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II. Buch.
Die Entwicklung des Lebens in München.


V. Die Pflanzen- und Tierbesiedlung des Münchner Bodens.

Auf dem vertrauten Münchner Boden, auf dem seit den ersten Tagen des Lebens so viele Geschlechter der Seienden gewandelt sind, haben sie sich nicht vergeblich und vergessen zu dem ewigen Schlaf gelegt. Immer wieder, so oft auch neue Zeiten die Anpassungskraft der alten Geschlechter überlasteten und sie zu den Toten der Vergangenheit senkten, fanden sich welche unter ihnen, die auch dem neuen Gesetz gewachsen waren und die Fackel des Lebens weitertrugen, oft genug wie Längstverstorbene, in altmodischen Gewändern, gleichsam als lebende Fossilien hineinragend in eine fremde, neue Umgebung.

Es ist ein Problem, das von der Naturforschung kaum noch aufgeworfen wurde und demgemäß noch viel weniger behandelt ist, was an unserer gewohnten Tier- und Pflanzenwelt wirklich modern, was aber längst überlebt ist. Von der Lebewelt der Eiszeit und der des Tertiärs allein weiß man ziemlich genau, was sich von ihnen in die Gegenwart hinübergerettet hat, umsoweniger aber hat man beachtet, was die Tertiärflora und -fauna an alten Elementen mit in ihre Zeit brachte.

Gerade auf dem Münchner Boden sind uns in dem langen Zug der Gestalten, seit den ältesten Zeiten bis zum Tertiär, nur ganz wenige Formen aufgefallen, die dem großen Wechsel der Verhältnisse auf diesem Boden längere Zeit hindurch gewachsen waren. Vollständig mitgemacht hat keine einzige der heutigen Lebensformen Wenn man das anzweifeln wollte, so könnte es höchstens für einige dem Luftplankton angehörige Lebensformen, gewisse Bakterien, Navikulaarten und Amöben gelten, welche vollständig ubiquitär sind und sowohl im Meer, im Süßwasser, im Edaphon, wie (wenigstens im enzystierten Zustand) auch in der Luft leben. die gesamte Entwicklung der Erdrinde an dieser Stelle; wenn irgendwo und von irgendeiner Form das gesagt werden kann, so trifft es vielleicht für die Lingulamuscheln des Stillen Ozeans zu. Denn diese Tierart lebt unverändert seit dem Kambrium, und wenigstens gewisse Teile des Pazifik sind seit ebenso langer Zeit noch nicht abgeflossen; aber man darf auch hier nicht vergessen, daß die letztere Behauptung an sich hypothetischer Natur ist, und daß die Zeit vom Kambrium bis zur Gegenwart die kleinere Hälfte der gesamten Lebensentwicklung ist.

Für München sei aus den vorausgegangenen Abschnitten nur an die Tatsache erinnert, daß dieser Boden vier Transgressionen und vier Gebirgserhebungen (Uralpen, Variskisches Gebirge, Vindelizium und Ausläufer der Alpenfaltung), sowie deren Erosion, außerdem zumindestens zwei Eiszeiten erlebt hat, also einen dermaßen tiefgreifenden Wechsel seines gesamten klimatischen, hydrographischen, petrographischen und geographischen Besitzstandes, daß ein Überdauern desselben weit über die Elastizität der Anpassung einer Pflanzen- oder Tierform hinausgeht.

Es werden aber Formen des Archaikums, angesichts dessen, daß die Thetys von dieser Zeit bis zur zweiten Hälfte des Tertiärs wenigstens am Nordrand der Alpen bestanden hat, ausgehalten haben; dies gilt im besonderen für gewisse, alte Korallen, Bryozoen, Kalkalgentypen des oligozänen Meeres. Das alles hat aber mit der heutigen Fauna des Münchner Bodens freilich nichts mehr zu schaffen.

Dagegen fällt es ins Gewicht, daß in der Kreidezeit, mit dem Auftreten der ersten Laubbäume bereits Formen wie die Pappeln ( Populus), Weiden ( Salix), Erlen ( Alnus), Eichen ( Quercus), Buchen ( Fagus) u. dgl. entstanden sind, die von München niemals ganz vertrieben wurden, weil die Landbarre (vgl. S. 51) zwischen dem germanischen Becken und der alpinen Hochsee niemals ganz verschwand. Diese Elemente brachte die Tertiärflora ebenso aus der Vorwelt mit, wie die Fieder- und Fächerpalmen, Tulpenbäume und Cykadeen, welche die Flora der Kreidezeit kennzeichnen. Allerdings war seit der Kreide auch bereits eine nicht unerhebliche Klimaschwankung eingetreten, welche nicht ohne Rückwirkung auf die Flora und durch sie allein schon auf die Fauna bleiben konnte. Von dem absoluten Tropenklima gab es auf deutschem Boden bereits in der oberen Kreide Abweichungen, sonst hätten sich nicht Frostspuren auf Pflanzenblättern jener Periode gefunden (vgl. S. 62), immerhin prägen noch im Eozän besonders die Palmen das Bild der Landflora und die Warmwasserforaminiferen (Nummuliten) jenes der Meeresfauna. Es sind am Fuß der Alpen sogar Riffkorallen bekannt, die ein Klima des Roten Meer-Gestades gewährleisten. Im Oligozän tritt die Klimaverschlechterung darin in Erscheinung, daß neben Fächer- und Fiederpalmen eine Flora in den Vordergrund gelangt, die etwa heute noch den mittleren Teil der Vereinigten Staaten und Ostasiens charakterisiert. Hervorstechende Vertreter sind Mammutbäume ( Sequoia), Taxodium ( Sumpfzypressen), Kiefern (aus diesen dreien setzt sich ein erheblicher Teil der oligozänen Braunkohlen zusammen); dazu gesellen sich Drachenbäume ( Dracaena draco), Lorbeer, Magnolien, Tannen, Fichten, Weiden, Pappeln, Erlen, Haseln, Hainbuchen und Buchen, Eichen, Walnußbäume, Edelkastanien, Ahorne, Platanen und die Lianen des Weins. Alle diese Baumgewächse zeigen die Jahresringe fast so scharf ausgebildet wie heute, woraus sich ein regelmäßiger Klimawechsel erschließen läßt. Die Verbreitung dieser Flora übersteigt alles Maß. Mit großer Gleichartigkeit dehnen sich diese Wälder über ganz Europa, den gesamten asiatischen Landkomplex bis China und Japan, greifen auf Nordamerika über, und haben selbst in Grönland noch nicht ihre Nordgrenze gefunden. Spitzbergen hat um diese Zeit ein Klima, wie etwa das heutige Mitteldeutschland, Grönland ein noch wärmeres.

Immerhin ist eine floristisch-faunistische Sonderung insofern da, als etwa von der Breite der heutigen Ostseelandschaft gegen Norden die Pflanzen der gemäßigten Zone das Übergewicht haben und als »arkto-tertiärer Lebensbestand« ausgeschieden werden können.

Im Miozän verschlechtert sich dieser Bestand so erheblich, daß es eigentlich nur Konvention ist, den Beginn der Eiszeit ins Diluvium zu setzen. Schon im Oligozän gab es keine Riffkorallen mehr, dagegen brachten die durch die Schollenhebung bewirkten Küstenverschiebungen auch in Hinsicht der Niederschläge eine völlig veränderte Situation. Die sich den Luftströmungen jetzt entgegenstellende hohe Landbarre bewirkte automatisch, daß alle von Nordwest und Südwest kommenden, mit den Wasserdämpfen des Ozeans beladenen (Europa hatte annähernd schon die Küstenlinien von heute) Luftwirbel ihren Feuchtigkeitsgehalt beim Übersteigen der (an 10 000 Meter hohen!) Bergwand ausschütten mußten. Auf der Leeseite waren daher weite Trockenheitsgebiete, Wüsten und Steppen von selbst gegeben. Dies gilt nicht nur für Ungarn, einen Teil der deutschen Landschaft, sondern in ganz großartigem Maßstab auch für Nordamerika, und vor allem für Zentralasien.

Scharf werden jetzt die Klimate ausgeprägt. Es ist fast selbstverständlich, daß dadurch eine Verarmung der deutschen Flora einsetzen mußte. Ein ungeheuerer Wanderzug begann. Die Palmen fehlen im Miozän in Norddeutschland völlig, aber immerhin blieben noch die Ölbäume. Die wärmeliebenden Pflanzen wandern ab; so wie heute noch die südlichen Buchten des Alpenwalles geschützte Zufluchtsorte der südlichen Flora und Fauna bilden (Bozen-Meran, Lago Maggiore und Genossen, Riviera!), so blieben auch jetzt noch die heute nur mehr indischen Zapfenpalmen (Zykadeen) an jenen Orten erhalten.

Die arkto-tertiäre Pflanzenwelt rückt nach. Jetzt kommen erst richtig die dichten Braunkohlenwälder, wie sie in den »Swamps« von Karolina noch erhalten sind. Jetzt wird Deutschland, das Land nördlich der Alpen, so richtig die Heimat der Laubwälder der kühnsten und seltsamsten Mischung, in denen neben Eichen, Ahornen, Platanen, Pappeln, Weiden, Erlen, auch Mammutbäume und Taxodien, Walnußbäume, Liquidambar, Wein und eine Fülle von Leguminosen grünen. In den Teichen wuchern die Wassernüsse ( Trapa), aber auch der Wasserschild ( Brasenia) und südländische Seerosen: die Welt der Öninger Flora (vgl. S. 80). In den Steppen begann eine neue Pflanzenwelt zu entstehen, da sich viele der Neuankömmlinge erst an die xerophile Lebensweise gewöhnen mußten. Solche neu zugewanderte Pflanzen aber sind gewöhnlich ungemein plastisch, »reizsam« und streuen Neubildungen nur so um sich. Damals sind in den Wüsten die meisten der heute lebenden Zwiebelpflanzen entstanden, im Westen aus den Aizoazeen sogar die neue Pflanzengruppe der Kakteen, welche es vor dem Miozän nicht auf Erden gab.

siehe Bildunterschrift

Abb. 41. Crocuswiese in Tirol – eine Insel tertiärer Pflanzenflüchtlinge. Original.

Umsoweniger plastisch sind die alten, von ihrer verdrängten Umgebung isolierten Pflanzen und Tierarten, zu denen am Ende des Miozäns die auf tropische Üppigkeit angewiesenen südlichen Elefanten und Mastodonten, sowie die Menschenaffen (Gibbon bei München!) gehören. Wie bockbeinig gewordene, in einer über sie hinweggewachsenen Großstadt übriggebliebene Spießbürger der alten Zeit sperren sie sich ängstlich gegen jede Neuerung, beharren auf jeder kleinsten Eigentümlichkeit ihres Wesens und haben eigentlich nichts mehr zu tun, als abzuwarten, bis sie aussterben.

So retten sich Liquidambar, Taxodium, der Elephas meridionalis, das Mastodon noch zäh ins Pliozän hinüber, aber sie entwickeln sich nicht mehr; ihre altgewohnte Welt um sie stirbt jedoch aus. Die großen Wanderungen setzen sich fort, eine Welle von Neubildung geht durch die europäische Welt, so daß das Diluvium kein neues Kapitel, sondern nur, wie in schwerfälligen gelehrten Werken, eine »Fortsetzung des vorigen Abschnittes« ist. Der deutsche Wald besteht jetzt wieder im Norden aus den Nadelbäumen der Bernsteinwälder, im Süden aus Eichen und Buchen, zwischen welche die amerikanische Walnuß ( Carya), die Weymutskiefer ( Pinus strobus), der Bergahorn, die Erle, Hasel, Pappel, Weide gemengt ist. Es ist ein Wald, wie er um die amerikanischen Riesenseen zur Zeit der Quäker das Land bedeckte; in Nordamerika blieb er erhalten, die Natur hat dort, trotz rauherem Klima (die Blizzards in New York in einer Breite wie Neapel!) ein südlicheres Gepräge als in Deutschland. Warum? Weil uns der Alpenwall vom Süden scheidet. Mit der Vereisung flüchtete hier wie dort die Welt der Lebendigen nach Süden. In Deutschland kamen manche über die Alpen, noch mehr aber nicht, und nur wenige kamen danach wieder zurück, ebenso wenige konnten sich erhalten. (Vgl. Bild 41.) In Nordamerika aber, wo die Gebirge fast alle südnördlich verlaufen, kamen viel weniger Tertiärformen um und sehr viele Flüchtlinge kehrten zurück.

Bei uns war schon am Ausgang des Tertiärs der Wein über den Alpenwall gewandert und mit ihm Lorbeer und Oleander, Maulbeere, Granatapfel und Myrthe, die einst einmal auch im vorglazialen Isartal heimisch waren; mit ihnen zogen auch die südländischen Affen, Skorpione und Schlangen aus.

Dagegen waren in dieser Zeit schon längst Neuankömmlinge in den Alpen heimisch geworden. Dieser Bergzug hängt noch heute in ununterbrochener Folge mit dem Karst, den dalmatinischen Bergen (die deshalb auch dinarische Alpen genannt werden), den albanischen Gebirgen, dem Balkan zusammen. Von da springt die Gebirgswelt über den Bosporus, auch in zahllosen Inseln über das Ägäische Meer (das im Tertiär noch nicht so eingebrochen war, wie heute) und setzt sich in den ungeheuren Ketten Kleinasiens fort. Die weitere Fortsetzung heißt Kaukasus, Elbrus, Persisches Hochland, Dach der Welt, Hindukusch, Himalaja bis zu den chinesischen Bergzügen hin.

Damit sind die Brücken ausgespannt, auf denen ost- und zentralasiatische Gewächse in die Alpen einwandern konnten, was denn auch reichlich geschah. Viele der heutigen alpinen Charakterpflanzen sind dieses Ursprunges (Alpenrosen [ Rhododendron], Primeln [ Primula], Azalea, Edelweiß) und haben im Laufe der Wanderungen die große Mannigfaltigkeit entwickelt, die sie jetzt auszeichnet [ Primula]. Von anderen wissen wir, daß sie schon im Miozän gleich nach der Auffaltung des Hochgebirges angelangt sind. In diese Reihe gehören die Steinbreche ( Saxifraga), Glockenblumen ( Campanula), Mannsschild ( Androsace), Ehrenpreis ( Veronica) u. a. Dazu waren viele Formen, welche aus der arkto-tertiären Flora gelegentlich ihrer Einwanderung und dem Durchzug durch die Alpenpässe den Weg in die Berge fanden H. Christ, Ueber die Verbreitung der Pflanzen der alpinen Region der europäischen Alpenketten. 1866. und dann trotz aller Wechselfälle beharrlich in stetem Umherwandern zwischen südlichen und östlichen, eisfreien Tälern und dem Nordteil des Gebirges sich zäh erhielten. Zu diesen gehören die vorhin wiederholt genannten, noch heute vorhandenen Laubbäume und manche der südlicheren Gewächse, die gerade am Alpenfuß ihr gutes Wachstum finden. Von ihnen sei die Stechpalme ( Ilex) genannt, die als schönes Überbleibsel glücklicherer, klimatischer Vergangenheit aus den südlicheren Alpentälern wieder zurückkam nach Tölz und sogar nach München. In der Pettenkoferstraße in München grünt z. B. in einem Vorgarten ein sehr schönes Exemplar dieses Halbbaumes.

siehe Bildunterschrift

Abb. 42. Blütenstand der Schneeheide ( Erica carnea), ein tertiär-illyrisches Relikt der oberbayerischen Flora. Etwas vergrößert. Original von Frau Dr. A. Friedrich-München.

Erwähnung verdient in diesem Zusammenhang auch der Charakterbaum der heutigen Münchner Landschaft: die Fichte ( Picea excelsa). Auch sie gehört zum Urbestand der arkto-tertiären Pflanzenwelt, die bei der Verdrängung sowohl südlich in die Berge, wie nach Osten zu auswich. Später, am Ende der Eiszeit, erschien sie vornehmlich aus Nordost von Sibirien her neuerdings und nahm nun das Verbreitungsgebiet ein, das ihr heute zukommt. Selbstverständlich stieß sie in den Zwischeneiszeiten immer wieder vor, derart, wie das vor einigen Jahren G. Beck v. Managetta Vgl. G. Beck, Ueber die Bedeutung der Karstflora in der Entwicklung der Ostalpen. (Wissensch. Ergebn. des Internat. botan. Kongresses zu Wien 1905.) für viele andere Alpenpflanzen nachgewiesen hat. Die in der Gegenwart auf den Küstenlandschaften des Adriatischen Meeres siedelnde wärmeliebende Karstflora (illyrischer Florenbezirk), zu deren Kreis die Macchiendickichte bildenden Hartlaubsträucher (Ginster, Rosmarin, Steinrösel [ Daphne striata], Sonnenrosen [ Helianthemum], Erika u. dgl. gehören, wanderte nach Südtirol und überzog von da aus die gesamte Bergregion der Ostalpen. Durch die Gletschervorstöße wurde sie zwar zurückgedrängt, beharrte aber trotzdem in den Tälern und bildete in den Ostalpen sogar während des Maximums der Würmvereisung noch in Höhen von 500 bis 600 Meter frostharte Wälder. Freilich wurden durch die Rückzüge viele wärmeliebende Arten in den rauheren Lagen vernichtet. An den geschützteren Stellen blieben sie erhalten, und so entstanden gewisse, bis zur Gegenwart fortdauernde Verbreitungsinseln, die unerklärlich wären, hätte sich nicht ihre Geschichte aufdecken lassen. So kommt z. B. die prachtvolle Wulfenia carinthiaca nur mehr auf dem Lorenziberge in Kärnten vor; in ähnlicher Lage befindet sich eine südliche Sanguisorba-Art oder die Gattung Ramondia.

Aus diesen Quellen gespeist wurde jener Teil der heutigen Alpenflora, der den Bergen oft ein südländisches Gepräge verleiht. Wenn die köstlich duftenden Steinröseln ( Daphne striata) die Grate der Benediktenwand mit ihrem Ruch erfüllen und von den Bergen, mit den Bächen verschleppt, bis zu den Isarkiesen der Garchinger und Fröttmanninger Auen und vor noch nicht langer Zeit auch nach Harlaching einwanderten, oder wenn die ganze Isartallandschaft und von da aus die weite, oberbayrische Hochebene im Vorfrühling erschimmert von Abertausenden zartrosa oder weißer Blütenglöckchen der Schneeheide ( Erica carnea), die auch in den Alpen in einer blutig überlaufenen Varietät die Hänge oft noch im Schnee schmückt, so ist das alles eine tertiär-illyrische Erbschaft. (Vgl. Abb. 42.)

Ein letzter Bestandteil der Alpenflora, und seiner Zahl nach wahrlich nicht der geringste, sind die lange nach dem eiszeitlichen Intermezzo auf die Berge gestiegenen Pflanzen der Ebene, die dort eine der neuen Umgebung angemessene Tracht annahmen, mit anderen Worten: alpine Arten ausbildeten. Man hat durch Experimente in diesen Vorgang schon längst Einblick erlangt und kann ihn auch leicht aus eigener Erfahrung wenigstens rückläufig kennen lernen, wenn man alpines Edelweiß von den Bergen in niedrige Lagen verpflanzt. Es verliert schon binnen kurzem seine zottige Haartracht und läßt die längst vertrauten Züge des gemeinen Sandruhrkrautes, aus dem es sich heraus entwickelt hat, dann leicht wieder erkennen. Starke Behaarung, gedrückter Wuchs bei unveränderter Ausbildung der Blüten, wodurch Großblütigkeit vorgetäuscht wird, Rosettenbildung, vermehrtes Auftreten des pflanzlichen Blutfarbstoffes, das sind so etwa »alpine« Merkmale, die mutatis mutandis auch den in die alpine Region hinaufsteigenden Tieren eignen. In der Hochregion sind nicht nur die Frauenmäntel ( Alchimilla) silberig behaart und die Habichtskräuter ( Hieracium) orangefarben überhaucht, sondern auch die dort fliegenden Berghummeln haben ein rotschwarzes Pelzchen um, die alpinen Schmetterlinge ( Erebia, Argynnis) überbieten einander in dunklen (Melanismen) oder leuchtenden Farben.

Es ist also eine sehr eigentümliche und lange Geschichte, die dem Kenner von der Pflanzenwelt und Tierheit der Alpen erzählt wird. Die erdgeschichtliche Herkunft ist darin so etwa der Orgelpunkt, während sich die Melodie aufbaut aus den klimatischen Ereignissen, welche die Wanderungen regeln, und dem geographisch-bodenkundlichen Faktor, der die Verteilung der Neuankömmlinge besorgt.

Natürlich ist die auf solche Weise zustande gekommene Alpenflora selbst sofort wieder ein »Faktor«, der auf seine Umgebung wirkt. Die Nähe der Alpen macht sich weithin in der den Bergen vorgelagerten Ebene bemerkbar; theoretisch eigentlich soweit, als die aus dem Gebirge gespeisten Transportkräfte: der Bergwind und die Gebirgsflüsse, gelangen. Durch den Wind werden leichte Samen weithin ausgestreut, und da der Bergwind meist des Nachts, als, wenn auch leise Luftströmung noch wahrnehmbar ist, an gar nicht wenig Tagen des Jahres als Föhnwind sogar kräftig wirkt, wird zweifellos ein gewisser Teil der Alpenpflanzen durch Luftströmungen in dem Vorland verbreitet. Sicher gilt das für gewisse Kompositen mit guten Flugeinrichtungen und Orchideen, deren staubleichter Samen mit dem Winde segelt.

Ein weit besseres Vehikel aber sind die Bäche, welche Pflanzen wegreißen, in sie gefallene Samen und Früchte mitschwemmen und talabwärts, oft so weit in das Flußgebiet der Ebene vertragen, daß dort, wo bei Überflutungen die kleinen, unfreiwilligen Wanderer abgesetzt werden, auch die letzten Erinnerungen an die Hochberge längst unter dem Himmelsrand hinabgesunken sind. Es sind namentlich die Überschwemmungsgebiete, die Flußkiese und Inseln, auf denen sich solche Gebirgswanderer ansiedeln; von da aus verbreiten sie sich übrigens nur selten und auf sehr beschränkte Strecken weiter. In dem uns interessierenden Gebiet sind es im besonderen Loisach, Isar und Lech, welche alpine Gäste ins oberbayrische Flachland herabbringen, das allerdings so gründlich besorgen, daß sich Alpenpflanzen sogar am Donauufer (man kennt solche von Ulm, Dillingen, Plattling), zahlreich auch bei Landshut finden lassen. Am Münchner Isarstrand sind Alpengäste einfach häufig. Das Vorkommen von Daphne striata wurde schon genannt; andere alpine Pflanzen in den Isarrändern von München sind: Carex sempervirens, Alnus viridis, die Grünerle der Hochalpen, Ranunculus montanus, die Steinkresse ( Aethionema saxatile), die bis Landshut a. Isar reicht, viel Dryas octopetala (Silberwurz, massenhaft auf den Isarkiesen bei Wolfratshausen), Kugelblumen ( Globularia cordifolia), Saxifraga aizoides, die hochstengelige Schlüsselblume ( Primula auricula), der stengellose Enzian ( Gentiana acaulis), die Alpenwachsblume ( Cerinthe alpina), sogar noch bei Ulm und Dillingen, das schöne Alpenleinkraut ( Linaria alpina), auch bei Ulm, Hieracium staticifolium und florentinum, Salix daphnoides, Petasites niveus und manche andere. Zweifelhafte und neuerlicher Feststellung bedürfende Formen sind: Arenaria ciliata, Campanula pusilla. Die alles nivellierende Kultur hat mit der Flußregulierung freilich auch diesen Idyllen Eintrag getan, und wenn man früher an der malerischen Wildnis, die sich etwa zwischen der Braunauer Eisenbahnbrücke bis zu den Überfällen und weiter bis zur Großhesseloher Brücke erstreckte, nach Alpenpflanzen suchend, reich belohnt wurde, so ist dieser beste Fundort heute mit seinen geradelinigen Uferböschungen kaum mehr ergiebig. Dagegen bergen die südlichen Isarauen noch manches und die Föhringer Isarkiese sind nach wie vor unberührt und reich. Desgleichen die Ränder der Isartalschlucht, die ja bis in das Stadtgebiet hineinreichen.

München birgt demnach in floristischer Beziehung einen letzten Ausläufer der Alpen, und schwer sinnend legt sich uns die Tatsache auf die Seele, daß die malerischen Hänge von Harlaching und an der Menterschwaige nicht nur im landschaftlichen Bild ein Stückchen alpiner Natur bedeuten, nicht nur in ihrem geologischen Bau durch ihre festen Nagelfluhwände den Bergen nahekommen, sondern auch noch eine Pflanzenwelt beherbergen, die von den Alpen stammt, so wie der Fluß, der die Ufer mit alpinem Geröll bestreut und damit auch die verlorenen Kinder des Berglebens herbeibringt.

Ein und dasselbe Gesetz spricht sich in allen diesen Dingen aus. Was dem alltäglichen Denken als selbstverständlich erscheint, weist uns hierin seinen feinsten und innersten Mechanismus. Es ist nicht selbstverständlich, sondern der Ausdruck eines besonderen Gesetzes, daß die Alpen eine Einwirkung auf ihre Umgebung haben, welche fast 100 km vor ihren letzten Ausläufer reicht. Die einzelnen Phänomene dieser Einwirkung sind wieder untereinander in ganz gesetzmäßiger Weise verkettet. Und es ist ein ganz besonders bedeutsamer Zusammenhang, daß die Bodenbeschaffenheit die ihr entsprechende Pflanzenwelt im Gefolge zu haben scheint.

Einmal darauf aufmerksam gemacht worden, wird man finden, daß die Zahl »alpiner« Gewächse im Isartal weit größer ist, als wir nach den ersten Anhaltspunkten schließen durften und sich auch auf eine Fülle von Gewächsen erstreckt, die weder durch den Wind, noch durch die Wasser der Isar dorthin gelangt sein können.

