Egid Filek
Novellen um Grillparzer
Egid Filek

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Von ewiger Liebe

I.

Es war ein Festtag in dem behaglichen Heim der Schwestern Fröhlich in der Singerstraße, als die neue schöne Standuhr, Meisterstück des Herrn kaiserlich-königlichen Hoflieferanten Philipp Happacher, endlich auf der weißen Marmorplatte des Kamins stand.

Diese Uhr war der Sehnsuchtstraum der Gesangsmeisterin Anna Fröhlich, die Schwestern hatten sie ihr zum Geburtstag gekauft, und Herr Happacher hatte sie eigentlich gar nicht gern hergegeben, weil sie als Prunkstück im Schaufenster die Augen aller Damen, Stutzer und Kavaliere auf sich zog.

Denn es war allerlei Symbolik in das kleine Kunstwerk hineingeheimnist. Auf vier vergoldeten Löwenpranken hob sich der zierliche Bau aus dunkelbraunem politiertem Nußbaumholz. Zwei Löwenköpfe an den Seitenwänden hatten große goldene Ringe im Maul, das vergoldete Beschläg zeigte einen Kranz von Rosen, zwei posaunenblasende Engel und in den vier Ecken je eine Leier mit goldenem Stern. Die Pendelscheibe war eine strahlende Sonne, und oberhalb des Zifferblattes stand eine zierliche Alabasterbüste des guten Kaisers Marc Aurel, der Wien zum ersten Mal zur Kaiserstadt gemacht hatte.

Und so schön und schmuckfroh in Formen und Farben das kleine Kunstwerk war, so groß war auch sein Wert als ein Meisterstück der edlen Uhrmacherkunst; denn es zeigte nicht nur die Stunden, Minuten und Sekunden an, sondern auch das Monatsdatum und die Phasen des ewig wechselnden Mondes, und als besondere Überraschung hatte Herr Happacher sogar ein Spielwerk hineingebaut. Das mußte man eigens aufziehen und es 74 spielte vier kleine Musikstücke, je eines um zwölf, um drei, um sechs und um neun Uhr; beliebte und zeitgemäße Melodien, wie sie damals in den Herzen aller musikalischen Wiener Kinder wiederklangen: Üb immer Treu und Redlichkeit, Brüderlein fein, Mich fliehen alle Freuden, und Gott erhalte Franz den Kaiser; denn Herr Happacher war Hoflieferant und treuer Patriot.

Mildes Septemberlicht durchflutete das große Zimmer mit seiner Stuckdecke, dem kristallenen Luster, den bauschigen Vorhängen und den Tischen und Stühlen aus schön poliertem Holz. Das alles leuchtete in hellen duftigen Farben, in zitronengelb und lichtblau und rosa; im Glaskasten schimmerte edles Porzellan, beim Klavier hingen die Silhouetten von Haydn, Mozart und Beethoven, wie es sich gehörte für ein hochmusikalisches Haus. Auf der weißen Marmorplatte des Kamins reichten sich drei entzückende kleine Porzellanmädchen die Hände, hinter ihnen verströmten die letzten Rosen des Jahres in einer Japanvase ihren süßen Duft.

Eine stille Welt, erfüllt von Andacht zum Kleinen und Behaglichen.

Da standen sie nun um die schöne neue Uhr herum, drei liebenswürdige Frauenzimmer: die Anni, die Katty, die Peppi. Lockengekräusel um die hellen Stirnen, lichte, duftige, gebauschte Kleider voll Rüschen und Falten, nicht unähnlich den drei Porzellanmädchen am Kamin aus der kaiserlich-königlichen Augartenmanufaktur, die der grimmige Napoleon anno 1805 auf das strengste zu schonen befahl – »natürlich, damit er sie besser ausplündern kann« – wie die kecke Peppi einmal bissig bemerkte.

Es schien, als strahle die ganze geruhige Heiterkeit dieses Raumes von den drei lichten Frauengestalten aus.

»Fröhlich, fröhlich . . . nun ja, nomen est omen,« hatte einmal der Mayrhofer gesagt, Freund und Hausdichter des Schubert Franzl, der steirische Poet, der aus der Kutte gesprungen war, mitten hinein in das sehr weltliche Getriebe des alten Wien.

