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Wenn man im Harz von Goslar nach Clausthal geht, hat man zwischen zwei Wegen zu wählen. Der eine, eine neue Chaussee, führt allmälig aufsteigend und am Berge sich hinschlängelnd, er ist für die Wagen und für die, welche an das Bergsteigen nicht gewöhnt sind; der andere, der alte Weg ist nach der früheren Art und Weise, die Wege anzulegen, grade über den höchsten Gipfel des Auerhahnberges geführt. Er ist der kürzere, aber so steil, daß der verwegene Muth eines Harzers dazu gehört, ihn zu befahren. Weil er aber der kürzere ist, ziehen ihn noch jetzt die Harzer vor. Dort, wo die beiden Wege fast am Fuße des Berges sich treffen, stand einst ein Wirthshaus »Zum Auerhahn« genannt. Verfolgt man den Weg bis zum Thale, so gelangt man zu einer Mühle, deren Räder noch heute sich drehen, getrieben von dem Wasser des nahen Teiches.
In dem halb zerfallenen Wirthshaus zum Auerhahn, in welchem nur Fuhrleute und Holzhauer einkehrten, denn alle anderen Menschen mieden es sorgfältig, da es nicht im besten Rufe stand, und sowohl Goslar wie Clausthal oder Cellerfeld nur eine gute Harzstunde entfernt sind, saßen der Wirth und seine Frau in dem rußigen, schmutzigen Zimmer. Das Zimmer war wenig einladend, hölzerne Bänke an der Wand und unter dem Fenster, ein großer eichener Tisch davor und eine etwas breitere Bank hinter dem großen Ofen bildeten die gesammten Möbeln desselben. An den Wänden hingen Kleidungsstücke, Sägen und Aexte und in den Fenstern standen Branntwein- und Biergläser. Der Wirth, ein Mann von wildem Aussehen, saß an dem Tische, auf dem ein Glas mit Branntwein vor ihm stand, und pfiff ein Harzerlied, während die Frau am Rocken saß und spann. Ein zottiger Hund lag unter dem Ofen und schlief.
Als der Mann eine Zeit lang gepfiffen hatte, und das Glas geleert war, stand er auf und blickte durch die trüben Fensterscheiben.
»Alle Wetter,« rief er plötzlich seiner Frau zu, »da kommen der Barthel und der Rothe im vollen Trabe angelaufen und auch der Müller kommt den Berg herab. Es muß Etwas vorgefallen sein, sonst würden sie's nicht so eilig haben.«
Ohne eine Erwiderung seiner Frau abzuwarten, eilte er zum Zimmer hinaus und trat gleich darauf wieder mit den genannten drei Männern ein.
»Hölle und Teufel!« rief der, wegen seiner brandrothen Haare, der »Rothe« genannte. »Sie sind uns auf der Spur, Du mußt uns verbergen, Martin, es gilt das Leben.«
»Wer ist Euch auf der Spur?« fragte der Wirth.
»Der Jäger Werner und drei Grenzjäger. Der Werner hat den Heinrich erschossen; wir mußten fliehen. Mich hat der Hund durch den rechten Arm geschossen und jetzt sind sie uns auf der Spur – nun verbirg uns.«
Erschrocken stand der Wirth bei dieser Nachricht da.
Seine Frau sprang von dem Rocken in die Höhe, trat zu den Männern, deren Gesichter Erschöpfung und Schrecken ausdrückten, und fragte, wie es gekommen sei.
»Zum Teufel mit Euren Fragen!« fluchte der Rothe, wild mit dem Fuße auf den Boden stampfend. »Als ob es damit nicht Zeit hätte; sagt, wo wir uns verbergen.«
»Im Hause ist kein Raum,« entgegnete der Wirth, »denn sie werden das ganze Haus durchsuchen. Haben die Jäger Euch erkannt?«
»Ich glaube kaum,« erwiderte der Rothe.
»So wollen wir sie hinter das Licht führen, aber ruhig Blut heißt es da. Gebt Eure Büchsen, gib den Rehbock her, Barthel, ich will Alles in den Brunnen werfen, dort sollen sie es mit den feinsten Hundenasen nicht wittern, denn das Wasser läßt keinen Geruch durch. Herausholen können wir es leicht wieder.«
Der Wirth eilte mit den Büchsen und dem erlegten Rehbock zum Zimmer hinaus, während der Rothe sich den blutenden Arm abwusch und mit einem Tuche verband.
Er zog einen an der Wand hängenden Rock des Wirthes an, indeß die Frau den mit Blut beschmutzten Rock hinaustrug, um ihn gleichfalls in den Brunnen zu werfen.
»So, nun mögen sie suchen, soviel sie wollen, es ist sicher vor ihrer Nase,« sprach der wieder in's Zimmer tretende Wirth. »Setzt Euch, setzt Euch; dort kommen die Jäger schon den Auerhahn herab. Hier sind Karten, gib sie schnell, Barthel; hier ist Branntwein, gießt schnell ein paar Glas hinunter, und nun ruhig Blut, wir wollen ihnen weiß machen, wir säßen schon seit Stunden und spielen Solo.«
Schnell leuchtete den Männern die List des Wirthes ein. Sie setzten sich eilig um den Tisch, stürzten einige Glas Branntwein hinunter und stellten sich so eifrig in das Spiel versunken, als ob sie schon stundenlang zusammengesessen.
»Hier habt Ihr Geld,« rief der Wirth, eine Handvoll kleine Münze auf den Tisch werfend, und hier, Müller, nehmt die Kreide und malt Striche und Kreuze vor Euch hin, als ob wir schon lange gespielt. Frau, schreib die Namen an die Thür und mach' Striche darunter – so, jetzt kommen sie schon in's Haus, – nun spielt ruhig aus, Barthel!«
»Ich spiele Schellensolo!« rief der Wirth absichtlich mit lauter Stimme und die Karte mit festem Faustschlage auf den Tisch werfend, als die Thür geöffnet wurde und die Jäger mit rothen, erhitzten Gesichtern eintraten. Erstaunt blieben sie einen Augenblick in der Thür stehen, als sie die Männer, welche sie soeben verfolgt zu haben glaubten, ruhig Solo spielen sahen.
Der Wirth wandte das Gesicht gleichgiltig den Eintretenden zu, lüftete zum Willkommen seine Mütze, wandte sich aber sogleich wieder dem Spiele zu und rief: »Ihr seid am Ausspielen, Müller! – Gustel,« wandte er sich an seine Frau, »die Herren wünschen gewiß einen Trunk Bier oder ein Glas Branntwein, bediene sie. Setzen Sie sich, meine Herren, es ist heute unfreundliches Wetter.«
Die Jäger waren durch die Ruhe der Männer überrascht, nur der junge Jäger Werner, dessen Wangen feurig glühten, wandte sich zu ihnen.
»Wie kommt Ihr hieher?« fragte er die Spielenden.
»Ihr habt noch vor einer halben Stunde am Auerhahn einen Rehbock geschossen!«
Mit verstellter Verwunderung blickten die Wilddiebe den Jäger an. »Ihr scheint zu träumen,« rief der Rothe mit höhnischem Lächeln, »denn seit ein paar Stunden sitzen wir hier beim Solo.«
»Ihr lügt!« entgegnete der Jäger heftig. »Ich habe Eure Stimme wohl erkannt, Kupferschmied, und Ihr sollt uns nicht davon kommen.«
»Ihr müßt ein feines Gehör haben,« lachte der Rothe, »wenn Ihr meine Stimme gehört haben wollt. Sprech't, Martin, wie lange spielen wir Solo bei Euch?«
»Sie sind auf einer falschen Spur,« wandte sich der Wirth nicht ohne Spott an die Jäger, »denn wie gesagt, wir sitzen schon an die drei Stunden beim Solo.«
»Dummes Zeug,« rief der Rothe, »was kümmert es uns, wen die Herren suchen. Spiel aus, Barthel!«
Die Frechheit der Wilddiebe reizte die Jäger. »Es soll Euch aber kümmern!« entgegnete der junge Jäger Werner heftig, indem er den Rothen fest beim rechten Arm ergriff. »Ihr habt den Rehbock geschossen, Kupferschmied, und Ihr andern beiden Gesellen seid auch dabei gewesen, sowohl der Müller wie der Barthel.«
»Tod und Teufel!« fuhr der Rothe in die Höh'. »Wie könnt Ihr mich angreifen, Herr! Laßt meinen Arm los, oder ich schwöre es Euch, es gibt ein Unheil.«
Mit funkelndem, wilden Auge blickte er den Jäger an, aber fest hielt dessen Hand seinen verwundeten Arm umschlossen.
»Laßt das sein, Werner,« sprach einer der Grenzjäger, »wir werden sie schon fassen. Ein Rehbock läßt sich nicht in die Westentasche stecken. Hier im Hause steckt er, wir werden ihn schon finden.«
»In mein Haus verlaufen sich keine Rehböcke,« entgegnete der Wirth spottend. »Aber macht es den Herren Vergnügen, selbst nachzusehen, ich habe nichts dagegen.«
Ruhig blieben die Wilddiebe am Tische sitzen und spielten weiter, während die Jäger das ganze Haus durchsuchten.
»Sie sollen lange suchen, ehe sie es finden, und wenn sie ihren Hund auch in jeden Winkel riechen lassen,« lachte der Wirth mit leiser Stimme.
Ohne das Geringste gefunden zu haben, kehrten die Jäger wieder zurück. »Wir werden Euch schon fassen, denkt an uns; wir sprechen uns wieder, dann will ich's Euch entgelten, und vor Allem Euch, Kupferschmied,« rief der junge Jäger, indem er ärgerlich das Zimmer verließ.
»Seid auf Eurer eigenen Hut, Herr Werner,« rief ihm der Kupferschmied lachend nach, »Ihr habt's vielleicht noch einmal nöthig.«
Die Jäger hatten das Haus verlassen, um in der Umgebung desselben Alles zu durchforschen. »Haben wir die Spitzbuben auch nicht fangen können, denn sie waren es, aber schlau sind die Hunde wie der Teufel, so daß man sie nicht fängt, wenn man sie nicht bei frischer That faßt, so wollen wir doch ihre Büchsen schon finden. Wo der Bock liegt, befinden sich auch die Büchsen. Such', verloren, Diana!« rief der junge Jäger seinem schönen Jagdhunde zu.
