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Die Sturmglocke

Ballade

Marodeure ziehn über den Frankenwald,
ihr Ritt gilt dir, mein Sankt Sebald,
Dein weißgetünchtes Gnadenhaus
gleißt allzuhell in die Lande hinaus,
und wenn auch deine verstummten Glocken
waldaufwärts längst keinen Beter mehr locken,
machtvoller als stürmender Glockenschwall
verlockt den Schweden dein stummes Metall.
Was gilt's? Verfällst du der Teufelsmeute,
so lernst du das modische Klingklanggeläute.
Die Glocken müssen in Taler zerspringen,
die Glocke verstummt, und die Glöcklein klingen.

Auf der Höhe machen die Haufen halt.
Die Geieraugen gehn über den Wald ...
»Sacre nom! und Schwerenot noch einmal!«
Drei schmucke Dörfer prunken im Tal.
»Sacre nom de dieu!« Sie spitzen die Lippen,
als gält' es von ungrischem Weine zu nippen.
»So ist denn zwischen Frankreich und Polen
noch immer die Welt nicht ausgestohlen?
Gibt's hier noch Bauernhänse zum Stumpfen,
Hühner zum Rupfen und Laken zum Lupfen –?
Das wär' was für meines Vaters Lohn!
Stille jetzt, Kerls! Oder auf und davon
geht das Gesindel mit Fladen und Braten.
Wittert der Bauernlümmel Soldaten,
rennt er mit Sack und Pack zum Wald,
und der Beutel bleibt kahl und der Magen kalt ...
Still, Kerls! Da, horch! Was war das? Halt,
jetzt wieder ...«

»Ein Holzhacker schafft im Wald.
Dort über der Lichtung hämmert der Specht!«
»Teufel, der Kerl wär' uns eben recht,
die fetteste Weide auszuspüren
und uns vor die richtige Schmiede zu führen.
Holla, wer greift mir dem Lümmel ins Fell?
Mutter, Jungens, und schafft ihn zur Stell'!«

Drei schwärmen aus. Vier kehren zurück.
Drei zu Pferde und einer am Strick.
Halbflügger Vogel. Krausborstige Haare,
eckige Glieder und sechzehn Jahre.
»Her, die Kanaille! Ei, du Wicht,
du sommersprossiges Milchgesicht,
willst du, zum Teufel, die Beine heben,
oder soll ich dir Hilfe geben?
Kopf hoch« Und sprerr' deine Ohren auf!
Sag mir: Wo ist landab und landauf
für meine Jungens der fetteste Happen
auszuspüren und zu erschnappen?
Wer haust dort im Hofe? Wer dort zur Rechten?
Wer dort am Weiher? Mit wieviel Knechten
gilt's dort drüben am Waldrand zu raufen?
Wo sitzt sich's am wärmsten für meine Haufen?
Maul auf, Laffe! Und willst du erfahren,
wie man euch Hunde aus Haut und Haaren
ausbalgt, so lüge dich um den Wanst!
Lüge drauf los, wie du magst und kannst,
aber bis wir den Tanz beenden,
bleibst du mir unter Augen und Händen!«

Der Junge kraut sich den braunen Schopf:
»Herren, geht es um Hals und Kopf,
alsdann – und bin ich gleich ein Christ –
lieber in die Hölle als auf den Mist!
Also ich leist' euch das Judasstück,
aber gerät euch der Handel nach Glück ...«

»Feilscht der Lump um den Judaslohn!
Recht so, Junge! Das findet sich schon.
Vorwärts also, was hast du zu sagen?«
»Wenn mich die Herren so peinlich fragen –
alsdann, der Herrgott mag mir verzeihn,
im Kloster dort, das euch der Wald verdeckt,
sind die meisten fränkischen Taler versteckt.«

