Egid von Filek
Wachtmeister Pummer
Egid von Filek

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12.

Was dem Wachtmeister eigentlich an jenem Abend im Walde geschehen war, hat kein Mensch in Kasdorf je erfahren.

Der Pfarrer schwieg und der Johann desgleichen; bei letzterem war es zweifelhaft, ob er sich über das Erlebnis irgendeinen klaren Gedanken machte, denn wenn das Wort der Schrift von den Armen im Geiste und vom Himmelreich auch für ihn galt, so mußte er von der Stunde seiner Geburt an schon hienieden stets im siebenten Himmel gewesen sein.

Die Mariann ahnte den Zusammenhang. Aber auch sie wußte eigentlich nichts und redete dem neugierigen Pater Balduin ein, der Pummer hätte im Wald bei einer Streifung einen Fehltritt getan und sich dabei arg den Fuß verstaucht. 250 In dieser Fassung gelangte die Nachricht auch an den Stammtisch beim Moser und wurde teilnahmsvoll aufgenommen. Nur der Förster wackelte ungläubig mit seinem grauen, struppigen Schädel.

Derweil saß die Mariann am Bett des Kranken, reichte ihm zu trinken und sorgte für ihn mit allen Instinkten der Mütterlichkeit, die in ihrer verkümmerten Frauenseele schlummerten. Ein tüchtiges Fieber hatte er von dem bösen Abenteuer doch davongetragen; der eiligst geholte Bader tat, was er verstand, aber die gesunde Natur des Wachtmeisters bezwang die Mixturen und die Krankheit in gleich vorzüglicher Weise, und bald konnte er das Bett verlassen, just als die Feiertage um waren und der Dienst wieder begann.

»Aber eine kleine Erholung tät Ihnen doch gut, Herr Wachtmeister,« meinte der Pfarrer beim Abschied. »Recht angegriffen schaut er aus, gelt, Mariann?«

»Na ja – nächsten Monat nehm ich mir Urlaub und fahr heim – zu meiner Mutter,« erwiderte 251 Pummer und senkte den Kopf. Und dann bedankte er sich für die Pflege und für alles Gute, das ihm in diesen bösen Tagen im Pfarrhof geworden war. Aber der Pfarrer wehrte ab und sprach von der Christenpflicht der Nächstenliebe.

Der Wachtmeister schlug die Hacken zusammen und salutierte, aber es klang nicht so stramm wie sonst.

»Merkwürdig verändert kommt er mir vor, unser Herr Pummer,« sagte die Mariann und sah ihm durch das Fenster nach. »Wie er über den Hof geht, ordentlich gebrochen.«

Der Pfarrer wandte sich dem schwarzen Pudelkopf zu und stopste. »Ja, das böse Fieber.«

Sie schlich um ihn herum wie eine Katze:

»O nein, das kommt nöt allein von der Krankheit. Ich glaub', er nimmt sich irgendwas zu Herzen. Was kann denn da g'schehen sein?«

Aber der Pfarrer wollte nicht anbeißen. Er setzte umständlich die Pfeife in Brand und sprach vom Wetter. 252

»Am End' is ihm im Wald was Böses g'schehen,« sagte die Mariann lauernd.

»Du, Mariann, laß die Kanzlei heizen, ich hab' was einzutragen in die Matrikeln. Aber gleich, bitte.«

Sie ging hinaus, brennend vor unbefriedigter Neugier.

Ein paar Tage später stand der Wachtmeister vor seinem Kommandanten und bat um Urlaub. Und noch eine zweite Bitte brachte er vor, zögernd und stotternd: er wollte von Kasdorf wegversetzt werden.

Der Kommandant machte große Augen. Alles, was eine Veränderung im Personalstand seiner Untergebenen bedeutete, betrachtete er wegen der damit verbundenen Schererei als eine persönliche Beleidigung.

»Versetzt will Er werden? Ja warum denn?«

»Differenzen mit der Ortsbevölkerung,« meinte Pummer verlegen.

