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1. Die Frage nach der Existenz Gottes und das religiöse Gefühl

 

Nam vel uti pueri trepidant atque omnia caecis in tenebris metuunt, sic nos in luce timemus interdum, nilo quae sunt metuenda magis quam quae pueri in tenebris pavitant finguntque futura. hunc igitur terrorem animi tenebrasque necessest non radii solis nec lucida tela diei discutiant, sed naturae species ratioque.

Lucrez, VI, 35 f.

 

Würde es sich für uns allein darum handeln, die Ansprüche der Papstkirche zu widerlegen und die Berechtigungslosigkeit, Schädlichkeit und Gefährlichkeit ihrer Machtbefugnisse darzutun, so könnten wir mit einer Beleuchtung der historischen Grundlagen dieser Organisation beginnen. Da wir uns jedoch zum Ziel gesetzt haben, die Haltlosigkeit der Ansprüche jeder kirchlichen Autorität auf Grund der Ergebnisse historischer und philosophischer Kritik zu erweisen, müssen wir über das Christentum, das doch nur eine Phase in der religiösen Entwicklung des westlichen Kulturkreises darstellt, hinausgreifen und uns zunächst mit der zwischen Theisten und Atheisten schwebenden Streitfrage der Existenz eines übernatürlichen Wesens beschäftigen.

Die Kirchen behaupten die absolute (d. h. vom menschlichen Denken unabhängige) Existenz eines auf die Geschicke der Menschheit Einfluss übenden Gottes, und diese Behauptung ist das A und O alles Kirchentums, die Basis seiner Macht. Wie steht es aber mit dieser absoluten Existenz?

Der Mensch ist in Wirklichkeit gar nicht in der Lage, diese Frage zu entscheiden; denn sie liegt ausserhalb seiner Kompetenz.

»Es kann,« sagt Graf Hermann Keyserling, Vergl. sein Werk: »Unsterblichkeit. Eine Kritik der Beziehungen zwischen Naturgeschehen und menschlicher Vorstellungswelt«. München, Lehmann, 1907. 349 S. 5 M., – ein Buch, das der ernstesten Beachtung aller derer wert ist, die sich mit den tiefsten Fragen des menschlichen Lebens beschäftigen. – Wir werden noch öfter Veranlassung haben, es zu zitieren. Hinter jedem Zitat ist die Seite vermerkt, auf der es zu finden ist. Wir können hier nur einige Resultate geben, die Beweisführung muss der Leser, der tiefer eindringen will, in Keyserlings Werke selbst nachlesen. »unmöglich Gesetze geben, die unabhängig vom denkenden Geiste beständen, weil, wie Kant dies unwiderleglich dargetan hat, unsere Begriffe und Ideen nichts als (Denk-) Schemen sind, – Rahmen, in die wir die Bilder der Aussenwelt fassen müssen, wenn wir sie verstehen wollen. Sie inhärieren dem Geistesprozess, sofern er stattfindet. Deswegen ist es ganz unsinnig, ihnen eine schlechthin objektive Existenz zuschreiben zu wollen. Ein ›Gelten‹, das unabhängig vom Gedachtwerden des betreffenden Begriffes bestände, ist gar nicht auszudenken.« (304)

»Alle Geistesgebilde gelten nur in bezug auf den Menschen; in dieser ihrer Relativität bekundet sich ihre Objektivität, ihr absoluter Sinn. Auch mit der Gottesidee steht es nicht anders ... Gott ist nur, sofern ich an ihn glaube; glaube ich ihn, dann ist er unbedingt. Denn er symbolisiert dann meine notwendige Beziehung zum All der Natur; und diese Beziehung ist höchste Wirklichkeit. Fehlt mir aber der Glaube, so fehlt Gott zugleich die Existenz; die Gottesidee hat dann keinen Sinn, bezeichnet keinerlei Realität. Gott ist ein Beziehungssymbol. Was bedeutet wohl eine Relation, ohne die Faktoren, die sie bindet? Inwiefern ist eine Beziehung, die keine Gegenstände verknüpfte? – Sie ist überhaupt nicht. Die Wirklichkeit Gottes hängt von der Mentalität des Menschen ab. Vergl. dazu auch Feuerbach (Anhang). Angelus Silesius war sich dessen, gleich allen Mystikern, wohl bewusst. Er sagt:

Ich weiss, dass ohne mich
Gott nicht ein Nun kan leben,
Werd' ich zu nicht, Er muss
von Noht den Geist auff geben.

