Egid Filek
Wie Dieter die Heimat fand
Egid Filek

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XI.

Es war kein freundlicher Empfang gewesen, den der große Prokop seinem Unterfeldherrn bereitet hatte, als er an der Spitze seiner geschlagenen Truppen im Pilsener Lager eintraf.

Mehrere Hunderte von Kriegern tot oder verwundet, das beste Wurfgeschütz verbrannt, das Heer verdrießlich und zum Aufstand geneigt ob der beschämenden Niederlage – und der Feind im Besitz der Höhen, von denen Twaroh geprahlt hatte, sie würden den Streitern Gottes nicht mehr Mühe machen als die Erstürmung eines Maulwurfshügels!

Vaclav schlich mißmutig im Lager umher. Seine Wunde schmerzte und wollte nicht heilen; es fehlte an Ärzten und Heilkräutern, er mußte sie selbst pflegen und verbinden, so gut es gehen wollte; aber grimmiger noch nagte der Zorn an ihm, daß der Herzog, den er so bitter haßte und als den Urheber alles Leides ansah, das den Seinigen zugefügt worden, nun als Sieger dastand und in Mähren schalten durfte nach seinem Willen.

Ha, wenn er ihm Aug in Aug gegenübertreten könnte, er wollte seinen Stoß besser führen als damals der arme Teufel auf der Stadtmauer in Iglau!

Auch im Belagerungsheer von Pilsen herrschte Unmut. Wie oft hatte man schon die verwünschte Stadt berannt – und 164 immer vergebens! Die Steinkugeln, in Massen gegen die Mauern geschleudert, waren fast wirkungslos; man war gut verpflegt und lachte der ohnmächtigen Wut, die sich draußen die Zähne ausbiß, während Hunger und Krankheiten wüteten; denn die Umgebung war ausgeplündert bis zum letzten Gänsestall und ein Entsatzheer von deutschen Rittern im Anmarsch.

Vergebens ritt der Waisenhauptmann Capek auf seinem Kamel durch die Lagergassen und rief zum Sturm; es war eine Predigt in der Wüste, sie spotteten des Abenteurers und seines seltsamen Tieres so wie vor einem Jahre, da er mit seinen Horden bis an die Ostsee vorgedrungen war, um dort Gläser und Flaschen füllen zu lassen und heimzutragen als Beute des Meeres.

Endlich brach der Funke in hellen Flammen aus. Das geschah, als ein Bauernhaufen. erbittert über die beständige Plünderung, mit Dreschflegeln und Knütteln über den Unterfeldherrn Pardus herfiel und Prokop sich des Besiegten annahm, der, umringt von murrenden Kriegern, ins Führerzelt trat und sich zu entschuldigen suchte.

Ruhig hörte ihn Prokop an. Das Gesicht des ehemaligen Mönches blieb regungslos, lange nachdem Pardus gesprochen hatte; dann erwiderte er langsam:

»Ich hab Euch gegen Ritter gesendet und nicht gegen Bauern. Waret ihr in der Minderzahl, so kann ich Euch nicht dafür büßen lassen. Ich weiß einen, dem gab ich die beste Kraft meiner Krieger mit und er ließ sich besiegen mit Spott und Schande – ich hab' ihn auch nicht gestraft.«

»Soll das mir gelten?« rief der wilde Twaroh drohend und trat einen Schritt auf Prokop zu. Der maß ihn von oben bis unten mit kaltem Blick: 165

»Es gilt dem, der sich getroffen fühlt.«

»Auch wir waren damals in der Minderzahl, als der finstere Herzog mit seinen Rittern uns angriff«, rief der Twaroh, rot vor Zorn. »Ist es so, Kameraden?«

»Er hat recht,« schrie ein Dutzend Stimmen.

»Nehmt das Wort zurück!«

Alles Blut war aus dem Antlitz Prokops gewichen. So hatte noch nie ein Untergebener vor ihm zu sprechen gewagt.

»Ich nehme nichts zurück. Begebt euch auf eure Posten und harret des Lagergerichtes. Meuterern gebührt der Strick!«

Das war zuviel.

»Der Strick für erprobte Krieger? Das sollt Ihr büßen!« brüllte Twaroh und packte einen Stuhl. »Ihr werdet mit mir kämpfen, Feldhauptmann! Einer von uns ist zu viel im Lager.«

»Ihr wißt, daß ich niemals Waffen berühre,« erwiderte Prokop. »Mit Euresgleichen kämpfe ich nicht.«

Da stürzte der wilde Twaroh vor und schlug den Nachfolger Ziskas mit dem Stuhl ins Gesicht.