Der andere schüttelte befremdet den Kopf. Das stehe seines Wissens nicht im Dienstreglement. 253 Er holte einen dicken Schmöker vom Regal. Da war das ganze Leben des Gendarmen vom ersten Diensttag an bis zum Tode sorgsam in Hunderte von Paragraphen abgezogen wie der Wein in Flaschen; da standen auch alle stichhaltigen Gründe, aus denen eine Versetzung statthaft war. Aber dieser Grund war nirgends zu finden.

»Sieht Er, Herr Wachtmeister, daß ich recht habe?« sagte der Kommandant, und der Amtsschimmel in seiner Seele wieherte im freudigen Triumph. »Nichts dergleichen steht im Dienstreglement!«

Aber Herr Pummer wiederholte seine Bitte mit großer Hartnäckigkeit.

Der Kommandant knurrte. Wenn ein junger Gendarm einen anderen Dienstposten haben will, steckt gewöhnlich ein Frauenzimmer dahinter. Aber so ein alter Esel wie der Pummer – warum blieb der nicht auf seinem Fleck? Kasdorf war doch einer der besten Posten in der ganzen Bezirkshauptmannschaft. 254

Der Pummer war seit jener Wilderergeschichte bei der Behörde nicht gut angeschrieben. Die Gerichtsverhandlung hatte ihm richtig den Spottnamen des Sherlock Holmes von Kasdorf gebracht; hatte ihn mit dem Schlimmsten beladen, das es geben kann für einen Mann im öffentlichen Dienst: dem Fluch der Lächerlichkeit.

»Machen's halt die Eingabe. Ich werd's befürworten – versprechen kann ich natürlich nichts.«

Und er wandte sich seinen Akten zu.

Schwergekränkt zog der Wachtmeister ab. War das der Lohn für seinen Diensteifer?

Tage und Wochen vergingen, und der Amtsschimmel trottete den langen Dornenweg dahin, der von der Eingabe eines Aktes zu dessen Erledigung führt, bis endlich Herr Pummer das wichtige Schriftstück in der Hand hielt.

Der Urlaub war wohl bewilligt, aber das Ansuchen um Versetzung abschlägig beschieden.

Er traf seine Vorbereitungen zu der kleinen Reise sorgfältiger als sonst. Noch nie hatte er 255 sich so nach dem stillen, kleinen Heimatsnest mitten im Wald gesehnt.

Zur Mutter!

Wie würde sich die alte bewegliche Frau mit den lebhaften, klugen Augen freuen, wenn ihr Franzl kam, ihr Einziger, der sie schmerzlich und selig zugleich an den verlorenen Gatten erinnerte! Sie war so stolz auf seine gute Führung. Ach, nur um ihretwillen hätte er so gern irgendeine Auszeichnung errungen. Und statt dessen brannte auf seiner Seele heimliche Schmach.

Am Dienstag früh wollte er fort. Aber Montag abends kam ein Brief aus der Heimat. Expreß. Doppeltes Porto. Er riß ihn mit zitternden Händen auf. Eine Nachbarin schrieb: er solle so schnell wie möglich kommen, der guten alten Frau Pummer gehe es gar nicht gut. Ein plötzlicher Schlaganfall. Noch sei nicht alle Hoffnung verloren . . .

Er machte sich auf zu der traurigsten Urlaubsreise seines Lebens. Als er ankam, war die Mutter schon gestorben. 256

Still und sanft, wie alte Leute tun. Die Nachbarin, die treulich bei ihr Wache gehalten, fand sie eingeschlafen, als sie wieder einmal zu ihr trat; der weiße Kopf lag auf der Lehne des großen Polsterstuhles, die Hände falteten sich im Schoß wie zum Gebet. Auf dem Tisch ein Brief, den sie kurz vor dem Anfall geschrieben. Und er las die guten einfachen Worte aus einfachem, treuem Mutterherzen, das sich nach ihm sehnte in banger Ahnung, als sei es das letztemal.

