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Wieder im Gasthofe, war Frau Bovary sehr erstaunt, die Post nicht mehr vorzufinden. Hivert hatte dreiundfünfzig Minuten auf Emma gewartet, schließlich aber war er abgefahren.
Es war zwar nicht unbedingt erforderlich, daß sie wieder zu Hause sein mußte. Aber sie hatte versprochen, an diesem Abend zurückzukehren. Karl erwartete sie also, und so fühlte sie jene feige Untertänigkeit im Herzen, die für viele Frauen die Strafe und zugleich der Preis für den Ehebruch ist.
Sie packte schnell ihren Koffer, bezahlte die Rechnung und nahm einen der zweirädrigen Wagen, die im Hofe bereitstanden. Unterwegs trieb sie den Kutscher zu größter Eile an, fragte aller Augenblicke nach der Zeit und nach der zurückgelegten Kilometerzahl und holte die Post endlich bei den ersten Häusern von Quincampoix ein.
Kaum saß sie drin, so schloß sie auch schon die Augen. Als sie erwachte, waren sie schon über den Berg, und von weitem sah sie Felicie, die vor dem Hause des Schmiedes auf sie wartete. Hivert hielt seine Pferde an, und das Mädchen, das sich bis zum Fenster hinaufreckte, flüsterte ihr geheimnisvoll zu:
»Gnädige Frau sollen gleich mal zu Herrn Apotheker kommen! Es handelt sich um etwas sehr Dringliches!«
Das Dorf war still wie immer. Vor den Häusern lagen kleine dampfende, rosafarbige Haufen. Es war die Zeit des Früchteeinmachens, und jedermann in Yonville bereitete sich am selben Tag seinen Vorrat. Vor der Apotheke bewunderte man einen besonders großen Haufen dieser ausgekochten Überreste. Man sah, daß hier mit für die Allgemeinheit gesorgt wurde.
Emma trat in die Apotheke. Der große Lehnstuhl war umgeworfen, und sogar der »Leuchtturm von Rouen« lag am Boden zwischen zwei Mörserkeulen. Sie stieß die Tür zur Flur auf und erblickte in der Küche – inmitten von großen braunen Einmachetöpfen voll abgebeerter Johannisbeeren und Schüsseln mit geriebenem und zerstückeltem Zucker, zwischen Wagen auf dem Tisch und Kesseln über dem Feuer – die ganze Familie Homais, groß und klein, alle in Schürzen, die bis zum Kinn gingen, Gabeln in den Händen. Der Apotheker fuchtelte vor Justin herum, der gesenkten Kopfes dastand, und schrie ihn eben an:
»Wer hat dir geheißen, was aus dem Kapernaum zu holen?«
»Was ist denn los? Was gibts?« fragte die Eintretende.
»Was los ist?« antwortete der Apotheker. »Ich mache hier Johannisbeeren ein. Sie fangen an zu sieden, aber weil der Saft zu dick ist, droht er mir überzukochen. Ich schicke nach einem andern Kessel. Da geht dieser Mensch aus Bequemlichkeit, aus Faulheit hin und nimmt aus meinem Laboratorium den dort an einem Nagel aufgehängten Schlüssel zu meinem Kapernaum!«
Kapernaum nannte er nämlich eine Bodenkammer, in der er allerlei Apparate und Material zu seinen Mixturen aufbewahrte. Oft hantierte er da drinnen stundenlang ganz allein, mischte, klebte und packte. Dieses kleine Gemach betrachtete er nicht als einen gewöhnlichen Vorratsraum, sondern als ein wahres Heiligtum, aus dem, von seiner Hand hergestellt, alle die verschiedenen Sorten von Pillen, Pasten, Säften, Salben und Arzneien hervorgingen, die ihn in der ganzen Gegend berühmt machten. Niemand durfte das Kapernaum betreten. Das ging soweit, daß er es selbst ausfegte. Die Apotheke stand für jedermann offen. Sie war die Stätte, wo er würdevoll amtierte. Aber das Kapernaum war der Zufluchtsort, wo sich Homais selbst gehörte, wo er sich seinen Liebhabereien und Experimenten hingab. Justins Leichtsinn dünkte ihn deshalb eine unerhörte Respektlosigkeit, und röter als seine Johannisbeeren, wetterte er:
»Natürlich! Ausgerechnet in mein Kapernaum! Sich einfach den Schlüssel nehmen zu meinen Chemikalien! Und gar meinen Reservekessel, den ich selber vielleicht niemals in Gebrauch genommen hätte! Meinen Deckelkessel! In unsrer peniblen Kunst hat auch der geringste Umstand die größte Wichtigkeit! Zum Teufel, daran muß man immer denken! Man kann pharmazeutische Apparate nicht zu Küchenzwecken verwenden! Das wäre gradeso, als wenn man sich mit einer Sense rasieren wollte oder als wenn….«
»Aber so beruhige dich doch!« mahnte Frau Homais.
