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Homo homini deus.
I.
Kurt Breysig: (zu S. 9 u. 11). Die Entstehung des Gottgedankens und der Heilbringer, Berlin 1905. S. 200 f.
»Die Zahl der Berührungen des Urzeitmenschen mit dem Tier ist ausserordentlich gross. Das Tier wird nicht allein zum Ahnherrn erhoben, zum Heilbringer, zum Gott, es gilt auch als fast ebenbürtig, man traut ihm Sprache, Verstand, Stammes- und Familienordnung zu, man ahmt es in Spiel und Tanz nach, man lauscht ihm seine Nahrung, seine Arzneien ab, man widmet ihm mehr als die Hälfte aller der plaudernden Erzählungen, aus denen alle epische Dichtung hervorgegangen ist, und noch die Zierkunst entnimmt zu einem Teil der Gestalt des Tieres ihre Schmucklinien. Könnte nicht aus dem allen ein letzter Nachhall der Abstammung des Menschen vom Tier herauszuhören sein? Und wer seiner Phantasie die Zügel schiessen lassen wollte, könnte wohl gar auf den Gedanken kommen, dass die Verherrlichung des Heilbringers selbst gar dem oder den Urahnen der Menschheit gelte, die einen der entscheidenden Schritte vom Tier zum Menschen getan hätten, so dass dann in Wahrheit, wie in so vielen heiligen Sagen behauptet wird, der erste Mensch zum Gott gemacht worden wäre. Aus dem Bereich der Möglichkeit fallen derlei Annahmen doch nicht, stellt man sich die tragenden Vorstellungen der frühesten Menschheit nur so dumpf und schwach und schwimmend vor, wie nötig ist.
Doch von all diesen, ein Vielleicht auf das andere türmenden Gedankenbauten kehrt das Auge zurück zu den besser gesicherten Ursprüngen des Gottesgedankens bei den einzelnen Völkern und Stämmen. Und überfliegt es auch hier die in Dämmer und Dunkel gehüllten Strecken, die von Tier zu Pflanze und Stein rückwärts führen, so verweilt es um so beruhigter auf dem Punkt der Entwicklung, wo der Mensch sich aus dem Tier losringt, wo der Heilbringer auftritt, als Keim, als Vorform der Gottesgestalt. Hier ist alle wesentliche Erkenntnis gesichert, hier aber zeigt sich um so unwiderleglicher, dass die Gottesgestalt aus der des heldischen, starken, weisen Menschen hervorgegangen ist. Und so oft man sich auch in der Ueberzeugung bestärkt haben mag, dass noch jede Gottesgestalt von dem Menschen als sein Ebenbild geschaffen worden ist, sie blieb eine allgemeine, allzu leere, allzu blasse Annahme. Aber sie gewinnt Farbe und Greifbarkeit und in Wahrheit überwiegende Kraft, wenn immer wieder, bei allen geistvollen Völkern und zugleich bei kinderjung gebliebenen, bei den Trägern der Weltgeschichte und bei den jugendlich unreif zurückgebliebenen Zeugen früherer Entwicklungsstufen der Wandel des menschlichen Heilbringers in den eigentlichen Gott aufgezeigt wird.
Sehr hoch warf der Mensch sein Bild vor sich, über sich. Er hob es hoch zum Himmel, dass es ihm zuletzt unerreichbar wurde. Aber so tief er sich auch zuletzt vor diesen Gestalten beugte, nachdem er sie ins Unermessliche gesteigert hatte, es erhebt doch zu denken, dass er selbst es war, der sie bildete. Er hob sie aus den Reihen seines eigenen Geschlechtes, hielt sie zuerst nur hoch, ohne sich ein spöttisches Lachen über sie zu verwehren. Mochte er sie später steigern, weiter, immer weiter, Mass für Mass erhöhen, bis sie endlich in den Wolken vor seinen Blicken entschwanden, mochten sie von dort zuletzt eine Gewalt über ihn ausüben, der zu entgehen, er sich selbst in immer neuer Demütigung die Kraft genommen hatte, er war es doch gewesen, der einst den Gott geschaffen hatte, als ein Bild, das ihm gleich sei.
Und fast noch mehr heisst es, dass es nicht eigentlich ein Gebilde seiner Einbildungskraft war, an das er zuerst seine Verehrung heftet, sondern ein wirklicher leibhafter Mensch. Allerdings ein gewesener. Man bedurfte, um zu vergöttern, einer Entfernung, und diesen Abstand der Verehrung schuf man sich, indem man die aufgehöhte Gestalt in die Vorzeit entrückte. Aber welch hohe Vorstellung ist es, dass nicht aus den Gespensterschatten der Seelen, der Geister, nicht aus den fast noch leeren Schemen abgezogener Naturbegriffe, nein, aus dem warmen Leben eines wirklichen Menschen der Gott emporstieg. Es ist der grösste Sieg, den je der Gedanke der Persönlichkeit in aller Geschichte der Menschheit davongetragen hat.«
II.
Ludwig Feuerbach:
»Sei religiös! heisst: bedenke, was du bist: – ein Mensch, ein Sterblicher! Nicht das sogenannte Gottesbewusstsein, sondern das Menschenbewusstsein ist ursprünglich oder an sich das Wesen der Religion (in ihrem bleibenden positiven Sinn) – das Bewusstsein oder Gefühl, dass ich Mensch, aber nicht die Ursache des Menschen bin, lebe, aber nicht die Ursache des Lebens, sehe, aber nicht die Ursache des Sehens bin. Die Religion in diesem Sinne aufheben wollen, wäre ebenso unsinnig, als wenn man ohne Talent bloss durch seinen Willen und Fleiss sich zum Künstler machen wollte. Ohne Talent, und folglich ohne Beruf ein Werk beginnen, heisst es ohne Gott beginnen; mit Talent es beginnen, heisst es mit Erfolg, heisst es mit Gott beginnen.« Vorlesungen über das Wesen der Religion, S. 407.