Die Nachbarin zündete drinnen die Kerzen an. Dann setzte sie sich auf den kalten Herd und sprach ein leises Vaterunser.

Der Wachtmeister trat in das Totenzimmer; er mußte sich bücken, so niedrig war die kleine Tür. Den Brief der Mutter hielt er in der Hand, den letzten Brief mit seinen strammen, aufrechten Buchstaben. Und die Hand, die sie langsam und sorglich hingemalt, lag wachsgelb und starr, um ein kleines schwarzes Kruzifix gebogen, dort unter dem Schleier, und die 257 mageren Kerzen warfen zuckende Lichter über die gekrümmten Finger und die wulstigen Adern. Und er dachte an alles Gute, das diese Hand über sein Leben ausgegossen, eine unerschöpfliche Schale voll segnender Liebe. Wie sie seine ungelenken, krampfigen Kinderfinger geführt, als er die mühselige Kunst des Schreibens lernte; wie sie ihm seine Suppe gereicht und das schwarze Brot hineingeschnitten und abends die Bettdecke glattgestrichen und das Kreuz auf seine Stirn gezeichnet. Manchmal hatte sie ihn geschlagen, selten nur, sehr selten. Und sicher hatte ihr jeder Schlag tausendmal mehr weh getan als ihm.

An diese starre, wachsgelbe Hand wird er denken müssen sein Leben lang. Und sie wird ihm den Weg in die Ewigkeit weisen, wenn er selbst einmal an der dunklen Pforte steht, durch die sie nun geschritten ist mit aufrechter Seele – die Mutter.

Wie er die brennenden Augen emporhob von der hingestreckten Gestalt in dem schmalen, schwarzen Kasten und durch das kleine Fenster 258 hinaussah in den Schnee, da war ihm, als liege der ganze Lebensweg der einsamen Frau vor ihm. Eng und schmal war er gewesen, dieser Weg; vom Häuschen ging's nach links zur Schule, dort zweigte ein Steig, mit rohen Granitplatten gepflastert, nach der Kirche ab, und ein paar Stufen führten seitwärts zum Friedhof. Über diese Steine, diese Stufen war sie geschritten, wohl tausendmal in ihrem Leben, als Schulkind, als kleines Mädchen, wenn die Sonntagsglocken zur Kirche riefen, als Braut, als junge Mutter mit dem kleinen Buben auf dem Arm, als trauernde Witwe und gottergebene Greisin. Und nun wird sie ihn bald zum letztenmal zurücklegen.

Was lag alles an Glück und Weh eines ganzen Menschenlebens auf dieser kurzen Strecke Wegs . . .

Er senkte den Kopf gegen die Brust. Die ernste Stunde zeigte ihm das Bild seines eigenen Daseins wie in einem dunklen Spiegel. Er selbst war ihn nie gegangen, den Weg des Lebens. Hatte immer nur dagestanden und aufgepaßt, 259 wie andere ihn gingen, und ob sie keinen Schritt zur Seite taten in verbotenes grünes Land voll verlockender Früchte. Dastehen, aufpassen, Leid und Glück der anderen an sich vorüberziehen lassen, selber ohne tiefes Glück, ohne heißes Weh, im kalten Bewußtsein der Pflicht. Das war sein Leben.

Er folgte dem einfachen Sarg mit kleinen müden Schritten, als trüge er eine schwere Last. Er saß mit den Bauern beim Totentrunk in der kleinen, muffigen Wirtsstube und fühlte ihre Blicke auf seiner Uniform, halb mißtrauisch und halb ehrfürchtig. Und wieder brannte die Schande wie fressendes Feuer.

Einen Tag und eine Nacht blieb er, die kleine Verlassenschaft zu ordnen.