Freilich: dieser Gedanke dürfte nur den lebendigsten Geistern einleuchten. Hier, wenn irgendwo, gilt der Spruch der Kâthaka-Upanishad: ›Nur wen er wählt, von dem wird er begriffen.‹ Hier hilft keine Erläuterung.« (312 f.)

Von einer absoluten Existenz Gottes, von seiner Existenz unabhängig vom menschlichen Vorstellen zu sprechen, geht also nicht an. Für die Kirchen ist aber gerade diese absolute Existenz die Grundvoraussetzung, mit der sie stehen und fallen, und darum verfolgen sie diejenigen, die hierin anderer Meinung sind.

Aus diesem Befund ergibt sich, dass der Atheist im Unrecht ist, wenn er die Existenz Gottes rundweg leugnet und ebenso der Theist, wenn er die absolute Existenz Gottes behauptet, dass aber beide sich in einer unangreifbaren Position befinden, wenn sie an seine Nichtexistenz bezw. Existenz glauben. Sie dürfen diesen Glauben nur nicht von anderen verlangen, weil er nur subjektive Gültigkeit hat und haben kann, weil Gott eine Idee ist und keine Möglichkeit besteht, einen Beweis dafür beizubringen, dass dieser Idee ein Faktisches ausserhalb des Glaubenden entspricht.

Eine dritte Gruppe, die wie die beiden andern sich alter Ahnen rühmen kann, beschränkt sich in ihrer Stellungnahme zu dieser Frage darauf, dass sie sie refert ad incognita: in das Gebiet des Unbekannten verweist. Man möchte wünschen, dass zu dieser Gruppe der Besonnenen und Unparteiischen alle Herrscher und Staatslenker, sowie die verantwortlichen Minister gehörten, und es scheint auch kaum zweifelhaft, dass in nicht zu ferner Zeit von ihnen ausser der als selbstverständlich geltenden politischen auch die religiöse Unabhängigkeit gefordert werden wird.

Es hat nach dieser Sachlage keinen Zweck, auf die lange Reihe der Beweise einzugehen, die die Kirche für das absolute Dasein Gottes geltend macht. Nur mit einem einzigen darunter müssen wir uns auseinandersetzen, schon weil er das oben Gesagte ergänzen hilft. Es handelt sich um die Behauptung, das jedem Menschen eingeborene religiöse Gefühl beweise die Existenz eines übernatürlichen Wesens.

Dieses als religiös bezeichnete Gefühl existiert zweifellos, es fragt sich nur, ob es wirklich religiös im Sinne der Kirche ist, d. h. ob es sich in der Tat auf jene ausserweltliche übernatürliche Macht bezieht, die wir Gott nennen. Und da lautet die Antwort rund und klar: Nein!

Das religiöse Gefühl bezieht sich in Wahrheit nicht auf das Uebernatürliche, sondern auf natürliche, wenn auch über individuelle, d. h. Familien-, Stammes- usw. Zusammenhänge.

Das Verdienst, dieser Frage auf wissenschaftlichem Wege auf den Grund gegangen zu sein, gebührt dem Grafen Keyserling.

Was ist Religion? Wir können es nicht definieren, weil Religion kein Begriff, sondern eine Synthese ist und Synthesen sich nicht definieren lassen. (320) »Sie umfasst das gesamte Leben und wie dieses äussert sie sich in den mannigfaltigsten Gestalten, welche in ihrem aktuellen Ausdruck kaum zu vergleichen sind.« (320)

Das im Menschen lebendige »religiöse« Gefühl ist der Ausdruck eines natürlichen Verhältnisses, einer biologischen Notwendigkeit, deren Macht sich – wenn auch in andern Formen – selbst in den niedersten Lebewesen äussert. Es ist eine weit über den Menschen zurückwirkende Grundtatsache. Alle Götter- und Mythenbildung ist notwendig erst eine späte Folgeerscheinung dieses Gefühls. Der metaphysische Gottesbegriff gar findet sich immer erst am Ende einer Entwicklung und bei den höchststehenden Völkern. Der Gedanke einer Uroffenbarung und späteren Verfälschung des wahren Gottesbegriffes ist ebenso naiv wie jener der Erschaffung des Menschen in der Gestalt und mit den allgemeinen Fähigkeiten, die wir heute an ihm wahrnehmen.

