Theodor Fontane
Graf Petöfy
Theodor Fontane

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Zwölftes Kapitel

Als der Graf sich erhoben und in herzlicher Weise verabschiedet hatte, trat Franziska vom Sofa her ans Fenster. Die frisch eindringende Luft tat ihr wohl, und sie setzte sich an die Brüstung und sah auf das Straßentreiben. Aber an ihrem inneren Auge zogen sehr andere Bilder vorüber: ein Schloß und ein See, Freitreppen und Korridore, Jagdzüge, Wald und Steppen und dazu Kavaliere mit ihren Damen, die flüsterten und kicherten. Und ihre Blicke maßen sich, und sie begegnete dem Hochmut, den man für sie hatte, mit gleich hochmütiger Miene.

Sie hing solchen Bildern noch nach, als Hannah von der Tür her auf sie zukam, ihr zutraulich das Haar zurückstrich und dann sagte: »So soll es nun also doch sein.«

»Hast du gehorcht?«

»Nein. Ich horche nie. Mein Vater selig litt es nicht und sagte, das sei von den kleinen Sünden eine der großen. Was nicht für einen gesprochen wird, das darf man auch nicht hören und wissen wollen. Ich sah den Grafen, als er ging, und las es ihm von der Stirn.«

»Und was sagst du?«

»Ja, Fränzl, was soll ich sagen?«

»Alles, was du denkst.«

»Nun, ich denke vielerlei.«

»Halte mit nichts zurück. Daß du's nicht billigst, das seh' ich, und so kannst du gleich mit dem ›Warum‹ anfangen. Oder sind der Gründe so viele?«

»Ja, viele sind es, Fränzl.«

»Offen gestanden, das ist mir lieb; denn viele sind nicht so schlimm wie einer. Viele bringen sich untereinander um, und was dann übrigbleibt, bedeutet nicht viel. Also nenne sie nur; je mehr, je besser.«

»Er ist alt und du bist jung.«

»Gut.«

»Er ist ungrisch-wienerisch und du bist preußisch-pommerisch.«

»Gut.«

»Er ist katholisch und du bist protestantisch.«

»Gut.«

»Er ist ein Graf und du bist eine Schauspielerin.«

Franziska nickte. »Wohl, Hannah, alles wahr. Aber zuletzt trifft doch das zu, was ich dir eben schon gesagt habe. Sage selbst. Er ist gerade Wiener genug, um den Katholiken, und auch wieder Ungar genug, um den Wiener in Ordnung zu halten. Und so bleibt denn wirklich nichts übrig als ein alter Graf und eine junge Schauspielerin.«

»Und glaubst du, daß die gut zueinander passen?«

»Ich will es nicht als Regel aufstellen. Aber es gibt Ausnahmen, und unter den Ausnahmen ist es eine der gewöhnlichsten und der zulässigsten. Und erklärt sich auch. Im allgemeinen, darin hast du ja recht, gehört zu einem Grafen eine Gräfin; wer wollte das bestreiten? Aber wenn es keine Gräfin sein kann, so kommt nach der Gräfin gleich die Schauspielerin, weil sie, dir darf ich das sagen, der Gräfin am nächsten steht. Denn worauf kommt es in der sogenannten Oberschicht an? Doch immer nur darauf, daß man eine Schleppe tragen und einen Handschuh mit einigem Chic aus- und anziehen kann. Und sieh, das gerade lernen wir aus dem Grunde. So vieles im Leben ist ohnehin nur Komödienspiel, und wer dies Spiel mit all seinen großen und kleinen Künsten schon von Metier wegen kennt, der hat einen Pas vor den anderen voraus und überträgt es leicht von der Bühne her ins Leben.«

»Ich will es gelten lassen, Fränzl. Aber dann bleibt immer noch alt und jung.«

»Hältst du das für so schlimm?«

»Nein. Oder wenigstens nicht immer. Ich könnt' es. Aber man muß seiner sicher sein.«

»Ich glaube, meiner sicher zu sein. Und über diesen Punkt, über den ich jetzt so viel hören muß, auch von dir, muß ich dir mal ein ernstes Wort sagen. Aber du mußt auch aufmerksam sein. Denn ich weiß wohl, wenn dir etwas nicht paßt, so hast du Wachs in den Ohren und antwortest, ohne gehört zu haben.«

»Sprich nur; ich höre schon.«

»Ob ich meiner sicher sei! Ja, liebe Hannah, wer ist schließlich seiner sicher, ganz sicher? Aber sicher oder nicht, du darfst mir nicht immer mit Betrachtungen und einer Angst und Sorge kommen, als ob ich sechzehn wäre, mit anderen Worten also, du darfst nicht sprechen, gerade du nicht, als ob ich, wenn nicht direkt in Passionen steckte, so sie doch jeden Tag zu gegenwärtigen hätte. Du mußt schließlich am besten wissen, wie's steht. Oder müßtest es wenigstens wissen. Ein für allemal also, ich habe keine großen Passionen, ganz gewiß nicht, und wenn ich sie vor Jahr und Tag vielleicht hatte – vielleicht, sag' ich, denn ich habe nicht Lust und Mut, jedes Bagatellgefühl für eine große Passion auszugeben –, so liegen sie hinter mir.«