Tumult entstand. Pardus und seine Leute warfen sich den Meuternden entgegen und suchten sie aus dem Zelte hinaus zu drängen; andere mühten sich um den Feldherrn, der blutend zu Boden gesunken war. Aber die Partei Twarohs war stärker. Sie überwältigten die Wachen und schlossen einen Ring um das Zelt – Prokop war ein Gefangener der eigenen Krieger.

Der besonnene Capek mahnte zur Mäßigung. Was sollte geschehen, wenn der Aufruhr um sich griff? Litten sie noch nicht genug unter Feindesnot, Krankheit und Entbehrung? 166

Als die Wut Twarohs verraucht war, ließ er sich zu Verhandlungen herbei; er mochte selbst fühlen, daß er zu weit gegangen war. Sogar Abbitte wollte er leisten, sofern er mit den Seinen straflos ausging. Prokop war damit einverstanden; er reichte ihm die Hand, aber sein Blick hob sich nicht vom Boden und tags darauf erklärte er zum allgemeinen Schrecken, daß er den Oberbefehl niederlege.

»Gefangene Feldherren finden keinen Gehorsam mehr«, war seine beständige Erwiderung auf alle Vorstellungen. An der Spitze seiner Getreuen ritt er aus dem Lager.

Das war der Wendepunkt der ganzen Bewegung.

Der böhmische Adel, der sich in Basel mit seinen Gegnern verständigt und gegen den Laienkelch und die Zusicherung der freien Predigt Frieden gelobt hatte, fiel jetzt von Prokop und den Taboriten ab. Man wollte die eben gewonnenen Kirchengüter in Ruhe genießen; man sehnte Frieden und Ordnung herbei nach den Kämpfen so vieler Jahre; man beklagte den Verlust an kostbaren Menschenleben, die Zerstörung der blühenden Städte, die Entwertung des Bodens, der für lange Zeit zu keinem neuen Anbau fähig war.

Und als die Prager Neustadt erobert ward und die Taboriten dort wieder eine Niederlage erlitten, das befreite Pilsen endlich aufatmen konnte und die Bürger das erbeutete Kamel des Waisenhauptmanns Capek im Triumph in den Straßen ihrer Stadt herumführten, fiel endlich der Hauptschlag.

Nur noch zwei Parteien blieben: Adel und Städter. Noch einmal stellte sich Prokop an die Spitze der Brüder, die in der Städtepartei vereinigt waren; achtzehntausend 167 Mann gehorchten ihm. An seiner Seite stand Prokop der Kleine, ihm gleich an Mut und Begeisterung für die große Sache . . . für die Sache, die verloren war in jenem Augenblick, da die Gemäßigten von ihren wilden Brüdern nichts mehr wissen wollten.

Es kam der dreißigste Mai des Jahres 1434, der Tag von Lipan; der Tag, der die Legende von der Unbesiegbarkeit der Gotteskrieger für immer zerstörte und dem alten Sigismund Recht gab, der einmal gesagt hatte, die Böhmen könnten nur durch Böhmen bezwungen werden; der Tag, der dem unglückseligen Lande den Frieden schenkte – den Frieden eines Kirchhofs.

