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Es ist nicht eine paradoxe, sondern zum Glück eine ganz schlicht wahre Behauptung: der Kampf gegen die Kirche ist zu allen Zeiten der Geistesgeschichte in der Menschheit bisher stets ein Anzeichen wiedererwachenden tieferen religiösen Lebens gewesen.
Wilhelm Bölsche.
Wir haben gesehen, wie es um die innere Wahrheit des im III. Kapitel zitierten Satzes aus dem Hirtenschreiben der bayerischen Prokuristen Roms bestellt ist, dieses Satzes, der gegen die Freiheit der Wissenschaft und ihrer Lehre gerichtet ist. Wir haben gefunden, dass es nichts als Mythus, Geschichtsfälschung und falsche Interpretation ist, worauf die Kirche sich immer wieder mit Nachdruck beruft, worauf sie ihre Machtansprüche gründet, haben erkannt, dass sie ihren Einfluss und ihre Gewalt dem Missbrauch und der Missleitung des religiösen Gefühls verdankt, wir wissen, dass ihre Lehre lediglich Mittel zum Zweck ist, das heisst zu Erlangung der unumschränkten Gewalt über die gesamte Menschheit. Der Grund ist unwahr und der Zweck ist schlecht. Wenn wir gegen die Kirche kämpfen, so ist es dieser schlechte Zweck, gegen die wir uns wenden, nicht das von der dichtenden Phantasie des Volkes gewobene farbenschimmernde Gewand, das sich, ihre moralische Blösse bedeckend, in weiten Falten um sie und ihre Dogmen breitet. Gegen diesen schlechten Zweck wenden wir uns und gegen das, was helfen soll, ihn zu erreichen: die Eingriffe der Kirche in das öffentliche Leben, ihre Beeinflussung der Regierungen, ihr Bestreben, den Staat von sich abhängig zu machen, ihre anmassende Missionierung fremder Völker, deren Religionen zum Teil turmhoch über der von ihr betätigten »Religions«-Praxis stehen, ihre systematische Vergiftung des nationalen Lebens, die in Deutschland die bedenkliche sich in der Gefolgschaft der ultramontanen Partei, in dem staatschädigenden politischen Konfessionalismus dokumentierende Volkskörper-Erkrankung hervorgerufen hat, die Verhetzungstätigkeit ihrer Diener, ihr Anspruch auf Anerkennung als weltlichpolitische Macht und auf diplomatische Vertretung u. s. f.
Gegen diese Uebergriffe und Bestrebungen wenden wir uns mit dem heiligen Recht des leidenschaftlichen Vaterlandsfreundes, der krank ist vor beständigem Ekel über die Unmännlichkeit und Charakterlosigkeit der Regierungen, über ihren fahrlässigen Verrat an ihrem Lande. Warum spielt man immer noch diese unwürdige diplomatische Komödie mit den Parvenüs auf dem »Stuhle Petri« und ihren Kreaturen, Vergl. den trefflichen mannhaften Aufsatz des Grafen Hoensbroech: »Fürst Bülow im Vatikan«. (»Das Freie Wort«, 8. Jahrg. (1908), Heft 4, S. 126 f.); ferner die Ausführungen desselben ausgezeichneten Kenners des Papsttums in seinem Buche: Moderner Staat und römische Kirche (Berlin 1906), S. 242 ff. warum trennt man nicht mit herzhaftem Hieb Kirche und Staat und haut der Kirche empfindlich auf die Krallen, wenn sie sich anmasst, auf ein Gebiet überzugreifen, auf dem sie nichts zu suchen hat, warum macht man sich zum Mitschuldigen des grossen Kain, wie ich die Kirche in meinem Roman »Hagia Hybris« genannt habe? Hagia Hybris, ein Buch des Zorns und der Weltliebe, München 1907, bei Georg Müller. Ich möchte mich wohl für eine Weile in einen Japaner verwandeln können, um meinen Ekel vor diesem Lügengetriebe los zu werden und mit souveräner Heiterkeit dieses Gemisch von blutigem Ernst und Posse mitanzusehen, das den selbstbewussten homo europaeus (den Franzosen – augenblicklich wenigstens – ausgenommen) so tief unter das Niveau eines gebildeten Sohnes des Reiches der aufgehenden Sonne hinabdrückt.