Als die Jäger sich vom Hause entfernt hatten, fing der Wirth, indem er die Karten niederlegte, laut an zu lachen: »Das heiße ich Einen hinter's Licht führen. Dachten die Kerle doch, sie hätten Euch sämmtlich schon beim Kragen. Und was sie für Gesichter machten, als sie uns ruhig beim Solo trafen!«
»Soll mich der Teufel beim lebendigen Leibe in die Hölle schicken,« rief der Rothe fluchend, »wenn ich dem Jäger dies je vergesse, hat mich der Hund hier in meinen durchschossenen Arm gekniffen, daß ich mit aller Macht an mich halten mußte, um nicht laut aufzuschreien,« und behutsam befühlte er seinen rechten Arm. »Aber ich will's dem Burschen eintränken, wenn ich ihm wieder begegne, daß er sein Lebtag keine Maus wieder schreien hören soll. Er hat den Heinrich erschossen, das fordert Rache!«
»Er soll's büßen!« riefen die beiden anderen Wilddiebe, »sonst ist unser Leben nicht mehr sicher!«
Der Wirth war an's Fenster getreten und schaute den Jägern nach. »Sie gehen zur Mühle,« sagte er, »habt Ihr Etwas im Hause, Müller?«
»Laßt sie nur suchen,« erwiderte der Gefragte. »Wenn sie ein anderes Wild finden, als Ratten und Mäuse, so mögen sie es mitnehmen.«
»Wie ist es mit dem Heinrich gekommen?« fragte der Wirth zum Tische zurückkehrend. »Erzählt, Kupferschmied.«
»Wir hatten am Auerhahnhorn auf Anstand gesessen und einen Spießer geschossen,« erzählte der Rothe, »und waren eben dabei, ihn auszuweiden, als ich des Jägers Hund plötzlich hinter uns bemerkte. Der Heinrich wollte das Thier sogleich über den Haufen schießen, ich hielt ihn noch zurück. ›Wo der Hund ist, ist auch der Jäger nicht weit,‹ sagte ich, und kaum hatte ich die Worte ausgesprochen, als ich schon die Jäger durch den Forst kommen sah. Sie waren ihrer sechs und wir waren nur vier Läufe. Da rieth ich, uns aus dem Staube zu machen, weil sie uns noch nicht gesehen. Schnell nahmen wir die Büchsen und Barthel hing den Bock über die Schulter – nun auf und davon. Aber den Heinrich plagte der Teufel! Er trug dem Jäger schon lange Eins nach und er wandte sich deshalb um und schoß. Ich sah, wie dem Jäger der Hut vom Kopfe flog, aber wie ein Blitz hatte er angelegt und schoß den Heinrich grade durch den Kopf. Ich sah ihn fallen, konnte ihm aber nicht beispringen, denn die Jäger waren uns arg auf der Fährte.«
»Hört!« rief der Wirth, »wenn Ihr dem Burschen nicht Eins aufprallt, so wird er Euch das Geschäft bald verderben. Er zielt nicht lange und scheut sich nicht, auf einen Menschen anzulegen, das habt Ihr gesehen.«
»Soll mich der Teufel holen!« entgegnete der Rothe, indem er mit der Faust wild auf den Tisch schlug, »wenn ich eher wieder auf einen Bock anlege, ehe ich dem Burschen Eins versetzt habe. Und wer von Euch,« wandte er sich zu den beiden Wilddieben, »es dem Jäger nicht nachträgt, bekommt es mit mir zu thun.«
»Hier die Hand, Rother,« riefen der Müller und der Barthel, »daß wir den Heinrich rächen!«
»Nun, hol' Branntwein, Martin,« rief der Rothe.
»Ich will noch ein Glas trinken und dann nach Goslar zurück. Meine Büchse kannst Du hier behalten.«
Der Rothe war vom Gewerbe ein Kupferschmied aus Goslar und als einer der gefährlichsten und schlauesten Wilddiebe der ganzen Gegend bekannt. Er war klein und anscheinend zierlich gebaut, aber abgehärtet gegen jedes Wetter. Mit einer Flasche Branntwein und einem Stück Brod in der Tasche brachte er Tage und Nächte im Walde zu. Anfangs wilddiebte er aus Vergnügen – jetzt war es ihm zur Leidenschaft und zum Broderwerbe geworden. Vergebens hatten die Jäger ihm seit Jahren aufgepaßt – noch keinem war es gelungen, ihn zu überlisten. Das Gerücht erzählte die frechsten Wildfrevel von ihm, aber das Gericht hatte keine Beweise in Händen und konnte ihm nichts anhaben.
Der Müller war der Besitzer der Mühle im Thale. Das Wilddieben gefiel ihm auch besser als sein Gewerbe ehrlich und fleißig zu betreiben. Die Mühle stand oft still, nicht weil es dem Müller an Wasser und Korn fehlte, sondern an Lust zur Arbeit. Er war ein großer, starker Mann, er schoß gut und sicher, aber ihm fehlte die Schlauheit, welche der Kupferschmied besaß, deshalb schloß er sich ihm gern auf seinen Wilddiebereien an. Aehnlich war der Barthel, ein Holzhauer. Den Vierten, den Heinrich, hatten die Jäger erschossen.
Das Wirthshaus »Zum Auerhahn« bildete den Versammlungsort für die Wilddiebe und der Wirth nahm ihnen das erlegte Wild ab, das er heimlich nach Cellerfeld und Clausthal verkaufte.
Am Abende des Tages, an welchem der junge Jäger Werner den Wilddieb erschossen hatte, kehrte er spät zur Försterei zurück. Vergebens hatte er die Gegend durchstreift, keine Spur des von den Wilddieben erlegten Spießers und von den Büchsen der Wilddiebe hatte er gefunden. Aber nicht deshalb ging er so verstimmt und in sich gekehrt, nicht deshalb, weil er schon wochenlang den Wilddieben vergebens aufgelauert hatte, ganz andere Gefühle und Gedanken bewegten seine Brust. Er hatte zum ersten Male in seinem Leben die Büchse auf einen Menschen gerichtet, es rief ihm fortwährend eine Stimme: »Mörder!« in's Ohr, so sehr auch sein Verstand ihm sagen mochte, daß er nur nach dem Gesetze gehandelt habe, daß er vor dem Gesetze unstrafbar sei, ja, daß er selbst eine Belohnung empfangen werde – im Herzen und vor Gott fühlte er sich nicht frei.
Still trat er in das Försterhaus, trat ein in das Zimmer des Försters Bruno, in dessen Diensten er stand, und erzählte ihm das Erlebniß dieses Tages.
»Reich' mir die Hand, Junge!« rief der Förster erfreut, »Du bist ein braver Bursch. Du hast den Forst von dem nichtsnutzigsten Kerl befreit und ich werde darauf antragen, daß Du die Dir zukommende Belohnung von hundert Thalern erhältst.«
»Nein, nein,« erwiderte Werner, indem er mit der Hand über die Stirn fuhr, als wenn er einen schweren und drückenden Gedanken von dort verscheuchen wollte.
»Nein, Herr Förster, nicht um die ganze Welt nehme ich jenen Lohn für ein Menschenleben, dessen Mörder ich bin.«
Erstaunt, verwundert blickte der Förster den Jäger an. Großgewachsen im Harz, seit langen Jahren im ewigen Kampfe mit den Wilddieben, war er deren ärgster Feind geworden und hielt es nicht für einen Mord, einen Wilddieb zu erschießen.
»Wie, Werner!« rief er. »Ich begreife nicht; Du schlägst die Belohnung aus? Du freust Dich nicht, daß Du den Kerl erschossen? Er hat zuerst auf Dich geschossen, es war Nothwehr, es war Pflicht, denn das Gesetz schreibt vor, den Wilddieb zu erschießen, der das Gewehr nicht fortwirft oder gar auf den Jäger anlegt.«
»Nein,« berichtigte Werner, »das Gesetz gestattet auf den Wilddieb zu schießen, um ihn umschädlich zu machen, aber nicht um ihn zu tödten.«
»Und hast Du ihn todtschießen wollen?«
»Nein, gewiß nicht. Er schoß mir den Hut von dem Kopfe, die Kugel streifte meine Stirn und ich legte schnell die Büchse an, ich zielte nicht, schoß in der Aufregung und traf ihn durch den Kopf.«
»Und das ist brav von Dir, brav, wie es sich für einen Jäger geziemt. Ich selbst, Werner, habe vor Jahren mit der Büchse dort an der Wand zwei Wilddiebe, die gleichfalls auf mich angelegt hatten, erschossen und noch heute bin ich stolz darauf. Ich habe mit Stolz die zwei hundert Thaler Belohnung angenommen und habe sie Marie zum Heiratsgut ausgesetzt, oder schlägst Du dieses Heiratsgut aus?« setzte der Förster lachend hinzu.