»Die Religion ist eine Kategorie d. h. eine wesentliche Form des menschlichen Geistes, namentlich als Volks-Geistes. Die verschiedenen Religionen haben daher einen gemeinschaftlichen Grund, und, so verschieden sie der Materie nach sein mögen, gemeinschaftliche Gesetze. So verschieden die orientalische und okzidentalische Philosophie sind, nicht nur die logischen, auch die metaphysischen Gesetze, die Vernunftformen, die allgemeinen Ideen sind doch überall dieselben – daher die frappante Aehnlichkeit, daher die Erscheinung, dass selbst Termini, die rein willkürlich ersonnene scheinen, wie die scholastische Häcceitas sich im Sanskrit vorfinden. So ist es auch mit den verschiedenen Religionen. Entweder dürfen wir gar von keiner Religion der Heiden reden, oder wir müssen eine Identität zwischen der heidnischen und christlichen Religion anerkennen. Diese Identität ist aber nichts anders als die Natur der Religion überhaupt. Selbst der Fetischismus trägt noch, wenn auch in der grässlichsten Entstellung, als Karikatur die Spuren von dem Wesen der Religion an sich, Spuren, die für den Denker, um in das geheime Wesen der Religion einzudringen, ebenso wichtig sind, als die Zustände der Leidenschaftlichkeit und Verrücktheit zur Erkenntnis des psychologischen Menschenwesens. Die bei verschiedenen Nationen namentlich des Orients sich vorfindenden, den christlichen Vorstellungen frappant ähnlichen Vorstellungen sind daher keine Ueberbleibsel einer ursprünglichen, historisch dagewesenen Religion oder Vorbedeutungen der christlichen Religion, sondern aus der Natur der Religion, aus ihren innern Gesetzen, aus ihrem Wesen entsprungene, notwendige, der Religion notwendige Vorstellungen. Die Gesetze der Religion sind eben die notwendigen Vorstellungen, den Unterschied, den allerdings wesentlichen Unterschied bildet nur der Inhalt, der bestimmte Gehalt dieser Vorstellungen, der selbst ein irreligiöser, d. i. dem wahren Wesen der Religion widersprechender sein kann. Die christliche Religion hat also einen notwendigen Ursprung, einen in der Natur der Religion begründeten Ursprung. Sie musste so sein, wie sie ist, wollte sie anders dem Wesen der Religion entsprechen. – – – – – – – –
Sollte euch indes der ... angedeutete Ursprung eurer Religion aus der Natur der Religion ... zu despektierlich, zu gemein erscheinen, so erinnere ich euch nur an euern Wunderglauben, den ihr mit allen andern Völkern gemein habt. Wenn ihr gleich viel von der Göttlichkeit und innern Wahrheit der Lehre redet, und, wenn ihr so redet, sehr liberal mit den Wundern tut und keinen besondern Wert auf sie zu legen scheint, so sieht man doch dann, wenn einer negativ gegen sie auftritt, an eurer Wut über ihn, dass euch allerdings die Wunder etwas sehr Positives sind, dass ihr also anders redet als ihr denkt. Wer euch nämlich die Mirakel nimmt, der gilt euch für einen Unchristen. Der Mirakelglaube ist also mit euch verwachsen, identisch mit dem Christentum. Nun findet sich aber der Mirakelglaube in allen Volksreligionen. Nach allen Gesetzen der Wahrheit und Vernunft ist daher der Schluss gerechtfertigt: das Mirakel ist ein natürliches Bedürfnis, eine Kategorie der Volksreligion. Die Wunder des Christentums sind aus demselben Bedürfnis entsprungen, aus derselben Notwendigkeit, aus welcher die Wunder des Heidentums. Der Wunderglaube ist ein psycho-logisches Gesetz; die Wunder sind nichts weniger als übernatürliche, sie sind sogar gesetz- und naturgemässe Erscheinungen des religiösen Geistes. Wodurch ihr euch von den Heiden unterscheidet, ist nur der Zweck, die Qualität, die Spezies eurer Wunder. Wollt ihr euch daher der natürlichen Abkunft eurer Religion schämen, so schämt euch vor allem eures Wunderglaubens, der einen sehr natürlichen Ursprung hat. Wollt ihr mir entgegnen, dass eure Wunder gar nicht in Vergleich zu setzen seien mit den Wundern der Heiden, weil eure wahre, ihre Wunder falsche wären, euer Wunderglaube daher ein begründeter, der ihrige ein irriger war, so erwidere ich, dass die Frage, ob ein Wunder ein wahres oder falsches ist, richtiger ob geschehen oder erdichtet – denn Wahrheit ist kein Wunder, auch wenn es geschieht, Wahrheit ist das Gesetz, die Vernunft, die Regel, nicht die Exzeption, die Aufhebung des Gesetzes, der abnorme Fall – dass diese Frage, sage ich, eine ganz untergeordnete und hier gar nicht zur Sache gehörige ist; denn wenn auch die Wunder der Heiden nur erdichtete, falsche Wunder waren, so war ihnen doch das Wunder, ebenso wie euch, ein Bedürfnis, eine notwendige Vorstellung ihrer Religion. Wenn aber der Glaube an die falschen Wunder aus demselben Bedürfnisse kommt, aus welchem der eurige, so kommt auch umgekehrt euer Wunderglaube aus derselben Quelle, aus welcher der Wunderglaube der Heiden. Eure wahren Wunder beruhen auf demselben innern Grunde, auf welchem ihre falschen, ihr mögt nun auch noch so sehr eure Wunder distinguieren und darauf pochen, dass sie bei euch nur zur Bestätigung von Wahrheiten dienen sollen und daher einen ganz andern Sinn als bei den Heiden haben. Das Wunder ist eine notwendige Vorstellung der Religion, angeschaut als Faktum, als eine Begebenheit; der Glaube an das Wunder ist das Wesen des Wunders. Der Glaube bindet sich nicht an die Gesetze der Vernunft und Natur, folglich nicht an die Gesetze der historischen Wahrheit und Wirklichkeit. Es ist daher ein merkwürdiger Widerspruch in dem Wunderglauben, dass er die Sinne als das letzte entscheidendste Zeugnis der Gewissheit für sich haben will, während er doch den Sinnen alle Wahrheit und Gewissheit abspricht, indem er die Gesetzmässigkeit der Sinnenerscheinung aufhebt, dass er mit natürlichen Augen Ueber-, d. h. Wider-natürliches sehen will, sehen zu können glaubt. Das Wunder ist kein Objekt des Sinnes, wie es kein Objekt der Vernunft, des denkenden Geistes ist.« Feuerbach: Pierre Bayle, S. 35 ff.
»Die Religion Im landläufigen Sinne. ist ... das kindliche Wesen des Menschen. Oder: in der Religion ist der Mensch ein Kind ... Die Religion hat ihren Ursprung, ihre wahre Stellung und Bedeutung nur in der Kindheitsperiode der Menschheit, aber die Periode der Kindheit ist auch die Periode der Unwissenheit, Unerfahrenheit, Unbildung oder Unkultur. Die in späteren Zeiten entstandenen Religionen, wie die christliche, die man als neue bezeichnet, waren keine wesentlich neue Religionen; sie waren kritische Religionen; sie haben die aus den ältesten Zeiten der Menschheit stammenden religiösen Vorstellungen nur reformiert, vergeistigt, dem fortgeschrittenen Standpunkt der Menschheit angepasst. Oder wenn wir auch die späteren Religionen als wesentlich neue fassen, so ist doch die Periode, wo eine neue Religion entspringt, im Verhältnis zu der späteren Zeit die Periode der Kindheit. Gehen wir nur auf das uns nächste, auf die Zeit zurück, wo der Protestantismus entstanden. Welche Unwissenheit, welcher Aberglaube, welche Roheit herrschten damals! Welche kindische, rohe, pöbelhafte, abergläubische Vorstellungen hatten selbst unsere gotterleuchteten Reformatoren! Aber eben deswegen hatten sie auch gar nichts anderes im Sinne, als nur eine religiöse Reformation, ihr ganzes Wesen, namentlich Luthers, war nur von dem religiösen Interesse in Beschlag genommen. Die Religion entspringt also nur in der Nacht der Unwissenheit, der Not, der Mittellosigkeit, der Unkultur, in Zuständen, wo eben deswegen die Einbildungskraft alle andern Kräfte beherrscht, wo der Mensch in den überspanntesten Vorstellungen, den exaltiertesten Gemütsbewegungen lebt; aber sie entspringt zugleich aus dem Bedürfnis des Menschen nach Licht, nach Bildung oder wenigstens nach den Zwecken der Bildung, sie ist selbst nichts andres, als die erste, aber selbst noch rohe, pöbelhafte Bildungsform des Menschenwesens; daher eben jede Epoche, jeder gewichtige Abschnitt in der Kultur der Menschheit mit der Religion beginnt.« Vorlesungen über das Wesen der Religion, S. 269 f. ...