Wenig war da: ein paar hundert Kronen für ihn, die sich die Mutter abgedarbt von der kleinen Pension, und ein Bild seines Vaters. Er steckte beides zu sich, bezahlte die Begräbniskosten und bestellte ein einfaches Kreuz auf das Grab. 260

In der Nacht warf er sich in schweren Träumen auf dem Strohsack herum, den die alte Nachbarin beigestellt hatte. Im Bett der Mutter mochte er nicht schlafen. Und in seinem überreizten Hirn wälzte er zwischen Traum und Wachen die Frage: Sollte er das Häuschen verkaufen oder vermieten? Er konnte zu keinem Entschluß kommen. »Ich will doch die Mutter fragen,« murmelte er schlaftrunken. Und er rief halblaut: »Mutter!« Und als keine Antwort kam, ein zweites und drittes Mal. Dann fuhr er auf, denn der Mond schien ihm ins Gesicht und schnitt eine höhnische Fratze, und nun wußte er plötzlich: die er rief, gab keine Antwort mehr . . .

Im Grau des trüben, winterlichen Vormittags stand er auf der Straße und nahm Abschied von den paar niedrigen Häusern, die sich unter die Fittiche der kleinen Kirche duckten wie Küchlein unter die Henne. Kasdorf war eine behäbige Stadt im Vergleich mit diesem armseligen Nestchen. Und seltsam verschmolz die Erinnerung an die Mutter mit dem Bilde der Heimat, als sei 261 nun erst alles geheimnisvoll belebt, und jedes Haus, jeder Baum und jedes Feld ein Teil von ihr, aus deren Staub nun bald die Blüten des Frühlings treiben würden in der ewigen Wiederkehr des Werdens und Vergehens.

In jener Stunde nahm der Wachtmeister Pummer Abschied von seiner Jugend. Denn solange einem Menschenkind die Mutter lebt, solange atmet auch noch tief in seinem Herzen die Kindheit und quillt der heilige Brunnen aller Lebensfreude – aber wer die Mutter verloren, der ist alt . . .

Es hatte sich um diese Zeit in Kasdorf ein neues Wirtshaus aufgetan. Im Oberort lag es, wo die Häuser schon klein wurden und die Straße schlecht, und sein Besitzer war jener abgewirtschaftete Bauer, an dessen Feldern sich der Moser für das seiner Tochter abgetretene Grundstück schadlos halten wollte; so hatte er sie ihm um einen Pappenstiel abgekauft und noch ein Stück Geld für das Inventar des Wirtsgeschäftes gegeben. Herr Kerzendocht zog ein bedenkliches 262 Gesicht: Das hieß ja die Konkurrenz füttern! Aber der alte Schlaukopf lachte ihn aus und meinte: »Abwarten, abwarten!« Es wies sich bald, daß er gut spekuliert hatte; denn der neue Besitzer, anfangs triumphierend, weil ein paar Bauern aus Neugier hie und da das Lokal besuchten, kam bald vom Pferd auf den Esel und war aus einem schlechten Bäuerlein ein noch schlechterer Wirt geworden; denn ein Wirt muß besser rechnen können als ein Landmann. Die Gäste verloren sich und kehrten reumütig wieder zum Moser zurück, dessen Ruf um so mehr gefestet schien, als der Alte mit geheimnisvollen Andeutungen um sich warf, daß in kurzer Zeit von seinem Hause ein ganz neuer Glanz ausgehen werde.

Man kann sich deshalb das Erstaunen der Stammtisch-Tafelrunde vorstellen, als sich die Nachricht verbreitete, der Wachtmeister Pummer wolle vom Moserwirt nichts mehr wissen und bringe seine dienstfreie Zeit größtenteils beim schlechten Wein des neuen Wirts zu. 263

Die Meinungen über das sonderbare Ereignis waren geteilt.