Deutschland am Gängelbande einer ausländischen Macht, einer Gesellschaft ohne Haftpflicht, die ein Monopol anstrebt für ihre gefährliche Ware, – wie lange soll uns dieser Anblick noch peinigen? Wie lang soll es noch dauern, bis der Papst, dieser Verkörperer eines Systems, dessen Gefährlichkeit unseren Regierungen bekannt sein muss und der uns Deutschen als Italiener noch dazu völlig wesensfremd ist, für unsere Herrscher und Staatsmänner einfach der Privatmann Sarto oder Guantajo ist?
Der Freidenker Friedrich der Grosse schuf die Grundlage der Weltmacht Deutschland. Mögen seine Epigonen, wenn sie seinen erleuchteten Standpunkt nicht zu teilen vermögen, wenigstens darauf achten, dass diese Weltmacht nicht durch weitere Zugeständnisse an die Kirche, die noch jeden von ihr beherrschten Staat ruiniert hat, vernichtet werde!
Wenn die Kirche sich angegriffen fühlt, schreit sie über Verletzung der Religion. Wir haben gesehen, dass wirkliche Religion und Kirche einander ausschliessen; denn es gibt keine konsolidierte Kirche ohne Verketzerungssucht, Verfolgung Andersdenkender, Unduldsamkeit, Partikularismus. Religion lässt sich nicht auf Flaschen ziehen wie Weihwasser, Jordanwasser, wundertätiges Oel der heiligen Walburga etc. und mit marktschreierischen Etiketten versehen, die sie als die allein wahre, allein seligmachende, als vatikanischen- oder Wittenberger Schlosskirchen-Abzug anpreisen. Es gibt keine katholische, protestantische, israelitische, mohammedanische etc. Wahrheit, – die Wahrheit liegt jenseits der Kirchen, sie liegt in der Brust eines jeden Menschen beschlossen, wo sie unter fruchtbaren Suggestionen sich zur Blüte entwickeln kann, unter unheilvollen aber verkümmert. Und wenn sie in der Brust des Priesters erblüht, so tut sie es zum mindesten im unbewussten Gegensatz zur kirchlichen Wahrheit als übermächtiger Ausfluss elementaren Menschentums. Vergl. Anhang.
Der religiöse Glaube bezieht sich, wie wir sahen, auf das Sein, wie es wirklich ist, auf die Voraussetzung unseres empirischen Daseins, und als diese Voraussetzung erweist sich, auf Grund des unmittelbaren Selbstgefühls und Erlebens, nicht die Person, sondern ihr Zusammenhang mit der Welt – der gleiche, den die Wissenschaft a posteriori demonstriert, gewiss ein Beweis für die Einheit des Menschengeistes und dafür, dass die Synthesen des Glaubens die gleichen sind, wie die des Wissens, Vergl. Keyserling, S. 334 f. wenn auch nicht im Sinne der theologischen Nachtwächter.
Die Kirche ist die Veräusserlichung, das entleerte Gefäss der Religion, ihre Profanierung und zugleich ihre Fruktifizierung durch eine Gesellschaft ohne Haftpflicht, sie ist eine ins Gigantische gesteigerte Therese Humbert, und der Priester, der in ihrem Sinne handelt, ist ein Entweiher unserer mystischen Träume und tiefsten Versunkenheiten.
Wer nun zu der Erkenntnis gelangt ist, dass der Mensch im religiösen Gefühl seinen wirklichen Zusammenhang mit der Welt erlebt, dass die Religion eine Beziehung zwischen dem Individuum und den Synthesen des Geschlechts, des Stammes etc. zur Realität erhebt, dass sie lediglich auf natürliche Zusammenhänge gerichtet ist und nicht auf die Utopie eines Himmelreichs als der wahren Heimat – und es ist kein Zweifel möglich, dass dem so sei – wer sich ferner davon überzeugt hat, wieviel Unheil dieses Phantom des Uebernatürlichen in den Händen der Kirche angerichtet hat und noch immer anrichtet, wer eine Vorstellung von dem bibliothekenfüllenden Sündenregister der Kirchen aller Richtungen, vor allem der für die europäische Kultur gefährlichsten: der römisch-päpstlichen, gewonnen hat, dem erwächst die unabweisliche Pflicht, nach Kräften an dem Werke der Befreiung unseres Landes vom Joch der Kirchen mitzuhelfen und an der Verwendung der freiwerdenden Kräfte zur äusseren und inneren Grösse und zum immer festeren Zusammenschluss unseres Volkes, auf das wir durch das religiöse Gefühl hingewiesen werden.