Es sei mir gestattet, zum Beweise dieses Satzes aus dem Herbar der Isartalflora, wie es namentlich G. Sendtner zusammengestellt hat, einige Belegstücke vorzuweisen.

Bei Wolfratshausen grünt in den Uferwäldern überall die alpine Waldrebe ( Clematis alpina). Eine ganze Reihe in den Alpen lebender Sträucher und Kräuter findet seine Nordgrenze dicht vor den Toren Münchens. Dies gilt namentlich für Aronia rotundifolia, Dorycnium suffruticosum, Sarothamnus vulgaris, Saxifraga mutata. Das ist mehr, als Zufall sein kann. Dazu kommt, daß ausgesprochene Alpenpflanzen ihr Standquartier im Isartal haben. Die prachtvolle Federnelke ( Dianthus barbatus) kann man bei Großhesselohe finden, Rosa alpina bei Baierbrunn, Cotoneaster tomentosa bei Grünwald und nur dort, Libanotis montana und Daphne cneorum ebenfalls bei Grünwald, desgleichen den Himmelsschlüssel ( Primula auricula). Der alpine Farn Aspidium Lonchitis wächst auch bei Pullach. Und mit allen diesen Angaben ist die Liste noch nicht abgeschlossen, sondern muß nur abgebrochen werden, damit in diesem Werke für die vielen anderen Glieder meiner Beweiskette auch noch Platz bleibe.

Will jemand nun unter dem Zwange der Tatsachen etwa die Ansicht verfechten, daß nur die Flora dem Gesetze folge, auf dessen Spuren wir wandeln, so sei nun als Ergänzung daran erinnert, daß nicht nur der urwaldartige Mischbestand der Alpenwälder in seiner Urwüchsigkeit bis ins Isartal reicht – wofür entzückende, nie wieder in solcher Nähe einer Großstadt zu findende Belege (Abb. 55) an den Hängen zwischen Grünwald und Mühltal zu sehen sind –, sondern daß dieser Flora ebenso gesetzmäßig auch die alpine Tierwelt bis vor München folgt.

Es sind nicht nur etwa manchmal versprengte Gemsen bis in die großen Wälder der Hochebene geflüchtet, nicht nur verschiedene Vögel des Alpenwaldes Gäste des Isartales gewesen, darunter auch eine so prägnante Alpenform wie der Mauerläufer ( Tichodroma muraria), der mehrere Jahre hindurch an den Nagelfluhwänden unterhalb der Menterschwaige nistete, nein, der Zusammenhang reicht viel tiefer. Sowohl in der Insekten-, wie in der Schneckenfauna des Isartales kehren die alpinen Züge wieder. (Abb. 43.) Diese beiden Gruppen wurden mit besonderem Bedacht aus dem Gesamtbild herausgegriffen, denn, wenn sowohl eine gutfliegende, also verbreitungsfähige Tiergruppe, die daher überall sein könnte, scharf umrissene Verbreitungsgrenzen einhält, wie auch eine so schlecht mobile Gesellschaft, wie die Schnecken von den Alpen ihren Weg bis nach München findet, dann ist das Gesetz, unter dessen Zwang beide handeln, wahrhaft erhärtet gegen alle Zweifel.

Es ist nun sehr kennzeichnend, daß das Isartal und im gesamten Umkreise Münchens nur dieses allein von sehr prägnanten Schmetterlingsformen der Alpen belebt wird. Hier wie dort fliegt der Senfweißling ( Leptidia Sinapis), an beiden Arten ist Argynnis amathusia eine Charakterform, der Reichtum an Trauermänteln ( Vanessa antiopa) und Erebia ligea ist auffallend. Auch in der Isartalfauna können gewisse Schmetterlinge durchaus noch als die »alpinen Fazies« verstärkend angesprochen werden. Zu ihnen gehören z. B. Pararge maera (bei Geiselgasteig), Limenitis Camilla, Lim. populi, Thecla Pruni (Großhesselohe), Augiades Lineola (Isarauen), Thyris Fenestrella (Bayerbrunn), Eudromis versicolora, Aglia tau (häufig bei Großhesselohe), Callimorpha Dominula, Orthosia Lota und andere.

Die unmittelbare südliche Nachbarschaft der Stadt ist wieder von einer höchst anziehenden Molluskenfauna aufgesucht. An den Quellen des Isarufers leben auf Kalkfelsen die ganz typisch alpinen Bythinella Schmidtii, in den Buchenwäldern die alpine Helix personata und Helix obvoluta (Abb. 43), auch unter anderem Pupa dolium als Vertreter einer alpin abgeänderten Tierwelt.

Sehr zu beachten ist hierbei, daß sich die genannten Pflanzen, ebenso wie die angeführten Tiere an das Isartal allein halten und es vermeiden, sowohl auf die lehmbedeckten Höhen, wie die Eichenwälder oder Moore der nordwestlichen Stadtumrahmung überzugehen.

Faßt man die erkundeten erdgeschichtlichen, geologischen, botanischen, zoologischen und klimatischen Tatsachen, also, um es nochmals recht einzuprägen: die Verbreitung der alpinen Gletscher, die Nagelfluhwände, die Bildung der Isarschlucht, die Grenzlinie alpiner Pflanzenarten, die Besiedelung des Isartales durch abgeschwemmte Alpenpflanzen, das Vorkommen alpiner Schnecken, Schmetterlinge und Vögel, die klimatische Auswirkung der Alpen durch Regenreichtum und Föhnwinde zusammen, so darf unbedenklich gesagt werden, daß das Isartal ein Ausläufer der alpinen Natur ist, weshalb auch das Feingefühl des Landschaftsphysiognomikers sehr wohl beraten ist, das in ihm die Stimmungsreize des Gebirges empfindet und es als besonderen Typus unter allen deutschen Landschaften preist, weshalb sich auch die Kunst schon oft seiner bemächtigt hat.

Diese Wirkungen des Hochgebirges waren nun während den Vorstößen der Gletscher natürlich auch auf dem übrigen Gebiet der Stadt München intensiv zu merken. Schon im Präglazial mußte in einer lang andauernden Periode die Einwirkung der sich nähernden Gletscher fühlbar werden, obzwar es eine merkwürdige, aber immer wieder festgestellte Tatsache ist, daß die Gletscher unmittelbar an ihrem Fuße sogar Wälder dulden, also das Lokalklima nicht grundlegend ändern. Das berühmteste Beispiel der Gegenwart ist der Malaspinagletscher in Alaska, auf dem, zum Teil sogar auf dem Eise selbst, Fichtenwälder grünen.

siehe Bildunterschrift

Abb. 43. Behaarte Schnecken der Münchner Fauna als alpine Einwanderer. 1. = Helix personata. 2. = Helix obvoluta. 3. = Helix hispida. Natürliche Größe. Original von Frau Dr. A. Friedrich-München.

So wissen wir denn auch, daß zu Beginn des Diluviums, wenigstens auf deutschem Boden, noch Taxodien – also Sumpfzypressenhaine – bestanden; in »frühdiluvialen« Schichten bei Lüneburg finden sich auch Reste der südlichen Omorikafichte ( Picea omorikoides), deren nördliche Verbreitungsgrenze jetzt über Serbien läuft. Es ist also anzunehmen, daß Norddeutschland noch im frühen Diluvium ein serbisches Klima besaß. E. Dubois Vgl. E. Dubois in Versl. Akad. Wetensk. Amsterdam 1904.beschrieb aus Tegeln des gleichen Alters der Provinz Limburg noch eine Fauna von Riesentertiärtieren, dazu Faunen und südliche Gewächse, wie die Pimpernuß ( Staphylea), Ricinus, die Wassernuß ( Trapa) und Walnußbäume ( Juglans).

Erst in einem relativ späten Stadium war die Flucht der Südländer allgemein; erst dann begann vor dem Alpenriegel das große Sterben und damit die Loslösung und Trennung der europäischen Flora (und Fauna) von der nordamerikanischen. Nur die Alpen sind daran schuld, daß unsere Pflanzenwelt so verarmt ist und der Mammutbäume, Sumpfzypressen, Tulpenbäume ( Liriodendron), Platanen, Magnolien ermangelt, die in den Vereinigten Staaten in unseren Breiten als Relikte des Miozäns grünen, ebenso der Zimtbäume ( Cinnammomum), Ginkyos u. a. m., welche noch immer aus gleicher Zeit Ostasien schmücken.

Die Vereisung brachte natürlich ununterbrochene klimatische Verschiebungen mit sich und dadurch auch eine stete Wanderung der pflanzen- und tiergeographischen Grenzen. Die mit ihr einsetzenden Maxima und Kontinentalwinde bedingten auf dem weiten Gebiet zwischen den nördlichen und den südlichen Eisfeldern Steppenvegetation und dementsprechende Fauna, was an sich weit mehr tertiäre Lebensformen (die fast alle Hygrophyten waren) des Tertiärs vertilgte, als die Kälte, der sich namentlich die Pflanzen leichter anpassen. Damals fand jene Aussiebung der Tertiärflora statt, welche hauptsächlich die Tropophilen, die xerophil angepaßten Bäume (Nadelhölzer) und Xerophyten unter den Kräutern, also gerade jene übrig ließ, die noch heute den Pflanzenbestand der eiszeitlich beeinflußten Gebiete kennzeichnen.

Alle Wahrscheinlichkeit spricht dafür, daß während der Vereisungzvorstöße, als die große Eismauer bei Ebenhausen und Starnberg stand, das Münchner Stadtgebiet von einer Art Tundra bedeckt war, in der die Renntier- und isländische Flechte dominierte, aber auch wenigstens Zwergsträucher und auch Krüppelfichten und Kiefern ein kümmerliches Dasein fristeten. Daneben werden Schneeheide ( Erica) (Abb. 42), Moorsträucher, auch die Dryas weite Verbreitung gefunden und den Renntierherden reichlich Nahrung geboten haben. Rechnet man einige der nordischen Züge ab, so wird das Gesamtbild sich nicht sehr wesentlich von dem unterschieden haben, das noch jetzt dem Wanderer an den Vorfrühlingstagen an gewissen dürren Strecken des Isarhochrandes zwischen Geiselgasteig und Grünwald oder am Rande des Forstenrieder Parkes entgegentritt (Abb. 56), wo auch Krüppelföhren, Zwergfichten zwischen einem dürren Rasen auf den eiszeitlichen Schottern kümmern, in den die Schneeheide einige Farbflecke einstickt, die reichlichen Erdflechten aber alle Farben dämpfen. Penck hat sich die Mühe gemacht, die Schneegrenzen des damaligen Deutschlands zu berechnen und fand, daß alle Höhen in Westdeutschland, die sich über 800 m erhoben, dauernd eine Schneedecke trugen, während diese Zone im Osten erst bei 1200 m anhob. Es waren demzufolge auch die östlichen Ausläufer der Alpen (Steiermark, Niederösterreich) niemals völlig vergletschert, was sich noch heute in der Verbreitung der Gletscher von Savoyen bis zum Dachstein (weiter östlich gibt es überhaupt kein Eisfeld mehr) ausspricht.

Am Nordostabfall der Alpen betrug die Ewigschneegrenze 1500 m, in Italien 1200 m. Im Münchner Teil der Alpen und Vorberge darf man sie wohl auf die gleiche Höhenziffer schätzen, der Münchner Boden also war im Sommer durchaus schneefrei, und dieses grüne Land erstreckte sich bis zur Donau durch ganz Franken bis an den Frankenwald. In West und Ost hing es zusammen mit dem französischen (Belforter Loch) und mährisch-ungarischen Gebiet, das niemals eine Eisdecke getragen hat. Schon dadurch waren der Lebenswelt gewisse mildere Züge aufgedrückt, und nimmt man dazu die Insolation, welche dem Sommer längere Dauer und Temperaturen sicherte, die hinter den heutigen sicher nicht weit zurückblieben, so ergibt sich ein Gesamtbild, das sich mit dem der isländischen und sibirischen Tundren, mit dem man eine Zeitlang das deutsche Glazial mit besonderer Vorliebe verglichen hat, sehr wenig deckt. Die eiszeitliche Flora ist daher durchaus anders zusammengesetzt, wie die arktische! Sie enthält eine Menge Elemente (z. B. Armleuchteralgen [ Chara] in den Gewässern, ebenso Tausendblatt [ Myriophyllum] und Laichkräuter [ Potamogeton]), die dort fehlen. Vor allem ist sie reicher gewesen, als die artenarme zirkumpolare Pflanzenwelt. Enthielt sie doch noch eine Anzahl präglazialer Formen, die dadurch auf unsere Zeit hinübergerettet wurden. Jedenfalls waren während der Vereisungsperioden die Unterschiede in der Besiedelung auch nahegelegener Orte weit größer, als heute; an geschützten Stellen hielt sich eine unvergleichliche Menge tertiärer Formen, namentlich im Osten, der von der Verschlechterung weit weniger zu leiden hatte. Die gesamte reiche, üppige Tertiärflora flüchtete gegen Sonnenaufgang, nach Ungarn und auf den Balkan, wo auch während der Riß- und Würmvereisung des Isartales noch Wälder von Edelkastanien und Walnußbäumen, orientalischen Platanen und Roßkastanien ( Aesculus) bestanden, zwischen denen sich Weinguirlanden rankten, unter denen Judasbäume ( Cercis siliquastrum) ihre Früchte reiften und Flieder ( Syringa) blühte!

Man stellt sich gemeinhin das Europa der großen Vereisung als eine Art Grönland vor und den unglücklichen Neandertaler Menschen, der es bewohnte, als einen vor Frost und Not fast umkommenden Elenden. Aber man scheint mit dieser romantischen Ansicht übel beraten zu sein. Denn der Glazialmensch hatte wahrlich keine Ursache, sich dem unwirtlichen Eiswall allzusehr zu nähern; schon mit wenig Tagwanderungen auf der baumarmen Tundra war er in West und Ost in gesegneteren Gefilden, wo es sich auch während der Eiszeit nicht viel weniger behaglich hausen ließ, als im mittelalterlichen Italien. Sogar im Vereisungsgebiet selbst, soweit es nicht mit gefrorenen Krusten überschoben war, konnte er in geschützten Tälern auf eine namentlich an Sträuchern und Kräutern reiche Flur rechnen. Da blühte der »Jasmin« ( Philadelphus), dort stand die Felsenbirne ( Amelanchier), die übrigens noch heute im Isartal zu finden ist, unter den Gebüschen duckte sich die Haselwurz ( Asarum) (Abb. 44), wuchs amethystfarben die schmarotzende Schuppenwurz ( Lathraea). Ein dichter Teppich üppiger Kräuter und Stauden schmückte den Sommer dieser angeblich so lebensarmen Einöden, von denen nur als prägnante Formen die Gattungen Narthecium, Isopyrum, die Winterlinge ( Eranthis), die auch heute noch lebenden Orchideen Fichtenspargel ( Monotropa) und Sockenblume ( Epimedium), die heute nur mehr östlichen Gattungen Waldsteinia und Scopolia hervorgehoben seien. In ganz geschützten deutschen Tälern blühte auch während der Eiszeit sogar der Oleander ( Nerium)! Vgl. A. Engler, Versuch einer Entwicklungsgeschichte der Pflanzenwelt. 1879. I. S. 44 u. ff.

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Abb. 44. Haselwurz ( Asarum europaeum), ein Überbleibsel der tertiären Pflanzenwelt Europas in der Münchner Flora. (Nach einem Original-Aquarell des Verfassers.) Die Blütengestaltung von Asarum (siehe die Einzelblüten in Längsschnitt und Seitenansicht rechts unten) ist noch überaus altertümlich, die ganze immergrüne Pflanze deutet auf ein altes Pflanzengeschlecht.

Das alles waren die » tertiären Relikten«, die sich anzupassen verstanden und aus der alten Flora auf die Gegenwart überkamen.

An den Mittelmeergestaden bewahrte sich das Leben seine ganze miozäne Üppigkeit und wetteiferte mit dem heutigen Sizilien an Pracht und Fülle. Wälder von Zwergpalmen ( Chamaerops) besiedelten die Höhen, an deren Fuß im Dickicht der Myrten- und Lorbeerbüsche Granatäpfel leuchteten und Oleander blühte. Immergrüne Eichen und Feigenbäume bildeten Haine mit Hopfenbuchen ( Ostrea) und Ölbäumen auf den rauheren Bergen, während in heißen Tälern Johannisbrot, Wein und Pistazien reiften.

Dieser ganze Reichtum wurde frei und wanderte nordwärts, so oft sich die Gletscher in ihre Gebirgsheimat zurückzogen. Durch das Milderwerden der Lebensbedingungen ging nichts verloren, da sich die während der Vereisung von Nordost her eingefundenen arktischen Ankömmlinge, die Zwergsträucher Ledum, Andromeda, Krähenbeere ( Empetrum), Moosbeeren ( Vaccinium), die Silberwurzen ( Dryas) und polaren Kriechweiden ( Salix retusa, polaris) und Birken ( Betula nana) sowohl auf die Berge und an die Gletschergrenzen, wie auf die in den ausgekolkten und wie von einem Krieg verwüsteten Sandrfelder und Geröllfluren reichlich übrigbleibenden Moore flüchten konnten.

C. A. Weber hat in seiner überaus lehrreichen Studie über die Geschichte der Pflanzenwelt seit der Tertiärzeit C. Weber, Die Geschichte der Pflanzenwelt des norddeutschen Tieflands seit der Tertiärzeit. (Wiss. Ergebnisse des Internat. Botan. Kongresses Wien von 1905, S. 98 u. ff.) aus den interglazialen Torfmooren darauf geschlossen, daß jede Zwischeneiszeit mindestens mehrere tausend Jahre gewährt habe, sonst hätten sich nicht so ansehnliche Torflager bilden können. In dieser langen Zeit kehrten auch langsam wandernde Arten von fernher an ihre früheren Standorte zurück, indem jede Generation einige hundert oder tausend Meter weiter keimte gegen West oder Nord, als ihre Mutter. So kommt damals der Wasserschild ( Brasenia), eine ganz ausgesprochen südliche Seerose, wieder nach Norddeutschland zurück; im zwischeneiszeitlichen Moor von Klinge hat sie ihre Spuren hinterlassen. Desgleichen wandern neuerdings die Platanen und Walnußbäume oder das südländische Sauergras Dulichium ein, und das ist ein weit besserer Beweis für eine auffällige Milderung des interglazialen Klimas, als die so viel genannte und zu Tode und wieder zum Leben argumentierte Höttinger Flora (vgl. S. 100). G. Beck Vgl. G. Beck, Die Vegetation der letzten Interglazialperiode in den österreichischen Alpen. (Lotos Bd. LVI.)] hat nachgewiesen, daß in den Zwischeneiszeiten auch die Omorikafichte vom Balkan in Begleitung der orientalischen Ahorne eine weite Wanderung in die Ostalpen unternahm und wohl bis in die Nähe des Münchner Lebensbezirkes einwanderte, was sicher auch eine ganze Anzahl anderer Balkanformen nach sich zog. Namentlich von der Riß-Würm-Zwischeneiszeit wissen wir mit voller Bestimmtheit, daß die Alpenhänge mit unermeßlichen Wäldern bedeckt waren; gibt es doch sogar diluviale Kohle (vgl. S. 101).

So kann man sich denn auch für München ein plastisches Bild der Lebensverhältnisse in den Zwischeneiszeiten machen. Man sieht dabei eine weite und wilde Wald- und Moorlandschaft vor sich, in der die vom Nordost gekommene Fichte, ferner Eiche und Buche dominieren. Reiches Unterholz und in den tieferen Lagen ein Überwiegen der Laubbäume mischen freundliche Farben in das Gemälde, das – nur dem Unkundigen mag das eine Überraschung sein – im ganzen großen dem Oberbayern des Tacitus völlig glich. Auf dieser Überzeugung beruht doch auch die Hypothese, daß auch die erdgeschichtliche Gegenwart nur ein weiteres Interglazial darstellt.

Seitdem die Gletscher der Würmeiszeit ihren Rückzug angetreten haben, ist nichts anderes erfolgt, als was die Erdgeschichte uns schon einigemal vorgespielt hat.

Ob die dabei beobachteten, sehr erheblichen Schwankungen der Flora dem Menschen, der ja das gesamte Postglazial miterlebt hat und in seiner Sagenerinnerung durchgängig wenigstens den Begriff der Wasserhölle (Hel!) und einer großen Flut aufbewahrte, überhaupt merkbar waren, ist tatsächlich fraglich, wie es auch P. Graebner annimmt P. Graebner, Pflanzengeographie. 8°. 1903. S. 61., da z. B. die seit historischer Zeit gerade in der Münchner Gegend unzweifelhaften Verschiebungen im Pflanzenbestand (vgl. S. 130), welche zur stufenweisen Verdrängung der Eiche und Buche und zur Vorherrschaft der Fichte führten, von den Menschen nicht bemerkt wurden. Nichts deutet in der historischen Erinnerung darauf, ebensowenig kann das Ziffernmaterial der Meteorologie diese Tatsache in ihrem Netz einfangen, weshalb denn auch ein so angesehener Meteorologe wie W. Eckardt voll Überzeugung dafür eintritt, daß sich in historischer Zeit keinerlei Klimaschwankung mehr ereignet habe.

Der Botaniker weiß das besser. Die Pflanzen, deren Sprache er versteht, sind viel feinfühliger, als der Mensch und dessen Meteorologie. Sie reagieren auf Schwankungen, die ihm sonst entgehen, und deshalb dürfen die hier bereits gestreiften (S. 132) Rückzugsschwankungen und die so fein ausgeprägten Kiefer-, Eichen-, Buchen-, Erlen- usf.-Zeiten nicht viel anders eingeschätzt werden, wie die gegenwärtigen Pflanzenwanderungen oder die 35jährige Periode der Gletscherschwankungen, von denen wir alle am eigenen Leibe bewußt niemals etwas verspürt haben.

Was uns daher im gegenwärtigen Stadium unseres Gedankenganges an dem Postglazialphänomen allein interessiert, ist die allmähliche Herausbildung der heutigen Flora und Fauna aus dem Lebensbild der Würmeiszeit.

Die Abschmelzperiode hat zweifelsohne noch immer eine herabgedrückte Vegetationszeit im Jahr besessen, denn die gewaltige Masse von Bodeneis muß auf lange hinaus die Verhältnisse ungünstig beeinflußt haben. Zuerst war die uns nun schon genau bekannte arkto-glaziale Flora vorhanden, die sich hauptsächlich aus dreierlei Beständen zusammensetzte. In nicht geringen Resten waren tertiäre Relikten vorhanden, allen voran die Nadelbäume, die immer wieder von Nordosten her eingewandert sind, so oft auch Ungunst der Verhältnisse sie verdrängt hat. Dazu Birken, Erlen, Weiden, Pappeln. Neben ihnen spielten die arktischen Einwanderer, die vor dem skandinavischen Eisschild herzogen und das Münchner Gebiet ebenfalls von Thüringen und Sachsen, also vom Nordosten her, eroberten, eine große Rolle. Und schließlich fügten sich alpine Formen dem Bestand ein.

Wir besitzen eine sehr genaue Aufzählung der arktischen Pflanzen, welche um Lübeck nach dem Abzug des Eises in den Mooren lebten, P. Range, Das Diluvialgebiet von Lübeck und seine Dryastone. (Zeitschrift für Naturwissenschaft. 1906, S. 161 u. ff.) und haben das zweifellose Recht, diese Liste auch auf die postglazialen Verhältnisse des Münchner Landes unter dem Vorbehalt anzuwenden, daß sich hier in den Bestand, wenigstens der Zahl nach, viel mehr tertiäre und alpine Gewächse mengten.

Danach malt sich das Bild Münchens zur Dryaszeit etwa in folgender Weise:

Vor dem Ausgang des Isartales, das man sich schroffer und romantischer denken muß, da seitdem viel eingestürzt ist und abgetragen wurde, dehnte sich eine Art See, der von dem Grundwasser des viel höher stehenden Dachauer Moores gespeist wurde. An seinen Schotterrändern dunkelte ein Fichtenforst, durchsetzt von Birken, auch Erlen, an den Stellen, wo die Schotter das Grundwasser hoch überdeckten, wohl auch Kiefern. Im Geröll blühte eine Menge von Silberwurzen ( Dryas), die der Flora den Charakter, der Zeit ihren Namen gaben, im Moor bleichten die gewundenen Stämme der am Boden liegenden Sumpfföhre (Filzkoppe); in Inseln grünten beisammen die vielen silberblätterigen nordischen Weiden, Zwergbirken und Grünerlen, und wo das Land in dunkelmißfarbenen Wiesen saurer Gräser sich weitete, schaukelten sich schon damals tausende der Silberflöckchen des Wollgrases Die wichtigsten in Betracht kommenden Arten sind: Betula nana, Arctostaphylus alpina, Dryas octopetala, Diapensia Lapponica, Eriophorum Scheuchzeri, Azalea procumbens, Oxyria digyna, Pinus cembra (Zirbel!) und montana (Krummholz), Polygonum viviparum, Salix myrsinites, arbuscula, herbacea, polaris, retusa, reticulata, Saxifraga aizoides u. a., ferner Betula verrucosa, rubescens, Alnus glutinosa, Populus tremula (Zitterpappel), Pinus silvestris. Zahlreiche arktische Moose und Flechten (ein Rest der Tundravegetation, namentlich mit den kennzeichnenden Renntierflechten).. Nur ab und zu brachten die Knöteriche oder roten Beeren der Moorsträucher lebhafte Farben ins traurig-eintönige Landschaftsbild.

Belebt war dieses öde Land von Renntierherden, noch ab und zu von Mammuten, die erst mit dem Ende des Diluviums ausstarben, während ihnen das wollhaarige Nashorn darin schon vorangegangen war; ferner von kleinen Muntjakhirschen, Ur- und Wisentherden, Hirschen und Rehen, im allgemeinen aber nur spärlich, entsprechend seiner Armut und Unwirtlichkeit.