Und Athalia zupfte ihn am Rock.
»Papachen, Papachen!«
»Laßt mich!« erwiderte der Apotheker. »Zum Donnerwetter, laßt mich! Dann wollen wir doch lieber gleich einen Kramladen eröffnen! Meinetwegen! Immer zu! Zerschlag und zerbrich alles! Laß die Blutegel entwischen! Verbrenn den ganzen Krempel! Mach saure Gurken in den Arzneibüchsen ein! Zerreiß die Bandagen!«
»Sie hatten mir doch …«, begann Emma.
»Einen Augenblick! – Weißt du, mein Junge, was dir hätte passieren können? Hast du links in der Ecke auf dem dritten Wandbrett nichts stehn sehn? Sprich! Antworte! Gib mal einen Ton von dir!«
»Ich … weiß … nicht«, stammelte der Lehrling.
»Ah, du weißt nicht! Freilich! Aber ich weiß es! Du hast da eine Büchse gesehn, aus blauem Glas, mit einem gelben Deckel, gefüllt mit weißem Pulver, und auf dem Schild steht, von mir eigenhändig draufgeschrieben: `Gift! Gift! Gift!' Und weißt du, was da drin ist? Ar – se – nik! Und so was rührst du an? Nimmst einen Kessel, der daneben steht!«
»Daneben!« rief Frau Homais erschrocken und schlug die Hände über dem Kopfe zusammen. »Arsenik! Du hättest uns alle miteinander vergiften können!«
Die Kinder fingen an zu schreien, als spürten sie bereits die schrecklichsten Schmerzen in den Eingeweiden.
»Oder du hättest einen Kranken vergiften können«, fuhr der Apotheker fort. »Wolltest du mich gar auf die Anklagebank bringen, vor das Schwurgericht? Wolltest du mich auf dem Schafott sehen? Weißt du denn nicht, daß ich mich bei meinen Arbeiten kolossal in acht nehmen muß, trotz meiner großen Routine darin? Oft wird mir selber angst, wenn ich an meine Verantwortung denke. Denn die Regierung sieht uns tüchtig auf die Finger, und die albernen Gesetze, denen wir unterstehen, schweben unsereinem faktisch wie ein Damoklesschwert fortwährend über dem Haupte!«
Emma machte gar keinen Versuch mehr, zu fragen, was man von ihr wolle, denn der Apotheker fuhr in atemlosen Sätzen fort:
»So vergiltst du also die Wohltaten, die dir zuteil geworden sind? So dankst du mir die geradezu väterliche Mühe und Sorgfalt, die ich an dich verschwendet habe! Wo wärst du denn ohne mich? Wie ginge dirs heute? Wer hat dich ernährt, erzogen, gekleidet? Wer ermöglicht es dir, daß du eines Tages mit Ehren in die Gesellschaft eintreten kannst? Aber um das zu erreichen, mußt du noch feste zugreifen, mußt, wie man sagt, Blut schwitzen! Fabricando sit faber, age, quad agis!«
Er war dermaßen aufgeregt, daß er Lateinisch sprach. Er hätte Chinesisch oder Grönländisch gesprochen, wenn er das gekonnt hätte. Denn er befand sich in einem Seelenzustand, in dem der Mensch sein geheimstes Ich ohne Selbstkritik enthüllt, wie das Meer, das sich im Sturm an seinem Gestade bis auf den Grund und Boden öffnet.