»Du mußt dich nicht so hineinreden, Franziska; das zeigt nur, daß ich doch vielleicht recht habe. Wenn aber auch nicht, denn wer sieht ins Herz, so hab' ich doch in dem einen recht, um das sich's hier überhaupt nur handelt. Es ist etwas mit dem jung und alt, und dabei bleibt es. Und nun gar in der Ehe.«

»Gewiß ist es was damit. Aber aus einem ganz andern Grunde, wie du glaubst.«

»Und der wäre?«

»Weil die Jahre, wenn sie doppelt und dreifach auftreten, auch das Maß der Unfreiheit verdoppeln und verdreifachen, jener Unfreiheit, in die man sich ohnehin in jeder Ehe begibt. Und da liegt es. Nur da. Früher, als ich noch in meines Vaters Hause war, hab' ich viele Traureden mit angehört, und immer war es dasselbe Thema: ›Begrabt euer eigen Ich.‹ Immer Unterordnung, immer Opfer um des anderen willen. Davor, meine liebe Hannah, erschreck' ich. Zu dem Grafen konnt' ich in diesem Sinn nicht sprechen und sprach ihm deshalb von Kränkungen und Nadelstichen, die meiner vielleicht harren würden und gewiß auch harren werden, aber der eigentliche Grund ist doch der, den ich dir eben genannt habe, die Freiheitsfrage. Jetzt beherrsch' ich ihn. Ob ich ihn als Gräfin auch noch beherrschen werde, dünkt mir zweifelhaft, ohne daß ich deshalb an einen Oger oder Blaubart denke. Durchaus nicht. Er ist innerlich viel zu fein und vornehm und nebenher auch viel zu sehr von mir eingenommen, um jemals den launenhaften Tyrannen zu spielen; er wird mir immer zuliebe leben und meine Wünsche belauschen und erfüllen. Aber je mehr er das tut, je weniger frei werd' ich sein und mich auch meinerseits schicken müssen. Ich weiß wohl, daß man das soll. Aber ob ich's auch immer können werde? Nimm eine Kleinigkeit. Du weißt, ich liebe Nelken, und hätt' ich mir nicht eben erst all und jede Passion abgesprochen, so hätt' ich nicht übel Lust, mir eine regelrechte Nelkenpassion zuzuschreiben. Und nun stelle dir vor, daß er vielleicht Nelken nicht leiden oder wenigstens den Geruch davon nicht ertragen kann. Was würde geschehen? Ich würde natürlich sofort auf meine Lieblingsblume verzichten, aber doch zugleich den Wunsch und das Verlangen darnach nie mehr loswerden. Und so könnt' es sich ereignen, daß ich aus Sehnsucht nach einer Blume krank und unglücklich würde. Lache nicht, solche Torheiten kommen vor. Alles in allem, ich bin zu lange meinen eigenen Weg gegangen; Unterordnung und Ehe sind immer schwer, aber sie werden schwerer, wenn zu der eheherrlichen Autorität auch noch die der Jahre kommt.«

»Und warum willst du's, wenn du so denkst? Warum tust du's?«

»Weil unser Herz ein kompliziertes Ding ist, ein Ding mit vielen und oft widerstreitenden Wünschen, und weil die Freiheit, so hoch ich sie stelle, doch schließlich nicht alles in der Welt bedeutet. Es gibt eben auch anderes noch, Dinge, die gelegentlich noch mehr bedeuten oder wenigstens bedeuten können.«

»Ja, bei gewöhnlichen Leuten.«

»Auch bei sehr nicht-gewöhnlichen. Umgekehrt; je höher hinauf, je mehr hab' ich recht. Oder glaubst du beispielsweise, daß es leicht sei, der Freund eines Prinzen oder Erzherzogs zu sein? Du schüttelst den Kopf. Nun gut, also nicht leicht. Und nun sieh dir den Grafen Pejevics an, den du ja kennst und gern hast und der mir ganz wundervoll hierher paßt, wie gerufen. Wie steht es nun mit dem Grafen? Er ist ein großer Magnatensohn, einer der Allerreichsten und Vornehmsten, also natürlich auch der Freiesten, und wenn er auf seine Güter geht, so küßt ihm alles den Rockschoß und, wenn er will, auch die Steigbügel. Und doch ist er hier und spielt den Erzherzogsadjutanten und Galopin. Und warum das alles? Einfach, weil die Abhängigkeit von einem Erzherzog ihm schließlich doch noch mehr bedeutet als seine ganze Magnatenfreiheit, Rockschoß- und Steigbügelkuß mit eingeschlossen. Und ähnlich ergeht es mir. Offen gestanden, ich hätt' es vor kurzem noch nicht gedacht und mich anders taxiert. Aber tritt erst mal die Versuchung an uns heran, so merken wir bald, daß wir nicht anders sind als andere; die Weltlust reißt uns hin und nicht zum wenigsten der Ehrgeiz. Ja, der Ehrgeiz ist ein großer Versucher.«

»Aber nicht der größte.«

»Welcher andere?«

»Sag es dir selbst.«

In diesem Augenblick hörten beide, daß draußen die Glocke gezogen wurde, zweimal, aber nicht stark, und Hannah ging, um nachzusehen. Ein Diener gab ohne weitere Bemerkung ein Bukett ab, in das eine Karte gesteckt war. Auf der Karte selbst aber stand: »Egon Graf Asperg«.

Franziska wurde rot. Wußte der junge Graf schon von dem Geschehenen? Oder war es ein Spiel des Zufalls?


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