In dieses Bild brachte der Wandel der zwanzig Jahrtausende, die man für das Postglazial bis zur historischen Zeit (älteste Sumerer und Chinesen) annehmen kann, nur insofern neue Farben, als nun die leisen Auswechselungen der Baumwelt und ihrer Gefolgschaft einsetzten, mit deren Erforschung sich die nordischen Forscher so viel Mühe gaben (vgl. S. 128), deren relative Geringfügigkeit für das allgemeine Milieu aber hier schon hervorgehoben wurde.

Auch für München galt die allgemeine europäische Formel: Kiefer, dann Fichte, Eiche, Buche und in der Gegenwart wieder Fichte, namentlich, wenn man die Blytt-Nathorstsche Regel mit den von M. Staub Vgl. M. Staub, A jégid&#337; florája Magyarországban. (Földtani Közlöny 1891.) festgestellten ungarischen Florawandlungen in Einklang bringt.

Nach ihm begann die Nacheiszeit im nördlichen Ungarn mit einer Waldflora, in der die Zitterpappel, Hängebirke ( Betula verrucosa) und Grauweide ( Salix cinerea) dominierte. Dann folgte auch dort die Kiefer, hierauf kam ein trocken-warmes Klima mit Linden ( Tilia platyphyllos), Salweiden ( Salix caprea), Haseln ( Corylus avellana), Faulbäumen ( Frangula), dann das Eichenklima, während dessen Herrschaft auch Ahorn und Esche waldbildend auftraten, dann Buchen ( Fagus) und Weißbuchen ( Carpinus) und endlich die Fichte, die heute noch ganz Oberungarn überzieht.

Von allen diesen Wandlungen scheint die Eichenbesiedlung (welche mit der Ancylus- und Litorinazeit zusammenfällt) am längsten gewährt zu haben und am allgemeinsten verbreitet gewesen zu sein. Es war namentlich die Stieleiche ( Quercus pedunculata), welche Deutschland mit großen Wäldern überzog, während Birke und Kiefer mehr lokale Verbreitung hatten. In die Eichenzeit fällt jedenfalls die ganze Herausbildung des deutschen Neolithikums, die Bronzezeit, Hallstattperiode und La Têne-Zeit, sogar das Aufdämmern der deutschen Völkergeschichte. Der deutsche, vor allem mit der oberbayrische Eichenwald war es, in den die Römer des Tacitus niederstiegen, und von daher datiert die Wahl der Eiche zum deutschen Nationalbaum, die heute jede Berechtigung verloren hat, da längst wieder Kiefer und Fichte die deutschen Charakterbäume geworden sind.

Aber schon um Christi Zeiten war der Eichencharakter der deutschen Flora im Schwinden. Im ganzen Mittelalter drängte überall die Buche vor; im Norden rodete die Rohhumusbildung endgültig die Möglichkeit der Eichenbesiedelung, ein Vorgang, der heute noch in Friesland und Jütland in vollem Gange ist. An ihre Stelle trat dort überall die typische Rohhumuspflanze: das Heidekraut. Seit dem Dreißigjährigen Krieg merkt der Forstmann dagegen allenthalben ein Sinken nicht nur der Eichen-, sondern auch der Buchenrentabilität. Von da an datiert seine Vorliebe für die raschwüchsigen Nadelhölzer, zunächst die Fichte, die gegenwärtig einen Siegeszug über Deutschlands Waldboden veranstaltet. Sie verdankt das nicht etwa einer Mode, sondern die »Mode« bemächtigte sich ihrer, weil sie eben gegenwärtig der rentabelste Waldbaum ist, mit anderen Worten: weil sie derzeit das Optimum ihrer Lebensbedingungen findet.

Gerade der Münchner Boden bereichert die Beweiskette dieser Behauptungen mit überaus wertvollen Gliedern. In seiner Umgebung gibt es zahlreiche Ortsbenennungen Solche sind Hesselohe, Pullach (Buchenlohe), Streiflach, Hoflach, Kreuzpullach, Straßlach, Perlach, Allach, Fronloh (Fronloher Buchet), Anger Lohe, Sauerlach, Otterloh, Lochhofen, Hienloher Holz, Erlach usw., die auf -lohe oder das dialektische -lach endigen, was immer auf einen kultisch bemerkenswerten Wald, und zwar, wie sich oft aus den Zusammensetzungen erkennen läßt, auf einen Laubwald deutet. Die ausgesprochenen Fichtenbestände werden vom oberbayrischen Volk mit Vorliebe als Hart, auch Haar oder Daxet bezeichnet, wenn sie eben Fichtenwald schon um die Zeit trugen, als die Namensgebung, bzw. Gründung des Ortes erfolgte. (Beispiele: das Schinderdaxet bei Ismanig, Haar, Lanzenhaar, Faistenhaar, Haarschwaig bei Ascholding, Haarkirchen (gut unterschieden gegen den benachbarten Buchhof, Hofbuchet und Heiligberger Buchet], Hartpenning usf.). Es gibt nun zahlreiche -lach-Orte und -loh-Gehölze, die heute ausschließlich von Fichten bestanden sind. So gibt es um Otterloh nur Fichten, um Hessellohe (= Hasel-Gehölz) sind die Haseln längst nicht mehr herrschend, um Linden (beim Reichertshauser Trockental) gibt es keine Linden mehr, ebensowenig um Lindach bei Aying; im Weichselgarten bei Fürstenried gibt es ebensowenig Obstbäume, wie bei Holzapfelgreuth (wenn dieser Name nicht von einem Familiennamen abgeleitet ist wie Höllriegelsgreuth).

Alles das deutet auf eine Verschlechterung der Flora in historischer Zeit, genau so wie die Erzählungen von dem einst zu Landshut a. Isar gekelterten Wein. Auch in den vielen ausdrücklich als Buchet gekennzeichneten Wäldern, namentlich um das Würmtal herum, mischen sich immer mehr Bestände von Fichtenhochwald und Jungholz zu den noch vorhandenen Buchen.

In der ganzen Umgebung Münchens sind uralte, teilweise sogar kultisch verehrte Rieseneichen und Linden erhalten, die unter den heutigen klimatischen Verhältnissen dieses Alter niemals erreichen hätten können. Siehe Fr. Stützer, Die ältesten, größten und merkwürdigsten Bäume Bayerns.

Der bekannteste dieser Bäume ist die sogenannte König Max-Eiche bei Buch, unweit von Moosach im Glonntal, ein etwa 700- bis 900jähriger Riesenstamm, der zum Teil immer noch grünt und schon Kreuzritter, Hunnenreiter an sich vorüberstürmen sah und zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges nicht viel anders als jetzt ausgesehen haben mag. Ein uralter Kultwald von Eichen grünte bei Aschheim im Erdinger Moos und hat immer noch eine Gruppe sehr bemerkenswerter Bäume zurückbehalten. Ein anderer derartiger Kultbaum hat seine Verehrung in die christliche Zeit hinübergerettet als Wallfahrtsort Maria-Eich bei München. Heute ist er infolgedessen mit einer Pflanzung jüngerer Eichen umgeben; sein ganzes Gebiet aber ist nichts als der Überrest eines großen Eichenbestandes, der sich in Rudimenten noch jetzt bis zum Allacher Forst entlang des ganzen Würmtales zieht.

Vielleicht gehörte zu diesem Gebiet auch noch die ungeheure Schloßeiche von Eisolzried bei Dachau ( Quercus pedunculata), die in 3 m Höhe noch einen Stammumfang von 9 m aufweist und auf etwa 700 Jahre geschätzt wird. Übrigens deutet gerade in der Umgebung von Dachau manches auf Änderungen in der Flora. Daß es dort verwilderte Edelkastanien gibt, mag an sich nachdenklich stimmen. Daß aber die Kiefer vor Jahrhunderten ganz anders gedieh als jetzt, bezeugen die uralten Bäume von Lauterbach und Aresing.

Der erstere (der nicht mehr steht) hatte den für eine Föhre unerhörten Stammumfang von 5,10 m (Stützer); der sog. Hexenmantel von Aresing stammt aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges und steht mit 4,80 m Stammring nicht viel hinter dem vorigen zurück.

In diese Reihe gehört endlich auch die Edignalinde bei Puch, unweit von Fürstenfeldbruck, die als Kultbaum ebenfalls den Bau einer Kirche nach sich zog. Dieses vom Volk noch jetzt für wundertätig gehaltene schöne Naturdenkmal (aus seinem Stamm fließt »heiliges« Öl) wird von Stützer auf ein Alter von 1000 Jahren geschätzt, ist also älter, als die Geschichte von München!

Von diesen alten Bäumen verdient namentlich die Moosacher Eiche unser besonderes Interesse. Ist sie doch einer der letzten Überreste eines großen, ja des größten Eichenwaldes, der in Deutschland gedieh, aber längst zu den Vätern dahingesunken ist. Nördlich an die Innmoränenkette, an der die Moosacher Eiche steht, schließt sich der große Waldkomplex des Ebersberger Parkes (Abb. 45) an, dem mit Recht nachgerühmt wird, er sei der größte, zusammenhängende deutsche Waldkomplex. Einst war er vorwiegend mit Eichen bestanden und noch die vorige Generation konnte darin Überreste uralter Gefährten des letzten Veteranen sehen, der zu Moosach den ganzen Wald und sein blutgetränktes Jahrtausend überlebte, in dem der Anstieg des deutschen Volkes zur Kultur erfolgte.

Es ist ein ergreifend schöner Blick, den keiner der hunderttausend Fremden genießt, die jährlich München der Naturschönheiten seiner Umgebung halber aufsuchen, wenn man von den sehr ansehnlichen Jungmoränen des Inn, die in einem großen Halbkreis das Dorf Kirchseeon umstellen (auf dem entzückenden Waldweg von Kirchseon nach Ebersberg), gegen München zu schaut (Abb. 45). Soweit das Auge reicht, nichts als grüne Wipfel, in sanften Höhenzügen Kulisse um Kulisse hintereinander gereiht, bis zu den grau verdämmernden, letzten, feinen Linien des Himmelskreises, über denen an ganz klaren Tagen auch die Rauchwolke über der großen Stadt schwebt. Im Vordergrund rahmen Buchen und noch manche junge Eiche das geruhige Bild ein, das durch seine kaum auszumessende Weite zur Seele spricht, aber unten in der Ebene treten der Buchen runde Kronen immer mehr hinter den spitzen Wipfeln der Fichten zurück, zwischen denen man auch viele Stunden lang wandert, wenn man versucht, den großen Wald zu durchqueren, der eine der blutigsten und verhängnisvollsten Schlachten Napoleons gegen Bayern erlebt hat und noch voll von Erinnerungen daran ist.

Von diesem Wald überliefert uns nun die Forstgeschichte, daß seine Eichen seit der Zeit des Dreißigjährigen Krieges merklich kränkelten und daß er – der ja noch heute an vielen Stellen Mischwald ist – allmählich zu einem Buchenwalde wurde. Solcher blieb er bis ins 19. Jahrhundert, in dem auch ohne Zutun des Menschen die Fichte immer mehr das Übergewicht erlangte, so daß schon vor 30-40 Jahren die Nonne dort die allergrößten Verheerungen anrichten konnte.

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Abb. 45. Der größte deutsche Wald. Blick vom östlichen Moränenrand auf das bis zum Horizont der Schotterebene reichende Forstgebiet des Ebersberger Parkes, nahe bei Kirchseeon. Der Park besteht großenteils aus Fichten; nur am Rande ist Mischwald aus Fichten, Föhren, Buchen und Eichen vorhanden. Original von Frau Dr. A. Friedrich-München.

An einer leisen und doch merkbaren säkulären Schwankung des Münchner Klimas und damit auch der Münchner Flora läßt sich nach so viel Anzeichen wohl kaum mehr zweifeln, und das Münchner Land steht dadurch nur in Einklang mit dem großen Gesetz, das sich in ganz Deutschland seit dem Abklingen der Eiszeitphänomene meldet.

Es wird den Kennern hierbei auffallen, daß in dem von mir entworfenen Bilde gar kein Platz für jene Steppenzeit und Steppenflora geblieben ist, die nach der Überzeugung der älteren wissenschaftlichen Generation regelmäßig jeder Vereisung und Lößbildung gefolgt war. Ich konnte sie jedoch nicht in mein Bild einbauen, einfach deshalb, weil mir dazu sozusagen alle Belege fehlen. Die »Heidenvegetation« im Norden Münchens ist viel jüngeren, sozusagen moderneren Ursprunges und steht unter der Herrschaft anderer Gesetze. Immerhin ist anzunehmen, daß es im Bereich der Eichenzeit auch um München Heiden ähnlicher Art gegeben haben mag, wie sie sich jetzt noch östlich von Wien (Parndorfer Heide) als trockene Grasflur weithin am Fuß des eichenbestandenen Leithagebirges dehnen. Von den zwölf Steppentieren (Lemming, Pfeifhase, Saigaantilope usw.), auf die Nehring seine bekannte Theorie der mitteldeutschen Lößsteppe begründet, hat sich um München nichts gefunden.

Dagegen um so zahlreicher sind fortlebende Überbleibsel der Eiszeit, die mit zu den anziehendsten Lebensformen der Gegenwart gehören.

Allenthalben finden sich im ganzen Gebiete, welches einst von der Vereisung betroffen wurde, in den Mooren Pflanzen eiszeitlichen Ursprunges. Namentlich groß ist ihre Zahl in Ostpreußen, gegen West und Bayern nimmt sie dagegen ab. Im allgemeinen handelt es sich dabei etwa um folgende Arten: Die Zwergbirke ( Betula nana), ein schwedischer Hartriegel ( Cornus Suecica), die Moltebeere ( Rubus Chamaemorus), die Lappenweide ( Salix lapponum) und der Bocks-Steinbrech ( Saxifraga hirculus), ebenso die Krähenbeere ( Empetrum nigrum). Dazu gesellen sich sowohl um Berlin, wie in Südbayern die Mehlprimel ( Primula farinosa) und im Gebirgsvorland eine der alpin-polaren Kriechweiden ( Salix reticulata). Im Kreise der Algen müssen gewisse ausgesprochene Eiswasserformen ebenfalls als »Glazialrelikten« angesprochen werden, so namentlich der zierlich-entzückende »Wasserschweif« ( Hydrurus) (Abb. 46) aus der Gruppe der Goldmonaden und die Froschlaichalge ( Batrachospermum) unter den Rotalgen. Nach den Untersuchungen von Zschokke müssen wir uns auch damit befreunden, die überaus zierlichen Kleinpflanzen und Kleintiere des Planktons (Abb. 47) der Süßwafferfeen als übriggebliebene Eiszeitformen zu werten, desgleichen gewisse Schmetterlinge und Schnecken, Bewohner der eiskalten Bäche der Hochgebirge und in steter Dunkelheit lebende Höhlen- und Brunnenkrebse.

Diese armen Flüchtlinge und Überbleibsel vergangener Zeiten muten wahrhaft rührend an. Sie, die schon in den Tagen ihres Glückes Stiefkinder des Schicksals waren, haben sich so sehr an Armut, Unwirtlichkeit, lebensfeindliche Kälte angepaßt, daß sie dann freiwillig an den elendsten Orten, im kalten, nebeligen Moor, im Brunnen oder Eisbach, im kühlen Seewasser wohnen blieben oder gar nur in Wintergraus zu leben wagen und den Sommer verschlafen, seitdem die Welt eine Wendung zum Besseren genommen hat.

Ob sie freilich wirklich alle seit der Eiszeit an demselben Standort die Kette ihrer Generationen spinnen, ist mehr als fraglich. Weber C. Weber, Geschichte der Pflanzenwelt. hat als erster darauf hingewiesen, daß in den Mooren zwischen den am Grunde vergrabenen glazialen Resten und den heutigen »Relikten« keineswegs sich solche auch in den Zwischenschichten auffinden lassen; vielmehr liegen stets Reste von Röhricht und Sumpfschlamm, reine Wasserpflanzenbestände, also Anzeichen solcher Lebensverhältnisse dazwischen, unter denen z. B. Zwergbirken oder Mehlprimeln nicht leben können. In einem von ihm näher bezeichneten Fall war sogar nachweisbar, daß die Zwergbirke an dem betreffenden Ort vor 30 Jahren noch nicht angesiedelt war. Es ist demnach anzunehmen, daß sich die »Relikten« an den verschiedensten Stellen kümmerlich fortgeholfen haben und ihre heutigen Fundorte nur eine ihrer gelegentlichen Zufluchtsorte darstellen. Jedenfalls wäre die Kontinuität mit der Eiszeit gründlich durchbrochen, wenn sich im Postglazial tatsächlich eine Steppenperiode eingeschoben hätte. Insofern sind die vielen Eiszeitrelikte in Oberbayern auch eine Art indirektes Beweismittel gegen die Annahme eines Steppenklimas.

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Abb. 46. Eine Charakteralge der winterlichen Isar ( Hydrurus foetidus), die im Januar und Februar alle Ufersteine mit goldbraunem Rasen überzieht. Stark vergrößert. Originalmikrophoto von Frau Dr. A. Friedrich-München.

Von ihnen sind namentlich die Mehlprimeln ( Primula farinosa) um München an allen moorigen und feuchten Stellen außerordentlich verbreitet. Mit dem stengellosen Enzian ( Gentiana acaulis), der eigentlich ein Gebirgsflüchtling ist, aber auch nicht der Beziehungen zur Glazialflora entbehrt, sind sie geradezu die Charakterpflanzen des Moores im Mai, und vielleicht der schönste Frühlingsschmuck, den das naturarme Land um München aufzuweisen hat. Es ist fraglich, ob auch die gelblichweiß blühende kleine Iris sibirica noch eiszeitlich ist oder schon der späteren »preußischen«, d. h. nordöstlichen Einwanderung auf das Konto zu setzen sei; jedenfalls ist es eine der für den Naturfreund wunderlichsten Tatsachen, zu sehen, wie sich hier hart die Zeugen entgegengesetzter Naturverhältnisse berühren. In den Auwäldern an der Amper wächst ebenso reichlich, wie überall um München der Seidelbast ( Daphne mezereum), ein unzweifelhafter Tertiärrelikt, was sich schon in seinem ungewohnten Winterblühen Nach allgemeiner Annahme sind die zu ungewohnter Zeit blühenden Pflanzen unseres Klimas Überbleibsel, bezw. Einwanderer aus anderen Klimaten, welche den anderen Lebensrhythmus beibehalten haben. So gelten der Winterling ( Eranthis hiemalis), das Schneeglöckchen ( Galanthus und Leucojum) als Oestler, Daphne als tertiäres Überbleibsel, desgleichen die Schneeheide ( Erica carnea) als südöstliche Alpenpflanze. Abb. 42. Als südlicher Einwanderer gilt auch die Herbstzeitlose ( Colchicum autumnale), welche an Gegenden ohne oder mit erst spät einsetzendem Winterfrost angepaßt anmutet. kundgibt; daneben steht ein ebenso unzweifelhafter Eiszeitzeuge, wie die Mehlprimel, ein sibirischer Neuankömmling des Postglazials in der gelben Schwertlilie, auf den Höhen verwilderte Edelkastanien als Beweise einer eingeschobenen klimatischen Milderung und wenige Meilen davon (in einem Weiher bei Kloster Scheyern) eine so ausgesprochene Miozänpflanze, wie die Wassernuß ( Trapa natans).

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Abb. 47. Rädertiere aus der mikroskopischen Süßwasserfauna von München, darunter besonders 1 = Conochilus volvox, eine Charakterform der Teiche im Nymphenburger Park usw., 2 = Hexarthra polyptera aus dem Dachauer Moor. Stark vergrößert. Nach Francé.

So buntscheckig, ein derartiges Fremdenstelldichein ist die Münchner Flora! Und so groß ist die Macht des Vergangenen im Gegenwärtigen, ein Satz aus der Ethik der Natur, den gerade die Gegenwart alle Ursache hätte zu beherzigen.

Ein Ort, wo Glazialrelikte nach wie vor ein ungestörtes Dasein führen können, ist der einzig schöne, stimmungsumwobene und einsame Deininger Filz am Ausgang des Gleißentales. Ursprünglich ein verlandeter See, ist dieses Moor gegenwärtig vielleicht das am wenigsten veränderte, urwüchsigste Stück Land um München. Seine reiche Pflanzenwelt ist besonders durch prachtvolle Insektenfresser ( Drosera) und Orchideen ausgezeichnet. Zahlreich ist die Filzkoppe, ebenso häufig Enziane, und Betula pubescens, sowie Salix reticulata bilden Bäume und sind die Zwergsträucher des Moores ( Andromeda polifolia, Ledum palustre), hier blühen Saxifraga hirculus, natürlich auch Mehlprimeln und Büsche.

Auch die als klassischer Eiszeuge geschätzte Zwergbirke ( Betula nana) kommt nach Eigner Vgl. Eigner, Naturschutz in Bayern. 8º. in Oberbayern vor.

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Abb. 48. Micrasterias papillata, eine der schönsten Zieralgen des Dachauer Moores. Bei etwa 250facher Vergrößerung aufgenommen. Original des Biologischen Institutes München.

Sehr bemerkenswert und noch wenig beachtet ist die »Kaltwasserfazies« der Süßwasserflora und -fauna auf dem Münchner Boden. Nach 17jährigen Studien der Münchner Mikrofauna und -flora hat sich in mir die Überzeugung festgesetzt, daß auch in dieser Beziehung von einer bestimmten Anpassung gesprochen werden darf. Selbstverständlich übt in dieser Hinsicht der Kalkgehalt aller Münchner Gewässer noch einen weit größeren Einfluß als das Klima und dessen Herkunft. So ist z. B. die relative Armut der Isaraltwässer und des Dachauer Moores an Kieselalgen ( Diatomaceen) sicherlich in erster Linie dem Kalkgehalt der Wässer zuzuschreiben, desgleichen das auffällige Fehlen der so ausgesprochen kalkfliehenden Zieralgen ( Desmidiaceen) Nur im Dachauer Moor, wo große Torfablagerungen den Kalk überdecken, gibt es in namhafterer Zahl, aber immerhin noch artenarm ausgebildet, Desmidiaceen. (Abb. 48).

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Abb. 49. Der Kieselalgenreichtum der Isar im Lenz. Große braune Flocken bestehen fast gänzlich aus den Ketten der Tabellaria- und Diatoma-Algen, sowie aus Synedren und Naviculen.
Schwach vergrößert. Original des Biologischen Institutes München.

Aber auch abgesehen hiervon, lassen sich eine ganze Reihe von Zügen auffinden, welche eine spezifische Münchner Mikrofauna und -flora erkennen lassen. Kennzeichnend für München ist z.B. die allgemeine Armut an Wasserflöhen ( Cladoceren), während dagegen die kaltes Wasser liebenden Spaltfußkrebse ( Copepoden) und namentlich die Muschelkrebse ( Ostracoden) gut und artenreich entwickelt sind. Zu dem faunistischen Charakter gehört auch die Armut an Rädertieren ( Rotatorien) (Abb. 47), Strudelwürmern ( Turbellarien) (Abb. 50), Moostierchen ( Bryozoen) (Abb. 50) und Süßwasserschwämmen ( Spongilliden.). Innerhalb dieser Grenzen aber sind die spezifischen Kaltwasserformen bevorzugt. Um hiervon ein anschauliches Bild zu geben, sei nach mehrjährigen Aufzeichnungen des Biolog. Institutes München über die Mikroorganismen der Isaraltwässer ein Auszug aus dem Artenverzeichnis gegeben: Massenhaft Ketten von Melosira distans, M. varians, Meridion circulare, Amphora ovalis, Stauroneis Phoenicenteron, Achnanthidium flexella (Charakterform), Pinnularia sp., Cocconema, Synedra Ulna, Fragilaria virescens, Navicula (viele sp.), Encyonema prostratum, Eunotia sp., Tabellaria sp., Cyclotella, Pleurosigma attenuatum, Surirella ovata, S. spiralis, Nitzchia sigmoidea, Denticula sinuata, Epithemia turgida, Amphipleura pellucida, Tetracyclus Braunii, Gomphosphaeria aponina, Oscillatoria (v. sp.), Chroococcus turgidus, Senedesmus acutus, Coelastrum sphaericum, Ophiocytium majus, Sciadium arbuscula, Coleochaete orbicularis, Zygnemen, Mougeotien, Cladophoren, Microsporen, Oedogonien, Hyalotheca dissiliens, Closterien, Cosmarium, Staurastren, Draparnaldia glomerata, Calocylindrus cucurbita, Micrasterias papillifera, Difflugien, Amoeben, Euglypha, Pinaciophora fluviatilis, Acanthocystis spinifera, Vampyrella vorax, Microgromia socialis, Diplophrys Archeri, Pelomyxa palustris, Pompholyxophrys exiguus, Cryptomonas ovata (typisch), Dinobryon sertularia, Cartesia cordiformis, Epipyxis utriculus, Hemidinium nasutum, Peridinium, Bicosoeca n. sp., Lepocinclis ovum, Salpingoecen, Prorodon teres, Strombidium Turbo, Enchelys arcuata, Vorticella chlorostigma, Sphaerophrya magna, Vorticellen, Stylonychien, Oxytrichen, Urostyla Weissii, Nassula elegans, Philodinen, Eosphora elongata, Furcularia gracilis, Floscularia appendiculata, Scaridium longicaudatum, Euchlanis triquetra, Lacinularia socialis, Stephanops lamellaris, Anureen, Cyclops tenuicornis, Ceriodaphnia reticulata, Cydorus sphaericus (wenig Cladozeren), Cypris, Asellus, Chaetogaster, Diplogaster, Tubifex, Stenostoma leucops, Dorylaimusarten, Macrobiotus-, Chironomus-, Tipula- und Culexlarven, Larven von Nepa, Ranatra, Phyrganeen, Succineen, Paludinen und Planorben. Typisch ist also der Diatomeenreichtum, die Desmidiazeenarmut, ferner die Armut an Crustazeen, Bryozoen, Turbellarien, wie oben gefolgert.