Der Pater Balduin sprach vom Schmerz gekränkter Liebe, der dem Pummer näherging, als man glauben mochte bei einem so ernsten und gesetzten Mann; denn wirklich benahm sich der Lux Ferdl schon ganz als Bräutigam und saß jeden Abend in der Küche bei dem Mädel, dessen silbernes Lachen bis ins Extrazimmer klang; der Ferdl wußte sie halt besser zu unterhalten als der steife Wachtmeister!

Der Pfarrer sagte nichts; aber in den kurzen, stoßweise aus dem Weichselrohr gepafften Rauchwolken lag eine strenge Mißbilligung der leichtsinnigen, weltlichen Reden seines Kaplans.

»Mein Gott – er hat seine Mutter verloren,« sagte Herr Gärtner weich. »Dieser verschlossene Mensch hat ein tiefes Gemüt, tiefer vielleicht als wir alle denken. Und da zieht er sich zurück von uns und will seinen Schmerz betäuben – ich kann das sehr gut begreifen.« 264

»Deshalb braucht er aber doch nicht in so ein elendes Wirtshaus zu kriechen,« bemerkte der Oberlehrer mit strenger Miene, »oder sind wir ihm vielleicht nicht gut genug?«

Herr Wimmer trug einen heimlichen Groll gegen den Wachtmeister herum, seit er die Einladung zum Eintritt in den Gesangverein so schroff zurückgewiesen hatte.

Der Förster war ebenso stumm geblieben wie der Pfarrer. Einen Moment kreuzten sich die Blicke der beiden Männer über den Tisch hinüber – dann klopfte der Förster die Pfeife aus und meinte kopfschüttelnd:

»Das geht nöt so weiter. Ich werd' mal mit dem Wachtmeister reden. Vielleicht hat er gar was gegen uns.«

»Tun Sie das, Herr Förster. Es wird gut sein – gut für uns alle,« sagte der Pfarrer lebhaft, mit ungewohnter Wärme.

Das war der Ausdruck der allgemeinen Gemütsstimmung. Alle empfanden, daß man dem Wachtmeister irgendwie unrecht getan, ihn zum 265 mindesten falsch beurteilt hatte, und der traurige Verlust, den er erlitten, hatte ihn allen wieder menschlich nähergebracht. So einigte man sich dahin, den Förster als Friedensboten auszusenden.

»Mit einem Ölzweig im Schnabel, wie die Taube Noahs,« sagte Pater Balduin.

»Gilt schon,« brummte der Waldmensch, der den Witz nicht verstand. Und dann ging die Schnupftabaksdose rundum, und eine gesunde Tarockpartie lenkte die Gedanken von dem peinlichen Thema ab.

Schon am nächsten Abend stieg der Friedensbote den steilen Fußsteig zum Oberort hinauf.

Ein wahrer Martersteig, voll von Wasserrissen, Löchern und kopfgroßen Felsbrocken. Die Knie taten ihm weh von den verdammten Steinstufen. Seine Verdrießlichkeit steigerte sich noch, als er in die elende Wirtsstube trat. Am Kachelofen trockneten Windeln; der Storch hatte sich gerade zur unpassendsten Zeit eingestellt. Zwei halbnackte Kinder wälzten sich auf dem Fußboden herum; ein grauslicher Anblick für einen 266 eingefleischten alten Junggesellen, wie es der Förster war.

Hinter dem Schankgitter kam der Wirt zum Vorschein, mit einem kümmerlichen, sorgenvollen Gesicht, das gar nicht zu seinem Beruf passen wollte, und machte sehr erstaunte Augen über den ungewohnten Gast.

»A Krügl Bier,« bestellte der Förster und setzte sich. Die morsche Bank krachte unter seinem Körper.

Die scharfen Jägeraugen musterten das Lokal. Rote, schmutzige Vorhänge, trübe Fensterscheiben, dazu elendes Möbelwerk, Bänke und Stühle aus Tannenholz, die einmal braun gestrichen und nun überall abgeschabt und abgestoßen waren; auf einem geflickten Holzgestell zwei Dutzend Gläser und Flaschen. Diese ganze Herrlichkeit war beleuchtet von einer stinkenden Petroleumlampe, die trübrotes Licht über den ungedeckten Tisch goß; und der Geruch der Windeln – pfui Teufel!