»Gewiß, Herr Förster,« erwiderte Werner, indem er einen Schritt von ihm zurücktrat, »ich kann kein Gut empfangen, an dem das Blut eines Menschen haftet.«
»Du bist ein Narr,« platzte jetzt der Förster unwillig heraus. »Du bist aufgeregt, ich weiß ja, wie es Einem in Deinen Jahren ergeht. Schlafe Deine Aufregung aus, morgen wirst Du anders darüber denken.«
»Nie werde ich es, nie!« erwiderte Werner. »Mag das Gesetz mich freisprechen, mich selbst belohnen, – hier im Herzen sagt es mir: ›Du bist ein Mörder.‹«
»Du bist es nicht,« rief der Förster laut. »Gut daß der Kerl todt ist. Noch habe ich Dir nicht erzählt, wie dieser Heinrich vor wenigen Jahren mit meinem Leben gespielt hat. Höre zu, und Du wirst anders sprechen. Ich ging in den Forst, Marie an der Hand. Das muthwillige Mädchen hatte mir einen Tannenzweig an die Mütze gesteckt und ich ließ sie gewähren. Als ich tiefer in den Wald ging, um eine neue Anpflanzung zu besehen, schickte ich das Mädel heim und ließ den Zweig auf der Mütze stecken; sorglos weitergehend. Als ich um einen Felsen bog, stand ich plötzlich vor einer Anzahl Wilddiebe, wohl acht bis zehn, die, ohne sich durch meine Ankunft stören zu lassen, einen Hirsch ausweideten. Ich wußte, daß es Thorheit gewesen wäre, hätte ich ihnen irgend Etwas thun wollen. Sie hätten mich über den Haufen geschossen, und kein Hahn hätte darnach gekräht. Ich grüßte die Wilddiebe, die meinen Gruß kaum erwiderten, und wollte vorübergehen. Da hörte ich diesen selben Heinrich zu den Andern sprechen: ›Ich will den Kerl über den Haufen schießen, er hat uns alle gesehen, er kann uns beim Gerichte angeben.‹ Mit Mühe hielten ihn die Andern ab und sagten, daß ich Weib und Kind hätte. ›Laßt sie verhungern, die Brut!‹ rief der Bösewicht. ›Wer fragt nach meinem Weibe, wenn ich in's Zuchthaus komme?‹ – ›Er zeigt uns nicht beim Gerichte an,‹ warfen die Anderen ein, ›denn er weiß, daß uns unsere Kameraden rächen würden.‹ Aber der Bösewicht wollte sich nicht abhalten lassen. ›Halt!‹ rief er mir nach und als ich ohne darauf zu achten, weiter schritt, pfiff eine Kugel so dicht bei meinem Ohre vorbei, daß mein Haar gestreift wurde. Ich stand still und drehte mich um. ›Ich will ihm diesmal noch das Leben schenken,‹ rief er, ›aber er soll meine Büchse kennen lernen, damit er auch weiß, wie sicher ihn meine Kugel trifft, wenn er uns verräth. Steh' still und rühre Dich nicht!‹ rief er mir zu, ›oder ich schieße Dir die Kugel durch den Kopf.‹ – Ich stand ruhig, ich kannte die Wilddiebe. ›Kameraden,‹ rief er, ›jetzt will ich Scheibenschießen halten, – den Strauß an der Mütze!‹ – Er legte an. Ich sah ihm in's Auge – die Büchse knallte und der Tannenzweig fiel zerknickt von der Mütze. – ›Steh' still, Schuft!‹ rief er wieder und ruhig lud er seine Büchse auf's Neue. – ›Dreh Dich zur Seite – so. Nun sag, welchen Knopf ich Dir vom Rocke schießen soll.‹ – Ich schwieg. – ›So will ich den mitttelsten nehmen, er sitzt dem Herzen am Nächsten.‹ Er zielte und der Knopf fiel herab.«
Der Förster schwieg einen Augenblick. »Ich hab's noch Niemand erzählt,« fuhr er fort, »aber hier innen im Herzen, da hat es mich gewurmt. War das menschlich, so mit eines Menschen Leben zu spielen? Es war mehr als gottlos! Aber nicht ich wollte mich rächen. Gott wird ihm seinen Lohn geben, sagte ich mir, und er hat ihn erhalten durch Deine Hand.«
Bewegt und schweigend stand Werner da. Fast schien es ihm, als ob ein höheres Gericht seine Hand geleitet habe.
»Fürchte nicht,« fuhr der Förster fort, »daß sie an Dir Rache nehmen werden. Sie haben Deine Büchse kennen gelernt und fürchten Dich, Du bist jetzt sicherer als zuvor. – Hast Du Marie schon davon erzählt?«
»Nein, noch weiß sie es nicht,« erwiderte Werner.
»So verschweig's ihr. Das Mädel hat ebenso närrische Gedanken wie Du, weil es das Gesindel nicht kennt.«
»Was soll er mir verschweigen?« fragte ein liebliches, rosiges Mädchen, das bei den letzten Worten unbemerkt in's Zimmer getreten war und auf Werner zueilte.
»O Gott! Wie siehst Du aus, Werner!« rief sie erschrocken den jungen Jäger anblickend. »Dein Gesicht ist bleich, Deine Hände, Dein Rock blutig!«
»Thörichtes Mädel,« rief der Förster, »er hat einen Rehbock geschossen, einen Rehbock und nichts weiter.«
Aber als ob sie es geahnt hätte, rief sie: »Nein Vater, es ist etwas Schreckliches vorgefallen, es klebt Menschenblut an seiner Hand!«
Erschrocken fuhr Werner in die Höhe. Er eilte auf das Mädchen zu, und in seinem Auge, das nicht lügen konnte, las sie die Wahrheit. Mit starrem, fragenden Blicke sah sie ihn an.
»Du hast die Wahrheit gesprochen,« sprach der junge Mann bewegt, »Dir kann ich es am wenigsten verschweigen, mag ich auch schuldig in Deinen Augen dastehen. Dein Herz wird mich nicht verurtheilen.«
Er ergriff ihre Hand, aber sie zog sie scheu zurück.
»Zum Kukuk mit dem Weibsvolk!« rief der alte Förster unwillig. »Daß sie immer kommen, wenn sie am wenigsten gerufen sind. Nun ist die Bescherung da und die Thränen werden auch nicht ausbleiben. Ich sag' es Dir aber Mädel, verdrehst Du dem Jungen den Kopf noch mehr, so soll Dich …« ohne die letzten Worte ausgesprochen zu haben, verließ der Förster das Zimmer.
Der Anblick seiner bleichen Braut stimmte den jungen Jäger ruhiger. Er erzählte ihr den ganzen Vorgang, erzählte ihr, wie derselbe Mann, den er erschossen, mit dem Leben ihres Vaters gespielt habe und in Thränen machte sich das beklemmte Herz des Mädchens Luft. Laut weinte sie an ihres Verlobten Brust, aber mehr in Gedanken an die Gefahr, die sein Leben bedroht hatte, und die, welcher er entgegen ging.
»Sie werden sich an Dir rächen, Werner,« schluchzte sie, »sie werden Dir nach dem Leben trachten,« und mit Mühe gelang es dem jungen Jäger, das besorgte Herz des Mädchens zu beruhigen durch die Worte seiner Liebe.
Der Wildfrevel in der Umgegend von Goslar, am Auerhahn und Rammelsberge wurde von Tage zu Tage ärger und frecher und der rothe Kupferschmied aus Goslar war der Hauptführer der Wilddiebe. So schlau und pfiffig wie er, war Niemand. Keiner kannte so gut wie er die Wege der Berge, jeden Schlupfwinkel hinter Felsen oder im unwegsamen Tannendickicht. Keiner verstand so wie er die Rehe und Hirsche zu bladen – durch die Nachahmung des Geschreies der Rehricken oder Hirschkühe locken die Jäger die männlichen Thiere herbei und dies heißt in der Jägersprache »bladen«. – Seine Kugel fehlte nie, seine Hand kannte kein Zittern, er war ein unübertrefflicher Jäger, der nie das linke Schulterblatt des Wildes fehlte, dem seit Jahren kein angeschossener Hirsch entgangen war.
Vergebens boten Werner und der Förster Bruno Alles auf, um einen der Wilddiebe habhaft zu werden, aber sie kannten die Schlauheit des Kupferschmieds, unter dessen Leitung auch die Andern standen. Ohne Furcht ging Werner in den Wald. Er blieb Nächtelang in ihm, er wollte den Wilddieben, die schonungslos selbst die Ricken und Hirschkühe erlegten, das Handwerk legen.
Mit besorgtem Herzen blickte ihm Marie jedesmal nach, wenn wer in den Forst ging.
»Höre, Werner,« sprach eines Tages der Förster Bruno zu ihm, »ich kann's nicht mehr ertragen mit dem Wildfrevel; die ganze Gegend spricht davon. Sobald Du mir einen Wilddieb auf der That ertappt bringst, lebend oder todt, gleichviel, so magst Du die Marie heiraten. Ich bin alt, ich werde um Pensionirung nachsuchen und Du sollst meine Stelle erhalten. Nun sei wachsam, aber zugleich auch vorsichtig, Du weißt, wie die Kerle schießen, weißt, was ihnen ein Menschenleben gilt. Hier hast Du meine Doppelbüchse, ohne sie sollst Du nicht mehr in den Forst gehen. Siehe zu, daß Du es allein vermagst, ich mag nicht bei dem Oberförster um Hilfe nachsuchen; weiß der Henker, wie die Kerle sogleich Wind davon bekommen, und dann sind sie doppelt auf ihrer Hut.«
Einen schöneren, höheren Preis, als den Besitz seiner Marie, gab es für den jungen Jäger nicht, und durch Nichts hätte der Förster ihn mehr anzuspornen vermocht.
Tag und Nacht kam er nicht aus dem Forste, so manche Thräne seine Braut auch deßhalb weinen mochte. Zweimal traf er den Müller auf frischer That beim Wildfrevel, aber jedesmal ward er zu früh bemerkt, der Müller entkam ihm durch die Flucht und um nichts in der Welt hätte Werner zum zweiten Male seine Büchse auf einen Menschen gerichtet.
»Du bist ein Narr und wirst Dein Lebtag nicht gescheit,« zürnte der alte Förster. »Schieß ihnen eine Kugel in den Leib und sie werden das Laufen schon lassen.«
Werner blieb trotz aller Rede des Försters seinem Grundsatze treu. »Mögen sie mich todt schießen,« sprach er zu sich selbst, »ich schieße nicht. Ein Menschenleben habe ich vernichtet, ohne es gewollt zu haben, es liegt mir schwer am Herzen, ein zweites nehme ich nicht.«
Das Glück war indeß Werner näher und günstiger, als er gehofft hatte.