»Redens deutsch, Mayrhofer, wir verstehn ka Latein,« erwiderte die schnippische Josephine, »in Ihnen steckt noch der geistliche Herr.« 75

»Das will sagen, liebe Demoiselle: der Name hat Bedeutung; Fröhlich heißt ihr und fröhlich und heiter geht es zu bei euch. Wo man singt, dort laß dich ruhig nieder. So könnt ihr euchs verdeutschen. Versteht man mich?«

Aber hier war auch eine Stätte ernster Arbeit. Da gab Anna, die hochgeschätzte Gesangslehrerin am neugegründeten Konservatorium, ihre Unterrichtsstunden; ihr guter Erwerbsinn hielt das Hauswesen zusammen, etwas von männlichem Ernst war in ihrem ruhigen Gesicht und ihren beherrschten Bewegungen, auf ihren Schultern lag die Verantwortung für Küche und Wirtschaft.

Die Katty war anders; sie hielt es mehr mit der Dichtkunst, seit der leichtsinnige Castelli sie in einem schwärmerischen Gedicht angehimmelt hatte als die schönste Mädchenblüte von Wien.

»Mein Gott, der Castelli – der besingt jede, die ihm schöne Augen macht. So sind halt die Dichter,« meinte die praktisch nüchterne Anna; aber sie war doch sehr stolz auf das Gedicht und seinen Gegenstand. Hatte nicht einmal sogar der Kaiser Franz bei einem Spaziergang auf dem Glacis der Katty die Haare gestreichelt und sie einen lieben Schneck genannt?

Und die Jüngste, die Peppi, überließ alle Sorgen für Haushalt und Küche der getreuen Anna und lebte nur ihrer Singerei.

Draußen ging die Klingel.

»Das ist die Betty, ich kenn sie am Läuten,« sagte Anna.

Und da kam sie auch schon hereingeraschelt mit ihren schaukelnden Röcken und dem großen breitkrempigen Hut, unter dem ihr von Eile und Aufregung gerötetes Rundgesicht in die Welt schaute, die kleine Frau Bogner, die lustige Betty, die einzige von den Schwestern, die mit Gatten und Kind belastet war und immer den neuesten Stadtklatsch wußte.

»Kommt man noch zurecht zur Geburtstagsbescherung?« fragte sie und wickelte ein Bild aus seiner Umhüllung von rosa Seidenpapier, »da schau her, Antschi, ich hab dir auch was mitgebracht.« 76

Drei neugierige Frauenköpfe beugten sich über das raschelnde Papier. Was sich da herausschälte, war ein Blumenstück, ein farbiger Traum von gelb und violett, von weiß und rot, gefüllte Astern zu einem Riesenbukett vereinigt.

Denn Betty war Schülerin Meister Daffingers und verstand seine Blumen und Miniaturen so vollendet zu kopieren, daß man sie in Wien die Pseudodaffingerin nannte.

Anna war gerührt: »Du denkst halt immer an mich, Wetterl. Schön sind deine Blumen, wunderschön!«

Und zur Feier des Tages holte sie mit behutsamen Händen aus der Vitrine die vier allerfeinsten Porzellantassen, bemalt mit den Genien der vier Jahreszeiten; Peppi bekam die Frühlingsgöttin mit dem Veilchenkranz, Betty den Sommer, ein üppiges Weib auf einem Blumenlager, Katty den dicken Bacchus, auf einem Weinfaß reitend, und für Anna blieb der weißbärtige Wintergott, der einen Schlitten durch den tief verschneiten Wald kutschierte.

Eilig deckte sie den Tisch und verschwand in der Küche, wo das Hausmädchen Fanni schon die dampfende Schokolade in die geblumte Kanne gegossen, das Schlagobers zu einem großen Gletscher getürmt und den Guglhupf mit fein gestoßenem Zucker bestreut hatte.

Sie saßen alle vier um den runden Geburtstagstisch in der schweigenden Andacht stillen Genießens.

Gedankenvoll rührte Betty in ihrer Tasse herum:

»Weißt Antschi, wir alle sind ja Menschen von der Art, für die der Blumenstrauß aufm Tisch wichtiger als das Mittagessen is. Aber deine Schokolad is wirklich gut. Und gute Sachen sind für die Seel ebenso notwendig wie für den Leib.«

Niemand bestritt diese Feststellung. Minutenlang hörte man nichts als das leise Klirren der Silberlöffel in den bunten Tassen und das sehr diskrete Schlürfen des köstlichen Getränks; und dazu mahnte Meister Happacher mit leisen Glockentönen zu Treu und Redlichkeit.