Er predigte immer weiter:
»Ich fange an, es furchtbar zu bereuen, daß ich dich in mein Haus genommen habe. Ich hätte besser getan, dich in dem Elend Und dem Schmutz stecken zu lassen, in dem du geboren bist! Du wirst niemals zu etwas Besserem zu gebrauchen sein als zum Rindviehhüten. Zur Wissenschaft hast du kein bißchen Talent! Du kannst kaum eine Etikette aufkleben. Und dabei lebst du bei mir wie der liebe Gott in Frankreich, wie ein Hahn im Korb, und läßt dirs über die Maßen wohl gehn!«
Emma wandte sich an Frau Homais:
»Man hat mich hierher gerufen….«
»Ach, du lieber Gott!« unterbrach die gute Frau sie mit trauriger Miene. »Wie soll ichs Ihnen nur beibringen?… Es ist nämlich ein Unglück passiert….«
Sie kam nicht zu Ende. Der Apotheker überschrie sie:
»Hier! Leer ihn wieder aus! Mache ihn wieder rein! Bring ihn wieder an Ort und Stelle! Und zwar fix!«
Er packte Justin beim Kragen und schüttelte ihn ab. Dabei entfiel Justins Tasche ein Buch.
Der Junge bückte sich, aber Homais war schneller als er, hob den Band auf und betrachtete ihn mit weit aufgerissenen Augen und offenem Mund.
»Liebe und Ehe«, las er vor. »Aha! Großartig! Großartig! Wirklich nett! Mit Abbildungen!… Das ist denn doch ein bißchen starker Tobak!«
Frau Homais wollte nach dem Buche greifen.
»Nein, das ist nichts für dich!« wehrte er sie ab.
Die Kinder wollten die Bilder sehn.
»Geht hinaus!« befahl er gebieterisch.
Und sie gingen hinaus.
Eine Weile schritt er zunächst mit großen Schritten auf und ab, das Buch halb geöffnet in der Hand, mit rollenden Augen, ganz außer Atem, mit rotem Kopfe, als ob ihn der Schlag rühren sollte. Dann ging er auf den Lehrling los und stellte sich mit verschränkten Armen vor ihn hin:
»Bist du denn mit allen Lastern behaftet, du Unglückswurm? Nimm dich in acht, sag ich dir, du bist auf einer schiefen Ebene! Hast du denn nicht bedacht, daß dieses schändliche Buch meinen Kindern in die Hände fallen konnte, den Samen der Sünde in ihre Sinne streuen, die Unschuld Athaliens trüben und Napoleon verderben? Er ist kein Kind mehr! Kannst du wenigstens beschwören, daß die beiden nicht darin gelesen haben? Kannst du mir das schwören?«
»Aber so sagen Sie mir doch endlich,« unterbrach ihn Emma, »was Sie mir mitzuteilen haben!«
»Ach so, Frau Bovary: Ihr Herr Schwiegervater ist gestorben!«
In der Tat war der alte Bovary vor zwei Tagen just nach Tisch an einem Schlaganfall verschieden. Aus übertriebener Rücksichtnahme hatte Karl den Apotheker gebeten, seiner Frau die schreckliche Nachricht schonend mitzuteilen.
Homais hatte sich die Worte, die er sagen wollte, genauestens überlegt und ausgeklügelt – ein Meisterwerk voll Vorsicht, Zartgefühl und feiner Wendungen. Aber der Zorn hatte über seine Sprachkunst triumphiert.
Emma verzichtete auf Einzelheiten und verließ die Apotheke, da Homais seine Strafpredigt wieder aufgenommen hatte, während er sich mit seinem Käppchen Luft zufächelte. Allmählich beruhigte er sich jedoch und ging in einen väterlicheren Ton über:
»Ich will nicht sagen, daß ich dieses Buch gänzlich ablehne. Der Verfasser ist Arzt, und es stehen wissenschaftliche Tatsachen darin, mit denen sich ein Mann vertraut machen darf, ja die er vielleicht kennen muß. Aber das hat ja Zeit! Warte doch wenigstens, bis du ein wirklicher Mann bist!«
Als Emma an ihrem Hause klingelte, öffnete Karl, der sie erwartet hatte, und ging ihr mit offenen Armen entgegen.