Das religiöse Gefühl als solches, das allen Menschen gemeinsam ist und aller Götter- und Mythenbildung vorausgeht, »dieser Urgrund aller Religion lässt sich eindeutig bestimmen. Er liegt in folgendem: die Religion erhebt eine Beziehung zwischen dem Individuum und dem Ueberindividuellen (dem Geschlecht oder der Gruppe, in späteren Stadien auch der πόλις, dem Staate, der Nation) zur Realität.« (320) »Im religiösen Gefühl erlebt der Mensch seinen wirklichen Zusammenhang mit der Welt.« (334) Oder, wie Ludwig Feuerbach es ausdrückt: » Im Wesen und Bewusstsein der Religion ist nichts anderes, als was überhaupt im Wesen und Bewusstsein des Menschen von sich und von der Welt liegt. Die Religion hat keinen eigenen, besonderen Inhalt.« »Das Bewusstsein der Welt ist ... für das Ich vermittelt durch das Bewusstsein des Du. So ist der Mensch der Gott des Menschen. Dass er ist, verdankt er der Natur, dass er Mensch ist, dem MenschenDas Wesen des Christentums, 4. Aufl. 1883, S. 61 u. 63.

Die angedeutete Beziehung zwischen dem Individuum und dem Ueberindividuellen, dieser Zusammenhang des Menschen mit der Welt ist, wie Keyserling zwingend nachgewiesen hat, unbestreitbar. »Das Individuum tritt tatsächlich als Teil in höhere Synthesen ein. Es lebt tatsächlich nur in bezug auf die Generationen, von denen es stammt, auf die Zukunft hin, die sein Leben fortsetzen wird. Desgleichen ist es im Gleichzeitigen wirklich Glied einer überindividuellen Einheit. So spiegelt denn das religiöse Gefühl in seiner Unmittelbarkeit die grundlegende Erkenntnis ... der realen Existenz überindividueller und überempirischer Synthesen. Schleiermacher erkannte im ›Gefühle der schlechthinigen Abhängigkeit‹ einen Grundzug aller Religion. In der Tat fühlt sich der Gläubige bedingt durch seinen Gott, durch die Beziehung, die dieser verkörpert. Aber dieses Abhängigkeitsgefühl bedeutet nichts anderes, als das subjektive Spiegelbild des objektiven Zusammenhanges, wie er tatsächlich vorliegt: wie der Einzelne wirklich Teil einer höheren Synthese, hier (bei den primitiven Völkern) der Familie, der Gruppe ist, so fühlt er sich abhängig von den Göttern, welche ihm diese Synthese symbolisieren: das persönliche Empfinden drückt auf seine Art eine unpersönliche Wahrheit aus.« (322)

Und dann etwas, was gegenüber dem Anspruch der verschiedenen Kirchen, im Alleinbesitz der Wahrheit zu sein, mit besonderem Nachdruck hervorgehoben werden muss:

»Die religiösen Synthesen entsprechen allesamt der Wirklichkeit, auch die niedersten nicht ausgenommen. Abstrahieren wir von den Glaubensvorstellungen, den Mythen und Theorien, die sie verwirklichen, umranken und nicht selten verdecken, – denn diese Phänomene stehen in keinem direkten und notwendigen Verhältnisse zum religiösen Gefühl als solchen, sind meist abliegenden und sekundären Ursprungs – so enthüllt sich uns überall die intime Kongruenz des Weltgefühls mit dem Weltbestande.« (330) »Das religiöse Gefühl spiegelt in der schlechthin subjektiven Sphäre den schlechthin objektiven Zusammenhang der Welt.« Es ist aber »in Hinsicht auf das Wesen der Religiosität ganz gleichgültig, woran geglaubt wird, was für Götter, Mythen, Heilsordnungen und Eschatologien als wahr anerkannt werden.« (337) Vergl. dazu Feuerbach (Anhang). »So bekundet denn gerade die Religion – die Geistesrichtung, die meist bewusst auf das Uebernatürliche geht und der fast immer jeder Bezug auf das Natürliche abgesprochen wird – mit vollendeter Deutlichkeit, dass der Mensch allseitig zur Natur gehört und nirgends ihrem souveränen Zirkel entrinnt.« (338)