So sind unter den Kieselalgen das sonst nur in eiskalten Bächen lebende Odontidium hiemale weit verbreitet, die dem Plankton, also der Kaltwasserflora angehörigen Gattungen Fragilaria, Diatoma, Asterionella, Cyclotella weit mehr auch in kleinen Gewässern vorhanden, als es sonst üblich ist; von den Strudelwürmern ist nur die Kaltwassergattung Planaria (Abb. 50) und Dendrocoelum, und selbst die nicht allzu reichlich vertreten.

Von den Copepoden kann man die typische Planktonform Diaptomus häufig auch in Tümpeln auffinden; die echte Tümpelgattung Cyclops entwickelt gerade die Flachwasser- (also Warmwasser-) Arten nur spärlich. Von den Cladoceren fehlen die in flachen, warmen Teichen allenthalb vorkommenden Gattungen und Arten in auffälliger Weise, obschon es solche Gewässer reichlich gibt (Kleinhesseloher See, Biedersteiner Teich, Teiche im Nymphenburger Park, Moortümpel im Dachauer Moos, Isarsee, Weßlinger See, Steinsee, Tümpel im Leutstettner Moos, Teich bei der Weihermühle bei Harmating, Mooshamer See usw.). Namentlich besteht ein Mangel an Ceriodaphnia- und Simocephalus-Arten, dagegen sind Hyalodaphnia, Sida, Diaphanosoma, auch Leptodora hyalina, also die echten pelagischen und Kaltseeformen in kleinen Gewässern auffindbar, wo man sie nie vermutet hätte.

Das gleiche gilt von den Rädertieren. An den schönen, großen Brachionus-Arten (Abb. 47), an Pterodina, Lacinularia und ähnlichen großen Warmwasserformen kann man sich fast nie erfreuen, um so häufiger sind auch die in polaren Gegenden massenhaft vorhandenen Rotifer-, Philodina-, Callidina-, Polyarthra- und Notholca-Arten.

Ganz auffällig prägt sich das Gesetz, dem wir hierdurch auf die Spur kommen wollen, in der Verteilung der Flagellaten und Wimperinfusorien aus. Die schönen Warmwassergattungen Volvox, Eudorina, die großen Phacus-Arten, Trompetentierchen ( Stentor), Craspedomonaden treten weit mehr zurück als anderswo, dagegen sind so ausgesprochene Kaltwasserorganismen, wie die Goldmonaden ( Chrysomonadinen) in vielen Gattungen und reichlich vertreten, einzelne, wie der nur in Eiswasser lebende Hydrurus foetidus (Abb.46) ist an den Isarrändern, in allen Bächen geradezu der Vorfrühlingsbote Münchens. Alle Glockentierchen sind seltener als anderswo, nur das kaltes Wasser liebende Ophrydium versatile bildet (z. B. in den Nymphenburger Teichen) geradezu Wasserblüten.

Von den Kieselalgen ist keine Gattung so häufig wie die Eiswasser bevorzugenden Meridion, Melosira, Fragilaria, während die wärmere Tümpel bevorzugenden großen Surirellen, Pinnularia, Nitzschia sigmoidea, Campylodiscus zurücktreten.

Hierbei läßt sich bei genauer Kenntnis der in Betracht kommenden Örtlichkeiten und Organismen scharf das von mir schon umrissene geologische Bodengesetz wieder feststellen. So gibt es z. B. Volvox nur in den Gewässern mit Lehmboden (also um Pasing, Allach, in einem Tümpel bei Solln, in den Ziegeleitümpeln von Steinhausen), Desmidiaceen, namentlich die für Moorwasser so typischen Malteserkreuze ( Micrasterias) (Abb. 48) nur im Dachauer Moorgebiet, das Übergewicht der Goldmonaden aus noch undurchschaubaren Gründen nur im Bereich der Schotter.

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Abb. 50. Die Lebewelt am Grunde des Starnberger Sees. Der Seegrund ist mit dichten Teppichen aus Kieselalgen (vgl. Abb 49) viele hundert Meter weit bespannt, auf denen große Schlammschnecken ( Limnaea) und kleine Pisidien weiden. Wasserasseln ( Asellus) [in der Mitte] und Brunnenkrebse ( Niphargus) [links] beleben den Grund, dazu winzige Wassermilben ( Hydrachniden) und Strudelwürmer (eine Planaria zieht am linken Rande). An den Algenflocken sitzen zahlreiche Süßwasserpolypen ( Hydra) und Moostierchen ( Bryozoen) [namentlich links oben], sowie Pisidien. Nach einem Original des Verf.

Scharf prägt sich so das Bodengesetz auch im Bereich der Lebenden. Und das gibt diesen sich scheinbar zu sehr im Dickicht der Fachinteressen verlierenden Einzelangaben ihren großen, für die Allgemeinheit und die Kultur bedeutsamen Wert. Hier gelingt es zuerst, das aus der Geologie erarbeitete Gesetz in die Biologie einer Stadt zu übertragen, nachdem sich zuerst herausgestellt hat, daß, gleichwie in der Erdgeschichte, auch in der Lebensgeschichte jede Gegenwart historisch aufgebaut ist und ein nachziehendes Leben der Vorwelt in sich birgt.

Auf dieses erste Grundgesetz der historischen Lebensgestaltung deuten auch die Befunde an dem Plankton der Seen, welche den Münchner Lebensbezirk umgrenzen.

Im einzelnen sind es der Starnberger See (Würmsee) und sein westlicher Nachbar, der Ammersee, sowie die zwischen den beiden gelegenen, kleineren Gewässer (Maisinger See, Weßlinger See, Wörthsee und Pilsensee), die uns über dieses Gesetz Aufschluß geben können.

Wir haben sie im Biologischen Institut München zehn Jahre hindurch aufmerksam durchforscht und dabei den durchgängig alpinen Charakter ihrer pelagischen Lebewelt festgestellt. Das Plankton des Starnberger Sees umfaßt hauptsächlich folgende Lebensformen: Von Algen: Sphaerocystis Schroeteri, Synedra longissima, S. delicatissima, Cyclotella Schroeteri, Botryococcus Braunii, Anabaena flos aquae, Uroglena volvox, Fragilaria crotonensis, Asterionella gracillima. Von Urtieren: Difflugia hydrostatica, Rhabdostyla brevipes, Acanthocystis Lemani. Von Rädertieren: Anuraea cochlearis, Floscularia mutabilis, Notholca longispina, Conochilus unicornis, Polyarthra platyptera, Bipalpus vesiculosus, Anapus testudo. Von Kleinkrebsen: Cyclops strenuus, Heterocope Weissmanni, Diaptomus gracilis, D. laciniatus, D. graciloides, Chydorus sphaericus, Bosmina bohemica, Diaphanosoma brachyurum, Bythotrephes longimanus (nach Amann), Leptodora hyalina. Zur Tiefseefauna gehören nach A. Pauly die in 50-80 Meter Tiefe lebenden Lungenschnecken Limnaea auricularia, in 50 Meter Tiefe die neue, nur hier vorkommende Art Pisidium submersum und P. conventus (vgl. Abb. 50).

Am Ausfluß der Würm lebt eine reiche Bacillariaceenflora, die nach Schawo u. a. folgende Formen umfaßt: Campylodiscus noricus, Surirella biseriata, Amphipleura pellucida, Denticula elegans, Cyclotella antiqua, Navicula elliptica, Campylodiscus spiralis. Molluskenspezialitäten des Ufers sind: Limnaea tumida, L. stagnalis var. lacustris, Unio arca, Anodonta lacustris (Clessins).
Ihr Plankton unterscheidet sich nicht wesentlich von dem des (gleichfalls in den Bereich unserer Studien gezogenen) Tegernsees Vgl. hierzu Kleinwelt. Zeitschrift der Deutschen mikrol. Gesellsch. 1910., Schliersees, Staffel-, Kochel- oder Achensees. Für sie alle ist es kennzeichnend, daß sie Ceratien- und nicht Dinobryonseen, also Kaltwasserbecken, sind, in denen die Kieselalgen: Asterionella, Fragilaria crotonensis, Cyclotella comta, die Spaltalgenform: Anabaena circinalis, die Kleinkrebse: Diaptomus, Hyalodaphnia cucullata, Sida crystallina und Leptodora hyalina, die Rädertiere: Polyarthra platyptera, Asplanchna Brightwelli, Notholca longispina, dazu als Raumparasit Epistylis lacustris den Ton angeben. Die im Maisinger See horstenden Lachmöven (Larus ridibundus) besuchen im Winter regelmäßig die Isar, den Eisbach und den Kleinhesseloher See. Durch diese Verschleppung erklärt es sich, warum dieses kleine, unbedeutende Gewässer Elemente des Starnberger See-Planktons in sich schließt.

So viele Namen, so viele Kaltwasserformen sind damit ausgesprochen und gleichzeitig Glazialrelikten im Sinne Zschokkesgenannt. Der glaziale Ursprung dieser sämtlichen Wasserbecken, der auch mit der letzten Endes alpinen Verursachung der oberbayrischen Eiszeit zusammenhängt, im großen und allgemeinen gesagt, also: die erdgeschichtliche Ursache prägt diesen Seen die Art ihrer Planktonbesiedelung auf. Und dadurch ist bewiesen, was wir anstrebten.

Von sonstigen Relikten der Vereisung im Süßwasser sei nur noch der Eiswasserstrudelwürmer gedacht ( Planaria cavatica), die sich sowohl in den Torrenten des Gebirges (von mir im Teufelsgraben an der Nordwand des Herzogstandes beobachtet), wie auch in dem Bach finden, der die Angerlhöhle im Simetsberg am Walchensee durchströmt. In ihm lebt auch der blasse Brunnenkrebs Niphargus puteanus,, der, allgemein als eiszeitliches Überbleibsel angesprochen, sonst nur zur Fauna tiefer Brunnen gehört (vgl. Abb. 50).

Einen klassischen Zeugen der Eiszeit beherbergt das Isartal endlich in den Raubschnecken ( Daudebardien), welche die Naturgewohnheiten ihrer Gruppe auf das absonderlichste dadurch überschreiten, daß sie im Sommer, bis zu einem halben Meter tief in der Erde verkrochen, einen wahren Sommerschlaf halten, dagegen im Winter auf das munterste auf dem Schnee umherkriechen und sich von Fleisch nähren. Sie fallen nämlich die gleichfalls als eiszeitlich aufgefaßten zarten, kleinen Vitrinaschnecken an und verzehren sie; im Notfall aber, wie jedem bekannt, der diese merkwürdigen Tiere jemals eine Zeitlang beobachtet hat, scheuen sie auch vor dem nacktesten Kannibalismus nicht zurück und fressen sich gegenseitig vom Kopfe aus auf.

Von diesen winzigen Raritäten der Münchner Fauna lebt Daudebardia longipes unter gefrorenem Laub ziemlich häufig im Herzogpark und auch gegenüber an den Uferpartien der Hirschau; sie und die noch kleinere D. Heldii zusammen an den Nagelfluhfelsen und Laubhängen unterhalb der Großhesseloher Wirtschaft.

Alle diese fantastischen Reste einer fantastischen Vergangenheit aber sind allerorten zurückgedrängt durch jene neue Fauna und Flora, welche das Ödland nach dem Abzug der Gletscher und Schmelzwässer in dem Maße rapid besiedelte, als die Milderung des Klimas dazu einlud.

Wiederholt schon mußte in den bisherigen Darlegungen dieser Vorgang gestreift werden, und immer wieder ergab es sich hierbei, daß der Großteil der Neuankömmlinge von Nordosten her den Münchner Boden besiedelte. Das schloß aber nicht aus, daß auch aus den Alpen gleich von Beginn an die Ansiedler in die Ebene vordrangen. Ebenso gestattete das nach West wie Ost gleich offene Donautal sowohl den an das milde, französische Klima gewöhnten Pflanzen, wie den Steppengewächsen Ungarns wenigstens den Versuch der Ansiedlung. Die eigentümliche Lage des Münchner Landes ermöglicht, wie ein Blick auf die Karte zeigt (s. diese), alle diese vier Zufahrtsstraßen und prädestiniert dadurch diese Stadt, der schon die erdgeschichtlichen Verhältnisse niemals Treue hielten, geradezu zur Besiedelung durch Fremdorganismen.

Daß hierbei dem Nordosten ein besonderer Vorrang eingeräumt ist, hat allerdings seine besonderen Ursachen, die wieder, wie alle biologischen Tatsachen, tief im Erdgeschichtlichen verankert sind. Die Geschichte der Transgressionen und Schollenhebungen hat es vorgeschrieben, daß die Vereisung einen doppelten Weg nehmen mußte: von Skandinavien und von Süden her, wodurch zwei der großen Zufahrtsstraßen, der Nordwest und der Südwest, von vornherein nach dem Abzug der Gletscher verrammelt blieben. Über die Eisbarrieren hinweg konnte keine andere Lebensbesiedlung stattfinden, als die durch kümmerliche Relikten, die denn auch, wie soeben gezeigt, gründlich besorgt wurde. Der Südosten aber ist unter den Münchner Lokalverhältnissen durch die Bergesmauern der Salzburger und oberösterreichischen Berge gesperrt, deren Flora nicht leicht in die Ebene herabsteigen kann. Es blieb demnach nur der West (und Nordwest), sowie in breiter Lücke der Nordosten als Zugangsstraße offen. Der westlichen Einwanderung kam der am Ende des Glazials herrschende Kontinentalwind (vgl. S. 59) nicht zur Hilfe. Außerdem sind die Pflanzen des europäischen Westens – und durch den Golfstrom auch die des Nordwestens – an ein sehr mildes, von den feuchtwarmen Luftströmungen des Atlantischen Ozeans beherrschtes (sog. atlantisches) Klima angepaßt und ertragen daher, wenn sie nach Osten verschlagen werden, das binnenländische Klima (namentlich den Winterfrost) sehr schlecht. Endlich ist auch das Gebiet, aus dem westliche Pflanzen einwandern könnten, nur klein, im Wesen auf Frankreich und Belgien, sowie das Rheintal beschränkt.

Aus allen diesen Ursachen kann die Westbesiedelung des Herzens von Europa, zu dem München gehört, nicht den Umfang annehmen, der einer Einwanderung von Nordost her zugänglich ist.

Das Münchner Klima ist hierfür der maßgebliche Faktor und ist wahrlich ein strenger Richter über Sein oder Nichtsein aller verwöhnteren oder anspruchsvollen Lebensformen.

Das Münchner Klima ist durch keine Tatsache besser gekennzeichnet, als wenn man hervorhebt, daß es der richtige Ausdruck der geographischen Lage dieser Stadt ist. Auch hierin geben sich alle fremden Einflüsse ein Stelldichein.

Von den Alpen rührt der schroffe Witterungswechsel, der Föhn und ein Teil der Niederschläge her, die, so merkwürdig es erscheinen mag, in dem schon als alpin gekennzeichneten Teil des Stadtgebietes viel mehr in Erscheinung treten, als im übrigen München. Auf Ludwigshöhe und Harlaching regnet es mehr und öfter, als in Nymphenburg; in Talkirchen ist der Föhn merkbarer, als in Milbertshofen; im Zoologischen Garten sind die Sommerabende noch kühler, als in Gern oder in der Hirschau. Vom Nordwest stammt der für die ganze Stadt gültige, herrschende atlantische, regenbringende Wind. Im Westen und Nordwesten liegt der »Regenwinkel« Münchens. Ostwind dagegen weht relativ häufig und bringt nicht nur den trockenen kontinentalen Einfluß, sondern auch die ununterbrochene vier- bis sechswöchentliche Frostdauer (Hochfrost des Januars und Februars), die für den Münchner Winter in der Regel nicht abgekürzt wird. Danach ergibt sich für das Münchner Witterungsjahr, soweit es in das alltägliche Lebensempfinden eingreift, etwa folgender Ablauf: Januar und Februar sind im Normaljahr durch Hochfrost und wenigstens eine Föhnperiode ausgezeichnet. Der März bringt mit den Stürmen auch den unleidlichen und typischen Münchner Schneeregen. Frühling wird es in München erst im April, obwohl keiner dieser Wechselmonde vergeht, ohne daß es nochmals schneite. Um so plötzlicher tritt die sommerliche Wärme des Mai mit seinen vielen Gewittern und den Regengüssen ein, die auch dem Juni das Kleid verleihen. Wenn es, was immer wieder vorkommt, auch den Juli und August verregnet, dann hat wieder einmal das gemütlich-scherzende Wort vom »grünen Regenwinter«, den man in München Sommer nennt, recht behalten.

Typisch für München ist aber der schöne Nachsommer und Herbst. Und gerade, wenn die Fremdenscharen, oft genug enttäuscht über den »Schnürlregen« des Juli, im August und September abziehen, genießen die Münchner die glücklichsten Tage des Jahres. Oft verzögert Föhn den Herbsteinbruch noch bis zum November (wir haben am 1. Dezember auf dem schneefreien Brünnstein noch im Freien geschlafen), sonst bringt der Oktober die Herbstregen, das erste Heizen der Stuben, den ersten Schnee, und was er nicht leistet, holt das Jahresende nach, obzwar gerade da die Föhnneigung stets stärker ist, als in allen anderen Teilen des Jahres. Jedenfalls sind in München die letzten vier Monate des Jahres klimatisch erheblich besser bedacht, als die ersten vier.

In wissenschaftlicher Korrektheit ausgedrückt: widerstreiten sich also auf der oberbayrischen Hochebene das ozeanische und kontinentale Klima. Die Stadt hat ein Übergangsklima, dessen Übergänge durch die Nähe der Alpen mit großer Schroffheit umschlagen. Nur diese Sprünge sind es, die das Klima so besonders rauh erscheinen lassen; an sich ist es nicht rauher, als es der hohen (Sternwarte Bogenhausen 528,7 m) und der sehr südlichen Lage entspricht.

Die sehr häufigen (München hat im Jahr 179 Regentage und nur 10 Tage, an denen es vollkommen heiter ist) und erheblichen Niederschläge stellen sich durch den herrschenden Weg der Minima (vgl. dazu Abb. 17) über Europa ein, die es mit sich bringen, daß so oft das Druckgefälle von Nord nach Süden geht. Die herbeiströmenden Luftmassen müssen, da sie das Hochgebirge auf ihrem Wege treffen, an ihm aufsteigen, kühlen dadurch erheblich ab und müssen ihren Feuchtigkeitsgehalt ausschütten. München liegt in der Luftlinie 30-40 km vom Gebirgsfuß, erhält zwar nicht mehr so viel Niederschläge wie Tegernsee und Kreuth, die zu den niederschlagreichsten Orten Deutschlands gehören, aber immerhin 875 m/m, also etwa das Doppelte der Steppengegenden.

Bei der seltenen, umgekehrten Situation des Druckgefälles strömt die Luft aus einem alpinen Hochdruckgebiet in die Ebene nieder, erwärmt sich dadurch und erzeugt den trockenen, warmen Föhn, den Bringer der schönsten und glücklichsten Tage Münchens, an denen der Himmel südlich blau niederleuchtet, die fernen Berge, zum Greifen nahe, vor den Toren der Stadt in die Gassen hereinsehen, allerdings jedoch die Nerven der Großstädter sich überlastet und überspannt fühlen. Der Föhn tritt in München stets sehr strömungsschwach (als sog. Dimmerföhn), selten als wirklicher Wind oder gar als Sturm, wie in Innsbruck, Mittenwald oder noch am Kochelsee, auf; dafür kann er, wenn er auch bereits gewöhnlich nach dreitägiger Dauer einen jähen Wettersturz zu bringen pflegt, unter Umständen bis zu vier Wochen dauern. Er allein ist es, der den Naturfreund mit dem Münchner Wetter versöhnt, und ohne ihn wäre zweifelsohne dem Vegetations- und Lebensbild ein noch rauherer Stempel aufgedrückt.

Eine weitere Annehmlichkeit des Münchner Klimas ist der Bergwind, wie er schwach, aber doch fühlbar bei heiterem Wetter vom Gebirge her in die Stadt hinein weht. Durch ihn kommt es namentlich in den Sommernächten zu einer merklichen Luftdrainage. Er übt auf den Gesundheitszustand der Stadt einen gewissen Einfluß und ist wieder im »alpinen« Teil Münchens merkbarer denn anderswo.

Den besten Einblick in den Ablauf der Witterung gewähren die nach vieljährigen Beobachtungen aufgestellten Tabellen der Münchner Sternwarte Zusammenfassende Tabellen für das Klima von München, bearbeitet von J. B. Messerschmidt, Neue Annalen der Sternwarte München., welche auch die weitverbreiteten, älteren Angaben in Sendtners Werk korrigieren:

Danach beträgt die Mitteltemperatur in den einzelnen Monaten:

Januar Februar März April Mai Juni Juli August September Oktober November Dezember
1,1º 1,3º 2,0º 7,0º 11,6º 15,2º 16,9º 16,2º 12,6º 7,6º 1,8º 1,9º

Die Niederschlagsmengen verteilen sich auf die einzelnen Monate wie folgt:

Januar Februar März April Mai Juni Juli August September Oktober November Dezember
39,9 mm 34,5 49,3 68,6 95,8 123,2 119,7 108,9 82,2 61,1 48,7 43,7

Es gibt in den einzelnen Monaten Tage mit Niederschlägen:

Januar Februar März April Mai Juni Juli August September Oktober November Dezember
15 14 15 14 15 16 15 15 13 15 16 16

Die Jahresmitteltemperatur beträgt 7,9° C, die Niederschlagsmenge 875,7 m/m, die Zahl der jährlichen Tage mit Niederschlag 179. Dabei ist zu bedenken, daß in den einzelnen Stadtteilen erhebliche Unterschiede walten. Im »alpinen« Teil ist die Niederschlagsmenge 1010 m/m, das Jahresmittel nur 7,3° C, im Innern der Stadt dagegen 9° C. Die Nebel sind an der Isar und im »Moorgebiet« (also in Schwabing) häufiger, als im Süden und Südwesten; insgesamt zählt München 47 Tage mit Nebel, davon vom Oktober bis Januar allein 32. (Sendtner.)

Ein solches Klima vernichtet weder die Alpenflüchtlinge, noch die aus dem Nordwest stammenden Einwanderer völlig; es wehrt nur mit Erfolg die schönen Formen des Südens ab. Dagegen läßt es den aus dem nordwestlichen Gebiet Ankommenden freies Gedeihen und ist nun, pflanzengeographisch gesprochen, ein typisches Waldklima im Sinne Woeikofs auch dort, wo die Grundwasserverhältnisse ungünstig liegen. Daher ist die weite Hochebene im Süden der Stadt seit Menschengedenken mit dem typischen nordöstlichen Gast aus Rußland, mit dem schwermütig eintönigen Fichtenhochwald bedeckt, in den sich aber von allen Seiten pontisch-pannonische Arten, sowie atlantische Lebensformen eindrängen.

Die pflanzengeographischen Grenzen regeln sich bekanntlich weit mehr als nach den Temperaturzonen nach der Verteilung der Niederschläge. Die Linien gleicher Regenhöhe zeigen auf den Karten große Übereinstimmung mit den Pflanzengrenzen, wobei es aber die Regel ist, daß jede Art ihre Verbreitungsgrenzen so weit gegen das ihr nicht zusagende Gebiet vorschiebt, als es überhaupt möglich ist. Dadurch wird es immer Zonen geben, in denen die Kinder zweier Klimate zusammen vorkommen. Ein solcher Boden ist auch das im Nordost trockenere, in Südwest feuchtere München.

Nur wird natürlich dort, wo eine Lebensform die Grenzen ihrer kompakten Verbreitung überschritten hat, – und gerade solche werden auf dem Münchner Gebiet überaus häufig sein – sie nicht mehr jeden Standort besiedeln, sondern sich an ganz besondere, ihrer Eigenart spezifisch zusagende Lokalitäten binden; sie wird also die feineren Unterschiede des Bodens, seine chemische und physikalische Beschaffenheit, mit einem Wort seine geologische, richtiger pedologische Eigenart auf das peinlichste unterscheiden. Gerade solche an ihren absoluten Verbreitungsgrenzen stehende Lebensformen werden gute Anzeiger für die einzelnen, von mir hier herausgearbeiteten »natürlichen Landschaften« auf dem uns interessierenden Gebiet sein.

Die Schotter werden also ihre besondere Flora im Nordosten der Stadt, eine andere im Süden bei ebenfalls anderen Grundwasserverhältnissen aufweisen. Während da der Fichtenwald dominiert, wird dort eine Heidevegetation entstehen. Die Schotter mit ähnlichem Grundwasserbestand werden sich unter dem Einfluß des alpinen Klima- und sonstigen Einschlages wieder anders besiedeln.

Unter gleichem Klima dagegen wird das Moorland naturgemäß, es wird aber auch der Lehmboden eine andere Besiedelung erhalten, als das Niederterrassenland voll kalkiger Gerölle. Es wird sich auch das Alluvium, kraft seiner pedologischen Besonderheiten mit anderen Pflanzen und Tieren bedecken, wie alle die genannten Bodenlagen.

Kurz: hier offenbaren sich wieder die Umrisse einer für München noch nicht beachteten Gesetzmäßigkeit. Die Einwanderung und die Besiedelung des durch die geologische Vergangenheit gesonderten Bodens vollzieht sich nicht nur für die Kleinpflanzen, sondern auch für die Landgewächse und von ihnen abhängigen Tiere nach dem Gesetz der Bodenbeschaffenheit.

Die Einwanderer und die Bodenständigen verteilen sich nach pedologischen Gesichtspunkten. Die fremden Gäste kommen hauptsächlich von NO her, ein Gebirgseinschlag vermischt sich von Süden her mit den Einheimischen. Für die westlichen und östlichen Reisenden ist München hauptsächlich Durchgangsstation.