»Nimm noch ein Stückl Guglhupf, Wetterl. Und dann erzählst uns, was es Neues gibt in der Wienerstadt.« 77

Ach, wieviel Neues gabs nicht zwischen dem Stefansturm und dem Glacis – von der Vorstadt gar nicht zu reden!

Und Betty war des Hauses Neuigkeitsbote. Sie hatte Beziehungen zu reichen Bürgerkreisen und sogar zum Adel durch ihren Meister Daffinger; sie kannte alle Schauspieler und Musiker und hatte einst die ganze Wiener Theaterwelt in Erstaunen gesetzt, als sie – unerhörte Frechheit für eine Dilettantin – für eine erkrankte Sängerin als Cherubin in Figaros Hochzeit eingesprungen war.

Aber das war schon lange her und Betty hatte dem ganzen Bühnenzauber längst den Rücken gekehrt – das war nichts für ihren praktischen Sinn, der in den Realitäten des Lebens daheim war.

»Ich sag euch, alle diese Künstlermenschen taugen nichts, und ein Mädel soll so einen Mann nicht heiraten, es kommt nie was Guts dabei heraus. Wißts ihr schon den neuesten Skandal vom Daffi und der Madam Schröder?«

»Die Schröder –die hat doch schon einen Buben mit dem Daffinger, wie?«

»Freilich. Und dabei behandelt er sie ganz miserabel. Da hat mir meine Freundin, die Jeanett Costenoble, eine saubere Gschicht erzählt. Es war nach der Aufführung der Maria Stuart, und sie geht mit der Schröder nach Haus, da kommt der Daffi daher, grüßt kaum und will davonrennen. Die Schröder fangt zum weinen an und klagt der Jeanett ihr Leid, und daß er so kalt und lieblos is zu ihr, dann lauft sie weinend die Stiegen zur Wohnung hinauf. Da kriegts die Jeanett mit der Wut, packt den Daffi beim Ärmel und sagt: ›Herr, glauben Sie, daß ein Gott im Himmel is? Wenn Sie kein schlechter Kerl sind, so gehn Sie jetzt sofort hinauf und tun Sie, was Ihre Pflicht is gegen die Mutter von Ihrem Kindl‹ ›Was soll ich denn tun?‹ fragt der Daffi wie ein trotziger Bub. ›Beruhigen sollen Sie die arme Frau, sonst ruf ich die Nachbarn und mach Ihnen einen Skandal!‹ Und richtig geht der Daffi hinauf und wird ganz kleinmütig, küßt der Schröder die Hand und bettelt um Verzeihung. Da hat die Jeanett triumphiert, aber ich hab 78 ihr gesagt, Flickerei halt nöt lang und die zwei werden sich über kurz und lang wieder zerstreiten. Nein, nein, es is nix los mit den Künstlern, und wir armen Weiber haben nix von ihnen, es sind die schlechtesten Ehemänner.«

Und zur Bekräftigung ihrer Überzeugung goß sie sich die dritte Schale Schokolade ein.

Aber Katty, die bisher verträumt dagesessen hatte, schüttelte leise den Lockenkopf:

»Und doch kann uns der Künstler Illusionen geben, und die brauchen wir alle, damit wir das Alltagsleben leichter tragen.«

»Ja, so reden deine Dichter, liebe Katty. Aber von Illusionen kann man nöt leben und das Alltagsbrot is wichtiger als der Sonntagskuchen. Ich bin recht froh, daß mein Mann nur Kanzleibeamter is, wenn er auch recht gut flötenspielen kann.«

Das angeregte Gespräch schien den Damen zu behagen. Wenn ein paar Weiblein in guten Jahren beisammen sitzen, kann man wetten, daß zumeist von Männern und Heiraten die Rede geht.

»Na Peppi, was sagst du dazu?« fragte Anna.

»Ich mach mir gar nichts aus den Männern. Die Freud, die ich beim Singen hab – die kann mir kein Mann geben.«

Allgemeines Gelächter.