Das religiöse Gefühl bezieht sich also nicht auf den Gott, den die Kirchen uns konstruieren, sondern auf durchaus natürliche Zusammenhänge. Wer sich näher für die Entstehung des Gottgedankens interessiert, der sei auf das schöne Buch von Kurt Breysig verwiesen: »Die Entstehung des Gottgedankens und der Heilbringer«, dessen Schlusssätze dem Anhange zu vorliegender Schrift einverleibt sind. Klar ist des ferneren, dass Gott als subjektives Beziehungssymbol des gottgläubigen Individuums – und etwas anderes kann er ja nicht sein – vernünftigerweise niemals Gegenstand von Lehre und Dogma sein kann. Die Kirchen haben aber alles Interesse daran, dieses Verhältnis und seine Konsequenzen zu ignorieren und mit der Fiktion des absoluten, für alle Menschen massgebenden Gottes zu arbeiten. Sie sind es daher auch, die dem religiösen Gefühl seinen speziellen Inhalt geben, es auf jenes übernatürliche Wesen richten, und zwar vermöge der suggestiven Beeinflussung, die sie immer und überall auszuüben bestrebt sind, vor allem in der Erziehung der Jugend.

»Alle Kinder sind Atheisten,« sagt Holbach, Le Bon-Sens, § 30. womit er sagen will: sie wissen nichts von Gott. Damit hat er zweifellos Recht. Von sich aus hat das Kind nicht die geringste Ahnung von der Gottheit. In dieser Beziehung ist es eine unbeschriebene Wachstafel und für alle Eindrücke ebenso empfänglich wie eine solche. Da hat denn die kirchlich beeinflusste Erziehung mit ihren Suggestionen meist leichtes Spiel und gelingt es ihr gewöhnlich, das junge Menschenkind so zu bearbeiten, dass es später die ihm suggerierte Gottesidee durch innere Erfahrungen bewahrheitet wähnt.

Wie die kirchlichen Suggestionsmittel, namentlich der orientalisierenden Kirchen, beschaffen sind, davon soll in einem eigenen Kapitel die Rede sein. Wir wollen das Thema dieses Abschnittes aber nicht verlassen, ohne den Gott der Kirche (der Einfachheit halber wollen wir von jetzt ab die Einzahl gebrauchen), den sie als allweise, allwissend, allmächtig, allgütig, allgegenwärtig, als den Inbegriff aller Gerechtigkeit und aller sonstigen menschlichen Ideale erklärt, zusammen mit seinem Gegenpol einen Augenblick als wirklich, d. h. jenseits von Glauben oder Nichtglauben existierend anzunehmen und einen Blick auf die orthodoxe Lehre von dem Sohne Gottes, diese oberste Voraussetzung des kirchlichen Christentums, und dem Teufel zu werfen. Hält sie dem einfachen gesunden Menschenverstand und den Ergebnissen der Naturwissenschaft stand und entspricht sie auch nur den Eigenschaften, die die Kirche dem höchsten Wesen zuschreibt?

Die Voraussetzung dieser Lehre ist der Glaube, dass die Erde der Mittelpunkt und das Herz der Welt und die ganze übrige Welt nur um unseres Planeten willen vorhanden sei.