Die auf seinem Boden Verbleibenden gruppieren sich je nach den Bodenvarianten. Auf dem Moorboden siedelt sich eine andere Lebewelt an, wie auf den Schottern, die im NO mehr pontische Gäste aufweisen. Auf dem Alluvium macht sich eine besondere Flora breit. Die Lehmdecken in Ost und West haben ihre eigenen Gäste. Und die Besiedler des »Münchner Alpengebietes« kennen wir schon.

Das alles gilt es nun im einzelnen zu beweisen und zu betrachten, wobei der Anfang mit den nordöstlichen Heidegebieten vielleicht deshalb am darstellungstechnisch günstigsten gemacht werden mag, weil sie am wenigsten durch die Kultur zu leiden hatten, also die Brücke von der Vergangenheit zur Gegenwart schlagen.

Dort, wo sich die so rasch gegenstandslos gewordene Industriegründung Krupps erhebt, in der Gegend von Freimann, dehnen sich zwischen den Ausläufern des Schleißheimer Harts und den Auen um die Floriansmühle weite, trockene Wiesen, zum Teil in Felder übergeführt, zum Teil aber noch in ihrem urwüchsigen Zustand gegen Norden zu, in die eine Reihe von kleinen, sehr primitiven Ortschaften (Fröttmaning, Dirnismaning) und dann das ansehnlichere Garching eingelagert ist (Abb. 51), denen man die unmittelbare Nähe einer so modernen Großstadt wie Schwabing niemals ankennen würde.

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Abb. 51. Die Fröttmaninger Heide, ein Beispiel der Grasflurformationen im Norden Münchens, mit dem Dörfchen Fröttmaning, einer noch durchaus organischen, geschlossenen Siedelung, die zugleich ein gutes Beispiel der ländlichen Bauweise um München ist. Die Bäume gehören zur Straße München-Freising, welche im Zuge einer alten Kelten- und Römerstraße liegt. Original von Frau Dr. A. Friedrich-München.

Fröttmaning ist dabei ein köstliches Idyll von berückenden Stimmungswerten. In einem Hag von Büschen und allerdings kargen Obstbäumen liegt eingeschlossen die einzige Straße des Weilers, umduftet von Wiesen, in denen der Kenner manches findet, das ihn an den fernen Ost und auch an Nordost erinnert.

Noch ausgeprägter kehrt das wieder im Nordosten von Garching, wo nach ermüdender Wanderung zwischen Kartoffeläckern endlich Föhrenheide (Abb. 52) und ein Stück so echten und urwüchsigen Heidelandes sichtbar wird, als es nur in den Heiden an der Leitha oder tiefer im sonnigen Alföld angetroffen werden mag.

Das ist die Garchinger Heide, ein Naturdenkmal, das die Münchner deshalb nicht schätzen, weil es ganz gewiß noch keine tausend Großstädter unter ihnen gibt, die je einmal über diesen lieben, fahlen, verbrannten Teppich gegangen sind. Alles ist da vereint, was seit Stifters Heidedorf in hunderttausend deutschen Herzen verklärt und mit einem wehmütigen Hauch ersehnter Schönheit zum Begriff einer Heide gehört: die große Feiertagsstille, das stumme Spiel von Sonnenstrahlen und Wolken, der blaue Duft und Silberglanz der Fernen, das rastlose Schleifen und zitternde Gesinge der Grillen, die weißen Heideschnecken, die mit Silberfäden ihres Weges ziehen, und die hundert buntäugigen Heideblumen im wehenden Würzduft ... sogar die zauberisch am Himmelsrand hingehende Fata Morgana der träumerischen Herbstmittage fehlt hier auf diesem Stück nach Westen verschlagener Pußta nicht.

Dieses Heidestück in der Echinger Markung (das ein Gegenstück zu der fast ebenso verschwundenen Pockinger und Menzinger Heide ist) gründet sich auf einen Kiesboden, in den Lehmrasen eingebettet sind.

Eigentlich reichte dieses auf den Niederterrassenschottern sich erstreckende Heidegebiet einst über den ganzen nördlichen Teil von München bis Freising als eine tischglatte, schiefe Ebene von etwa 50 m Abfall. In Spuren ist ihre Natur heute noch in der Gegend der Georgenschwaige, bei Freimann, ebenso nördlich der Garchinger Heide vorhanden, aber teilweise hat die Stadt ihre Paläste auf ihren längst entweihten Boden gestellt, zum noch viel größeren Teil ist sie aufgeackert, urbar gemacht und ihrer ursprünglichen Natur entfremdet worden, so daß sie jetzt nur mehr auf dem ganz kleinen, kaum 250 Tagwerk großen Stück Land genossen und studiert werden kann, das durch die Bemühungen der Bayrischen Botanischen Gesellschaft als »Naturschutzpark« angekauft wurde und für immerwährende Zeiten erhalten bleiben soll.

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Abb. 52. Die Garchinger Heide, ein Stück nach Bayern verschlagener pontischer Grasflur. Von den ungarischen Pußten unterscheidet sich die dargestellte Partie nur durch die eingesprengten Föhren. Im Hintergrunde erkennt man das Dorf Garching. Näheres im Text S. 180. Original.

Häufig sind den Geröllen auch rote Sandsteine unbekannter Abkunft beigemengt, ebenso Gneise und sonstige Rollstücke, die gern zu Sand zerfallen.

Auf ihm gibt es nur Büsche und durch seinen großen Mangel an Nährstoffen viele Zwergpflanzen, aber auch, namentlich im Frühling, eine Flora, die den von Professor Vollmann, der eine ausführliche floristische Durchforschung veröffentlichte In »Bayerland« 1907., geprägten Ausdruck: die Garchinger Heide sei ein »pontisch-südosteuropäisches Schatzkästlein«, doch rechtfertigt.

Man hat 60 Pflanzenarten auf diesem Boden festgestellt, die sich nach dem uns schon sattsam bekannten Rezept aus östlichen Fremdlingen, Einheimischen, Glazialüberbleibseln und einem ziemlichen Zuschuß alpiner Elemente zusammensetzen.

Spezifisch davon sind allerdings nur 19 Arten Diese 19 abweichenden pontischen Arten sind: Anemone patens, Adonis vernalis, Linum alpinum, L. tenuifolium, Trifolium rubens, Dorycnium suffruticosum, Potentilla recta, P. rupestris, P. inclinata, P. cinerea, Centaurea amara, C. axillaris, Calamintha alpina, Hieracium brachiatum, Veronica Schmidtii, Linosyris vulgaris, Arctostaphylus officinalis, Orobanche epithymum, nach Sendtner. Nach den Untersuchungen von Vollmann aber ist die östliche Flora viel artenreicher., unter denen sich aber so ausgesprochene Steppenformen finden, wie die Anemone patens, Adonis vernalis und Adonis aestivalis, von denen sich übrigens die erstgenannte noch immer auch um die Georgenschwaige, also im Münchner Stadtgebiet, das herbstliche Adonisröschen auch um Freimann finden läßt. Eine ganz ausgesprochen pontische Pflanze ist auch Iris variegata, die jedoch nur mehr in der Echinger Lohe lebt. Die schönste Heideflora gedeiht übrigens auf den Hochäckern, hier »Bifange« genannt (am schönsten am Sträßchen Eching–Dietersheim), die, nach ihren Funden, von der frühen Eisenzeit durch die Besiedelung des Landes durch die Kelten bis zur Römerzeit, hier bewirtschaftet wurden. (Vgl. Abb. 52.)

Da blüht im Lenz die schöne Wiesenküchenschelle ( Anemone pulsatilla), die sonst um München eine große Merkwürdigkeit bedeutet, da duftet das Heideröschen ( Daphne striata), sonst dem Münchner nur von den Felsengraten seiner Lieblingsberge bekannt; als Leitpflanze der ganzen Flora, die man im April und Mai besuchen muß, um sich ihrer so recht von Herzen erfreuen zu können, blüht allenthalben der große Klappertopf ( Alectorolophus aristatus), der freilich so ein richtiger Magerkeitsanzeiger ist. Von den Alpen her haben sich in diese Einöde verirrt: Kugelblumen ( Globularia vulgaris) und Alpen-Pippau ( Crepis alpestris), von der Pußta her leuchtet im Herbst eine bunte Aster ( Aster linosyris), und so ist des Belehrenden und Erfreuenden kein Ende auf diesem erquickenden Stück bodenständigen Altbayern voll Erdgeruch und echter Stimmungen. Die Flora setzt sich pflanzengeographisch geordnet aus folgenden endemischen Formen und Einwanderergruppen zusammen: Endemisch sind wohl: Alectorolophus aristatus, Carex sempervirens, Campanula rotundifolia, Hieracium pilosella, Hippocrepis comosa, Trifolium medium, Lotus corniculatus u. a. Von Nordosten (aus der europäisch-asiatischen Waldflora) eingewandert sind: Agrimonia eupatoria, Hypericum perforatum, Leontodon hastilis, Potentilla tormentilla, von Nordosten (arktischer Herkunft) kamen: Arctostaphylos uva ursi (Glazialpflanze), Polygonum viviparum, alpinen Ursprungs sind: Selaginella Helvetica, Gentiana acaulis, Calamintha alpina, Euphrasia Salisburgensis, Globularia vulgaris, Crepis alpestris, Hieracium Hoppeanum. Aus dem Pontikum stammen (österreichisch-ungarische Einwanderer) außer den schon genannten Anemonen und Adonisarten, Carex humilis, Linum tenuifolium, Rhamnus saxatilis, Dorycnium germanicum, Seseli coloratum, Centaurea axillaris, Aster linosyris u. a. (vgl. S. 182). Auch Daphne stammt auf dem Umweg über die Alpen aus dieser Gesellschaft. (Näheres s. G. Hegi, Flora von Mitteleuropa. 4°. München.) Ferner: Polygalum comosum, P. Chamaebuxus, P. saxifraga, Alsine Jaquini, Cytisus ratisbonensis, Trifolium alpestre (ist nachzuprüfen), Coronilla vaginalis, Scabiosa suaveolens, Inula hirta, Anacamptis pyramidalis (ist nachzuprüfen) und Iris variegata (auch bei Nymphenburg), Tunica, Gladiolus paluster, Tofielda calyculata.

Schon rückt die Kultur von Jahr zu Jahr mehr hinaus in den Heidegrund und bald wird die gelehrte »Reservation« wohl der einzige Zufluchtsort der Blütenkinder und ihrer Gefolgschaft sein. Denn nicht nur süd- und nordöstliche Pflanzen gibt es auf der Garchinger Heide in Fülle, sondern auch fremdgekleidete und eingewanderte Tiere, die in allen Schilderungen Ein ganz reizendes, erlebtes Werkchen über die gesamte Natur und Kulturwelt der Garchinger Heide stammt von dem gewesenen Garchinger Lehrer Hans Stieglitz: Der Lehrer auf der Heimatscholle. München. 8°. 1909. dieses hübschen Landstriches vergessen wurden.

Die blühende Heide ist belebt von zahlreichen Schmetterlingen, unter denen die Bläulinge ( Lycaena) mit die auffälligsten sind. Die reizenden, mit Silberaugen geschmückten Argyromnon-Bläulinge sind hier sowohl häufig, wie für die Heide kennzeichnend. Weitere charakteristische »Sommervögel« der Garchinger Gegend sind (nach Kranz): Zygaena hippocrepidis, H. Fausta, Arctia Plantaginis, Satyrus Briseïs, worunter verschiedene ebenso mehr nach Osten verbreitet sind, wie die Blüten, die sie umspielen.

Die reiche Käferfauna der Heide ist (meines Wissens) bisher noch nicht nach östlichen Formen durchforscht worden, ebensowenig die übrige Insektenwelt; ich habe keinen Zweifel, daß solche Arbeit dankbar ist und nicht ohne Ergebnis bleiben wird.

Bezüglich der Schnecke liegen schon Angaben vor. Mir selbst sind die reichlich vorhandenen Heideschnecken ( Helix ericetorum), außerdem die Spitznadelschnecken ( Acicula) und Blindschnecken ( Carychium) bekannt; aus dem Schrifttum konnte ich als Beweis meines Gedankenganges noch Helix candidula und H. candicans aufstöbern, welch letztere noch um Npmphenburg zu finden ist und nur auf den Heiden lebt.

Die Garchinger Heide ist also ebenfalls, so wie der alpine Südsektor des Münchner Stadtgebietes, eine in sich geschlossene Lebensgemeinschaft, eine »natürliche Landschaft«, übrig geblieben aus dem Postglazial als Zeuge der Vergangenheit des Bodens, seiner Geschichte, des Klimas und der pedologischen Besonderheit dieses Landstriches.

Was hier relativ leicht festzustellen war angesichts der Keuschheit dieses Stück Landes, läßt sich nun mit einiger Mühe, aber immerhin beweiskräftig, auch für alle anderen Typen des Münchner Bodens durchführen.

Wir haben in dem geologischen Abschnitt dieses Werkes erarbeitet, daß das Münchner Stadtterritorium (vgl. Abb. 140) in sechs wohlgeschiedene und geologisch charakterisierbare Teile zerfällt: den eigentlichen Stadtkern auf den Niederterrassenschottern, zu dem sich die Garching-Freimanner Heide nur verhält, wie eine Varietät zur Spezies. Im Süden keilt sich darein die Nagelfluhlandschaft des Isartales mit ihren subalpin-glazialen Lebens- und Landschaftsformen (S. 152). Überlagert werden diese Bodendecken durch die Alluvionen des Flusses in einer 1-2 km breiten, mit der Isar gleichsinnig verlaufenden Zone, die durch besonders hohen Grundwasserstand und vielfache Entblößung der tertiären Unterlage charakterisiert ist. Östlich an dieses Alluvium schließt die gehobene, mit Deckenlehm überzogene Gegend von Föhring, Haidhausen, Berg am Laim, Ramersdorf (östliche Lehmzone) an; den westlichen Stadtrand bildet die ähnliche Lehmzone von Laim, Nymphenburg, Hartmannshofen, an welche die Stadt gerade grenzt. In der nordwestlichen Grenze zwischen Milbertshofen, Moosach, Ludwigsfeld streicht der Moorboden des nahen Dachauer Moores herüber, dessen erste Tümpel hart an der Stadtgrenze bei Ludwigsfeld gleißen.

Sehen wir nun zu, wie sich die Lebensverhältnisse dieser sechs Territorien:

  1. Stadtkern (Niederterrasse),
  2. Alluvialboden,
  3. Östliche Lehmzone,
  4. Westliche Lehmzone,
  5. Moorgebiet,
  6. Südalpines Gebiet (Isartal)

gestalten. Es liegt am nächsten, hierbei von dem Boden selbst auszugehen und seine pedologischen Qualitäten zu untersuchen. Vor ihnen haben bereits die geologischen Grundlagen und die Grundwasserverhältnisse ihre Erörterung gefunden. Ich habe versucht, sie auf dem schematischen Profil von S. 33 zusammenzufassen und anschaulich zu machen. Von ihnen ist namentlich das West-Ost-Profil für unsere Zwecke lehrreich; es zeigt den Zusammenschluß der Schotter mit ihren Terrassenrändern an das Alluvium und ihre Überlagerung durch die zwei Lehmdecken. Ein Süd-Nord-Profil verbildlichte dagegen das Absinken der Ebene nach Norden bis unter den Grundwasserspiegel, wodurch an der nördlichen Stadtgrenze das Quellmoor entsteht. Ebenso deutlich sichtbar wurde dann im Süden der Stadt die Aufschüttung der Schotter an der hohen Lage von Ludwigshöhe und die dadurch bedingte, südalpinen Lebensverhältnissen günstigere, rauhe Lage.

Wir wissen auch bereits petrographisch, woraus die einzelnen Bodenarten bestehen; erörtert wurden schon die Zusammensetzung der Niederterrasse aus Kalksandstein und ganz wenig kristallinischen Geröllen (vgl. S. 126), die geringe Kalkhaltigkeit der Lehmerde, welche leider dem echten Löß nur sehr wenig nahe kommt (S. 127), die Zusammensetzung des Alluviums aus Sand, Kalkgeröll und Lehmgeschieben und die durch die Ausfällung des Kalkes (als Alm) bedingte Kalkfreiheit des schwarzen Moorerdegebietes, in dem sich Torflager bilden, ab und zu freilich auch Weißsand ablagert.

Ich habe mich mit den Hilfskräften des Biologischen Institutes München zehn Jahre lang der Arbeit unterzogen, diese vier Bodenarten (Verwitterungsdecke der Schotter, Alluvialerde, Lehmerde und Moorerde) nach allen Gesichtspunkten der Bodenkunde zu untersuchen und bin zu folgenden weittragenden Ergebnissen gekommen: Vgl. R. Francé, Das Edaphon. Untersuchungen zur Ökologie der bodenbewohnenden Mikroorganismen. (Arbeiten an dem Biolog. Inst. München Nr. 2.) München. 8°. 1913.

Die Verwitterungserde auf der Niederterrasse ist an den Stellen, wo sie noch unter natürlichen Verhältnissen besteht, meist ziemlich reichlich. Sie besteht aus einem Gemisch von Sand, Ton und humösen Bestandteilen, deren mineralische Beimengung vorwiegend sich aus Kalkgrus und immerhin (mikroskopisch feststellbar) mehr Kieselplättchen, Quarz, Glimmer, Turmalin und Feldspat-(Plagioklas-)Bruchstückchen zusammensetzt, als es nach dem Augenschein zu vermuten ist. (Vgl. Abb. 53.) Stets enthält diese Erde einen Überschuß an Humussäuren, entspricht also dem Rohhumus, und ist für Landwirtschaft weniger geeignet, denn zur Waldkultur. Waldbedeckung, im besonderen die auf Rohhumusböden noch gedeihende Fichte und Föhre sind denn auch bei entsprechenden Grundwasserverhältnissen die natürliche Vegetation der Niederterrassenschotter.

Stets sind die humösen Bestandteile reichlich durchsetzt von zahlreichen schokoladebraunen Fäden des Bodenpilzes Cladosporium humifaciens, der geradezu zur Leitpflanze dieser Art von Boden wird. Zwischen seinen Fäden leben in relativ geringer Anzahl Bodenbakterien. Clostridium und Azotobacter wurden isoliert neben gewöhnlichen Fäulniserregern, in dem durch Kultur vielfach veränderten und durch die Großstadt infizierten Boden des inmitten von Häusern liegenden Gartens des Biologischen Institutes (Martin-Greif-Straße) auch pathogene Mikroorganismen Gelegentlich dieser Untersuchungen infizierte ich mich auch mit dem Erreger der Gesichtsrose ( Streptococcus erysip.) in nicht unbedenklicher Weise. gefunden. Reichlich vorhanden sind auch die Wurzelfüßler; relativ weniger vertreten sind die Kieselalgen des Edaphons.

Unter dieser Bezeichnung versteht die neuere Pedologie bekanntlich die Gesamtheit jener im Boden lebenden tierischen und pflanzlichen Organismen, welche durch ihre Lebenstätigkeit die Durchlüftung, Krümelung und feinste, mechanische Durcharbeitung des Bodens besorgen und ihn mit Stickstoff anreichern, mit einem Wort, durch die Zahl und die Art ihres Vorkommens geradezu ein Index seiner Fruchtbarkeit und Pflanzenbesiedelung sind.

Es wurden annähernd hundert Bodenproben aus allen Teilen des Stadtkerns untersucht und aus ihnen ein Durchschnittsbild ihrer edaphischen Besiedelung gewonnen, das, auf den Kubikmillimeter umgerechnet, die geringe Zahl von sechs Individuen in diesen sauren, huminreichen Böden ergab. Stets fanden sich darin nur kleine und mittelkleine Formen, unter denen der oben genannte Bodenpilz an erster Stelle steht. Dann folgen der Häufigkeit nach die zierlichen, kaum millimetergroßen und glashell durchsichtigen Fadenwürmer ( Nematoden). An dritter Stelle stehen die ungemein zierlichen Häuschen beschälter Wechseltierchen, welche von ihrem kleinen Bewohner aus Kieselplättchen und kleinen Quarzkörnchen aufgebaut werden ( Difflugia, namentlich globulosa und urceolata). Ab und zu findet man auch das kürbisflaschenartige, glasartige Gehäuse einer Lebensform, die ich im Münchner Boden zuerst entdeckt habe und Erdkugel ( Geococcus vulgaris) benannte. Noch weniger häufig sind winzige Schiffchenalgen ( Navicula) und die eigentlich in keinem Boden fehlende Kieselalge Hantzschia amphioxys. Viel reicher ist die Lebewelt der Mooserde in den oberflächlichen Schichten. Diese, namentlich im Fichtenwald verbreitete musciole Organismenwelt setzt sich nach meinen Untersuchungen in der Umgebung von München aus folgenden Formen zusammen: Cladosporium humifaciens, Navicula affinis, N. borealis, Hantzschia amphioxys, Pinnularia sp., Surirella birostrata. Achnanthes sp., Mesotaenium Endlicherianum, M. caldariorum, Gloecococcus sp., Pleurococcus vulgaris, Isocystis infusionum, Oscillatoria tenuis, Amoeba verrucosa, Difflugia urceolata, D. constricta, D. globulosa, D. arcula, Heleopera petricola, H. picta, Euglypha alveolata, Trinema acinus, Geococcus vulgaris, Assulina seminulum, A. minor, Nebela collaris, N. flabellulum, Pseudochlamys patella, Corithion sp., Parmulina obtecta, Pamphagus hyalinus, Hyalosphenia cuneata, H. tincta, Placocysta spinosa, Rotifer vulgaris, Philodina erythrophthalma, Ph. aculeata, Callidina sp., Nematoden (diff. Spezies).

siehe Bildunterschrift

Abb. 53. Die Struktur des Münchner Bodens. In einer Aufschwemmung von Humusboden unter der Grasnarbe auf Münchner Bauplätzen findet man Feldspatkristalle, Glimmerstückchen (rechts unten), Humusflöckchen (rechter Rand), Kalkkörnchen und Wurzelfüßlergehäuse ( Nebela in der Mitte), sowie Kieselalgen. Etwa 250fach vergrößert. Original des Biologischen Institutes München.

So ist das Bodenleben unter dem Fichtenwald beschaffen, und auch dort, wo die Verwitterungskrume mit Grasnarbe bedeckt ist, ändert sich dieses Verhältnis nur wenig, Cladosporium tritt zurück und die Kieselalgen treten etwas mehr hervor; die Gesamtmenge ist aber immer noch unansehnlich (27-30 Individuen im mm³).

Ganz anders gestaltet sich dagegen das edaphische Leben des Alluvialbodens, in München also das des Englischen Gartens und der Isarauen, wo bei sehr hohem Grundwasserstand die Bodenkrume weit schlechter durchlüftet, mehr verschlammt und mit Abfallstoffen angereichert erscheint. Für diesen extrem feuchten Auwaldboden ergaben meine zahlreichen Zählungen zwar auch nur eine durchschnittliche Besiedelung von 22 Individuen im Kubikmillimeter, aber doch einen erheblicheren Artenreichtum. Die Leitform ist jetzt nicht mehr der braune Bodenpilz, der hier ganz zurücktritt, sondern das vorhin beschriebene Erdkügelchen ( Geococcus), zu dem sich relativ viele Amöben und Kieselalgen, besonders große Pinnularien gesellen, während die beschalten Wurzelfüßler fast ganz fehlen. Der Englische Garten enthält folgende Geobionten in den oberflächlichen Schichten des Bodens: Cladosporium humifaciens, Pleurococcus vulgaris, Navicula borealis, N. affinis, Hantzschia amphioxys, Pinnularia sp., Geococcus vulgaris, Trinema acinus, Amoeba limax, A. terricola, A. verrucosa. Humöse Erde aus den Isaranlagen enthielt außerdem noch: Difflugia urceolata, D. globulosa, Nebela collaris, Oscillatoria tenuis (reichlich), Assulina seminulum (hatte also an den Stellen mit tieferem Grundwasser mehr Waldcharakter). Der Vergleich ergibt, daß der Alluvialboden, wenn auch nicht grundverschieden, so deutlich anders besiedelt ist, als die Terrassenschotter. Mit dem Edaphon anderer Landschaften verglichen, ergibt sich, daß die große Armut des Münchner Stadtbodens an Erdbewohnern vornehmlich mit dessen Kalkgehalt zusammenhängt. Kalkboden ist im allgemeinen den Geobionten nicht günstig. Während der große Durchschnitt der Besiedelung in München nur 6 Individuen pro Kubikmillimeter betrug, ändert sich dieses Verhältnis auf den tertiären Sandböden Oberbayerns bei sonst annähernd ähnlichen klimatischen und sonstigen Verhältnissen sofort auffällig. Der Reichtum an Kieselalgen (Kieselsäure im Boden!) steigt, die Gesamtzahl erhebt sich auf 10 Individuen pro Kubikmillimeter.

