihm heran, legte die Hand auf seine Schulter und sprach: »Laß sie. Der Tod wird ihrem Herzen am wohlsten thun. An Deiner Seite und für Dich hat sie gekämpft, Dir ist sie gefolgt, mehr als einmal hat sie für Dich ihr Leben gewagt, laß sie an Deiner Seite, mit uns zugleich zum Tode gehen – dann hat auch ihr Schmerz sein Ende erreicht!«
Karl schwieg. Er rang auf's Heftigste mit einem Entschlusse.
»Sieh« – fuhr Jahn fort – »der Himmel selbst scheint es zu begünstigen. Dort liegt Dein Bruder Albert im heftigsten Fieber, er weiß nichts davon, was um ihn und mit ihm vorgeht. Soll er in diesem Zustande zum Richtplatze geschleppt, soll er ohne Bewußtsein ermordet werden? Für ihn laß dieses Mädchen eintreten. Ist ihm der Tod bestimmt, so laß ihn in Ruhe sterben, und kehrt er zum Leben wieder, so laß ihn leben, er ist der Jüngste von uns Allen, er ist ja fast noch ein Kind, er zählt noch keine achtzehn Jahr. – Entschließe Dich, Wedell! Margarethen's Kleid werfen wir ihm über, mit ihrem Tuche bedecken wir ihn, sie trägt seine Uniform, ihr Haar, ihr Gesicht gleicht fast dem seinigen, noch seine Mütze setzt sie auf und Niemand wird es ahnen. Dies Alles zeigt uns den Weg, d'rum laß es geschehen!«
Einen Augenblick noch schwankte Karl, dann öffnete er seine Arme und schloß Margarethe umgestüm in dieselben. – »Es sei, es sei!« – rief er. – »Todt ist todt, Gott möge mir das Leben nicht anrechnen, das ich mit mir hinabziehe!«
»Sie stirbt wie wir einen ehrenvollen Tod« – erwiderte Jahn und reichte Margarethe seine Hand dar. »Jetzt stehen wir einander nahe. Was uns verbindet, kann Niemand lösen – es ist der Tod!«
Margarethe ergriff die ihr dargereichte Hand und drückte sie fest. Sie wollte sprechen, vermochte aber kein Wort hervorzubringen. Deutlicher und mehr als alle Worte sprachen ihre leuchtenden Augen und ihre vor Begeisterung glühenden Wangen.
Auch die übrigen Gefangenen traten an sie heran und reichten ihr die Hand, um sie in ihren Todesbund mit aufzunehmen.
Ohne Zögerung wurde ihr Kleid dem Fieberkranken angezogen und ihr Tuch ihm übergeworfen. Sie selbst setzte dessen Mütze auf, drückte sie tief auf die Stirn herab und hatte in der That Aehnlichkeit mit dem Bruder ihres Geliebten.
Kaum war dies geschehen, als der Gefängnißwärter, welcher Margarethe eingeführt hatte, hastig eintrat, um sie fortzuführen, da sich bereits eine Militärabtheilung dem Gefängnisse näherte, um die Verurtheilten in ihre Mitte zu nehmen und zum Richtplatze fortzuführen.
»Machen Sie rasch, eilen Sie« – rief der Wärter ängstlich, indem er unruhig umherblickte, um das Mädchen zu erkennen.
Jahn trat zu ihm und führte ihn zu dem Lager des Fieber Kranken, der bleich und regungslos dalag. »Gönnen Sie der Ohnmächtigen und vom Schmerz Ueberwältigten Ruhe, sich zu erholen« – sprach er. »Jetzt ist es unmöglich, sie fortzuführen.«
»Man wird Sie sogleich fortführen, schon sind Ihre Wachen in dies Haus getreten. Man wird das Mädchen hier entdecken und ich bin verloren, ich verliere Stellung und Freiheit« rief der Wärter.
»Seien Sie unbesorgt« – erwiderte Jahn, indem er den Kranken völlig mit dem Tuche bedeckte. – »Es wird Niemand ahnen, daß hier ein Menschenleben liegt Die Dunkelheit des Raumes, die Dunkelheit dieser Ecke schützt es, denn nicht alle Augen sind wie die unsrigen an dieses ewige Dämmerlicht gewöhnt. Sind wir fort, dann haben Sie immer noch Zeit, das Mädchen unbemerkt fortzubringen.
Soldaten traten in diesem Augenblicke in das Gefängniß ein, um die Verurtheilten fortzuführen. Ein Offizier rief sie bei Namen auf. Als der Name »Albert von Wedell aus Braunsförth in Pommern, achtzehn Jahre alt,« gerufen wurde, trat Margarethe ruhig und fest hervor. Der Offizier blickte sie einen Augenblick an und sein Auge ruhte nicht ohne Interesse auf ihrem schönen jugendlichen Gesichte, dann rief er die Namen der noch übrigen Gefangenen.