Spät Abends, als der Mond sich am östlichen Himmelssaume erhob, verließ er die Försterwohnung, um in den Forst zu gehen. Alle schliefen im Hause. Leise pfiff er seinen treuen Hund, seinen unzertrennlichen Begleiter, warf noch einen liebenden Blick und Kuß zum Fenster seiner Geliebten empor und im süßen Träumen von dem Glücke seiner Zukunft schritt er in den dunkeln Tannenwald hinein. Alles war still ringsum. Nur hier und dort stahlen sich einige schwache Mondesstrahlen durch die dichten Tannenzweige und glitzerten in den Thauperlen am Moose. Still und mit kaum hörbarem Schritte ging der Jäger weiter. Da hallte ein Schuß aus nicht weiter Ferne durch den Wald und die Berge warfen das Echo grollend zurück. Werner fuhr empor aus seinen Träumen. »Ruhig!« rief er dem leise knurrenden Hunde zu, »hinter Diana!« und das Thier ging schweigsam und gehorsam hinter seinem Herrn, der rasch der Gegend, aus welcher der Schall gekommen, zueilte.
Vorsichtig schritt er im Dunkel des Waldsaumes weiter, als er an einen von Holz entblößten Bergrein kam, den der Mondschein erhellte. An dem Saume des Holzes sah er zwei Männer sitzen. »Ruhig, Diana, ruhig!« sprach er leise zu seinem Hunde und das Thier gab keinen Laut von sich. Er schritt näher und erkannte den Müller und den Barthel. Schon konnte er ihre Stimmen vernehmen, er sah sie ein Reh ausweiden. Die Büchsen hatten sie an einen Baum gelehnt.
Mit klopfendem Herzen stand Werner einen Augenblick still. Er horchte, er suchte mit dem Auge das Dunkel des Waldes zu durchdringen, weil er glaubte andere Wilddiebe seien als Wachen ausgestellt, wie sie es zu thun pflegen, aber nichts erblickte er. Alles blieb still und ruhig und die beiden Wilddiebe führten ein sorgloses Gespräch. Laut, fast hörbar schlug Werners Herz, er dachte an seine Braut und ihren nahen Besitz, er dachte an sein goldenes Glück und mit den leisen Worten: »Zu, in Gottes Namen und ihm befohlen,« schlich er näher an die Männer heran.
Wenige Schritte war er noch von ihnen entfernt, das Dunkel des Waldes schützte ihn, sie hatten ihn noch nicht bemerkt. Da sprang er plötzlich mit gewaltigem Satze vor, riß mit einem Griffe die beiden an den Baum gelehnten Büchsen an sich und mit muthigem Blicke stand er den Wilddieben gegenüber.
Erschrocken und wild fuhren die Männer in die Höhe, ihre Augen glühten; einen schrecklichen Fluch stießen sie aus, als sie ihre Büchsen in der Hand des Jägers sahen und mit dem Weidmesser in der Hand wollten sie auf den Jäger losstürzen.
»Keinen Schritt näher!« donnerte ihnen Werner entgegen, indem er mit aufgezogenem Hahn ihnen seine Doppelbüchse entgegen hielt. »Keinen Schritt näher, oder ich schieße Euch über den Haufen!«
In ohnmächtiger Wuth standen die Wilddiebe vor ihm. Der Blick des Jägers zeigte ihnen, daß er willens sei, seine Worte auszuführen. »Werft die Messer fort,« rief er ihnen zu, aber ohne ein Wort zu erwidern, suchten die Männer ihre Rettung in der Flucht. Unwillkürlich hob der Jäger die Büchse, aber er ließ sie wieder sinken und mit dem Rufe: »Faß Diana!« stürzte er den Männern nach. Wie ein Pfeil schoß der Hund vor, mit einem Satze faßte er den Einen im Nacken und riß ihn nieder, während der Müller schnell im Walde verschwunden war.
Vergebens kämpfte der niedergeworfene Barthel mit dem Hunde, er stieß ihm sein Weidmesser in das Bein, aber der Hund ließ ihn nicht los. Mit einem Satze stürzte Werner auf ihn, entrang ihm das Messer und mit Riesenkraft wand er ihm seine Hundeschnur um die Hände und band diese ihm auf den Rücken.
Mit vor Zorn und Wuth knirschenden Zähnen stand der Wilddieb auf, aber kein Wort kam über seine Lippen, denn er wußte, daß er rettungslos verloren, daß keine Hilfe für ihn war.
Werner band die Füße des erlegten Rehes zusammen, hing dasselbe dem Wilddieb um den Hals und mit den Worten: »Machst Du den geringsten Versuch zu entfliehen, so schieße ich Dich über den Haufen,« trieb er den Gefangenen vor sich her, während er selbst mit der Büchse in der Hand folgte.
Die Hände des Jägers zitterten vor innerer Aufregung, und im Herzen pochte und stürmte es ihm vor Freude. Endlich, endlich war sein Wunsch, sein Streben erfüllt; nun stand er vor der Pforte seines Glückes, nun sollte seine Braut, seine Marie ihm ganz zu eigen werden.
Mit lautem Freuden- und Hollarufe weckte er den alten Förster aus dem Schlafe, als er mit seinem Gefangenen am Forsthause ankam. Und die Freude des Försters war unbeschreiblich. »Hast Du den Schuft, hast Du den Halunken endlich gefangen, mein guter Junge?« rief er. »Siebst Du Bursch,« wandte er sich an den Gefesselten, »hast Du Dich endlich fassen lassen und trägst Deinen eigenen Frevel um den Hals gehängt. Ha, warte nur,« lachte er, »wirst bald noch ein anderes Halsband bekommen, das Dir noch enger und fester sitzt. Es ist Schade, daß Du statt des Eisens nicht den Strick um den Hals bekommst, ich selbst wollte ihn Dir umlegen und es sollte meine größte Freude sein, wenn ich Euch alle, Ihr Gesindel, am Galgen hängen sähe. Aber zwanzig Jahre Zuchthaus sollen Dir auch schon bekommen, mein Bursche,« und er untersuchte, ob die Hände des Wilddiebes auch fest genug gebunden und zog die Schnur noch fester an.
Der Wilddieb knirschte in ohnmächtiger Wuth mit den Zähnen. »Du sollst es büßen!« murmelte er mit schrecklichem Fluche.
»Ha ha, ich fürchte mich nicht vor Euch, Ihr Gesindel,« entgegnete der Förster, »aber erst sollst Du büßen, zwanzig Jahre Ketten an den Beinen, mein Bürschchen. Komm Werner,« wandte er sich an den Jäger, »wir wollen den Burschen auf mein Zimmer bringen und ihn krumm schließen. Ich selbst will bei ihm wachen und wenn er sich rührt oder muckst, so schieße ich ihm eine Kugel vor den Kopf so wahr ich Förster bin!«
Er faßte den Wilddieb mit gewaltiger Faust am Arme und stieß ihn ins Haus und in sein Zimmer. Mit einer Hundeleine band er ihm die Beine zusammen, band mit Riesenkraft die Knie dicht an den Kopf, daß er sich nicht zu rühren vermochte und setzte sich in einen großen Sessel vor ihm, die gespannte Büchse auf den Tisch neben sich legend. »So, Du Halunke,« sagte er, »nun versuch's einmal zu fliehen. Rüttle Dich nur einmal und Du sollst fühlen, wie es Einem zu Sinne ist, dem eine Kugel durch den Kopf fährt. Schade, daß der Werner den anderen Spitzbuben nicht auch gefaßt bat, aber wir wollen ihn schon fangen. Es war der Müller? Sag war es der Müller?«
Der Wilddieb schwieg.
»Antworte, Du Hund!« rief der Förster, »oder ich will Dir mit der Hundepeitsche den Mund öffnen,« und er schwang die Peitsche über den Rücken des Gefesselten, aber dieser schwieg und warf ihm nur einen frechen, wüthenden Blick zu.
»Ha warte nur. Auf dem Gerichte werden sie es Dir schon einbläuen und Du wirst sprechen lernen wie ein junger Rabe. Wasser und Brod und ein paar Ketten an den Beinen machen zahm. Du wirst schon singen lernen, Bürschchen, und wenn Du gehängt wirst, will ich fünf Thaler in die Armenkasse legen, aus purer Freude, ja aus Freude, daß ein nichtsnutziger Schlingel weniger ist in der Welt!«
Der Wilddieb beharrte in seinem Schweigen.
Während der Förster sich mit dem Gefangenen unterhielt, saßen Werner und Marie in des Mädchens Zimmer und hatten die Hände in einander gelegt. Selige Freude sprach aus ihren Mienen und ihre Augen ruhten lieb und gut in einander. »In vier Wochen,« flüsterte Max seiner Geliebten in's Ohr, als er ihr gute Nacht sagte und sie auf die Stirn küßte, »in vier Wochen!« und das Mädchen schlug lieblich erröthend die Augen nieder.
»In vier Wochen!« – In diesem kurzen Zeitraume hatte sich soviel ereignet. Barthel saß wohl geborgen im Gefängnisse, eine schwere Kette fesselte seine Beine und ein eisernes Band umschloß seinen Hals, wie der Förster es ihm vorausgesagt. Fünfundzwanzig Jahre Kettenstrafe hatte der Urtheilspruch für den Wilddieb gelautet.
Der Müller im Thale war gerichtlich eingezogen; allein mit einem frechen Eide hatte er die Aussage Werners widerlegt. Auerhahnwirth Martin und der rothe Kupferschmied hatten gleichfalls einen Eid geleistet, daß der Müller an jenem Abende und die ganze Nacht hindurch mit ihnen Solo gespielt und das Wirthshaus nicht verlassen habe. Der Müller war nach einigen Tagen Haft wegen mangelnden Beweises und durch die Zeugenaussage des Wirthes und Kupferschmiedes entlastet, wieder freigegeben.
Barthel hatte vor Gericht nichts ausgesagt. Alle Drohungen, selbst die strengste Haft bei Wasser und Brod hatte nicht vermocht, ihn zu dem Geständnisse zu bringen, daß ein zweiter und wer an jenem Abende mit ihm gewesen. Als er mit dem Müller vor dem Richter zusammentraf, sagte er: »Ich bin allein gewesen, und ist ein Zweiter mit mir gewesen, so wird er mich rächen.« Weiter war nichts aus ihm herauszubringen.