»Meine liebe Emma!«
Er neigte sich zärtlich zu ihr hernieder, um sie zu küssen. Aber bei der Berührung ihrer Lippen mußte sie an den andern denken. Da fuhr sie zusammenschaudernd mit der Hand über das Gesicht:
»Ja…ich weiß…ich weiß….«
Er zeigte ihr den Brief, worin ihm seine Mutter das Ereignis ohne jedwede sentimentale Heuchelei berichtete. Sie bedauerte nur, daß ihr Mann ohne den Segen der Kirche gestorben war. Der Tod hatte ihn in Doudeville auf der Straße, an der Schwelle eines Restaurants, getroffen, wo er mit ein paar Offizieren a.D. an einem Liebesmahl teilgenommen hatte.
Emma reichte Karl den Brief zurück. Bei Tisch tat sie aus konventionellem Taktgefühl so, als hätte sie keinen Appetit. Als er ihr aber zuredete, langte sie tapfer zu, während Karl unbeweglich und mit betrübter Miene ihr gegenüber dasaß.
Hin und wieder hob er den Kopf und sah seine Frau mit einem traurigen Blick an. Einmal seufzte er:
»Ich wollt, ich hätte ihn noch einmal gesehen!«
Sie blieb stumm. Weil sie sich aber sagte, daß sie etwas entgegnen müsse, fragte sie:
»Wie alt war dein Vater eigentlich?«
»Achtundfünfzig!«
»So!«
Das war alles.
Eine Viertelstunde später fing er wieder an:
»Meine arme Mutter! Was soll nun aus ihr werden?«
Emma machte eine Gebärde, daß sie es nicht wisse.
Da sie so schweigsam war, glaubte Karl, daß sie sehr betrübt sei, und er zwang sich infolgedessen gleichfalls zum Schweigen, um ihren rührenden Schmerz nicht noch zu vermehren. Sich zusammenraffend, fragte er sie:
»Hast du dich gestern gut amüsiert?«
»Ja!«
Als der Tisch abgedeckt war, blieb Bovary sitzen und Emma gleichfalls. Je länger sie ihn in dieser monotonen Stimmung ansah, um so mehr schwand das Mitleid aus ihrem Herzen bis auf den letzten Rest. Karl kam ihr erbärmlich, jammervoll, wie eine Null vor. Er war wirklich in jeder Beziehung »ein trauriger Kerl«. Wie konnte sie ihn nur loswerden? Welch endloser Abend! Etwas Betäubendes ergriff sie, wie Opium.
In der Hausflur ward ein schlürfendes Geräusch vernehmbar. Es war Hippolyt, der Emmas Gepäck brachte. Es machte ihm viel Mühe, es abzulegen.
»Karl denkt schon gar nicht mehr daran«, dachte Emma, als sie den armen Teufel sah, dem das rote Haar in die schweißtriefende Stirn herabhing.
Bovary zog einen Groschen aus der Westentasche. Er hatte kein Gefühl für die Demütigung, die für ihn in der bloßen Anwesenheit dieses Krüppels lag. Lief er nicht wie ein leibhaftiger Vorwurf der heillosen Unfähigkeit des Arztes herum?
»Ein hübscher Strauß!« sagte er, als er auf dem Kamin Leos Veilchen bemerkte.
»Ja!« erwiderte sie gleichgültig. »Ich habe ihn einer armen Frau abgekauft.«
Karl nahm die Veilchen und hielt sie wie zur Kühlung vor seine von Tränen geröteten Augen und sog ihren Duft ein. Sie riß sie ihm aus der Hand und stellte sie in ein Wasserglas.
Am andern Morgen traf die alte Frau Bovary ein. Sie und ihr Sohn weinten lange. Emma verschwand unter dem Vorwand, sie habe in der Wirtschaft zu tun.
Am Tage nachher beschäftigten sich die beiden Frauen mit den Trauerkleidern. Sie setzten sich mit ihrem Nähzeug in die Laube hinten im Garten am Bachrande.