Die Katholikenpartei hielt sich still im Hintergrund und wartete den Ausgang des Endkampfes ab. Zwei gewaltige Wagenburgen bewegten sich gegen einander, gerüstet mit den furchtbarsten Waffen, die man damals kannte; kleine Kanonen streckten ihre todbringenden Rachen über den Rand, die besten Scharfschützen saßen hinter ihren Schilden, die Räder waren mit hölzernen Blenden geschützt. Langsam, schwerfällig gleich Ungetümen der Vorzeit krochen sie heran; elf Zeilen stark war die Schlachtreihe des Herrenbundes, sechs betrug die der Städter. Dann begann das Geschütz zu spielen. Die beweglichen Burgen spien Tod und Verderben gegen einander; dumpf krachten die Haubitzen, hell und scharf klangen die Büchsenschüsse – und beständig schwenkte die ganze Reihe der Kriegsmaschinen hin und her, auf jede Bewegung des Gegners lauernd, um ihm in die Flanke zu fallen. Das dauerte viele Stunden, bis endlich der Burggraf von Klingenberg den Seinen befahl, sich so zu bewegen, als wären sie erschöpft und wendeten 168 sich zur Flucht. Ein wütender Angriff auf die Brüder bewirkte, daß diese in heftigster Abwehr alle Munition verschossen. War es eine Verzweiflungstat des großen Prokop oder dachte er wirklich zu siegen? Niemand wußte es. Man sah nur, daß die Adeligen inmitten der ungeheuren Wolken von Staub und Pulverdampf plötzlich eine Schwenkung ausführten; schneidend erklang das Gebrüll der Taboriten, Dreschflegel, Morgensterne, brennende Wergbüschel, Steine und rauchende Balken sausten gegen die Fliehenden, von seinem Wagen aus lenkte Prokop die Verfolgung, hoch ragte seine Gestalt, unbeschirmt bot er die Brust den Geschossen, Schlachtgesang umbrauste ihn – da donnerte der Boden, Pferde wieherten, Reiter sprengten mit eingelegten Lanzen auf das Fußvolk los, das in hitziger Kampflust von den Wagen gesprungen war – die Barone hatten den richtigen Augenblick benutzt, um den Waisen den scheinbaren Sieg zu entreißen. Jetzt wendeten sich die Verfolgten plötzlich um und griffen aufs neue an. Prokop erkannte die Gefahr. »Zurück zu den Burgen!« schrie er in den tobenden Haufen hinein; es war zu spät. Wie eiserne Keile drängten sich die Reiter zwischen die Reihen, sie von den Wagen abschneidend. Mitten unter ihnen tauchte die Gestalt Prokops auf; er deutete mit der Hand nach Westen: dort war Twaroh mit den letzten Reserven. Ein Befehl des Oberfeldherrn rief ihn zu Hilfe; er stand trotzig mit verschränkten Armen und rührte sich nicht. »Seht ihr denn nicht, daß alles verloren ist?« schrie er den Boten an. »Mag sich der Prokop nur um seine Leute sorgen, ich bleibe mit den Meinen da, bis der letzte Mann erschlagen am Boden liegt.« 169

»Und was soll ich dem Feldherrn sagen?«

»Sagt ihm, daß er mich einmal einen Meuterer genannt hat. Ich hab's vergeben, aber nicht vergessen – heut ist der große Zahltag! Ich kann ihm die Schlacht nimmer retten; aber wenn ich's könnte, ich tät's nicht. Auf, ihr Gotteskrieger, mir nach!« Und seinen Streitkolben schwingend, stürzte er sich mitten ins Getümmel. Prokop hatte von ferne der Szene zugesehen; er rief etwas, das niemand verstand, – dann wankte er, neigte sich vorwärts, versank in dem wilden Menschengewoge wie ein Schiff im Meer. Und immer heftiger drängten die Reiter, immer wahnsinniger hieben die Taboriten um sich, da und dort brach einer zusammen, andere im Falle mit sich reißend, die Leichen häuften sich – die Schlacht war entschieden. Der Kampf ging in ein wildes Morden über. Den ganzen Tag dauerte die entsetzliche Schlächterei; niemand gab und nahm Pardon, der Mond schien auf neue und unerhörte Greuelszenen, erst der Aufgang der Sonne machte dem Gemetzel der Unseligen ein Ende, die kein anderes Mittel zur Verbreitung ihres Glaubens wußten als das nackte Schwert. Man zählte gegen dreizehntausend Leichen.

Das war die Schlacht von Lipan.

Noch heute, nach beinahe fünf Jahrhunderten, lebt ihr Gedächtnis dunkel und kaum bewußt in der Seele des Landvolkes. Vom Urgroßvater zu den späten Enkeln spinnen sich düstere Überlieferungen fort, die vom Tode der beiden Prokope, von grauenvollen Bluttaten erzählen, und niemand geht zur Nachtzeit über jene Stätte, wo die Geister der Erschlagenen, wie die Sage berichtet, noch drei Tage nach der Schlacht in den Lüften miteinander gekämpft haben; 170 noch heute wird hie und da, ängstlich vor fremden Blicken geborgen, in erbgesessenen Bauernfamilien ein Streitkolben, ein zerbeulter Helm als kostbare Reliquie bewahrt, von dem es heißt, daß er in jener schauerlichen Mainacht mit Blut befleckt ward im Kampfe für den heiligen Kelch.

 


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