»Alle Künste, alle Wissenschaften oder vielmehr die ersten Anfänge, die ersten Elemente derselben, – denn so wie eine Kunst, eine Wissenschaft sich entwickelt, vervollkommnet, so hört sie auf Religion zu sein, – waren anfänglich Sache der Religion und ihrer Vertreter, der Priester. So war die Philosophie, die Poesie, die Sternkunde, die Politik, die Rechtskunde, wenigstens die Entscheidung schwieriger Fälle, die Ermittelung von Schuld und Unschuld, ebenso die Arzneikunde einst eine religiöse Sache und Angelegenheit.« (271) ...
»Wir haben an der ägyptischen Heilighaltung der ägyptischen Arzneimittel ein deutliches Beispiel, wie die ersten Bildungs- und Kulturmittel Sakramente sind.« (272) ...
Aber eben weil der Mensch die ersten Heilmittel, die ersten Elemente der menschlichen Bildung und Glückseligkeit zu Sakramenten machte, so wurde im Laufe der Entwickelung der Menschheit stets die Religion der Gegensatz der eigentlichen Bildung, der Hemmschuh der Entwickelung; denn jeder Neuerung, jeder Veränderung in der alten hergebrachten Weise, jedem Fortschritt setzte sich die Religion feindlich entgegen. (273)
Erst dann werden die Menschen wahrhaft moralisch und selig werden, wenn sie keinen Gott mehr haben, keine Religion mehr bedürfen; denn nur so lange eine Kunst noch unvollkommen, noch in den Windeln liegt, bedarf sie des religiösen Schutzes; denn eben durch die Religion füllt der Mensch die Mängel seiner Bildung aus; nur aus Mangel an universeller Bildung und Anschauung macht er, wie der ägyptische Priester seine beschränkten Arzneimittel, seine moralischen Heilmittel zu Sakramenten, seine beschränkten Vorstellungen zu heiligen Dogmen, die Eingebungen seines eigenen Geistes und Gemütes zu Geboten und Offenbarungen Gottes. Kurz Religion und Bildung widersprechen sich, obgleich man allerdings die Bildung, insofern als die Religion die erste, älteste Kulturform ist, die wahre, die vollendete Religion nennen kann, so dass nur der wahrhaft Gebildete der wahrhaft Religiöse ist. Indes ist dies doch ein Missbrauch der Worte; denn mit dem Worte Religion verknüpfen sich immer abergläubische und inhumane Vorstellungen; die Religion hat wesentlich der Bildung widerstrebende Elemente in sich, indem sie die Vorstellungen, Gebräuche, Erfindungen, die der Mensch in seiner Kindheit machte, auch dem Menschen in seinem Mannesalter noch zu Gesetzen machen will ... Und so wie es uns jetzt lächerlich und unbegreiflich ist, wie ein Gebot des natürlichen Anstandes Der Befehl Jahves, dass die Israeliten sich ihrer natürlichen Notdurft an einem besonderen Orte, an einem Abtritte, entledigen sollten. einst ein religiöses war, so wird es einst den Menschen, wenn sie aus dem Zustande unserer Scheinkultur, aus dem Zeitalter der religiösen Barbarei heraus sein werden, unbegreiflich vorkommen, dass sie die Gesetze der Moral und Menschenliebe, um sie auszuüben, als Gebote eines Gottes denken mussten, der sie für das Halten derselben belohnt, für das Nichthalten derselben bestraft. (275)
Mit jeder Religion, die auf theologischen Grundlagen beruht, ... ist Aberglaube verbunden; aber der Aberglaube ist jeder Grausamkeit und Unmenschlichkeit fähig. Man kann sich hier nicht mit dem Unterschiede von falscher und wahrer Religion oder Religiosität helfen. Die wahre Religion, von welcher man alles Schlechte und Grauenhafte weglässt, ist nichts, als die durch Bildung, durch Vernunft beschränkte, erleuchtete Religion. Und wenn daher Menschen, welche sich zu dieser Religion bekennen, die Menschenopfer, die Ketzerverfolgungen, die Hexenverbrennungen, die Todesstrafen »armer Sünder« und dergleichen Greueltaten theoretisch und praktisch, mit Worten und mit der Tat verwerfen, so kommt das nicht auf Rechnung der Religion, sondern auf Rechnung ihrer Bildung, ihrer Vernunft, ihrer Gutmütigkeit und Menschlichkeit, die sie nun natürlich auch in die Religion hineintragen. (277)
Die Religion hat dadurch, dass sie das Unwillkürliche zu etwas Willkürlichem, die Kräfte und Produkte der Natur zu Gaben, zu Wohltaten macht, welche den Menschen zur Dankbarkeit und Verehrung gegen ihre Urheber, die Götter verpflichten, den Schein einer tiefen Humanität und Bildung für sich, während die entgegengesetzte Anschauung, welche die Güter des Lebens als unfreiwillige Erzeugnisse der Natur ansieht und annimmt, den Schein der Unempfindlichkeit und Roheit gegen sich hat ... Wir müssen uns aber durch diesen religiösen Heiligenschein nicht blenden lassen, sondern vielmehr erkennen, dass der Trieb des Menschen, alle Naturwirkungen aus einer persönlichen Ursache, die guten aus einem guten Willen oder Wesen, die schlimmen aus einem bösen Willen oder Wesen, abzuleiten, in dem rohsten Egoismus seinen Grund hat, dass nur aus diesem Triebe die religiösen Menschenopfer und andere Greuel der Menschengeschichte entsprungen sind; denn derselbe Trieb, der für das Gute, was er geniesst, ein persönliches Wesen zum Danken und Lieben bedarf, derselbe bedarf auch für das Ueble, was ihm widerfährt, zum Hassen und Erwürgen ein persönliches Wesen, sei es nun ein Jude oder ein Ketzer oder ein Zauberer oder eine Hexe. Ein und dasselbe Feuer war es, welches zum Danke für die Güter der Natur zum Himmel emporloderte und welches zur Strafe für die Uebel der Natur die Ketzer, Zauberer und Hexen verbrannte. Ist es daher ein Zeichen von Bildung und Humanität, dem lieben Gott für einen wohltätigen Regen zu danken, so ist es auch ein Zeichen von Bildung und Humanität, einen verderblichen Hagelschlag dem Teufel und seinen Genossen aufzubürden. Wo alles Gute von der göttlichen Güte herkommt, da kommt notwendig auch alles Uebel von der teuflischen Bosheit her. Eines lässt sich nicht vom andern absondern. Nun ist es aber offenbar ein Zeichen der tiefsten Roheit, wenn der Mensch die seinem Egoismus widersprechenden Naturwirkungen einem bösen Willen schuld gibt ... Folglich ist es auch ein Zeichen von Unbildung, von Roheit, von Egoismus, von Befangenheit in sich, wenn der Mensch die entgegengesetzten, die wohltätigen Naturereignisse einem guten oder göttlichen Willen zuschreibt. Unterscheidung: Ich bin nicht Du, Du bist nicht Ich – ist die Grundbedingung, das Grundprinzip aller Bildung und Humanität. Wer aber die Naturwirkungen dem Willen zuschreibt, der unterscheidet nicht zwischen sich und der Natur, zwischen seinem und ihrem Wesen, der verhält sich daher zu ihr auch nicht so, wie er sich verhalten soll. Das wahre Verhalten zu einem Gegenstande ist das seinem Unterschied von mir, seinem Wesen gemässe; dies Verhalten ist allerdings kein religiöses, aber auch kein irreligiöses, wie der gemeine und gelehrte Pöbel sich vorstellt, welcher nur den Gegensatz von Glauben und Unglauben, von Religion und Irreligion, aber nicht ein Drittes, Höheres über beiden kennt. Sei so gut, liebe Erde, sagt der Religiöse, und gib mir eine gute Ernte. Die Erde mag wollen oder nicht, sie muss mir Früchte geben, sagt der Irreligiöse, der Polyphem; die Erde wird mir geben, sagt der wahre, weder religiöse noch irreligiöse Mensch, wenn ich ihr gebe, was ihrem Wesen gebührt; sie will weder geben, noch muss sie geben – nur das Gezwungene, Widerwillige muss – sondern sie wird bloss geben, wenn alle Bedingungen auch meinerseits erfüllt sind, unter denen sie etwas geben oder vielmehr hervorbringen kann. (408 f.)