Karl dachte an seinen Vater und wunderte sich über seine große Liebe zu diesem Mann, die ihm bis dahin gar nicht weiter zum Bewußtsein gekommen war. Auch Frau Bovary grübelte über den Toten nach. Jetzt fand sie die schlimmen Tage von einst begehrenswert. Ihr Joch war ihr so zur alten Gewohnheit geworden, daß sie nun Sehnsucht darnach empfand. Ab und zu rann eine dicke Träne über ihre Nase und blieb einen Augenblick daran hängen. Dabei nähte sie ununterbrochen weiter.
Emma dachte, daß kaum achtundvierzig Stunden vorüber waren, seit sie und der Geliebte zusammengewesen waren, weltentrückt, ganz trunken und nimmer satt, einander zu sehen. Sie versuchte sich die kleinsten und allerkleinsten Züge dieses entschwundenen Tages ins Gedächtnis zurückzurufen. Aber die Anwesenheit ihres Mannes und ihrer Schwiegermutter störte sie. Sie hätte nichts hören und nichts sehn mögen, um nicht in ihren Liebesträumereien gestört zu werden, die gegen ihren Willen unter den äußeren Eindrücken zu verwehen drohten.
Sie trennte das Futter eines Kleides ab, das sie um sich ausgebreitet hatte. Die alte Frau Bovary handhabte Schere und Nadel, ohne die Augen zu erheben. Karl stand, beide Hände in den Taschen, in seinen Tuchpantoffeln und seinem alten braunen Überrock, der ihm als Hausanzug diente, bei ihnen und sprach auch kein Wort. Berta, die ein weißes Schürzchen umhatte, spielte mit ihrer Schaufel im Sande.
Plötzlich sahen sie Lheureux, den Modewarenhändler, kommen.
Er bot in Anbetracht des »betrüblichen Ereignisses« seine Dienste an. Emma erwiderte, sie glaube darauf verzichten zu können, aber der Händler wich nicht so leicht.
»Ich bitte tausendmal um Verzeihung,« sagte er, »aber ich muß Herrn Doktor um eine private Unterredung bitten.« Und flüsternd fügte er hinzu: »Es ist wegen dieser Sache … Sie wissen schon….«
Karl wurde rot bis über die Ohren.
»Gewiß … freilich … natürlich!«
In seiner Verwirrung wandte er sich an seine Frau:
»Könntest du das nicht mal … meine Liebe…?«
Sie verstand ihn offenbar und erhob sich. Karl sagte zu seiner Mutter:
»Es ist nichts weiter! Wahrscheinlich irgend eine Kleinigkeit, die den Haushalt betrifft.«
Er fürchtete ihre Vorwürfe und wollte nicht, daß sie die Vorgeschichte des Wechsels erführe.
Sobald sie allein waren, beglückwünschte Lheureux Emma in ziemlich eindeutigen Worten zur Erbschaft und schwatzte dann von gleichgültigen Dingen, vom Spalierobst, von der Ernte und von seiner Gesundheit, die immer »so lala« sei. Er müßte sich wirklich höllisch anstrengen und, was die Leute auch sagten, ihm fehle doch die Butter zum Brote.
Emma ließ ihn reden. Seit zwei Tagen langweilte sie sich entsetzlich.
»Und sind Sie völlig wiederhergestellt?« fuhr er fort. »Ich sag Ihnen, ich habe Ihren armen Mann in einer schönen Verfassung gesehn! Ja, ja, er ist ein guter Mensch, wenn wir uns auch ordentlich einander in die Haare gefahren sind.«
Sie fragte, was das gewesen sei. Karl hatte ihr nämlich die Streitigkeit wegen der gelieferten Waren verschwiegen.
»Aber Sie wissen doch! Es handelte sich um Ihre Sachen zur Reise….«
Er hatte den Hut tief in die Stirn hereingezogen, die Hände auf den Rücken genommen und sah ihr, lächelnd und leise redend, mit einem unerträglichen Blick ins Gesicht. Vermutete er etwas? Emma verlor sich in allerlei Befürchtungen. Inzwischen fuhr er fort:
»Aber wir haben uns schließlich geeinigt, und ich bin gekommen, ihm ein Arrangement vorzuschlagen….«
Es handelte sich darum, den Wechsel, den Bovary ausgestellt hatte, zu erneuern. Übrigens könne der Herr Doktor die Sache ganz nach seinem Belieben regeln; er brauche sich gar nicht zu ängstigen, noch dazu jetzt, wo er gewiß mit Sorgen überhäuft sei.
