Egid Filek
Novellen um Grillparzer
Egid Filek

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III.

Aber es war nicht die blaue Grotte allein, die beim Besuch Grillparzers im Hause Fröhlich das Gespräch beherrschte.

Wohl mußte er den vier neugierigen Wiener Kindern alles mögliche erzählen von Landschaft und Menschen im sonnigen Süden, nach dem ihre heimliche Sehnsucht ging.

Sie saßen an dem runden Mahagonitisch mit der kunstvoll gestrickten rotweißen Decke, und jede fragte nach anderen Dingen. Anna wollte wissen, was man »dort unten« aß und trank, auf welche Speisen geriebener Käse kam und wie die Maccaroni zubereitet wurden und die Minestra, und ob dort wirklich alles in Öl schwamm und mit Käse bestreut wurde, während Josefine sich mehr für den italienischen Belcanto interessierte und für die Aussichten, die einer Wiener Sängerin an der italienischen Oper winkten.

Dagegen ließ sich Betty vom Papst berichten, vom Hochamt in der Peterskirche und von den Toiletten der römischen Damen. Nur Katty fragte nichts und hörte dem Gast still und andächtig zu wie damals bei Geymüller dem Forellenquintett.

Doch es gab noch ein anderes, nicht weniger unerschöpfliches Thema: das goldene Vließ, das Ende Mai im Burgtheater zur Aufführung kommen sollte; die Schröder würde die Medea spielen, in Daffingers neuem 92 phantastischem Kostüm, so las man in Bäuerles Theaterzeitung.

Ach, dieses goldene Vließ!

Das war sein Schmerzenskind. Seit Jahren hatte es ihn gequält und beglückt zugleich; in schwüle Morgenträume warf es seinen mystischen Glanz, in ihm sah er das heiß ersehnte Ziel alles menschlichen Strebens nach Macht und Reichtum, aber es war mit dem Fluch beladen, der nach dem ewigen Ratschluß der Götter auf der Gier nach Gewalt und Besitz lastet.

Und nun hatten endlich Gedanken und Empfindungen ihre Verkörperung durch das Wort gefunden, das Kunstwerk stand fertig da und sollte empfänglichen Menschen in der theaterfreudigsten Stadt der Welt vorgeführt werden, Schreyvogel hatte die besten Kräfte seiner Bühne in seinen Dienst gestellt, eine Probe folgte der andern bis zur gänzlichen Ermüdung der Schauspieler; und immer gab es noch zu ändern und zu bessern.

Wie sie da gierig horchten, wie Anna versonnen einer Traumgestalt nachblickte, die sonst so redselige Peppi stumm an seinen Lippen hing und Kattys Augen leuchteten im seltsamen Glanz!

Sie saßen um ihn herum, hielten sich bei den Händen wie Kinder, die so aufmerksam wie es nur Kinder können, einem Märchen lauschen.

Und es war eine Märchenwelt, die er ihnen enthüllte, die unendlich bunte Welt der Bühne, des Scheins und der Illusionen, das leuchtende Viereck, in das er blickte, wenn er bei den Proben irgendwo im dunklen Parterre saß; diese Welt, die er im Grunde seines Wesens ablehnte, weil sie nie so schön sein konnte wie jene seiner dichterischen Phantasie – und von der er doch nicht los kam, nie loskommen konnte Zeit seines Lebens.

Vom Aberglauben der Schauspieler erzählte er, da betete der eine mit Inbrunst ein Vaterunser, bevor er den heißen Boden betrat, auf dem so vieles von irgend einem kleinen dummen Zufall abhing; der andere trat um Gottes Willen nur mit dem rechten Fuß auf die Bühne, die Frauen glaubten an magische Kräfte ihrer Halsketten und edelsteingeschmückten Ringe. 93

Und er – wie wohl er sich fühlte in diesem Kreis freundschaftlicher Teilnahme, er, der sich sonst scheu und mimosenhaft in sein Inneres zurückzog.

Wie er auf diesen alten Märchenstoff vom goldenen Vließ geraten sei, wollten sie wissen.

»In Baden wars, mitten im heißen Sommer; hab mich schauderhaft gelangweilt in der faden Stadt. Meine einzige Freud war, mit meiner Mutter Klavier zu spielen, Haydn, Beethoven, Mozart, auf dem alten Instrument, das noch mein seliger Vater gekauft hat. Da blätter ich einmal zum Zeitvertreib in einem Wörterbuch der griechischen Mythologie und les den Artikel Medea. Und jetzt wars aus mit mir. Tag und Nacht hab ich geträumt vom goldenen Vließ und vom Phrixus und Jason und seinem Drachenkampf, und von der Zauberin Medea, die den alten Pelias ermordet, und ich schreib und schreib, und in ein paar Wochen waren die ersten drei Akte fertig –da ist das mit meiner Mutter gekommen, das furchtbare Unglück . . .«

Er schwieg plötzlich, niedergedrückt von quälender Erinnerung. Die Frauen saßen still, in einem langen teilnahmsvollen Schweigen.