»Denkts an unsern Schubert,« sagte Betty, »wars nöt besser für ihn, daß er nöt g'heirat hat? Freilich, er kann noch immer nöt seine Reserl vergessen, die hat drei Jahr lang auf ihn gewartet, dann hat sie doch die Geduld verloren. Aber sie hätt bei ihm auch kein Glück gehabt.«

»Der Schubert Franzl,« meinte Anna nachdenklich, »das is so ein Mensch, den man bemuttern muß – ein großes Kind.«

»Wovon lebt denn eigentlich der Schubert?« erkundigte sich Betty.

»Von seinen Freunden. Sie helfen ihm alle, jeder wie er kann. Da is der Schober, reicher Mann und wirklicher Kavalier, der Hüttenbrenner, der beim Salieri Kontrapunkt studiert, der Schwind und der Mayrhofer. Die tun alles für ihn. ›Franzl, bei mir kannst zu Mittag essen‹, 79 ›Franzl, bei mir kannst wohnen‹. ›Bei mir kannst komponieren, ich hab a gutes Klavier.‹ Und seine Freunde, die leben von dem, was er ihnen gibt, von seiner Musik. Und das is noch mehr wert als Wohnung und gutes Essen.«

So sprach Anna, und die andern schwiegen – man wußte, wie sehr sie den armen kleinen Musikus in ihr gutes Herz geschlossen hatte, der in dem Heim der gastlichen Schwestern einen Ruheplatz für seine romantische Seele fand, die immer auf Wanderschaft war.

Dann nahm Betty Abschied und ging zu Mann und Kind, und ein paar Stunden später lag statt der goldenen Septembersonne der milde Schein des Mondes über den stillen Gassen, hie und da schlüpfte noch ein verspäteter Wirtshausbesucher durch ein verborgenes Pförtchen heimlich in die innere Stadt, denn um zehn Uhr wurden die Stadttore geschlossen und die Wache ließ keinen passieren, der sich nicht durch Polizeidokument ausweisen konnte. Der alte Nachtwächter, Invalide aus dem Franzosenkrieg, wackelte mit Spieß und Laterne über das holperige Pflaster der Singerstraße und gröhlte mit heiserer Stimme: »Hört ihr Herren und laßt euch sagen . . .«

Leise drang der nächtliche Ruf in die traulichen Wohnräume der Schwestern. Anna und Josefine schliefen den tiefen Schlaf zufriedener, müder Arbeitsmenschen. Nur Katty war wach.

Längst schon war das »Gott erhalte« der schönen neuen Uhr verklungen; sie konnte nicht schlafen. An den letzten Abend im Burgtheater mußte sie denken, an die Sappho mit der Madame Schröder in ihrem Prachtkostüm, und an die Worte Bettys von Illusion und vom Alltagsbrot der Ehe und von ihrer eigenen Zukunft.

Was würde ihr das Leben bringen, das vor ihr lag, lockend und verheißungsvoll wie die südliche Theaterlandschaft mit dem tiefblauen Meer und den Palmen, mit dem Altar der Aphrodite und dem weißen säulengeschmückten Haus der griechischen Dichterin.

Ihr war, als müßte etwas über sie kommen, etwas Großes und Gewaltiges, das sie hinaushob aus dieser 80 engen Welt von Frieden und Behaglichkeit, auf ragende Bergesgipfel mit köstlichem Fernblick über leuchtende Länder und blaue Meere.

Und mit leisen Füßen stand sie auf und holte ihr Schatzkästlein aus der Kommode. »Maja, das Orakel für Frauen und Jungfrauen«, stand auf dem Titelblatt. Es war ein kleines Buch mit buntem, perlenbesticktem Deckel, eine Sammlung von Versen, Sprüchen und Dichterworten, ein stummes Orakel, aus dessen dunkler Weisheit man die Zukunft deuten konnte. Ein Erbstück nach ihrer Mutter, die es oft befragt und gehütet hatte wie ein Heiligtum.

Sie stach mit einer Nadel zwischen die nach einem verschollenen Parfum düftenden Blätter und schlug die Seite auf.

Da stand das Goethewort:

»Du sehnst dich, weit hinaus zu wandern,
bereitest dich zu raschem Flug;
dir selbst sei treu und treu den andern,
dann ist die Enge weit genug.«


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