»Gott ist so, wie ich ihn glaube, wie ich ihn mir einbilde, oder: die Beschaffenheit Gottes hängt von der Beschaffenheit meiner Einbildungskraft ab. Was aber von der Eigenschaft, gilt auch von dem Dasein Gottes. Glaube ich, dass ein Gott ist, so ist ein Gott, scil. für mich; glaube ich nicht, dass er ist, so ist auch keiner, scil. für mich. Kurz, ein Gott ist ein eingebildetes Wesen, ein Wesen der Phantasie; und weil die Phantasie die wesentliche Form oder das Organ der Poesie ist, so kann man auch sagen: die Religion ist Poesie, ein Gott ist ein poetisches Wesen.
Wenn man die Religion als Poesie auffasst, so liegt die Folgerung nahe, dass, wer die Religion aufhebt, d. h. in ihre Grundbestandteile auflöst, auch die Poesie, die Kunst überhaupt aufhebt. In der Tat hat man diese Folgerung aus meinen Aufklärungen über das Wesen der Religion gezogen, und daher die Hände über den Kopf zusammengeschlagen vor Entsetzen über die grässliche Verödung, die in das Menschenleben durch diese Lehre gebracht würde, da sie allen poetischen Schwung der Menschheit raube, mit der Religion auch die Poesie zerstöre. Gottfried Keller, der im Revolutionsjahr 1848 in Heidelberg zu Füssen Feuerbachs gesessen und seine dreissig Vorlesungen über das Wesen der Religion gehört hat, bekannte später, dass ihm Feuerbach für seine neue Entwickelung weit wichtiger geworden sei als alle übrigen Beziehungen. »Wie trivial«, schreibt er, »erscheint mir gegenwärtig die Meinung, dass mit dem Aufgeben der sogenannten religiösen Ideen alle Poesie und erhöhte Stimmung aus der Welt verschwinde. Im Gegenteil: Die Welt ist mir unendlich schöner und tiefer geworden, das Leben wertvoller und intensiver, der Tod ernster und bedenklicher und fordert mich nun erst mit aller Macht auf, meine Aufgabe zu erfüllen und mein Bewusstsein zu reinigen und zu befriedigen, da ich keine Aussicht habe, das Versäumte in irgend einem Winkel der Welt nachzuholen.« (vergl. Gottfr. Kellers Leben, Briefe und Tagebücher, herausgeg. v. Jakob Bächtold, Bd. I. S. 362, u. Bd. II. S. 168, zitiert nach Heinrich Schmidts Einleitung zur Volksausgabe von Feuerbachs: Das Wesen der Religion, 30 Vorlesungen, Leipzig, Kröner 1908.) Aber ich wäre der Tollheit, dem Wahnsinn verfallen, wenn ich die Religion in dem Sinne aufheben wollte, als meine Gegner mir schuld geben. Ich hebe nicht die Religion auf, nicht die subjektiven, d. i. menschlichen Elemente und Gründe der Religion, nicht Gefühl und Phantasie, nicht den Drang, sein eigenes Inneres zu vergegenständlichen und zu personifizieren, was ja schon in der Natur der Sprache und des Affekts liegt, nicht das Bedürfnis, die Natur, aber auf eine ihrem Wesen, wie es uns vermittelst der Naturwissenschaft bekannt geworden ist, entsprechende Weise zu vermenschlichen, zu einem Gegenstand religions-philosophisch poetischer Anschauung zu machen. Ich hebe nur den Gegenstand der Religion, oder vielmehr der bisherigen Religion auf; ich will nur, dass der Mensch nicht mehr sein Herz an Dinge hänge, die nicht mehr seinem Wesen und Bedürfnis entsprechen, die er folglich nur im Widerspruch mit sich glauben und verehren kann. Es gibt allerdings viele Menschen, bei denen sich die Poesie, die Phantasie nur an Gegenstände der überlieferten Religion anknüpft, denen man daher mit diesen Gegenständen auch alle Phantasie nimmt. Aber viele sind noch nicht alle, und was für viele notwendig, ist deswegen noch nicht an sich notwendig. Liefert uns denn aber nicht das menschliche Leben, nicht die Geschichte, nicht die Natur Stoff genug zur Poesie? Hat die Malerei keinen Stoff mehr, wenn sie nicht mehr die Gegenstände der christlichen Religion zu ihren Stoffen nimmt? Ich hebe so wenig die Kunst, die Poesie, die Phantasie auf, dass ich vielmehr die Religion nur insofern aufhebe, als sie nicht Poesie, als sie gemeine Prosa ist. Damit kommen wir sogleich auf eine wesentliche Beschränkung des Satzes: die Religion ist Poesie. Ja, sie ist es; aber mit dem Unterschiede von der Poesie, von der Kunst überhaupt, dass die Kunst ihre Geschöpfe für nichts andres ausgibt, als sie sind, für Geschöpfe der Kunst; die Religion aber ihre eingebildeten Wesen für wirkliche Wesen ausgibt. Die Kunst mutet mir nicht zu, dass ich diese Landschaft für eine wirkliche Gegend, dieses Bild des Menschen für den wirklichen Menschen selbst halten soll, aber die Religion mutet mir zu, dass ich dieses Bild für ein wirkliches Wesen halten soll.« (232 f.)
»Ich habe behauptet, dass die Einbildungskraft das wesentliche Organ der Religion ist, dass ein Gott ein eingebildetes, bildliches Wesen, und zwar ein Bild des Menschen ist, dass auch die Naturgegenstände, wenn sie religiös angeschaut werden, menschenähnliche Wesen, eben deswegen Bilder des Menschen sind, dass auch der geistige Gott der Christen nur ein durch die Einbildungskraft des Menschen erzeugtes, ausser den Menschen hinausgesetztes, als ein selbständiges, wirkliches Wesen vorgestelltes Bild des Menschenwesens ist, dass also die Gegenstände der Religion, natürlich so, wie sie ihr Gegenstand sind, nicht ausser der Einbildungskraft existieren. Gegen diese Behauptung haben die Gläubigen, insbesondere die Theologen entsetzlich deklamiert und ausgerufen: wie ist's möglich, dass das eine blosse Einbildung sei, was Millionen soviel Trost gewährt hat, dem Millionen selbst ihr Leben aufgeopfert haben? Aber das ist gar kein Beweis für die Wirklichkeit und Wahrheit dieser Gegenstände. Die Heiden haben ihre Götter ebenso gut für wirkliche Wesen gehalten, haben ihnen Hekatomben von Stieren, haben ihnen sogar das Leben, sei es nun ihr eigenes, oder das anderer Menschen aufgeopfert, und doch gestehen jetzt die Christen, dass diese Götter nur selbstgeschaffene, eingebildete Wesen waren. Was die Gegenwart für Wirklichkeit hält, das erkennt die Zukunft für Phantasie, für Einbildung. Es wird eine Zeit kommen, wo es ebenso allgemein anerkannt sein wird, dass die Gegenstände der christlichen Religion nur Einbildung waren, als es jetzt allgemein von den Göttern des Heidentums anerkannt ist. Es ist nur der Egoismus des Menschen, dass er seinen Gott für den wahren, die Götter anderer Völker für eingebildete Wesen hält.« (250 f.)