»Das beste wäre ja, wenn die Schuld jemand anders übernähme. Sie zum Beispiel. Durch eine Generalvollmacht. Das wäre das Bequemste. Wir könnten dann unsere kleinen Geschäfte miteinander abmachen.«
Sie begriff nicht recht, aber er sagte nichts weiter. Dann kam er auf sein Geschäft zu sprechen und erklärte ihr, sie müsse unbedingt etwas nehmen. Er wolle ihr zwölf Meter Barege schicken, zu einem neuen schwarzen Kleide.
»Das, was Sie da haben, ist gut fürs Haus. Sie brauchen noch noch ein andres für die Besuche. Gleich beim Eintreten habe ich das bemerkt. Ja, ja, ich habe Augen wie ein Amerikaner!«
Er schickte den Stoff nicht, sondern brachte ihn selbst. Dann kam er nochmals, um Maß zu nehmen, und dann unter allen möglichen anderen Vorwänden wieder und wieder, wobei er sich so gefällig und dienstbeflissen wie nur möglich stellte. Er stand »gehorsamst zur Verfügung«, wie Homais zu sagen pflegte. Dabei flüsterte er Emma immer wieder irgendwelche Ratschläge wegen der Generalvollmacht zu. Den Wechsel erwähnte er nicht mehr, und Emma dachte auch nicht daran. Karl hatte wohl kurz nach ihrer Genesung mit ihr darüber gesprochen, aber es war ihr seitdem so viel durch den Kopf gegangen, daß sie das vergessen hatte. Sie hütete sich überhaupt, Geldinteressen an den Tag zu legen. Frau Bovary wunderte sich darüber, aber sie schrieb das der Frömmigkeit zu, die zur Zeit der Krankheit in ihr erstanden sei.
Sobald die alte Frau jedoch abgereist war, setzte Emma ihren Gatten durch ihren Geschäftssinn in Erstaunen. Man müsse Erkundigungen einholen, die Hypotheken prüfen und feststellen, ob nicht vielleicht ein Nachlaßkonkurs nötig sei. Sie gebrauchte auf gut Glück allerhand juristische Ausdrücke, sprach von Ordnung des Nachlasses, Nachlaßverbindlichkeiten, Haftung usw., und übertrieb immerfort die Schwierigkeiten der Erbschaftsregelung. Eines Tages zeigte sie ihm sogar den Entwurf einer Generalvollmacht, die ihr das Recht übertrug, das Vermögen zu verwalten, Darlehen aufzunehmen, Wechsel auszustellen und zu akzeptieren, jederlei Zahlung zu leisten und zu empfangen usw.
Lheureux war ihr Lehrmeister.
Karl fragte sie naiv, wer ihr die Urkunde ausgestellt habe.
»Notar Guillaumin.« Und mit der größten Kaltblütigkeit fügte sie hinzu: »Ich habe nur nicht das rechte Vertrauen zur Sache. Die Notare stehn in so schlechtem Ruf! Vielleicht müßte man noch einen Rechtsanwalt um Rat fragen. Wir kennen aber nur … nein … keinen.«
»Höchstens Leo«, meinte Karl nachdenklich. Aber es sei schwierig, sich brieflich zu verständigen.
Da erbot sich Emma, die Reise zu machen. Er dankte. Sie bot es nochmals an. Keins wollte dem andern an Zuvorkommenheit nachstehen. Schließlich rief sie mit gut gespieltem Eigensinn aus:
»Ich will aber! Ich bitte dich, laß michs machen!«
»Wie gut du bist!« sagte er und küßte sie auf die Stirn.
Am andern Morgen stieg sie in die Post, um nach Rouen zu fahren und Leo zu konsultieren. Sie blieb drei Tage fort.