Was hatte der Pummer in dieser Spelunke zu suchen? 267

Der Förster runzelte die Stirn. Vorige Woche hatte er im Wald ein totes Reh gefunden. Es mußte vor wenigen Stunden erst verendet sein. Und zum Sterben hatte es sich in einen Winkel zurückgezogen, voll Gestrüpp und Brombeerranken, zwischen Unterholz und wilde Gesteintrümmer, fern von den schönen, moosigen Ebenen, wo die großen Waldbäume standen. Wahrscheinlich hatten es Wilderer angeschossen, diese elenden Lumpen.

Sonderbar, daß er bei der Betrachtung dieser Jammerwirtschaft an den öden Waldwinkel denken mußte und an das weidwunde Tier . . .

Der Wirt entschuldigte sich: Bier war nicht im Haus. »Es geht nöt recht da heroben; vielleicht a Viertel Wein g'fällig?«

»Meinetwegen,« brummte der Förster und wehrte die Kinder ab, die seine Beine als Kletterbäume benutzen wollten.

Der Wein war miserabel. Na, vor dieser Konkurrenz brauchte sich der Moser nicht zu fürchten . . . 268

Eine volle Stunde lang saß der Förster vor dem halbgeleerten Glas. Endlich ging die Tür; der Wachtmeister erschien auf der Schwelle.

Elend sah er aus. Eingefallene Wangen, unrasiertes Gesicht. Und die schwarzen Augen brannten.

Als er den Förster erblickte, trat er einen Schritt zurück.

»Na, Pummer, hörst, die Hand kannst mir schon noch geben. Hast vielleicht was gegen mich, he?«

»Na, na – in keiner Weis',« murmelte der Überraschte und ergriff zögernd die dargebotene Hand. Dann ließ er sich schwer und müde auf die Bank fallen.

»Wie kommst denn du da herauf?«

»Halt ja, ganz zufällig,« erwiderte der Förster in gleichgültigstem Ton. »Da droben im Wald haben die Heger an Fuchsbau g'funden, da hab ich dem Kerl aufpassen wollen. Hab ka Glück g'habt und bin her, mich bissel ausrasten. Vielleicht krieg ich ihn a anderes Mal.« 269

»So, so,« erwiderte der Wachtmeister lauernd. »Und is er schon alt, der Fuchs?«

»Ganz jung wird er nimmer sein, denk ich.«

»Dann kriegst ihn nöt so leicht, mein lieber Förster. So a alter Fuchs is mit allen Hunden g'hetzt – ha, ha, ha! Wirt, bring an Wein. Und schaff die Kinder aus der Stuben, aber schnell.«

»Was is denn mit dir, Wachtmeister,« fragte der Förster ganz ruhig, »du hast doch Kinder immer so gern g'habt?«

»Ja mein – der Mensch ändert sich halt. Ich hab auch früher Bier getrunken, jetzt trink ich Wein. Da dauert's nöt so lang, bis man was g'spürt. Nur die Zigarren, die rauch ich noch weiter. Mehr als früher.«

»Is aber nöt gut für die G'sundheit, das viele Zigarrenrauchen. Und gar so starke. Schaust auch recht schlecht aus.«

»Ach was dir nöt einfallt.« Der Wachtmeister packte die Flasche, die der Wirt vor ihn hingestellt, beim Halse und schenkte sich hastig ein. 270 Seine Hand zitterte. »Sollst leben, Förster!« Er stürzte das Glas hinab.

Der Förster tat Bescheid. »Aber hörst, Pummer,« sagte er mit gedämpfter Stimme, weil sich der Wirt in der Nähe zu schaffen machte, »der Moser hat an bessern Tropfen. Warum gehst denn nimmer hin?«

»Mich g'freut's drunten nimmer. Überhaupt in Kasdorf g'freut's mich nimmer. Will mich versetzen lassen.« Er starrte ins Leere und trank das zweite Glas aus.