»Eine positive Religion ist nichts andres als eine weltliche Religion, sie kann daher auch nichts andres von sich erwarten als weltliche Wirkungen; sie kann sich nicht einbilden, dass sie höher steht als die Gesetze der Notwendigkeit, dass sie nicht unterworfen ist dem Schicksal alles Positiven; sie kann nicht ausweichen der Macht der Gewohnheit und ihren unvermeidlichen Folgen, nicht verhüten, dass nicht die Religion eine gewöhnliche Sache, das Heilige ein Gewohntes, und das Gewohnte zuletzt nur deswegen, weil es ein Gewohntes, ein Heiliges wird, nicht bewirken, dass nicht das blosse Zeichen der Religion zur Sache wird, der Schein für das Wesen gilt, nicht verhüten, dass nicht die vermeintliche Macht der Religion nichts anders ist, als die Macht der Meinung. Nein! sie kann es nicht. Was war die Macht der katholischen Kirche, was die Macht der protestantischen Orthodoxie? Täuschet euch nicht! nicht die Macht des Glaubens, sondern die von ihr unterschiedne Macht der Meinung. Die positive Religion wird zur Sitte, zu einer Sache, an die sich die mächtigsten, weil unbewusst wirkenden Vorstellungen von Ehre und Schande, von Schicklichkeit und Unschicklichkeit anknüpfen. Das Honni soit qui mal y pense war auch das Motto des Glaubens und dieses Motto seine Kraft. Wer abwich von dem allgemein angenommenen Glauben, war ehrlos, infam, vogelfrei. Während die Religion die sittlichen Mächte von sich abhängig machen will, mit vornehmer Miene auf die Pflichten der Bürgerlichkeit, Menschlichkeit, Moralität herabsieht, verdankt sie vielmehr ihre Geltung, ihren Halt, ihre Kraft nur der moralischen Macht der Meinung. Es ist Täuschung, die Religion für die oberste Macht zu halten, welche die Staaten zusammenhält. Es ist eine höhere Macht, welche die Religion stützt und trägt.
Die wegen ihrer Religiosität, wegen ihres festen Glaubens gepriesenen Zeiten waren die Zeiten, wo überhaupt jede Abweichung von der hergebrachten Regel in üblem Geruche stand, wo sich mit jedem, der eine Veränderung wagte, der Begriff eines leichtsinnigen, eigenmächtigen, unzufriedenen, aufrührerischen, frivolen, undankbaren, seinen Vätern untreuen Menschen verband, wo jede Verbesserung eine Störung der guten Ordnung war ... Aber nicht die Religion war die Macht und der Grund der Beschaffenheit jener Zeiten, sondern die Macht des Altvätertums; die Macht der Religion war nur eine besondere Erscheinung von dieser.
Wenn daher eine positive Religion gut auf den Menschen wirkt, sittliche Folgen hat, Leidenschaften zügelt, kurz nicht das wird, was wir sagten, dass eine positive Religion wird, so ist das zufällig; die Ursache ist nicht sie, sondern der Mensch, der durch seine individuelle sittliche Kraft oder durch die Macht des Guten, wie sie sich ihm durch das Gewissen oder die freie Intelligenz offenbart, die Religion beherrscht und gegen das Schicksal jeder positiven Religion sich stemmt; dass sie aber schlecht oder gar nicht wirkt, dass sie die Leidenschaften unbewältigt lässt oder selbst die Quelle unsittlicher Handlungen, kurz das wird, was wir sagten, dass eine positive Religion wird, das ist notwendig, d. h. ist eine Offenbarung ihrer Natur.« Feuerbach: Pierre Bayle, S. 61-63.
»Man kann ... in einer gewissen Sphäre ein gebildeter und gescheiter Mann sein, und doch auf dem Gebiet der Religion dem törichtsten Aberglauben unterworfen sein. Wir finden diesen Widerspruch besonders im Beginne der neueren Zeit. Die Reformatoren der Philosophie und Wissenschaften überhaupt waren Freigeister und Abergläubige zugleich; sie lebten in dem unseligen Zwiespalt zwischen Staat und Kirche, Weltlichem und Geistlichem, Menschlichem und Göttlichem. Das sogenannte Weltliche unterwarfen sie ihrer Kritik; in kirchlichen und religiösen Dingen aber waren sie so gläubig, wie die Kinder und Weiber, unterwarfen sie demütig ihre Vernunft den unsinnigsten, phantastischsten Vorstellungen und Glaubensartikeln. Der Grund dieser widerwärtigen Erscheinung ist leicht zu erklären. Die Religion heiligt ihre Vorstellungen und Gebräuche, macht von ihnen das Heil der Menschen abhängig, dringt sie dem Menschen als Gewissenssache auf. So vererben sie sich unverändert und unangetastet von Geschlecht zu Geschlecht fort. – – – Während daher in allen andern Stücken der Mensch fortgeschritten ist, bleibt er in der Religion stockblind und stockdumm auf dem alten Flecke stehen. Die religiösen Einrichtungen, Gebräuche und Glaubensartikel bestehen noch als heilig fort, wenn sie gleich mit der fortgeschrittenen Vernunft und dem veredelten Gefühle des Menschen im schreiendsten Widerspruche stehen, wenn selbst längst der ursprüngliche Grund und Sinn dieser Einrichtungen und Vorstellungen gar nicht mehr bekannt ist. Auch wir leben noch in diesem widerwärtigen Widerspruch zwischen Religion und Bildung; auch unsere religiösen Lehren und Gebräuche stehen im grössten Gegensatze zu unserem gegenwärtigen geistigen und materiellen Standpunkt; aber diesen hässlichen und grundverderblichen Widerspruch aufzuheben, das ist eben unsre Aufgabe jetzt. Die Aufhebung dieses Widerspruchs ist die unerlässliche Bedingung der Wiedergeburt der Menschheit, die einzige Bedingung einer, sozusagen neuen Menschheit und neuen Zeit. Ohne sie sind alle politischen und sozialen Reformen eitel und nichtig. Eine neue Zeit bedarf auch einer neuen Anschauung und Ueberzeugung von den ersten Elementen und Gründen der menschlichen Existenz, wenn wir das Wort Religion beibehalten wollen, – einer neuen Religion!« Vorlesungen über das Wesen der Religion, S. 278 f.
»Die wahre Freiheit ist nur da, wo der Mensch auch religiös frei ist; die wahre Bildung nur da, wo der Mensch seiner religiösen Vorurteile und Einbildungen Herr geworden ist. Das Ziel des Staats kann aber kein anderes sein, als wahre, vollkommene Menschen – vollkommen freilich nicht im Sinne der Phantastik – zu bilden; ein Staat daher, dessen Bürger bei freien politischen Instituten religiös unfrei sind, kann kein wahrhaft menschlicher und freier Staat sein. (281)
... Der vernünftige und naturgemässe Glückseligkeitstrieb geht nicht über das Wesen des Menschen, über das Wesen dieses Lebens dieser Erde hinaus; er will nur die Uebel, die Beschränkungen aufheben, die wirklich aufzuheben, die nicht notwendig sind, nicht zum Wesen des Lebens gehören (363) ...