Erfreut über die Schweigsamkeit des Barthels war der Müller heimgekehrt und als er mit dem Rothen zusammengetroffen war, hatte er gerufen: »der Barthel ist ein Hauptkerl: ich glaube, er ließe sich eher die Glieder aus einanderreißen und auf's Rad flechten, ehe er seinen Cameraden verriethe. Aber meine Hand soll verdorren,« hatte er geschworen, »wenn ich ihn und Heinrichs Tod nicht furchtbar räche!« Und einen ebenso schrecklichen Schwur hatte der Rothe gethan, daß er es dem Werner gedenken wolle.
»In vier Wochen!« – Ein reges, fröhliches Leben herrschte in dem Försterhause. Die Thüren waren bekränzt und mit Eichenlaub geschmückt. Hof und Garten waren sauber gekehrt und gefegt und Alles zeigte an, daß ein festlicher Tag im Forsthause begangen werde. Werner's Gesicht strahlte in seliger Freude. War es darüber, daß er an diesem Tage an des pensionirten Försters Bruno Stelle getreten war? War es darüber, daß er an diesem Tage eine Belohnung von hundert Thalern für den so muthig und mit Gefahr seines eigenen Lebens gefangenen Wilddieb erhalten hatte? – Wohl freuete er sich darüber, aber nicht deßhalb schlug sein Herz so laut vor ungestümer Freude – es war der Tag, an welchem ihm seine Marie angetraut wurde.
Und würde nicht das Herz eines jeden Mannes so laut vor Freude geschlagen haben, wenn ihm die liebliche Marie mit dem Myrtenkranze in den Haaren als Braut entgegen getreten wäre! Als Max in seiner schmucken Jägeruniform mit Marie vor dem Altare stand, mußte sich ein Jeder sagen, daß er noch kein so schmuckes Brautpaar gesehen habe. Und als der Geistliche ihre Hände in einanderlegte, da weinte der alte Förster vor Freude wie ein Kind, Thränen tropften in seinen greisen Bart und der alte Weidmann war so weich und gerührt geworden wie ein Frauenherz. »Es ist ja der schönste Tag meines Lebens,« rief er freudig, als er aus der Kirche trat, »da sind mir die Thränen in die Augen gekommen, ich weiß nicht woher,« und herzlich drückte er seine Kinder an sein Herz.
Der alte Förster schien durch das Glück seiner Kinder wieder jung geworden zu sein. Niemand übertraf ihn an diesem Tage an Heiterkeit. Seine besten Anekdoten und Späße gab er zum Besten und mitten in seiner heitersten Laune traten ihm die Thränen in die Augen, wenn er auf seine Kinder schaute, die in seligem Glücke, die Hände in einander gelegt beisammensaßen.
Und die Freude, die an diesem Tage in dem Försterhause geherrscht hatte, wich auch in den folgenden Tagen und Wochen nicht. Der alte Förster war wieder jung geworden und heiter wie nie zuvor. »Ich bin ein alter pensionirter Krüppel,« rief er scherzend, »aber der Kukuk weiß, mir ist's im Herzen so wohl und lustig, wie mir's in meinem ganzen Leben nicht gewesen.« Max und Maria genoßen in ungestörter Freude ihr seliges Glück. –
Wieder waren vier Wochen verflossen, vier Wochen unbeschreiblichen Glückes für das junge Paar. Am nächsten Sonntage fand in Goslar das jährliche Fahnenfest statt, an dem auch der Förster Bruno mit seinen Kindern Theil nehmen wollte. Schon am Morgen ging der Alte mit seiner Tochter zur Stadt zu einem Bekannten, während Max am Nachmittage nach zu kommen versprach. Er hatte Geschäfte vorgeschützt, welche er bis dahin noch erledigen wolle; der wahre Grund aber war, daß er seinem jungen Weibe, dessen Geburtstag am folgenden Tage war, eine Ueberraschung vorbereiten wollte. Zärtlich nahmen die jungen Leute für die wenigen Stunden Abschied. Als Max allein war, trat er in Mariens Zimmer und kramte ihr die Geschenke aus, mit denen er sie überraschen wollte. Mit Innigkeit weilte sein Blick auf jedem Gegenstande, der ihn an seine Marie erinnerte und so heimisch und wohl war es ihm in ihrem Zimmer, daß die Mittagsstunde schlug, ehe er es ahnte.
Schnell eilte er in den Wald, um von einer Waldwiese einen Strauß Blumen zu holen, welche Marie vor allen liebte. Die Büchse über die Schulter gehängt, von seinem unzertrennlichen Hunde gefolgt, trat er sorglos in den Forst. Es war still ringsum. Kein Mensch ließ sich blicken, denn aus der Umgegend waren alle Menschen nach Goslar zum Fahnenfeste geeilt.
Schnell hatte Werner die einsam gelegene Waldwiese erreicht. Fröhlich singend pflückte er die duftenden Waldblumen zum Strauß für sein Weib. Schon hatte er den Strauß fast vollendet und hatte sich niedergesetzt, um die Blumen zierlich zusammenzulegen, da hallte ein Schuß aus dem Walde hinter ihm und in die rechte Schulter getroffen, sank er um. Ein lautes Lachen schallte aus dem Walde.
Ehe sich Max noch erbeben konnte, erfaßte ihn eine rohe Hand. Der Hund stürzte sich auf den Mörder seines Herrn, aber ein Schuß streckte ihn todt nieder. Als Max sich erschrocken umschaute, traf sein Auge auf die höhnisch lachenden, teuflischen Gesichter des rothen Kupferschmieds und des Müllers.
»Endlich haben wir Dich, Schurke,« rief der Rothe wild, »und heute sollst Du uns nicht entkommen.«
An dem rechten Arme gelähmt, rang Max mit den Männern, aber er unterlag. Sie warfen ihn zu Boden, mißhandelten ihn mit Faustschlägen und banden ihm Füße und Arme fest.
»Heute sollst Du es kriegen,« rief der Müller. »Ich hab's Dir lange zugedacht!«
Und die beiden Männer hoben den Jäger auf die Schultern und trugen ihn an den Waldrand, wo sie ihn an einer Tanne aufrechtstehend festbanden. Alles Sträuben des Jägers war unter den rohen Händen der Wilddiebe vergebens.
»Jetzt sollst Du kosten, wie der Rothe und der Müller schießen,« rief der Rothe wild. Jetzt wollen wir ein Scheibenschießen veranstalten, wie noch keines dagewesen. Es ist ja Fahnenweihe heute, das paßt!«
Den sichern Tod vor Augen würde Marx dennoch keine Bitte um Gnade über seine Lippen gebracht haben, hätte er nicht an seine Marie und deren Schmerz und an das zerstörte Glück seines alten Schwiegervaters gedacht.
Er bat die Wilddiebe, ihm das Leben zu lassen um seines Weibes willen; er versprach und schwor, sie nicht verrathen zu wollen, er gelobte ihnen all sein Geld und Gut, aber die Herzen der rohen Männer fühlten kein Erbarmen.
»Hast Du an des Heinrichs Weib und Kinder gedacht, als Du ihn erschossest?« rief der Rothe mit höhnischer Stimme. »Hast Du an des Barthels Weib und Kinder gedacht, als Du ihn dem Gerichte überliefert? Ha, hast Du daran gedacht? Du Bube!« Er schlug den gefesselten Jäger in das Gesicht, daß das Blut ihm auf der Wange herabrann.
Nochmals bat und beschwor sie Max, ihm das Leben zu lassen. Er betheuerte, daß es nicht seine Absicht gewesen, den Heinrich zu erschießen, er versprach, dessen Weib und Kinder zu unterstützen und sich für den Barthel beim Fürsten um Begnadigung zu verwenden – vergebens seine Worte hallten in den Wind.
»Du magst den Teufel um Gnade anflehen, bei uns sollst Du keine finden,« rief der Rothe. »Wir haben geschworen, den Heinrich und Barthel zu rächen und wir halten unser Wort.«
Werner sah, daß er auf keine Gnade und Schonung zu hoffen hatte. Er befahl dem Höchsten sein junges Weib und deren Vater und standhaft blickte er dem Tode in's Auge, kein Wort kam wieder über seine Lippen.
Mit der ganzen Rohheit und Hartherzigkeit, deren der Mensch nur fähig ist, trafen die Wilddiebe die Anstalt, um den Jäger zu tödten. Mit kaltem ruhigen Blute luden sie ihre Büchsen vor seinen Augen, maßen die Entfernung ab, aus der sie auf ihn schießen wollten, und besprachen sich laut über die Art und Weise seines Todes.
»Er soll unsere Kugeln kennen lernen und erfahren, wie sicher ein Wilddieb auf fünfzig Schritte trifft!« rief der Rothe. »Wie nach einem Vogel wollen wir nach ihm schießen. Erst kommen die Beine. Nimm Du das rechte auf's Korn, Müller, ich nehme das linke.«
Ruhig stellten sich die Unmenschen in die abgeschrittene Entfernung, zielten vorsichtig und zwei Schüsse fielen, einer nach dem anderen. Laut lachte der Rothe auf.
»Ich will sehen,« rief er, »wie wir getroffen und was der Bursche für Gesichter schneidet.« Er lief zu dem Unglücklichen und betastete roh dessen Beine, aus denen zerschmetterte Knochensplitter hervorgedrungen waren.
»Gut geschossen, Müller,« lachte er dem Hinzutretenden entgegen, »beide Knochen ab. Ich glaube, jetzt könnten wir den Burschen losbinden, er würde uns nicht davonlaufen.«
Wild, grausam blickte er den unglücklichen Jäger an, der seine großen dunkeln Augen ruhig und fest auf ihn geheftet hatte.
»Siehst Du, Du Halunk, das waren zwei Kernschüsse,« rief er. »Du sollst es aber noch besser kriegen, damit Du, wenn Du in die Hölle fährst, dem Teufel erzählen kannst, wie der Rothe und der Müller schießen.«
Wieder luden die Wilddiebe ruhig ihre Büchsen und tranken sich lachend aus einer Branntweinflasche zu.
»Pros't, Herr Werner,« rief der Müller spöttisch, »wohl bekomm's Ihnen! Ihre Frau Gemalin auf dem Fahnenfeste läßt sich gewiß nicht träumen, daß ihr Mann eine so herrliche Scheibe bildet.«
Tiefe Trauer zuckte bei diesen Worten über des Jägers Gesicht, aber er bezwang sich und blickte seinem Mörder fest wieder in die Augen.