Eilf Namen hatte er gerufen, eilf hatten sich gemeldet. Auf den verhüllten Kranken in der dunkeln Ecke des Kerkers achtete Niemand. Dann wurden die Gefangenen je zwei und zwei an einander gefesselt. Margarethe hatte mit fast krampfhafter Angst den Arm des Geliebten erfaßt, um von ihm nicht getrennt zu werden.
Karl hatte seinen Arm um ihren Leib geschlungen. Niemand fand in dieser Zärtlichkeit der beiden Brüder etwas Auffallendes. Durch die Fesseln wurden sie an einander geknüpft, wie ihre Herzen längst fest und für immerdar verknüpft waren.
Es war drei Uhr Nachmittags als unter lautem Trommelschlag sich ein großer Zug, in dessen Mitte sich die eilf Verurtheilten befanden, von der Citadelle aus in Bewegung setzte.
Es war ein rauher, windiger Tag. Seit frühem Morgen hatte die Sonne sich vergeblich bemüht, sich durch die trüben Wolken eine Bahn zu brechen, welche rasch am Himmel dahin gejagt wurden. Es drohte jeden Augenblick zu regnen, ohne daß es dazu kam. In der Stadt Wesel herrschte eine traurige, fast unheimliche Stimmung. Es war als ob die über ihr hinziehenden Wolken auch in die Menschenherzen einen trüben Schatten geworfen hätten. Seitdem das Todesurtheil über die Gefangenen ausgesprochen war, waren sämmtliche Thore gesperrt, die Wachen verstärkt und verdoppelt, alle Versammlungen der Einwohner streng untersagt. Patrouillen marschirten durch die Straßen, Grenadiere und Husaren zogen in verschiedenen Abtheilungen, die einen hierhin, die anderen dorthin, die meisten auf die Citadelle. Sie waren alle in voller Waffenrüstung, und selbst Diejenigen, welche von der Verurtheilung der Gefangenen noch keine Kunde erhalten hatten, vermochten aus allen diesem zu erkennen, daß etwas Ungewöhnliches in Vorbereitung war.
Da bewegte sich um 3 Uhr der Zug von der Citadelle herab. Voran marschirte eine Abtheilung zu Pferde mit gespannten Karabinern, dann eine noch stärkere Abtheilung Grenadire, endlich sechsundsechszig zur Vollstreckung des Todesurtheils ausgewählte Grenadiere, in deren Mitte die Gefangenen gingen. Mit festem Schritte, ruhig und muthig schritten sie in Fesseln ihren letzten Lebensgang. Aus allen Fenstern der Straßen, durch welche der Zug ging, schauten theilnehmende Gesichter herab und manches Auge weinte den jungen Männern und Jünglingen, welche so früh und doch so muthig dem Tode entgegengingen, eine heimliche Thräne nach.
Am meisten und theilnehmendsten richteten sich aber die Augen Aller auf Karl und Margarethe, welche Arm in Arm, nur mit sich selbst und ihrer Liebe beschäftigt dahin schritten. Man hielt sie für Brüder und ihre schönen Gestalten, ihre Hingabe an einander selbst in der letzten Lebensstunde nahmen Alle für sie ein.
Der Zug bewegte sich aus dem Thore auf eine nicht weit von der Stadt entfernte Wiese an der Lippe, welche zum Richtplatze bestimmt war.
Ruhig und fest betraten die Gefangenen diesen Platz, auf dem sie schon wenige Minuten später entseelt niedersinken sollten. Männlich und entschlossen stellten sie sich in eine Reihe. Karls Auge ruhte auf der Geliebten, aber kein Zittern ihrer Hand verrieth, daß ihr vor dem Tode bange. Ihre Augen blickten fest und muthig und doch lag zugleich in diesen dunkeln glänzenden Augen, mit welchen sie Karl anschaute, so unendlich viele Liebe und Milde. Karl drückte ihre Hand, welche er in der seinigen hielt, und fest erwiederte sie diesen stillen Gruß seines Herzens.
Der Kapitän Cavain trat vor die Gefangenen hin, um ihnen noch einmal das Urtheil vorzulesen, aber Jahn wies es mit einer Bewegung der Hand zurück.