An die Stelle der Gottheit, in welcher sich nur die grundlosen luxuriösen Wünsche des Menschen erfüllen, haben wir daher die menschliche Gattung oder Natur, an die Stelle der Religion die Bildung, an die Stelle des Jenseits über unserm Grabe im Himmel das Jenseits über unserm Grabe auf Erden, die geschichtliche Zukunft, die Zukunft der Menschheit zu setzen. Das Christentum hat sich die Erfüllung der unerfüllbaren Wünsche des Menschen zum Ziel gesetzt, aber ebendeswegen die erreichbaren Wünsche des Menschen ausser acht gelassen; es hat den Menschen durch die Verheissung des ewigen Lebens um das zeitliche Leben, durch das Vertrauen auf Gottes Hilfe um das Vertrauen zu seinen eigenen Kräften, durch den Glauben an ein besseres Leben im Himmel um den Glauben an ein besseres Leben auf Erden und das Bestreben, ein solches zu verwirklichen, gebracht. Das Christentum hat dem Menschen gegeben, was er in seiner Einbildung wünscht, aber eben deswegen nicht gegeben, was er in Wahrheit und Wirklichkeit verlangt und wünscht.« (364 f.)
»Wenn wir nicht ein besseres Leben glauben, sondern wollen, aber nicht vereinzelt, sondern mit vereinigten Kräften wollen, so werden wir auch ein besseres Leben schaffen, so werden wir wenigstens die krassen, himmelschreienden, herzzerreissenden Ungerechtigkeiten und Uebelstände, an denen bisher die Menschheit litt, beseitigen. Aber um dieses zu wollen und zu bewirken, müssen wir an die Stelle der Gottesliebe die Menschenliebe als die einzige, wahre Religion setzen, an die Stelle des Gottesglaubens den Glauben des Menschen an sich, an seine Kraft, den Glauben, dass das Schicksal der Menschheit nicht von einem Wesen ausser oder über ihr, sondern von ihr selbst abhängt, dass der einzige Teufel des Menschen der Mensch, der rohe, abergläubische, selbstsüchtige, böse Mensch, aber auch der einzige Gott des Menschen der Mensch selbst ist.« (369 f.)
III.
P. Jensen: Das Gilgamesch-Epos in der Weltliteratur. I. Bd., Strassburg 1906. – Vergl. auch: »Moses, Jesus, Paulus; Drei Sagenvarianten des babylonischen Gottmenschen Gilgamesch«, vom gleichen Verfasser; Frankfurt a. M. 1909, Neuer Frankf. Verl. 1,25 M.
»... das Hauptresultat dieses Kapitels und dieses Buches ist, dass wenigstens so gut wie die ganze evangelische Geschichte rein sagenhaft ist, und dass kein Grund vorliegt, irgend etwas von Jesus (!) Erzähltes für geschichtlich zu halten. An dieser Ungeschichtlichkeit nimmt nun aber, ebenso gut wie die Namen Elisabeth, Lazarus, Maria für die Schwester der Martha, der Name dieser selbst, der des Judas und wohl auch der des Andreas, sogar der Name Jesus für den Träger der evangelischen Sage teil, so dass ein wunderbarer Zufall gewaltet haben müsste, falls doch ein uns im übrigen gänzlich unbekannter Mann Namens Jesus als Stifter unserer Religion gelebt haben sollte.« (S. 1024)
»Denn die moderne Theologie führt die Reden bei Markus, ebenso wie bei Matthäus und Lukas, wenigstens in der Hauptsache auf denselben Mann zurück, der das Leben Jesu gelebt haben soll. Nun aber hat ein solcher Mann nie existiert. Also hängen jetzt die synoptischen Reden Jesu gänzlich in der Luft, stammen von einem unbekannten Manne, aus zum mindesten nicht genau bekannter Zeit und aus unbekannter Gegend. Ja, wer bürgt uns jetzt noch dafür, dass sie wenigstens in der Hauptsache auf einen Mann zurückzuführen sind, und dass ihre von den Theologen behauptete Homogenität, wenigstens in der Hauptsache, sich nicht lediglich von einem Sammler herschreibt.
Ein Jesus mit einer Geschichte, wie sie in den Evangelien erzählt wird, und als Urheber der darin mitgeteilten Reden hat also nie gelebt, es gibt demnach auch keine geschichtliche Tradition von ihm. Daraus erhellt, dass trotz Papias, ein Schlagwort, wie » petrinische Ueberlieferung«, wenigstens in seiner herkömmlichen Bedeutung, in Zukunft aus der Terminologie der neutestamentlichen Philologie zu verschwinden haben wird, und ebenso der Terminus » johanneische Ueberlieferung«.« (S. 1026 f.)
»Ja, Jesus von Nazareth, an den, als an Gottes Sohn und den Erlöser der Welt, wenigstens seit bald zwei Jahrtausenden, aber vielleicht schon viel länger, eine Christenheit glaubt, und in dem auch die fortgeschrittenste Wissenschaft unserer Tage wenigstens noch einen grossen Menschen sieht, der einmal als ein hohes Vorbild auf Erden wandelte und starb, dieser Jesus hat niemals auf Erden gewandelt, ist niemals auf Erden gestorben, weil er ja Nichts wie ein israelitischer Gilgamesch ist, Nichts wie ein Seitenstück zu Abraham, zu Moses und zu unzähligen andern Gestalten der Sage. Wie einst die Babylonier in ihrem Gilgamesch, so verehrt daher die Christenheit in ihrem Jesus – zur Hälfte – eine im Nebel verschwindende, für das Menschenauge erlöschende Sonne, unsre grosse herrliche Sonne nämlich, und dieselbe Sonne, die schon vor vielen Jahrtausenden in glühender Pracht und lebendiger Majestät am babylonischen Himmel auf- und unterging und König und Volk im babylonischen Lande zu anbetender Verehrung und dankbarem Dienste zwang. Wir, die Kinder einer vielgepriesenen Zeit wunderbarer Kulturerrungenschaften, die wir wohl gerne mit mitleidigem Lächeln auf Glaube und Sitte von Völkern der Vorzeit sehn, wir dienen in unsern Domen und Gebetshäusern, unsern Kirchen und Schulen, in Palast und Hütte, einem babylonischen Gotte, babylonischen Göttern! Ja, wir, ein grosses mächtiges Kulturvolk deutscher Brüder, wir zerreissen einander selbst im Kampf wegen des Flitterstaats, den man diesem fremden Gotte umgehängt hat; wir unterbinden die Quellen unsrer Volkskraft, weil in Rom ein Mann auf dem Throne sitzt, der durch Menschenwahn und Menschenwillkür der Statthalter dieses babylonischen Sonnengottes ist!« (S. 1029 f.)
Glaubensbekenntnis.
Wir haben keinen
Lieben Vater im Himmel.
Sei mit dir im Reinen!
Man muss aushalten im Weltgetümmel
Auch ohne das.
Was ich alles las
Bei gläubigen Philosophen,
Lockt keinen Hund vom Ofen.