Wieder anders gestaltet sich die edaphische Besiedelung dort, wo Decken von Verwitterungslehm den Kalkgehalt abmindern, wie es namentlich an den Böschungen des Isartales und Würmtales der Fall ist. Solcher Boden, schon von P. E. Müller P. L. Müller, Studien über die natürlichen Humusformen. 8°. als Mullboden (neutraler, milder Waldboden) den scharfen Rohhumusböden gegenübergestellt, wimmelt von unzähligen Wurzelfüßlern der schönsten und anziehendsten Art. Leitform ist hierbei wieder das unregelmäßige, ihre Mundöffnung wie ein Schüsselchen vorgeschoben haltende Mosaiktierchen Difflugia constricta, daneben der in allen Waldböden für das Gedeihen der Bäume unerläßliche und offenbar mit der Pilzwurzel ( Mykorrhiza) irgendwie verbundene, allgemeine Bodenpilz ( Cladosporium). Als Leitform ist auch die entzückende, glasblitzende, aus lauter münzenförmigen Bergkristallplättchen aufgebaute winzige Wurzelfüßlerart zu nennen, die Ehrenberg unter dem Namen Trinema acinus beschrieb; mit ihr zusammen leben die nahverwandten Euglyphaarten. Dazu tritt ein schöner Kieselalgenflor und eine reiche und mannigfache Welt von winzigen Bodenwürmern, auch Regenwürmern. Für alle insgesamt gilt als Merkmal, daß sie im Deckenlehm in weit größeren und zahlreicheren Formen (93 Individuen pro mm³) auftreten, als im Rohhumus der Schotter. Um diese Lebensgemeinschaft genauer zu umreißen, sei hier der Befund des Humus an den Hängen des Isartales beim »Beerwein« angeführt: Difflugia constricta, D. urceolata, D. craterella, Trinema acinus, Euglypha alveolata, E. globulosa, Geococcus vulgaris, Pseudochlamys patella, Nebela collaris, Navicula (diff. Spez.), Hantzschia amphioxys, Cladosporium humifaciens, Nematoden (diff. Spezies), 200 Indiv. pro mm³.)

siehe Bildunterschrift

Abb. 54. Leitformen des Edaphons im Münchner Moorboden. Drei leere Gehäuse des Wurzelfüßlers Assulina seminulum, welche charakteristisch sind für die dunkle Erde des Dachauer Moores. Stark vergröß. Originalaufnahme nach Präparaten des Biol. Instit. München.

Neuerdings anders belebt ist der kaffeesatzfarbene, tiefe Humus der Mischwälder im Isartal, welche schon in ihrer Zusammensetzung aus Fichten (erst von Wolfratshausen ab tritt auch die Edeltanne dazu), Buchen, Bergahornen und dem einen oder anderen Einsprengling den alpinen Urwaldcharakter verraten, der sich in den urwüchsigen Wachstumsformen, Stelzenbäumen, vielen vermodernden Stämmen, im Nebeneinander aller Altersklassen und der natürlichen Verjüngung (vgl. dazu Abb. 55) ohnedies schon kundgibt.

In diesem »alpinen Urwaldboden«, wie ich ihn benennen möchte, überwältigt geradezu die Menge der Cladosporien. Manchmal durchzieht das Geflecht der Pilzfäden in ganzen Filzen den Erdboden. Dazu gesellen sich da und dort wahre Reinkulturen von enorm großen Difflugien (bis zu 150 Individuen im mm³). Sogar die winzige Trinema wird in diesem Milieu groß. Etwas mehr tritt auch das zierliche, meist schokoladenbraune, flachgedrückte Gehäuse der Rhizopodengattung Arcella hervor, ebenso ein gewisser Reichtum an großen, förmlich gemästeten Fadenwürmern und Bodenbakterien. Als Beleg diene die Liste der Bodenformen aus Isartaler Walderde, der Gegend entnommen, welche in Abb. 55 dargestellt ist: Difflugia globulosa, D. urceolaris, D. craterella, Nebela collaris, Trinema acinus, Geococcus vulgaris, Arcella vulgaris, Euglypha globulosa, gar keine Bacillariaceen, dafür enorm viel Bodenbakterien, Bodenpilze und Nematoden.

siehe Bildunterschrift

Abb. 55. Urwaldartige Szenerie aus dem Isartal bei Mühltal. Der auf dickem Humus sich erhebende Wald besteht aus allen Altersklassen von Fichten mit eingesprengten Buchen und stellenweise Aubäumen. Der Boden beherbergt mit den vermodernden Stämmen eine überaus reichliche Pilzflora. Reichlicher Windbruch erhöht das Romantische des Bildes, das ein Stück Alpennatur vor den Toren der Stadt verwirklicht. Original von Frau Dr. A. Friedrich-München.

Diese Bodenart vereinigt also bodenbiologisch die Charaktere der Buchen- und Fichtenböden und steigert deren Eindruck durch besonders kräftiges Wachstum. Wenn man diese Befunde mit denen im Hochgebirge vergleicht, tritt der alpine pedologische Charakter ganz besonders hervor. Aus meinem Beobachtungsmaterial, das sich auch auf mehr denn hundert Hochgebirgsstationen (von 900-3100 m Höhe, von den niederösterreichischen Alpen bis zum Montblanc) erstreckt, konnte ich den Eindruck gewinnen, Als Beleg diene ein Untersuchungsprotokoll aus dem Kaisergebirge [Kar »im Friedhof«] in ca. 2000 m Höhe: Difflugia constricta, D. urceolata, D. globulosa, Trinema acinus, Geococcus vulgaris, enorm viel Cladosporium, Euglypha alveolata, Hyalosphenia elegans, reichlich Nematoden, gar keine Bacillariaceen im tiefschwarzen, dicken Humus. 50 Indiv. im mm 3. daß das Isartal pedologisch durchaus der subalpinen Zone zuzurechnen sei.

Ein völlig anderes Bild erhält man, wenn man sich nun den Lehm- und Lößgebieten zuwendet, welche das Münchner Stadtgebiet in Ost und West einsäumen. Sie sind es, die ihrer Fruchtbarkeit wegen auch oft in nächster Nachbarschaft zur Stadt landwirtschaftlich bearbeitet oder zumindestens als Wiese und Weide im Dienste des Landwirtes benützt werden. In engster Verbindung stehen so an der Elsenheimerstraße Großstadthaus und Haberfeld, die Umgebung von Laim namentlich gegen Pasing zu ist mit Feldern bedeckt, ebenso jene um den Bahnhof Moosach, zwischen dem Hartmannshofener Gehölz und Menzing, ähnlich das östliche Lehmgebiet, soweit es nicht von den Ziegeleien in Anspruch genommen wird, namentlich um Priel und Ober-Föhring, auch um Ramersdorf, Berg am Laim und Zamdorf.

Dieser Lehmboden, über dessen petrographische Zusammensetzung man Seite 185 nachlesen möge, ist namentlich von Kieselalgen ( Bacillariaceen) bewohnt, unter denen die Gattung Schiffchenalge ( Navicula), namentlich in den zwei führenden Arten N. mutica und N. borealis sowohl durch Reichtum an Exemplaren wie Abänderungen hervorragt. Daneben ist die unvermeidliche Hantzschia reichlich vertreten, ebenso die kleine, zierlich spitze Nitzschia. Kennzeichnend für diese Äcker- und Wiesenböden ist auch ihr verhältnismäßiger Reichtum an Blaualgen, von denen die kleine, kettenbildende Isocystis fast niemals, Schwingfäden ( Oscillatorien) und ihre in Schutzscheiden lebenden Arten auch nur selten fehlen. Sogar Grünalgen sind auf der Oberfläche dieses fruchtbaren Landes da und tragen zur Bodengare bei. Und als merkwürdige Vorstellung für das heimliche, dem Auge des Alltages verborgene Leben im Boden eines Kornfeldes, giebt es hier fast immer Rädertiere zu sehen, die in den engen, wassergefüllten Spalten des Bodens nicht weniger begierig strudeln, wie im Sumpfwasser oder der kristallklaren Flut des Würmsees. Mit ihnen leben auch Fadenwürmer und reichlich Oligochaeten.

Die Wurzelfüßler des Lehmbodens stehen erst an zweiter Stelle. Die niemals fehlende Trinema und die Mosaiktierchen, sowie die nackten Amöben, ebenso Euglypha erschöpfen bald die Rhiozopodenfauna. Das Edaphon der Äcker auf Lehmboden in der Münchner Gemarkung besteht nach meinen Aufzeichnungen aus folgenden Arten: Difflugia globulosa, D. pyriformis, D. urceolata, Trinema acinus, Euglypha alveolata, Amoeba limax, A. proteus, A. terricola, Geococcus vulgaris, Pinnularia mesolepta, Hantzschia amphioxys, Navicula mutica, N. borealis, N. atomus, Nitzschia communis, N. microcephala, Surirella sp., Stauroneis sp., Stichococcus bacillaris, Oscillatoria tenuis, Lyngbya vulgaris, Isocystis infusionum, Chroococcus sp., Pleurococcus vulgaris, Cladosporium humifaciens, Rotifer vulgaris, Philodina erythrophthalma, Nematoden, Grüne Gameten und Allolobophora-Arten.

Das für alle Waldböden unentbehrliche Cladosporium ist nur in Spuren vorhanden. Auf den der Kultur unterworfenen Böden schwankt, wie ich in meinem Hauptwerk über das Edaphon des Näheren ausführte, aus leicht Vgl. Francé, Das Edaphon S. 81. begreiflichen Gründen, der Gehalt an Organismus je nach Jahreszeit und Bearbeitung in weiten Grenzen; im allgemeinen zwischen 25 und 105 Individuen im Kubikmillimeter.

Anders lagern die Verhältnisse in jenem Teil der Lehmböden, die, so wie das Hartmannshofener Gehölz, die Anger Lohe und der Allacher Forst, reich mit Eichen und Buschwerk bestockt sind. Sie sind reichlich von Geobionten belebt, die sich ganz gleichmäßig auf alle Gruppen der Kieselalgen, Wurzelfüßler, Bodenpilze und Fadenwürmer verteilen Befund im Boden des Hartmannshofer Gehölzes: Navicula mutica, N. borealis, Hantzschia amphioxys, Cladosporium humifaciens, Trinema acinus, Difflugia constricta, D. urceolata, Nematoden. Alle häufig, insgesamt 102 Individuen im Kubikmillimeter.. Mit durchschnittlich mehr als 100 Individuen pro mm³ gehören sie, bodenbiologisch gesprochen, zu der Elite der Böden.

Der Lehm ist demnach ausgezeichnet zu unterscheiden und zu bewerten von den übrigen Bodentypen, von denen er im ganzen dem Buchenlehm, wie auch zu erwarten war, am nächsten steht.

Völlig abweichend ist endlich, ebenfalls nach allem, was sich an Naturgesetzlichkeit uns bisher erschloß keine Überraschung mehr, der tiefschwarze Moorboden, der von Ludwigsfeld und dem Schleißheimer Moos gegen das Münchner Stadtgebiet herein zieht. Er hat als Bewohner die vollkommene Sumpffauna und Flora mit Kieselalgen und Zieralgenreichtum, ausgezeichneten, großen Wurzelfüßlern, Rädertieren, Grünalgen, dagegen fast keinen Bodenpilzen und Fadenwürmern. Es gibt hier Stellen, in denen 300 Individuen den Kubikmillimeter, also 300 Milliarden Lebewesen jeden Kubikmeter Erde beleben. Eine besondere Charakteristik dieses Bodens erübrigt sich, da er einfach einen Sumpfrest bildet, also im Prinzip die gesamte Süßwasserlebewelt enthalten kann. Nur der Vollständigkeit halber sei daher eine Liste der in Moorerde von Augustenfeld gefundenen Organismen beigesetzt: Oscillatoria sp. Chroococcus, Isocystis, Lyngbya, Gloeocapsa, Nostoc, Hypheothrix, Stichococcus, Pleurococcus, Scenedesmus, Raphidium, Chlamydomonas(!), Conferva, Ulothrix, Microspora, Pleurotaenium, Desmidium, Calocylindrus, Euastrum, Mesotaenium, Euglena velata(!), Astasia, Petalomonas, Ciliate Infusorien, sämtliche angeführte Rhizopoden, dazu Placocysta sp., Sphenoderia lenta, Quadrula symmetrica, und besonders große Nebela collarisformen (Abb. 53), die das Moor zu charakterisieren scheinen. Ferner alle angeführten Kieselalgen, dazu viele Pinnularia viridis, Amphora, Fragilaria Harrisoni, F. construens, das für München kennzeichnende Achnanthidium flexilis, ferner eine Menge von Rädertieren, dazu Bärtierchen [ Macrobiotus und Echiniscus], von Nematoden andere Formen, als die das übrige Territorium bewohnenden, besonders aus der Gattung Dorylaimus. Das Gesamtbild ist das einer Sumpffauna.

Damit kann ich diese, tief im Fachwissen untertauchende, aber für meine Beweisführung unumgänglich notwendige Analyse der Münchner Bodenarten abschließen, wenn ich ihre Resultate nebeneinander aufstelle, wird mein Leserkreis daran selbst ablesen, daß jede geologisch-petrographisch verschiedene Bodenart auch biologisch wohl charakterisiert ist, daß aber die Besiedelung noch feinere Unterschiede dadurch herausmodelliert, daß sie sehr wohl den Grundwasserstand (vgl. Münchner Schotter in Garching und Forstenrieder Park), die Art der wirtschaftlichen Verwendung (Ackerböden und Waldböden im Lehmgebiet!) respektiert. Sie verfeinert und differenziert also, setzt aber in gerader Linie die Gesetzmäßigkeit fort, welche durch die Erdgeschichte, die geologische Bodenbildung, die Klimamigration hindurchging, sie übernimmt gewissermaßen den Faden von der Geologie und spinnt ihn nun auf die Biologie hinüber.

Dabei ist diese edaphische Besiedelung nicht etwa erst eine neue, mit der Kultivierung des Bodens eingetretene Erscheinung, sondern sie besteht seit der Eiszeit, wie sich gerade auf dem Münchner Boden selbst erweisen ließ. Ich habe die durch Bauten gegebenen gelegentlichen Aufschlüsse im Münchner Stadtkern benützt, um die dort frisch zutage geförderten unverwitterten Lagen der Niederterrassenschotter auf ihren Organismengehalt mikroskopisch zu untersuchen. So wurden in der Hohenstaufenstraße in 3 m Tiefe fluvioglaziale Sande unter einer etwa 80 cm hohen Verwitterungsschicht und 220 cm Niederterrassengeröllen angeschnitten. Sie enthielten zahlreiche Difflugia globulosa-Schalen und große braune Zysten unbekannter Natur. Der mm 3 enthielt 13 Exemplare. In der Konradstraße wurden in 1 m Tiefe braune Pilzsporen, septierte braune Myzelien und Gehäuse von Trinema acinus gefunden (44 Individuen pro mm 3).

Man sieht hieraus, daß diese edaphische Kleinorganismenbesiedelung sozusagen bereits das Neuland sofort nach dem Ablaufen der Schmelzwässer in Besitz nahm und ihr Teil an der Vorbereitung des Bodens zur Aufnahme von Vegetation beitrug. Gerade aus den Arbeiten des Biologischen Institutes München ist hervorgegangen Vgl. F. Falger, Die erste Besiedelung der Gesteine. [Arbeiten aus dem Biolog. Institut München Nr. 3.] München. 8°. 1914., welch erheblichen, sogar grundlegenden Anteil an der Humifikation die Bodenkleinwelt hat, welche als Pionier der Flechten und Moose, der gesamten höheren Pflanzenwelt erst die Vorbedingungen des Gedeihens schafft und die Niederlassung ermöglicht.

Es liegt nun geradezu zwingend nahe, anzunehmen, daß die verschiedenen petrographisch-chemischen sowie hydrographischen und sonst physikalischen Bedingungen der einzelnen Bodenarten der einen oder anderen Gruppe von Erdlebewesen das Fortkommen erleichtern, den Bodenpilzen und Wurzelfüßlern da, den Kiesel- und Spaltalgen dort, wodurch sich allmählich die pedologische Verschiedenheit herausbildet, welche in der groben Beispielsform des Mull-Rohhumus-Bodens hier der Wiese, dort dem Fichtenwald, da der Buche, dort wieder der Eiche die Ansiedelung gestattet.

Das Edaphon zieht gesetzmäßig bestimmte Bodenqualitäten heran, indem es auf deren Durchlüftung, Durchfeuchtung, Krümelung, chemische und mechanische Aufschließung und ihren Stickstoffgehalt Einfluß nimmt. Es bringt also auch gesetzmäßig die Flora der Flechten und Moose und mit Vermittlung dieser Humusbildner auch die höheren Pflanzen in bestimmter Auswahl mit sich.

Auf diese Weise ist die Brücke geschlagen zwischen Pedologie und Lebensgemeinschaft einer bestimmten Landschaft, ganz abgesehen davon, daß Flechten und Moose auch selbst, wie die höheren Pflanzen (man denke an Kalkholde und Kieselholde), ein gewisses Wahlvermögen besitzen und so auch zur Aussonderung der Lebensbilder nach den geologischen Vorbedingungen beitragen.

Gerade die Flechten- und Moosflora der Umgebung Münchens bietet zum Beweis dieser Behauptung die anschaulichsten Beispiele.

Auf den Gneisfindlingen der Jungmoränen lebt durchaus eine andere Flechtenflora, wie sie den Kalknagelfluhblöcken der Gegend sonst zukommt. So gibt F. Arnold von erratischen Blöcken bei Wangen das Vorkommen von Verrucaria dolosa und Sagedia chlorotica an; bei Leutstetten lebt auf dem Urgestein im Gegensatz zu der gesamten Umgebung die Flechte Callopisma vittelinulum; bei Hornstein im Isartal gedeihen auf Urgesteinfindlingen die dem Urgestein eigentümlichen Formen Biatora leiocarpoides und Lecidea crustulata. Das besonders Beachtenwerte hieran ist noch, daß diese Flechten keineswegs aus dem Typus einer Hochgebirgsflora stammen, sondern ihr Gegenstück erst in der fränkischen Flechtenflora finden. Sie kamen also auf dem in München nicht unbeliebten Einzugswege von Norden und Osten her. Auch der erratische Gneisblock, der bei Deining liegt, ist mit der Flechte Rhizocarpon subposthumum bewachsen, deren nächster Fundort sich erst im Fränkischen Jura befindet.

Ebenso eigenwillig verhält sich auch die Moosflora. Die Nagelfluh des Isartales ist mit einer Menge von Moosen überkleidet, die sich aus dem Gebirge hierher eingefunden haben An der Römerschanze bei Grünwald nisten im Gestein Dicranum spurium, Zieria julacea, Mnium affine, Orthothecium rufescens, Brachythecium lareosum, Hypnum Halleri, an der Nagelfluhe unter der Menterschwaige: Weissia viridula, Gymnostomum calcareum, G. rupestre, Eucladium verticillatum, Anodon donianus, vier Arten von Seligeria, an der Nagelfluh bei München als Seltenheit Amblystegium oligorrhizon [Molendo] u. dgl. mehr. Unter ihnen sind einige wahre Seltenheiten, denen zuliebe der Sammler sonst hohe Berge und verschwiegene Alpentäler aufsuchen muß.

Doch genug der Beispiele.

Es ist denn nun bereits das Verständnis eröffnet für die Tatsache, daß sich im Münchner Stadtgebiet letzten Endes fünf verschiedene Typen von Floren finden, entsprechend den fünf verschiedenen Boden-, klimatischen und edaphischen Zonen, deren Vorhandensein in diesem Werk bisher bewiesen worden ist.

Es gibt eine wohlumschriebene:

Schotterflora (als Fichtenwald und Heide),
Lehmflora (als Eichen-Buchenwald und Wiese),
Auflora (auf dem Alluvium),
Moorflora (auf dem Moorgebiet),
Subalpine Flora (im südlichen Isargebiet).

Von ihnen muß als die eigentliche Münchner Flora natürlich die der Schotter und Heiden gelten, von der ich wenigstens von der Garchinger Heide bereits versucht habe, ein Lebensbild zu zeichnen.

Wenn es immer noch keine Stadt München geben würde, wäre der Landstrich zwischen Sendling und dem Oberwiesenfeld, den heute die Häusermasse einnimmt, eine Grenzzone zwischen dem Fichtenwald und der Heide und höchst wahrscheinlicherweise von einer natürlichen Parklandschaft besetzt. Auf alten Stichen der Stadt erkennt man denn auch diesen Charakter, soweit ihn die Ansichten und Pläne nicht schematisch verwischen, namentlich auf den damals noch nicht besiedelten »oberen und unteren Blaichen«, dem Gänsbühel, dem freien Feld, das zur Theresienwiese umgeschaffen wurde, dem Sendlinger Ober- und Unterfeld; noch erhalten ist dieser Charakter der heideartigen Wiese, die da und dort von wenigen Gehölzgruppen belebt ist, auf dem Oberwiesenfeld, in der Gegend von Riesenfeld und Neu-Schwabing.

Diese Zone ist pflanzengeographisch höchst beachtenswert, weil sie als Grenze zweier Bodentypen natürlich auch die Grenzen der absoluten Verbreitung für jene Pflanzenarten bedeuten muß, die schon längst irgendwo in einer der Himmelsrichtungen von ihrer kompakten Verbreitung abgesprengt wurden.

Um aus der reichen Liste der Formen nur einige Beispiele herauszugreifen, sei daran erinnert, daß hier die Wasserrose Nymphaea semiaperta den südwestlichsten Punkt ihres Vorkommens erreicht (am Rande des Schleißheimer Moores). Die Isar ist die Westgrenze für die seltenere Nelke Dianthus Seguierii und Alsine austriaca und die Ostgrenze für Avena versicolor. An sich ist der Fichtenwald, namentlich in der öden, forstmäßigen Form, wie er sich in den zwei großen Forstgebieten der Niederterrasse präsentiert, die mit den Schlägen von Holzapfelkreuth, des Weichselgartens und den kargen Beständen um die Wasenmeisterei in das Gebiet von München hineinragen, und die als Forstenrieder Park und Perlach-Grünwalder Park das große Luftreservoir der Stadt sind – an sich ist ein solcher monotoner Fichtenhochwald (Abb. 56) ein trauriges, armes, beinahe uninteressantes und wenig erquickliches Naturbild.

siehe Bildunterschrift

Abb. 56. Ein Windbruch im Fichtenhochwald aus dem Deisenhofener Forst, ein Charakterbild der Wälder aus der Münchner Schotterebene. Die Einförmigkeit dieser Forste bedingt die große Ausdehnung, welche Schäden (Borkenkäfer, Windbruch) darin annehmen können. Man beachte die große Armut der Flora. Original.

Wenig oder gar kein Unterholz belebt den rotbraunen, nadelbedeckten Boden, auf dem im tiefen Schatten kaum ein Kraut aufsprießt. Nur weite, silbergrün schimmernde Moosteppiche decken ihn an den feuchten Stellen, zwischen denen Bärlappe (namentlich Lycopodium annotinum) ein altertümliches Gitterwerk aufstellen. Wo ab und zu Kiefern das Dunkel der Fichten lichten (namentlich im Grünwalder Forst), gesellt sich Hypnum pallescens, ein Schlafmoos, als kennzeichnender Begleiter dazu. Wenig Farne unterbrechen diese Bilder, von ihnen ist namentlich Aspidium oreopteris als kennzeichnende Pflanze dem Botaniker ein Wegweiser. Nur an den »Geräumten« und wenigen Waldpfaden machen Blumen ihre Augen auf, als deren Spezialität Potentilla Fragariastrum erwähnt sei. Im Düster birgt sich die Moderorchidee Epipogom.

Sonst setzt sich die ganze Flora nur aus den typischen Fichtenbegleitern zusammen, dem kleinen Sauerklee ( Oxalis), der Korallenwurz ( Coralliorrhiza), einem winzigen Wachtelweizen ( Melampyrum), aus Fichtenspargel ( Monotropa), dazu den Fliegenschwämmen ( Amanita muscaria) und dem Heer der Pilze, darunter leider immer weniger eßbaren. Aber wenn auch diese einzelnen kein besonderes Interesse zu erwecken vermögen, so ist doch die Tatsache, daß sie gesetzmäßig an die Fichten gebunden sind (überall, wo Fichten leben), für unseren Beweisgang um so erwünschter. Denn gerade darauf kommt es ja an, zu zeigen, wie streng verkettet eine Naturtatsache die andere nach sich zieht. Und wenn man aus der Struktur des Schotterbodens sein Edaphon ableiten kann, aus diesem die Rohhumusbildung und aus der die Fichtenbesiedelung, so schließt nun die Tatsache, daß es typische Fichtenbegleiter gibt, in idealer Weise den Ring.

In diesen Fichtenwald der Niederterrasse ist nun natürlich vom Isartal her die subalpine Pflanzen- und Tierwelt eingedrungen und hat namentlich südlich von München seinen reinen Charakter verfälscht. Gestreift wurde diese Tatsache bereits (vgl. S. 152), als wir die Einwanderung alpiner Pflanzen entlang der Isar betrachteten, und es wurde dort gesagt, daß gewisse weitverbreitete Münchner Gewächse, wie die Schneehaide oder der Enzian, auf diesem Weg von den Bergen herabgelangten.

Hier ist nun der Ort, hinzuzufügen, wieviele alpine und supalpine Pflanzenformen ihre Nordgrenze in den Wäldern um den Isarrand finden Interessantere Einzelangaben mögen hier Platz finden, um diese Behauptung zu bekräftigen. Cotoneaster tomentosa lebt isoliert bei Grünwald, Anemone vernalis in der Pupplinger Au [Hegi], Saxifraga mutata hat ihre Nordgrenze an der Menterschwaige, Pleurospermum austriacum blüht in der Menterschwaige und Harlaching, Centaurea phrygia bei Ebenhausen. Das norwegische Hieracium aestivum kommt nur bei Bayerbrunn vor, im Wirtsgarten von Maria-Einsiedel auch Bupleurum longifolium. Auf den Wiesen bei Geiselgasteig findet sich Centaurea amara. Die Isar ist die Westgrenze für Alsine austriaca, Astrantia carniolica, Verbascum phoeniceum, Pedicularis incarnata, die alle aus dem Gebirge herüberreichen. Clematis alpine ziert die Hänge bei Wolfratshausen., und daß dieses Gesetz ebensogut auch für zahlreiche Käfer der südlichen Umgebung der Stadt gilt. Von den 12 000 Käferarten, welche die bayrische Fauna verzeichnet Es mag an dieser Stelle interessieren, daß ganz Mitteleuropa nur 5500 Phanerogamenarten beherbergt, von denen um München mit seinem großen »Fremdenleben« über 2000 vorkommen mögen. In Norddeutschland nur 1300!, hat man aus der Umgebung Münchens nicht weniger als 6000 Arten (?) emimeriert, als Zeichen, wie ungemein rege auch in der sechsfüßigen Welt der Fremdenverkehr Münchens ist. An ihm nehmen besonders die vielen subalpinen Arten teil, als deren Charakterbeispiel der für die Fichtenwälder kennzeichnende Laufkäfer Cicindela sylvatica hervorgehoben sei. Sonst ist ja der Fichtenwald relativ arm an Käfern und seinem des Sammelns unkundigen Besucher wird wohl kaum etwas anderes auffallen, wie der eine oder andere Fichtenrüßler.