»Wir wollen ihn einen Streifschuß kosten lassen,« schlug der Rothe vor, »Du das linke Ohr, ich das rechte. Ziele aber gut, Müller, daß Du ihm nicht das Gehirn triffst; so schnell soll er's nicht haben.«
Wieder hallten zwei Schüsse durch den Forst und wieder lief der Kupferschmied hin, um die Schüsse zu betrachten.
»Schäme Dich, Müller,« rief er. »Du alter Schlingel lernst Dein Lebtag nicht zielen und treffen, hast ihm die halbe Kinnlade weggeschossen. Hier sieh meinen Streifschuß. Kaum hat die Kugel die Backe berührt und das Ohr klebt am Baume.«
Der Müller lachte laut auf. »Ein Bischen mehr oder weniger gestreift, thut nichts. Wenn ich auf einen Hirsch oder Rehbock anlege, stell' ich meinen Mann, aber bei diesem Burschen lohnt's der Mühe nicht.«
»Siehst Du, Du Schuft,« wandte sich der Kupferschmied zu dem über und über mit Blut bedeckten Jäger, »Barthel läßt Dich grüßen, dies war für ihn. Nun kommt's für Heinrich.«
Kein Wort, kein Seufzer drang über die Lippen des Jägers; unerschütterlich fest blickte sein großes Auge.
Zum dritten Male luden die Mörder ihre Büchsen.
»Mach schnell, Müller,« sprach der Rothe, »jetzt, ehe er sich verblutet, das Vergnügen soll er nicht haben, jetzt kommt der Hauptschuß. Ich weiß das Herz am besten sitzen, Du kannst ihm nachher noch Eins auf den Hirnkasten brennen.«
»Nein,« rief der Müller, »der Herzschuß gebührt mir. Mich hätte er auch beinahe wie den Barthel in die Ketten gebracht.«
»Weßhalb ließ't Ihr Euch von solch einem Jungen fangen; aber wir wollen uns nicht streiten, das Loos soll entscheiden.«
Der Kupferschmied zog zwei Grashalme aus der Erde, nahm sie in die Hand, so daß zwei gleiche Enden hervorstanden. »Zieh', Müller. Das längste das Herz!«
Der Müller zog das Kürzere.
»Ich wußte es wohl,« sprach der Rothe, »daß ich das längere bekommen würde, ich weiß das Herz besser zu treffen.«
Langsam hob er die Büchse und legte an.
»Das gilt für den Heinrich und zum Gruße an Dein Weib!« rief er dem Unglücklichen zu, aber dessen Auge zuckte nicht, unerschütterlich fest hielt er es auf den Bösewicht geheftet.
Der Schuß fiel. Aus der Brust des Jägers drang ein Blutstrahl, aber sein Auge blickte noch im Tode fest.
Da schoß auch der Müller dem bereits Entseelten noch eine Kugel in den Kopf, und erst jetzt senkte sich das Haupt des so schrecklich Ermordeten langsam auf die Brust herab.
»Vor dem haben wir Ruhe,« sprach der Rothe, »er hatte ein Hundeleben, so zäh. Aber gut hat sich der Bursch dennoch gehalten, sein Auge hat nicht geblinzt. Nun kommt die Reihe an den alten Fuchs, aber er verläßt sein Loch seltener, und ist so schlau wie ein alter Dachs. Aber er soll daran glauben, ich hab's ihm zugeschworen.«
Selbst der Tod hatte die Rache der beiden Wilddiebe noch nicht gekühlt, selbst der Tod vermochte ihren entmenschten Herzen nicht die geringste Scheu und Achtung einzuflößen. Sie banden dem erschossenen Hunde des Jägers die Füße zusammen und hingen das Thier um den Hals des Gemordeten, als ob er ein Reh trüge.
»So!« rief der Rothe. »Nun mag er heimgehen und uns anklagen. Er soll am Baume ruhig stehen bleiben, damit sie auch wissen, wie er erschossen ist.«
Gleichgiltig, unter rohem Gelächter verließen die Wilddiebe den Ort ihrer Unthat.
Wieder war Alles still ringsum im Walde. Freundlich schien die Sonne auf die Waldwiese und die Blumen. Zu den Füßen des schrecklich ermordeten jungen Mannes, in seinem Blute lag der Blumenstrauß, den er für sein Weib gepflückt. Hoch in dem Wipfel des Tannenbaumes, an welchen der Todte gefesselt war, saß ein Vöglein und sang leise, sanfte Lieder. War es der Todesgesang für den Weidmann, oder rief es ihm zu, wie sein Weib, seine Marie sein gedenke und sich nach ihm sehne? Das Herz des jungen Jägers hörte nicht mehr die lieblichen, klagenden Töne des kleinen Sängers; sein Auge erblickte nicht mehr die Sonne und die Blumen zu seinen Füßen. Sein Herz hatte aufgehört zu schlagen, aber sein letzter Schlag, sein letzter Gedanke war ein Gruß an sein unglückliches Weib gewesen. –
Das Fahnenfest in der Stadt Goslar war lustig und herrlich. Das schönste Wetter, der heiterste Himmel begünstigte es und eine unzählbare Menschenmasse von Rah und Fern tummelte sich auf der Festwiese vor der Stadt. Die Bergleute zogen auf mit ihrer eigenen und tief in's Herz hineintönenden Musik, es waren lustige und heitere Gesellen. Wie hoch, und frisch hob sich ihre Brust in dem warmen, hellen Sonnenscheine, den sie so manchen Tag und manche Woche tief in der Erde entbehren mußten. Sie dachten daran und ließen es sich doppelt angelegen sein, den Tag froh und heiter zu genießen. Gesang und Musik klang in bunten Tönen durch einander; wohin man blickte, sah man nur heitere Gesichter und lustige Herzen.
Nur ein Herz war still und traurig bei all der Freude, nur ein Augenpaar achtete nicht auf das bunte Menschengewühl ringsum, es war das Mariens. Mit inniger Sehnsucht erwartete sie ihren Mann. Ihr war so bange zu Muthe, als ob ein namenloses Unglück über ihrem Haupte schwebte. Sie suchte diese traurige Stimmung zu unterdrücken, aber sie ward sie nicht vom Herzen los. Gern hätte sie ihre bange Ahnung ihrem Vater mitgetheilt, aber sie wollte des alten Mannes Freude nicht stören. Sie barg deßhalb ihre Angst in dem Innersten ihres Herzens.
Mehr und mehr senkte sich die Sonne dem Abend zu und Max kam noch immer nicht. Marie hatte sich heimlich von ihren Freundinen entfernt und war ihm entgegengegangen, ihr Blick weilte forschend und sehnsuchtsvoll in der Ferne, aus der er kommen mußte, ihr Herz schlug banger und banger – vergebens. Unglückliches Weib, wenn Du gewußt hättest, daß sein Haupt schon todt und kalt auf seine Brust hinabhing!
Traurig kehrte Marie auf den Festplatz zurück. Als aber Stunde auf Stunde verging und Max nicht kam, vermochte sie es nicht länger zu ertragen und theilte ihrem Vater ihre Angst mit. Der alte Förster suchte ihr die trüben Gedanken auszureden, als er aber Thränen in den Augen seines Kindes und Lieblings sah, willigte er ein, mit ihr heimzukehren, denn ihn selbst befremdete das Ausbleiben seines Schwiegersohnes.
Rasch eilten sie heim, aber den, den sie suchten, fanden sie nicht. Als Marie auf ihr Zimmer kam und die Angebinde für den folgenden Tag erblickte, als die alte Dienerin erzählte, daß Max bereits am Mittage in den Wald gegangen und noch nicht wieder zurückgekehrt sei, brach sie in heftiges Weinen aus und eine bange, bange Ahnung erdrückte ihr fast das Herz.
Der alte Förster machte sich jetzt selbst auf den Weg, um seinen Sohn zu suchen. Die Büchse über die Schulter gehängt, gefolgt von seinem alten Jagdhunde, der wie er pensionirt war, schritt er in den Wald hinein, der nur noch schwach von den Strahlen der untergehenden Sonne erhellt wurde. Vergebens rief er laut den Namen des Jägers, vergebens feuerte er mehrere Male seine Büchse ab, keine Antwort vernahm er, kein Zeichen des Ersehnten ward er gewahr. Tiefer und tiefer schritt er in den Forst hinein, der jetzt in völliger Nacht lag. Alles ringsum war still, nur in den Tannenwipfeln rauschte leise der Nachtwind. Lauter und lauter schlug das Herz des alten, im Walde ergrauten Weidmannes. Aengstlich rief er seines Sohnes Namen, aber nur den Widerhall seiner eigenen Stimme vernahm er, oder das Aufspringen eines aufgescheuchten Wildes.
Ohne Rast durchforschte der Greis den Forst. Stundenlang war er umhergewandert, schon dämmerte schwach der junge Morgen, da kehrte er heim, im Herzen die Hoffnung, daß er seinen Sohn daheim treffen werde.
Als er aber in sein Haus trat und sein Auge dem bange fragenden Blicke seines Kindes begegnete, da ward es ihm zur Gewißheit, daß ein Unglück sich ereignet habe. Das Blut wich aus seinen Wangen und kaum vermochte er sich auf den Beinen zu halten. Und als Marie das bleiche Gesicht ihres Vaters erblickte, als kein Hoffnungsstrahl aus seinem Auge zu ihr drang, sank sie lautlos und ohnmächtig nieder.
Auf seinen Armen trug der Greis sein Kind in das Zimmer und überließ sie der Pflege der Dienerin. Keinen Augenblick gönnte er sich Ruhe, in größter Eile sandte er den Knecht zum Oberförster, um dessen Hilfe bittend, und sofort begab er sich wieder mit mehreren Holzbauern in den Forst, seinen Sohn zu suchen. Nach allen Richtungen hin durchstreifte er den Wald, kein Berg war ihm zu steil, keine Schlucht zu unwegsam. Laut hallte seine Stimme durch den Wald, aber kein Max antwortete. Erschöpft ließ er sich endlich auf einen Stein nieder, die alten Beine versagten ihm fast den Dienst, aber bald sprang er wieder in die Höhe, um seinen Sohn zu suchen.