Wär' Einer droben in Wolkenhöhn,
Und würde das Schauspiel mit ansehn,
Wie mitleidslos, wie teuflisch wild
Tier gegen Tier und Menschenbild,
Mensch gegen Tier und Menschenbild,
Wütet mit Zahn, mit Gift und Stahl
Mit ausgesonnener Folterqual,
Sein Vaterherz würd' es nicht ertragen,
Mit Donnerkeilen würd' er dreinschlagen,
Mit tausend heiligen Donnerwettern
Würd' er die Henkerknechte zerschmettern.
Meint ihr, er werde in andern Welten
Hintennach Bös und Gut vergelten,
Ein grausam hingemordetes Leben
Zur Vergütung in seinen Himmel heben?
O, wenn sie erwachten in anderen Fluren
Die zu Tod gemarterten Kreaturen:
»Ich danke!« würden sie sagen,
»Möcht' es nicht noch einmal wagen,
Es ist überstanden. Es ist geschehen.
Schliess mir die Augen, mag nichts mehr sehen.
Leben ist Leben. Wo irgend Leben
Wird es auch eine Natur wieder geben,
Und in der Natur ist kein Erbarmen,
Da werden auch wieder Menschen sein,
Die könnten, wie dazumal, mich umarmen –
O leg ins Grab mich wieder hinein!«
Wer aber lebt, muss es klar sich sagen:
Durch dies Leben sich durchzuschlagen,
Das will ein Stück Roheit.
Wohl dir, wenn du das hast erfahren,
Und kannst dir dennoch retten und wahren
Der Seele Hoheit.
In Seelen, die das Leben aushalten
Und Mitleid üben und menschlich walten,
Mit vereinten Waffen
Wirken und schaffen,
Trotz Hohn und Spott,
Da ist Gott.
Friedrich Theodor Vischer.
a) Urteil eines Italieners über die Früchte der Papstkirche:
Guardate alle nazioni cattoliche, e comprendeteci pure le ortodosse, che sono lo stesso o peggio; esse fra tutte, sono le più povere, le più infelici e le meno progredite e tanto più, quanto maggiori sono stati e sono il predominio e l'influenza del prete su quel popolo e sulla sua educazione. Dove c'è cattolicesimo, c'è ignoranza, miseria e avvilimento, ed in proporzione diretta del grado di questa influenza. E non è che quando hanno scosso questa cappa di piombo, che li comprimeva e lirendeva tardi, che han cominciato a vedere un poco di bene e divenir qualche cosa.«
(C. Romano d'Azzi: Un vasto inganno, La risurrezione dei Morti, S. 19.)
b) Ein »Schutzengelbrief«. (Zu S. 53)
»Von der Würde des katholischen Priesters.
Keine menschliche Zunge ist imstande, die erhabene Würde eines katholischen Priesters zu schildern. Sie überragt die Hoheit der Kaiser und Könige, ja selbst die Majestät der erhabensten Himmelsfürsten. Die Engel sind Boten Gottes, die Machthaber dieser Welt Gottes Stellvertreter in irdischen Dingen. Hoch über beiden stehen die Priester, denn sie sind Gottes Stellvertreter in Sachen des ewigen Heiles. Ihre Würde ist darum göttlich zu nennen. Die allerseligste Jungfrau Maria hat nicht solche Macht, denn sie kann nicht die allerkleinste Sünde vergeben; der Priester aber kann die himmelschreiendsten Sünden mit einem Worte austilgen – er ist darum der Vater seiner Gemeinde, der grösste Wohltäter des Volkes. Was folgt daraus? Schreibt der Katechismus den Kindern schon Liebe, Gehorsam und Ehrfurcht gegen die Eltern vor, in wieviel höherem Masse gebührt sie dann dem Priester, dessen Würde und Wohltaten unermesslich grösser sind als die der leiblichen Eltern! Darum darfst du nie des Priesters Ruf verletzen durch Reden über seine etwaigen Schwächen – Fluch solchen Lippen, die eine heimliche Sünde des Priesters ans Licht ziehen oder auch selbst ein schweres Aergernis desselben anderen mitteilen! Hingegen sorgt gut für sein leibliches Wohl, seid pünktlich im Zahlen der Gebühren und Lasten! Was ihr ihm vorenthaltet, das verweigert ihr Gott selbst, dessen Stellvertreter er ist.« Erschienen im Auerschen Verlage zu Donauwörth und in Hunderttausenden von Exemplaren im katholischen Volke verbreitet. Mit bischöflicher Approbation.
Ein sauberer Stellvertreter Gottes! Kann man das Volk ärger betrügen?
Ein Priesterbekenntnis. (Zu S. 86)
(Aus: Das Freie Wort, 9. Jahrg. No. 7, S. 288.)
»Gelegentlich der vielen Austritte katholischer Zeit dürfte das folgende Dokument interessieren. Es ist enthalten in den » Oeuvres posthumes« von B. Gilson, erschienen 1904 bei Marnix in Brüssel. Der Verfasser (1796-1879) ist der Kanonikus Gilson aus Namür, ehemaliger Stadtdechant von Bouillon und früherer Regens des Seminars von Floreffe. Von 1838 an hatte er mehreremale seinem Bischofe, Mgr. Detreville von Namür, geschrieben, er sei nicht mehr gläubig und bitte von seinen priesterlichen Funktionen entbunden zu werden. Der Bischof antwortete ihm, er möge nur ruhig Priester bleiben. Gilson starb auch in seinem Unglauben, ohne dass ein äusserlicher Bruch mit seiner Kirche stattgefunden hätte. In seinen Oeuvres posthumes erzählt er aber, es sei ihm Gewissenspflicht, zu bekennen, dass er seit seinem vierzigsten Jahre nicht mehr an die Dogmen seiner Kirche geglaubt habe. In diesem Glaubensbekenntnis ist folgender Passus (vom 8. Nov. 1869) interessant: »Tausende gebildeter Priester glauben nicht mehr an die unfehlbare katholische Kirche. Einer der höchsten und ehrwürdigsten Kirchenfürsten hat mir versichert, dass in Paris zwei Drittel der Priester nicht mehr an die Transsubstantiation und an die Hölle glauben. Ich habe deren persönlich gekannt, welche die geweihten Hostien zum Briefzukleben verwandten. Wenn die Völker einmal erfahren werden, wie viele gebildete Priester nicht mehr gläubig sind, dann ist es aus mit der Herrschaft des Klerus. Aber wann wird man die geheimsten Gedanken der Priester aller Religionen erfahren? Der Makel der Apostasie, die finanzielle Frage und ein Rest religiöser alteingewurzelter Angst werden sie zum Schweigen bringen. Wer wird diese armen und unglücklichen Priester aus ihrer bedauernswerten Knechtschaft befreien? Sie verdienen Mitleid und keine Verachtung.« ( Oeuvres posthumes de Gilson 1904. S. 51 f.)
Vergl. ferner das Kapitel: »Der Priester« (in Spanien) in dem Buche des Padre Don José Ferrandiz: »Das heutige Spanien unter dem Joch des Papsttums«, (vergl. bibliograph. Anhang) namentlich S. 125 und 128. (Abgedruckt auch in Jahrg. 9, No. 8 des Freien Worts.) – Was wir dort aus einwandfreier Quelle zu lesen bekommen, bestätigt Gilsons Behauptung auf wahrhaft niederschmetternde und für uns Europäer beschämende Weise.
Vergl. auch die Literaturangaben bei Panizza: Der teutsche Michel und der römische Papst.