Der Förster rückte näher an ihn heran:

»Schau, Pummer, du bist a paar Jahrln jünger wie ich. Geh, red doch zu mir, wie dir's ums Herz is. Und dann kommst zurück zu uns und störst uns das bissel Gemütlichkeit und Freundschaft nöt, was wir g'habt haben die ganzen Jahr her. Es wär doch schad drum.«

Der Wachtmeister saß mit aufgestemmten Armen und gab keine Antwort.

»Is vielleicht wegen dem Mädel, wegen der Mosermirzl? Schau, die heirat ja bald weg. 271 Und wenn du's recht überlegst: das Dirndl wär ja doch zu jung gewesen für dich. Glaubst nöt?«

»Kann schon sein,« murmelte der Wachtmeister geistesabwesend.

»Na also, Pummer, du bist ja schon wieder vernünftig. Also wenn's nöt wegen dem Mädel is: hast was gegen einen von uns? Sag's offen heraus, wie sich's g'hört unter Männern. Damit Ruh wird. Es ist nicht gut, daß der Mensch allein sei, hat der Herr Pfarrer oft g'sagt. Wir müssen zusammenhalten.«

»Ah was – ich bin ganz allein. Hab niemanden mehr auf der Welt. Und brauch niemanden – niemanden, hörst?«

Er schlug dröhnend die Faust auf den Tisch. Wut und Schmerz zugleich zitterten in seiner Stimme.

Der Förster schwieg. So viel war klar: ein kranker Mensch saß da vor ihm. Den mußte man vorsichtig behandeln. Vorwurf und Grobheit waren da nicht am Platz. 272

Und er sprach von gleichgültigen Dingen, vom Hochwild und von der neuen Baumschule beim Klosterwald, und wie das Holz jetzt so teuer sei gegen früher; der Wachtmeister hörte zu und wurde stiller und stiller, und als der Förster davon sprach, daß er morgen früh von den Holzknechten ein paar Bäume fällen lassen wollte, ging sogar ein Schimmer von Interesse über sein Gesicht.

»Willst vielleicht mitgehen?« fragte der Förster rasch.

»Meinetwegen. Hab eh morgen Streifung im Wald.«

Und aus Besorgnis für den Wachtmeister opferte der Alte seine Nachtruhe auf dem Altar der Männerfreundschaft, schickte den gähnenden Wirt schlafen und zechte mit Herrn Pummer die paar Stunden durch, bis es Zeit war; denn er wollte ihn nicht aus den Augen lassen.

Es war noch rabenfinster, als sie aufbrachen. Hart und klar funkelten die Sterne vom Nachthimmel. Sie schritten die breite, festgefrorene Straße in den Hochwald hinein. 273

Dem Förster tat der Kopf weh. Der schlechte Wein war nichts für ihn. Merkwürdig. daß der Pummer so viel davon vertrug. Er war doch nie ein Trinker gewesen.

Ab und zu warf er einen forschenden Seitenblick auf seinen Begleiter. Der schritt dahin im einförmigen Auf und Ab der schweren, doppeltbesohlten Stiefel und hatte die Augen auf den Boden geheftet.

Die Dämmerung kam durch den Wald gekrochen. Da und dort hob ein Baum im Morgenwinde schwerfällig das beschneite Haupt und warf einen feinen Schauer von Schneeflocken nieder. Nun standen sie auf einer Lichtung. Der Förster steckte zwei Finger in den Mund und ließ einen scharfen Pfiff ertönen. Ein gleicher scholl aus der weißen Dämmerung des Waldes als Antwort; dann regte sich's zwischen den Stämmen, und mit einemmal stand ein Dutzend gedrungener Gestalten da, bewaffnet mit Axt und Säge und in faltige Mäntel gehüllt, die eigentlich nur ein rundes Stück Loden 274 mit einem Loch zum Durchstecken des Kopfes waren.