Als der Mittag vorüber war, kehrte er zum zweiten Male erfolglos zu seiner unglücklichen Tochter zurück. Er fand sie in Thränen und Gram. Noch war es keinem der ausgesandten Holzhauer und Jäger gelungen, irgend ein Zeichen des Vermißten aufzufinden.
Der alte Förster sank erschöpft auf den Stuhl, das Gesicht in seinen Händen bergend. Als er aber einen Blick auf sein unglückliches, vor Gram fast vergehendes Kind warf konnte er es nicht länger ansehen und zum dritten Male wankte er in den Forst, seinen Sohn zu suchen. Alle Hoffnung war ihm erstorben, in dumpfen, bangen Gedanken schritt er weiter und weiter. Schon senkte sich wieder die Sonne, da gelangte er auf die Waldwiese und sein Blick traf auf den, wenige Schritte von ihm entfernten schrecklich ermordeten Sohn.
Mit dem lautem Rufe: »Allmächtiger Gott!« sank er bewußtlos zur Erde nieder. Zu welchem Elende erwachte er wieder! Mit Mühe erhob er sich und schleppte sich zu dem schrecklich verstümmelten Leichnam. Er sank nieder, umklammerte die Knie seines Sohnes und bittre Schmerzensthränen floßen in seinen greisen Bart. Er erhob seinen Kopf und blickte in die vom Tode nur halb geschlossenen Augen des Ermordeten und das Herz wollte ihm vor Gram ersterben.
»Großer Gott, großer Gott!« rief er mit Thränen, »so schrecklich haben sie Dich hingemordet, Du armer Junge!« und er lehnte sein Haupt an die zerschossenen, mit Blut überdeckten Glieder des Todten.
In dieser Stellung trafen zwei der zum Nachsuchen ausgesandten Jäger den Greis. Erschrocken, bestürzt wichen sie zurück, und ein Todesschauer rieselte ihnen durch die Glieder, als sie den Leichnam erblickten. Sie traten näher und hoben den Greis schweigend in die Höhe. Die Knie des Alten erzitterten. Mit der Rechten hob er das gesenkte Haupt des Todten empor und blickte mit namenlosem Schmerz in das einst so schöne, jetzt schrecklich entstellte Antlitz.
»Schrecklich, erbarmungslos haben sie Dich gemordet,« sprach er, »aber Du sollst gerächt werden. Hier, an Deiner Leiche schwöre ich, daß ich nicht eher mein Haupt zur Ruhe legen will, bis meine Hand Dich gerächt hat!«
Dieser Schwur, dieser Gedanke schien den Körper des Greises von Neuem zu beleben und zu stärken. Fest schlossen sich seine Lippen, mit der Linken wischte er die Thränen aus den alten Augen und half mit eigener Hand den Todten vom Baume losschneiden. Die Jäger wollten den Leichnam zum Försterhause tragen, aber der Alte gab es nicht zu. Mit Riesenkraft hob er den zerstümmelten Körper empor, nahm ihn auf seine Arme, drückte ihn fest an seine Brust und trug ihn zum Försterhause.
»Nehmt den Hund mit,« sprach er zu den Jägern.
»Es war sein Lieblingsthier, er ist mit ihm gestorben und er soll auch im Grabe neben ihm ruhen.«
Als sie sich dem Försterhause näherten, sprach er zu den Jägern: »Geht zuerst hinein und haltet meine Tochter zurück. Sie darf den Todten nicht sehen, der Anblick würde ihr das Herz brechen.«
Kaum hatte er diese Worte ausgesprochen, als das unglückliche Weib ihm entgegen eilte. Mit lautem, bis in das Innerste der Seele dringenden Schrei stürzte sie sich auf den schrecklich verstümmelten Leichnam ihres Gatten und sank gleich darauf ohnmächtig nieder.
Mit einem schmerzlichen Blicke auf sein unglückliches Kind hob der Greis den Todten wieder empor, trug ihn mit raschen Schritten in das Haus, legte ihn in seinem Zimmer auf das Bett und verschloß die Thür hinter sich. Er setzte sich neben das Bett, legte die Hand des Todten in die seine, lehnte seinen Kopf an dessen Brust und so saß er die Nacht hindurch. Kein Schlaf senkte sich auf seine Augen, aus denen dann und wann Thränen auf die kalte Brust niedertropften. So erblickte ihn noch die aufgehende Sonne. Da erhob er sich, trat aus dem Zimmer und forschte nach seiner Tochter. Die lag in ihrem Bette in wildem, schrecklichen Fieber. Unglück und Schmerz waren zu groß für sie gewesen. Ein heftiges Nervenfieber hatte sie ergriffen und ward zur Wohlthäterin für ihr Herz. Mochten die Fieberphantasien der Kranken auch noch so schrecklich für die Umgebenden sein, sie selbst war sich des Schmerzes nicht bewußt.
Lange stand der Greis schweigend an dem Bette seines Kindes. Die letzten dunkeln Haare, welche seinen Kopf geziert hatten, waren in der einen Nacht weiß wie Schnee geworden. Doppelter Schmerz erfüllte jetzt sein Herz, aber er gab dem Schmerze keinen Raum, er blieb stark, um seinen Schwur zu erfüllen.
Der Leichnam des Ermordeten ward in die Erde gebettet. Sein Weib wußte nichts davon. Nur der alte Förster stand an dem Grabe, sonst Niemand, so hatte es der Alte gewollt.
Noch vor wenigen Tagen war ein heiteres, sonniges Glück in dem Försterhause gewesen – jetzt war es öde und still darin, denn nur Trauer und Schmerz wohnten in ihm, und die, welche einst so glücklich in ihm gewesen, sollten nie wieder lachen und heiter sein in seinen Räumen.
Der Kupferschmied und der Müller waren gerichtlich eingezogen, aber es fehlten Beweise gegen sie. Der einzige Zeuge gegen sie war der alte Förster. Mochten seine Worte und sein Schmerz auch für jedes Herz die überzeugendste Wahrheit reden, dem Richter genügten sie nicht. Der Eid des Auerhahnwirthes und zweier Holzbauer aus Zellerfeld, daß der Kupferschmied und der Müller an dem Tage, an welchem der schreckliche Mord stattgefunden, und auch an dem folgenden Tage in Zellerfeld gewesen seien, brachte die Mörder wieder in Freiheit.
Aber der alte Förster wußte, daß der Kupferschmied seinen Sohn getödtet. Er hatte es ihm vor dem Richter in's Gesicht gesagt, aber höhnisch hatte ihm der Rothe entgegen gelacht.
Einige Tage darauf, als die beiden Mörder aus der Untersuchungshaft entlassen waren, ward der Müller schon von der rächenden Nemesis ereilt. Von dem Mühlrade erfaßt, ward er auf schreckliche Weise gerädert und starb wenige Stunden darauf. Auf dem Todesbette, als keine Rettung mehr für ihn zu hoffen war, war das Gewissen des Bösewichtes erwacht und er hatte seinen und des Kupferschmieds Mord an dem jungen Jäger gestanden. Der Tod entzog ihn der strafenden Gewalt des Gerichtes, das nun alle Kräfte aufbot, um den Kupferschmied in seine Gewalt zu bekommen.
Ehe es indeß noch gegen ihn einzuschreiten vermochte, hatte dieser durch den Auerhahnwirth schon Kenntniß von dem Geständniß des Müllers erhalten. Einen wilden Fluch hatte er dem Gefährten seiner Frevelthaten in's Grab nachgerufen.
»Es geht mit mir zu Ende, Martin,« sprach er zu dem Auerhahnwirth. »Der verfluchte Müller hat mir die ganze Sippschaft auf den Hals geschickt, da wird mir alles Leugnen und all meine Schlauheit nichts mehr helfen. Fliehen mag ich nicht, denn diese Berge sind mir an's Herz gewachsen, hier kenne ich jeden Baum und jeden Stein. Aber ich will mein Leben und meine Freiheit theuer verkaufen. Ehe ich mir das eiserne Halsband umlegen lasse, lieber schieße ich mir selbst eine Kugel durch den Kopf. Meinen Kopf kostet es ja auf jeden Fall, das weiß ich. Ehe sie mich aber fassen und in die Enge treiben, sollen sie mir manche Stunde vergebens nachlaufen, denn ich denke, es gibt wenig Männer, die diese Gegend so gut kennen wie ich.«
Ein offener Fehdebrief gegen den Kupferschmied war von dem Gerichte erlassen. Grenzjäger und Jäger wurden ausgesandt, ihn aufzusuchen und Jeder wurde aufgefordert, sein Möglichstes zu thun, den Wilddieb und Mörder den Händen des Gerichtes zu überliefern. Daß er sich in den Bergen aufhielt, wußte man.
Keiner folgte dieser Aufforderung bereitwilliger, als der alte Förster. Mit kummerschwerem Herzen schied er von dem Krankenbette seines einzigen Kindes, hing die Doppelbüchse über die Schulter und durchstrich Tag und Nacht, von seinem alten, treuen Hunde begleitet, den Wald, die Berge und Thäler.
Sein Schwur und die Erinnerung an seinen Sohn ließen seine Beine nimmer ermüden. Die geistige Aufregung hatte seinen Körper wieder gekräftigt und verjüngt, aufrecht und unermüdlich wie ein Jüngling durchwanderte er die Gegend. Kaum gönnte er sich täglich eine Stunde Schlaf, kaum nahm er einen Bissen zu sich. Seine einzige Ruhe bestand darin, daß er zu seinem kranken, stets noch hoffnungslos darnieder liegenden Kinde zurückkehrte und sich neben das Bett setzte. Aber ein Blick auf die von Gram und Krankheit entstellten Züge des noch vor wenigen Tagen so blühenden und glücklichen Weibes, rief ihn stets zu dem Gedanken wach, daß er seinen Sohn rächen müsse. Er eilte wieder fort, den Mörder aufzusuchen.