Ebenso arm ist diese verkümmerte Lebensgemeinschaft an Schnecken; kaum anderes, denn Nacktschnecken auf den reichlich gedeihenden Pilzen kann man in den Parken vor den Münchner Stadttoren aufstöbern.

Etwas reicher ist es um die Flechtenwelt bestellt. Die bleichgrünen Bärte der Rhizopogonflechten hängen von den Ästen alter Fichten, an den Stämmen macht sich die Lungenflechte ( Sticta pulmonaria) manchmal in riesigen Exemplaren breit. Eine nicht alltägliche Form ist Solorina saccata.

siehe Bildunterschrift

Abb. 57. Nebeliger Herbstabend im Stockert bei Obermenzing, als Typus der Fichtenheiden in der Münchner Hochebene. An der Grenze der Lehmzone gelegen, mischen sich bereits Buchen und Eichen, sowie Sträucher am Rand in den lockeren grasigen Bestand, der sehr schmetterlings- und blumenreich ist. Original.

Alles in allem findet aber der Wissensdurst kaum Anregung in diesen lichtlosen Hallen grauer, engstehender Stämme mit ihrem anödenden Fabrikzeichen des Forstbetriebs: dem schwarzen Pechring, um das Hinaufkriechen von schädlichen Raupen, namentlich Nonnen, zu vermeiden. In den Lichtungen mag sich das Herz beerenhungriger Großstadtkinder an den reichlich wuchernden Heidelbeeren und Preißelbeeren ( Vaccinium) erfreuen, ab und zu hemmt ein Immergrün ( Pirola chlorantha kann man um Großhesselohe finden), selten ein so anziehender Fremdling wie die Scilla amoena um Maria Einsiedel den Schritt. Im ganzen beendet man jede Wanderung in diesen toten Wäldern mit dem festen Vorsatz, recht lange nicht mehr wiederzukommen – namentlich, wenn man Schöneres kennt. Immerhin interessant ist die »Rauhe Fichte« bei dem Forsthaus Kasten unweit von Stockdorf, ein gestürzter alter Stamm, dessen drei Zweige zu jungen geraden Stämmen auswuchsen, die auf 150 Jahre zu schätzen ist.

Am Isarhang hat man das ohnedies nahe zur Hand. Man braucht gewöhnlich nur die Böschung hinabzusteigen, um auf eine der Lehmterrassen zu geraten, die nach dem uns bereits geläufigen Gesetz mit einer anderen Flora (nämlich der Buche und ihren Begleitern) bestanden sein muß.

Mit einem Schritt tritt man da in eine reiche und schönere Natur, namentlich wenn man die Isarhänge (am schönsten sind die vom Isartalverein erworbenen » Naturschutzparke« an der Großhesseloher Brücke [im Volksmund als »Beerwein« bekannt] von etwa 3½ Tagwerk und die etwa 6 Tagwerk große, felsblockreiche Leite zwischen Konradshöhe und der »Birg«) im hellen Maiengrün aufsucht.

Der pedologisch Geschulte weiß bereits, was ihn da erwartet: milder, feinkrümeliger Mullboden mit reichlichem Edaphon, damit gute Durchlüftung, nährstoffreicher Humus, also reiche Pflanzenwelt. Hier hat die Fichte nichts zu suchen. Nur als Einsprengling besteht sie neben den kräftigen, oft ideal schönen Buchen, von denen diese Hänge auch hundertjährige Vertreter ihrer Art ( Fagus silvatica), auch viele Hainbuchen ( Carpinus betulus) Namentlich bei Solln [Lehm!], Grünwald, Pullach. bergen. Eine der schönsten ist vielen Münchner Naturfreunden bekannt, sie steht an der Brücke von Schäftlarn zum Bruckfischer; es ist eine vollkronige Kugelbuche mit 3,6 m Stammumfang. Eine andere Rotbuche grünt noch voll am Waldesrand, an der Grünwalder Brücke. Auch sie hat etwa 4 m Stammumfang. (Stützer.) Das sind meines Wissens die schönsten und ältesten Buchen auf den Lehmterrassen des Isartales.

Dieser Buchenwald, dem sich auch die Terrassenwälder des Würmtales südlich von Gauting anschließen, erfreut mit den schönsten Naturbildern, die Münchens Umgebung überhaupt zu bieten hat.

Ein sonniger Morgen in diesen heiligen Hallen, umzwitschert von dem Jubel der Vögel, mit dem Blick auf die ziehenden, silbertropfenden Nebel des Tales, gehört an sich zu den größten Naturgenüssen, die man in europäischen Breiten erleben kann. Kommt dazu irgendein träumerischer Blick vom Hang auf das weite, still versonnt liegende Land mit der duftblauenden Bergkette, in der noch Schneefelder blinken, so begreift man als Münchner, dem solches zur Gewohnheit geworden, doch manchmal noch die Begeisterung jener, die es zum erstenmal sehen und erklären, das Isartal sei einzig im wahrlich weiten Reich deutscher Naturschönheit.

Die Buche hat eine noch treuere Gefolgschaft als die Fichte, mit der sie dabei nur das kleine Volk der liebgrünen Dreiblättchen des Sauerklees gemeinsam beherrscht. Ihre Charakterpflanze ist der Waldmeister ( Asperula odorata); massenhaft ist im Isartal das Maiglöckchen ( Convallaria majalis) vertreten, wenn es auch nicht immer blüht. Mit Sicherheit kann man dagegen auf die lieblichen Frühlingsboten der Leberblümlein ( Hepatica triloba), Lungenkräuter ( Pulmonaria), Haselwurz ( Asarum) und weißen Anemonen ( Anemone nemorosa) rechnen; auch die Primeln kommen gerne in seine lockeren Bestände hinein, ebenso der Seidelbast ( Daphne), der in München im März in Sträußchen gehandelt wird. Im Schatten selbst blühen noch Blumen. Nach der großen, pfirsichblätterigen Glockenblume ( Campanula persicifolia) wird man selten vergeblich suchen, ebenso im Lenz nach den Walderbsen ( Orobus) oder später nach dem »Hasenöhrl« ( Bupleurum). Am Rand blüht der Odermennig ( Agrimonia) gleißend gelb, die Teufelsklauen ( Phyteuma) gehen an den Wegen mit In den Buchenwäldern am Starnberger See gedeihen u. a. Aquilegia atrata, Viola collina, Aruncus silvestris, Buphthalmum salicifolium, Centaurea montana, Chrysanthemum corymbosum, Vinca minor, Galeobdolon montanum, Lilium martagon, Carex alba, desgleichen im Isartal [A. Engler]. Bei Grünwald blüht am Buchenhang auch die sonst nicht vorhandene [Früher bei Siebenbrunn] typische Buchenbegleiterin Corydalis fabacea.; kurz, worauf allein es mir ankommt: die Pflanzenwelt ist völlig anders wie unter Fichten.

Und genau so steht es auch mit der Tierwelt. Wenn wir die Raupen- und Schmetterlingsfauna des Buchenwaldes mit der des Fichtenwaldes oder der Heide vergleichen, entdecken wir eine Menge neuer Formen. Auf dem Laub lebt die Raupe des Buchenspinners ( Stauropus fagi), nur auf Buche findet sich der Pergamentspinner ( Hoplitis Milhauseri). Hier ist die Heimat der Mondvögel ( Phalera bucephala) und des allbekannten kleinen Nachtpfauenauges ( Saturnia pavonia). Der Kenner wird um München Drepana cultraria nur auf Buchen suchen.

Ähnlich steht es um die Schnecken. Auch sie haben bestimmte Buchenformen, von denen die Steinpicker ( Helix lapicida) und gewisse größere Schließmundschnecken ( Clausilia) immer nur bei Regen auf den eisengrauen, glatten Stämmen anzutreffen sind.

Diese Liste ließe sich mit vielen anderen Tierformen noch lange fortspinnen, ohne jedoch mehr zu beweisen, als was bereits feststeht: zwischen den einzelnen Pflanzenformen, sowie zwischen diesen und den Tieren bestehen genau die gleichen gesetzmäßigen Abhängigkeiten, wie zwischen Bodenqualitäten und Edaphon oder Erdgeschichte und Bodenbeschaffenheit oder endlich Pflanzenwelt und Klima.

Man kann sich diesen Satz nicht oft genug wiederholen, so fundamental und doch noch zu wenig eingedrungen in unsere Lebensanschauung ist er. Baut er doch den großen Gesetzesrahmen für das Wirken des Menschen, das er mit hineinzieht in seine ewige und unverbrüchliche Gültigkeit. Wenn hier aus allen Wissensgebieten Angabe um Angabe gehäuft und mit einer vielleicht ermüdenden Gründlichkeit sozusagen die gesamte Münchner Natur wie in einem Freilichtmuseum gesammelt, vorgelegt wird, so bewegt mich zu dieser, meine ganze Kraft anspannenden Leistung wahrhaftig nicht der Trieb, den kleinkrämerischen Naturen oder den Spezialisten zuliebe zu schreiben oder mit meinem Wissen zu prunken, sondern ganz allein der große Gedanke, der so nach und nach zum Leitgedanken meines ganzen Daseins geworden ist: daß ein einziges, alles umfassendes Gesetz über dem ganzen Dasein der Welt thront, das gleichzeitig und auf gleiche Weise das fallende Blatt am Baum, das Wachstum der Blüte im Hag, den stummen Zug der Wolken, den leisen Zerfall der Berge, das Kommen und Gehen der Menschen, und den geheimen Faden, an dem sich Gedanken und Entdeckungen reihen, vom Kleinsten bis ins Größte leitet und miteinander in Verbindung setzt.

In dieser größten Beziehung zueinander stehen alle die kleinen Dinge, welche hier vorüberziehen, und unter dieser gewaltigen Perspektive verlieren sie ihre »Fachbedeutung« und Kleinheit und werden zu Bausteinen der größten Idee, welche das Menschenhirn überhaupt zu fassen vermag. Es ist mir eine Art Dankespflicht, das zu sagen, bevor ich Abschied nehme von den Münchner Buchenwäldern; denn in einem von ihnen, an einem unvergleichlich schönen Herbsttag, da rotgolden das Licht über die versonnenen Buchenhänge spielte und die klare Luft der Hochebene auch die fernsten Dinge verständlich naherückte, da keimte zuerst die große, ewige, bestimmende Idee in mir, aus der auch dieses Werk als ein Baustein zum Tempel der objektiven Philosophie geformt wurde ...

Wenn man, erfüllt von dem Gesetz dieses » tat wam asi«, durch den Buchenhang am Isarrand emporsteigt zum Isartalbahnhof Großhesselohe, blickt man von da gegen Westen in eine neue Welt hinein. Auf einem kleinen, sehr abgeflachten Hügel liegt dort Solln, und nicht nur an den Ziegeleien, sondern auch daran erkennt man die Lehminsel, auf der das Örtchen erbaut wurde, daß in seiner Umgebung manche Stieleiche grünt, die gesamte Flora überhaupt reicheren und üppigeren Anstrich hat.

Auch die großen Lehmgebiete an den Stadtgrenzen tragen entweder üppige Wiesen und Äcker oder aber Eichenwälder. Solche sind besonders im Würmtal vorhanden und wurden (vgl. S. 191) bereits aufgeführt. Im Allacher Forst sind die meisten, auch im »Stockert« noch einige (Bild 57); ein junges Eichicht ist der Hartmannshofener Wald und die Fasanerie. Aber die eigentliche »Oach« ist doch die Gegend von Planegg, wohin die Eichen schon vereinzelt von Pasing her leiten und dann ihren sogar kultisch gefeierten Mittelpunkt in Maria Eich am Rande des Streiflacher Holzes besitzen. (Abb. 58.)

siehe Bildunterschrift

Abb. 58. Charakterbild aus den Eichenbeständen der westlichen Lehmzone Münchens. Motiv bei Planegg im Würmtal. Der trockene, offene, sonnige Charakter des Waldes bedingt dessen Pflanzen-, Tier- und Edaphonreichtum. Original.

Im östlichen Lehmgebiet sind die Eichen nur zerstreut bei Föhring, da hier durch die Ausbreitung der Stadt (auf kaum 20 km² sind im östlichen Lehmbezirk 14 Vororte und die großen Stadtbezirke Haidhausen und Bogenhausen vereinigt), die vorhandenen Waldbestände, denen übrigens die Grundwasserverhältnisse nicht günstig sind, längst vernichtet wurden. Das eigentliche Eichengebiet beginnt hier erst weiter nördlich (Aschheim) und östlich (Ebersberger Park).

Auch wenn man nicht Botaniker ist, erkennt man auf den ersten Blick, daß in einem Eichenwald andere Verhältnisse herrschen, wie unter Buchen oder zwischen Fichten. Weitere Eichenbegleiter sind außer den 60 Gallwespenarten(!), die vielen Farne und Doldengewächse, die im Buchenwald selten sind. Vor allem groß ist die Zahl der Epiphyten und Lianen. Hell und warm erscheint die Natur zwischen den Bäumen, deren Kronen sich gegeneinander abrunden und freies Sonnenlicht auf den Boden fallen lassen. Es ist denn da auch der Boden ausgetrocknet und reiches Busch- und Kräuterleben kann sich im Walde breitmachen. Am nächsten kann das der Münchner im »Kapuzinerwäldchen« gegenüber dem neuen Botanischen Garten genießen, wo ein wunderbares Beweisstück für die Richtigkeit der hier vorgetragenen Ideen von der Natur ausgebreitet ist.

Soweit die Münchner Stadtgrenze reicht, nehmen dort düster-grämliche Fichten den Platz ein; der Boden besteht aus Rohhumus mit dessen kennzeichnendem Edaphon. Genau an der Münchner Grenze beginnt die Lehmbildung und endet die Niederterrasse und damit beginnt auch ein grundverschieden anderes Edaphon und ihm zufolge auch die Eichenvegetation.

Gleichsam symbolisch wirkt daher, daß gerade an der Tafel, welche die Hoheit des Münchner Volkes verkündet, an der Straße (nach Menzing) rechts von ihr eine Fichte, links eine Eiche steht.

siehe Bildunterschrift

Abb. 59. Charaktertiere des Lehmgebietes und Alpenvorlandes. 1 = Eichenschwärmer ( Smerinthus quercus), ein Schmetterling der Eichenwälder, der früher bei Planegg und Allach flog; 2 = Oleanderschwärmer ( Smerinthus nerii(, eine südländische Form, welche die Alpen überfliegt und ihre Eier zuweilen auf dem Oleander der Straßengärten ablegt und sich vom Alpenvorland bis nach Norddeutschland verirrt. Nach Berge.

Und demgemäß nimmt im Eichenwald auch eine lichte, sonnige Pflanzenwelt Platz. Allerdings tritt sie nicht so rein und auffällig auf, wie die Fichten- und Buchenbegleiter, da um München die Eiche, wenigstens heute, nicht mehr rein, sondern immer nur als Mischwald gedeiht. So sind denn nur die allgemeinen Charaktere des Gräser- und Buschreichtums, das Vorkommen des Türkenbundes ( Lilium Martagon) und der Akelei ( Aquilegia) im Allacher Forst, der noch am meisten typischer Eichenwald ist, zu nennen. Vielleicht gehört auch das isolierte Gedeihen der Bisamhyazinthe ( Muscari botryoides) um die Reismühle bei Gauting zu diesem Eichenlandschaftscharakter, ebenso das Vorkommen von Amblystegium tenuissimum zwischen Gauting und Planegg auf Eichen (allerdings auch Buchen) (Molendo), jedenfalls im Lehmbezirk.

Weit mehr ausgeprägt als diese etwas kümmerliche Eichenbegleitflora tritt uns im westlichen Eichengebiet Münchens die Eichenfauna entgegen, die namentlich in der Welt der Käfer Eichenkäfer sind: der Eremit [ Osmoderma eremita], der Gerberbock [ Prionus coriarius], die Hirschkäfer [ Lucanus], Heldböcke [ Hammatichetus heros], Eichenrüßler [ Apion] u. a. und Schmetterlinge, um wieder zur Ermöglichung des Vergleiches die schon bisher herangezogenen Charakterformen zu nennen, sehr prominente Vertreter hat.

Klassische Eichenschmetterlinge des Allacher und Planegger Eichengebietes sind der Eichenschwärmer ( Smerinthus quercus) (Abb. 59), ferner Diphtera Orion, Lasiocampa quercus und die große Kupferglucke ( Gastropacha quercifolia), deren Raupe man nur auf Eichenblättern fressend sieht. Seltenere und schönere Arten sind Satyrus Semele und Zephyrus quercus, außerdem verschiedene Bläulinge, die stets nur an Eichengegenden gebunden sind. Für den Planegger Eichenwald ist namentlich auch Pararge achine, das »Ochsenauge«, eine Spezialität; nachzuprüfen ist hierin Roeselia strigula (J. Kranz 1860). Hier fand sich auch Smerinthus nerii (Abb. 59).

Was so für die Eiche gilt, trifft noch in gesteigertem Maße für den Alluvial- und den Moorboden zu, zwischen denen, obzwar sie in München räumlich im Norden der Stadt aneinander grenzen, dennoch scharfgeprägte Verschiedenheit waltet.

Der Alluvialboden ist dort, wo er noch nicht verbaut ist (solches ist der Fall mit einem Teil des Lehel und der Vorstadt Au) oder dem Schwemmgebiet des Flusses mit seinen Triebsand- und Kiesbänken angehört, mit Auwald bedeckt (Abb. 60). Am reinsten entwickelt zeigt sich das in der Hirschau und in den Föhringer Auen; noch urwüchsiger freilich außer dem Stadtgebiet, nördlich vom Aumeister bis etwa in die Gegend von Ismaning und Moosburg, wo sich eine kaum von Menschen gestörte, so prachtvolle Wald-, Wasser- und Auenlandschaft breitet, daß sie füglich auch mit den Donauauen in mancher Hinsicht den Vergleich nicht zu scheuen braucht.

Aber auch der Englische Garten ist trotz aller gewollt absichtslosen Kunst, mit der man ihn angelegt hat (bekanntlich ist es das Verdienst des Amerikaners Rumford, der die Idee faßte, und des Landschaftsgärtners Skell, der sie in die heutige Form brachte), nur eine Au (vgl. Abb. 61), ebenso die sich fast durch die ganze Stadt ziehenden, bis zur Großhesseloher Brücke reichenden Anlagen, denen man in den sogenannten südlichen Isaranlagen um die »Überfälle« herum mit so viel Glück den ursprünglichen Auencharakter gelassen hat, daß der feiner empfindende Naturfreund ihnen den Vorzug geben wird, wenn er sich wirklich darauf hin prüft, wo ihm die Wanderung mehr Genuß bereitet, im Englischen Garten oder in den »stiefmütterlicher« mit Pflege bedachten Hirschau und Isaranlagen.

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Abb. 60. Charakterbild aus der Auvegetation (Alluvialboden) des Isartales. Motiv am Biedersteiner See. Kennzeichnend ist die Buntheit der Gehölzflora, in der sich Schwarzpappeln, Rüstern, Weiden, Erlen, Ahorne zu einem reichen Buschwerk zusammenfinden. Aufnahme von Frau Dr. A. Friedrich-München.

Immerhin darf man füglich zugeben, daß der Englische Garten jeden Vergleich mit den Parkanlagen in Europa aushält, selbst sein Vorbild, die des Herrn von Pückler-Muskau nicht ausgenommen. Mit so feinem Stilgefühl und richtigem Empfinden für den »Gestus« dessen, was dieser Park ausdrücken soll: die Wandelhalle für geruhsames Nachdenken und gefühlvolle Naturliebe ist seine Architektur, mit der Verteilung großer und majestätischer Baumgruppen, lauschiger Wege und weiter, den Blick ins Freie und Allgemeine lenkender Rasenflächen, mit den eingestreuten Bach-, Wasserfall-, See- und Inselbildern (Abb. 61) aufgebaut, namentlich seit einige aufdringliche Zutaten der sentimentalen Ära von anno Toback (Freundschaftstempel, Exedra, Denkmäler, chinesische Türme und Ruinen) teils entfernt wurden, teils in den Hintergrund getreten sind. Man beachte in diesem Park auf einer Wanderung von der Prinzregentenstraße bis zur Tierärztlichen Hochschule und an ihr entlang namentlich die Kulissenwirkung der sich hintereinander ergebenden Bilder. Schon der Eintritt selbst mit dem Blick auf den Monopteros leitet dieses Bilderbuch mit einer Titelvignette von zartem Ausdruck, wie von Claude Lorrain entworfen, ein. Und man wird zugeben, daß der Künstler, der hier mit Bäumen und Wiesen dichtete, ein bukolisches Gedicht von seltenem Geschmack und zum Herzen sprechender Wirkung geschaffen hat.

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Abb. 61. Zsombék-(Riedgras-) Formation in den Münchner Auen. Motiv vom Kleinhesseloher See im Englischen Garten. Am Rand des Wassers schwimmen in dichten Watten die großen Kieselalgen des Frühlingsflors (vgl. dazu Abb. 49). Der Hintergrund gewährt mit seiner gezackten Baumkontur das typische Bild des Auwaldes. Original von Frau Dr. A. Friedrich-München.

Rein botanisch genommen ist diese ganze Landschaft freilich nichts anderes, als was ihr Edaphon verrät, ihre geologische Geschichte sagt, ihr übles Lokalklima der Nebel und übermäßigen Feuchtigkeit ausdrückt und was eine von Ludwig I. verfaßte Inschrift auf der Exedra in die pathetischen Worte kleidet: Hier wo du wallest, war Sumpf nur und Wald.

Die von rasch dahinschießenden Bächen durchzogene, von stagnierenden Altwässern durchfeuchtete Au, einst schlicht und mit treffendem Lokalismus: Gries benannt, prägte den Charakter. Der Auwald wird von einer Vielheit von Laubbäumen bestimmt, unter denen die Schwarzpappeln, Rüstern, Weiden, Erlen vorwiegen; dazu kommt reichliches und mannigfaltiges Gebüsch (Holunder, Liguster, Berberitzen, Faulbäume, Hartriegel ( Cornus), Hagedorn und Schlehen), an den Rändern zum Trockenboden auch Eschen, Ahorne, Birken; dies ist alles dort, wo die Natur sich überlassen bleibt, wild durchsponnen mit Clematis und da und dort (St. Emeran) auch wildem Hopfen ( Humulus), so daß von selbst der Eindruck einer reichen und beinahe festlichen Natur entsteht.

Im Isartal, unweit den originellen Ruinen bei Höllriegelskreuth, wuchert die Waldrebe ( Clematis) so wild und kräftig, daß ihre armdicken Lianen undurchdringliche Dickichte flechten und an die Wildnis tropischer Landschaften erinnern. Im »alpinen« Winkel Münchens wird übrigens das echte Auenbild durch einen stark hervortretenden alpinen Einschlag verfälscht. Nicht nur durch die vom Fluß angesiedelten Gäste, von denen Dryas, die Silberwurz die häufigste ist, sondern auch durch leuchtend schöne und seltene Orchideen, wie die Fliegenständel ( Ophrys muscifera) und den Frauenschuh ( Cypripedium calceolus), die beide in der Pupplinger Au ihre behördlich geschützten Standorte als »letzte Mohikaner« besiedeln, durch den seltsamen, rotbeerigen Sanddorn ( Hippophaë rhamnoides, besonders an dem Fuß der Großhesseloher Brücke), seltenere Weiden ( Salix daphnoides) und dgl. mehr. In den Isarauen namentlich: Valeriana montana, Ranunculus montanus, Aethionema saxatile, Poa alpina, Linaria alpina, Carex firma, Primula auricula, Aronia rotundifolia [Nordgrenze], Sarothamnus vulgaris [Nordgrenze], Thesium rostratum. Auf den Schotterfeldern breiten sich neben Huflattich überall auch die großen Blätter der Pestwurz, (im Isartal auch die alpine Petasites niveus) und an den Bächen steht (Hirschau) da und dort Röhricht; im Eisbach in der Hirschau wiegt sich sogar die nicht überall wachsende Zannichellia palustris. Wahres Zsombék (Abb. 61) bilden da und dort die Riedgräser. Eine zweite botanische Merkwürdigkeit des Englischen Gartens bei Biederstein ist die schön blühende Hemerocallis flava.

Dem Nichtbotaniker wird es nicht auffallen, daß in den südlichen Isaranlagen weit mehr Föhren zu sehen sind, als im Englischen Garten, wo sie wie die Trauereschen am Kleinhesseloher See nur der Mannigfaltigkeit halber angepflanzt sind, während sie im »alpinen Winkel« sich mit Fichten und Birken zusammen zu einer sehr natürlichen Heide verbinden. Aber uns ist es bereits klar, was das zu besagen hat. Es ist ein Eindringen des subalpinen Vegetationscharakters in die Auennatur (sogar zu einer wahren »Birkenau« gesteigert), begünstigt durch eine dort bestehende Änderung in den Grundwasserverhältnissen.

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Abb. 62 Aronsstab ( Arum maculatum), eine Charakterpflanze der Münchner Auwälder (Englischer Garten). In den blaßgrünen Blütenhüllen fangen sich des Abends Frühlingsmücken, die von der Pflanze erst nach vollzogener Befruchtung entlassen werden. Original, etwas verkl. (Vgl. auch Abb. 63.)