Dieser Glaube erhielt einen schweren Stoss durch Kopernikus, der durch seine Lehre von der Bewegung der Erde und sämtlicher Planeten um die Sonne und ihrer täglichen Bewegung um die eigene Axe die Erde ihres Ruhmes als Mittelpunkt der Natur beraubte. Eine unheilbare Wunde schlug dem Glauben an die Gottessohnschaft des Nazareners und damit an die göttliche, d. h. übernatürliche Herkunft der christlichen Kirche dann der von Lucrez inspirierte Giordano Bruno durch seine Lehre von der Unendlichkeit der Welt, und es half Rom nichts, dass es diesen herrlichen Freigeist verbrennen liess. Hören wir Tröls-Lund: »Himmelsbild und Weltanschauung im Wandel der Zeiten«, Leipzig 1899, Teubner. Ich zitiere, ohne mich mit dem brunonischen Gottesbegriff, der hier durchschimmert, zu identifizieren. Wer sich nicht davor fürchtet, einen Begriff von der Unhaltbarkeit der physiko-theologischen Teleologie zu bekommen, der lese »Das Werden der Welten« von Svante Arrhenius, Leipzig, Akad. Verlagsges. 1908. 3. – 8. Tausend (5 M.) und Abschnitt 109 (»Hüten wir uns!«) von Nietzsches »Die fröhliche Wissenschaft«, dem ich nur folgenden Satz entnehme: »Der Gesamtcharakter der Welt ist dagegen in alle Ewigkeit Chaos, nicht im Sinne der fehlenden Notwendigkeit, sondern der fehlenden Ordnung, Gliederung, Form, Schönheit, Weisheit und wie alle unsere ästhetischen Menschlichkeiten heissen.« »Das Wunderbare an jenem Scheiterhaufen vom 17. Februar 1600 war, dass, obschon der Blick, der sich vertrauensvoll zum Himmel kehrte, im Tode brach, obschon die Hand, welche neue Wege gewiesen hatte, zu Asche verwandelt in die Wasser des Tiber verstreut wurde, doch nicht das Neue, sondern das Alte in Lohe aufging. Unsichtbar entzündeten Giordano Brunos Gedanken die alten Vorhänge. Und ohne dass einer der Anwesenden es ahnte, war es die alte Weltauffassung, welche an diesem Tage zum Tode verurteilt wurde, waren es Jahrtausende alte Vorstellungen, deren Gang zum Scheiterhaufen begann. Langsam aber sicher.« Und weiter unten: »Und selbst die Lehre von Gottes Sohn, der durch seine Herabkunft auf die Erde der Welterlöser wurde, verliert ihre frühere Tragkraft, wird ausgeleert wie durch eine unsichtbare Oeffnung, sobald ein moderner Mensch im Ernst darüber nachdenken will. Denn was ist ›die Welt‹? Es ist ja doch nicht nur der kleine Fetzen Erde und seine nächste Umgebung, sondern Billionen und aber Billionen Kugeln im Unendlichen. In jedem Augenblick erstrahlen hier neue Kugeln, bevölkert sich der grenzenlose Raum mit neuen Welten, die aus dem unendlichen Gotte hervorgegangen sind, weit, weit über das hinaus, was ein armer Menschengedanke fassen kann. Und dieser Gott sollte einen Sohn haben, um dessen Erscheinung auf Erden sich der Gang der ganzen Welt von Ewigkeit zu Ewigkeit drehen sollte! Jeder, der geistig zu Reife und Alter gekommen ist, fühlt bei solch engen Vorstellungen das Gewicht von Paulus' Wort: »Solange ich Kind war, sprach ich wie ein Kind, urteilte ich wie ein Kind. Aber als ich erwachsen war, legte ich das Kindische ab.« »Da die Erde noch eine ovale Scheibe war und Sonne und Mond nur ihre Beleuchtungskörper, konnte ihr Gott einen Sohn haben. Der Beherrscher der Milchstrassen ist notwendig kinderlos.« Karl Jordan. (Das Freie Wort, Jahrg. 7, S. 673).

»Und danach die Lehre von Teufel und Hölle. Der unendliche und allmächtige Gott sollte ein böses Wesen zum Gegner haben, das seinem Willen entgegenwirken könnte! Aber hierbei hört ja Gott auf, unendlich und allmächtig zu sein, – Und der Gott, von welchem man lehrt, dass er nicht nur liebend, sondern die Liebe ist, sollte seine Geschöpfe, seine Kinder für ihre Widerspenstigkeit mit ewigen Höllenqualen strafen wollen? Für jeden einigermassen entwickelten modernen Menschen, welcher auch nur im Geringsten gefühlt hat, was Liebe ist, ist die Antwort auf derartige Vorstellungen von einem Vater im Himmel nur ein: ›Schäme dich‹!« S. 261.

Als unsere Erde noch nicht existierte, hätte ein mit menschlichen Sinnen und Hilfsmitteln ausgestatteter Beobachter an irgendeiner Stelle des Kosmos im Grossen und Ganzen dasselbe Himmelsbild gehabt, wie wir es in klaren Nächten sehen: so weit das Auge reicht, nichts als flimmernde, stärker oder schwächer leuchtende Sterne.