»Wir wissen, daß wir sterben müssen« – rief er mit lauter und begeisterter Stimme. – »Wir wissen, daß wir hier als Opfer für Deutschlands Freiheit durch Eure Kugeln fallen werden, aber der Gott des Krieges wird Euch wieder richten. Er wird Euch richten, Euch und Euren Kaiser in blutigen Schlachten. Nicht ewig wird sein Stern und Glück Euch leuchten, nicht immer der goldene Adler die Bahn des Sieges fliegen. Hier auf unserem Todeshügel wird einst wieder das schwarze und weiße Banner wehen und der schwarze Adler auf stolzen Schwingen emporsteigen. Hier werden einst tapfere Kameraden, die unsere Gesinnung theilen, ihr Siegespanier aufpflanzen und Euch übermüthige Fremdlinge mit allen Geißeln des Krieges von deutschem Boden und über den Rhein zurückpeitschen. Es wird eine Zeit kommen, wo die Mauern Eures stolzen Paris vom Donner deutscher Geschütze erschüttert werden – ja es kommt, es kommt die Zeit, wo – – –«
Lauter Trommelwirbel unterbrach ihn und ließ seine letzten Worte ungehört verhallen. Seine Stimme hatte sich mehr und mehr gehoben, seine Gestalt sich höher emporgerichtet und seine Rechte hatte er über seine Feinde ausgestreckt. Wie ein Prophet stand er da, wie der ernste, gewaltige Ruf eines Propheten hatten seine Worte getönt und einen furchtbaren Eindruck auf die französischen Soldaten hervorgerufen. Deshalb wurden die Trommeln geschlagen, um ihn zu unterbrechen.
Die zur Exekution bestimmten Grenadiere erhielten jetzt Befehl, sich bereit zu halten. Man trat zu den Verurtheilten heran, um ihnen die Augen zu verbinden, aber stolz wiesen diese es zurück.
»Fürchtet nichts« – riefen sie – »von uns wird keiner wanken, wir zittern vor Euren Kugeln nicht. Hier ist unser Herz! Zielt gut!«
Noch einmal umarmten sie sich gegenseitig und riefen ihrem Könige und Vaterland ein lautes Lebehoch! Dann standen sie zum Sterben bereit. Karl hatte Margarethe fest und innig an sein Herz gedrückt, ihre Lippen hatten sich zum letzten Male berührt, ihre Augen sich lieb und treu angeschaut. Noch hielt er sie in seinen Armen, noch fühlte er den lauten und warmen Pulsschlag ihres Herzens, da warf der Eine von ihnen, Ernst von Flemming, seine Mütze in die Höhe als Todeszeichen, und sechsundsechzig Todesschüsse hallten laut und donnernd weithin wider.
Zehn von den Tapfern lagen entseelt am Boden. Nur Einer stand noch: es war Karl von Wedell. Nur sein linker Arm war von einer Kugel durchbohrt, die Brust seiner Geliebten hatte seine Brust und sein Gesicht geschützt.
Mit schmerzvollem Lächeln sah er den entseelten Körper des geliebten Mädchens aus seinem Arme niedergleiten. Ihr Auge blickte ihm noch im Tode so lieb und mild, so frei und muthig entgegen. Die Rechte hielt sie auf die durchbohrte Brust gepreßt, ihr Herzblut näßte seine Füße. Mit ihrem Herzen hatte sie die Kugeln, die für seine Brust bestimmt waren, aufgefangen und er, er lebte noch, er allein von allen seinen Kameraden! Er lebte noch, und sie war todt, todt für ihn, todt aus treuer Liebe!
Da trat der kommandirende General hervor und rief ihm Gnade zu.
»Gnade!« – rief Karl, indem er glühend und entrüstet auf ihn sein Auge richtete. – »Mir wollt Ihr das Leben schenken, nun Ihr diese hier gemordet. Ha, Ihr wißt es nicht, welch Herz Euere Kugeln durchbohrt haben. Ihr wißt es nicht! Ich nehme keine Gnade, ich will sterben wie die, die hier zu meinen Füßen liegen. Hier ist mein Herz, Grenadiere, hier, hier, zielt – zielt, hier ist mein Herz – Feuer!«
Eine neue Sektion Grenadiere war hervorgetreten und auf seinen Ruf Feuer! hallten noch einmal sechs Schüsse dumpf und traurig wider, und entseelt sank auch er neben dem Leichname seiner Geliebten nieder – jetzt hatte der Tod ihre Seelen getraut!
Auf derselben Stätte, wo das Blut der Tapferen geflossen war, wurde auch ihr Grab gegraben, und still wurden sie hineingelegt, je zwei und zwei, wie die Fesseln sie verbanden. Die Brust aneinander gepreßt ruhten Karl und Margarethe. Wohl war sie noch warm diese Brust, aber die Herzen, die darin mit so vieler Liebe geschlagen, sie standen still! Und Niemand ahnte, wie nahe sie mit einander verknüpft waren.
Das weite Grab wurde zugeworfen, ein kleiner Hügel erhob sich über ihm – dann war Alles vorbei!
Eilf Leben, eilf frische, junge Menschenleben waren vernichtet! Was galten hier eilf Menschenleben! Aber die Geschichte hat sie nicht vergessen und das deutsche Volk hat sie gerächt!