Der Schnapphahn reckt sich in Sattel und Bügel.
»Wo?« »Dort hinter dem Föhrenhügel.«
Drauf der Junge: »Beliebt es den Herr'n Junkern
im Kirchturm mit mir ein paar Stufen zu steigen,
könnt' ich alles zum Greifen zeigen.«
»Das wäre ...! – Löst ihm die Stricke auf!
Vorwärts, Bursche, du steigst vorauf!«
Der Junge hastet die Stiege empor,
über die Brüstung beugt er sich vor.
»Dort, Herr!« – »Dort, Herr! Ihr greift's mit Händen!
Dort unten!«
Um des Hauptmanns Lenden
schlagen sich hart wie Bärenpratzen
zwei eisern packende Bauerntatzen.
»Sacre nom –« das bebt wie ein Hebebaum.
»Hilfe!«
Da schwebt er im leeren Raum
und saust mit zerschelltem Schädel zu Grund.
»Greift zu, Herr, und genießt's gesund!«
Jetzt aber gilt's. Der flaumbärtige Junge
gewinnt die Treppe entreißt er den Balken
und beginnt die morschen Stufen zu walken.
Gebrüll aus der Tiefe. Die Tür fliegt auf,
die Marodeure stürmen zuhauf
in den Turm, daß Koller und Panzer rasseln,
aber die Treppe mit Staub und prasseln
kommt ihnen auf halbem Wege entgegen ...
Hei, und die Junge weiß sich zu regen!
Kaum schickt sich die Treppe zur tollen Fahre,
schwingt er sich schon nach Katzenart
durch die Luke zum Glockenboden empor,
und heulend über dem brüllenden Chor
Tollwütig rasender Marodeure
stürmen toll und toller die Glockenchöre.
Sturmglocken dröhnen über Land:
Hüte dich, Bauer! Feinde im Land!
Die Schweden schießen wie toll. Der Turm
spickt sich mit Kugeln.
Sturm, dröhnt's, Sturm, Sturm!
Das ist kein Geläute, um Bräute zu locken,
sind keine salbadernden Totenglocken,
das ist ein Atemholen und Heulen
und Brüllen über Länder und Meilen,
ein Gebrüll, das aus rasselnder Lunge drängt
und stockt und stürmt und die Brust zersprengt ...

Die Dörfer im Tale gehen auf Reisen:
Ein Gewimmel verstörter Waldameisen,
ein Hierherdrängen, ein Dorthinhasten,
ein Schleppen von Ballen und Karrenlasten,
ein Schelten von Männern, Gewinsel von Kindern,
ein Hundegekläff hinter Schafen und Rindern –
hundert Menschenbächlein rieseln im Tal
und versickern im Walde allzumal,
versinken in Höhlen, versickern in Schluchten,
münden in Dickicht und Felsenbuchten ...
Die Schweden schäumen. Laß echappieren,
was Beine hat! Der Hund muß krepieren!
Das flucht nach Stangen, das wettert nach Stricken,
Leitern zum Stürmen zusammenzuflicken.
Da, zwischen die Meute mit einem Sprunge
wirft sich ein alter, narbiger Junge,
des Hauptmanns Schärpe rafft er vom Grund:
»Mir gehorchen die Haufen von Stund'!«

Reit't euch der Teufel!? Tüchtige Bracken,
die, den Hirschen vor sich, die Katze packen!
Fort mit den Leitern! Wer mag da klettern,
wo ein Ziegel genügt, uns den Kopf zu zerschmettern!
Soll der Bauernflegel sich brüsten und prahlen,
daß wir so teuer für ihn zahlen?
Fort mit den Leitern! Werft Feuer in'n Turm!
Verbrennt das Holz, so verbrennt der Wurm ...

Recht so, Burschen! Bravo! Eingeheizt,
daß dem Laffen der Qualm die Nase beizt!
Wetter, das schafft! Der alte Plunder
brennt wie ein Haufen trockener Zunder.
Von Sparren zu Sparren hüpft der Brand,
eine Riesenfackel lodert ins Land!
Aber aus Schwalch und Brand noch immer
Heult der Glocke Todesgewimmer ...

Der Bauerntrotz rast in dem Jungen,
das Glockenseil um den Leib geschlungen,
läutet er mit verqualmten Lungen,
läutet er mit zerspringenden Adern
fort und fort zwischen wankenden Quadern;
Feuer in Kleidern und Augen und Haaren,
läßt er das glühende Seil nicht fahren,
bis der Turm in seinen Fugen erbebt
und stürzend Glocke und Glöckner begräbt ...

Zur Nacht grub ein Mönch mit Schaufel und Hacke
die Glocke aus der qualmenden Schlacke.
Und als er die Glocke hervorgeholt,
da hing im Metalle, halbverkohlt
und umschmolzen von der erstarrten Erz
der Junge. Das stach dem Alten ins Herz
und mit verbissenen Zähnen grub
er tief in den Grund: »Da schlafe, Bub!
und nimm die Glocke zu deinem Sarg,
die sich in glühenden Armen barg.
Und tritt in dem ehernen Märterkleid
vor den Richter dieser verruchten Zeit!
Kann sein, daß er dich samt dem erzenen Rocke
als Klöppel in seine Himmelsglocke
hängt und mit dir der verfluchten Zeit!
Kann sein, daß er dich samt dem erzenen Rocke
als Klöppel in seine Himmelsglocke
hängt und mit dir der verfluchten Zeit
das Amen läutet in Ewigkeit!«

*


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