Umso allgemeiner bekannt ist der Reichtum des Englischen Gartens, namentlich in seinem unteren Teile an dem merkwürdigen Aronsstab ( Arum maculatum) (Abb. 62), dessen glänzend frischgrüne Blätter im April zu Tausenden das Unterholz um die Tierarznei-Hochschule herum zieren. Mit ihnen sind auch viele an den Pappeln schmarotzende Schuppenwurzen ( Lathraea squamaria) verbreitet; überall blühen im Lenz Seidelbast und Beinwell ( Symphytum), sowie die schwefelgelben Feigwurzen ( Ficaria), und als eine Art botanischer Spezialität des Englischen Gartens nennt schon Sendtner die Sommerwurz Orobanche leucorum. An den Felsen des Wasserfalles dortselbst grünt als Spezialität das Moos Cinclidotus fontinalis.

Da es nicht meine Absicht sein kann, eine Flora von München zu schreiben, mag es an diesen Charakterzügen des Isarauwaldes genügen, obwohl ihrer noch viele hinzugefügt werden könnten. Aber sie würden Kostbarerem im Dienste meiner Sache den Platz rauben und die Beweiskraft nur mehr überflüssigerweise verstärken.

Nur auf eines hinzuweisen kann ich dennoch nicht unterlassen, denn es gehört zum Lebensbild von München.

Das ist die Tatsache, daß der Englische Garten die größten und ältesten Bäume im Weichbild von München birgt, als Zeugnis, wie gut die »edaphischen« und lokalklimatischen Verhältnisse des Alluvialbodens der Pflanzenwelt bekommen. Im unteren Teil des Parkes erhebt mehr als eine Schwarzpappel ( Populus nigra) ihr Haupt, die trotz der Raschwüchsigkeit dieses Baumes auf Zeiten zurückgeht, in denen München noch eine stadtmauerumgürtete Kleinstadt war. Mehrere dieser Bäume zeichnen sich auch, wie es ihrem hohen, alle anderen Bäume überragenden Wipfel zukommt, durch mächtige Pilasterbildungen (Abb. 63) an ihrem Stamm, sogenannten Plankenwurzeln aus, welche ihnen Widerhalt bei den Stößen der winterlichen Stürme ermöglichen.

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Abb. 63. Plankenwurzeln an einer Schwarzpappel ( Populus nigra), eine Charaktereigentümlichkeit der Auwaldbäume, welche oft isoliert, in lockerem Bestande (vgl. dazu Abb. 60 und 61) sonst dem Winddruck nicht gewachsen wären und sich durch Pfeiler stützen. Im Schatten des Baumes wachsen massenhaft Aronsstäbe (vgl. Bild 62). Motiv aus dem Englischen Garten. Aufnahme von Frau Dr. A. Friedrich-München.

Ganz unbekannt scheint es ferner zu sein, daß die große Esche ( Fraxinus excelsior) nahe am chinesischen Turm der schönste und größte Baum dieser Art in ganz Bayern ist. Auch die allerdings als Nachklang vergangener Zeiten noch mit einem byzantinischen Namen versehene alte Linde am Eingange zur Hirschau ist älter als die meisten Häuser von München und weist zurück auf die gemütlich-idyllische Zeit, da eine Rast unter ihr, bei dem »Ausflug« zum Aumeister noch Bestandteil einer respektablen Tagespartie war, die sich nur die wohlhabenden Münchner Bürger gönnen konnten.

So liegen diese Münchner Auen als eine besondere, wohl in sich abgeschlossene Pflanzenwelt vor uns, deren Sondergesetze in solchem Zusammenhang, wie er hier an die Geschichte der Erde angeschlossen wurde, wohl noch keinem der Zahllosen, die in ihnen spazierend Erholung fanden, bewußt gewesen sind.

An sie schließen aber unmittelbar nach gleichem Gesetz neue Glieder an, wenn man auf solchem Spaziergang auch nach der Tierwelt dieser Auen fragt.

Mit Recht hochberühmt ist die Schmetterlingsfauna des Englischen Gartens (ebenso jene der Isarauen), sowohl in Hinsicht des Reichtums an Formen, hübschen Tieren, wie wegen der vielen, ihnen eigentümlichen und sonst in der Münchner Fauna fehlenden Arten.

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Abb. 64. Typische Tiere des Auwaldes. Zick-zackspinner ( Notodonta zic-zac), deren Raupe nur auf Pappelweiden lebt. Oben das Männchen, unten sitzend das am Tage schlafende Weibchen. Natürliche Größe. Originalaufnahme von Frau Dr. A. Friedrich-München.

Wenn auch wegen des Klimas die Zahl der Individuen nie so groß ist, wie unter glücklicherem Himmel, so kann man dennoch sagen, daß an einem sonnigen Junimittag in der Hirschau ein wahres Fest des Lebens für die bunten Sommergäste abgehalten wird, so viele Feuerlinge, Netzfalter, Gelblinge, Bläulinge, Aurorafalter und vor allem Spanner fliegen hier im glücklichen Licht. Charakterformen dieser Fauna sind die vielen Spanner, allen voran die Larentien, ferner Macrothylacia rubi, Colias croceus, C. myrmidone, dann Vanessa prorsa und levana [besonders typisch für Auen], Thecla rubi, Th. w.-album, Euchloë cardamines, Aurorafalter, namentlich in der Hirschau, Mimas tiliae [Englischer Garten], häufig Cossus cossus in den Weiden an der Isar; auf der Föhringer Seite auch viele Notodonta ziczac (Abb. 64) und N. dromedarius, auch Catocala nupta [das häufigste der roten Ordensbänder], und Cosmotriche potatoria, die Grasglucke, und viele andere unter den Schmetterlingen, die freilich nicht alle ausschließlich Auformen sind.

An den Pappeln der Allee in der Leopoldstraße lebt in München ein Schmetterling von nicht alltäglicher Art, nämlich Sesia tabaniformis, und allerorten erfreut sich der Naturkenner im Auwald der noch immer zahlreichen Bockkäfer, der metallisch blinkenden Rüßler und der dunkelroten Pappelblattkäfer, sowohl der schönen und merkwürdigen Knopfhornwespen, die an der Isar noch überaus häufig sind.

Etwas anders zusammengesetzt, aber auf ihre Weise ebenfalls typisch und different von den anderen Lebenskreisen ist die Schmetterlingsfauna der Isarauen selbst Erwähnenswert sind von diesen vielleicht folgende Formen: die Edelfalter [ Limenitis populi], Perlmutterfalter [ Argynnis paphia], Dickkopf [ Adopea lineola], Paniphila palaemon [charakteristisch für Föhring]; massenhaft vorhanden sind Abendpfauenaugen [ Smerinthus ocellata] in den Auen. Im Isartal soll auch die kleine Tyris fenestrella fliegen [nachprüfen]. Charakteristisch ist der große Gabelschwanz [ Dicranura vinula], ziemlich häufig Lophopteryx camelina, Hypocrita Jacobaea, sehr häufige Flieger sind Earias chlorana, Pygaera pigra, Orthosia lota, die sämtlich Pappelweiden aufsuchen. Nicht jedes Jahr meldet sich der Walnußspinner [ Dasychira pudibunda], dagegen ist die Gegend reich an den grauen Spannern [ Boarmia], an den Berberitzenspannern und weißen Minzebären [ Spilosoma menthastri] sowie Hagedornspannern an den Laternen des Englischen Gartens., in die, wie bereits erwähnt (S. 209), sich auch Tiere mit alpinem Habitus in nicht geringer Zahl mischen.

Zu den Schmetterlingen gesellen sich nun auch echte Auschnecken, als deren nicht zu übergehendes Paradigma ich die merkwürdig zottige Helix villosa aus dem Englischen Garten (Abb. 43) anführen muß. Sie, sowie die Kellerschnecke ( Hyalina nitens), die flachen Patellen, Bulimus obscurus und B. montanus (Walser), auch Helix perversa machen eine Spezialfauna des Isaralluviums aus, nach dem allein schon ein Paläontologe in späteren Erdschichten die Umgrenzung des Alluviums feststellen könnte. Und aus dem Vorhandensein von Clausilia cana, dieser großen Spezialität des Englischen Gartens, könnte auch die Münchner Herkunft einer Alluvialfauna, die sie enthält, einwandfrei festgestellt werden.

Auch das »Isargenist«, d. h. das ausgeworfene Gestrüpp der Isar, entbehrt nicht der Sonderformen aus dem Molluskenreiche. Die kleine Tönnchenschnecke Vertigo monodon ist eine solche; in die gleiche Reihe gehören Vertigo plicata und ihre Verwandten Vertigo pygmaea, pusilla, antivertigo und namentlich die seltene Vertigo leontina, auch V. substriata [nach Clessin, ferner Pupula lineata und die auf der ganzen Erde nur hier vorkommende Vitrella acicula.

Häufige Auschnecken des südlichen Isartailes sind ferner Hyalina Draparnaldii, sowie Helix villosa und H. unidentata unter den Schnirkelschnecken.

Es fehlt demnach nicht an einer scharfen Umrißlinie für die Alluvialfauna, zu der sich auch aus anderen Tiergruppen Zuzügler melden. Im Röhricht der Isarufer bei Ismaning brütet ein echter Auenvogel, die Rohrdrossel ( Salicaria turdoides); auch die Lachmöwen ( Larus), die von dem Maisinger See und Wörthsee herüberstreichen, besuchen ausschließlich den Alluvialboden (den Eisbach); von Augeflügel sind, wenigstens in der Hirschau, wo auch das Wild der Au: die Rehe, noch immer aus und ein gehen, die Wildenten ebenfalls vorhanden. Als Ableger der reichen Vogelwelt der Donauauen kehren wenigstens Eisvögel ( Alcedo ispida) ein, horsten in alten Bäumen einige Eulen ( Strix flammea) und schlüpfen im Laub zahlreiche Ammern und Buchfinken. Sogar an Wasserspitzmäusen ( Crossopus fodiens) fehlt es nicht, wie denn der Münchner Fauna auch die Zwergspitzmaus ( Mus minutus) nicht fremd ist.

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Abb. 65. Typisches Bild der Hochmoore auf der oberbayerischen Ebene. Der Boden, dessen Torf stichreif ist (siehe die Torfhütten im Hintergrund), ist mit Riedgräsern bedeckt und von kleinen, algenreichen Gräben durchzogen; auf den trockenen Stellen gedeihen Fichten, Föhren, selbst Buchen, die sich zu kleinen Gehölzen zusammenschließen. Diese Landschaft konserviert am besten den Charakter des Postglazials. Original.

Wenn demnach ein Lebensbezirk dieser Stadt wohlumschrieben ist, so gilt das gewiß für den alluvialen. Es wäre nun anzunehmen, daß er, der doch zahllose Konvergenzerscheinungen aufweist, mit dem Moor auch in seinen Vertretern eine ununterbrochene Kette von Übergängen zum Dachauer und Schleißheimer Moos mit sich bringen würde. Das ist aber in kaum nennenswerter Weise der Fall. Schon in der Gruppe der Organismen, in der man es am allerehesten erwarten mußte, bei den Kleinlebewesen des Wassers, prägen sich die Unterschiede ganz scharf. In den Isaraltwässern und Tümpeln leben eine Menge Algen und Infusorien, die es im Moos gar nicht gibt; noch mehr gilt dieser Satz umgekehrt. Dabei sehe ich von dem Vergleich mit der Isar völlig ab, da diese wegen ihres raschen Zuges eine vollkommen andere Lebenshaltung für ihre Bewohner bedingt. Das ist natürlich auch die Erklärung dafür, warum von ihren Fischen In der Isar leben von Fischen der Zingel [ Aspro Zingel], der im gesamten Donaugebiet verbreitete Waller [ Silurus glanis], ein Spezialfisch der Isar: die Steinkresse [ Gobio uranoscopus], der Angelfisch oder Rüßling [ Squalius leuciscus], der Strömer [ Telestes Agassizii], die Pfrille [ Phoxinus laevis], ab und zu der Huchen [ Salmo Hucho], höchst selten der Sternhausen [ Acipenser stellatus], die Karausche [ Carassius vulgaris], selten aus dem schwarzen Meer aufsteigend der Stichling [ Pelecus cultratus]. Ob der Zander [ Luciopera Sandra] vorkommt, wird von A. Jaeckel bezweifelt. Gewöhnlich ist noch das Rotauge [ Leuciscus rutilus] und der Rotschiedel [ Aspius rapax kaum der eine oder andere in den Moorgewässern wiederkehrt. Mit unserem Problem hat das nichts zu tun und gehört auf ein anderes Blatt.

Aber erneut sei im Sinne dessen, was zu beweisen mit diesen Naturbildern unternommen ist, darauf hingewiesen, wie arm alle Isartümpel an Zieralgen ( Desmidiaceen) (Abb. 48) sind und wie reich gewisse Tümpel des Dachauer Moores von ihnen bevölkert werden, trotzdem in der Luftlinie beide kaum 9 km voneinander entfernt sind (Ludwigsfeld–Föhringer Auen). Man hat in diesem Fall den Einblick, daß der Kalkgehalt der Wässer, die aus der Isar gespeist werden, den schönen Ziersternen mißgünstig ist, in anderen kann man das der Erscheinung zugrunde liegende Gesetz nicht so einfach deuten. So, wenn aus dem Moorwasser um Dachau das allerliebste Wassernetz ( Hydrodictyon reticulatum) angezeigt wird (J. E. Weiß), das ich auf dem Münchner Boden nicht kenne, von dem ich aber aus eigener Erfahrung weiß, wie reich und üppig es in den stark kalkhaltigen Bächen des Pilisgebirges in Ungarn wuchert. Dagegen kommen Batrachospermum moniliforme, die ungemein zierliche Froschlaichalge und der schon genannte Hydrurus foetidus (vgl. Abb. 46) gleicherweise in den Moorgräben, wie in den kleinen Bächen im Isartal und in der Isar selbst vor; allerdings sind die beiden echte Eiszeitrelikten. Algen, welche aus dem Dachauer Moor beschrieben werden und von mir auf dem Münchner Stadtgebiet nicht gefunden wurden, sind übrigens die von J. Schawo [Beiträge zur Diatomaceenflora Münchens] angegebenen Bacillariaceen: Meridion Zinkenii, Eunotia soleiroli, Pleurosigma scalpellum – im Moor fehlt dagegen Ceratoneis arcus [Überfälle] und Himantidium arcus.

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Abb. 66. Typisches Vegetationsbild des Dachauer Moores. Charakterpflanzen: Sauergräser, Birken, Faulbaumbüsche ( Rhamnus), Moorföhre, Heidekraut. Im Hintergrunde wird die tertiäre Hügellandschaft der Dachauer Gegend sichtbar. Original.

Ähnlich verhält es sich auch in bezug der Muscheln. Die große Malermuschel ( Unio crassus) lebt nach Dr. Walser zwar in der Amper bei Dachau, nicht aber in der Isar und ihren Nebenbächen.

Zwischen dem Alluvium und dem Moorland sind eben nicht weniger wohlumrissene Abgrenzungen, wie zwischen ihm und den Schottern. Das habe ich durch die Analyse des Bodenlebens gezeigt und kann ich ebensogut mit allen anderen, vom Edaphon aus bestimmten Organismen stets aufs neue beweisen. Da ist z. B. die reiche Moorflora, die völlig anders beschaffen ist, wie die der Bachufer im Alluvium. Der Liesch ( Butomus umbellatus), eine der schönsten unserer heimischen Sumpfpflanzen, blüht zwar an der Amper und der Würm, aber nicht an der Isar. Das gleiche läßt sich sagen vom Froschlöffel ( Hydrocharis morsus ranae) und der Krebsschere ( Stratiotes aloïdes), welche dem Münchner völlige Fremdlinge sind. Die weißen Wasserhahnenfüße ( Ranunculus fluitans), welche im Englischen Garten die Wasserläufe an geeigneten Orten überwuchern, sind mir aus dem Moor nur als selten bekannt. Dafür besitzt es im Tannenwedel ( Hippuris vulgaris), der Feuchtes liebenden Montia minor, den Borstengräsern ( Nardus stricta), den Sumpfheidelbeeren ( Vaccinium uliginosum) (viel bei Gröbenzell!) ausgezeichnete Charakterpflanzen, die München abgehen. Oder die, gleich der Wappenblume des Moores, der schon erwähnten Mehlprimel ( Primula farinosa) höchstens auf die Wiesen an der Nordwestgrenze seines Gebietes übergehen, für die das echte Mooredaphon festgestellt ist.

Mit dem Moor finden gewisse Pflanzen sogar ihre geographischen Grenzen. So das Laichkraut ( Potamogeton acutifolius), das weiter südöstlich nicht mehr angetroffen werden kann.

Viel seiner Eigenflora ist, wie es allen Mooren zukommt, Eiszeitrelikt. Nicht nur von der Mehlprimel läßt sich das sagen, sondern auch von den Sumpfheidelbeeren und dem Ledumdickicht. Noch häufiger sind Nordöstler, denen das rauhe, kalte Moor noch besser zusagt, als der allerdings auch nicht gerade warme und trockene Boden Münchens. In diese Kategorie fallen die purpurrot blühende, wilde Siegwurz ( Gladiolus palustris), die sibirische Schwertel ( Iris sibirica) und die Trollblume ( Trollius). Wieder andere sind Tertiärflüchtlinge, denen die sandigen Höhen am Nordrand des Moores wohltun. Dazu gehört die südliche Wasserrose Nymphaea semiaperta im Schleißheimer Moos, auch die Wassernuß ( Trapa natans) in einem Weiher bei Scheyern und die Natternzunge ( Ophioglossum vulgatum), dieser altertümlichste Wasserfarn, der um Dachau auf den Wiesen steht. Ganz besonders zahlreich sind die im Postglazial ins Moor herabgewanderten Alpenpflanzen, die dann isoliert dort sitzen blieben. Das Fettkraut ( Pinguicula alpina), das schöne Läusekraut ( Pedicularis Sceptrum Carolinum), die vielen »Gamsprimeln« ( Primula auricula) (um Gröbenzell), Ranunculus montanus und Alpenhornkraut ( Cerastium alpinum) eröffnen diese Liste, die ziemlich umfangreich ist. Endlich gibt es noch eine ganze Reihe echter Moorbewohner. Der Alm hat seine besondere Charakterpflanze in dem Enzian [ Gentiana utriculosa]; dem Moor eigen ist der Wasserschlauch [ Utricularia intermedia und minor], Sturmia Loeselii, Cineraria spathulaefolia, Orchis palustris (sehr zahlreich), auch O. laxiflorae, Juncus obtusiflorus, die Kreuzkräuter Senecio aquaticus, S. paludosus. Dazu hat das Moor seine besondere Moosflora. Außer Sphagnum gehört dazu Trematodon ambiguus, Trichostomum flexicaule, Catoscopium nigritum, vor allem das seltene Cincliduum stygium.

Alle diese sucht man in München vergebens. Wo sich der Boden ändert, ändert sich mit ihm alles Leben, das er ernährt.

Darum entspricht der Dachauer Moorflora die seit alters her bei allen Sammlern hochberühmte Schmetterlingsfauna, mit deren Morden man jeden Sommertag die eine oder andere netz- und schachtelbewehrte fragwürdige Gestalt beschäftigt findet, die man auf den quellenden Wiesen umherschleichen oder über die dunkelbraunen Gräben hüpfen sieht.

Als die Hauptcharakterform des Moores mag Chrysophanus hippothoë gelten, die mit einer Menge von Spannern, Widderchen, dem Coenonympha Typhon und Argynnis Ino Aus der tatsächlich überraschend schönen Schmetterlingsfauna des Gebietes seien hervorgehoben: Coenonympha oedipus, C. iphis, Melitaea partheniae, M. aurinia, Lycaena arcas [bei Puchheim], Chrysophanus virgaurae, Colias palaeno var. Europomene, Augiades sylvanus, Pygaera pigra [sehr häufig], P. anachoreta [in den Amperauen], Diacrisia sannio [besonders typisch]. Dazu die Haseleule [ Demas coryli] bei Gröbenzell, auf den Weiden Plastenis retusa, Orthosia lota, Plusia festucae, auf den Moorwiesen Erastria uncula, Chrysophanus dorylis, Papilio machaon. Massenhaft fliegt ferner: Melanargia galathea, Satyrus dryas, Lycaena minima, Drepana falcataria, D. lacertinaria [auf Birken], die Silberbindeneule [ Erastria argentula], der Kälberkopfspanner [ Odezia atrata] der Moorwiesen, der große Birkenspanner [ Amphidasis betularia], Earias chlorana auf Weiden, Ino globularia und viele andere. massenhaft die Wiesen belebt. Von seltenen Arten wurden Euridice und Odontosia Carmelita von J. Kranz Aus seiner Faunenaufstellung (J. Kranz, Die Schmetterlinge um München 8°, 1860) seien noch hervorgehoben: Aphantopus hyperanthus, Satyrus phaedra, Melitaea dictynna, Lycaena hylas, Chrysophanus virgaurae, Augiades sylvanus, Psyche viciella, Pygaera anachoreta, Diacrisia sannio, Nonagria typhae, Plastenis retusa, Plusia festucae als im Moor besonders häufige Arten. hervorgehoben.

Auch die Schneckenfauna von Dachau ist interessant und nicht ohne Sonderformen. Zu ihnen gehörte Helix incarnata, die häufige Clausilia similis (aber nicht mehr im Moor) und die vielen beachtenswerten Varietäten von Lymnaeus pereger.

Um das Bild abzurunden, sei auch noch an die Sumpfornis des Moores, wenigstens der vorigen Generation, erinnert, die um 1860 (nach J. Fahrer) noch Silberreiher ( Ardea egretta und A. garzetta), auch Purpurreiher ( Ardea purpurea) in sich schloß.

Damit ist der Kreis vollendet, den ich vom Naturleben in München zu umreißen hatte, um meinen Beweis gültig machen zu können. Durch alle Zeiten und Zonen hat er geleitet: aus fernster Vergangenheit hat er Verständnis für Leben von heute erweckt; mit Gästen aus dem Himalaja, aus Sibirien, Skandinavien, den Alpen und Norddeutschland, immer wieder Norddeutschland, sowie dem Südosten Übrigens setzt sich die Neueinwanderung natürlich noch immer fort und unter dem Einfluß des Weltverkehrs haben sich in letzter Zeit in München heimisch gemacht: Um den Südbahnhof Kochia scoparia, Amarantus silvester, Alsine montana – um Berg a. Laim vom Ostbahnhof her Atriplex litorale und A. oblongifolium, sowie andere Adventivpflanzen. hat er das gute Münchner Land besiedelt gezeigt.

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Abb. 67. Die Dachauer Moorebene, gegen München zu gesehen, mit der Vorstadt von Dachau und deren kennzeichnendem Baustil. Original von Frau Dr. A. Friedrich-München.

Alle Klimate und Zeiten und Gegenden geben sich in München ein Stelldichein! Dieser Ort ist zumindestens Durchgangsstation, wobei der Norden und Osten, sowie die Einwanderung der Gebirgler begünstigt ist.

Alle diese Einwanderer, deren Schicksal durch die großen drei Gesetze von Transgression (Kontinentbildung), Schollenhebung (Gebirgsbildung) und Klimawechsel beherrscht wird, folgen dabei einem Gesetz des Bodens ( Pedologisches Gesetz).

Die Bodenkarte, welche sich auf Grund der Ausführungen des ersten Buches entwerfen ließ, gilt auch für die Tiere und Pflanzen.

So wie es in und um München fünferlei Boden gibt, so existieren auch fünf verschiedene Floren und Faunen.

Die eiszeitlichen Schotter haben ihre bestimmte Bodenwelt; diese zieht den Rohhumus nach sich und, je nach der Situation: die Heide oder den Fichtenwald, an den eine ganz bestimmte Tier- und Pflanzengesellschaft gebunden ist.

Die Lehmdecken haben ihr Edaphon der Kieselalgen und dadurch eine bestimmte pedologische Lebenslage, die zur Buchen- oder Eichenbesiedelung mit ihrer eigenen Lebewelt führt.

Das Alluvium, der Boden der Geococcen und Pinnularien, zieht den Auwald und die mannigfaltigste Tier- und Pflanzenbesiedelung nach sich.

Im südlichsten Teil der Stadt, wo die subalpinen Einflüsse geologisch und klimatisch sich viel mehr fühlbar machen, entsteht eine Kolonie der Älpler von ausgesprochener Eigenart.

Und das Moor, das Land der Nebel und des Mooredaphons, zieht seine eigenen Kinder nach sich, voll Besonderheit, angetan mit eigenster Gewandung.

Die Bodenkarte gilt auch für die Organismen! Das ist das große Ergebnis der mühsamen Kleinarbeit dieses Abschnittes. Gesetzmäßig hängt es vom Boden ab, wer ihn besiedelt, in welche Tracht seine Bewohner gekleidet sind, wie sie leben und was sie schaffen.

Es gibt auch ein »München der Natur«. Mikroorganismen, Pflanzen und Tiere respektieren die Grenzen der Niederterrasse, den Schwemmboden, das alpine Tal der Isar, die Lehmböden und das Moor.

An ein und derselben Kette hängen fernste, größte, kleinste und gegenwärtige Dinge, wie Transgression, Klimagesetz, Schollenhebungen, Edaphon, Pflanzenwelt, Tierbesiedelung, Einwanderer, Landschaftsbild, Fruchtbarkeit. Das Leben kommt nach dem Geschichts- und Klimagesetz und gruppiert sich nach dem des Bodens.

Erdgeschichte und Lebensgeschichte greifen ineinander; das »Tote« und das Lebende sind ein und demselben Zusammenhang untertan. Durch ein Gesetz regiert sich die Natur.

Das sind große, neue und wichtige Einsichten. Schon wenn mit diesem Ergebnis dieses Werk abgeschlossen wäre – es hätte gelohnt, seinetwegen diesen Berg von Studium, Forschung, Tatsachen und Arbeit zu errichten.


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