»Nicht immer daran denken,« sagte Katty leise und sanft.

»Nachher wars ein Jahr lang ganz still in mir,« erzählte er weiter, mit einem dankbaren Blick in das liebe Gesicht, »dann hat mich die Madame Karoline Pichler in ihr Haus eingeladen, und ich hab mit ihr Tee getrunken und mit der Tochter Haydn gespielt, dieselben Sachen wie damals mit meiner Mutter. Und da auf einmal kommen mit der Musik alle die alten Erinnerungen, und wieder seh ich den Jason und den finsteren König Äetes und das wilde Weib, die Medea, und wieder schreib ich Tag und Nacht, in rasender Arbeit, hol der Teufel Amt und Büro, bis das Ganze fertig war. Und dann war ich wieder nicht damit zufrieden, so ist es ja immer bei mir. ›Er sah, daß es gut war‹ – das kann nur der liebe Gott von seinem Werk sagen. Aber war es auch nicht gut: es war wenigstens fertig, Gott sei Dank.«

»Ich glaub immer, wenn so eine große Arbeit fertig ist, dann ist sie auch gut,« meinte Anna. »So ähnlich 94 wie Ihnen gehts auch unserem Schubert. Wie sich der Arme mit seinen Opern quält!«

»Aber die Lieder – die schüttelt er nur so aus dem Ärmel,« erwiderte Grillparzer. »Der Schwind hat mir erzählt, wenn man in der Früh um acht zu ihm kommt, sitzt er schon da und komponiert. Und wenn man ihn fragt: wie gehts? so sagt er: gut, ganz gut – und komponiert weiter, in einem Zug bis zum Mittag.«

»Wissen Sie, Herr Grillparzer, daß der Schubert schrecklich gern mit Ihnen bekannt werden möchte? Er traut sich nur nicht heran an den Herrn Burgtheaterdichter, in seiner komischen Schüchternheit.«

»Der Arme! Als ob ein Dichter was Besonderes wäre!«

»Da hab ich ihm versprechen müssen, die Bekanntschaft zu vermitteln«, fuhr sie fort, »und bei der Gelegenheit möcht ich euch beide zu einer gemeinsamen Arbeit zusammenspannen. Wollen Sie mir dabei helfen?«

»Meinetwegen. Und was soll das für eine Arbeit sein?«

»Eine Fensterlmusik.«

»Fensterlmusik? Was ist das?«

»Ein Ständchen. Eine von meinen Schülerinnen heiratet, und wir wollen ihr ein Ständchen bringen. Da tät ich Sie halt schön bitten um ein kleines Gedichtel, und der Schubert solls komponieren. Vielleicht fallt Ihnen was ein.«

»Ich will mir alle Mühe geben,« lächelte er, »und wann soll ich das Opus liefern?«

»Nächste Woche. Dann kriegts der Schubert zum Komponieren und am 31. Jänner ist Generalprobe, da feiern wir bei uns seinen 24. Geburtstag. Sie feiern doch mit? Bitte, bitte!«

Es war unmöglich, diesen vier liebenswürdigen Bettlerinnen zu widerstehen.

Als Meister Happachers Geburtstagsuhr die sechste Stunde schlug, griff er nach Hut und Stock. Paumgartens hatten ihn zur Abendvorstellung im Leopoldstädter Theater in ihre Loge geladen.

»Entzückende Frauenzimmer, alle vier möchte ich lieben und kann keine wählen«, murmelte er noch auf der Gasse im Selbstgespräch. 95

Und er dachte an so manches andere Frauenwesen, das ihm damals näher getreten war, dem Verwöhnten und Gefeierten, den man in alle Gesellschaften lud.

Da war das Lottchen, die Tochter der schriftstellerischen Kollegin Karoline Pichler, und ihre liebste Freundin, Marie Piquot, immer im grünen halsfreien Kleid, wunderschön gewachsen, eine Schnur von schwarzen Perlen um den schneeweißen Hals.

Wie oft hatte er mit den beiden lieben Mädchen zusammen musiziert, in dem gastfreien Haus des Legationssekretärs Piquot, wo Raimund verkehrte und viele andere Bühnengrößen, Schauspieler und Musiker . . .

Sonderbares Mädel, diese Marie Piquot. Wie sie ihn manchmal so seltsam ansah mit ihren großen, feuchten, schwärmerisch umschatteten Augen . . . aber nie gab sie ein Zeichen verliebter Zuneigung. Und sein Herz gehörte ja schon lange einer andern . . .

Lavendelweiber zogen vorüber mit melodischem Singsang: »Zwa Kreuzer a Büscherl Lavendel . . .« Mechanisch griff er nach dem bescheidenen Sträußchen, steckte es in die Tasche; der Duft erinnerte an Mutters Wäschekasten und an ferne Kinderzeit.