Nur Margarethe's Tod nennen die Bücher der Geschichte nicht, als Albert von Wedell ist sie eingezeichnet. Nur wenige Menschen wußten, was sie geduldet und gelitten, nur wenige kannten das Ende dieses echten deutschen Mädchenherzens.
Und Albert von Wedell? Eine andere Bahn sollte sein Geschick durchlaufen. Ihm war so ein früher Tod nicht gegönnt. Von dem Fieber genesen, wurde er auf Napoleon's Befehl als Landfriedensbrecher mit mehren seiner Kameraden aus dem Schill'schen Freikorps in das Bagno von Brest gebracht.
Wie ein gemeiner Verbrecher wurde dieser Jüngling aus einem alten edlen deutschen Geschlechte mit den gemeinsten Uebelthätern an eine Kette geschmiedet. Zu den gröbsten und entehrendsten Arbeiten wurde er genöthigt, und als ein Zeichen ewiger Schmach und Schande wurden auf seiner linken Schulter die Buchstaben T. F. ( travaux forcés) eingebrannt.
Und dies Alles, weil er für die Befreiung seines Vaterlandes gefochten! Aber diese beiden Buchstaben auf seiner Schulter, zur ewigen Schande bestimmt, sind für ihn schöner und ehrenvoller als das kostbarste Ehrenband, als der theuerste Orden!
Vier Jahre blieb er als Galeerensträfling in Brest, vier lange Jahre in endloser Qual. Dann wurde er endlich 1814 bei dem siegreichen Eindringen der verbündeten Heere in Paris befreit. Doch auch ihm war eine Genugthuung beschieden. Als Offizier trat er in die preußische Armee ein und nahm Theil an dem Kampfe, der Deutschland für immer von dem französischen Joche freigemacht. Die Schlacht bei Waterloo nennt ehrenvoll seinen Namen.
Jetzt ist er ein Greis. Ob er weiß, daß einst ein Mädchen sein Leben für ihn eingesetzt?
Und Perwetz? – Auch er hat seinen edlen Muth und freien deutschen Sinn gebüßt. Schon wenige Tage nach dem Erschießen der eilf Gefangenen wurde er unerwartet auf kaiserlichen Befehl aufgehoben und nach Frankreich in einen Kerker geschleppt. Vergebens wandte sich seine Gattin, wie er mit mehren Kindern hilflos hatte verlassen müssen und die dem größten Elend preisgegeben war, an Napoleon, um Gnade für ihren Gatten zu erflehen. Auch er mußte ausharren, bis die deutschen Sieger in Paris auch seinen Kerker öffneten und ihn den Seinen wiedergaben.
Vor dem Thore Braunschweigs, an derselben Stätte, wo einst die Schill'schen Soldaten erschossen wurden, steht jetzt inmitten des grünen Angers, rings von einem wohlgepflegten blühenden Garten umgeben, ein einfaches aber schönes Denkmal, das der Nachwelt die Namen der hier gefallenen Krieger aufbewahrt. Unter ihm liegen ihre irdischen Ueberreste und das Haupt ihres tapfern, freiheitsbegeisterten Führers Ferdinand von Schill. In einem kleinen nebenstehenden Häuschen, das einem alten Invaliden des Schill'schen Korps, der das Denkmal seiner Gefährten hier bewacht, als Wohnung dient, befindet sich eine kleine Kapelle. Dort steht die bronzene Büste Schill's, dort hängen seine Waffen, sein Schwert, das er einst so muthig geschwungen, an der Wand. Die Bildnisse des Erzherzogs Karl von Oesterreich, des Herzogs Friedrich Wilhelm von Braunschweig und Andreas Hofers, dieser drei muthigen Kämpfer für Freiheit und Vaterland, hängen daneben und die Wappenschilder aller Offiziere, welche Schill's Banner gefolgt sind, zieren die Wände.
In dem Thurme, welcher sich über dieser kleinen Kapelle erhebt, hängt eine Glocke. Diese wird jährlich an dem Todestage Schill's und am 16. September zum Andenken an die in Wesel erschossenen Krieger geläutet.
Alles in dieser kleinen Kapelle und ringsum ist reich an Andenken von Schill und den Seinen, aber kein Zeichen, keine Reliquie erinnert an das deutsche Mädchen, dessen Herz gleich jenen von Begeisterung für Freiheit und Vaterland erfüllt war, an das Mädchen, das die Waffen muthig schwang und mit freiem begeisterten Herzen in den Tod ging.
Doch auch ihm ist ein Denkmal gesetzt. Dort bei Wesel auf der Wiese an der Lippe, wo die Leichname der Erschossenen ruhen, dort ruft jede Frühlingssonne die schönsten und duftigsten Blumen aus der Erde hervor, und sie treiben Knospen und Blüthen den ganzen Sommer hindurch, schöner und lieblicher als andere Blumen. Das ist ihr Denkmal!
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