Die Vernichtung des Kirchentums als eines Elementes der Trennung und Spaltung soll erstrebt werden, nicht aber die Vernichtung von Glaubensvorstellungen, in denen viele aufgewachsen und die ihnen lieb geworden sind; denn so wenig der einsichtige Mensch es zulassen kann, dass das junge bildsame Menschenmaterial, auf dem die Zukunft unseres Volkes beruht, von unberufenen Fingern in geistiger Hinsicht verpfuscht wird, ebensowenig kann er zugeben, dass erwachsene Leute, deren Denken und Vorstellen in einem festbegrenzten Bette hinfliesst, in ihrem Innenleben gestört und beunruhigt werden. Bei der neuen Generation ist der Hebel anzusetzen, nicht bei den alten: An die Stelle des verderblichen unfriedenstiftenden Konfessionsunterrichts in den Schulen muss Unterricht in bürgerlicher und politischer Moral, muss Pflege der Vaterlandsliebe und des Nationalbewusstseins treten. Begeisterung und kriegerischer Sinn müssen bei der männlichen Jugend geweckt werden durch Schilderung der Kämpfe ihrer Väter für ihr Land, kurz alle Tugenden und Empfindungen, die eine Entartung verhüten.
Nicht minder wichtig aber als die Heranbildung einer freien, starken, vaterlandsliebenden, schaffensfrohen, opferfreudigen, männlichen Jugend, ist die Erziehung von Frauen, die sich nicht durch die Worte des Priesters in den Bannkreis des Kirchentums ziehen lassen. Wie die Verhältnisse jetzt liegen, ist die zum grössten Teil reaktionäre (Klosterschulen!) Erziehung der Frau eines der mächtigsten Hindernisse für die Befreiung des Volkes von der geistigen Knechtschaft, von der Bevormundung durch die Kirche. Dieses Hindernis zu beseitigen ist eine Aufgabe, wie sie sich die deutsche Frauenbewegung nicht grösser und zukunftsreicher wünschen kann. Ist sie einmal erfüllt, so wird von einer Inferiorität des Weibes gegenüber dem Manne nicht mehr die Rede sein können und der politischen Gleichberechtigung kaum mehr ein ernstlicher Widerstand geleistet werden.
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Rekapitulieren wir!
Die Grundtatsachen, die wir uns bei der Beurteilung des Kirchentums vor Augen halten müssen, sind:
1. Das religiöse Gefühl weist uns nicht auf Gott, sondern auf den Menschen, nicht auf das Uebernatürliche, sondern auf das Natürliche.
2. Religion und Kirche haben im Grunde gar nichts miteinander zu tun.
3. Alle Religionen haben dieselben durchaus natürlichen Grundlagen.
4. Die Glaubensinhalte sind wandelbar und für das wahre Wesen der Religion nebensächlich.
5. Eine schlechthin objektive Existenz Gottes ist unvorstellbar.
6. Um mit den Worten Feuerbachs zu reden: »Der Gegensatz des Göttlichen und Menschlichen ist ein illusorischer, d. h. nichts anderes als der Gegensatz zwischen dem menschlichen Wesen und dem menschlichen Individuum, folglich ist auch der Gegensatz und Inhalt der christlichen Religion ein durchaus menschlicher«. »Das Wesen des Christentums«, 4. Aufl. (1883), S. 50. »Der christliche Gott ist ebenso gut in und aus dem Menschen entsprungen als der heidnische. Ein anderer Gott als der heidnische ist er nur deswegen, weil auch der christliche Mensch ein anderer ist als der heidnische. »Vorlesungen über das Wesen der Religion«, Leipzig 1851, S. 21.
7. Die Suggestibilität einmal des unmündigen und unwissenden und dann des anormalen Menschen ist der fruchtbarste Boden für die Entwickelung und Ausbreitung des Glaubens an Uebernatürliches und die eigentliche Quelle der »Offenbarung«.
8. Die Ansprüche der Kirchen, insbesondere der päpstlichen, sind in jeder Beziehung haltlos, schon weil ihre angeblichen historischen Grundlagen teils mythischer Natur sind, teils auf Geschichtsfälschung beruhen.
9. Jede satzungsmässig bestimmte, auf das Uebernatürliche gerichtete, auf unbedingte Autorität Anspruch erhebende Religion stellt einen Missbrauch des religiösen Gefühls, eine Verwischung der sein Wesen ausmachenden Beziehung auf die reale Welt, auf den Menschen, zugunsten einer imaginären, furchterweckenden, gehorsamfordernden Macht dar. Da wir hinter dieser Macht bei genauerem Zusehen jedoch den Priester versteckt finden, erfolgt dieser Missbrauch, diese Verwischung, im Interesse einer Kaste.