Unermüdlich durchstreifte der Greis die Gegend. Kein Laut entging seinem aufmerksam horchenden Ohre, seinem unablässig umherschweifenden Auge blieb nichts verborgen, aber keine Spur des Mörders fand er auf. Sein Eifer ermüdete indeß nicht. Es galt, einen Schwur zu lösen, den er an dem Leichname seines Sohnes gethan, und dieser ließ ihm keine Ruhe.
Hätte man das traurige Geschick des alten Försters nicht gekannt, hätte man keinen Blick in sein kummervolles Gesicht gethan, es würde ein Genuß gewesen sein, den hohen Greis so rüstig und selbst auf das Geringste mit feinen Sinnen achtend, durch die Tannenbäume dahin schreiten zu sehen.
Vierzehn Tage lang hatte der Förster dem Kupferschmied bereits nachgeforscht, ohne die geringste Spur von ihm aufzufinden. Der Eifer der Grenzjäger und Jäger war durch die vergeblichen Nachforschungen bereits erkaltet, da hatte der Alte sie noch zu einem großen Treibjagen auf den Mörder bewogen.
Früh Morgens schritten sie in den Wald. Es war ein ruhiger, heiterer Morgen und verhieß einen ebenso heiteren Tag. Keine Wolke trübte den weiten, blauen Himmel und als der alte Förster in die Morgenfrische hinaus trat, da war es zum ersten Male seit jenem schrecklichen Tage, daß sein Herz ruhiger schlug, daß er sich der Natur und Kreatur ringsum wieder erfreute und daß er sein Auge wieder ruhig zum Himmel emporhob.
Tief war der Greis, von zwei Jägern begleitet, in den Forst hineingeschritten. Rüstig ging er voran, da fiel, als er um eine Felsenecke bog, ein Schuß. Er sank nieder, um aber sogleich wieder aufzuspringen, denn die Kugel, so gut sie auch nach seinem Herzen gezielt war, war an dem Pulverhorne abgeprallt, das er in seiner Brusttasche trug. Als er sich erhoben hatte und sich umschaute, erblickte er in einiger Entfernung die Gestalt des Kupferschmieds auf einem Felsen stehend. Schnell riß er die Büchse von der Schulter, legte an und drückte los. Er sah den Kupferschmied etwas schwanken, aber sich schnell wieder aufraffen und davon eilen.
Endlich war man auf der Spur des Mörders. In raschem Laufe eilten ihm die beiden Jäger und der alte Förster nach. Drei Grenzjäger, welche sie zufällig trafen, gesellten sich zu ihnen. Wild und felsig war die Gegend ringsum, tausend Schlupfwinkel bot sie dar, und keiner durfte undurchforscht bleiben. Die beiden Jäger waren dem Mörder am schnellsten nachgeeilt, ihnen folgte in geringer Entfernung der alte Förster.
Da fiel wiederum ein Schuß hinter einem Felsen hervor und der erste der Jäger sank tödtlich getroffen nieder. Fast zu gleicher Zeit richteten sich zwei Büchsen, die des andern Jägers und des alten Försters auf die zum Vorschein kommende Gestalt des Kupferschmieds. Zwei Schüsse hallten zu gleicher Zeit durch den Wald, – ob sie getroffen, vermochte Niemand zu sagen, denn ungefährdet sahen sie den Mörder einen Berg hinanklimmen. In raschem Laufe lud er seine Büchse, flüchtig wandte er den Kopf nach seinen Verfolgern, als er am Rande einer kleinen Waldwiese angelangt war; einen Augenblick blieb er stehen, wandte sich um, legte seine Büchse an, und seine nie fehlende Kugel streckte den zweiten Jäger nieder.
Mit äußerster Kraft stürzte der Greis den Berg hinan. Da stand der Mörder seines Sohnes auf der Wiese, seine Büchse ladend. Jetzt war der ersehnte Augenblick für den Greis gekommen – er legte die Büchse an und getroffen sank der Mörder endlich nieder. Der Förster wollte auf ihn zueilen, aber schnell richtete sich der Wilddieb mit dem Oberkörper empor und hielt seine Büchse an der Wange. Kaum roch vermochten sich der Förster, so wie die herzugeeilten Grenzjäger hinter Bäumen zu verbergen.
Ohne einen Blick von ihnen zu wenden, behielt der Kupferschmied sie in den Augen, die Büchse am Kopfe und spähend, ob nicht einer von ihnen eine Blöße darbieten werde.
Vergebens riefen ihm die Grenzjäger zu, daß er die Büchse fortwerfen solle, er lachte ihnen höhnisch entgegen und forderte sie auf, hervorzutreten.
Da vermochte der alte Förster sich nicht länger mehr zu halten. Kühn und fest trat er vor. Zwei Schüsse fielen zu gleicher Zeit und todt stürzte der Mörder zur Erde.
Die Kugel hatte seine Schläfe durchbohrt. Mochte auch die Kugel des Mörders den Arm des Greises verwundet haben, er fühlte es nicht, er stürzte hin auf den Bösewicht, den endlich sein Geschick erreicht hatte. Aber wie von einem Schlage getroffen, stand er da, als er die Stelle erkannte, an der sein Sohn ermordet war. Dort stand der Baum, an dem er so schrecklich geendet, hier, wo sein Mörder jetzt entseelt am Boden lag, war die Stelle, von wo aus die Mörder auf den Jäger geschossen.
Schweigend stand der Greis an dem Leichname des Bösewichtes. Die herbeieilenden Grenzjäger untersuchten den Todten. Vier Kugeln hatten ihn getroffen, aber erst die letzte, welche seinen Kopf zerschmetterte, hatte seinem Leben ein Ende gemacht.
»Meinen Schwur habe ich gelöst, Max,« rief der Alte. »Gott selbst bat ihn an der Stätte seiner Frevelthat gerichtet, möge er wie Du in Frieden ruhen.«
Wochenlang hatte der Greis den größten Beschwerden getrotzt, hatte keine Ermüdung gekannt – jetzt sank er erschöpft und bewußtlos nieder. Nun sein Schwur gelöst und sein Sohn gerächt war, brach sein alter Körper zusammen.
Die Grenzjäger trugen ihn heim an das Bett seiner Tochter. »Ich habe ihn gerächt,« sprach er mit matter Stimme, seinem Kinde die zitternde Hand darreichend.
Der Vater, der alte Weidmann fand Trost darin, seinen Sohn gerächt zu haben, während die Wunde des unglücklichen Weibes dadurch auf's Neue gewaltsam aufgerissen wurde.
Vater- und Weibesliebe liegen so weit auseinander, wie das Scheiden der Abendsonne und der goldene Morgensonnenstrahl.
Wochen waren vergangen. – Von den einzelnen Laubbäumen, welche die Försterwohnung umgaben, wehte der Wind schon bin und wieder gelbe Blätter zur Erde – sie kündeten den eintretenden Herbst an. Die Astern und Herbstblumen blühten in dem kleinen Garten neben dem Försterhause und einzelne Schwärme kleiner Zugvögel zogen zwitschernd und singend dem Süden zu.
Es war ein stiller, heiterer Herbstmorgen; die Sonne strahlte so mild und erquickend, als der alte Förster Bruno auf einen Stab gestützt, an dem Arme seines, selbst noch schwachen und kaum genesenen Kindes aus der Thür des Forsthauses trat. Die Büchse hatte der Greis über die Schulter gehängt und sein alter Jagdhund folgte ihm mit gesenktem Kopfe.
War diese so gebückte Gestalt des Greises, deren Knie bei jedem Schritte erzitterten, deren Hand kaum noch den stützenden Stab zu halten vermochte, wirklich die des alten Försters, der noch vor wenigen Wochen so kräftig und frisch durch den Wald geschritten war, der sein Haupt noch so stolz und kühn erhoben hatte? War diese hinfällige, schwankende Frauengestalt mit den eingefallenen Wangen, mit den trüb und matt blickenden Augen, dasselbe junge Weib, das noch vor wenig Wochen in der Fülle seiner Jugend und seines Glückes zu beneiden war?« – Sie waren es, und der Gram hatte dies Alles vollbracht.
Auf den Stab gestützt, blieb der Greis vor dem Hause stehen und blickte schweigend auf das Haus und den Garten, während Thränen still über seine Wangen rannen. »In diesem Hause,« sprach er endlich, »ist mein Vater geboren, in ihm bin ich geboren und aufgewachsen. In diesem Garten habe ich als Kind gespielt. Dort, nach jener Eiche habe ich als Knabe zuerst geschossen; diese Buchen habe ich gepflanzt, jene dort mein Vater. Wie sie herangewachsen sind! – es ist lange her. Diesen Kirschbaum habe ich als Knabe in einem Blumentopfe aus einem Kerne gezogen, manches Jahr bat er mir seine Früchte gespendet, doch auch er wird alt!«
»In diesem Hause,« fuhr der Alte nach kurzem Schweigen fort, »wo ich so glücklich war, hoffte ich auch zu sterben, und Du solltest mir ruhig die Augen zudrücken, Marie. Ich hoffte es – es ist anders gekommen. Hätte ich mir je denken können, daß es so kommen würde, daß ich in meinen alten Tagen aus diesem Hause, das mir so lieb geworden ist, scheiden könnte – und doch, es muß sein. Für immer wollen wir diese Stätte, an der wir einst so glücklich waren und wo wir so namenlos unglücklich geworden sind, verlassen, vielleicht findest Du an einem anderen Orte Ruhe, mein armes, unglückliches Kind!«
Das junge Weib schien in Thränen zu zerfließen. Noch einen langen, innigen Blick warf der Greis auf das Haus, den Garten und die Bäume ringsum – dann zog er seine Tochter hastig mit sich fort, um nimmer wiederzukehren.
Noch einmal knieten sie an dem Grabhügel des geliebten Todten, noch einmal netzten sie den Hügel mit Thränen, mit bittern, bittern Schmerzensthränen, dann hob der Greis seine Tochter empor. Sein Herz war so schwer und traurig, seine Beine zitterten und wankten, aber fort schritten sie, fort. Wohin? Weit, weit von der Stätte, wo sie all ihr Lebensglück zurückgelassen, um einen stillen Ort aufzusuchen, an dem sie in Ruhe trauern und in Ruhe sterben konnten!
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