»He, Vormeister!«

»Zu Befehl, Herr Förster.« Einer der Troglodyten trat vor. Der Förster bezeichnete eine Anzahl von Stämmen, und die Arbeit begann.

Auf und nieder schwangen sich die Sägen im Takt wie Geigenbogen, hell klangen die Äxte dazwischen, ein wildes und unheimliches Konzert; bald scholl schrilles Kreischen, Zischen und Brausen, höher und tiefer, je nach der Spannung der Sägeblätter, bald stöhnten und seufzten die zu Tode verwundeten Bäume, und wuchtige Beilhiebe schlugen den Takt dazu. Die Gesichter der Männer färbten sich dunkelrot; in schweren Tropfen perlte der Schweiß auf ihre Stirn trotz der Winterkälte.

Pummer stand abseits von der Straße, die sich unweit der Lichtung durch den Wald zog. Wie jähes Wetterleuchten war es über sein Gesicht geflogen, als er die Stelle erkannte; hier das große Kruzifix mit dem traurigen Gesicht 275 des Heilands, dort der Prellstein, an den der Schlitten des Pfarrers gestoßen war – kein Zweifel: es war die Stätte seiner Schma.ch. Vielleicht lagen noch die Stricke da, mit denen man ihn gebunden – o, die Schande, die gräßliche Schande!

»Gib acht, Wachtmeister,« rief der Förster herüber, »der Baum wird bald fallen. Daß dir nix g'schieht!«

»Schon recht,« antwortete er und trat einen Schritt zur Seite. Mit fliegendem Atem verfolgte er die Arbeit der beiden Männer, die einen der größten und schönsten Bäume schon über die Hälfte durchsägt hatten. Langsam ging das Blatt hin und her. Ein Zittern lief durch den ganzen Riesenstamm des Gewaltigen und setzte sich droben fort bis in die äußersten Zweige. Schon begann die Krone zu schwanken; wie ein schwerer Seufzer klang es durch die Luft.

Die Männer stellten die Säge hin und wischten sich den Schweiß ab; die hochgeschwollenen Adern wollten schier zerspringen; ein paar 276 Minuten standen sie da und keuchten, zitternd von der gewaltigen Anstrengung. Dann griffen sie zu den Äxten. Holzsplitter flogen im hohen Bogen durch die Luft. Und endlich ging ein Ruck durch den Baum, ein dumpfes Krachen, das lauter und lauter wurde; jetzt neigte sich langsam und traurig der bemooste Stamm. Noch eine Minute – eine halbe noch . . .

Im Osten hatte sich die Sonne erhoben. Auf einer Bank von grauen Wolken lag der glühende Ball, die langen Schatten der Waldbäume zeichneten sich auf den rosig leuchtenden Schnee. Der Förster wandte sein Gesicht nach Osten und blinzelte andächtig in das heller und heller aufglühende Licht. Es war ein Morgengebet.

Und nun dröhnte der Boden im weiten Umkreis; ein Krachen zusammenbrechender Äste und Zweige, die zersplitterten wie Glas – und mitten in das Getöse ein lauter Schrei des Entsetzens, von den Holzknechten ausgestoßen.

Hingestreckt neben dem Riesenbaum, wie vom Blitz getroffen, lag der Wachtmeister Pummer. 277 Einer der stärksten Äste ging quer über seine Brust. Aus einer Wunde an der Stirn floß Blut in den Schnee.

»Jesus Maria Joseph!« schrie der Förster auf. Mit Riesensätzen sprang er auf die Stelle zu. Die Holzknechte hoben die Arme wie abwehrend in die Luft:

»So wahr a Herrgott im Himmel is, Herr Förster, wir können nix dafür – der Wachtmeister is in den Baum hineing'rannt – hineing'rannt!« 278

 


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