Wenn alles höhere Leben auf unserm kleinen Planeten erloschen sein, oder wenn er nach einem Zusammenprall mit einem andern Himmelskörper bezw. einer ähnlichen sein Gefüge von Grund aus erschütternden Beeinflussung durch einen solchen, wieder in den Prozess hineingezogen sein wird, den er schon durchgemacht, wird sich an dem Allgemeinbilde des Himmels nichts geändert haben: Sterne und immer wieder Sterne – im Entstehen begriffene; durch Aufsturz kosmischer Massen glühend gewordene; solche in allen Stadien der Erkaltung; zur Entwicklung höheren Lebens auf Bestrahlung durch andere angewiesene; tote – just wie damals, just wie heute: eine räumliche und zeitliche Unendlichkeit.

»Von dem Gesichtspunkte der kosmischen Unendlichkeit zerfliessen die einträglichen Vorstellungsgebilde vom räumlich fixierten Himmel, Hölle und Fegefeuer zu wesenlosen Schemen und ziehen den Stuhl Petri mit sich in den Abgrund zukunftsloser Vergangenheit.« Brunnhofen Giordano Brunos Weltanschauung und Verhängnis, Leipzig 1882, S. 129.

Der groteske Widersinn der kirchlichen Lehre von Gott, Erbsünde und Gottes Sohn findet eine treffende Kritik bei Heigl:

»Nach der Lehre des Christentums hatte die Uebertretung des göttlichen Verbotes, vom Baume der Erkenntnis zu essen, für unsere Stammeltern nicht nur den Verlust des Paradieses, sondern für alle Menschen den Verlust der göttlichen Gnade zur Folge, weshalb Gott seinen Sohn zur Erde gesendet hat, damit uns sein Kreuzestod erlöse. Nun ist aber Gott all- und darum auch alles vorher wissend, seine Ratschlüsse sind alle unabänderlich, vorn Ewigkeit her, also menschlich gesprochen sämtliche gleichzeitig gefasst. Gott wusste daher in demselben Augenblick, als er beschloss, den ersten Menschen das Verbot zu geben, mit mehr als mathematischer, mit absoluter Gewissheit, dass sie dieses Verbot überträten, und zu gleicher Zeit fühlte er sich darüber so beleidigt, dass er gleichzeitig mit dem Entschlüsse, das Verbot zu erlassen, alles an dieses Verbot sich knüpfende Elend der Menschheit und sogar den Kreuzestod seines Sohnes, d. h. aber, weil er eines Wesens mit demselben ist, seinen eigenen beschloss, also in gewissem Sinne Selbstmörder geworden ist.« Spaziergänge eines Atheisten, 8. Aufl. (1907), S. 35.

Aehnlich spricht sich Deutschlands grösster Fürst aus. Friedrich der Grosse nennt es unbegreiflich, dass man das Christentum als ein Werk Gottes ansehen könne. »Welche traurige Rolle,« sagt er, »lässt man hier Gott spielen! Er schickt seinen einzigen Sohn, der selbst Gott ist, in die Welt, er bringt sich selbst zum Opfer, um sich mit seinen Geschöpfen zu versöhnen, er wird Mensch, um die sündige Menschheit zu verbessern – und was ist das Resultat aller dieser unerhörten Anstrengungen? Die Welt bleibt grade so schlecht wie sie vorher war. Wo ein einfacher Akt seines allmächtigen Willens genügt hätte, sollte er so unzureichende Mittel angewendet haben?« »Der Name des höchsten Wesens wird hier nur lächerlich gemissbraucht von geistlichen Betrügern, die sich seiner bedienen, um ihre verbrecherischen Leidenschaften damit zu verschleiern.« Ludwig Büchner: Zwei gekrönte Freidenker. S. 51.

Vorstehendes möge zur Kennzeichnung der kirchlichen Lehre genügen. Die Darlegung der wahren Beschaffenheit der Grundlagen des Christentums, die der Leser im III. Kapitel findet, macht ein näheres Eingehen auf die Kirchenlehre überflüssig; denn der Nachweis des unhistorischen Charakters der erstem entkleidet sie von selbst ihrer Bedeutung.


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