Das Leopoldstädter Theater strahlte heute in vollem Glanz. Ein neuer Stern war am Wiener Bühnenhimmel aufgegangen, ein tanzender, singender und lachender Stern, eine Verkörperung wienerischen Leichtsinns: Therese Krones.

Wie Bienen um einen blühenden Lindenbaum, so schwirrten die pikantesten Skandalhistörchen um das reizende zwanzigjährige Geschöpf.

Das Theater war voll zum Erdrücken. Droben auf der Galerie, wo die Grabennymphen mit ihren Galans ihr Wesen trieben, war ewiges Leben; da gabs Würstel, Bier und Zuckerbäckerei für die Schönen; in den Logen saßen behäbige Bürger vom Brillantengrund, würdevoll und langweilig, Frauen mit kostbarem Schmuck, Zeugen der Zahlungsfähigkeit ihrer Gatten.

Er trat in die Loge. Zwei rotverschleierte Ampeln leuchteten matt von der Decke; Charlotte begrüßte ihn mit vertraulichem Kopfnicken, Paumgarten streckte ihm seine schmale, kühle Diplomatenhand entgegen: 96

»Heut gibts ein Theatererlebnis. Die Krones spielt zum erstenmal in einem neuen Stück. Und eine andere Sensation geht im Zuschauerraum in Szene: Seine Exzellenz der Herr Geheimrat Freiherr von Gentz ist da, in einer Loge im ersten Stock, natürlich incognito. Es heißt, daß er sich sehr für die junge Therese Krones interessiert.«

»Schön – aber was hat das mit mir zu tun?«

»Mehr als du denkst, Franz. Hör mich an. Du willst doch Karriere machen, nicht? Und ich bin sehr unzufrieden mit deiner Stellung im Finanzministerium. Du bist dort nicht an dem Platz, der dir gebührt. Aber ohne Protektion geht bei uns nichts, du mußt eine Audienz beim Fürsten Metternich nehmen. Und der Weg zu ihm geht nur über den Geheimrat Gentz, diesen feinsten und frivolsten Geist von Wien. Ich weiß, daß er mir wohl gesinnt ist und will jetzt in seine Loge hinüber, ihn auf dich aufmerksam zu machen. Bis dahin Gott befohlen.«

Sie waren allein.

Wie seltsam erschien ihm der Gegensatz zwischen der stillen halbdunklen Loge und dem hellen Zimmer, das er eben verlassen hatte, erfüllt von dem heiteren harmlosen Geplauder der vier Schwestern.

Forschend glitten ihre Blicke über sein Gesicht:

»Du bist heute so merkwürdig zerstreut. Was hast Du?«

Er schüttelte abwehrend den Kopf:

»Ach nichts. Ich denk an die letzte Probe im Burgtheater. Die Schröder macht mir Sorgen. Im dritten Stück ist sie großartig – aber für die beiden ersten Teile zu alt. Da hat mir der Schreyvogel alles gestrichen, was sich auf die Jugend und Schönheit der Medea bezieht. Und das sind grad meine besten Szenen. Denk dir meinen Verdruß.«

Ein Schatten flog über ihre Züge. Er beugte sich zu ihr hinab:

»Medea?« sagte er, leise und fragend.

Sie nickte traurig:

»Medea. Das ists. Ich bin nicht mehr deine Medea.«

»Ich versteh dich nicht, Charlotte.« 97

»Du verstehst mich wohl. Ich war dir Anregung zu deinem Werk, Ansporn deiner Kunst. Aber jetzt ist das Werk vollendet, und was in mir an Blut und Leben war, ist in dein Gedicht übergegangen und lebt dort weiter, und mit mir bist du fertig.«

Er wußte nichts zu erwidern, fühlte nur mit leisem Erschrecken, wieviel Wahres in ihren Worten war. Wieder wie so oft in seinem Herzensleben wollte er trösten und fand nicht das rechte Wort. Er dachte an die ganze unreinliche Buchführung dieser Liebe, deren Glück mit Verheimlichen und Vertuschen erkauft war, mit steter Unaufrichtigkeit gegen den Vetter und Freund, der ihn nach besten Kräften gefördert hatte, und sein Herz schwoll von Bitterkeit.

»Du willst vielleicht jetzt sagen,« fuhr sie fort, »wenn mein Werk die Zeit überdauert, so wird es auch deinen Namen in künftige Tage tragen. Ich glaube an dich, dein Werk ist gut und wird auf die Nachwelt kommen und ich vielleicht mit ihm – aber das ist kein Trost für eine Frau. Denke einmal in einer ruhigen Stunde über meine Worte nach. Und jetzt nichts mehr von uns beiden – Ferdinand kommt.«

Er trat herein, rieb sich fröhlich die Hände:

»Alles in Ordnung, Franz. Du kannst zum Metternich in Audienz kommen, wann du willst. Die Exzellenz war sehr gnädig zu mir – doch halt, ich muß still sein – der Vorhang geht auf!«


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