Aigner, E.: Ein Fall von Wunderheilung von Lourdes. 1908, Neuer Frankfurter Verlag. M. 0,50. Antwort der französ. Katholiken an den Papst. Jena 1908, Diederichs. M. 1,00.
Bodewig, Hartm.: Geistliche Wahlbeeinflussungen, München 1909, Lehmann, M. 3,00.
Bourrier, A.: Warum wir austraten? Bekenntnisse romfrei gewordener französ. Priester 1895-1904. München, Lehmann. M. 3,00.
Brown, E.: Fasciculus rerum expetendarum et fugiendarum, London 1689.
Büchner, Ludwig: Zwei gekrönte Freidenker. (Friedrich der Grosse und Kaiser Akbar.) Ein Bild aus der Vergangenheit als Spiegel für die Gegenwart. Dem deutschen Volke gewidmet. Leipzig, 1890, Th. Thomas. M. 1,50.
Corvin, Pfaffenspiegel, Histor. Denkmale des Fanatismus in der römisch-katholischen Kirche.
Das freie Wort, Frankfurter Halbmonatsschrift für Fortschritt auf allen Gebieten des geistigen Lebens, herausgeg. v. M. Saenger, Neuer Frankf. Verl., seit 1901. Vierteljährl. M. 2. Seit 1907 mit Beiblatt: »Der Dissident«. Enthält in jeder Nummer einen Druckbogen der »Bibliothek der Aufklärung«.
Der Freidenker, Zeitschr. des deutschen Freidenkerbundes. Quartalspreis M. 1,10.
Der Monismus, Zeitschr. für einheitl. Weltanschauung und Kulturpolitik. Berlin, Verlag d. Deutschen Monistenbundes. Halbjährl. M. 1,50.
Drews, A.: Die Christusmythe, Jena, Diederichs, 1909, M. 2,00.
Drews, A.: Die Petruslegende, ein Beitrag zur Mythologie des Christentums. Neuer Frankf. Verl. 1910. M. 1,00.
Dubois, P. Le Croyant détrompé ou preuves évidentes de la fausseté et de l'absurdité du Christianisme et de sa funeste influence dans la société. Paris, Fournier 1835. 2 vol.
Feuerbach, Ludwig: Das Wesen der Religion. 30 Vorlesungen. Volksausgabe. Leipzig, Kröner 1908. M. 1,00.
Feuerbach, L.: Das Wesen des Christentums, 4. Aufl. 1883. Volksausg. Leipzig, Kröner, 1910. M. 1,00.
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Ferrandiz, J.: Das heutige Spanien unter dem Joche des Papsttums, deutsch v. Don Ibero, Frankf. a. M., 1909, Neuer Frankf. Verl. M. 2,50.
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v. Hase, K.: Handbuch der Protestant. Polemik gegen die römisch-katholische Kirche. Leipzig, Breitkopf u. Härtel, 1890 (5. Aufl. XL u. 728 S.) Auch als Volksausgabe. (M. 6,50.)
Hauviller, E.: Der Syllabus. Ueber seine Entstehung, sein Wesen und seine Ergänzung durch Pius X. (Bibl. d. Aufklärg., 1907, N. F. Verl.) M. 0,60.
Heigl, Ferd.: Spaziergänge eines Atheisten. Ein Pfadweiser zur Erkenntnis der Wahrheit. Polemisches und Akademisches. Bamberg, 1907 (8. Aufl.) M. 0,60.
v. Hoensbroech, Graf: Das Papsttum in seiner sozialkulturellen Wirksamkeit (1. Teil: Inquisition, Aberglaube, Teufelsspuk und Hexenwahn; 2. Teil: Die ultramontane Moral.) Volksausgabe, 1. Teil 41.-50. Tausend, Leipzig, 1907; 2. Tl. 11.-20. Tausend, 1906, Je M. 1,00.
v. Hoensbroech: Moderner Staat und römische Kirche. Berlin, Schwetschke, 1906. M. 5,00.
v. Hoensbroech: Der Syllabus, seine Autorität und Tragweite. München, Lehmann. M. 2,00.
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Wahrmund, L.: Ultramontan. Eine Abwehr in vier Artikeln. München, 1908. M. 1,00.
Zeitschrift für Religionspsychologie. Grenzfragen der Theologie u. Medizin, herausgeg. v. Dr. J. Bresler bei C. Marhold, Halle, seit 1. IV. 1907.
Im gleichen Verlage erschien:
Hanns Floerke:
Hagia Hybris
Ein Buch des Zorns und der Weltliebe.
453 S. M. 5, –.
Das Literarische Echo (X. Jahrgang, Heft 14) schreibt:
Ein herbes und köstliches Buch. Der belebende Salzgeruch des Meeres, seine frischen Brisen, die befreiende Weite seines Horizontes, das Blau des italienischen Himmels und die schweren, kämpfenden Wolken des Nordens an trüberer See sind in diesem Buche zu finden, das heinahe ein Hymnus an das Meer ist. Immer wieder werden seine Schönheiten freudig gemalt, sein beweglicher Riesenleib unermüdlich im verschiedensten Lichterspiel geschildert, und stets mit neuen Worten und neuen Farben. Man könnte glauben, das Buch stamme von einem Maler. Dazwischen werden jedoch die Züge eines Philosophendichters sichtbar, eines Dichters in der Sprache, eines Philosophen im Ideengehalt. Und schliesslich schwebt über der Vermengung des Malers, Dichters und Philosophen der stolze, zusammenfassende Ruf: Ich bin ein Bekenner! »Ein Kunstwerk hoffte ich zu formen, als ich an seinem Anfang stand. Nun ich es vollendet habe, finde ich, dass es ein Bekenntnis geworden ist.« Es ist vorwiegend ein Buch gegen die Herrschaft eines Gottes, der ausserhalb unserer Begriffs- und Empfindungswelt irgendwo thronen soll; richtiger: des Zorns gegen die Herrschaft der Priester, die ihren Gott als kolossale Wand aufgerichtet, die alles beschattet und in deren Schatten sie selber sich's wohl sein lassen. Laurids Bruun wollte in seinem – als Dichtung höherstehenden – »Der Ewige« (LE IX, 20) gegen Rom ankämpfen, und seine feine Dichterklinge zerbrach dabei. Floerke, eine ganz anders geartete Begabung hat das rechte Schwert dafür. In hohem, schwerem Tone erbraust sein Lied. Nichts Feines, Kleines, Weiches. Alles in grossen, stolzen Umrissen. Und auf dem brausenden Strom der spröden, ringenden Sprache schwimmt der Zorn wie ein Wikingerschiff, einfach, ernst, geradeaus und wohlgerüstet. Doch auch ein Buch der Weltliebe ist die Dichtung. Suchet den Gott in euch selbst; habt Liebe zur Natur und zu jeder Kreatur. Erhebt euch über die Schwere des Alltags, befreit eure Seele von der Bürde mittelalterlicher Gewohnheiten und Traditionen. Sie fliege leicht und frei wie ein Vogel. Aber zunächst der Zorn! Zunächst der Kampf! Zunächst heisst es, den Berg erklimmen, um über den Dünsten zu stehen ... Nun wohl, hier haben wir wieder ein Buch, durchbebt von Tendenz, das dennoch Dichtung ist; ein ernster, kraftvoller Kampf gegen irdische Gewalten, begleitet von Hochgesang und hoher Liebe. Ein männliches, reinliches und reinigendes Werk, das sich nirgends von der »Kunst« im edlen Sinne entfernt.
*
Druck von Mänicke & Jahn in Rudolstadt.